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Detlef Schumacher

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Beschreibung

Ein Lehrer auf dem Weg, seinen Bruder zu finden, der sich aus der Zivilisation in ein Waldgebiet zurückgezogen hat. Die Suche nach ihm ist von manchen Fährnissen begleitet. Schließlich gelingt das Unterfangen und endet in einem glücklichen Wiedersehen.

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Detlef Schumacher

Das grüne Hotel

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Putowkin

Nur zu gern folgte ich der persönlichen Einladung Semjon Putowkins, der seit einiger Zeit für Schlagzeilen in der Weltpresse sorgte. Die Gazettenurteile waren allerdings recht unterschiedlich. Während die einen die Bestrebungen des Russen bejubelten, schlugen die anderen verächtlich auf sie drein. Dabei wäre es besser gewesen, sie zu bejubeln, denn Semjon Putowkin hatte eine Bewegung ins Leben gerufen, die im Zeitalter wachsender Müllberge und verstopfter Autobahnen den Blick auf das richtete, was der zivilisierten Menschheit wirklich nützlich sein könnte.

Noch vor einem Jahr zählte die Gruppe ‚Pur Natur’ nur wenige Mitglieder. Mit ihm als Vorsitzenden zehn Personen: fünf Männer und fünf Frauen. Inzwischen war dieses Grüppchen auf mehr als tausend angewachsen. Zu ihnen gehörten allerdings nicht die ‚Greenpeace’ – Aktivisten, die ihre Aufgabe nur darin sahen, Natursünder tätlich anzugreifen.

Putowkin entschied sich für den friedlichen Weg. Er wollte der Natur das geben, was sie längst verdiente. Seine Absicht war es, die Menschen so in den Schoß der Natur zurückzuführen, wie diese sie aus ihm vor langer Zeit entlassen hatte. In einem wissenschaftlich fundierten Vortrag wies Putowkin darauf hin, dass die Urmenschen gesünder und stressfreier gelebt hätten, weil sie beispielsweise keine elektrischen Zahnbürsten oder Toilettenbecken mit integrierter Stereoanlage gekannt hätten.

Man stelle sich vor – so führte er weiter aus -, unsere Vorfahren hätten bereits Autos besessen oder hätten ihre Einkäufe in Supermärkten getätigt. Was hätte das für fatale Folgen für die weitere Entwicklung der Menschheit und den Fortbestand ihrer natürlichen Umwelt gehabt?

Riesige Urwälder wären dem Kahlschlag zum Opfer gefallen und hätten somit nicht den Grundstoff für Erdöl oder Erdgas bilden können.

Ein zwölfjähriger Schnösel, der mit seinem Vater Gasthörer dieser Putowkin-Vorlesung war, rief ungezogen dazwischen, dass Urwälder zu Erdöl oder Erdgas wurden, als es noch keine

Menschen gab.

Der Vater gab dem vorlauten Knaben einen Klaps auf den Mund, woraufhin der trotzig rief: „Und sie wurden doch Gas ohne Menschen!“

Semjon Putowkin hatte seit seiner Kindheit ein feines Gespür für das Natürliche. Geboren in einer schmutzigen Hütte in einem schmutzigen Dorf weitab von Moskau – die Oktoberrevolution hatte längst gesiegt - lag Semjonitschka, wie ihn die Mutter zärtlich nannte, in schmutzigen Windeln auf schmutziger Ofenbank. Später wird er behaupten, dass seine stabile Gesundheit darauf zurückzuführen sei, denn Dreck reinige die inneren Organe. Der Sohn des Kolchosvorsitzenden Popow gurgelte Milch gegen Erkältungsbeschwerden; er – Putowkin - hätte mit eigenem Urin die Halsbeschwerden verdrängt. Der junge Popow sei eines Tages erstickt, weil ihm ein Milchzahn in die Luftröhre gerutscht war.

Semjon Putowkin besaß die Fähigkeit, seine interessanten Darlegungen mit treffenden Beispielen und Vergleichen zu bereichern. Seine Biographie, die nun auch in Buchform vorliegt, ist beredtes Beispiel dafür. So ist über seinen weiteren Lebensweg zu lesen, dass ihm, sobald er den Windeln entwachsen war und sich auf eigenen Füßen fortbewegen konnte, die Aufgabe zuteilwurde, die Kühe und Schweine des kleinen Dorfkolchos zu beaufsichtigen. Bei dieser Tätigkeit wäre er mit der Natur in unmittelbare Berührung gekommen. Nicht nur, weil er bei den Tieren schlief, sondern weil er sich mit ihnen auch unterhielt. Bald habe ihn jedes Schwein verstanden. Das wäre ein erzieherischer Erfolg gewesen, weil Schweine naturgemäß saublöd sind. So werde nicht ganz grundlos gesagt: „Du dummes Schwein!“

Sein enges Zusammenleben mit den Stalltieren habe ihn auch erkennen lassen, dass Kühe zwar intelligenter als Schweine sind, weil sie nicht quieken, die Borstentiere aber bis zu einem gewissen Grade bildungsfähig seien. So sei es ihm gelungen, den Kolchosschweinen ordentliche Fressmanieren beizubringen. In die Futtertröge hatte er Frösche gesetzt, die den Schweinen an den Kopf hüpften, wenn diese ihren Rüssel schmatzend in die Fressbrühe tauchten. Die Schweineschädel seien dann jedes Mal erschrocken zurückgezuckt. Weil die Fressgier aber stärker als Angst ist, tauchten die Schweine ihre Schnauzen wieder in die Tröge. Diesmal aber behutsamer, was zur Folge hatte, dass es am Fressplatz sauberer aussah. Für diese Neuerung in der Tierpflege habe er, der sechsjährige Knabe Putowkin, eine Auszeichnung erhalten, die auch in der Prawda gewürdigt worden war.

Für ihn sei das Ansporn zu weiteren vorbildlichen Leistungen gewesen, immer im Zusammenhang mit der Natur gesehen.

Als Schüler habe er den Unterricht oftmals versäumt, weil er es wichtiger hielt, im nahen Wäldchen oder auf den noch näheren Wiesen Grashüpfer beim Weitsprung oder Eichhörnchen bei der Paarung zu beobachten. Dabei sei er eines Tages von einer hohen Eiche gefallen und mit schlimmen Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht worden.

Wegen der starken Kopfverletzungen hätten die Ärzte bei ihm einen Dachschaden vermutet, doch schon nach wenigen Wochen sei er völlig genesen entlassen worden. Einzig und allein ein nervöses Zucken seiner linken Gesichtshälfte sei zurückgeblieben. Das trete aber nur beim Anblick von Eichhörnchen oder Eichen auf.

In die Dorfschule zurückgekehrt, sei er von der Lehrerin und den Mitschülern begeistert begrüßt worden. Die alte Pädagogin verzieh ihm die Unterrichtsbummelei, denn er versprach ihr, einen packenden Aufsatz über seine Erlebnisse in der Natur zu schreiben.

Diese Niederschrift übertraf alle in dieser Schule bisher geschriebenen Aufsätze, allerdings nicht in der Rechtschreibung. In korrigierter Form wäre sie dann in der Gebietszeitung Rote Post zu lesen gewesen.

Seinem Bekanntheitsgrad habe das weiteren Aufschwung verliehen und ihm nach Beendigung der Schulzeit viele Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung geboten. Er sei aber der Liebe zur Natur treu geblieben und Forstwart geworden. Ein Jahr später auch Vater, weil er bei einer Pirsch auf die 16jährige Natascha gestoßen war, die splitternackt auf einer Waldwiese lag und sich sonnte.

Die zahlreichen Leser der Putowkin-Biographie bedauerten, dass er sich über den Vorgang auf der Waldwiese nicht genauer ausgelassen habe. Die Pur Natur – Mitglieder äußerten konkret, dass sie Hinweise darauf vermissen, wie Semjon in diesem beglückenden Moment am Busen der Natur und Nataschas auch das kleinste Wesen im Blick behielt, zum Beispiel ein Würmchen, eine nimmermüde Waldameise oder einen flinken Krabbelkäfer.

Semjon Putowkin erklärte, dass auf der Waldwiese natürlich gekrabbelt wurde, doch nicht nur von Krabbelkäfern. Zurückblickend auf sein vieljähriges Berufsleben schrieb der nun pensionierte Biograph, dass es für ihn wie auf einer steilen Leiter nach oben ging, bis hin zum Minister im Ministerium zur Bekämpfung des Borkenkäfers in den Waldgebieten Westsibiriens.

Die letzten Seiten seiner Biographie widmete er dem Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Sowjetunion. So ist von Gorbatschow, Glasnost und Perestroika zu lesen, vor allem aber auch davon, dass die Rückkehr zu urrussischen Verhältnissen auch die Rückkehr zu freier natürlicher Lebensweise war. Endlich war es erlaubt, bei der Pilzsuche staatsfeindliche Lieder zu singen und eine Stinkmorchel lauthals mit Präsident Boris Jelzin zu vergleichen.

Die Gegner der Pur Natur – Bewegung warfen Semjon Putowkin vor, seine politische Tätigkeit unter der Sowjetmacht verschwiegen zu haben. Er sei ein Wendehals und werde sich diesen über kurz oder lang brechen.

Hierzu hatte Semjon nur ein Lächeln übrig und betonte in einem Interview, dass er allen Zweiflern beweisen werde, dass er sich nicht den Hals brechen werde. Um diese Behauptung zu beweisen, werde er im Tienschan-Gebirge ein Hotel bauen lassen, dass das höchstgelegene der Welt sein werde.

Zu erreichen sei es nur über einen holprigen Serpentinenweg, den auf der einen Seite schroffe Felswände und auf der anderen Seite steil abfallende Schluchten säumen. Nur der Wagemutige werde das Gebirgshotel erreichen. In diesem angekommen, dürfe er sich rühmen, in unmittelbarer Nähe des Herrgottes zu logieren.

Das Hotel werde in vielerlei Hinsicht menschliche Wünsche erfüllen. Vorrangig sei aber, den zutiefst Naturverbundenen das Gefühl zu geben, der hektischen, von Abgasen und Naturfrevel durchsetzten Welt da unten entrückt zu sein. Für Tage oder Wochen jedenfalls. Der Aufenthalt in diesem Hotel habe natürlich auch seinen Preis. Der könne aber erst bekanntgegeben werden, wenn das Hotel bezugsfertig sei, so Semjon. Er selbst werde der Erste sein, der den steilen Weg zu diesem Naturhotel gehen werde. Und dann werde sich beweisen, ob er sich den Hals gebrochen habe oder nicht.

Zunächst sei aber wichtig, diesen Bau zu finanzieren. Die dafür nicht unerheblichen Geldmittel müssten durch Spenden und Zuwendungen der Pur Natur- Mitglieder erbracht werden. Eine entsprechende Bitte richtete Putowkin in diese Richtung.

Was er erhoffte, trat nicht ein, jedenfalls nicht sogleich. Auch die eingefleischtesten Natur-Freaks, die dem Russen bedingungslos verfallen waren - zu denen gehörten inzwischen auch vermögende Amerikaner -, hegten Zweifel am Sinn eines solchen Unternehmens. Sie argwöhnten, er wolle seine Vergangenheit als sowjetischer Borkenkäfer-Minister vertuschen.

Putowkin flüchtete sich in die Aussage, seine Borkenkäfer-Tätigkeit sei völlig unpolitisch gewesen.

Als man ihm vorwarf, Mitglied der KPdSU gewesen zu sein, entgegnete er, dass seine Mitgliedschaft einzig und allein der erfolgreichen Borkenkäfer-Bekämpfung gedient habe. Das sei ihm bewusst geworden, als er mit seiner Familie eines schönen Sommer-Sonntags in einem Wäldchen picknickte. Anschließend hätte er sich im Gras ausgestreckt, um ein wenig zu schlafen. Damit ihm Mücken und Fliegen nicht lästig werden, habe er sein Gesicht mit der Samstagausgabe der Prawda bedeckt. Weil die Sonne sehr heiß schien, sei er nur in einen Halbschlaf verfallen. So konnte er hören, welche Gespräche die Mücken und Fliegen führten.

Semjon verwies darauf, dass er inzwischen auch die Sprache der Insekten verstand. Die Kenntnis der Tiersprache sei es vor allem gewesen, die ihm den Posten als Minister im Ministerium zur ... usw. usf. einräumte.

So habe er auf der Waldlichtung gehört, wie Mücken und Fliegen sich abfällig über die Titelseite der Prawda geäußert hätten. Diese staatsfeindlichen Äußerungen gipfelten in dem Schmähsatz einer Fliege: „Der Druckerdreck ist nur meinen Fliegenschiss wert!“

Diese Schmähung hätte anderes Getier aufmerksam gemacht. So auch einige Borkenkäfer, die ihre Rindenknabberei unterbrachen, um zu sehen, weshalb die Fliege sich so unanständig geäußert hatte.

Als die Käfer das Titelblatt der Prawda bekrabbelten, sei ihm, Semjon, die Zeitung vom Gesicht gerutscht. Er habe die Augenlider als Schlitz geöffnet und gesehen, dass es tatsächlich Borkenkäfer waren, die sich in die politische Diskussion einmischten.

Ein Artikel der Prawda-Seite erregte die Borkenkäfer-Gemüter besonders heftig. In ihm war zu lesen, dass auch Schulkinder im Auftrag der Partei zur Bekämpfung der Borkenkäferplage antreten werden. Angeführt würden sie von erfahrenen Genossen, die bereits während des Großen Vaterländischen Krieges erfolgreich gegen den Feind gekämpft hatten. Der Besitz des roten Mitgliedsbuches verpflichte dazu, auch jetzt – Jahre nach Kriegsende - erfolgreich zu kämpfen.

Einem Borkenkäfer zitterten vor Angst die Flügel, weil er glaubte, mit einem Mitgliedsbuch  erschlagen zu werden.

Das sei der Augenblick gewesen, so Putowkin weiter, den er genutzt habe, die KPdSU-Mitgliedschaft zur Schlagkraft gegen den Borkenkäfer zu machen. Blitzschnell habe er sein Mitgliedsbuch aus der Jackentasche gezogen und es auf den Waldboden mit der Äußerung geworfen: „Irrbirrsummseknabberrapper!“ Das sei Borkenkäfersprache und heiße: „Das bringt euch den Tod!“

Daraufhin seien die Borkenkäfer in panischer Angst in alle Himmelsrichtungen geflohen. Das sagte Semjon Putowkin nicht ohne Stolz, denn nun war er überzeugt, auch den letzten Zweifler von Zweifeln befreit zu haben.

Dem war aber nicht so, denn Misses Kisses aus Boston/USA empörte es, dass Semjon in brutaler Weise gegen Angehörige der Weltnatur, zu denen Borkenkäfer ja auch zählen, vorgegangen war. Sie sei eine überzeugte Pur Natur - Anhängerin und könne sich mit solchen Gewaltmethoden gegen kleine, wehrlose Lebewesen nicht anfreunden. Borkenkäfer fräßen nun mal Borke, wie Menschen Schweine- oder Rindfleisch fräßen. Sie selbst ernähre sich ausnahmslos vegetarisch.

Putowkin erklärte ihr in einem sehr freundlich gehaltenen Brief, denn sie war die Vorsitzende des Bostoner Clubs der Kakerlaken-Freunde, dass Vegetarier zwar keine Tiere essen, sie ihnen aber das Futter wegfressen. Weil Misses Kisses keine Gegenargumente hatte, überwies sie auf das Pur-Natur-Konto 10 000 Dollar.

Semjon lobte die Spende und ihre Spenderin über alle Maßen, und zwar in einer Zeitschrift, die seine Organisation seit kurzem herausgab. In der Green Queen, so der Name des Blattes, füllten sich nun mehrere Seiten mit den Namen derer, die kleine oder größere Beträge überwiesen hatten. Eine Sonderausgabe glich einer Illustrierten, da die Passfotos der edlen Spender abgebildet waren. Die Pur Natur – Bewegung erhielt einen rasanten Aufschwung.

Mir kam die Green Queen rein zufällig vor Augen, und zwar in einer Bahnhofstoilette. Sie lag mit einer zerknitterten Ausgabe der Süddeutschen Zeitung neben dem Becken auf dem Boden.

Während ich mein Geschäft machte, durchblätterte ich die Grüne Königin hastig, denn in 10 Minuten würde mein Zug fahren. Als ich meinen Stuhlgang beendet hatte, steckte ich die Zeitschrift in die Manteltasche, weil ich sie während der Reise genauer lesen wollte. Mir blieb nämlich keine Zeit mehr, am Bahnsteigkiosk eine Zeitung zu kaufen.

Einige Tage später pries ich meinen schnellen Entschluss, denn er eröffnete mir den Zugang zum Pur Natur – Führungsgremium. In der Zeitschrift hatte ich gelesen, dass neue Mitglieder herzlich willkommen seien, auch dann, wenn sie sich noch nicht mittels einer hilfreichen Spende eingeführt hätten. Bedeutungslos wäre auch, unter welchem Sternzeichen man geboren sei, ob man Sonntags- oder Wochentagskind, ob man jung oder alt, männlich oder weiblich, dünn oder dick, groß oder klein, verheiratet, geschieden oder ledig, katholisch, protestantisch oder islamistisch sei. Diese Mitgliederwerbung gefiel mir, denn sie war einmalig.

Vor einigen Jahren hatte ich meine SED-Mitgliedschaft aufgekündigt, weil sich die DDR auf ihren Untergang vorbereitete. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass man in dem nun wieder werdenden Großdeutschland wie ein verruchter Kommunist behandelt wird. Mit feineren Methoden sicherlich, weil sich eine westliche Demokratie keine KZ erlauben kann. Mir fiel der Abschied von meiner langjährigen SED-Mitgliedschaft nicht schwer, denn ich war – wie viele andere auch – nur ein teurer Genosse, den die Partei allmonatlich mit einem hohen Mitgliedsbeitrag schröpfte. Kein Wunder also, dass meine Überzeugung auf der Strecke blieb.

Hineingeworben in die SED war ich allerdings schlichter, als es Pur Natur machte. Kurz und bündig wurde festgestellt, dass ich als Lehrer einen klaren Klassenstandpunkt besitzen müsse, weil ich im Auftrag der Partei handele, wenn ich den sozialistischen Nachwuchs bilde und erziehe.

Schwuppdiwupp war ich dem ideologischen Einfluss meiner Schwiegermutter entzogen, die mich der NDPD (National Demokratische Partei Deutschlands) zuführen wollte.

Das Parteiabzeichen der SED trug ich anfänglich recht stolz am Jackettrevers, weil ich glaubte, mit diesem Eindruck schinden zu können. Außerdem war ich überzeugt, als Parteimitglied die Unebenheiten des sozialistischen Alltags besser überwinden zu können. Dass es nur einer bestimmten Bonzen-Schicht vorbehalten blieb, sich im Glanz der sozialistischen Sonne zu wärmen, erfuhr ich durch mancherlei Begebenheiten.

So ging meine Ideologie restlos flöten, doch hielt ich den inneren Klassenfeind im Zaum. Der Beruf des Lehrers bereitete mir Freude, auch wenn ich den Schülern ideologiegetränkte Happen vorwerfen musste. Keiner von diesen machte mir aber nach Deutschlands Wende Vorwürfe. Ich war der Lehrer mit Herz für Kinder, mit Herz für die Natur, in die wir oft wanderten und mit der Begabung, Geschichten für sie zu dichten.

Dieses Talent, meiner Phantasie freien Lauf zu lassen und sie zu Papier zu bringen, brachte mich mit Semjon Putowkin in Berührung. Weil in der aufgelesenen Green Queen auch die Aufforderung zu lesen war, sich an der Grünen Verseschmiede zu beteiligen, ersah ich die günstige Möglichkeit, meine „Dichtkunst“ öffentlich zu machen.

Kurz entschlossen schickte ich zwei naturverbundene Gedichte an die Redaktion in Moskau, mit dem Hinweis versehen, dass ich von den Zielen der Pur Natur – Bewegung hellauf begeistert sei. Seit  meiner Kindheit habe ich keiner Fliege ein Bein gekrümmt und keiner Spinne ein Leids getan. Die Liebe zur Natur und zu allem, was in ihr kreuche und fleuche, sei mir in die Wiege gelegt worden.