Die geheime Magierschmiede - Marlies Lüer - E-Book

Die geheime Magierschmiede E-Book

Marlies Lüer

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Beschreibung

Der junge Kastellan von Burg Finsterfels flüchtet sich jeden Abend in die Welt der Bücher. Heimlich liest er alte Märchen und Sagen, die von goldenen Drachen, edlen Rittern und mächtigen Zauberern erzählen. Das Leben unter groben Kriegern und ungebildeten Bediensteten verlangt dem sensiblen Ravi alles ab. Am liebsten liefe er auf und davon, doch er ist durch einen Schwur seiner Familie an den König gebunden. Als der Thronfolger auf grausige Art entführt wird, ist allen klar: Das war das Werk der Schattenmagier! Nicht einmal die Soldaten trauen sich, die Verfolgung aufzunehmen. Zu eindringlich sind noch die Erinnerungen an den großen Krieg gegen die Magier, der viele Tote forderte. Ausgerechnet der sanfte Ravi wird ausgeschickt, um nach Prinz Gandor zu suchen, denn er ist unauffällig. Er will seinen König auf keinen Fall enttäuschen – doch ist er stark und mutig genug für einen Kampf gegen dunkle Mächte?

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Inhaltsverzeichnis

Die geheime Magierschmiede

1

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Die geheime Magierschmiede

Fantasymärchen

von

Marlies Lüer © 2023

29225 Celle, Fuhrberger Str. 95

https://marlies-lueer.jimdosite.com/

Cover und Bildrechte: Renee Rott, Dream Design - Cover and Art

Illustration: Pixabay common free

1

Es hatte genau diesen einen Vorteil, der Kastellan der Burg Finsterfels zu sein: Man hatte immer Zugriff auf Wachskerzen und somit Licht zum Lesen.

Ravi saß an seinem Schreibtisch und gähnte. Er war hundemüde und sehnte sein Bett herbei, das einladend im angrenzenden Raum stand. Doch um nichts auf der Welt würde er sich jetzt davon abhalten lassen, dieses wunderbare Schätzchen in die Hände zu nehmen, kurz daran zu schnuppern, um die Aromen von altem Leder und Papier zu genießen, es letztlich in aller Vorfreude zu öffnen und dann …

Wumm! Wumm, wumm!

Die Eichentür erbebte unter schweren Schlägen.

Ravi ließ seinen Kopf auf das Buch sinken und schlug mit geballter Faust auf die hölzerne Tischplatte, sodass die Kerze flackerte.

„Wer ist so wahnwitzig und unverschämt, mich jetzt am späten Abend zu stören?“, brüllte er.

Wutentbrannt erhob er sich und stapfte zur Tür, riss sie auf und versicherte dem Diener, dass er ihn höchstpersönlich zu Drachenfutter verarbeiten würde, es sei denn, es gäbe einen äußerst schwerwiegenden Grund, ihn jetzt zu stören.

Donda, klein und von rundlicher Statur, trat eilig zwei Schritte zurück und kam dabei fast ins Stolpern, seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen.

„Herr, meine Großmutter sagt aber, Drachen gibt es nur in Märchen“, stammelte er, „und meine Großmutter lügt mich nie an.“

Ravi stieß den Atem aus und schloss für einen Moment seine Augen. Wie kann ich nur so unbeherrscht sein? Ausgerechnet dem ängstlichen Donda gegenüber.

„Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht anschreien sollen. Was ist denn los? Ihr wisst doch, dass ich abends nicht gestört werden will.“

„Aber Herr, ich musste doch. Weil … also, es ist doch so … ähm …“

„Raus mit der Sprache! Steht eine feindliche Armee vorm Tor? Ist der König gestorben? Droht uns der Mond auf den Kopf zu fallen?“ Ich sollte mir ihm gegenüber Sarkasmus verkneifen, verdammt.

Der junge Diener drehte sich zum Fenster auf dem Gang um und schaute angestrengt in den Nachthimmel.

„Der Mond ist noch da.“

Ravis Unmut wuchs wieder an. Warum nur im Namen aller Götter war er von Idioten umzingelt? Er zog seine linke Augenbraue hoch – diese Fähigkeit hatte er von seiner Mutter geerbt – und schaute Donda streng an. Dieser Blick, gepaart mit der erhobenen Braue, verfehlte seine Wirkung nie. Nun ja, fast nie. Zumindest funktionierte er bei der Dienerschaft und einigen Hoflieferanten und Bauern.

„Herr, das Fohlen kommt! Aber es kommt nicht richtig heraus. Die arme Stute quält sich so.“

„Aber Donda, damit musst du zum Stallmeister gehen, ich verstehe doch nichts von Pferden!“

„Der ist aber nicht da. Und die Stallburschen auch nicht.“

„Was?“

Ravi griff grimmig zu seiner mit Fell gefütterten Weste, die neben der Tür am Haken hing. Die Nächte waren schon kühl. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann Pflichtvergessenheit. Er hatte die Tür schon hinter sich geschlossen, als ihm einfiel, dass die kostbare Kerze noch brannte. Ravi ging zurück in seinen Privatraum und löschte das Licht, strich liebevoll mit einem tiefen Gefühl des Bedauerns über den Buchdeckel, um dann auf dem Absatz kehrt zu machen. Im Laufschritt rannte er durch den Westflügel, Donda humpelte ihm schnaufend hinterher. „Geh nach Hause, Donda. Ich brauche dich jetzt nicht. Geh schlafen“, rief er über die Schulter und verließ wenig später durch eine schmale Pforte die Burg. Vollmond und Sterne sorgten für genügend Licht, bis er auf einen der Wächter stieß, die nachts immer eine Fackel mit sich trugen.

„Du da! Komm mit. Auf zum Stall!“, befahl er. Ravi hörte schon von Weitem raue, grölende Männerstimmen und schallendes Gelächter. Offenbar hatten sich die Stallburschen mit ihrem Meister für ein Zechgelage in der Futterscheune versteckt. Es wäre nicht das erste Mal. Wie sehr er diese Grobiane verabscheute! Keuchend hielt er am Pferdestall der Stuten kurz inne, wappnete sich vor dem, was er nun vermutlich zu sehen bekam. Jedes tote Tier bereitete ihm Kummer. Gefasst betrat der den Stall und schritt die Boxen ab. Hinten weiter waren die Plätze für die trächtigen Stuten. Momentan war offenbar nur eine hier untergebracht. Doch die Stute war am Leben. Noch? Oder war sie außer Gefahr? Das Fohlen hingegen lag leblos im blutigen Stroh, seine Mutter stand zitternd mit gesenktem Kopf daneben. Ravis Magen zog sich schmerzlich zusammen und er musste eine Träne wegblinzeln.

Der Wächter kam näher und leuchtete mit der Fackel in die Box. „Seht die Nachgeburt, Herr. Sie ist bräunlich verfärbt, stellenweise verdickt und von üblem Schleim bedeckt. Da ist eine Entzündung im Körper.“

„Du verstehst was von Pferden? Dann bleib bei ihr und kümmere dich um sie. Ich suche den Stallmeister und mache ihm die Hölle heiß. Deine Fackel steckst du aber draußen ans Tor. Hier drinnen sind Öllampen sicherer.“

Die anderen Stuten schnaubten unruhig. Ravi hätten schwören können, dass sie traurig waren und verstanden hatten, dass der Todesgeist im Stall umherschwebte und ein Fest feierte. Aber sowas glaubte ihm ja keiner. Tiere wurden von den Burgbewohnern und auch den meisten Bauern für rein instinktgetriebene, aber nützliche Wesen angesehen. Gedanken und Gefühle waren den Menschen reserviert. Ravi hatte große Zweifel, ob das auf alle Menschen hier zutraf. Manch einer in der Burg … Konzentrier dich!, wies er sich selbst zurecht, während er auf die Scheune zuging. Das wurde jetzt vielleicht gefährlich für ihn. Er lauschte an dem Scheunentor. Ja, hier waren sie. Hätte ich doch nur mehr Wächter mitgenommen! Ravi atmete ein paar Mal tief durch. Die Männer durften ihm seine Angst nicht anmerken. Seine Stimme musste fest sein, sein Blick so finster wie die Burg und ihr König selbst. Ihm fiel sein neues Buch ein, das er eigentlich jetzt in diesem Moment hätte lesen können und auch das arme Fohlen, das vermutlich nicht in dieser Nacht hätte sterben müssen, wenn wenigstens einer der Männer seine Pflicht getan hätte. Das reichte, um seine Wut neu zu entfachen. Er riss das Scheunentor auf und brüllte: „Sofort raus hier! Alle Mann. Wird’s bald?“

Die vier Stallburschen, die einen großen Krug Obstbrand umhergehen ließen, blinzelten ihn verdutzt an. Der Blonde fragte in die Runde, was denn der Schwächling von ihnen wolle, und ließ dann einen Rülpser entweichen. Seine Alkoholfahne drang bis in Ravis Nase.

„Ihr Scheißkerle! Warum seid ihr nicht im Stall, wenn eine Stute fohlt?“

„Ach was“, murmelte der Fette. „Das dauert noch’n paar Tage, die is nich soweit. Halt dich da da raus, Kasch… Kaaas…“

„Kass-tell-laan“, half der Grauhaarige mit dem Vollbart aus. „Das ist unser kleiner Kastellan. Ey, auch’n Schluck, du?“

„Das reicht! Wo ist der Stallmeister?“

„Der pennt da hinten. Der ist voll bis oben hin. Mit Schnaps. Echt guter Schnaps. Viel zu schade für uns. Eigentlich.“

„Und auch seine Hosen sind voll!“, grölte der Blonde schadenfroh und riss begeistert beide Arme hoch, was ihm sein Gleichgewicht kostete. Rückwärts fiel er um und seufzte tief. Einen Moment später war auch er eingeschlafen und schnarchte.

In der Tat stank es hier zum Gotterbarmen. Ravi unterdrückte einen Brechreiz und trat einen Schritt zurück.

„Ich sage es euch jetzt zum letzten Mal. Raus hier! Geht leise zu euren Schlafplätzen und nehmt den Drecksack von Meister mit. Morgen werdet ihr alle bestraft. Wegen eurer Sauferei ist ein wertvolles Zuchttier gestorben!“

„Nee, er sacht doch, dat is noch nich soweit, Jungchen“, lallte der, der ihm auch einen Schluck angeboten hatte.

Der Stallmeister schnarchte laut auf und röchelte. Stöhnend drehte er sich vom Rücken auf die Seite.

Von mir aus kannst du an dir selbst ersticken, dachte Ravi voller Verachtung. Was sollte er nur tun? Die Kerle gehorchten ihm nicht. Sie sahen in ihm nur einen Schreiberling, der Säcke und Kisten zählte und die Bücher führte. Gerade als er einen der Burschen am Kragen packen und rausschleifen wollte, kam der Wächter hinzu und sagte, dass die Stute soeben gestorben sei. Zwei weitere Nachtwächter erschienen neugierig und erkannten die Lage.

„Wir übernehmen ab jetzt, Kastellan. Geht ruhig zurück in Eure Kammer. Ich mache morgen Meldung und sorge dafür, dass sie bestraft werden.“

Ravi nickte knapp und hoffte inständig, dass man ihm seine Erleichterung nicht ansah. „Ich verlasse mich darauf, Wächter. Der Burgvogt wird sich morgen darum kümmern wollen. Die Pferde sind viel zu wertvoll für das Königreich, als dass man ihre Pflege solchen …“

„Schon gut, Kastellan, geht nur. Sie werden ihre Strafe bekommen. Vor allem der Meister ist nun fällig. Das ist nicht das erste Tier, das seinetwegen zu Schaden kam.“

Wortlos ging Ravi zurück zur Burg. Im Stillen sprach er ein kleines Gebet für Mutter und Kind, die nun im Pferdehimmel gemeinsam über grüne Wiesen trabten … Ach, ich bin wirklich ein Träumer und Weichling! Kein Wunder, dass die Männer keinen Respekt zeigen. Nicht vor mir selbst, nicht vor meinem Amt.

Als er wieder in seiner Kammer war, die am Ende des Ganges lag, verriegelte er die Tür hinter sich. Der Mond schien hell durchs Fenster. Sein Lichtkegel fiel auf das Märchenbuch, das er heute früh dem listigen Händler abgerungen hatte gegen eine Wegzollbefreiung für ein halbes Jahr. Auf dem Fenstersims saß eine etwas zu groß geratene Libelle und schien ihn anzustarren. Ravi beschloss, dass er zu müde und zu enttäuscht von der Welt war, und machte sich fertig fürs Bett. Sein letzter Gedanke galt dem Umstand, dass man Libellen früher, als das Wünschen angeblich noch geholfen hatte, in weiten Teilen des Reiches „Drachenfliegen“ genannt hatte. Das war doch ein viel besserer Name. Warum hatte man das geändert? Er glitt hinüber in den Schlaf und träumte, er würde mit ihr durch die Lüfte zum Mond fliegen. Dann wuchsen dem Mond riesige Flügel und zu dritt machten sie sich auf und davon.

Ravi erwachte vor Sonnenaufgang. Grübelnd lag er im Bett und hatte keine Lust aufzustehen. Die Nacht war kurz und scheußlich gewesen. Abgesehen von seinem Traum. Er konnte sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern, aber der Traum hatte ihm ein gutes Gefühl gegeben. Es hatte sich wie echte Freiheit angefühlt. Aber auch das verflüchtigte sich schon. Er war der Kastellan dieser verdammten Burg und würde es immer sein. Auch wenn dieses Königshaus derb und moralisch halbwegs verkommen war, so waren Familienbande im Reich immer noch heilig und bindend. Er konnte nicht einfach sein Bündel packen und gehen.

Familie …

Ravi schlug die Bettdecke zurück und zog sich rasch an. Jetzt war eine gute Gelegenheit, ungestört das Grab seines Vaters zu besuchen. Leise zog er die Tür hinter sich zu. Es musste niemand wissen, dass er wach und somit ansprechbar war. In der Tat gelang es ihm, unbehelligt die Burg zu verlassen und zur Grabkapelle zu gehen. Er beugte in Ehrfurcht das Knie vor dem Symbol des Schöpfers, das auf dem Dach der Kapelle befestigt war: eine vergoldete, runde, gezackte Scheibe, die die Sonne darstellte. Der rote Edelstein in der Mitte war längst von irgendeinem Dieb respektlos herausgebrochen worden. Ravi wusste, dass man ihn dafür auslachen würde, wenn man ihn gesehen hätte. Kaum jemand beugte heutzutage noch Knie oder Haupt vor der Gottheit. Doch ohne Licht und Wärme kein Leben! Auch das Wasser der Flüsse und Seen war heilig. Und dennoch warf man Unrat hinein. Aus den Augen, aus dem Sinn! Wenn er das Sagen hätte, ginge es anders in der Welt zu! Ravi merkte, dass er wieder ins Grübeln und Fantasieren geriet. Arbeit wartete auf ihn! Kurz atmete er bewusst die noch kühle Luft ein und genoss sie. Das lebhafte Zwitschern der Vögel, die das junge Licht des Tages begrüßten, erfreute ihn. Er liebte die zahlreichen alten Bäume hier, von denen er wusste, dass sein Urgroßvater persönlich sie gepflanzt hatte. Sein Herz wurde leichter und er schritt voran zum Waldfriedhof. Den Weg hätte er auch im Dunkeln gefunden, seine Füße kannten ihn auswendig.

Hier lagen nur Angehörige der Dynastie derer zu Finsterfels zur letzten Ruhe gebettet, und einige wenige hochrangige Krieger und Beamte, die sich in außerordentlichem Maße um das Reich verdient gemacht hatten. Da er nicht mit ihm gerechnet hatte, sah Ravi zunächst nicht den König, er hörte nur ein leises Schluchzen. Verwirrt blieb er stehen und lauschte.

„Komm ruhig näher, Junge.“

Ravi entdeckte ihn hinter einer uralten Linde.

„Mein König! Soll ich Euch alleinlassen? Ich kann später wiederkommen.“

„Nein, schon gut. Hier bin ich nur dein Onkel und ein trauernder Vater. Hier bei den Toten sind wir Lebende alle gleich.“

„Danke, Onkel.“

Die Sonne kroch nun über den Rand der Welt und es wurde ein wenig heller. Ravi näherte sich der Grabstelle seines Vaters. Sie war erkennbar an seinem Schwert, das in einem kunstvoll geschnitzten Holzrahmen eingefasst war. Wie es wohl wäre, wenn ihre Plätze vertauscht wären? Sein Vater stünde nun neben seinem Bruder, dem König, ebenfalls am Grab eines Sohnes. Würde sein Herz nicht schmerzlich brechen? Jedes Mal aufs Neue? War es nicht besser, dass er, Ravi, den Schmerz trug und nicht sein geliebter Vater? Was würde sein Vater zu seinem Bruder jetzt sagen, der ebenfalls um seinen Erstgeborenen trauerte? Hätte er Worte des Trostes für ihn gehabt oder würde er auf Männerart schweigen? Männer machten kein großes Aufheben um ihre Gefühle. Nicht in diesem Volk, nicht in dieser Kultur.

„Es tut mir so leid um deinen Ältesten, Onkel Heribert. Parandir war ein guter Thronfolger. So stark und klug. Verfluchtes Sommerfieber!“

Der König wischte sich verschämt Tränen aus dem Gesicht und wandte sich dann Ravi zu. „Du bist ein guter Brudersohn, ich danke dir. Aber das Leben geht weiter. Der Kampf geht weiter. Wir müssen stark sein, kampfbereit. Alle Zeit!“

„Ich wünschte, Mutter würde neben ihm liegen“, gestand Ravi leise.

Der König von Theradon schnaubte durch die Nase. „Nun. Merianna war damals nicht stark genug. Sie hat das nasse Grab gewählt, weil ihr Mann auf dem Schlachtfeld fiel. War sicher schwer für dich, beide Eltern so kurz hintereinander zu verlieren. Ist jetzt zehn Jahre her, stimmt’s? Immerhin hast du danach hier in der Burg ein sicheres Zuhause gehabt.“

Er klopfte seinem Neffen auf freundlich gemeinte, derbe Art auf den Rücken, dann verließ er die Begräbnisstätte mit hängenden Schultern und schlurfenden Schritten.

Kampfbereit? Jetzt war es an Ravi, leise aber verächtlich durch die Nase zu schnauben. Der König war alt und fett geworden. Er trank zu viel. Beim Kampftraining hatte er sich vor etwa einem Jahr eine Verletzung in der Schulter zugezogen, die nie richtig ausgeheilt war. Eine Sehne war gerissen, ausgerechnet im Schwertarm. Für einen Heerführer war das fatal. Parandir hätte einen guten Nachfolger abgegeben. Doch der lag seit Monaten tot unter der Erde.

Die Sonne war nun um einiges mehr über den Horizont gestiegen. Zeit, sich an die Arbeit zu machen. Heute war Liefertag. Die Bemerkung über seine Mutter hatte ihm die Stimmung verdorben. Ravi legte die Hand aufs Herz und grüßte die Seele seines Vaters und die seiner Mutter, indem er sich vor der Sonne als Stellvertreterin aller Seelen verneigte. Der Schöpfer teilte offenbar jedem ein Schicksal zu. Seines war es eben, allein zu sein. Dennoch ging er kraftvoll und mit federnden Schritten zurück zur Burg. Er nahm sich vor, heute auf jeden Fall Zeit für das neue Buch zu nehmen. Zur Not würde er sich eben ins Verlies zurückziehen oder oben im Nordturm lesen, wo Eulen und Spinnen hausten und niemand ihn finden würde. Sein Weg führte ihn an den Stallungen vorbei, an der Rüstungsschmiede und der Lederwerkstatt. Der Lärm der Arbeiter dröhnte in seinen Ohren. Ravi wünschte sich in die Stille des Waldfriedhofs zurück, insbesondere als auch noch die Schmerzensschreie des Stallmeisters die Geräuschkulisse erweiterten. Die Peitsche hatte er ihm nicht gewünscht, aber der Burgvogt hielt diese Strafe offenbar für angemessen. Ravi beschleunigte seine Schritte, doch Lärm schien ihn heute regelrecht zu verfolgen. Die angeketteten Hunde des Hauptmanns kläfften und geiferten um die Wette. Ein kleiner Bursche ärgerte sie mit einem Fleischknochen, den er ihnen vor die Schnauze hielt, aber so, dass sie den Leckerbissen unmöglich schnappen konnten, was ihre Gier nur anfachte.

„Fargon, du kleiner Teufel“, murmelte der Kastellan. Er mochte den Burschen, der immer zu lustigen Streichen aufgelegt war, aber dies hier ging zu weit, das waren gefährliche Wolfshunde, ausgebildet zur Menschenjagd. Er wollte ihn gerade zurechtweisen, da passierte es. Die Welt verlor von einem Moment zum anderen ihre Farbe! Die Zeit lief langsam. Alles Relevante sah er gestochen scharf, alles andere verblasste. Emotionslos sah er, wie die Mauer der Kaserne genau dort bröckelte, wo die Kette des größten Hundes befestigt war. Im nächsten Moment glitt der Ringhaken heraus, der Hund war frei. Er schnappte nach dem … blutigen … war das etwa ein Fohlenschenkel? … ja, da war noch Fell dran … und biss Fargon im Jagdeifer die Hand ab.

Urplötzlich war die Welt wieder farbig. Was er gesehen hatte, war noch nicht geschehen. Ravi rang nach Luft und schrie: „Wirf sofort den Knochen weg, er kommt!“ Noch nie war er so schnell gerannt. Fargon schaute ihn verunsichert an, hielt aber immer noch den Knochen fest. Ravi warf sich im letzten Moment den Jungen über die Schulter, drehte sich im Kreis und griff mit der anderen Hand zum Dolch. Ihn zu ziehen und dem Hund in den Hals zu stoßen, war eine fließende Bewegung. Entsetzt stolperte der junge Kastellan einige Schritte zurück. Das arme Tier röchelte und starb. Fargon schrie wie am Spieß und strampelte mit den Beinen. Den Knochen warf er nun weit von sich und dieser landete zwischen den anderen beiden Kettenhunden, die sich nun knurrend und Zähne fletschend darum stritten.

„Was ist hier los?“, brüllte der Hauptmann, der vom Gebell alarmiert worden war. „Kastellan, warst du das? Hast du meinen Hund abgestochen?“ Dicht vor Ravi blieb er stehen und starrte ihn an. In seinen Augen flackerte pure Mordlust. „Niemand tut meinen Hunden was an und kommt ungeschoren davon.“

Ravi setzte Fargon ab. Der Junge versteckte sich hinter seinem Rücken und klammerte sich wimmernd um seine Taille.

„Hauptmann, wisst Ihr nicht, wer das ist?“, fragte ein Soldat, der ebenfalls herbeigeeilt war. „Das ist der Neffe des Königs, den dürft Ihr nicht duzen oder umbringen.“

„Ach, ist das so? Aber er darf meine Hunde abstechen?“

Wütend stieß er Ravi vor die Brust.

„Ich habe dem Kind das Leben gerettet! Das war meine Pflicht. Eure hingegen war es, für die sichere Befestigung der Wolfshunde zu sorgen. Die Kette hat sich aus der Wand gelöst! Dafür gebe ich Euch die Schuld, Hauptmann, Ihr seid verantwortlich für die Kampfhunde. Warum sperrt Ihr die Ungeheuer nicht in einen Zwinger, solange sie nicht gebraucht werden? Und Ihr werdet mir verdammt noch mal Respekt erweisen, damit das klar ist!“

„Ach ja? Weil mein König zufällig auch dein Onkel ist? Du Mistkerl, du kannst dich nicht für immer hinter ihm verstecken, irgendwann erwische ich dich da draußen. Und dann schlägt dein letztes Stündlein.“

Der Hauptmann wandte sich abrupt ab und brüllte die beiden verbliebenen Hunde an. Sofort winselten sie und kniffen den Schwanz ein. „Soldat! Ruf den Abdecker, damit er den Kadaver holt. Und dann fütterst du meine Hunde mit Pferdefleisch, so viel sie fressen können. Klar?“

„Ja, mein Hauptmann!“ Der Soldat salutierte und eilte davon.

„Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen!“, rief Ravi ihm verärgert hinterher und löste dann die Arme des Jungen von seiner Taille.

„Fargon! Was hast du dir nur dabei gedacht, die Hunde zu ärgern?“

„Weiß nicht. War lustig.“

„Lustig? Aber dann plötzlich nicht mehr, was? Der Hund hätte dich gefressen, ratzfatz mit Haut und Haar. Und die anderen beiden tun das auch, wenn sie nur können. Die haben immer Hunger. Das sind wilde Hunde. Ausgebildete Menschenjäger und Kriegshunde. Die gehorchen nur dem Hauptmann. Du machst sowas nie wieder, verstanden?“

Fargon brach in Tränen aus. „Ich will zu meiner Großmutter.“

Ravi strich ihm übers Haar. „Ich bring dich hin, Kleiner.“

Vertrauensvoll schmiegte der Fünfjährige seine Hand in die des Kastellans und ließ sie nicht mehr los, bis sie vor der ärmlichen Hütte standen. Die Wäscherin hauste mit ihren Enkelkindern in der kleinen Siedlung unweit der Burganlage.

„Gulda, bist du da?“, rief Ravi höflich, bevor er die Tür langsam öffnete. Sie knarrte und war schwergängig. Hier fehlte der Mann im Haus. Er nahm sich vor, einen Handwerker vorbeizuschicken. In der Hütte war es dunkel, doch durch ein Loch im Dach schien die Sonne herein. Ravi macht sich eine Notiz im Geist. Tür, Dach. Und überhaupt … Die alte Frau saß schlafend am Tisch, sichtlich erschöpft.

Sie ist viel zu alt für die Arbeit als Wäscherin und dazu noch all die Kinder. Wo ist ihre Tochter? Ravi wollte sie sanft anstupsen, aber der Junge kletterte ohne Rücksicht auf ihren Schoß und jammerte. Gulda wachte auf und nahm das weinende Kind liebevoll in die Arme. Erschrocken bemerkte sie dann, dass in ihrer Behausung ein Mann stand. Eine Weile starrte sie ihn an, dann dämmerte es ihr.

„Kastellan! Hoher Herr, was macht Ihr hier bei mir? Hat Gonni etwas angestellt?“

„Könnte man so sagen. Wegen seiner Unvernunft ist einer der Wolfshunde tot. Ich musste ihn töten, sonst hätte er das Kind totgebissen. Die Kette hat sich aus der Mauer gelöst.“

„Was hat das mit dem Kleinen zu tun, hat er etwa die Kette rausgerissen?“

„Nein, er hat die Hunde mit einem Fleischknochen geärgert. Er ist leichtsinnig. Ich will nicht, dass er sich nochmals in der Nähe der Kaserne aufhält. Fargon hat dort absolut nichts zu suchen. Verstanden? Das ist kein Ort für kleine Kinder.“

„Ja, Herr. Es tut mir leid. Ich werde ihn bestrafen.“

„Nein, der ist genug gestraft. Gonni hat einen großen Schreck bekommen. Nicht wahr, Junge? Du versprichst deiner Großmutter und mir, niemals wieder dort hinzugehen, ja?“

Kleinlaut nickte Gonni, gleichzeitig genoss er auch offensichtlich die Aufmerksamkeit, die man ihm gab. Auch seine beiden Schwestern hatten sich genähert und lugten schüchtern, aber neugierig hinter der Großmutter hervor.

„Herr, verzeiht, bitte nehmt Euch den Hocker, setzt Euch. Alfa, hol frisches Wasser und einen sauberen Becher. Los, los!“

Das Mädchen sauste sofort los, die kleine Schwester folgte ihr.

„Wo ist die Mutter der Kinder?“

„Am Sommerfieber gestorben.“

„Gulda! Das habe ich gar nicht gewusst. Dann bist du ja ganz allein mit den Kindern und der Arbeit! Und dein Schwiegersohn?“

„Auf und davon im letzten Jahr. Der hat es hier nicht mehr ausgehalten.“

„Habt ihr denn genug zu essen? Kümmert sich wer um euch?“

„Seht die dürren Kinder an. Nein, wir haben nicht genug.“

Die Mädchen kamen von draußen vom Brunnen wieder und stellten Ravi einen angeschlagenen Becher auf den Tisch. Im Wasser schwamm eine tote Fliege.

„Danke.“

Ravi griff nun zum Hocker und setzte sich zu der Alten. Die Lieferanten mussten heute eben auf ihn warten. Das hier war ihm wichtiger. Er fischte die Fliege unauffällig heraus und nahm einen Schluck. Das Wasser schmeckte muffig, im Gegensatz zu dem, das sie in der Burg tranken. Plötzlich begann seine Hand zu zittern und er wurde blass.

„Kastellan, geht es Euch nicht gut? Seid Ihr beim Kampf verletzt worden?“, fragte Gulda besorgt.

„Nein, nein. Alles gut. Es ist nur … ich fühlte mich plötzlich unwohl. Vermutlich sitzt mir nur der Schreck noch in den Knochen. Ich hatte schon gesehen, wie Gonnis Hand im Maul …“ Abrupt brach er den Satz ab. Was zum Geier war ihm widerfahren? Während er in die Luft starrte, zog die Erinnerung durch seinen Geist. Die Welt war schwarz-weiß geworden und langsam, ganz langsam, als würde sich die Zeit dehnen. Er hatte etwas gesehen, das noch nicht geschehen war, dann aber doch geschah. Wenngleich nicht ganz so wie in der Vision.

Vision? Nur Zauberer und Heilige hatten Visionen. Er war weder das eine noch das andere. Aber was war er dann?

Gonni quengelte wieder, er verlangte ein Märchen von der Großmutter und seine Schwestern fielen in die Bitte ein.

„Na gut, ihr kleinen Quälgeister. Ich erzähle euch was, damit ihr euch alle wieder beruhigt. Gleich, wenn der Herr gegangen ist.“

„Jetzt! Ich will aber jetzt!“, verlangte der Junge und drückte noch ein paar Tränchen heraus, um sein Begehren zu verdeutlichen.

Ravi lächelte. „Sag, Gulda, würde es dir etwas ausmachen, wenn ich noch bleibe und zuhöre? Sag es keinem weiter, aber ich liebe Märchen. Meine Mutter hat mir oft welche erzählt. Am liebsten hatte ich Geschichten über die Drachen.“

„Jaaaa, ein Drachenmärchen bitte!“, riefen die Kinder.

„Na schön. Aber brav sein und gut zuhören. Und danach waschen wir weiter und ich will keine Widerworte hören.“

Ravi entspannte sich etwas. Momentan wusste niemand, wo er war. Also hatte er jetzt ungestörte Zeit. Niemand würde erfahren, dass sich der Kastellan zu Finsterfels von einer zerlumpten Wäscherin Märchen erzählen ließ.

Gulda schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich. Dann begann sie:

„Vor langer, langer Zeit, als noch die acht Drachen in Octa über die ganze Welt herrschten, war das Land reich an Nahrung und Schönheit für alle, die darin lebten, Mensch und Tier. Und auch das Kleine Volk und die Weisen des Nordens lebten friedvoll und alle wirkten zusammen für das Gute. Doch eines Tages fiel ein achtbeiniger Schatten über das Land! Ein Dämon war aus dem Reich der Finsternis ausgebrochen. Oder hatte man ihn verbannt? Wer weiß … Er nistete sich unter der Drachenburg ein und wartete auf die Gunst der Stunde. Herrschen wollte er! Ein Reich ganz für sich allein haben! Und die, die darin lebten, wollte er knechten, auf dass sie ihm allein dienten bis zu ihrem letzten, bitteren Atemzug. Es gab nur eine einzige Gelegenheit für ihn, um sein Ziel zu erreichen. Nur einen Moment, in dem sein Angriff erfolgreich sein konnte: Die achte Mitternacht im achten Monat eines Achterjahres! Es war im Jahr 888 nach dem großen Erdbeben. In diesem besonderen Moment schliefen die vier Wächterdrachen für eine Minute ein zur Erholung. Jedes Wesen muss mal schlafen. Und nichts und niemand hätte sie in dieser Minute wecken können, wirklich keine Macht der Welt.

Der Dämon hatte die Form einer riesigen Spinne angenommen. Er fand es wohl passend, dass ein achtbeiniges Tier die Missetat vollbringen sollte. Warum? Weil doch im Lande Octa die Acht als heilig verehrt wurde. Er wob in einer Höhle unter der Burg ein Netz und wartete dort geduldig auf diese so besondere Mitternacht. Was genau geschah in dieser einen Minute, als die Wächterdrachen schliefen, ist nicht überliefert. Man weiß nur, dass die vier Drachen der Weisheit und der Liebe, deren Herzen aus purem Lichtgold waren, verschwanden. Für immer. Lange Zeit suchten Menschen und Wächter nach ihnen, doch vergeblich. Langsam, fast unmerklich, veränderte sich nun das Land. Und mit ihm seine Bewohner. Nicht nur Wiesen und Weiden verdorrten immer wieder, nicht nur die Flüsse und Seen – auch die Herzen der Menschen. Kaltherzig wurden sie, neidisch, gierig. Manch einer tauschte sogar seinen Pflug gegen das Schwert und zog in einen Raubzug nach dem anderen.

Der Geist des Dämons sickerte immer tiefer ein ins Land und er ergötzte sich an Gewalt und Not. So verdorben war er! Die Spinnenpest, so mag man es nennen, breitete sich über die Grenzen von Octa aus bis hin in unser Land Theradon, meine lieben Kinder. Seid auf der Hut und schützt euer gutes, kleines Herz. Eins noch, Kinder. Wir wollen die Hoffnung niemals aufgeben, dass die guten Drachen von Octa noch am Leben sind und sich nur verborgen halten. Mag sein, dass ihre Wächter sie wiederfinden. Nur ihre Drachengoldmagie kann die Welt heilen und Frieden und Freude in unser Land bringen.“

Der kleine Gonni war auf dem Schoß der Großmutter eingeschlafen. Auch Ravi war entspannt und wünschte sich, das Märchen möge weitergehen. Er bedankte sich, dass er hatte bleiben dürfen und versprach der Wäscherin, er würde einen Handwerker schicken, der ihr das Haus repariert. „Und ein paar Vorräte werde ich euch auch zukommen lassen. Versprochen. Jetzt werde ich gehen und meine Arbeit als Kastellan tun. Gulda, diesen Vormittag werde ich nie vergessen.“

Die Waschfrau lächelte ihn versonnen an. „Weißt du, Junge“, von ihr unbemerkt wechselte sie in die Vertraulichkeit, „dass du große Ähnlichkeit mit deiner Mutter hast? Ich habe sie gut gekannt.“

Ravi griff sich wieder den dreibeinigen Hocker und nahm erneut Platz. Die Arbeit konnte weiterhin warten. Das hier war wichtiger. Seine Mutter! Woher kannte sie eine einfache Wäscherin?

„Nein, das wusste ich nicht. Ich dachte immer, ich komme mehr nach meinem Vater. Mutter hatte sehr helles Haar, meines ist dunkel.“

„Ja, das stimmt. Aber du hast ihre grünen Augen und ihre Güte, ihr Lächeln, ihre Ehrlichkeit.“

Ravis Wangen röteten sich leicht, seine Augen glänzten. Es war so schön, jemanden über die Mutter sprechen zu hören, wie er sie in Erinnerung hatte.

„Heute Morgen war ich am Grab meines Vaters und ich wünschte mir, sie läge dort neben ihm. Es war dort auch der … nun, es war noch jemand auf dem Waldfriedhof. Er sagte mir, sie hätte das nasse Grab gewählt, weil sie zu schwach war, ohne meinen Vater zu leben. Aber ich mag das nicht glauben. Es passt nicht zu ihr, sie war doch immer so fröhlich, stark und liebevoll.“

Gulda nickte. „Niemals hätte sie dich freiwillig allein gelassen.“

„Wenige Tage nach der Beerdigung ist sie aber verschwunden. Das ist schon zehn Jahre her. Ich war damals noch ein Kind. Ich weiß noch, wie ich alle Leute ausgefragt habe, doch niemand hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie in den Fluss ging, um sich zu ertränken. Und bald darauf verbot man mir, immer dieselben Fragen zu stellen.“

„Marianna hat dich sicher nicht mit Absicht zurückgelassen. Ich denke, es war ein Unfall. Sie muss wohl auf nassem Stein ausgerutscht sein. Wir Wäscherinnen kennen die Stellen am Fluss, wo es gefährlich ist. Deine Mutter hat ja nie selbst waschen müssen.“

Ravi nickte traurig. Eine Träne lief ihm über die Wange. Gulda wischte sie mit ihrem knochigen Zeigefinger weg, zog dann erschrocken ihre Hand zurück. „Verzeiht, Herr, ich wollte Euch nicht anrühren, es kam so über mich, denn Ihr seht gerade wie der Zwölfjährige von damals aus.“

„Schon gut. Ich muss jetzt gehen. Dein Märchen war schön. Das kannte ich noch nicht. Heute noch werde ich dir den Handwerker schicken. Zeig ihm alles, was kaputt ist, er wird es richten.“

„Mögen die Golddrachen allzeit über Euch wachen, Kastellan! Ihr seid ein ehrenwerter Mann.“

2

Ravi verließ die kleine Siedlung mit wachen Blicken. Er registrierte die Zeichen der Armut und Vernachlässigung. Warum hatte er nicht schon früher hier nach dem Rechten gesehen? Nicht nur, dass die meisten Bewohner zerlumpt waren, er sah einige, die an der Krätze litten oder Husten hatten. Mitten im Spätsommer! Ein Junge mit einem schlecht verheilten Beinbruch humpelte einer Schar Gänse hinterher, die er offenbar auf eine der Weiden treiben musste. Ein angriffslustiger Ganter machte ihm zu schaffen, mit einer Gerte hielt das Kind ihn mühsam von sich fern. Ravi wurde von zwei oder drei Dörflern halbwegs freundlich begrüßt, die Mehrzahl grüßte unwillig oder gar nicht. Am Rande der kleinen Siedlung hielt ein alter, gebeugter Mann ihn auf. Er griff nach seinem Unterarm und zwang ihn so stehenzubleiben. „Herr, wenn Ihr zum König geht, sagt ihm, wir sterben. Sagt ihm, das Land stirbt. Er sieht es nur nicht.“

Angewidert vom Gestank des Alten, der nur noch drei faule Zähne im Mund hatte, machte Ravi sich schweigend los. Er wusste nicht, was er hätte sagen können. Doch er nickte ihm wenigstens zu, als Zeichen, dass er seine Worte ernst nahm. Dann verfiel er in einen Laufschritt und war erleichtert, als er wieder auf gewohntem Terrain war. Ihm fiel auf, dass der Schuppen, wo sie Wolle und Flachs lagerten, bis sie von den Mägden gesponnen wurden, immer noch von dichtem Efeu bewachsen war. Er erwischte Rantor, den faulsten aller Knechte, wie er sich hinter dem Schuppen liegend die Sonne auf den Bauch schienen ließ und dem Nichtstun frönte.

„Ey, Faulpelz, elender! Hatte ich dir nicht schon vorgestern aufgetragen, dass du das alte Efeu abreißen sollst, weil sich dort die Flederratten ihre Nester bauen?“, schrie er ihn an und trat dem Kerl leicht in die Seite. „Steh auf, sonst helfe ich nach!“

Missmutig stand der Knecht auf, ihm war der Ärger deutlich anzusehen. Doch da er nicht nur faul, sondern auch feige war, schaffte er es nicht, dem Kastellan in die Augen zu sehen. „Ja, Herr“, murmelte er und schlurfte los, die Ranken mit seinen kräftigen Händen abzureißen.

„Ich will hier keine Nester mehr sehen, verstanden? Die schmutzigen Viecher bringen Unglück und Krankheiten.“

Ravendor überzeugte sich noch aus einiger Entfernung, ob der Knecht wirklich die Arbeit verrichtete und wandte sich dann angenehmeren Inhalten zu. Auf dem Vorhof warteten einige Händler auf ihn. Unter ihnen ein für ihn neuer fahrender Händler, was Ravis Herz mit freudig beschleunigtem Herzschlag kommentierte. Was er wohl in seinem Planwagen geladen hatte? Bücher? Er sah recht gepflegt aus, schien keine materielle Not zu haben. Diese Ablenkung von der Armut und Not im Dorf war ihm sehr willkommen. Leider musste die Erkundung seiner Habe warten, denn die Stammhändler hatten Vorrang, insbesondere die mit verderblicher Ware.

„Rudolf, sei gegrüßt. Hast du das bestellte Gemüse dabei?“, fragte Ravi ohne große Hoffnung, denn Rudolf neigte dazu, Versprechungen zu machen und nicht zu halten.

„Ja, Herr.“ Der Händler machte einen tiefen Bückling.

So höflich war er sonst nicht und Ravi ahnte schon, dass er einer neuerlichen Enttäuschung entgegensah.

„Zeig her.“

Der Mann schlug die Plane von der großen Schubkarre zurück. „Bestes Feingemüse vom großen Markt aus Erigold.“

Ravi schaute entgeistert in die Körbe und Kisten und wühlte ein wenig darin.

„Bist du noch bei Sinnen? Das ist alles halb vergammelt, man kann es höchstens den Schweinen zum Fraß vorwerfen. Soll das vielleicht auf der Tafel des Königs serviert werden?“

„Mit einer fetten Soße kann man das noch gut essen, Kastellan. Ich weiß gar nicht, warum Ihr Euch so aufregt. Die Wirtshäuser in Sprehlstädt nehmen mir die Ware mit Kusshand ab! Es gibt viele hungrige Menschen in diesem Land.“

„Das reicht, du verschwendest nur meine Zeit. Ich will dich hier nicht mehr sehen, verstanden?“

Seine Laune sank rapide und die lindernde Wirkung von Guldas Güte verflüchtigte sich. Ravi arbeitete acht weitere Händler ab, stellte Gutschriften aus, die sie sich beim Kämmerer in barer Münze auszahlen lassen konnten. Letztlich war nur noch der bunt angemalte Wagen des fahrenden Händlers auf dem Hof. Aus Erfahrung wusste Ravi, dass es vorteilhafter war, nicht allzu interessiert dreinzuschauen, das erhöhte nur die Preise. Er tat so, als wäre er mit der Lektüre seines Notizbuches beschäftigt, und dann inspizierte er seine Fingernägel und schnipste den Dreck darunter weg.

„Mein Herr, Ihr seid der hochwohlgeborene Kastellan, wie man mir sagte. Ich entbiete Euch meinen Gruß, Conradis ist mein Name.“

„Ganz recht, ich bin der Kastellan zu Finsterfels. Willkommen. Was hast du zu bieten?“

„Wenn Ihr mir bitte folgen wollt, Herr. Ich führe seltene Waren mit. Heilmittel, feinste Stoffe, Geschirr, Bänder für die Haare der Edeldamen und Borten aus Spitze und Brokat. Für die Herren Pfeifentabak aus Übersee, geschliffene Gläser für die Alten, die nicht mehr den nötigen Scharfblick haben. Und das ist noch längst nicht alles.“

„Das klingt interessant. Edeldamen hat Burg Finsterfels nicht vorzuweisen, aber der König freut sich bestimmt über den Tabak. Wie meinst du das mit den geschliffenen Gläsern?“

Überrascht blickte der Händler den jungen Mann an. Offenbar war er hier am rechten Ort, nämlich bei ahnungslosen Leuten, denen er mit seinem Verkaufstalent einiges andrehen konnte. Nach einer halben Stunde ungefähr, in der leidenschaftlich gefeilscht wurde, war Ravi im Paradies. Denn Conradis führte eine ganze Truhe voll Bücher mit sich! Leider war kein Volkssagenbuch darunter, aber die naturkundlichen Abhandlungen über Meerestiere, Vögel und Waldtiere gefielen ihm sehr. Die Zeichnungen waren fantastisch. Das Lehrbuch über Ackerbau kam ihm wie gerufen nach dem neuerlichen Gemüsedesaster. Die „erbaulichen Gedichte“ von Meister Florianus würde er hier niemandem vorlesen können, aber die „Kunst des Krieges“ war für seinen Onkel bestimmt von Wert. Ravi legte alles, was er kaufen wollte, in den großen Korb, den er sich von einem Diener hatte bringen lassen.

„Bitte gedulde dich etwas, Conradis. Ich muss zum Kämmerer und ein Säckchen Münzen holen. Ich lasse dich in unser Händlerbuch eintragen, dann kannst du beim nächsten Mal selbst dein Geld vom Kämmerer holen. Vielleicht magst du derweil etwas essen und trinken? Ich lasse der Küche eine Nachricht zukommen, dass du heute Mittag Gast der Burg bist.“

„Sehr freundlich, doch möchte ich alsbald weiter, um mich zur nächsten Stadt zu begeben.“

Eine kleine Traube Neugieriger hatte um den Planwagen gebildet, die ihre Hälse reckten, um einen Blick auf die Kostbarkeiten zu werfen. Conradis warf ihnen einen skeptischen Blick zu. Die sahen allesamt nicht zahlungsfähig aus.

„Mich wundert, dass du ohne bewaffnete Begleitung unterwegs bist.“

„Ich fahre in einer Reisegesellschaft, wir bezahlen gemeinschaftlich einen kleinen Trupp berittener Kämpfer. Sie lagern am Rande der Stadt. Jedenfalls soll es dort Wirtshäuser und gute Ställe für die Pferde geben.“

„Sprehlstädt?“

Ja! Ich meine, das war der Name. Nun. Ich will möglichst bald zurück zu meinen Reisegefährten, daher lehne ich in aller Dankbarkeit und Höflichkeit Euer Angebot der Bewirtung ab.“

„Wie du meinst. Ich beeile mich. Pack mir derweil auch diese Sachen in den Korb. Der Diener wird ihn in die Burg tragen.“

Es war kein Leichtes, den Kämmerer dazu zu bewegen, ein Säckchen mit Silbermünzen herauszurücken. Doch Ravi schaffte es, indem er dem Alten versprach, etwas vom Tabak abzuzweigen und so ein ominöses, geschliffenes Augenglas mitzubringen, das das Sehvermögen verbessern sollte. Ravi hatte durchgeblickt, aber nur verschwommen gesehen. Der Händler hatte ihm versichert, das läge daran, dass er offenbar Augen wie ein Adler hätte. Die Gläser wären für Ältere gedacht, deren Augen trüb wurden.

„Bevor Ihr geht, mein Kastellan, möchte ich Euch noch etwas zeigen.“ Mit großer Geste holte er eine kleine Truhe hervor, die selbst ein Schmuckstück war mit ihren Perlmutt-Intarsien. Darinnen befand sich einiges an Schmuck. Ketten, Ringe, Armbänder. „Für Eure Geliebte, junger Herr. Oder seid Ihr gar schon mit einem zarten Eheweib verbunden?“

Ravi wurde rot. Er hatte weder das eine noch das andere vorzuweisen. Allerdings gab es da die eine Maid … Er räusperte sich. „Zeig mir den Ring da. Der gefällt mir. Er sieht aus wie eine kleine Krone.“

„Ihr habt einen guten Geschmack, das habe ich Euch gleich angesehen, dass Ihr ein Mann von Welt seid“, schmeichelte Conradis. „Wenn Ihr mir zusichert, auf dem Rückweg mit einem Händlertross wieder zu Burg Finsterfels kommen zu dürfen, um neue Geschäfte zu tätigen, gebe ich ihn Euch zum halben Preis.“

„Und der wäre?“

Der Händler nannte ihn und Ravis Gesicht erhellte sich. Das entsprach in etwa seinen Ersparnissen für besondere Lebenslagen. Er wusste auch genau, wem er diesen Ring schenken würde. Damit hätte er ihre volle Aufmerksamkeit. Allerdings war es noch zu früh für so ein wertvolles Geschenk. Außer einer kleinen Tändelei war noch nichts geschehen. Doch was nicht war, konnte noch werden …

„Ich nehme ihn. Und komm gerne wieder auf dem Rückweg vorbei. Bring mehr Bücher mit. Über Heilkunst! Es soll vereinzelt noch Klöster geben, die darin bewandert sind und Bücher schreiben. Und Pergament und Tinte! Daran mangelt es uns. Und Saatgut! Ich will im Frühling einen Gemüsegarten anlegen. Junge Bäume und Obststräucher wären wunderbar. Kennst du Händler, die mir das liefern können?“

Conradis nickte huldvoll. Er kannte zwar keine, aber auf seiner einjährigen Rundreise würde er sicherlich welche finden. „Einverstanden! Habt Dank für den guten Handel.“

Ravi scheuchte nebenbei die Gaffer zurück an die Arbeit. Den Ring hatte er in der Hand behalten. Sorgfältig barg er ihn in seiner Hemdtasche und schloss den Knopf aus Hirschhorn.

Dadurch, dass der König seit Jahren verwitwet war, gab es keinen Bedarf für Zofen und feine Hofdamen. Dementsprechend sah es in der Burg aus. Es fehlte die weibliche Hand. Überall. Der Raum, in dem er mit seiner Familie die Mahlzeiten einnahm, war kühl, trist und schmuddelig. Des Königs Lieblingshunde balgten sich um die Reste, die auf dem Boden lagen, oder jagten einander spielerisch durch den Raum oder fingen Ratten. An der Hohen Tafel, die nur ein aufgebocktes, großes Brett war, saß Ravi am Abend mit seinem Onkel, seinem Vetter Gandor, und dem Burgvogt nebst Kämmerer. Ein kümmerlicher Hofstaat, verglichen mit dem, was er aus seinen Büchern kannte.

Die Köchin, eine Frau mit großer Leibesfülle und enormer Muskelkraft, stellte ruppig einen großen Topf mit Gerstengrütze auf den Tisch. „Guten Hunger, Majestäten“, sagte sie und verließ eilig den Raum. Sie hatte noch mehr Mäuler im Gesindehaus zu stopfen.

„Wo ist das Fleisch?“, brüllte König Heribert hinter ihr her. Da er keine Antwort bekam, wandte er sich an den Burgvogt, indem er ihn wütend anstarrte.

„Mein König, die Jäger sind noch nicht zurück. Es gibt kaum noch Wild im Wald, sie müssen weite Wege zurücklegen.“

„Das ist mir doch egal!“, rief der Herr der Burg. „Dann will ich wenigstens ein gebratenes Huhn!“

„Der Fuchs hat letzte Nacht die letzten Hühner geholt. Vermutlich war es eine ganze Horde Füchse. Ein richtiges Massaker“, warf Gandor ein. Unauffällig zwinkerte er Ravi zu.

„Dann geht doch zu den Bauern und holt ein paar Rinder.“

„Vater, die meisten Bauern hungern. Es gibt kaum noch Rindvieh seit der Seuche im Frühling. Ein paar kümmerliche Milchkühe und zwei Stiere haben überlebt. Die müssen wir ihnen lassen. Sonst haben wir auch bald keine Bauern mehr.“

„Ach was, alles Unsinn. Dieses Land war immer ein reiches Land. Die verstecken bloß alles vor uns! Gandor, du nimmst heute noch die Soldaten mit und treibst alles zusammen. Ich habe Hunger.“

„Ja, Vater.“ Gandor blickte strikt auf seinen Teller und verdrehte genervt die Augen. Natürlich würde er das nicht tun.

Des Königs Stimmung schlug plötzlich ins Weinerliche um. „Früher, als meine Lula noch lebte, hatten wir sogar Rosenbeete und Frohsinn, Musik und Tanz. Mit ihr ist die Schönheit von der Welt gegangen. Und aller Reichtum.“ Heribert seufzte tief und verstummte.

Burgvogt Alfons und der Kämmerer schwiegen betroffen. Der König war schon wieder betrunken.

„Mein König, vielleicht kann ich etwas zur Besserung der Lage beitragen. Ich plane, einen großen Garten anzulegen. Ein neuer Händler wird mir Saatgut besorgen und Obstbäume und dann will ich …“

„Bist du blöd, oder was?“, schnitt Heribert seinem Neffen Ravi das Wort ab und seine Stimmung wechselte sprunghaft ins Grantige. „Ich will Fleisch! Gebratenes Fleisch. Wächst das vielleicht an Bäumen? Schließlich bin ich hier der König! Gemüse ist was für feine Damen. Siehst du hier welche?“

Ravi löffelte verbissen die Grütze, die mit etwas Speck und Zwiebeln angereichert war. Er würde trotzdem den Garten anlegen. Dann eben ohne Erlaubnis. Der Speiseplan musste unbedingt mit Gemüse und Obst angereichert werden. Und den neuen Tabak würde er seinem Onkel garantiert nicht geben. Nicht heute, nicht morgen. Das hatte er nun davon!

Alle aßen schweigend, der Hunger trieb es rein, nur der König schob seinen Teller angewidert von sich und schmollte grimmig. Aber auch nur so lange, bis bei ihm Futterneid aufkam. Er schnappte sich den Topf, als Bertil eine Portion nachnehmen wollte, und aß ihn leer. Seinen Teller warf er auf den Boden für die Hunde. Ein gewaltiger Rülpser entfuhr ihm, als er sich müde erhob, um seinen Schlafraum aufzusuchen.

Erleichterung machte sich breit unter den Zurückbleibenden. Der Kämmerer Bertil fragte den Kastellan, wie viel Geld er für das Saatgut zurücklegen solle, was Ravi erfreute.

„Wo genau soll denn der Garten angelegt werden?“, fragte der Burgvogt interessiert. „Die Arbeiter werden einiges an Gartenwerkzeugen brauchen. Am besten gebt Ihr es frühzeitig beim Schmied in Auftrag.“

Ravi freute sich, dass sein Plan Zustimmung erfuhr, und begann lebhaft mit der Beschreibung des Gartens, wie er sich ihn vorstellte. Er wollte auch Bewässerungskanäle anlegen und mehr Katzen innerhalb der Burg haben, die die Ratten und auch die Flederratten verjagen sollten, damit diese sich nicht am eingelagerten Gemüse und anderen Vorräten vergriffen. Als er dann noch über die Not in der kleinen Siedlung nahe der Burg berichtete, zog der Thronfolger es vor, den Raum zu verlassen.

Entrüstet blickten die älteren Männer ihm hinterher.

„Bestimmt reitet er wieder in die Stadt, um dort Zerstreuung zu finden.“

„Bertil, ich stimme Euch zu. Das macht er immer, wenn etwas schwierig oder unangenehm wird. Ganz ehrlich“, der Burgvogt senkte seine Stimme, „auf den König ist auch kein Verlass mehr. Gandor sollte seine Pflichten als Thronfolger ernster nehmen. Was, wenn die Nachbarkönigreiche merken, wie schlecht es um unser Königshaus steht?“

Lebhaft stimmte der Angesprochene zu. „Ganz recht. Und daher bin ich der Meinung, Ravendor-Elias wäre die bessere Wahl gewesen.“

Ravi war verblüfft und fand erst keine Worte. Doch ihm wurde richtig warm ums Herz, Stolz erfüllte ihn. „Aber ich bin doch nur sein Neffe. Ich habe keinerlei Recht auf den Thron und will ihn auch gar nicht. Der König muss seinen zweitgeborenen Sohn vorziehen, auch wenn der sich nicht die Bohne für sein Reich interessiert.“

„Parandirs Tod ist ein großer Verlust“, sagte Alfons ernst und seufzte aus tiefstem Herzen. „Ich sehe schwarz für die Zukunft. Der Bau der Kriegsschiffe frisst den Staatsschatz auf. Die Menschen verarmen und verrohen. Es gibt kaum noch Bildung. Manchmal wünsche ich mir, einzuschlafen und den nächsten Morgen nicht mehr zu erleben.“

Mitfühlend legte der Kämmerer kurz seine Hand auf die des Burgvogts und nickte. „Mein alter Freund, die Zeiten haben sich geändert. Wir sind bald Greise und können da nicht mehr mithalten. Letztlich liegt die Verantwortung beim König, allein bei ihm. Wir können nicht viel tun. Ich bin es auch leid, aber ich will die Hoffnung wider alle Vernunft nicht aufgeben. Es heißt, wenn die Not am größten ist, kehren die Drachen von Octa zurück und bringen Frieden und Freiheit.“

Überrascht schaute Ravi den Kämmerer an. Hatte er hier etwa einen Gleichgesinnten in der Burg? „Ihr kennt die alten Märchen?“

„Sicher. Ich war schließlich auch mal ein Kind und bin nicht als alter, knorriger Mann zur Welt gekommen.“ Amüsiert kicherte er. „Natürlich glaube ich nicht wirklich daran. Es sind Geschichten für kleine Kinder. Aber es tut gut, sich für einen Moment aus der Realität zu flüchten.“

Die beiden Männer standen von ihren Stühlen auf und verabschiedeten sich vom jungen Kastellan. Ravi blieb nachdenklich zurück. Irgendwann fiel ihm auf, dass die Hunde gar nicht ihrem Herrn gefolgt waren, sondern in einer Ecke lagen und schliefen. Eine Magd kam, um das benutzte Geschirr zu holen.

Sich aus der Realität flüchten … Genau das würde Ravi jetzt tun. Er durchquerte die Burg und ließ sich nicht aufhalten. In seinem privaten Raum angekommen, schloss er die Tür hinter sich. Dieses Mal würde er sie nicht öffnen, bis er das neue Buch zur Gänze gelesen hätte. Das schwor er sich. All sein Einsatz, seine Ernsthaftigkeit, die Sorgfalt, seine Anständigkeit – nichts davon wurde vom König oder dem Thronfolger wertgeschätzt. Sollten die beiden doch saufen und huren – ihm sollte es egal sein. Das hier war nicht seine Burg. Er war hier nur zufällig geboren. Am liebsten hätte Ravi noch die schwere Truhe vor die Tür geschoben, aber der Riegel musste reichen, um ungestört zu sein. Das Buch lag verheißungsvoll auf seinem Tisch. Durch das Fenster schien das Licht auf angenehme Art. Es blendete nicht, es war genau richtig. So als würde selbst die Sonne wollen, dass er endlich in die Welt der Märchen abtauchen konnte. Er konnte nicht anders, als den Ledereinband nochmals unter seinen Fingerspitzen zu befühlen, am Leder zu schnuppern und auch den Duft des Papiers zu genießen. Da war noch ein würziger Duft, den er nicht einordnen konnte. Angenehm, warm, beruhigend … gleiches hatte er noch nie gerochen. Er atmete tief ein und schlug selig lächelnd das Buch auf. Auf der ersten Seite war ein Bild, kunstvoll gemalt in mehreren Farben, wie nur gut ausgebildete Klosterbrüder es vermochten. Es zeigte ein hellgraues Schloss. Weiße Fahnen mit einer goldenen Krone flatterten fröhlich im Wind, der Himmel war sommerblau. Ein achteckiger Turm dominierte die Burg, die ungewöhnlich komplex gebaut war. Am Rande des Blatts waren seltsame Symbole aneinander und untereinander gereiht, wie zarte Borten auf dem Kleid einer Edeldame umrahmten sie das Bild. Seltsam war, dass keine Tiere und gar keine Menschen abgebildet waren. Über dem Tor der Burg war eine stehende Acht und eine liegende Acht eingemeißelt. Sie durchdrangen einander in ihrem Mittelpunkt und bildeten so eine vierblättrige Blüte. Gespannt blätterte Ravi die Seite um, begierig darauf, die erste Geschichte zu lesen.

Er verstand es nicht. Da waren viele Worte, Sätze, alle kunstvoll geschrieben. Doch er konnte nicht ein Wort entziffern! Fieberhaft blätterte Ravi die nächsten Seiten um. Alles Kauderwelsch. Hatte er etwa seine Fähigkeit zu lesen verloren? Oder war das eine fremde Sprache? Warum hatte der Händler ihn nicht vorgewarnt? Du bist so ein Idiot, keiner kauft die Katze im Sack, nur du! Leises Sirren und Schwirren irritierte ihn. Auf dem Fenstersims saß wieder diese zu groß geratene Libelle. Erneut schien sie ihn mit ihren Augen zu fixieren. Plötzlich entlud sich in Ravi die Enttäuschung über den Tag, das Buch und überhaupt … sein ganzes Leben war doch nur ein großer Haufen Mist! Er war hier nichts als ein nützlicher Gefangener, der seinem König bis zum letzten Tag im Leben zu dienen hatte, nur weil zufällig dasselbe Blut in ihren Adern floss.

„Ich will das nicht!“, schrie er und warf ein Griffeleisen nach der Libelle, die geschickt auswich, eine Runde durch das Zimmer drehte und auf dem Tisch vor ihm landete. Ravi sah ihre Schönheit, die vielen schimmernden Farben … und er schämte sich, dass er sie angegriffen hatte. „Es tut mir so leid“, stammelte er, ob sie ja nur ein Tier war und ihn nicht verstehen konnte. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, schoss sie nach vorn und zwickte ihn kräftig in den linken Zeigefinger. Ein winziger Tropfen Blut quoll hervor. Irritiert suchte Ravi nach einem Taschentuch in seiner Brusttasche, doch fand er etwas wesentlich Kostbareres: den Ring. Er beließ ihn dort. Die Libelle flog durchs halboffene Fenster davon. Ratlos blieb Ravi zurück und fühlte sich noch einsamer und verlassener als sonst. Er schlug das Buch wieder zu. Vielleicht konnte er es an den fahrenden Händler verkaufen, wenn der nächstes Jahr von seiner Rundreise wiederkehrte. Ich hätte ihn fragen sollen, ob er mich mitnimmt!

Den ganzen Nachmittag verbrachte Ravi faulenzend auf seinem Bett und schwelgte hin und wieder in Selbstmitleid. Heute war einfach nicht sein Tag. Als die Sonne hinter der großen Linde verschwand, kündigte sich der späte Nachmittag an. Ravi hielt es nicht länger in seinem Zimmer aus. Dafür war er nicht geschaffen, Bewegungsdrang ließ seine Beine zucken und ihm fiel ein, was er viel zu lange schon vernachlässigt hatte: sein Kampftraining! Er zog sich lockere Kleidung an und seine bequemsten Stiefel, dann machte er sich auf den Weg in den anderen Flügel der Burg, wo die Wirtschaftsräume lagen. Rufus würde ihn nur wissend anschauen, aber nicht kritisieren. Der einarmige Alte war der beste Lehrer, den er sich nur wünschen konnte. Er hatte es dem warmherzigen Burgvogt zu verdanken, dass der ehemalige Waffenmeister hier eine eigene Kammer und regelmäßige Mahlzeiten auf Finsterfels erhielt, und zwar bis an sein Lebensende, als Dank für treue Dienste. Einen Veteran setzte man nicht einfach vors Burgtor auf Nimmerwiedersehen! Rufus war Ravis bester Freund, trotz des enormen Altersunterschieds von mindestens drei Jahrzehnten.

„Wer stört?“, erklang eine raue Stimme, als Ravi anklopfte.

„Jemand, der sich nach Schweiß und blauen Flecken sehnt“, entgegnete er, vor lauter Vorfreude grinsend.

„Komm rein, Junge.“

Ravi trat ein und schloss hinter sich die Tür. Der Raum strahlte wie immer eine herbe Männlichkeit aus. Er war sauber, aber unordentlich und spärlich möbliert. Sogar die offene Feuerstelle war frei von Asche. Für einen Moment blieb er dort stehen und schaute den Älteren prüfend an. Sein Gesicht war eher rosig und nicht grau. Es ging ihm heute also gut.

„Du warst lange nicht mehr hier, Kleiner, bist wohl bequem geworden“, tadelte er den Kastellan mit einem Lächeln.

„Wie ich sehe, geht es dir heute gut, Rufus. Können wir ein wenig rausgehen und uns gegenseitig die Köppe einhauen?“

„Nicht nur das. Ich hau dir auch die Hucke voll, wenn du willst. Der Tag wird nicht so schnell kommen, an dem du mich besiegst.“

„Rufus, du weißt, das werde ich nie schaffen. Will ich auch gar nicht. Dann würde ich ja meinen Held vom Sockel stoßen.“ Ravi legte seinen Kopf schief und betrachtete die neue, extravagante Flechtfrisur des Schwertmeisters. „Lass mich raten, das war Sella oder Anuna. Die anderen haben nicht die Geduld für so viele kleine Zöpfe.“

„Anuna. Du bist ein schlauer Kerl, aber jetzt nimm dir das Übungsschwert da, ich habe dir ein neues schnitzen lassen. Es hat in etwa dasselbe Gewicht wie ein echtes.“

Ravi strahlte übers ganze Gesicht. „Danke!“

„Mit dem Dolch kannst du gut umgehen, habe ich gehört.“

Das Strahlen verschwand und machte dem Schmerz Platz. „Du bist wie immer gut informiert. Ich musste das tun. Der Hund hätte sonst mich oder das Kind getötet.“

„Oder euch beide“, entgegnete Rufus ernst. „Ich habe mit dem Hauptmann gesprochen. Wenn er die Kriegshunde nicht ab sofort sicher wegsperrt, werde ich persönlich dafür sorgen, dass sie nie wieder eine Gefahr sind. Er weiß, dass ich das ernst meine. Und weil ich ihn und seinen schlechten Charakter kenne, werden wir deinen Unterricht verdoppeln und verdreifachen. Ich will, dass du dich gegen ihn verteidigen kannst, wenn nötig.“

„Ich kenne diesen Gesichtsausdruck von dir, Rufus.“

„Ach ja?“, tat der Mann unschuldig und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

„Das wird heute hart für mich, oder?“

„Nicht nur heute, verlass dich drauf. Ab jetzt bekommst du Unterricht für einen Krieger.“

Rufus schnappte sich eins der alten Holzschwerter, die in der Ecke neben dem Regal standen, und machte die Tür zum Hinterhof mit dem Fuß auf. Ravi folgte mit seinem neuen Übungsschwert. Es lag ihm gut und schwer in der Hand. Dass dieser Innenhof durch eine hohe Mauer eingerahmt war, machte es unmöglich, beim Training beobachtet zu werden, wofür er unendlich dankbar war. Anfangs hatte er sich ungeschickt angestellt und viel Lehrgeld in Form von blauen Flecken und Hautabschürfungen bezahlt. Aber das war es wert gewesen.

„Zuerst machst du dich etwas warm.“ Rufus deutete mit dem Kinn zur Südseite, wo eine Axt an der Mauer angelehnt war.

„Ich soll Holz hacken?“, rief Ravi entgeistert. „Jetzt?“

„Nein, gestern. Na klar jetzt! Los. Die Sonne geht bald unter und vorher will ich dir die Grundlagen beibringen. Wie man ein Schwert hält zum Beispiel und nicht beim Gehen darüber stolpert.“

Ravi streckte ihm die Zunge raus und griff dann zur Axt. Holz hacken war, so komisch das sein mochte, eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Aber das musste er Rufus ja nicht sagen. Während er gleichmäßige Scheite produzierte, die sein Mentor ordentlich unter der Überdachung an der Mauer stapelte, überlegte er, ob es weise sei, Rufus von dieser merkwürdigen Vorausahnung in schwarz-weiß zu erzählen.

Drei lange Stunden hatte der Unterricht gedauert. Ravi tat jeder Muskel weh und an der rechten Hand zählte er mindestens drei Blasen. Die vierte rote Stelle hatte wohl noch nicht entschieden, was sie sein wollte, ob blankes Fleisch oder werdende Blase, aber sie tat schon mal höllisch weh. Rufus hatte mitleidlos gemeint, das läge eben am Kastellan- und Schreibtischdienst, das wäre keine Arbeit für echte Männer, schon gar nicht für einen jungen Mann in Saft und Kraft. Als ob er eine Wahl gehabt hätte! Der König hatte entschieden, dass er nicht zum Krieger ausgebildet wurde. Dabei hatte er seit jeher seinem Vater folgen wollen und ebenfalls als Offizier dem Reich dienen. Mit den Jahren hatte er allerdings diesen Wunsch verloren und fand großen Gefallen an der Welt der Bücher und Zahlen. Dass er nun doch ein privates, echtes Kampftraining erhielt, erfüllte ihn mit Stolz und Dankbarkeit. Der alte Rufus war wählerisch, was seine Schützlinge anging.

Während Ravi den langen Gang, der zum anderen Flügel der Burg führte, verschwitzt entlanghinkte, fiel ihm ein, dass er keine Entscheidung getroffen hatte, ob er sich nun Rufus anvertrauen konnte – oder nicht. Möglicherweise hatte er durch den Schock nur eine veränderte Erinnerung, und das alles war gar nicht wirklich so geschehen. Schließlich hatte er große Angst gehabt. Besser, er schwieg über die Angelegenheit. Er konnte immer noch darüber reden, falls es nochmal passierte. Plötzlich hörte er ein Kichern. Das waren mindestens zwei, eher drei weibliche Stimmen, die aus dem Lagerraum für nicht mehr benötigten Kram erklangen. Etwa Diebinnen? Dazu jetzt eine tiefere Stimme, die etwas sagte, was die Mädchen zu einem weiteren Heiterkeitsausbruch bewegte. Ah, Sella war dabei! Ihre Stimme erkannte er genau. Der Mann klang fast wie Gandor, aber das konnte ja nicht sein. Oder doch?

Ravi schlich sich an und lauschte.

„Gib mir mehr!“, verlangte Sella und der Mann fragte, ob sie einen Kuss meine oder noch ein Hühnerbein. Sie sprachen mit vollem Mund, wie es schien. Ravi lehnte sich an die Tür und schaute durch einen Spalt im Holz. Dafür musste er sich auf die Zehenspitzen stellen. Er sah aber nur zwei Hosenbeine und einen Rockzipfel. Vermutlich saß eins der Mädchen auf seinem Schoß. Weil sein Rücken plötzlich verkrampfte, verlor er die Kontrolle über sich und lehnte etwas zu sehr an der Tür, die sich wie von Zauberhand öffnete, weil hier im Schloss aber auch alles verdammt noch mal nicht in Ordnung gehalten wurde, und einen Moment später stolperte er in den staubigen Lagerraum, der nach Mäusekot roch. Und nach gebratenem Huhn.

„Ravi?“, fragte der Thronfolger überrascht.

„Gandor?“, echote Ravi im selben Tonfall. „Was macht ihr hier?“ Fassungslos sah er eine Platte mit kalten, gebratenen Hühnern. „So viel zum Fuchs und dem Massaker“, meinte er trocken.

„Nimm dir auch was“, sagte Gandor scheinbar großzügig. „Heribert muss davon nichts erfahren.“

„Du meinst, der König muss nichts davon erfahren, dass du ihm die letzten Hühner wegfrisst.“ Unmutig schaute Ravi zu Sella, die tatsächlich an seinen Vetter angekuschelt auf dessen Schoß saß und gierig einen Knochen abnagte. Die anderen beiden Mägde hatten wenigstens den Anstand, ertappt auszusehen.

„Verschwindet“, verlangte Gandor unwirsch, worauf die beiden Mädchen gehorsam den Raum verließen, aber nicht ohne dem Thronfolger einen schnippischen Blick zuzuwerfen und nochmal nach knusprigem Huhn zu greifen.

Sella grinste triumphierend. Sie war die Favoritin. Sie durfte bleiben!

„Du auch, mein Schatz. Verschwinde jetzt, aber denk daran, wo du mich nachher findest.“

Die Magd schmollte für einen Moment, zwinkerte Gandor dann aber doch vergnügt zu und kam auf die Beine. Mit schwingenden Hüften ging sie um die Fleischplatte herum und schenkte Ravi heimlich ein Lächeln, das ihn leicht aus der Bahn warf. Sehnsüchtig schaute er ihr hinterher. Dann fluchte er innerlich. Sie und Gandor? Sella sollte doch sein Mädchen werden! Andererseits – für Gandor war sie sicherlich nur eine von vielen.

„Was willst du hier?“, fragte der Thronfolger barsch. „Schickt dich mein Vater? Bist du vielleicht zu meinem Bewacher ernannt worden?“

Ravi setzte sich ächzend auf den Boden und griff nach einer gebratenen Hühnerbrust. Er war so hungrig, dass er den penetranten Gestank im Raum vergaß. „Vergiss es. Reiner Zufall. Hier ist sonst keiner und ich wollte nur wissen, wer sich hier herumtreibt. Gehört zu den Aufgaben eines Kastellans. Aber gehört es neuerdings zu den Aufgaben eines Thronfolgers, Hühner zu stehlen und an magere Mägde zu verfüttern?“

„Man wird ja wohl noch etwas Spaß haben dürfen in diesem finsteren Felsen. Warum siehst du eigentlich so ramponiert aus?“

Ravi zuckte mit den Schultern. „Hab‘ trainiert.“

„Trainiert? Federkielweitwurf oder was in der Art?“

„Spotte du ruhig. Mir egal. Das Hühnchen schmeckt gut, woher hast du die Gewürze? Die sind doch schon lange aufgebraucht.“

Gandor grinste ihn an. „Das mag der Herr Kastellan wohl denken. Ich habe einen Teil der Gewürze, nun, sagen wir … verlagert.“

„Die Köchin wird dir höchstpersönlich den Hals umdrehen, wenn sie das herausfindet. Die Ärmste liegt mir seit Wochen in den Ohren damit. Aber in der Gegend ist weit und breit nichts mehr aufzutreiben, weil die Lieferketten aus Übersee wegen der Piraten zerbrochen sind.“

Ravi tat gelassen, aber innerlich zerfraß ihn Eifersucht. Sella! Dieser Bruder Leichtfuß und seine Sella? Ravis innere Stimme der Wahrheit wies ihn darauf hin, dass es noch gar kein „und“ gab zwischen ihm und seiner Angebeteten. Bisher hatte er keine konkreten Schritte unternommen. Abgesehen vom Kauf des Rings, antwortete Ravi sich selbst und tastete unwillkürlich nach der Brusttasche, aber die war leer. Der Ring lag im guten Hemd auf seiner Kleidertruhe, fiel ihm ein.

„Wie fühlt es sich eigentlich an, der neue Thronfolger zu sein?“, lenkte Ravi vom Thema ab.