Das Juwel von Tanara: Gunno - Marlies Lüer - E-Book

Das Juwel von Tanara: Gunno E-Book

Marlies Lüer

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Beschreibung

TEIL 2 *** Mittler zwischen den Toten und Lebenden zu sein, bedeutet vor allem eines: Einsamkeit! ***

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein – und doch sind sie in einem gleich: Sie sind auf der Flucht!

Das feinfühlige Mädchen Dara vor ihrem Vater, dem Clanhüter mit dem dunklen Geheimnis.
Gunno, der Totenbeschwörer, flieht vor der Hexe Zyperra.
Shondra, der Nachtwolf-Jäger, ist beim Erzzauberer in Ungnade gefallen.

Gemeinsam kämpfen sie um ihre Freiheit und ihr Lebensglück – bis einer von ihnen zum Verräter wird.

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Inhaltsverzeichnis

Das Juwel von Tanara

Impressum

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Das Juwel von Tanara

Gunno (Folge 2)

5-teilige Fantasy-Serie

©2022 Marlies Lüer

Cover: Renee Rott, Dream Design

Impressum

Marlies Lüer, 29225 Celle, Fuhrberger Str. 95

Kontakt: [email protected]

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Während die Männer die schwere Last im Netz durchs Unterholz zogen und eine breite Spur der Zerstörung im Unterholz hinterließen, gefolgt von der alten, überaus hageren Frau, näherte sich von allen unbemerkt ein weiterer Mann. Er verbarg sich hinter einem großen Brimabusch, bis er seine Leute nicht mehr sehen konnte und vor einer Entdeckung sicher war. Dann schlich er sich zu dem Mädchen, kniete neben ihr nieder und prüfte, ob sie noch atmete. Erleichtert sah er, wie die Brust sich hob und senkte. Dann stupste er sie mehrfach in die Kuhle unter dem Schlüsselbein, aber sie reagierte nicht. Nachdenklich betrachtete der junge Mann die Tätowierung seitlich an ihrem Hals: Eine Sonne mit sieben Strahlen. Dieses Stammeszeichen war ihm unbekannt. Als er das feuerrote Haar aus ihrer Stirn schob, um das Gesicht besser sehen zu können, bemerkte er auch noch eine kleine, kegelförmige Tätowierung auf ihrer Stirn. Ihr Atem war weiterhin regelmäßig, aber schwach; die Haut blass und feucht. Und dabei war sie mit dem vergifteten Netz gar nicht in Berührung gekommen – oder etwa doch?

Besorgt zog er sie hoch und lud sich ihren Körper auf die Schulter. Den Dhrak ins Lager zu ziehen, war Schwerstarbeit, sogar für so starke, muskelbepackte Männer wie Benno, Arran und Durza. Wenn er schnell genug war, konnte er den Umweg über den schmalen Wildtierpfad nehmen und trotzdem vor den anderen im Lager sein. „Na dann los, Gunno, zeig, was du draufhast“, sprach er sich selbst Mut zu. Er rannte mit Feuereifer seinem Ziel entgegen: dem hölzernen Wohnwagen, den er mit der Köchin der Gauklertruppe teilen musste. Immer noch! Obwohl er inzwischen erwachsen war. Er neidete den Artisten ihre Rechte. Jeder hatte einen eigenen Wagen, wenn er wollte. Dabei war er selbst derjenige, der mit seinem einzigartigen Talent im Ernstfall allen den Lebensunterhalt sicherte. Nun, keine Zeit für Bitterkeit! Gunno konzentrierte sich lieber auf jeden Schritt, er durfte auf keinen Fall ins Stolpern geraten. Bald schon kam die Lichtung in Sicht, auf der sie ihr Lager kürzlich aufgebaut hatten. Das Mädchen auf seiner Schulter stöhnte leise, und so legte er noch etwas an Geschwindigkeit zu. Seine Kraftreserven waren noch lange nicht aufgebraucht. Er flehte zu den Heiligen des Tempels der Barmherzigen, dass dies auch für seinen Schützling galt.

Zyperra, die Anführerin, war so rücksichtslos. Er hatte schon mitansehen müssen, wie sie im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen ging; aber dieses Mädchen hier, dieses wollte er um jeden Preis retten. Sie im Wald zurückzulassen, betäubt, schutzlos, am Rand des Reviers der Nachtwölfe – das war mehr als skrupellos. Das mochte Zyperras Art sein, seine ganz gewiss nicht.

Gunno war nun endlich bei den Schindelwagen angekommen und blieb hinter einem Baumstamm stehen, um eine Weile durchzuatmen. Das Mädchen ließ er behutsam von seiner Schulter auf den Boden gleiten. Unter Zyperras Anleitung verfrachteten die Männer gerade den Dhrak in einen der leeren Käfigwagen. Das arme Tier war schlaff, stöhnte gequält und sah blass und krank aus. Durza fluchte lautstark, weil er sich am zackenbewehrten Schwanz verletzt hatte, und musste sich nun die schadenfrohen Anmerkungen seiner Brüder anhören. Blödmänner! Nur Muskeln, aber kein Hirn, kein Herz. Diesen Moment der Ablenkung wollte er nutzen, um unbemerkt in seinen Wagen zu gelangen. Doch der Anblick eines blonden Jungen, ganz in Schwarz gekleidet, der urplötzlich neben dem Wagen stand und ihn nicht minder überrascht anstarrte, ließ ihn stoppen. Ebenso rasch verschwand er wieder, auf unerklärliche Weise. Unerklärlich, falls er ein Lebender war. Gunno war verwirrt. Hatte er den Jungen unbewusst herbeigerufen, ohne Melodie? Hatte der vielleicht eine offene Rechnung mit der Rothaarigen? Innerlich zuckte er mit den Schultern. Keine Zeit, darüber nachzudenken, das Mädchen musste in den Wagen, bevor er mit ihr zusammen entdeckt wurde. Er holte tief Luft und nahm sie auf die Arme wie ein schlafendes Kleinkind.

Arja, seine Ziehmutter, blickte überrascht auf, als er leise nach ihr rief, um das Mädchen gemeinsam in den Wagen zu hieven. Rasch legte sie die Früchte beiseite, die sie auf Faulstellen untersucht hatte, und griff unter die Schultern des Mädchens. So behutsam wie möglich legten sie sie auf die untere Schlafpritsche.

„Wen bringst du mir so heimlich in den Wagen? Gehört sie zu dem Drachenvieh da draußen?“

„Scharfsinnig wie immer, Ziehmutter.“

Arja lachte leise auf. „Immer, wenn du mich so nennst, willst du etwas von mir, Ziehsohn.“

Gunno grinste breit. „Wie gut du mich doch kennst.“

Arja ging nicht darauf ein, sondern starrte ihn ernst an und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

„Bitte! Hilf mir, sie zu verstecken. Zyperra hat sie zum Sterben liegengelassen. Das halte ich nicht aus.“

„Gunno! Vielleicht hatte sie einen guten Grund dafür? Darüber mal nachgedacht, du notorischer Wohltäter?“

„Sag das nicht! Sie ist zu jung zum Sterben.“

Arja warf einen Blick auf die hübsche Frau. Sie war sehr jung, das war nicht zu übersehen. Jünger als Gunno. In ihr erwachte gegen ihren Willen ihr eigener Beschützerinstinkt. Es würde Ärger bedeuten, sie mitzunehmen. Großen Ärger. Zyperra konnte gemein sein zu ihren Gefolgsleuten, sie hatte keinerlei Hemmung. Doch ihr Instinkt sagte ihr auch, dass das Mädchen nicht ohne Grund in ihr beider Leben gekommen war. Letzte Nacht hatte sie einen bedeutsamen Traum gehabt, doch konnte sie sich nicht mehr an den Inhalt erinnern, nur an das seltsame Gefühl, dass sie heute Morgen beim Aufwachen gehabt hatte. Arja schaute sie nun genauer an, betrachtete die Tätowierungen, auch ihre Hände und die Fingerspitzen. Sie waren weich. Dieses Mädchen hatte noch nie schwer gearbeitet. Ihre zerfetzte, schmutzige Kleidung passte nicht dazu.

„Die Haarfarbe stimmt nicht“, murmelte sie.

„Was meinst du damit?“, fragte Gunno.

„Sie scheint eine Kellantha zu sein, sogar die Tochter der Priesterin. Hier, siehst du die Sonne an ihrem Hals? Hätte sie ihre erste Vision schon gehabt, wäre auf der anderen Seite eine zweite Sonne. Die Kellantha nennen sie Lichtschenkerinnen.“

„Eine Priesterinnentochter wird Lichtschenkerin genannt?“

„Nein, die Sonnen!“ Arja schüttelte amüsiert den Kopf.

„Und was bedeutet das Dreieck auf der Stirn?“

Arja schob das üppige Haar aus der Stirn und nickte. „Das bestätigt, was ich sage. Sie gehört zum Inselvolk, sie ist eine Feueranbeterin. Der Vulkan bestimmt deren Leben. Sie beten die Feuergöttin Kella an.“

„Daher der Name Kellantha?“

„Ja. Nur ihre Haarfarbe ist mir ein Rätsel. Die haben dort alle dunkle Haare, sogar tiefschwarze. Irgendwas stimmt nicht mit ihr.“

In diesem Moment stöhnte das Mädchen auf und wand sich auf der Pritsche. Zeitgleich schrie das Tier im Käfig. Gunno sprang auf und schaute durchs kleine Fenster. Das Fangnetz war vom Körper entfernt worden, der Käfig fest verschlossen. Arran trug es jetzt, die Arme weit von sich gestreckt, die Hände handschuhbewehrt, zum Lagerfeuer und warf es hinein. Erschrocken sprang er aus dem Stand weit zurück, denn eine grüne Stichflamme schoss fauchend in die Höhe.

Gunno wandte sich wieder zu den Frauen um. Das Mädchen atmete nun tiefer, sie war etwas weniger blass.

„Woher weißt du so viel über diese Kellantha-Leute?“

„Ich war früher schon mal in diesem Landstrich, als ich noch nicht zu Zyperras Gauklern gehörte. Es gibt hier eine schöne, wilde Halbinsel, gar nicht so weit entfernt. Wenn wir bei den Flussleuten gastieren, wirst du den Vulkan sehen können. Weißt du, diese Inselbewohner sind nicht so wie die anderen Stämme und Völker von Tanarell. Sie sind, nun ja, eher rückständig. Die Priesterin ist die Mutter des Volkes. Alles bei denen ist auf die Frauen ausgerichtet. Männer haben dort nichts zu sagen.“

Gunno lachte laut auf. „Du willst mich wohl veralbern! Sowas gibt es doch gar nicht.“

„Aber ja. Auf der Insel. Schon immer. Verkehrte Welt dort.“

„Und weißt du auch etwas über dieses Wesen im Käfig? So ein Tier habe ich noch nie gesehen.“

Arja erhob sich von ihrem Hocker und schaute aus dem Fenster. Erschrocken schlug sie ihre Hand vor den Mund. „Das darf doch nicht wahr sein!“

„Was ist?“

„Zyperra muss wahnsinnig sein.“

„Wieso?“

„Frag nicht. Das darf ich dir nicht sagen.“

Bevor Gunno nachhaken konnte, zeigte Arja mit einem Kopfnicken zur Pritsche. Das Mädchen war aufgewacht. Ihre Augen bewegten sich etwas ziellos hin und her, doch nur für eine Weile, dann konnte sie ihre Umgebung fixieren.

„Wo bin ich?“, rief sie und setzte sich ruckartig auf, was sie gleich darauf zu bedauern schien, denn sie hielt sich den Kopf und schloss stöhnend die Augen. „Mir ist so schwindelig!“

Arja legte beruhigend ihre warme Hand auf die Schulter ihres Schützlings. „Das geht gleich vorüber. Bist du mit dem Netz in Berührung gekommen?“

„Was für ein Netz?“, fragte sie verständnislos und schaute sich misstrauisch um. „Wir waren eben noch im Wald, wollten schlafen … oh!“

„Sag uns doch zuerst, wie du heißt“, bat Gunno.

„Wo bin ich?“, wiederholte sie stattdessen.

„Du bist in unserem Wagen, wir gehören zu einer Gauklertruppe. Wenn du dich ruhig verhältst, bist du in Sicherheit. Ich bin Arja, und das hier ist mein vorlauter Ziehsohn Gunno. Er hat dich hergetragen.“

„Mein Name ist Dara. Wir waren im Wald, der Dhrak und ich. Plötzlich waren da Männer. Ich erinnere mich wieder. Sie haben uns angegriffen! Mehr weiß ich nicht. Nur, dass einer von ihnen mir etwas vor den Mund gehalten hat, es roch scharf. Und dann wurde alles auf einmal dunkel.“

„Sie haben dich betäubt. Zyperra kennt sich mit solchen Dingen aus. Sie ist die Anführerin hier und wir müssen ihr gehorchen. Wie es scheint, hat sie nun eine neue Attraktion“, erklärte Arja.

„Das Tier ist ein Dhrak, sagst du?“, hakte Gunno nach. „Oder ist das sein Name?“

Das Mädchen, dass sich Dara nannte, musterte ihn genau. Insbesondere seinen langen Zopf, in den er kleine Tierschädel und andere gruselige Dinge eingeflochten hatte. Unangenehm berührt, warf er den Zopf auf seinen Rücken. Diese Aufmachung war nicht seine Idee gewesen. Gehörte alles zur Darbietung.

„Er sagt, er hat keinen Namen.“

„Er sagt? Heißt das, das Tier kann sprechen?“, wunderte sich Gunno. Das wurde ja immer interessanter! Insbesondere, weil Arja zutiefst besorgt aussah, was wiederum ein kleines Abenteuer versprach. Oder ein großes.

Dara stellte ihre Füße auf den Boden und schaute sich im Wagen um. „Ist er auch hier?“

„Nicht hier drin“, witzelte Gunno, was ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf seitens seiner Ziehmutter einbrachte.

„Sieh durch das Fenster. Es ist im Käfig eingesperrt.

---ENDE DER LESEPROBE---