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Rosalita wälzt sich in einem viel zu engen, und eigentlich auch schon ausrangierten Wohnwagen- irgendwo in einem abgelegenen Schrebergarten. Zufällig gerät sie an einen alten Plattenspieler, auf dem eine scheinbar noch ältere Scheibe aufliegt. Als die Melodie erklingt, werden in ihr Erinnerungen wach an die Zeit, als sie noch daheim war bei Vater und Mutter. Vor allem der Vater hat mit der damals Achtzehnjährigen doch recht ehrgeizige Pläne gehabt. So sollte sie in der Firma, wo auch er tätig, eine Ausbildung beginnen. Irgendwo im Büro dort als Tapse oder so. Und schließlich werden die am Ende ja immer gebraucht. Am Wochenende vor der feierlichen Vertragsunterzeichnung bekommt Rosalita allerdings Besuch von ihrer besten Freundin Ewelin. Gemeinsam wollen sie den Abend in einem Tanzclub verbringen. Zuvor suchen sie schnell noch eine örtliche Kirmes auf, wo Rosalita von einem alten Leierkastenmann angezogen wird: am Ende vielleicht gar eine Richtungsentscheidung? Womöglich auch noch eine wesentliche? Für ihr noch recht junges Leben? Und was wird nun aus dem Polizeiobermeister Mark- Uwe? Den sie kennengelernt hat? / B- Geschichte ("Der beste Mann der Gegend"): In der Vorstadt stehen Bürgermeisterwahlen an. Rasch breitet sich unter den Vorstädtern so etwas wie Hysterie aus. Doch bleibt es wirklich nur bei politischen Wahlen? Zumal der Buchhändler Jakob Tuchfühlung auftaucht- mit dem Auftrag, den Ex- Tapezierer Radius Lehr auszuzeichnen. Denn der ist bereits gewählt worden: zum besten Mann der Gegend. Nur ob dem das wirklich so behagt?
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Seitenzahl: 200
Inhalt
Diesmal unter anderem dabei (A- Geschichte: „Rosalita und der Leierkasten“)
A1: Rosalitas Wohnwagen
A2: Der alte Plattenspieler
A3: Rosalitas Freundin Ewelin
A4: Der alte Leierkastenspieler
A5: Der große Schlanke und der kleine Pummelige
A6: Die altgekleidete Lady
A7: Feierabend
A8: Spätnachrichten im Fernsehen
A9: Am Frühstückstisch
A10: Mit dem Polizeiauto
A11: Im Krankenhaus
A12: Übrigens, ich habe geerbt
A13: Die Vertragsunterzeichnung
A14: Oh! Dann hast du dich aber noch recht gut gehalten
A15: Der Leierkasten und ein Kuvert
A16: Bankschließfach
A17: Die Sache mit der Erbschaft
A18: Der Achterbahn- Johnny
A19: Ob Rosalita was ausgefressen hat
A20: So viel Geld
A21: In der Bank
A22: Auf Tour
A23: In der Bahnhofshalle
A24: In der Pension
A25: Rosalita und der Leierkasten
A26: Wieder im Wohnwagen
A27: Die Bettlerin Bia
A28: Fessel in der Bahnhofshalle
A29: Fessels Verlobte Violetta
A30: Raubald
A31: Im Café
A32: Fessel und Beutel
A33: Im Wettbüro
A34: Als von einem Modellhaus die Rede war
A35: Die jungen Damen unter den Laternen
A36: Die Nachricht von Fessels Kind
A37: Die kleine Linda
A38: Rosalita und Mark- Uwe
Diesmal dabei gewesen (A- Geschichte: „Rosalita und der Leierkasten“)
Diesmal unter anderem dabei (B- Geschichte: „Der beste Mann unserer Gegend)
B1: Staranwalt Windhund und die Sekretärin Via Mong
B2: Tunkels Tankshop
B3: Der Freigänger vor dem Pfarramt
B4: Der Wahlausschuss
B5: Jetzt, wo alle anwesend sind
B6: Windhund und Klein in der Kneipe
B7: Im Wartehäuschen an der Endhaltestelle
B8: Die beliebteste Lehrkraft
B9: Die Wahl zum besten Mädchen
B9: Vor Kalles Imbiss
B11: Der Gammler Wilforth
B12: Emma Tisch und der Bestatter Kamil Vandor
B13: Sandophan Niesel
B14: Der Wahlausschreibung
B15: Schwester Käthe
B16: Der unerwartete Flyer
B17: Die Plakatiererin Ini Waibel
B18: Tausch der Zettel
B19: Der beste Gastronom
B20: Radius Lehr
B21: Der beste Mann der Gegend
B22: Ich hab doch noch mitgemacht
B23: Radius und seine neuen Möglichkeiten
B24: Warum man nicht mal so ‚nen Propeller wählen soll
B25: Will Ali etwa auch noch Vorstadtbürgermeister werden?
B26: Die Wahlplakate! Hier überall!
B27: Das beste Mädchen der Vorstadtschule
B28: Der beste Händler unserer Vorstadt
B29: Einfach nur die Ruhe bewahren
B30: Gleich sechs Frauen der Vorstadt
B31: Die Wahl zum besten Direktor
B32: Elefant des Universums
B33: Die beste Sekretärin aller Zeiten
B34: Der beste Junge der Vorstadt
B35: Die Sekretärin aus dem Lembelhaus
B36: Mio Vongs pinkfarbene Ente
B37: Gastronom des Jahres
B38: Die Prostituierte der Vorstadt
B39: Obdachloser des Monats
B40: Die beste Haushälterin
B41: Der Chauffeur des Jahres
B42: Der beste Mann des Landes
B43: Fixstern der Fixsterne
Diesmal dabei gewesen (B- Geschichte: „Der beste Mann der Gegend“)
A-Geschichte: Rosalita und der Leierkasten
B-Geschichte: Der beste Mann der Gegend
Rosalita Leierkastenspielerin
Mark- Uwe Polizeiobermeister
Fessel vorbestrafter Unternehmer
Tixie Achterbahn- Betreiberin
Ewelin Rosalitas Freundin
Knöll Notar
Bia Bettlerin
Stell Stell Dich Dich Standwaage
Bruno pensionierter Lokführer
Violetta Fessels Verlobte
Beutel Fessels Geschäftspartner
Francesco Verdi Eisverkäufer
Rosalita hatte sich den Hinterkopf angeschlagen. Wach geworden war sie durch die Regengeräusche von draußen. Nicht sonderlich Schlimmes, nichts, und schließlich war Rosalita sowas ja auch gewohnt- ja, eigentlich, ja, ja, doch, irgendwie zumindest.
Und so lange keine Beulen oder und blaugrüne Flecken entstanden- Rosalita tastete die Stelle unterm Haar ab, die eben gerade bis an die Wohnwagenwand gerumst hatte. Und um ganz ehrlich zu sein: die Pritsche, auf der Rosalita lag, bereiteten mehr Unannehmlichkeiten. Vor allem zu kurz geraten, etliche Zentimeter, die fehlten, obwohl Rosalita die komplette Länge des Wohnwagens ausmachte, frei nach dem Motto: „wirklich immer alles oho“?
Denn in aller Kürze waren es vor allem Kniekehlen und Hals, die aufgrund des gekrümmten Liegens immer wieder Schmerzen bereiteten, und natürlich auch die Füße- kein Wunder, so oft wie die mit der Wohnwagenwand auf der anderen Seite in Berührung gerieten. Hierbei kümmerte sich das metallene Gefährt, welches bei allem Ausrangiert worden sein mehrfach älter war wie die junge Frau, die er beherbergte, ja, beherbergte, mehr oder minder, zusätzlich um eisige Gefühle an Zehen und Fersen. Doch, doch, freilich, da halfen auch pudeldickste Wollstrümpfe nicht immer etwas. Und last but not least die nasskalte Witterung, die den nicht hundertprozentig dichten Wagen in aller Regel erfasste.
Auf einer Holzkiste neben der Pritsche, welche im Übrigen tagsüber als Sitzgelegenheit diente, griff Rosalita nach dem kleinen Reisewecker. Der Tisch im Übrigen zusammengeklappt, und an die schmale Tür des Wohnwagens gestellt, frei nach dem Motto: „was Platz doch ausmachen kann“. Na, sagen wir zumindest zuweilen.
Der Wecker, es war noch nicht ganz vier. Eigentlich hatte sie ja auch ganz gut geschlafen. Bis zu jenem Zeitpunkt jetzt, als das mit dem Hinterkopf rumsen. Beziehungsweise gut geträumt, doch von was, dies sie nicht mehr wusste. Ah, nicht, dass das mit dem Träume sind Schäume grüßen ließ- oder etwa vielleicht doch?
An der trostlosen Wohnwagenwand zu ihren Füßen rankte auch das einzige Fensterchen des Vehikels; spärliches Licht von einer Laterne am Hauptweg zwischen den Schrebergärten mitten in der Nacht.
Sie wollte sich auch wieder zurücklegen, einfach nur weiterschlafen. Denn wenn Rosalita wirklich nicht mehr wusste, von was sie geträumt, so hätte es doch was Wunderschönes gewesen sein müssen- zumindest schien es ihr so.
So vergrub sie ihr Gesicht ins Kissen, doch ein Wiedereinschlafen ihr zunächst nicht gelingen wollte. Wie denn auch bei dem unaufhörlichen Rinnen und Glucksen, bis sie schließlich bemerkte, dass dies ja gar nicht von draußen kam.
Unter dem Fenster neben der Pritsche eine zweite Kiste, welcher Rosalita eigentlich noch nie sonderlich Beachtung geschenkt hatte. Solange, wie ihr der Wohnwagen zur Verfügung gestellt wurde. Und dies seit vielen Jahren, und so jung, wie sie eigentlich auch jetzt noch immer war.
Immerhin war die kleine Kiste zum Sitzen zu niedrig, zudem sie ja hierfür die erstere hatte. Wenn es zudem nach dem alten Bruno, den der klapprige Wohnwagen gehörte, ginge, hätte sie die Holzkiste längst schon einfach rauspfeffern können- allein dem spärlichen Wohnwagenplatz zuliebe.
Nee, hätte am Ende wirklich nichts dagegen gehabt. Warum sie es in all den Jahren am Ende dann doch nie gemacht hatte? Im Anbetracht des Zusammengepfercht seins? Gut, es war natürlich nicht so einfach, allein mit der Entsorgung. Müllabfuhr kam hier am Stadtrand bestenfalls, wenn überhaupt, alle Jubelmonate vorbei.
Und so viel Zeit Rosalita nun auch wieder nicht hatte. Doch nun war guter Rat teuer, denn hätte sie die Kiste doch irgendwann mal wegeschafft, würde es jetzt nicht so nervig tropfen.
Über die Kiste schien die altersschwache Wohnwagendecke des altersschwachen Wohnwagens besonders altersschwach; es tröpfelte durch- schlicht und ergreifend.
Sie suchte nach etwas zum Abdecken, um so vielleicht die Tropfgeräusche zumindest etwas abdämpfen zu können. Das war gar nicht so leicht bei dem spärlichen Lichteinfall in ihrer nächtlichen Wohnwagenumgebung. Da war ihr so, als ob irgendwas glitzerte an der Kiste.
Ja, so etwas wie ein kleiner, goldfarbener Riegel. Nicht, dass sich die Kiste am Ende gar als so etwas wie eine Truhe entpuppte- oder vielleicht etwa doch?
Rosalita staunte nicht schlecht, als sie den Deckel hochgeklappt hatte- im wahrsten aller Sinne. Denn die alte, klapprige, unscheinbare Holzkiste, die bestenfalls irgendwann doch noch zu entsorgen gewesen wäre, entpuppte sich nun nicht mehr als alte, klapprige, unscheinbare Holzkiste, die nur zu entsorgen gewesen wäre- nein, keinesfalls, sondern, ach, ganz im Gegenteil.
Doch noch bevor sie aus dem Staunen herauskommen sollte, galt Rositas ersten Gedankengänge beim Anblick des Plattenspielers, denn was anderes war das in der Holzkiste nicht, dem alten Bruno: wie so etwas dem ehemaligen Lokfahrer hätte unterlaufen können? Schlichtweg?
Oder einfach nur vergessen? Über all die Jahre? Jahrzehnte gar? Denn ohne Frage es sich bei dem Gerät um eine Kostbarkeit handelte, um so etwas wie ein wertvolles Antiquariat. Doch so wenig Einblicke das spärliche Schrebergartenlicht von draußen auf den Plattenspieler zuließen, so war sie sich doch ziemlich sicher, dass sie auf etwas Besonderes gestoßen war. Und schließlich war ja auch sie Besitzerin von etwas Kostbarem, von einem uralten Musikinstrument genauer gesagt.
Auf jeden Fall war ihre nächtliche Entdeckung nicht irgendetwas, was man einfach mal so in einem heruntergekommenen Wohnwagen brachliegen ließ: „Oh!“
Ja, oh, denn offenbar schien Rosalita wirklich kaum mehr aus dem Staunen herauszukommen, denn zu allem lag auf den Plattenteller eine Scheibe auf. Oh, alter Lokfahrer Bruno, so vergesslich kann man am Ende doch nun wirklich nicht gewesen sein- oder vielleicht etwa doch?
Behutsam, ja beinahe schon zärtlich, berührte Rosalita den Kopf des Tonarms: „Oh!“
Ja, oh, denn kaum, da sie den Arm leicht angehoben hatte, klickte der Plattenspieler, und der Teller begann sich zu drehen- einschließlich der Scheibe: „Funktioniert ja sogar noch alles.“
Zärtlich und behutsam führte sie den Tonarm auf die Platte. Und nach ein paar Knistertöne erklang eine ihr nicht unbekannte Musik: „Oh, Gott, wie lange das zurückliegt!“
Und schon setzte der Gesang an: es war die „Elisabeth- Serenade“ vom Günter- Kallmann- Chor: „Allein wie oft solche Sachen früher im Radio gelaufen sind.“
Sofort kamen ihr Erinnerungen an die Zeit, als sie noch zu Hause lebte, bei ihren Eltern: „Gänsehaut. Ach, und was für ein Text.“
Ja, was war das wirklich für eine schöne Zeit, als Rosalita noch daheim war, im wohlbehüteten Nest von Vater, von Mutter. Und, ach, wie lange all dies nun wirklich schon zurückgelegen hatte.
Gut, kleinbürgerlich ihre Eltern waren, ja, in der Tat, gut kleinbürgerlich- er Schlosser in einem klassisch mittelständischen Betrieb, sie die klassische Hausfrau. Nebenbei noch zwei kleinere Schwestern. Ja, wohlbehütet, anders man dies nicht behaupten hätte können, und es fehlte ihnen auch an nichts.
Und standen ihr nicht auch alle Möglichkeiten offen? Damals? So war Rosalita keine übermäßig gute Schülerin, allerdings auch keine übermäßig schlechte. Doch war ihr Weg nicht ohnehin bereits bereitet? Damals? Eine solide Ausbildung nämlich? Im Kaufmännischen gar? In jener Hinsicht hatte der Vater nämlich längst schon seine Fühler ausgestreckt- bei ihm im Betrieb verstand sich. Im Personalbüro genauer gesagt, und durchaus mit Erfolg, Die Ausbildungsverträge, ja, die Ausbildungsverträge, sie hätten nur noch unterschrieben werden müssen. Damals, und Tapsen hätten die schließlich doch sowieso immer gebraucht- oder etwa nicht?
Es war ja auch nicht so, dass Rosalita nicht unbedingt wollte, bei Papi in die Firma einsteigen. Auf der anderen Seite auch nicht so, dass sie unbedingt gewollt hätte. Kürzer gesagt, sie wusste es noch nicht. Ein Wunder? War sie doch gerade erst 18 geworden, ihr Lebensweg sozusagen im Startbildschirmmodus- ja, sozusagen.
Am Samstag vor der Vertragsunterzeichnung klopfte es im Übrigen an Rosalitas Zimmertür, wo sie sich nach dem familiären Wochenend- Eintopf zurückgezogen hatte. Sie lag auf ihrer Pritsche, auf dem Rücken, einen Arm unter dem Hals, döste mit offenen Augen vor sich hin, und lauschte den Klängen ihres Plattenspielers. Gegeben wurde gerade der Titelsongs des Abba- Albums „Arrival“, als Mutter mit dem Kopf voraus durch die Tür erschien: „Besuch für dich.“
Es war Evelin, die eintrat- Rosalitas beste Freundin, seit Sandkasten- und Kindergartentagen schon.
„Nanu“, wunderte sich Rosalita, „was ist denn mit dir jetzt schon wieder los!“
Rosalita bevorzugte vor allem lockere, legere Kleidung: dass hieß Jeans sowie schicke Pullis oder Blusen. Dazu eine einfache Windjacke, wenn es dem Wetter danach war.
Leger und locker, etwas, was man von Ewelin nicht immer hätte behaupten können. Und an jenem Samstagnachmittag schon gar nicht: so stand sie inmitten von Rosalitas Zimmer mit einem Outfit, so dass man auch hätte meinen können, sie wäre nachts unter einer Laterne vergessen worden: ein enges Top unter einer offenen Lederjacke, dass so eng war, dass die Nippel offen ins Auge sprangen- gleich ob man dies gewollt hätte oder eben auch nicht. Ähnliches galt für den schwarzen Minirock, der vor lauter Kürze nur so trotzte; nicht zu vergessen schwarze High- Heel- Stiefel bis knapp unter die Knie; von ihrer Netztstrumpfhose ganz zu schweigen. Hinzu ihre blonden Strähnen, die in allen möglichen und unmöglichen Richtungen rankten. Und last but not least der Mund knallrot- ihrem kirschroten Lippenstift sei Dank.
Es knallte kurz: dies war Ewelins Kaugummi, natürlich knallroter Kirschgeschmack; die Platte im Übrigen zu Ende war. Ewelin indes etwas von der Eröffnung eines neuen Tanzclubs mitten in der Stadt faselte: „Ab 20 Uhr! Das wird der angesagteste Club in unserem Nest sage ich dir!“
Daraufhin Rosalita seufzte, die noch immer auf dem Rücken lag: „Okay, warum eigentlich nicht?“
Und nachdem sich Rosalita aufgerichtet hatte: „Und was ziehst du dir an?“
Rosalita nur mit dem Kopf schüttelte: „Wie jetzt?“
Ewelin: „Etwas Flotteres! Dem neuen Club zuliebe!“
Rosalita: „Nix da! Im Traum ich nicht daran denke!“
Ewelin: „Meinst du jetzt aber nicht im Ernst. Nee. Nicht wirklich- oder?“
Doch am Ende kam es dann doch so, dass die beiden 18jahrigen mit den unterm Strich betrachtet doch recht unterschiedlichen Kleidungsstilen ausgingen, eingehakt, Arm in Arm.
Rosalitas Mutter: „Aber nicht zu spät! Du musst ausgeschlafen sein, wenn du den Vertrag am Montag unterschreibst.“
Rosalita: „Aber wir haben doch heute erst Samstag.“
Ewelin: „Eben.“
Rosalitas Mutter: „Wie Vater sonst dastehen würde!“
Da es allerdings noch früh am Nachmittag war, statteten die beiden Girls einer im Ort gerade stattgefundenen Kirmes eine Stippvisite ab.
Der Platz war gut reflektiert, und es gab schon ein hübsches Gedränge. Ein Wunder? Wohl kaum, immerhin war Wochenende, zudem das Wetter mild und leicht warm. Ewelin zog es zunächst bis an den Stehtisch einer Imbissbude.
Während Rosalita dort mit einem Pommes- Schnippel in der Mayo auf ihrem Pappschälchen herumdippte, verschlang Ewelin ein komplettes Brötchen mit einer noch kompletteren Currywurst. Dazu verfügte sie über ein scheinbar übergroßen Becher Bier: „Was ist mit dir? Keinen Kohldampf!“
Rosalita: „Bei uns gab es heute Eintopf. Bohneneintopf mit Würstchen.“
Ewelin: „Also, ich könnte gleich noch eine in mir reinstopfen.“
Rosalita: „Also, ich weiß nicht.“
Ewelin: „Aber ich weiß es. Und hinterher nix wie auf die Achterbahn!“
Rosalita zuckelte mit den Achseln. Vor dem Kassenhäuschen an der Achterbahn hatte sich eine schier endlose Schlange gebildet.
Rosalita: „Also, bis wir endlich drankommen.“
Ewelin: „Und wenn ich den ganzen Tag warten muss.“
Rosalita: „Ich weiß nicht.“
Ewelin: „Also, ich muss da unbedingt rauf! Koste, was es wolle!“
Rosalita mit den Achseln zuckelte, als Musik erklang. Bis zu ihren Ohren. Nicht die aus den Lautsprecherboxen, die von überall dröhnte, oder aus den Bierzelten, nein, ganz besondere Musik: es war die eines Leierkastens.
Gegenüber von ihnen war ein sehr, sehr alter Mann, welcher an haargenau solch einem Gerät kurbelte.
Ewelin: „Hey, was soll das denn jetzt?“
Doch Rosalita sich schon losgeeist hatte: „Auf, komm mal mit!“
Ewelin: „Nix da. Wenn wir jetzt aus der Reihe tanzen, kommen wir ja nie dran. Oder glaubst du etwa vielleicht, ich habe Lust, mich nochmal anzustellen?“
Zuckelte etwa Ewelin diesmal mit den Achseln? Frei nach dem Motto: „nix zu machen“?
Ewelin: „Was du bloß bei dem alten Zausel willst!“
In der Tat wirkte der Alte gebrechlich. So zitterte die Mütze in der knorrigen Hand bedenklich, als er sie von sich zog, und sich leicht verneigte: „Meine jungen Damen! Habe die Ehre!“
Ewelin: „Nun ist‘ s aber genug? Marsch jetzt! Auf die Achterbahn!“
Rosalita indes ihr Portemonnaie gezückt hatte, wo sie nach Münzen Ausschau hielt. Festzustellen hatte sie, dass sie gerade nur Scheine zur Verfügung hatte: „Oder können Sie rausgeben?“
Alter Leierkastenspieler: „So viel Geld auf einmal?“
Ewelin: „Nicht einen Pfifferling!“
Alter Leierkastenspieler; „Ich befürchte, für so viel Geld müsste ich mein halbes Repertoire rauf und runterspielen.“
Rosalita: „Hm. Ich meine, warum denn eigentlich nicht?“
Woraufhin der Alte wieder mit seinem Spiel ansetzte.
Ewelin: „Komm doch jetzt!“
Rosalita: „Hey, so lange dauert‘ s doch nun auch wieder nicht.“
Ewelin: „Ja, ja, nur das ganze Repertoire.“
Rosalita: „Das halbe hat er doch gesagt.“
Alter Leierkastenspieler: „Ganz wie Sie wollen!“
Ewelin: „Da hörst du es doch.“
Alter Leierkastenspieler: „Ich möchte Sie, meine Damen, natürlich nicht über Gebühr beanspruchen.“
Rosalita: „Tun Sie doch auch nicht.“
Ewelin: „Tun Sie sehr wohl.“
Alter Leierkastenspieler: „Doch wenn ich Sie ausnahmsweise um einen Gefallen bitten dürfte“.
Ewelin: „Oh, Gott! Das auch noch!“
Alter Leierkastenspieler: „Natürlich nur um einen kleinen Gefallen!“
Nicht, dass Rosalita am Ende gar angetan war von seinem Spiel- oder vielleicht etwa doch? Von der Leiermusik aus dem Leierkasten? Gegeben hatte er im Übrigen die Melodie eines alten Volksliedes, nämlich die „Amboss- Polka“.
Alter Leierkastenspieler: „Wissen Sie, es ist nämlich so, dass ich auch heute schon wieder seit etlichen Stunden hier verharre.“
Ewelin: „Ach, Gott, Sie Ärmster!“
Alter Leierkastenspieler: „Es ist mir ja auch durchaus peinlich. Im Anbetracht solch hübscher, junger Damen.“
Ewelin: „Oh, Gott!“
Alter Leierkastenspieler: „Wie gesagt, peinlich. Aber wissen Sie, selbst einer wie ich müsste mal austreten.“
Rosalita: „Ach, so!“
Ewelin: „Dann tun Sie‘ s doch einfach!“
Alter Leierkastenspieler: „Darum rankt sich ja auch meine Bitte. Um einen Gefallen!“
Ewelin: „Stehen ja Toilettenwagen zur Genüge herum.“
Alter Leierkastenspieler: „Dass Sie solange etwas Obacht geben würden.“
Ewelin: „Was!“
Rosalita: „Schon gut. Gehen Sie ruhig.“
Ewelin: „Oh, Gott!“
Alter Leierkastenspieler: „Ist ja auch nur für wenige Minuten.“
Ewelin: „Das darf doch jetzt wohl nicht wahr sein!“
Alter Leierkastenspieler: „Ich danke Ihnen!“
Ewelin: „Als ob uns dies gerade noch gefehlt hätte.“
Ewelin: „Wo bleibt er denn jetzt?“
Rosalita: „Nur für ein paar Minuten. Hat er doch gesagt.“
Ewelin: „Ganz schön lang so ein paar Minuten. Fast schon ‚ne halbe Stunde. Außerdem.
Ja, außerdem?
Ewelin: „Außerdem will ich endlich.“
Rosalita: „Auf die Achterbahn. Ja, ja, ich weiß.“
Die Beiden schauten sich um. Die Schlangen vor den Toilettenwagen erschienen beinahe noch länger als die vor der Achterbahn. In einen der nächsten Momente Rosalita jedoch zusammengezuckt war. Jemand hatte zwei, drei Münzen in das Schälchen auf den Leierkasten geklimpert: „Na, nun spiel aber auch mal!“
Vor ihnen hatten sich zwei junge Männer aufgetan. Beinahe schon wie aus heiterem Himmel.
Der eine groß und schlank, der andere eher etwas pummelig und gedrungen.
Der große Schlanke: „Na, wird‘ s bald?“
Rosalita: „Ich.“
Rosalita hielt Ausschau. In Richtung der Toilettenwagen.“
Der große Schlanke: „Oder wollt ihr hier Wurzeln schlagen?“
Rosalita: „Aber ich kann doch nicht!“
Der kleine Pummelige: „Lass doch!“
Der große Schlanke: „Nix da. Ich will endlich was hören für mein Geld.“
Der kleine Pummelige: „Wieso nicht lieber was anderes! Ich meine, von den Miezen!“
Ewelin: „Ich gib dir gleich Mieze!“
Der kleine Pummelige: „Gib mal ‚n Küsschen.“
Ewelin: „Arschloch!“
Auf einmal erklang ein schriller Ton aus dem Leierkasten.
Der große Schlanke: „Na, also, geht doch!“
Schweren Herzens hatte Rosalita nach der Kurbel gegriffen. Fürs erste hatte sie kräftig zu ziehen und es tat ihr im Ellbogen weh.
Ewelin: „Oh, Gott. Lass es doch ganz einfach!“
Rosalita mit der Achsel zuckte.
Ewelin: „Kannst es doch gar nicht!“
Ein Hinweis, der haargenau ein paar Momente zu spät kam? Denn Rosalita schon am Weiterdrehen war? Und nach ein paar weiteren schrillen Tönen schien sich die Geschwindigkeit der Musik anzupassen.
Der grosse Schlanke: „Na, also, geht doch. Und dann auch noch gleich die „Amboss- Polka!“
Der kleine Pummelige: „Kenn sogar ich“.
Ewelin: „Halt doch endlich die Klappe, du Arschloch!“
Der große Pummelige: „Na, wer sagt‘ s denn?“
Rosalita indes erneut zusammengezuckelt war: eine ältere Dame hatte dem Schälchen eine weitere Münze zugefügt: „Ach, meine Kleine. So etwas Rührseliges habe ich ja schon lange nicht mehr gehört.“
Ewelin: „Auf, komm jetzt!“
Doch die Amboss- Polka zu Ende war. Zu Rosalitas Erstaunen haben sich beinahe ein Dutzend um den Leierkasten versammelt: Männer, Frauen, Kinder, Alte, Junge.
Rosalita: „Äh, ich glaube ja nicht, dass wir jetzt so ohne Weiteres aufhören können. Außerdem.“
Ja, außerdem?
Rosalita: „Außerdem stehen wir im Wort.“
Ewelin: „So ein Stuss!“
Die ältere Dame: „Na, nun spielen Sie doch weiter, mein Kleines. Einfach so schön.“
Rosalita: „Bis er wiederkommt.“
Rosalita fest entschlossen nach der Kurbel griff.
Die ältere Dame: „Oh, ein Jäger aus Kurpfalz.“
Der grosse Schlanke: „Das kenn sogar ich.“
Die ältere Dame: „Wie lange ich dies nicht gehört habe.“
Der kleine Pummelige: „Na, wer sagt‘ s denn?“
Die ältere Dame: „Einfach nur rührselig!‘
In der Menschentraube, die sich inzwischen um den Leierkasten gebildet hatte, war etwas Unruhe eingekehrt. Ein kleiner Junge mit einer Mütze rieb sich die Nase: „Mensch, spielst ja immer das Gleiche.“
Was nicht ganz unrichtig war. In der Tat waren es vielleicht sechs bis acht Titel. Und wenn sie einmal durch waren, ging es einfach wieder von vorne los.
Die ältere Dame: „Einfach so schön.“
Allessamt alte Volkslieder, heutzutage würde man sie vielleicht auch mit Traditional benennen. Aus der Menge heraus waren ein junger Polizist hervorgetreten sowie eine wirklich altmodisch gekleidete Lady mit einem altmodischen Hut und einem noch altmodischeren, ewig langen Kleid, welches früher bestenfalls zu Kaiserzeiten getragen wurde.
Ewelin: „Das auch noch! Ein Bulle!“
Rosalite hatte aufgehört zu drehen.
Die altgekleidete Lady: „Nicht doch. Kannst ruhig weiterspielen!“
Ewelin: „Scheiße!“
Der Polizist: „Können ja gleich weitermachen.“
Die ältere Dame: „Kleines.“
Der Polizist: „Nur ganz kurz!“
Die ältere Dame: „Schade!“
Der Polizist: „Es ist nur so, dass der alte Mann, der sonst das Gerät bedient, mich zu Ihnen geschickt hat. Mit einer Bitte!“
Rosalita: „Nanu?“
Ewelin: „Scheiße!“
Der Polizist: „Ein weiteres Anliegen sozusagen.“
Inzwischen, so der Polizist weiter, hätte der nämlich das Bewusstsein wiedererlangt. Nachdem er vor den Stufen des Toilettenwagens zusammengebrochen wäre. Ein Schwächeanfall.
Die altgekleidete Lady: „Unbelehrbar! Unverbesserlich! Musste ja irgendwann mal so weit kommen! Und wie oft wir auf den alten Hovat eingeredet haben. Dass er es endlich einfach mal sein lassen soll!“
Der Polizist: „Inzwischen auf dem Weg ins Krankenhaus.“
Rosalita: „Oh.“
Der Polizist: „Nun aber zu dem Anliegen.“
Ewelin: „Komm, verduften wir lieber!“
Der Polizist: „Mit dem er mich zu Ihnen geschickt hat. Er möchte nämlich, dass Sie Ihn weiterhin vertreten.“
Ewelin: „Aber das geht doch gar nicht!“
Der Polizist: „Er hat Sie nämlich spielen gehört.“
Ewelin: „Wir wollten heute Abend doch in den neuen Club!“
Rosalita: „Ich weiß nicht!“
Die altgekleidete Lady: „Ich stehe Ihnen auch beiseite!“
Ewelin: „Das auch noch!“
Rosalita zuckelte mit den Achseln.
Ewelin: „Nein, Rosalita. Tu‘ s nicht!“
Die ältere Dame: „Einfach nur wunderschön!“
Denn hatte Rosalita nun nicht wieder angefangen, die Kurbel zu betätigen?“
Die altgekleidete Lady: „Na also. Geht doch!“
Der kleine Junge: „Auch wenn es immer das Gleiche ist.“
Die ältere Dame: „Rührselig!“
Die altgekleidete Lady: „Okay! Ich bin dann gegenüber! Falls was sein sollte!“
Ewelin: „Auf der Achterbahn? Sie?“
Die altgekleidete Lady: „Die Betreiberin ich bin!“
Ewelin: „Was!“
Die altgekleidete Lady: „Nix für ungut!“
Ewelin: „Wie? Das gibt es doch gar nicht!‘
Die altgekleidete Lady: „Ach, Sie. Lassen Sie‘ s doch einfach!“
Der Polizist: „Okay. Dann scheint ja alles geklärt. Wie ich ersehe.“
Ewelin: „Von mir aus könnt ihr alle machen, was ihr wollt.“
Rosalita: „Oh, Ewelin! Was das jetzt schon wieder heißen soll?“
Ewelin: „Dass ich einfach nur noch die Schnauze voll habe! Und jetzt endlich in den neuen Club will!“
Rosalita zuckelte mit den Achseln: „Du siehst doch, dass ich hier im Augenblick nicht wegkomme.“
Der große Schlanke: „Dann komm ich halt mit!“
Der kleine Pummelige: „Halt, wartet!“
Ewelin: „Arschlöcher!“
lo
Es war längst schon dunkel geworden, als Rosalita noch immer am Leierkasten kurbelte. Inzwischen der Kirmesplatz sich gelichtet hatte, ein paar Torkelnde aus den Bierzelten vielleicht noch.
Auch vor ihrem Leierkasten waren die Letzten allmählich abgezogen, so dass sie endlich mal die Kurbel loslassen konnte. Die Schulter und der Ellenbogen hierbei doch ganz schön schmerzten. Dennoch konnte gesagt werden, dass es Rosalita nicht allzu viel ausmachte- durchaus, durchaus. Oder dass sie darunter litt- nein, mitnichten, ganz im Gegenteil!
Etliche Male hingegen hatte sie das Schälchen leeren müssen. Im oberen Bereich des Leierkastens eine Schublade eingebaut, wo die Münzen und Scheine einfach hineingeschüttet werden konnten.
Endlich, gegen elf vielleicht, erschien die Dame von der Achterbahn.
Rosalita: „Ich!“
Die altgekleidete Lady: „Nix ich. Feierabend jetzt! Es reicht ja auch für heute!“
Rosalita: „Oh ja! Und Sie glauben ja gar nicht, wie erschöpft ich bin!“
Die altgekleidete Lady: „Und wie ich das glaube. Aber hat doch auch Spaß gemacht! Oder etwa nicht?
Rosalita: „Doch, schon. Irgendwie!“
Die altgekleidete Lady: „Doch, doch, ganz bestimmt. Und das „Sie“ stampfen wir am Besten auch gleich ein. So etwas gibt es bei uns Schaustellern normalerweise auch nicht!“
Rosalita: „Ich!“
Die altgekleidete Lady: „Nix ich. Ich bin die Tixie! Einfach nur Tixie!“
Rosalita: „Tix?‘
Tixie: „Schon gut. Schließlich nennen mich hier alle so.“