Rosanna Fairyborn - Marlies Lüer - E-Book

Rosanna Fairyborn E-Book

Marlies Lüer

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Beschreibung

Rosanna liebt ihren Papierwarenladen und nie käme sie auf die Idee, ihn für eine lange Reise zu verlassen, wie ihre Eltern es getan haben. Sie hat viel Arbeit mit der Papierherstellung und die einzige Abwechslung sind die Gänge zum Wochenmarkt und die Besuche ihrer besten und einzigen Freundin Amarantia. Rosanna hat ein Geheimnis: In ihren Adern fließt Feenblut, was sie zu einer exzellenten Heilerin macht – doch umfasst dieses Geheimnis auch eine dunkle Seite. Wenn sie so richtig wütend wird, wachsen ihr Wolfsohren, Krallen und Schlimmeres. Eine Magische zu sein, ist im Königreich Britonia bei Todesstrafe verboten! Und doch heilt sie mitten auf dem Marktplatz das gebrochene Bein eines alten Mannes. Dabei wird sie von Lord Roxter, dem Obersten Richter des Landes, beobachtet. Eigentlich hätte er sie beim Heilen gar nicht wegen des Verbergezaubers sehen dürfen! Ihre Verhaftung löst eine Schicksalskaskade aus, die Rosanna auf eine weite Reise durch die Lande schickt, eine Reise, auf der sie nicht nur wahre Freundschaft, sondern auch zu sich selbst findet

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

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Rosanna Fairyborn

Fantasyroman von Marlies Lüer

Impressum

Autor: Marlies Lüer, 29225 Celle, Fuhrberger Str. 95

Cover: Susanne Ptak

[email protected]

https://marlies-lueer.jimdosite.com/

Erstauflage © 2025

-1-

Konzentriert führte ich den Pinsel vom Farbeimer zum Schild. Meine Hand zitterte leicht. Schreiben mit einem Pinsel fiel mir schwer. Erstaunlich, wo ich doch davon lebte, anderen Menschen Schreibwaren zur Verfügung zu stellen. Papier, Tinte, Schreibfedern und mehr … Aber was sollte ich auch anderes tun? Ich liebte mein Handwerk, meinen wunderbaren Laden, und vor allem liebte ich es, meine eigene Herrin zu sein. Konzentriere dich, Rosanna! Du hast es gleich geschafft. Ich war schon beim zweiten „n“ des Wortes Kunsthandel angekommen, mit dem ich mein Schild ergänzte, da hörte ich ein leises, gackerndes Lachen hinter mir.

„Soll das etwa Kunsthandel heißen? Lächerlich. Du weißt ja nicht mal, was das wirklich ist. Geh lieber in die Hauptstadt und sieh dir die Läden dort an. Da fließt echtes Geld! Nicht nur ein paar Kupfermünzen oder Naturalien. Da bezahlt man in Gold und Silber! Und manche sogar mit Edelsteinen. Für Kunstwerke, die diesen Namen auch verdient haben.“

Ich biss die Zähne aufeinander und hielt inne. Musste der erste Mensch, der mein neugestaltetes Schild sah, wirklich diese olle Ziege sein?

„Gitti, sei gegrüßt. Möge die Sonne wohlwollend über dir scheinen“, sprach ich die traditionellen Worte, ohne mich zu ihr umzudrehen. Obwohl mir etwas gänzlich anderes auf meiner Zunge lag, versteht sich. Nicht umsonst nannten wir sie ‚Gitti-Igittegitt‘. Heimlich natürlich.

„Ja, ja. Über dir und deinem Schild auch. Möge sie scheinen!“

Sie lachte noch einmal spöttisch auf und schlurfte weiter Richtung Ortsmitte. Heute war Markttag. Sie sammelte Pilze und Beeren im hiesigen Wald und verkaufte sie auf dem Wochenmarkt. Man munkelte, der eine oder andere Tote ginge auf ihr Konto. Darum kaufte ich Pilze nur bei Mario, der konnte giftig und genießbar mit großer Sicherheit unterscheiden; schließlich belieferte er auch die Apotheker der Stadt. Anspruchsvolle Kundschaft.

Ich ermahnte mich erneut zur Konzentration. Schließlich stand ich auf einer wackeligen Leiter. Behutsam tauchte ich den Pinsel wieder in die grüne Farbe ein, streifte Überschüsse am Rande ab und malte ein „d“. Dann ein „e“ und „l“. Aufatmend legte ich den Pinsel in den Topf. Mit spitzen Fingern nahm ich den verschmierten Henkel des Topfes auf und stieg von der Leiter. Anschließend betrachtete ich kritisch mein kirschrotes Ladenschild aus ein paar Metern Entfernung. Doch ja. Es gefiel mir. Makellos! Erleichtert strich ich mit dem Handrücken über meine schweißnasse Stirn und entspannte mich.

„Möge die Sonne wohlwollend über dir scheinen, Maid Rosanna“.

Ich zuckte zusammen und drehte mich um. Doch diesmal war mir der Grüßende angenehm. Die Stimme gehörte zum jüngsten Lehrer der Schule. Soweit ich wusste, war Talvo nur zwei Jahre älter als ich. Er war nicht der schlankeste, aber auch nicht richtig füllig, wie der Schmied oder der Metzger in unserer Straße. Ich mochte seinen rotbraunen Lockenkopf und die lustig blitzenden grünen Augen.

„Meister Talvo, ich freue mich, dich zu sehen an diesem schönen Frühlingstag. Wohlwollen auch dir, allezeit. Was sagst du zum neuen Schild?“

„Kunsthandel! Das ist ja eine Überraschung. Das ist gut, vielleicht kommt so etwas mehr Kultur in diese trübe Ecke der Stadt.“

„Ach, so trüb ist unser Viertel nun auch nicht. Kann ja nicht jeder in der feinen Innenstadt wohnen, wie du. Oder gar in der Hauptstadt.“

Talvo zuckte mit den Schultern. „Fein und teuer. Manchmal denke ich an einen Umzug in die Vorstadt. Ist das Geschäft schon geöffnet?“

„Eigentlich nicht. Aber für einen Lehrer mache ich natürlich eine Ausnahme. Und was grinst du mich so an?“

Sein Grinsen wurde noch breiter. „Schau mal in den Spiegel.“

Meine Laune sank rapide. Hatte ich etwa vergessen, meine Haare zu kämmen? Ich eilte voran in den Laden, ging schnurstracks in den Privatbereich, stellte den Farbeimer ins Regal und schaute in den halbblinden Spiegel. Er reichte aber völlig aus, um mir zu zeigen, dass ich grüne Farbe im Gesicht hatte, und das nicht zu knapp. Verdammt noch mal! Einen Großteil konnte ich noch mit dem Handtuch beseitigen, aber es war nun mal keine wasserlösliche Farbe, die meine Stirn und den Nasenrücken verzierte. Schließlich war das Farbe für ein Schild im Außenbereich! Verdammt, verdammt, verdammt! Ich rieb und rubbelte und nahm letztlich die scharfe Flüssigkeit vom Apotheker zur Hand, mit der ich normalerweise hartnäckige Flecken aus der Kleidung wusch. Ich schloss fest die Augen und gab mein Bestes. Als ich das zweite Mal in den Spiegel blickte, war die Farbe weg. Dafür war meine Haut jetzt krebsrot. Sei’s drum. Das würde sich bald normalisieren. Jetzt erst entdeckte ich die Farbe auf meinem Handrücken und erkannte, dass ich offenbar beim Wischen über meine Stirn das Malheur angerichtet hatte. Ich entfernte auch dieses Grün und dann fiel mir der Lehrer wieder ein, der vermutlich geduldig vor der Verkaufstheke stand und auf die Ladenbesitzerin wartete.

Ich eilte zurück und fand ihn in der Tat genau dort vor.

„Talvo, womit kann ich dienen?“

„Ich brauche drei von deinen kleinen Notizbüchern; wenn es geht, auch vier oder fünf.“

„Oh, ich bedaure, ich habe keine mehr. Mir sind wieder welche gestohlen worden. Ich muss erst neues Papier machen, das dauert eine Zeit.“

„Schon wieder ein Diebstahl? Wer mag das nur sein? Was sagt die Stadtwache dazu?“, rief er aufgebracht.

„Die sagen, sie könnten nichts machen, außer dem Nachtwächter einen Hinweis zu geben. Aber der kommt gar nicht bis hierher. Der schläft schon vorher ein.“

„Der Nachtwächter schläft auf seiner Tour? Das ist doch nicht erlaubt!“

Was für ein Lämmchen, dieser Mann …

„Es verstößt in der Tat gegen die Regeln, aber er ist nun mal alt und müde. Meistens schläft er auf der Bank am Fluss ein, und erwacht, wenn die Sonne aufgeht. Ich weiß das von den Wirtsleuten der Schenke ‚Am wilden Fluss‘, die bei mir ihre Buchführungslisten kaufen.“

„Eine Schande, dass die Stadtwache nichts Konkretes unternimmt. Du brauchst einen Wachhund!“

Er strahlte mich an, als würde allein diese Idee für die Anwesenheit eines solchen sorgen. Aber er war total süß dabei. Ich lächelte ihn dankbar an. „Ich werde darüber nachdenken. Kann ich dir vielleicht etwas anderes verkaufen? Brauchst du Tinte?“

„Oh. Äh, ja. Warum nicht? Die rote Tinte geht langsam zur Neige. Aber ich kann ja auch nochmal wiederkommen, wenn sie fast aufgebraucht ist und du neue Bücher gemacht hast.“

„Wie du möchtest.“

Er stand immer noch da und schaute mich leicht verträumt an. Erst als Amarantias fröhliches Pfeifen von der Straße her an unsere Ohren drang, kam Bewegung in den Mann. Die Tür wurde aufgestoßen, was die Türglocke mit wildem Gebimmel kundtat, und sie marschierte mit Kuchen beladen und einem trällernden „Alles Gute zum zwanzigsten Geburtstag, Sanna!“ in den Laden.

Ich hatte heute Geburtstag? Tatsächlich! Das war mir völlig entfallen!

„Ranti, ich danke dir! Du bist wirklich die beste Freundin der Welt.“

Sie stellte den Teller auf dem Tresen ab und fiel mir um den Hals, drückte mich fest, bis ich nach Luft japste.

„Warum bist du so rot im Gesicht? Hat der Herr Lehrer etwa unzüchtige Witze erzählt?“

Der arme Kerl schnappte nach Luft und wollte sich verteidigen, aber ich winkte lachend ab. „Keineswegs, du Sticheltante. Dafür ist unser Lehrer viel zu anständig.“

Sie wandte sich um und strahlte ihn an. „Auch ein Stück Kuchen? Er ist viel zu groß für zwei.“

Ich sah Talvo an, dass er hin und her gerissen war. „Äh, ich … die Schule beginnt bald. Der Weg ist weit. Aber sonst hätte ich gern, nun ja, wirklich gern, ich danke für die Einladung. Aber ich bitte, mich zu entschuldigen. Ich muss los.“

Dann ging ihm ein Licht auf und gratulierte mir noch formvollendet mit einer leichten Verbeugung und einem Segensspruch zum Geburtstag. Er ging langsam weiter zur Tür und schaute sich noch einmal zu uns um, bevor er den Laden verließ, begleitet vom schönen Klang der Türglocke, auf die ich so stolz war.

Amarantia schaute ihm hinterher. „So schüchtern, der Gute. Weißt du was? Ich glaube ja, er ist in dich verliebt.“

Überrascht sah ich meine Freundin an. „Ach was! Der kommt nur so oft hierher, weil er Papier und Tinte braucht. Er ist schließlich einer der Lehrer.“

„Richtig. Und die anderen Lehrer kaufen alle, ohne Ausnahme, beim billigen Papiergroßhändler in der Innenstadt. Die machen sich nicht den weiten Weg bis in unser Viertel.“

Ich zuckte mit den Schultern. Mochte sein. Oder aber auch nicht. Er wäre nicht mein erster Verehrer. Genau gesagt, wäre er der zweite. Mein zwei-einhalbter, um noch genauer zu sein. Der erste zählte eigentlich nicht, er hatte nur auf dem Tanzboden mit mir getändelt, da war ich dreizehn. Der „halbe“ … über diesen Trottel werde ich für immer und ewig schweigen. Mir stand der Sinn nach einem anderen Typ Mann. Talvo war ein netter, anständiger Kerl, keine Frage. Stets freundlich, zuverlässig und gebildet. Er könnte mir ein guter Freund und Nachbar sein, sogar der zweite Verehrer, aber mehr auch nicht. Was sollte ich auch mit einem Ehemann? Ich stand auf eigenen Füßen.

„Sag mal, den Kuchen hast du doch wohl nicht selbst gebacken?“, lenkte ich ab.

Amarantia tat empört. „Natürlich nicht! Du weißt doch, ich kann Salz und Zucker nicht unterscheiden und würde auch den Moment verpassen, bevor er zu Kohle und Asche wird. Meine hausfraulichen Talente beschränken sich auf … tja, weiß ich gar nicht. Ich kann den Tisch schön decken, das war es dann aber auch schon.“

Ich schnupperte genüsslich und schloss dabei meine Augen. „Dann bin ich beruhigt. Hat deine Mutter ihn gebacken?“

„Nein, das hätte sie wohl, wenn ich sie darum gebeten hätte, aber ich wollte unbedingt etwas außergewöhnlich Gutes für dich. Der ist vom Hoflieferanten.“

„Ranti, bist du des Wahnsinns? Einen so teuren Kuchen zu kaufen, nur weil ich Geburtstag habe?“, fragte ich ehrlich entsetzt, aber auch geschmeichelt.

„Keineswegs. Das ist das Honorar für du weißt schon was“, raunte sie, obwohl wir allein waren. „Die Frau vom Zuckerbäcker kommt heute Nachmittag zu mir.“

„Verstehe! Du musst den Raum etwas herrichten, da stehen noch ein paar Sachen von mir herum.“

„Das wusste ich selbstverständlich“, ulkte sie. „Ich bin schließlich die beste Wahrsagerin des Reiches. Zumindest in dieser Ecke.“ Amarantia zwinkerte mir vergnügt zu. „Wollen wir den Kuchen gleich anschneiden? Oder hast du schon gefrühstückt?“

„Nein. Ich habe zuerst das Ladenschild neu bemalt. Wie gefällt es dir?“

„Keine Ahnung. Ich habe nicht drauf geachtet.“

„Ich will in den Kunsthandel einsteigen. Holzschnitzereien, Waldschmuck und dergleichen.“

„Echt? Du handelst mit den Waldläufern aus dem Alten Wald? Die sind gefährlich!“

„Ach, Unsinn. Alles nur Propaganda des Königshauses. Das bisschen Naturmagie geht gar nicht als echte Magie durch, wenn du mich fragst.“

Amarantia seufzte leise und holte zwei Teller vom Regal aus der Küche. „Wo ist dein Messer?“

„Im Spülbottich vermutlich.“ Ich ging nach nebenan und säuberte es rasch, trocknete es sorgfältig und schnitt dann den Kuchen an. Er war mit Schokoladenstückchen und kandiertem Obst gefüllt.

„Ranti, das ist wundervoll. Ich danke dir so sehr.“

Sie strahlte über beide Ohren. „Ach, wart nur ab! Das ist noch nicht das Beste. Komm, wir setzen uns mit dem Kuchen hinters Haus. Die Türglocke hören wir dort auf jeden Fall, wenn wir die Hintertür offenlassen. Aber so früh kommt bestimmt keine Kundschaft. Hast du was zu trinken?“

„Ja, Tee steht immer bereit.“

Ich nahm die Kanne und zwei Tonbecher mit nach draußen. Die Sonne war inzwischen voll aufgegangen und ihre Strahlen liebkosten unsere Gesichter. Ich blieb kurz in der Hintertür stehen und genoss mit geschlossenen Augen diesen Moment. Die Frühlingsrosen dufteten, mit ihnen begann das Gartenjahr. Und nun auch mein neues Lebensjahr. Meine Haut juckte inzwischen wie wild. Aber der köstliche Kuchen ließ dieses kleine Ungemach verblassen. Nachdem das erste Stück vertilgt war, griff Ranti in ihre Rocktasche und zog einen Umschlag hervor. Er war mit einer ausländischen Briefmarke versehen und aus einem edlen, kräftigen Papier gefaltet.

„Von deinen Eltern! Den hat mir der Bote gestern persönlich überreicht, weil er weiß, dass diese Maid namens Ranti deine überaus vertrauenswürdige Freundin ist. Und auch, weil er keine Lust hatte, in dieses Viertel laufen zu müssen. Seine Füße tun ihm weh, hat er gesagt.“

Erfreut griff ich nach dem Umschlag und drückte ihn kurz ans Herz. „Das ist so wunderbar, gerade heute an meinem Geburtstag Nachricht von ihnen zu bekommen!“

Auf dem Umschlag stand in schönen, leicht geschwungenen Buchstaben: An Maid Rosanna, Papierwarenladen am Ende der Schmiedestraße, in Kingstown.

„Mach ihn auf! Ich bin so gespannt, wo sie sich gerade herumtreiben.“

Ich lachte. „Herumtreiben! Lass das nicht meine Mutter hören. Sie sind auf Bildungsreise! Sagt sie. Mein Vater nennt es Abenteuerurlaub.“

„Wie auch immer. Du glaubst ja nicht, wie sehr ich dich um deine Freiheit beneide. Ich liebe meine Eltern, aber sie gehen mir mit all ihrer Fürsorge auf die Nerven. Sie haben sogar angefangen, für mich nach einem Ehemann zu suchen. Kannst du dir das vorstellen?“

„Kann ich. Du brauchst auch einen, der auf dich aufpasst“, witzelte ich, wobei diese Aussage durchaus einen wahren Kern hatte.

Ich öffnete den Umschlag. Er enthielt einen mehrseitigen Brief, der auf wunderschönem Papier geschrieben war. Es duftete sogar! Der Bogen war viel feiner als die, die ich herstellte. Wie hatten die das nur gemacht? Und es waren offenbar Blütenblätter mit eingearbeitet. Wie ich vermutete, hatte Vater auch eine Seite geschrieben. Er berichtete von einer Papiermanufaktur in Großlanden, wo sie mehrere Wochen verbracht hatten, und gab mir Tipps, wie ich diese Art Papier herstellen konnte. Der Trick lag darin, keine Leinenlumpen zu verwenden, sondern nur Pflanzenfasern, und im Einweichen in speziellem Wasser. Sie fügten etwas hinzu, dass die Struktur aufbrach. Und der Leim, der nach dem Trocknen aufgetragen wurde, stammte nicht aus Tiergelatine, sondern – oh, verdammt, hier war der Brief nass geworden und ich konnte das Wort nicht lesen. Ich legte seinen Bericht erst einmal zur Seite und widmete mich den lebhaften Beschreibungen meiner Mutter. Sie hatten viel erlebt und schöne Gegenden und Städte bereist. Die Mode der Städterinnen sei faszinierend und sie hätte sich das eine oder andere Teil zugelegt. Und dann erwähnte sie, dass die Leute hier alle Nachnamen hätten, auch die einfachsten Arbeiter, so als wären sie Adlige! Andere Länder, andere Sitten … der Spruch hätte sich bewahrheitet.

Teile des Briefes las ich meiner Freundin vor, die mit glänzenden Augen lauschte. Ich wusste um ihr Fernweh. Welches ich in keinster Weise teilte! Ich war sehr heimatverbunden und liebte mein Haus, meinen Laden, meine Stadt … warum sollte ich einen Ort verlassen, an dem ich glücklich war?

Oh! Am Ende des Briefes schrieb meine Mutter, dass sie in Erwägung ziehen würden, sich in Großlanden anzusiedeln und für längere Zeit in der Manufaktur zu arbeiten, die dieses herrliche Papier herstellte. Fachkundige Arbeiter würden immer gesucht, weil sie auch nach Übersee lieferten und mit der Arbeit kaum hinterherkämen. Sie fragte, ob ich es mir vorstellen könnte, zu ihnen zu ziehen … dort hätte man viel mehr Möglichkeiten.

Hieß das etwa, sie wollten nicht mehr heimkommen? Am Tag nach meiner Großjährigkeitsfeier vor drei Jahren, als sie mir feierlich den Schlüssel zum Laden überreichten, reisten sie ab mit dem Versprechen, allerspätestens in fünf Jahren wiederzukommen. Nachdenklich geworden, legte ich den Brief auf den kleinen Tisch und schnitt mir ein weiteres Stück Kuchen ab.

Die Sonne war weiter aufgestiegen. Ein leichter Wind wehte und brachte den Duft der Fliederbäume mit sich. Die Vögel sangen in den Büschen und Insekten zirpten im Gras. Hinter dem Gartenstück lag meine Werkstatt. Von hier hatte ich den Blick auf die Berge und den Wald. Hier war ich aufgewachsen, hier gehörte ich her. Ich wollte nicht weg!

„Was ist denn“, fragte Amarantia mich feinfühlig.

Ich lächelte sie wehmütig an. „Weiß die Wahrsagerin denn nicht, was in diesem Brief alles steht?“

„Natürlich nicht“, sagte sie entrüstet. „Du hast doch selbst das Siegel gebrochen. Ich würde nie deine Post lesen.“ Dann verstand sie erst meinen kleinen Scherz. „Ach so. Nein, meine Wahrsagekugel hat einen Sprung. Also, sagst du mir nun, was dich bedrückt, oder muss ich dir die Briefwürmer aus der Nase ziehen? Deine Eltern sind doch hoffentlich wohlauf?“

„Oh ja. Sind sie. Sie überlegen, ob sie sich an der Küste ansiedeln. Da ist eine große, erfolgreiche Papiermanufaktur, in der sie gern arbeiten wollen. Daher kommt auch dieses herrliche Papier.“

„Das hieße ja, du siehst sie nie wieder?“

„Es sei denn, ich würde ihnen folgen. Sie laden mich ein, dort mit ihnen zu leben und zu arbeiten. Aber das möchte ich nicht. Ich will meinen Laden nicht verlassen. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, meine Eltern niemals wiederzusehen. Doch für einen Besuch ist das viel zu weit. Ich schätze, die Reise direkt an die Küste würde fast zwei Monate dauern.“

Plötzlich lag mir der Kuchen schwer im Magen. Ich legte das angebissene Stück auf meinen Teller und starrte vor mich hin, bis ich aus meiner Grübelei gerissen wurde.

Die Türglocke bimmelte energisch. Kundschaft!

Es war eine Gruppe Reisender und Pilger, die zum Königsfest in unsere Stadt gekommen waren. Jedes Jahr zu Frühlingsbeginn ließ er sich feiern als der Befreier des Volkes und Vertreiber der ach so schändlichen Magiebegabten. Dabei waren damals nur sehr wenige aus dem Feenvolk und anderen Spezies am Aufstand der Anti-Royalisten beteiligt gewesen. Mein Vater hatte mir das alles haarklein erzählt, als ich noch ein Kind war und ihn über die Welt ausfragte.

Papa war als junger Mann an vorderster Front gewesen. Noch bevor er meine Mutter kennenlernte und schließlich heiratete. Jeder junge Mann, der einigermaßen kräftig war, musste wenigstens drei Jahre Soldat gewesen sein, bevor er einem Beruf nachging und eine Familie gründete. Daran hatte sich bis heute nicht viel geändert. Sie hatte ihm vor der Hochzeit gestanden, dass in ferner Vergangenheit ihre weibliche Linie die eine oder andere echte Fairyborn hervorgebracht hatte, denn die Ahnfrau sei eine leibhaftige Fee gewesen, die einen Menschenmann geehelicht hätte. Doch das störte ihn nicht, zumal die Magie in ihrer Familie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr zutage getreten war. Dass ich mit der Gabe geboren wurde, hatte ihn zunächst schockiert, sagte er mir. Aber er liebte mich so sehr, dass er bald schon stolz auf seine kleine Fee war, die er zu beschützen schwor. Ich lernte früh, meine Gabe zu verbergen und heilte nur selten. Dass ich eine weitere Gabe hatte, wussten nicht einmal meine Eltern. Denn sie war selbst für mich … unheimlich.

Meine Familie liebte das Königshaus nicht, war aber loyal, zumindest neutral. Immerhin verdienten wir gut an den Reisenden, insbesondere zur Zeit des Festes, wenn der König mit seiner Entourage im Sommersitz weilte, der zu Kingstown gehörte. Und so war ich, als die Leute meinen Laden hochzufrieden verlassen hatten, um einige Kupferlinge wohlhabender. Unter den Münzen befand sich sogar ein Silberstück. Meine Zeichnungen vom Schloss, vom König in schneidiger Uniform hoch zu Ross und auch die Bilder von den Angehörigen der alten, magischen Völker verkauften sich immer gut. Ich hatte ihnen auch den Schmuck der Waldläufer gezeigt. Die Frauen seufzten selig auf, als sie das geschmeidige Holz, glatt wie Seide, auf ihrer Haut spürten. Dass diese Hölzer mit einer winzigen Menge einer psychedelisch wirkenden Flüssigkeit versehen waren, die über die Einatmung unwillkürlich aufgenommen wurde, verschwieg ich wohlweislich. Deren Männer waren eher an den Schnitzereien interessiert, die die Tiere des Waldes und auch Heldenfiguren darstellten.

Ranti hatte beim Bedienen geholfen, sich danach aber eilig verabschiedet, denn ihre Mutter brauchte sie heute. Es war Waschtag.

„Bis später dann!“, rief sie mir zu, als sie den Laden nach dem vorletzten Kunden verließ.

Zu meinem großen Glück führte die Schmiedestraße, an deren Ende mein Anwesen lag, durch ein Wäldchen zur Hauptstraße, die von den großen Kutschen befahren werden konnte. Am alleräußersten Ende der Straße – eigentlich lag ja schon mein Geschäft am Ende – war noch eine Herberge gebaut worden. Schlicht, aber sauber. Und sehr beliebt bei Reisenden, die nicht mit protzigen Goldstücken bezahlen konnten. Diese Leute gingen sparsamerweise zu Fuß in die Innenstadt und kamen daher unweigerlich an meinem Laden vorbei. Was mir mein Auskommen sicherte, denn zur Gänze von meinem Handwerk und den Einwohnern leben, das konnte ich nicht. Diese Zeiten waren vorbei, kaum dass meine Eltern mir das Geschäft überlassen hatten. Zeiten, Bedarfe und Gewohnheiten änderten sich eben. Und man selbst musste sich mitverändern, wollte man nicht sang- und klanglos untergehen.

Gegen Mittag wurde es deutlich ruhiger. Der letzte Kunde kam mir komisch vor, er tat so auffällig unauffällig. „Kann ich dir helfen?“, fragte ich. „Wonach suchst du?“

Er legte die Tinte ins Regal zurück und kam auf mich zu. „Ich suche nach einem Amulett. Man sagte mir, du würdest damit handeln. Eins, das mir hilft, einer Maid das Herz zu stehlen.“

Der Kerl sah nicht danach aus, magische Hilfe zu benötigen. Dem liefen die Mädchen doch hinterher, so gutaussehend, wie er war! Außerdem strahlte er großes Selbstbewusstsein aus.

„So etwas führe ich nicht.“

„Wir sind allein, du brauchst dich nicht sorgen. Das bleibt unter uns …“ Mit einem gekonnten Verschwörerblick schaute er mich an und deutete mit dem Kinn zum Tresen. „Händlerinnen wie du haben sowas doch unter der Theke liegen, oder? Es ist keine Schande, mit magischen Artefakten zu handeln.“

„Es ist vor allem streng verboten, damit zu handeln! Außerdem verstehe ich nichts davon. Du gehst jetzt wohl besser.“

„Ich zahle dir auch das Doppelte“, versuchte er sein Glück.

Mir war klar, dass er höchstwahrscheinlich ein verdeckter Ermittler von Lord Roxter war. Die wuselten immer wieder mal durch die ganze Stadt und das Umland, in der Hoffnung, magiebegabte Menschen zu finden, um sie dann mit Schimpf und Schande in den Kerker zu werfen.

„Raus jetzt! Das hier ist ein anständiges, königstreues Geschäft.“ Ich bedachte ihn mit meinem finstersten Blick und wies zur Tür. „Ich will dich hier nicht nocheinmal sehen.“

„Schon gut, schon gut. Aber vielleicht kennst du jemanden, der …“, versuchte er hartnäckig, mich in die Nähe des Verbotenen zu rücken.

„Raus! Sofort!“, brüllte ich ihn an. Zu meiner Erleichterung zuckte er mit den Schultern und verließ meinen Laden. Ich war so froh, dass außer ihm keine Kundschaft mehr hier war. Gerüchte verbreiteten sich so schnell.

Ich sperrte den Laden zu, nahm in der Küche Korb und Geldbörse zur Hand zwecks eines Gangs zum Marktplatz, denn meine Speisekammer war fast leer. Auch brauchte ich wieder Gummi arabicum, Galläpfel und Mineralpigmente zur Herstellung von Tinte. Ich nahm extra den großen Korb mit, weil ich viel kaufen wollte; mein Geld verstaute ich in einer Bauchtasche und verbarg diese unter der Schürze, die ich über meinen Rock band. Mit den Pilgern kamen auch immer Langfinger in die Stadt. Mein Weg führte mich vorbei am Wirtshaus, an der Schmiede, dem Lederwarenladen und dem Kohlehändler. Je näher ich dem Zentrum und Marktplatz kam, umso schöner und zahlreicher wurden die Häuser am Straßenrand. Manche hatten prachtvolle Vorgärten. Zwischen dem Marktplatz und dem Wilden Fluss war eine weitläufige Weide, die einerseits eine hilfreiche Aue war, wenn der Fluss Hochwasser führte, andererseits ein guter Ruheplatz für Fuhrwerker und Pferdegespanne, die den Markt beschickten.

Ich hatte großen Respekt vor diesen kräftigen Tieren und verstand die Leute nicht, die nur zum Vergnügen auf deren Rücken ausritten. Mein Vater hatte damals nicht zu den Berittenen des Königs gehört, denn auch er hatte, ich will es offen aussprechen: richtig Angst vor Pferden. Dabei waren sie wunderschön in ihrer Kraft, wenn man genau hinsah. Aber es waren eben auch schon viele Menschen bei Unfällen durch sie zu Schaden gekommen.

Ich merkte, wie meine Gedanken mehr und mehr zu meinen Eltern in der Ferne und in die Vergangenheit abdrifteten. Dabei war es notwendig, meinen Verstand beisammenzuhaben, denn auf dem Markt galt es, gute Preise auszuhandeln, sich vor Dieben in Acht zu nehmen und nicht in Pferdeäpfel oder in andere unschöne Hinterlassenschaften zu treten.

Milch von Kühen und Ziegen wurde hier frisch gemolken angeboten, auf Wunsch auch mit Zuckersirup gesüßt. Ich mied heute den Bereich des kleinen Viehmarktes und kaufte Brot und frisches Gemüse, geräucherten Speck und einen Sack Linsen. Spontan entschied ich mich auch für den Kauf eines Sacks voll Hafer, der mindestens so viel wog wie ein Ferkel. Ich klemmte ihn unter meinen Arm und dachte bald schon, dass ich besser auch meine Schubkarre hätte mitnehmen sollen. Wie sollte ich all das nach Hause schleppen? Ich musste unbedingt zurück sein, ehe Ranti kam, um ihre Kundin zu bedienen. Ärgerlicherweise war heute der Stand des Händlers, bei dem ich meine Tintenzutaten günstig einkaufte, nicht da. Das kam nur selten vor. Missmutig runzelte ich meine Stirn. Das bedeutete: Entweder kaufte ich die Sachen überteuert beim Apotheker, oder mein Lieblingslehrer musste noch länger auf seine rote Tinte warten. Ärgerlich!

Zum Abschluss gönnte ich mir eine warme Teigtasche, gefüllt mit Kohl und gehackten Nüssen, als Mittagsmahl, und setzte mich auf ein Mäuerchen am Rande der Straße. Korb und Sack stellte ich zwischen meine Beine. Hungrig aß ich und winkte mir den Wasserträger herbei. Ich kannte ihn; er verkaufte nur frisches, sauberes Wasser. Ein halber Kupferling wechselte den Besitzer, und er zog von dannen. Durstig trank ich das kühle Nass.

Ein kleines Mädchen, vielleicht zwei oder drei Jahre alt, lief einem bunten Schmetterling hinterher und jauchzte fröhlich. Plötzlich kam Unruhe auf. Drei Reiter des Königs drängten sich am Rande des Marktes rücksichtslos durch die Menge, nahmen schließlich Kurs auf die Straße und ließen ihre Rösser antraben. Ohne Rantis Wahrsagetalent zu haben, sah ich das Unheil kommen. Ich wollte aufspringen, um das Kindchen zu retten, das unter die Beine der Pferde zu geraten drohte, doch ein alter Mann kam mir zuvor. Er schnappte sich die Kleine, wurde aber von einem Huf getroffen und schrie schmerzerfüllt auf. Die Soldaten ritten einfach weiter!

Ich lief zu ihm und nahm das weinende Mädchen tröstend in den Arm. Es rief immerzu „Opa Aua!“

„Lass mich dir helfen, alter Mann. Ich bin eine Fairyborn.“

Er schaute mich verzweifelt an. „Mein Bein, ich glaube, es ist gebrochen. Bring du das Kind nach Hause. Bitte!“

„Sch, sch … sei still und lass mich dir helfen. Dann kannst du sie selbst nach Hause bringen.“

„Du bist wirklich eine …?“

„Ja. Ich entstamme einer sehr alten Feenfamilie“, sagte ich leise und nahm seine Hand in meine. Meine andere Hand hielt ich über sein Schienbein. „Es gibt uns noch immer.“ Ich konnte fühlen, wo es gebrochen war. Der Sonnengöttin sei Dank war es kein offener Bruch. Ich sah mich um, nach etwas Länglichem. Glücklicherweise hatte jemand eine Möhre verloren. Die war brauchbar für meine Zwecke. Ich schnappte sie mir und konzentrierte mich, bat die Mächte der Erdgeister um Hilfe. Sie waren für alles Feste, Harte, Dauerhafte zuständig. Die kleine Dreiergruppe, die wir bildeten, wurde unbewusst von Marktbesuchern umflossen, so als bildeten wir einen Fels mitten im Flussbett. Es gehört zur Fairyborn-Magie, dass sie möglichst unauffällig wirkt. Die Kleine hörte auf zu weinen und kuschelte sich an ihren Großvater. Dabei behielt sie mich genau im Blick. Die Kraft der Erde, gemeinsam mit der Heilkraft der Sonne, zog nun in meinen Körper ein. Ich leitete diese Macht weiter und murmelte die ganze Zeit Wortes des Dankes für die Hilfe. Mit tiefer Konzentration stellte ich mir vor, dass der Alte aufstand und auf beiden Beinen sicher stehen und schmerzfrei gehen konnte. So wussten die Erdgeister, was sie zu tun hatten. Sie selbst verfügten über keine echte Intelligenz, aber sie waren Wesen wie mir stets ein wertvolles Werkzeug. Den Bruch im Knochen übertrug ich auf die Möhre. Als sie knackte und brach, war das Schienbein vom Schaden befreit, den es erlitten hatte. Ich konnte das Geschehene nicht aus der Welt bringen, nur von einem Ort wegnehmen und auf einen anderen übertragen. Nach einigen Minuten hörte die Kraft auf zu fließen und wir wurden wieder wahrnehmbar für andere.

„Komm, steh auf. Ich helfe dir. Du hast dich wohl ordentlich vor den Pferden erschreckt, was?“, fragte ich ihn und sprach laut und deutlich. „Da kann auch ein jüngerer Mann mal hinfallen. Alles gut, oder tut dir was weh?“

Er begriff, dass ich all dies zur Tarnung sagte, denn ich war ein großes Risiko eingegangen, ihn in aller Öffentlichkeit zu heilen.

„Sehr freundlich, junge Frau. Hab‘ vielen Dank. Ja, ich bin ins Stolpern gekommen. Leider stand ich den ehrenwerten Rittern des Königs im Wege.“

Er klopfte sich den Staub von der Kleidung und verabschiedete sich. Für das kleine Mädchen erschuf ich noch die kurzlebige Illusion eines Schmetterlings. Dann wandte ich mich ab und ging auf das Mäuerchen zu, wo meine Einkäufe standen. Stehen sollten … der Sack Hafer war verschwunden! Verfluchte Diebe! Wütend schaute ich mich um und nahm dann meinen schweren Korb auf. Doch ich sah niemanden, der einen Sack Hafer trug und verdächtig aussah. Plötzlich hörte ich einen kurzen Wutschrei und sah ein Handgemenge zwischen zwei Ständen. Ein hochgewachsener Wachsoldat hatte einen jungen Burschen am Kragen gepackt und schüttelte ihn durch. Dabei fiel dem jungen Kerl ein Sack, offenbar mein Hafer, aus den Händen. Er wand sich aus seiner Jacke, die nunmehr in der Hand des großen Mannes zurückblieb, und gab Fersengeld. Der Soldat ließ ihn laufen, warf die Jacke zu Boden, nahm das Diebesgut auf und schaute sich suchend um, bis sich unsere Blicke trafen. Langsam und selbstgefällig kam er auf mich zu. Ich schaute ihm wie gebannt in die Augen, deren Blau mit dem Frühlingshimmel wetteiferten. Hatte er etwa gesehen, wie ich heilte?

Als er direkt vor mir stand, fragte er, ob dies mein Sack sei. Seine Stimme war ebenso männlich wie schön. Ob er ein geborener Sänger war? Dieses dunkle Timbre! Sein Haar war tiefschwarz und glänzend. Ein kurzer Vollbart und breite Schultern vervollständigten mein Idealbild eines Mannes. Ich bekam eine kleine Gänsehaut. Ich nickte nur, schob dann noch ein leises ‚Ja‘ hinterher. Würde er mich nun verhaften?

Für einen winzigen Moment schaute er fragend an mir vorbei. Ich wandte mich neugierig um und mein Herz stolperte kurz. In einigen Metern Entfernung stand Lord Roxter, der Oberste Richter des Reiches. Er war bekannt für seine unbarmherzige Jagd auf Magische. Sein Blick ruhte nicht auf mir, sondern er nickte dem Soldaten kaum merklich zu, drehte sich um und verschwand in der Menge.

„Dein Einkauf ist doch viel zu schwer für so zarte Hände, ehrenwerte Maid. Darf ich dir behilflich sein?“, fragte der Mann mit den schönen Augen.

Wäre ich klug und besonnen, so hätte ich sein Angebot dankend abgelehnt. Doch er machte mich neugierig und ich wollte weiterhin den Klang seiner Stimme genießen.

„Hast du nicht etwas Wichtigeres zu tun, Soldat? Ich möchte nicht die Ursache für ein Pflichtversäumnis sein.“

„Ich habe jetzt Pause und muss eh in deine Richtung.“

„Woher weißt du …?“

Er grinste mich an. Ich verstand und lächelte in mich hinein. So war das also.

„Dann lass uns gehen. In der Tat bin ich für dein Angebot dankbar. Der Hafersack ist doch schwerer als ich dachte.“

Er nahm Korb und Sack auf, als wögen sie zusammen nicht mehr als ein Bündel Wolle. „Maid, wie darf ich dich ansprechen? Mein Name ist Wolfhardt. Und der deine?“

„Rosanna.“ Mein Retter schien eine Verbindung zum Richter zu haben. Daher fühlte ich mich bei aller Begeisterung für diesen schönen Kerl auch eine Spur unbehaglich, aber eigentlich konnte niemand gesehen haben, dass ich Magie gewirkt hatte. Es sei denn, er wäre selbst magiebegabt. Dann hätte er auf jeden Fall das Fließen der Kräfte gespürt und sich seinen Teil gedacht. Nun denn, jetzt konnte ich auch nichts mehr ändern. Zu helfen und zu heilen war mir eben ins Blut geschrieben.

„Das ist ein schöner Name. Ich bedaure allerdings, dass mir der Dieb entwischt ist und so seiner verdienten Strafe entgeht. Aber es war mir wichtiger, dass du deinen Getreidesack schnell wiederbekommst.“

„Ich danke dir sehr dafür, Wolfhardt. Gehörst du zur Stadtwache, oder bist du ein Soldat des Königs? Deine Uniform lässt es nicht klar erkennen.“

„Beides ein bisschen.“

Erstaunt blickte ich ihn an. Scherzte er?

„Doch, das stimmt. Ich bin neu in der Stadt und absolviere Dienst auf Probe. Man hat mich zunächst dem Obersten Richter unterstellt. Er wird entscheiden, wo ich auf Dauer eingesetzt werde. Starke Männer werden hier immer gebraucht, hat man mir gesagt. Also sind meine Chancen nicht die schlechtesten.“

„Lord Roxter ist dein Vorgesetzter? Er soll sehr streng sein. Und immer auf der Jagd nach Magiebegabten, wie ich hörte. Ich bin froh, dass wir vor ihnen beschützt werden.“

Ich wagte mich weit vor, indem ich die Sprache auf Magie lenkte. Aber ich wollte wissen, wie er dazu stand. Seine Augen waren arglos, als er antwortete.

„Davon weiß ich nichts. Hat diese Stadt ein Problem mit Zauberern und Hexen?“

„Zeitweilig. Aber der Richter schützt uns vor ihnen. Sag, woher kommst du? Du meintest, du seiest neu in unserer Stadt.“

Ich war überrascht, als ich gewahr wurde, dass meine Frage ihn in Verlegenheit brachte.

„Nun ja. Von weither. Würde ich mal so sagen.“

„Aha“, machte ich. „Würdest du mal so sagen … wie meinst du das?“

„Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Nicht einmal meinen Namen. Den hat mir Lord Roxter verliehen. Ich habe nämlich mein Gedächtnis verloren.“

„Oh, das tut mir leid! Das muss schwer für dich sein. Hattest du einen Unfall?“

„Auch das weiß ich nicht.“

Inzwischen hatten wir die Straße erreicht, an deren Ende mein Laden lag. Ich beschleunigte meinen Schritt etwas, denn Ranti war mir wieder eingefallen. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Wolken waren aufgezogen und verdunkelten die Sonne. Am Ende stand sie schon vor meiner Tür! Ganz zu schweigen von der Frau des Zuckerbäckers. Wolfhardt passte seine Schrittlänge an, um neben mir zu bleiben. Allmählich kam er etwas ins Schnaufen. Kein Wunder.

„Soll ich dir vielleicht den Korb abnehmen?“, bot ich an. „Ich muss mich beeilen, denn es sind viele Gäste in der Stadt. Sie lieben es, bei mir einzukaufen.“

„Keinesfalls, Maid Rosanna. Ich bin heute ganz dein Diener.“

„Das weiß ich zu schätzen, du geheimnisvoller Fremder.“ Ich klimperte mit den Wimpern und hatte meinen Spaß dabei, ihn anzuflirten. Ob er wohl gut tanzen konnte?

Er grinste mich schwach an. „Fremder trifft es gut. Ich bin mir selbst fremd. Mehr als vage Erinnerungen an einen langen, einsamen Marsch durch Wälder und Berge ist da nicht.“

„Das tut mir so leid. Vielleicht kommt mit der Zeit die Erinnerung zurück.“

„Mag sein.“

Wir hatten inzwischen den Kohlehändler hinter uns gelassen und näherten uns dem Lederwarenladen. Noch etwa dreihundert Schritte lagen zwischen mir und meinem Zuhause.

„Das war vorhin sehr nett von dir, dass du dich um den Alten und das Kind gekümmert hast. Hast du selbst auch Kinder?“

Überrascht sah ich ihn an. „Ich? Kinder? Nein, gewiss nicht. Mein Leben wird bestimmt von den Erfordernissen meines Geschäftes. Ich mache Papier und Tinte, binde Bücher und verkaufe auch etwas Schmuck und Schnitzereien. Außerdem zeichne ich. Meine Bilder verkaufen sich gut. Für eigene Kinder habe ich keine Zeit.“

Außerdem brauchte man dafür einen Mann. Vorzugsweise einen Ehemann. In dieser Stadt gab es ‚aus Gründen‘ einen Frauenüberschuss, denn der König hatte viele Männer in seinen Dienst eingezogen und Soldaten durften nicht heiraten, solange sie dienten. Irgendwo gab es immer Krieg oder Scharmützel. Und Witwen waren dem König zu teuer, munkelte man. Denn laut Gesetz mussten Soldatenwitwen bis an ihr Lebensende – oder bis zum nächsten Ehemann – aus der Staatskasse versorgt werden.

„Maid Rosanna, ich habe noch nie gesehen, wie Papier gemacht wird. Glaube ich zumindest. Würdest du mir das bei Gelegenheit zeigen? Es fasziniert mich. Ich habe auch keine Ahnung, wie man Tinte herstellt. Ist das schwierig? Offenbar kann ich nur von meinen Muskeln Gebrauch machen; ich bin ein ziemlich guter Kämpfer, wie man mir sagte.“

„Gerne. Komm doch morgen Abend vorbei. Du kannst mir zur Hand gehen. Ich muss alsbald neues Papier herstellen.“

Wolfhardt blieb kurz stehen, tauschte Sack und Korb, um seine Arme zu entlasten, und ging mir mit großen Schritten hinterher, um aufzuholen.

„Ich weiß nicht, ob ich morgen Abend frei bekommen kann. Mein Dienst bei Lord Roxter ist mal kürzer, mal länger. Gerade so, wie er es braucht. Ich kann also nichts versprechen, aber nach Möglichkeit werde ich kommen.“

Ich nickte erfreut. Falls es mit dem Dienst als Kämpfer aus irgendwelchen Gründen nichts wurde, könnte ich ihn für meine Werkstatt anstellen. Mein letzter Helfer hatte mich nämlich verlassen, um zur See zu fahren. Und seitdem wuchs mir die Arbeit über den Kopf. Darum war ich ja auch so froh, mit den Waldläufern handeln zu können und auch Schnitzarbeiten von den Berglern gegen eine Provision verkaufen zu dürfen.

„Gut. Einverstanden. Siehst du da hinten die Schmiede? Es ist das Haus mit der roten Haustür. Wenn wir es hinter uns gelassen haben, ist es nicht mehr weit bis zu mir.“

Gleichzeitig warfen wir einen Blick nach oben. Die Wolken zogen schneller über den Himmel und waren deutlich dunkler als noch vor ein paar Minuten. Ohne uns abzusprechen, verfielen wir in einen Laufschritt. Ich nahm ihm den Korb weg und er legte keinen Protest ein. Wenig später hörte ich aus der Werkstatt des Schmieds ein gleichmäßiges Hämmern. Ich liebte dieses Geräusch und die Schatten, die das Feuer an die Wände warf. Normalerweise blieb ich auf meinem Weg stehen, um ihn aus der Ferne bei der Arbeit zu betrachten. Er kam mir vor wie einer der alten Feuergötter. Doch heute war für derlei Elemente-Romantik keine Zeit. Frühlingsregen konnte in diesem Landstrich sehr heftig sein. Kaum standen wir vor dem Eingang, prasselte dieser auch schon auf den Weg und verwandelte ihn in ein matschiges Etwas. Leider waren nur die Hauptwege in dieser Stadt gepflastert. Ich fummelte meine Bauchtasche hervor, weil ich ihm ein Trinkgeld geben wollte. Er nahm es ohne zu zögern an.

„Danke dir. Da ich meinen freien Abend habe, werde ich mir ein Bier in dem Wirtshaus gönnen, an dem wir vorbeigekommen sind. Haben die gutes Bier, oder ist es sauer?“

„Soweit ich weiß, gehen die Gäste der Stadt oft dorthin. Du kannst auch gern mit hineinkommen und dich ausruhen und etwas essen, aber Bier oder Schnaps habe ich nicht im Haus.“

„Danke fürs Angebot, aber ich bin bierdurstig. Wir sehen uns morgen Abend, wenn mein Dienstherr es gestattet.“

Ich nickte ihm zu und nahm den Haustürschlüssel zur Hand, den ich stets an einem Lederband um den Hals trug. „Dann bis morgen.“

Während ich aufschloss, rannte er zum kleinen Wirtshaus hinüber, wo eben die ersten Kerzen ins Fenster gestellt wurden. Ich hievte meinen Einkauf über die Türschwelle – und erschrak fürchterlich.

„Da bist du ja endlich!“, schallte mir entgegen.

„Ranti! Wie kommst du hier herein? Du hast mich zu Tode erschreckt!“

„Ich habe mich selbst eingelassen. Durch die Hintertür. Schließlich kommt meine Kundin gleich.“

„Die Hintertür? Oh, verdammt! Ich habe vergessen, sie abzuschließen. Kein Wunder, dass bei mir Diebe ein und aus gehen. Das war vermutlich nicht das erste Mal. Wie kann ich nur so dumm sein!“

Ranti schnappte sich den Hafersack und zog ihn hinter sich her, ich nahm den Korb und folgte ihr in die Küche. Kaum, dass ich das Gemüse in meine Speisekiste gelegt hatte, bimmelte die Türglocke.

„Das muss sie sein“, wisperte meine Freundin. „Ich gehe schon mal in den Raum und zünde eine Kerze an.

„Alles klar, ich bringe sie zu dir.“

Im Verkaufsraum schimpfte die Frau vor sich hin. Ich ging jede Wette ein, dass sie keine Regenhaube dabeihatte. In der Tat sah sie aus wie eine ins Wasser gefallene Katze.

„Sei gegrüßt, gute Frau. Wie schade, dass dich der Schauer überrascht hat.“

„Sieh dir nur meine schönen, roten Schuhe an, Maid Rosanna! Völlig verdreckt. Hätte ich doch nur meine Holzpantoffeln getragen, aber ich wollte mich unbedingt schön machen für heute Nachmittag“, jammerte sie.

„Wirklich bedauerlich. Aber lass mich dir sagen, dass dein Kuchen wirklich köstlich ist. Niemand backt so gutes Zuckerwerk wie du“, goss ich ein wenig Balsam auf ihre Seele.

Sie nickte kurz, murmelte ein leises Danke und starrte nach wie vor auf ihre verdorbenen Schuhe. „Sie sind handbestickt, weißt du?“

Ich seufzte solidarisch und bedauerte ehrlich, dass meine Heilkünste sich nicht auf von Matsch verdorbene Schuhe anwenden ließen. Handbestickte Schuhe konnte sich unsereins nur ein- oder zweimal im Leben leisten. Wenn überhaupt!

„Soll ich Maid Amarantia Bescheid geben, dass du eingetroffen bist?“, fragte ich und gab meiner Stimme einen feierlichen Unterton.

„Ja, bitte.“

Ich ging zum Vorhang, hinter dem sich der nunmehr umfunktionierte, kleine, wohlduftende Lagerraum befand, schob ihn etwas beiseite und schaute in die von einer kleinen Kerze erhellte Dunkelheit. Hier bewahrte ich vor allem meine Kräutertees auf und getrocknete Rosenblätter, daher der Duft. Ranti verfiel in einen leisen Singsang und tat so, als wäre sie in Trance. Ich wandte mich um und winkte die Kundin heran. „Sie ist nun bereit für dich. Ich sorge dafür, dass euch niemand stört.“

„Und vor allem sag bitte nichts zu meinem Mann. Der wird furchtbar wütend, wenn er davon erfährt. Aber schließlich sind auch meine Mutter und Großmutter wenigstens einmal im Jahr zu einem Wahrsager gegangen.“

„Natürlich, Waltrude. Das verstehe ich doch.“

„Ach ja, alles Gute zum Geburtstag. Möge die Sonne dir allzeit scheinen.“

Ich bedankte mich und zog hinter ihr den Vorhang wieder zu. Dann wandte mich meinem Einkauf zu und verstaute den Rest. Heute Abend würde ich mir eine Gemüsesuppe kochen. Graupen hatte ich noch aus dem Wintervorrat, also würde ich davon auch richtig satt werden. Da sich die Kundschaft momentan nicht blicken ließ – kein Wunder bei dem Wetter – nahm ich mir die Zeit, den Brief meiner Eltern ein weiteres Mal zu lesen. Ich prägte mir die Anweisungen meines Vaters genau ein. Normalerweise machte man hierzulande Papier aus Leinenlumpen und den Fasern alter Hanfseile. Doch wie sollte ich das Papier aus Großlanden nachahmen, wenn ich nicht wusste, welche Art Leim sie verwendeten? Dass genau dieses Wort einem Wasserfleck zum Opfer gefallen war – zu ärgerlich! Aber ich konnte Versuche anstellen, Blüten einzuarbeiten. Einfach nur ein schönes Schmuckpapier zu machen. Oder gar ein nach Gewürzen duftendes! Das sollte ich unbedingt versuchen.

Obwohl ich an ihre Abwesenheit längst gewöhnt war und meine Freiheit genoss, so hatte ich hin und wieder doch Sehnsucht nach Mutter und Vater. Es war nicht unüblich, dass Eltern nach dem Erreichen der Großjährigkeit ihrer Kinder ihre Freiheit genossen, oder dass der Nachwuchs sich auf den Weg in ein Abenteuer machte, bevor er in die Verantwortung als Geschäftsführer oder Hofeigner eingebunden wurde. Aber es gab Momente, da fühlte sich die Trennung einfach falsch an. Was, wenn man einander nie wiedersah?

Meine Gedanken wurden unterbrochen von einem Freudenschrei. Was hatte Ranti Waltrude bloß vorhergesagt? Ich hatte meine Freundin mehr als einmal geraten, vorsichtig zu sein und nicht das Blaue vom Himmel herunter zu prophezeien. Denn enttäuschte Kunden ruinierten gern den Ruf und verhinderten, dass neue Kunden kamen. Aus irgendeinem Grund galt Wahrsagerei nicht als Magie. Gut für Ranti. Aber wie lange würde ihre Märchenerzählerei noch gutgehen? Mir hatte sie vor Jahren schon eine Zeit im Leben vorhergesagt, in der ich unglaubliche Abenteuer in der Ferne erleben und außerdem später eine sehr wichtige Persönlichkeit sein würde.

Ha, ha … wer’s glaubt. Ich jedenfalls nicht! In die Ferne zu ziehen, war nun wirklich das allerletzte, was ich wollte. Ich stand vom Hocker auf und begann, im Verkaufsraum den Schmuck der Waldläufer besser zu präsentieren. Auch zählte ich durch, wie viele Papierbögen ich noch hatte und ordnete alles, was die Kundschaft durcheinandergebracht hatte. Die kleinen Zeichnungen des königlichen Schlosses und die von Krone und Zepter waren noch reichlich vorhanden. Mir kam der Gedanke, vielleicht doch mal das Ersparte anzugreifen und mir Leinwand und Ölfarben zu kaufen. Fürs Erste zum Üben taten es aber auch dünne Holztafeln. Welches Motiv sollte ich wohl in Öl verewigen?

Meine Gedanken wurden von Ranti und Waltrude unterbrochen, die ihre Sitzung beendet hatten. Beide sahen entspannt und hochzufrieden aus, als sie den Verkaufsraum betraten. Die Zuckerbäckersfrau kaufte mir sogar noch eine Halskette ab. „Für meine Tochter, wenn es so weit ist …“, vertraute sie mir an.

Dann verließ sie uns. Der Regen hatte vorerst aufgehört. Die ruinierten Schuhe schienen vergessen.

Ich grinste meine Freundin an. „Wenn was so weit ist? Was hast du ihr bloß erzählt? “

„Dass sie dieses Jahr noch Großmutter wird.“

„Aber Ranti! Wie kannst du nur! Flora und Timor versuchen doch schon seit drei Jahren schwanger zu werden. Denk doch an die Enttäuschung, wenn nichts daraus wird. Die arme Waltrude! Sie wünscht sich doch so sehr Enkelkinder.“

„Ach was! Du vergisst wohl, wer vor dir steht. Die unübertreffliche Wahrsagerin Amarantia höchst persönlich.“ Sie legte eine formvollendete Verbeugung hin, die einer Adligen würdig gewesen wäre.

Ich legte meinen Kopf schief und stemmte meine Hände auf die Hüften, schaute sie streng an.

„Okay, okay. Ich werde es dir verraten. Vorgestern habe ich die beiden gesehen, wie sie aus dem Haus der Hebamme kamen. Flora hatte ihre Hand auf dem Bauch und sah sehr glücklich aus. Und Timor erst recht. Wie der gestrahlt hat!“

„Nun ja, da liegt der Gedanke nahe, dass Flora endlich schwanger ist. Da hast du aber Glück gehabt, die beiden dort zu sehen.“

„Ich bin eben ein Glückskind. Außerdem habe ich Waltrude geraten, sich einen Vorrat an Brennnesseln und Birkenblättern zuzulegen, weil ich kleine Nierensteine ‚gesehen hätte‘. Ich weiß von meiner Mutter, dass das bei ihr in der Familie liegt. Tja, und dann, das war echt seltsam, hörte ich in mir eine Stimme.“ Ranti schaute nachdenklich, fast ängstlich, nach innen.

„Was hat sie gesagt? Spann mich nicht auf die Folter!“

Sie holte tief Luft und hielt sich unbewusst an der Verkaufstheke fest. Ranti wirkte verzweifelt.

„Dass bald ein schwarzer Feuerschatten über die Stadt kommen wird und Häuser brennen werden. Auch das Haus des Zuckerbäckers.“

Jetzt war mir etwas mulmig zumute. Hatte Amarantia etwa wirklich die Gabe? Das war ausgesprochen selten. Vor allem bei den Menschen, die nicht aus den alten Völkern hervorgegangen waren, wie die Fairyborn und andere Magische.

„Ranti, das wäre furchtbar. Das hast du ihr aber nicht gesagt, oder? Hast du diese Stimme schon einmal gehört? Ich ging davon aus, dass du deinen Kunden nur etwas vormachst.“

„Das tue ich ja auch. Abgesehen davon, dass ich sie ‚lesen‘ kann durch Beobachtung ihrer Mimik und mich entsprechend vortaste. Aber diese Stimme, die kam nicht aus mir selbst, das kann nicht sein! Sanna, ich hatte noch nie im Leben solch eine Angst! Was, wenn ich recht habe?“

Sie war den Tränen nahe. Ich nahm sie fest in den Arm und wiegte sie leicht hin und her, als wäre sie ein Kind. Meine allzeit fröhliche, freundliche Ranti – noch nie hatte ich sie so zerbrechlich gesehen, so verzweifelt. Was sollte ich nur tun? So etwas konnte ich nicht heilen. Meine Liebe zu ihr, der besten Freundin meiner Kindertage, musste ausreichen. Nach einer Weile machte sie sich von mir los und sagte: „Wir wollen nicht zu viel hineindeuten. Vielleicht liegt es am Wetter. Oder ich habe heute auf dem Markt etwas Verdorbenes gegessen.“

Skeptisch schaute ich sie an. Das glaubte sie doch wohl selbst nicht!

Plötzlich hörte ich, dass jemand durch den Hintereingang kam. Schritte schlurften über die Dielen. Und dann standen auch schon zwei bewaffnete Männer im Raum. Bedrohlich. Schmutzige, bösartige Kerle.

„Ich will jetzt sofort dein Geld. Alles! Los, macht schon! Bevor die Steuereintreiber kommen.“

Er grinste schäbig. Der alte Mann hatte fast nur noch faule Zähne im Mund und stank wie ein nasser, räudiger Iltis. Sein abgemagerter Begleiter, der langes, strähniges Haar hatte, drohte mir mit einem großen Messer und deutete einen Schnitt durch die Kehle an.

Ich schob mich rasch vor Ranti. Es tat mir für sie wirklich leid, was ich jetzt vor ihren Augen tun musste, aber ich hatte keine Wahl. Ich ließ meiner Wut, meiner Abscheu und meinem Zorn über diese gewalttätigen Männer freien Lauf. Das alte Feenblut in mir kochte in meinen Adern. Ich warf meinen Kopf in den Nacken und heulte laut wie ein Wolf – und so sah ich jetzt auch aus! Ich wuchs um einen Meter an, in der Gestalt eines Wolfdämons. Meine Zähne waren lang, spitz und blutdurstig, meine Krallen scharf und bereit zuzuschlagen.

Die Diebe schrien entsetzt auf und ergriffen panisch die Flucht. Dabei rempelten sie einander an, und der jüngere verletzte sich dabei aus Versehen am Messer. Aufheulend vor Schmerz folgte er dem anderen nach draußen durch den Hintereingang. Ich war mir sicher, der Schock saß tief. Die würden mich nie wieder überfallen! Triumphierend flauten meine Kampfgelüste ab; innerhalb von Sekunden verwandelte ich mich zurück in Rosanna, die Papiermacherin. In die vermeintlich schwache Maid vom Ende der Straße. Als mein Atem sich beruhigt hatte, fiel mir meine Freundin wieder ein. Ob sie in Ohnmacht gefallen war? Ich drehte mich um. Sie starrte mich an, leichenblass, aber gefasst.

„Ranti? Wie geht es dir? Alles in Ordnung? Sie sind weg. Und sie kommen sicher nicht wieder. Du musst keine Angst mehr haben.“

„Äh … du wedelst mit dem Schwanz.“

Verblüfft starrte ich nunmehr sie an. „Ich tue was?“ Ich griff nach hinten und tastete meinen unteren Rücken ab. „Oh. Tatsächlich. Moment bitte.“ Ich konzentrierte mich, und die Wolfsrute verschwand.

„Rosanna! Du bist ja auch ein Hautwechsler!“, rief Ranti vorwurfsvoll. Da ist nicht nur Feenblut in dir. „Wann hattest du vor, mir das zu sagen?“

Verlegen antwortete ich: „Gar nicht?“

„Aber ich bin deine beste Freundin! Sollte ich so etwas nicht wissen? Dass du Feenblut in dir hast, wusste ich ja, schließlich hast du mich schon als Kind geheilt, wenn etwas war. Und ich habe immer dichtgehalten, niemandem habe ich davon erzählt. Wirklich keinem. Aber bei allen Göttern, dass du solche Macht hast! Ich habe Angst vor dir.“

Ihre Stimme zitterte, und sie tat mir sehr leid.

„Ranti, versteh doch … wie sollte ich dir etwas derart Absonderliches erklären? Du wärest nicht länger meine Freundin gewesen, ich hatte einfach Angst, dich zu verlieren.“

„Und außerdem, Rosanna, wie kann das sein? Du bist eben noch größer als ein Mann gewesen, und nun stehst du wieder in deinem Kleid vor mir, und es ist nicht zerfetzt, nicht mal zerknüllt. Das ist doch Zauberei!“

„Es ist nur Illusion! Ich bin weder Wolf noch etwas Dämonisches, bitte glaube mir.“ Kleinlaut fügte ich hinzu: „Allerdings eine handfeste Illusion. Ich verstehe das selbst nicht. Es ist, als gäbe es plötzlich eine andere Wirklichkeit, und dann ist sie wieder weg, wenn die Gefahr vorbei ist. Ich kann das nicht steuern, es passiert mir einfach. Das ist nicht mein freier Wille.“

Ich brach meine Rede ab, denn ich bemerkte etwas Ungutes. Vor dem Fenster stand ein finster dreinschauender Mann. Es war Wolfhardt. Seinem Blick nach zu urteilen, hatte er alles gesehen. Er würde es Lord Roxter sagen, davon war ich überzeugt.

Mein Leben war verwirkt.

Und das an meinem Geburtstag!

-2-

Es hatte über eine Stunde gedauert, Ranti zu beruhigen und sie davon zu überzeugen, dass sie zu ihren Eltern nach Hause gehen sollte. Dass sie mich loslassen musste … Ich würde nicht zulassen, dass sie in dieses Drama hineingezogen wird. Auch wollte ich nicht, dass sie auf die Idee kam, mich bei ihr zuhause zu verstecken, um ein verborgenes Leben in einer fensterlosen Kammer zu führen, bis man mich gefahrlos aus der Stadt schmuggeln konnte. Nein. Ich musste jetzt handeln. Sie würden spätestens morgen früh in der Dämmerung kommen und mich gefangennehmen. Vielleicht sogar noch mitten in der Nacht. Es sei denn, Wolfhardt hatte mich doch nicht verraten. Ich war der Überzeugung, dass er mich wirklich mochte, so, wie er mich angeschaut hatte, als er mir den Hafersack brachte. Doch ein fester Arbeitsplatz mit Kost und Logis inklusive einem Quartals-Salär wog eventuell schwerer als eine gewisse Zuneigung. Vor allem in seiner schwierigen Lage. Oder hatte er mich getäuscht und belogen, um mein Mitgefühl zu wecken und mich in Sicherheit zu wiegen? Warum nur musste Lord Roxter ausgerechnet zur selben Zeit am selben Ort sein, wenn ich einen Verletzten heilte? Verflixt und zugenäht! Am Ende war ihm wohl doch irgendetwas aufgefallen und verdächtig erschienen …

Mir blieb nur die Flucht. Jetzt! Jetzt gleich.

Ich suchte fieberhaft nach meinem Rucksack, den ich früher auf Wanderungen mit meinem Vater genutzt hatte. Währenddessen dachte ich nach, was ich einpacken sollte. Kleidung zum Wechseln natürlich, Ersatzschuhe. Eine warme Jacke für kalte Nächte, die ich notgedrungen im Wald oder den Bergen verbringen musste. Ein Stück Seife, ein Lappen. All mein Geld. Dieses Quartal werde ich dir keine Steuern zahlen, mein König … vielleicht sogar nie wieder, du Feenhasser! Ich fand den Rucksack auf dem Dachboden. Unwirsch wischte ich Spinnweben und Staubflocken von ihm ab, hastete die Leiter hinunter und sammelte mein Zeug ein. Eine Tonflasche für Wasser? Zu schwer, oder? Aber ich musste ja Wasser haben! Und auch Nahrung für die ersten Tage, bis ich in der nächstgrößeren Ortschaft ankam. Ich eilte in die kleine Küche und packte an Essbarem ein, was ich in die Hände bekam. Zuletzt legte ich noch den Rest Kuchen obenauf.

Ich hielt inne. Womit sollte ich unterwegs mein Geld verdienen, wenn meine Reisekasse aufgebraucht war? Vielleicht konnte ich Zeichnungen anfertigen und verkaufen. Also stopfte ich noch meine Zeichenstifte und eine Papierrolle hinein, und auch all den duftenden Schmuck der Waldläufer, der sich gut verkaufen ließ. Den Brief meiner Eltern nahm ich ebenfalls mit. Er würde mein Leitstern sein. Mittlerweile war der Rucksack so schwer, dass ich ihn kaum anheben konnte. So würde ich nicht sehr weit kommen. Also packte ich ihn wieder aus und reduzierte die Last, soweit es mir vertretbar erschien. Als ich fertig war, war es nicht nur ziemlich dunkel, sondern die Wettergeister machten sich einen Spaß daraus, ausgerechnet jetzt einen Starkregen fallen zu lassen. Dazu kam auch noch ein heftiger Wind mit Orkanböen auf. An Flucht war jetzt nicht mehr zu denken.

Ob das ein Zeichen war? Man sollte doch meinen, dass die alten Mächte eine Fairyborn in der Not beschützten? Vielleicht hatte Wolfhardt mich gar nicht verraten! Da ich jetzt beim besten Willen nicht loswandern konnte, ließ ich den Rucksack stehen und ging ins Schlafzimmer, legte mich angezogen aufs Bett. Etwas Ruhe würde gewiss nicht schaden. Obwohl ich wachsam bleiben wollte, überwältigte mich doch der Schlaf. Und ich schlief tief … und lange.

Es war kurz vor Sonnenaufgang, als es an der Tür polterte. Ich bemerkte, dass der Regen aufgehört hatte. Ein Mann rief meinen Namen. Laut und deutlich. Das war eindeutig kein Kunde. Mein Herz schlug schnell und angstvoll. Die Wache war gekommen, mich zu holen! Was nun? Wie konnte ich nur einschlafen und den besten Zeitpunkt zur Flucht verpassen?

„Mach endlich auf, elendes Weib! Sonst brennen wir den Laden nieder! Und dich gleich mit!“

Feuer? Das würden sie nicht wagen! Oder etwa doch?

Mir blieb nichts anderes übrig, als mich ihnen zu stellen. Mit Inbrunst verfluchte ich den Mann ohne Gedächtnis. Wie konnte er mir das antun? Ich sammelte meine Kräfte und ging die Stiege hinab zum Verkaufsraum. Durch das Fenster sah ich drei bewaffnete Männer des Königs. Brauchte es wirklich drei kräftige Kerle, um eine junge Frau zu verhaften? Meine innere Stimme raunte mir zu: Wenn diese mit einer Wolfsrute wedeln kann, dann schon.

Ich nahm meinen Mut zusammen und schloss auf. „Was macht ihr für ein Geschrei am frühen Morgen?“, fragte ich frech. „Ich öffne für gewöhnlich meinen Laden weit nach Sonnenaufgang.“ Wenn ich schon untergehen musste, dann bitte mit Stolz und Gloria.

„Bist du die Maid Rosanna?“, fragte mich hölzern der Wortführer.

„Wer denn sonst?“

„Im Namen des Königs wirst du verhaftet. Wir werden dich Lord Roxter überstellen. Komm mit und mach keinen Ärger. Sonst bereust du es.“

Er hatte eindeutig Angst vor mir, das sah ich in seinen Augen. Also wusste zumindest er, dass ich die Gestalt eines Wolfsdämons annehmen konnte. Die anderen beiden waren eher der stumpfsinnige Typ Soldat, außerdem wirkten sie verschlafen. Dennoch schob sich einer der beiden an mir vorbei und durchsuchte mein Haus.

„Ich habe nichts Unrechtes getan!“, versuchte ich halbherzig mein Glück.

„Man hat dich gesehen, wie du Magie ausübst. Und nun komm. Sonst zerre ich dich mit Gewalt in den Käfig.“

Käfig? Ich trat einen Schritt vor und schaute auf die Straße. Da stand doch tatsächlich ein Käfigwagen! Damit wurden gefährliche Schwerverbrecher transportiert. Die wollten mich darin zum Gericht karren? Wie peinlich. Die ersten Nachbarn streckten schon die Hälse aus Tür oder Fenster.

„Ich kann die Strecke auch zu Fuß gehen, es ist nicht nötig …“

„Es reicht!“, fuhr er mich an und packte meinen Oberarm, schob mich energisch voran und verfrachtete mich recht grob in den Käfig. Sein Mitstreiter verschloss ihn sorgfältig. Ich sah, wie der andere Mann mit meinem gepackten Rucksack aus der Tür trat, zu seinen Gefährten aufschloss und kurz darauf begann ruckelnd die Fahrt.

Ich schlug die Hände vors Gesicht und weinte. Meine lieben Eltern! Ich würde sie nie wiedersehen. Auch nicht meine liebste Freundin, oder den netten Talvo. Ich würde nicht erfahren, ob Waltrude eine glückliche Oma sein würde. Mein Leben war verwirkt. Magie war hierzulande das größte Verbrechen, schlimmer noch als Mord und Totschlag. Jede Ausübung galt als persönlicher Affront und direkte Gefährdung des Königshauses. Ironischerweise galt dies nicht für die magischen Schalen, in die jeder, der ein Gewerbe betrieb, viermal im Jahr den zehnten Teil seines Einkommens legen musste. Die Schalen beförderten das Geld direkt in die Schatzkammer des Königs. So war das schon immer gewesen, sehr praktisch, warum also damit aufhören? Dieser elende Heuchler!

Als wir vor dem Gerichtsgebäude hielten, wurde mir übel vor Angst und ich erbrach Galle. Würden sie mich publikumswirksam am Galgen aufhängen? Verbrennen? Vierteilen? Etwa gleich heute noch? Ich zitterte am ganzen Körper, als mich der Wächter aus dem Karren zerrte. Das Pferd, das diesen gezogen hatte, schnaubte laut und scharrte mit dem Huf. Zu zweit führten sie mich ins Haus, während der dritte zurückblieb. Sie brachten mich in den Gerichtssaal. Lord Roxter saß auf seinem Lehnstuhl. Seltsam leidenschaftslos sah er mich an. Ein Protokollant war zugegen, sonst niemand.

„Knie nieder vor dem Obersten Richter“, zischelte mir einer der Kerle ins Ohr und drückte mich mit Gewalt zu Boden. Dann traten beide zur Seite und nahmen Haltung an, jederzeit bereit, mich mit ihrer Lanze niederzustechen, falls ich den Lord angreifen sollte.

Eine ganze Weile lang starrte mich der Richter nur an. Es war zermürbend, weil er der Herr über Tod oder Leben war. Ich stand hier ganz allein vor Gericht, kein Anwalt für mich, keine Geschworenen, keine Zuschauer. Niemand, der mir beistand.

Dann sprach er endlich. „Du wirst beschuldigt, ein Wolfsdämon zu sein.“

Ich verneinte vehement.

Der dritte Wachmann der Garde kam hinzu, er trug meinen Rucksack und übergab ihn mit einer devoten Verbeugung dem Richter.

„Du wolltest fliehen!“, warf dieser mir vor. „Das ist ein Schuldeingeständnis.“

„Das ist nicht wahr!“, rief ich.

Lord Roxter öffnete ihn und griff hinein, ließ meine Sachen einzeln zu Boden fallen, nachdem er sie ausgiebig betrachtet hatte. Sogar den Rest Kuchen von Waltrude. Und meine Unterwäsche … dieses Dreckschwein!

„Das sieht mir aber ganz nach Fluchtvorbereitungen aus. Du hast sogar Seife dabei. Wie niedlich. Ein sauberer, gut duftender Dämon. Hat man sowas schon gehört?“ Er lachte gekünstelt und schaute die Soldaten Beifall heischend an.

Fieberhaft überlegte ich eine Ausrede. „Ich wollte wandern gehen.“

„Wohl kaum.“ Nun hielt er den Brief meiner Eltern in der Hand und las ihn schamlos. „Aha, du bist also eine Papiermacherin. Du machst deinen Eltern Schande mit deiner Magie! Wissen sie davon?“

Ich war noch nie so froh wie in diesem Augenblick, dass Mutter und Vater weit, weit weg waren. Bis Großlanden reichte seine Macht nicht.

„Da gibt es nichts zu wissen. Ich betreibe keine Magie, sondern schöpfe Papier und verkaufe Schreibfedern und meine eigene Tinte! Meine Eltern haben mich dies gelehrt und sie sind ehrenwerte Royalisten, stehen voll und ganz zum Königshaus. Mein Vater hat während des Aufstands gedient!“

„Natürlich. Das haben doch alle, mehr oder weniger. Nun hör schon auf zu leugnen! Du verschwendest nur meine Zeit. Ich selbst habe gesehen, wie du mitten auf dem Marktplatz einen alten Mann auf Art der Feen geheilt hast. Du bist also zweifach schuldig.“

Oh, verdammt. Wie war das möglich? Das ging doch nur, wenn er selbst …?

Maliziös grinste er mich an.