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Kann eine mächtige Hexe in Großbritannien ein normales Leben führen? Dandelia Dorca wünscht sich nichts mehr, seit sie die verborgene Insel Avalon verlassen hat. Für ihr Glück mit ihrem Mann Oliver und ihrem Sohn Artan unterdrückt sie ihre magische Natur, was sie zunehmend krank macht. Aber dann bricht eine Katastrophe über Avalon herein, die Dandelia keine Wahl mehr lässt, als ihre Kräfte einzusetzen.
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Inhaltsverzeichnis
Dandelia Dorca - Hexe aus Avalon
Die wahre Geschichte der Dandelia Dorca
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Epilog
Dandelia Dorca und die Wunschkekse
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Epilog
Dandelia Dorca und das Ungeheuer von Loch Ness
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Dandelia Dorca und der Drachenkönig von Anterra
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Leseprobe aus „Der Fluch von Rosegarden Manor“
Wie wird es weitergehen?
(Sammelband)
Urban Fantasy
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Inhalt:
Das wahre Leben der Dandelia Dorca
Dandelia Dorca und die Wunschkekse
Dandelia Dorca und das Ungeheuer von Loch Ness
Dandelia Dorca und der Drachenkönig von Anterra
Leseprobe aus: „Der Fluch von Rosegarden Manor“
© 2022 Überarbeitete Fassung
Autorin: Marlies Lüer, Fuhrberger Str. 95, 29225 Celle
Cover und Bildrechte: Renee Rott, Dream Design
Innenillustration: Eva Baumann Design, unter Verwendung von Shutterstock-Bildern
Anmerkung:
In der Geschichte wird euch ein walisischer Name begegnen
Glewlwyd
(Aussprache: Gleu-lu-id)
Sorry, aber der Name muss sein wegen seiner Bedeutung.
„Der kühne Graue mit dem kräftigen Zugriff“ ist der Name eines Torwächters
in der Walisischen Mythologie und passt wunderbar zu dem Wächter von Avalon
Andere Leute hatten Kuckucksuhren. Oder programmierbare Kaffeemaschinen und werden vom Duft frisch gemahlener und mit kochend heißem Wasser übergossener Arabica-Kaffeebohnen geweckt. Nicht so Daniela. Sie wurde täglich Punkt 7 Uhr von ihrem Schulterdrachen aus dem süßen Schlaf gerissen. Ob sie nun zur Arbeit musste oder nicht. Und wenn sie sich unwillig auf die andere Seite drehte, um noch ein Viertelstündchen im Bett zu bleiben, das so weich und bequem war, dann büßte sie das mit der Aktion „Drachenzunge in Ohrmuschel“. Und wenn auch das sie nicht aus den Federn lockte, dann spuckte ihr Drache eben ein klein wenig Feuer. Ihre Haare sahen häufig etwas angesengt aus, was Daniela ihrem Chef mit Unachtsamkeit beim Haare föhnen erklärte. Daraufhin hatte er ihr einen Fön von hoher Qualität geschenkt und einen Tiegel mit bio-zertifizierter Haarbutter. Daniela hatte sich gefreut, aber ihre Haare sahen dennoch keinen Deut besser aus. Sie war nun mal eine begnadete Schläferin. Heute aber eskalierte die Situation im Schlafzimmer nur bis zur „Zunge-im-Ohr“-Stufe. Daniela schaffte es, gleichzeitig mürrisch auszuschauen und doch zu lächeln. Sie liebte ihren kleinen Schatz nun mal und wäre ohne ihn verloren.
„Schon gut, schon gut. Du hast gewonnen.“
Mit freundlicher Strenge schob sie den moosgrünen Drachen von ihrer Schulter auf die Bettdecke und setzte sich auf, ungeniert gähnend – schließlich war sie, abgesehen vom lebendigen Wecker, ganz allein in der Wohnung und konnte sich gute Manieren sparen. Daniela befreite sich von der Zudecke, die mit Alpakawolle gefüllt war, und begrub, ohne es zu merken, den Schulterdrachen darunter. Als sie ins Bad schlurfte, flog das Deckbett unter der Zimmerdecke im Kreis umher, bis er es geschafft hatte, es abzustreifen. Die Zudecke plumpste fast lautlos auf die Matratze und bildete nun ein malerisches Versprechen von Ruhe und Gemütlichkeit in Form eines Nestes. Ungeniert ließ sich der Drache dort nieder, drehte sich wie ein kleiner Hund einige Male im Kreis und schloss seine goldfarbenen Augen für ein Nickerchen, solange, bis die junge Frau das Bad verließ und nunmehr deutlich munterer in die Küche ging, um ein Frühstück für Zwei zuzubereiten. Bald darauf ertönte ihre dunkle Stimme, die so gar nicht zu ihren Sommersprossen passen wollte.
„Waldi! Frühstück ist fertig. Heute gibt es Avocaadoooo!“
Ein Lid hob sich zur Gänze und das zweite öffnete sich halb. War das etwa ihr Ernst? Für Grünzeug stand er nicht auf. Wenigstens ein Ei sollte es schon sein. Aus seinen rosigen Nüstern quoll ein wenig Rauch der Empörung.
„Nein, war nur ein Scherz! Nun komm schon, sonst esse ich deine Frikadelle auf.“
Waldi straffte seine Flügel. In Null Komma Nichts saß er auf dem Küchentisch und machte sich über die erste Mahlzeit des Tages her. Daniela aß tatsächlich eine Avocado, die sie mit Kakaopulver bestäubt hatte und offensichtlich genussvoll löffelte. In ihrem Becher dampfte gefriergetrockneter Kaffee vor sich hin. Für einen anständigen, von Hand aufgegossenen Filterkaffee fehlte ihr der Elan zu dieser Tageszeit. Sie war mit ihrer Mahlzeit kaum fertig, da klingelte es an der Tür ihres kleinen Hauses, das sich zwischen zwei wesentlich größere und wesentlich modernere Bauten duckte. Hinter dem Haus lag ein verwunschener Garten, verwildert, überwuchert, blühend und Frucht tragend. Auf der anderen Seite des Gartens stand die große Schwester von Danielas Haus, ein identischer Zwilling. Bloß mit dem Unterschied, dass es eine Etage mehr hatte nebst Dachboden. Der Garten war somit der Stadt entrückt. Ein bärtiges Gesicht schob sich in dem Moment, als Daniela aus der Küche schlurfte, vor das kleine Guckfenster neben der Haustür. Der alte Postbote winkte ihr mit einem dicken Umschlag. Die junge Hausherrin öffnete das Fenster mit einem freundlichen Lächeln, denn sie mochte den alten Knaben. Sie waren mal ins Gespräch gekommen, er stammte aus Berlin, war nicht in England geboren. Er erinnerte sie an jemanden, der auch so buschige Augenbrauen hatte, aber an wen genau, das wusste sie nicht. Wie so vieles andere auch nicht. Ihr Gedächtnis war wie der Garten von einer hohen Mauer umgeben. Zumindest fühlte es sich so an, was sie allerdings nicht in Sorge versetzte. Irgendwie war das sogar schön, immer in der Gegenwart zu leben. Waldi kam ihr hinterhergeflogen und setzte sich auf die Sitzstange nahe der Tür, die wie ein überdimensioniertes „T“ aussah, schaute wachsam den Mann an und schnupperte. Die olfaktorische Prüfung fiel zu dessen Gunsten aus. Keine Gefahr. Waldi entspannte sich und legte die Flügel locker auf seinem Rücken gefaltet ab.
„Guten Morgen, hier ist Ihre Post, sie passt nicht durch den Briefschlitz.“
„Danke! Darauf habe ich schon gewartet.“
„Wie geht’s dem Papagei? Er schaut mich immer so streng an. Ich habe das Gefühl, Sie brauchen keinen Wachhund, was?“
„Mein Schulterdrache? Ach, dem geht’s prima.“
„Na, der Name passt ja zu dem mürrischen Vogel. Fehlt nur noch, dass er Feuer speit!“
Der Mann lachte lauthals über seinen Witz. Unwillkürlich griff Daniela sich in die Haare …
„Ich muss jetzt weiter, schönen Tag noch!“, grüßte der Postbote und ging über den schmalen Weg aus Trittsteinen durch den kleinen Vorgarten zurück zu seinem vollbeladenen Fahrrad. „Schöner Fingerhut, den Sie hier überall haben! Habe nirgendwo jemals größeren gesehen“, rief er noch anerkennend und verschwand aus Danielas Blickfeld.
„Er heißt Waldemar Waldmeister“, rief sie ihm hinterher. „Aber ich rufe ihn lieber Waldi“, sandte sie noch nach, doch er schien sie nicht mehr gehört zu haben. Daniela schloss das Fenster und fragte sich, wieso alle Leute stets ihren Waldi für einen Papagei hielten? Aus dem Augenwinkel sah es jetzt in diesem Moment tatsächlich so aus, als hätte er ein Federkleid und einen gebogenen Schnabel, aber als sie vom Umschlag wieder aufsah und ihrem kleinen Liebling in die goldenen Augen schaute, sah er ganz und gar nicht wie ein Papagei aus. Die Leute redeten so einen Nonsens, das nahm schon Einfluss auf ihre Wahrnehmung! Sie zuckte mit den Schultern und riss den Umschlag auf. Darin befanden sich Gewürztüten und Tees aus Übersee. Daniela hätte gern an jeder Tüte ausführlich geschnuppert, aber ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie sich beeilen musste, wenn der Laden nicht schon wieder zu spät öffnen sollte.
„Oh nein, heute kommt ja die Lieferung mit dem Halloween-Kram!“
Daniela legte den Umschlag auf der Garderobe ab und beeilte sich, ihre Schuhe anzuziehen. Sie schaute schnell noch kritisch auf den Boden der dick mit Zeitung ausgelegten Vogelvoliere. Müsste auch mal wieder gesäubert werden.
„Für heute muss es noch reichen, mein Schatz. Morgen mache ich deinen kleinen Palast sauber, versprochen! Ich würde dich gern mitnehmen ins Geschäft, aber du weißt ja, die Katze! Mit der ist nicht zu spaßen. Lass dir den Tag nicht lang werden.“
Sie warf einen prüfenden Blick auf die zum Glück gut verheilende Kratzwunde auf dem Schwanz des Drachen, schnappte sich ihren Schlüsselbund und verließ eilig die Wohnung, um zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen: „Oliveros Zauberladen“. Dafür musste sie praktischerweise nur durch den Garten laufen und das Geschäft durch die Hintertür betreten.
Waldi zuckte etwas zusammen, als die Tür krachend ins Schloss fiel. Er warf einen angeekelten Blick in die antike Voliere aus Metall.
„Wie ich das hasse, dort zu …!“, dachte er.
Als Daniela etwas atemlos den Laden erreichte und in den Verkaufsraum hastete, um die Eingangstür aufzuschließen, war der Lieferwagen schon vor Ort. Weil der Fahrer sich gerade mit finsterer Miene von der Tür abwandte, um wieder hinters Steuer zu steigen, schaltete Daniela schnell die Beleuchtung ein und ruderte wild mit den Armen, öffnete die Tür weit und schob einen Keil darunter.
„Warten Sie! Haaalloooo!“
Das Motorengeräusch erstarb und der ältliche Fahrer stieg unwillig aus.
„Kleine Lady, das nächste Mal, wenn Sie mich wieder warten lassen, fahre ich einfach davon oder ich schmeiße Ihnen das Zeug vor die Tür und fälsche die Unterschrift. Da kenn ich nix!“, drohte er. „Hab schließlich noch mehr Kunden zu beliefern.“ Sein Schnauzbart zitterte leicht vor Empörung.
„Es tut mir so leid, ehrlich. Soll nicht wieder vorkommen.“ Daniela ließ die Wimpern klimpern und setzte ihr süßestes Kleinmädchenlächeln auf, aber irgendwie fehlte ihr offenbar heute der Zauber, das gewisse Etwas … denn seine Miene blieb finster.
Der Fahrer schnaubte verächtlich. „Das sagen Sie jedes verdammte Mal. Kaufen Sie sich einen Wecker, den sie auch hören können.“
Daniela fühlte beim Wort Wecker förmlich Waldis feuchte Zunge in ihrem Ohr und schauderte. Aus dem Lagerraum holte sie den Palettenwagen und schob ihn eilig zum Eingang, riss dabei den Drehständer mit den Zauberstäben aus Hogwarts um. Verflixt nochmal! Zum x-ten Male wünschte sie sich, es gäbe einen Hintereingang für die Lieferanten und viel Platz in einem gut beleuchteten Lager, staubfrei und ansehnlich. Aber nein, sie musste alles durch den Verkaufsraum schleppen und schieben und dann in irgendwelche staubigen Lücken stopfen, bis unter die Decke in einem Flur mit veralteter Elektrik, die immerzu die Glühbirnen platzen ließ. Im sogenannten Sozialraum, der auch nicht mehr war als eine kleine Küchenzeile zum Teekochen mit wackeligem Tisch am Fenster einschließlich Blick in den Garten, stapelte sie all die Kisten, die nicht mehr in den Flur passten. Der Fahrer war heute wirklich ungnädig und nachtragend. Daher stellte er die Lieferung einfach nur vorne im Laden ab, einen Teil draußen auf der Türschwelle – und verschwand grußlos ohne ihre schriftliche Annahmebestätigung.
Daniela schickte ihm leise einen herzhaften Fluch hinterher, wohl wissend, dass der Fehler bei ihr lag. An den Fingern zählte Daniela die Tage ab und kam erfreut zu dem Schluss, dass ihr Chef schon morgen von seiner Reise zurückkehren würde. Sie nahm eins der Pakete von der Türschwelle hoch und ächzte unter der Last. Was hatte ihr Arbeitgeber bloß wieder alles bestellt? Der Lkw war mittlerweile an der Ampel rechts abgebogen, aber er kam quietschend zum Stehen und die Warnblinkanlage ging an. Was war denn nun wieder? Der Mann stieg aus dem Wagen und trat wütend gegen einen der Reifen. Es gab ein kleines Hupkonzert, worauf der Lieferant wütend seine Faust schüttelte und – vermutlich – den Hupenden wüste Beschimpfungen spendierte, die den geplatzten Reifen aber auch nicht wieder fahrtüchtig machen würden. Daniela wandte sich ab, zumal das Paket schwerer und schwerer wurde. Kleine Lady … also wirklich! Allein dafür hatte er mieses Karma verdient. Instant-Karma!
Oh nein! Daniela wurde fast übel, als sie zurückschaute. Eins der Päckchen lag mitten auf dem Weg. Außerhalb ihrer Reichweite. Jetzt musste sie all ihren Mut zusammennehmen. Sie hielt sich am Türrahmen fest, ein Fuß stand auf der Schwelle, mit dem anderen angelte sie nach dem Päckchen. Es fehlte nur wenig, vielleicht zwei, drei Zentimeter. Könnte sie doch nur ihr Bein wachsen lassen! Könnte sie doch nur ihre Angst vor der Straße überwinden, die für sie so gefährlich schien wie ein Meer voller Haie, wie eine Schlucht mit fließender Lava, wie ein Feld voller Tretminen! Auf ihrer Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen. Ein Kind auf einem Roller fuhr vorbei. Zu schnell, als dass Daniela es um Hilfe hätte bitten können. Musste es denn ausgerechnet das Päckchen mit der teuersten Ware sein? Sie hatte den Stempel erkannt. Eine Lieferung aus Tibet. Räucherware und Pilze für ganz bestimmte, ominöse Zwecke, der Kilopreis lag bei mindestens 600 €. Ob sie es kurz aus den Augen lassen konnte, um sich den Besen aus der Küche zu holen? Besen! Das war die Lösung! Warum hatte sie nicht gleich daran gedacht? Sie riss in Windeseile den Nimbus 2000 aus seiner Halterung im Schaufenster zu ihrer Linken, lief zurück zur Tür und angelte damit nach dem Päckchen. Kurz darauf lag die kostbare Fracht in ihrer Hand. Ihr Herz raste. Sie war erst seit einer guten Viertelstunde im Laden, aber schon reif für den Feierabend. Als die Päckchen und Pakete mehr oder weniger ordentlich verstaut waren, bis auf die, die sie heute noch unbedingt auspacken musste, gönnte sie sich in der Mini-Küche einen Kamillentee und ein paar Kekse.
Heute war es erstaunlich ruhig im Laden, zu ruhig eigentlich. Aber warum nicht die Gunst der Stunde nutzen und sich etwas entspannen? Der Tag würde noch lang genug werden, denn geschlossen wurde erst um 19.30 Uhr. Daniela schaute verträumt aus dem Küchenfenster in den verwilderten, ummauerten Garten, der der einzige vernünftige Grund dafür war, dass es keinen Lieferantenhintereingang gab. Ihr Chef kümmerte sich herzlich wenig um das Fleckchen Erde, das da in aller Pracht vor sich hinvegetierte, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Vegetation war eindrucksvoll. Alte Eiben und Haselnussbüsche, Efeu, Lavendel in lila, rosa und weiß und einiges, dessen Name sie nicht kannte. Massenhaft wilde Kräuter und daher auch jede Menge umherschwirrender Insekten und Vögel. Ein Paradies!
Der Garten war das Reich der Ladenkatze: Severus, ein nachtschwarzer Kater, eigenwillig, etwas boshaft, aber wunderschön mit smaragdgrünen Augen. So grün wie die Lederhaut ihres Schulterdrachens. Wenn der Kater durch die Katzenklappe dieses Haus betrat, leuchteten vorn im Laden die Augen einer überdimensionierten Wandskulptur der Grinsekatze aus Alices Wunderland auf. Da dies eher selten zu den Öffnungszeiten geschah, kursierte in der Kundschaft ein Gerücht. Es hieß, es würde Glück bringen, die Augen leuchten zu sehen. Einige aber schworen darauf, dass sie nichts als Pech gehabt hätten, sieben Tage und Nächte lang, nachdem die Grinsekatze sie angestarrt hatte. Daniela, die dem Okkulten nicht abgeneigt war, konnte sich lebhaft vorstellen, dass Severus in Wahrheit ein uralter Magier war, der sich inkognito auf dieser Seite der Erdenwirklichkeit aufhielt. Wobei ihr selbst nicht ganz klar war, was sie mit „dieser Seite der Erdenwirklichkeit“ meinte. Immer, wenn sie näher über etwas nachdachte, was ihr suspekt war, wurden ihre Gedanken ganz wuselig und unscharf. Vermutlich war der Kater mit seinem hypnotischen Blick dran schuld. Andererseits hatte sie das Problem auch in ihrer Wohnung, fiel ihr ein. Daniela trank noch einen Schluck Tee und lächelte in sich hinein. Es gab noch eine zweite Ursache in ihrem Leben für wuselige Gedanken. Nämlich die leider seltene Anwesenheit des Inhabers, der über dem Laden wohnte. Sein Rasierwasser duftete nach Sandelholz und Zimt. Er hieß vermutlich nicht wirklich Olivero, schließlich waren sie hier nicht in der Winkelgasse. Doch einen anderen Namen als diesen kannte sie nicht. Das war merkwürdig. Und auch, dass er ihr auf eine unterschwellige, dennoch eindringliche Art bekannt vorkam, war merkwürdig. Bekannt in dem Sinne, als müsste sie ihn schon viele, viele Jahre kennen. Aber das war ja nicht der Fall. Sie arbeitete hier erst seit …? Keine Ahnung, seit wann genau, aber egal, Hauptsache, sie hatte den Job hier und musste nicht vor die Tür. Kein anderer Mensch löste in ihr dieses Gefühl der Verbundenheit aus. Allerdings kannte sie nicht gerade viele Leute. Außer ‚Mein-Name-ist-nicht-Olivero‘ und den Fahrer Paul kannte sie niemanden beim Namen. Oh, doch! Antonio, den Pizzaboten. Den konnte sie auch mit Vornamen ansprechen. Ob alle Menschen so wenige Leute kannten? Daniela rieb sich die Stirn, hinter der wieder dieser graue Nebel aufzog, der alles Denken mit einer wohligen Schwere überdeckte und die Gedanken so aalglatt machte, dass sie ihr davonflutschten, kaum dass sie auftauchten. Worüber hatte sie noch gerade eben nachgedacht? Sie wusste es nicht mehr. War dann wohl auch nicht so wichtig gewesen. Oder? Daniela zuckte ergeben mit den Schultern und lenkte ihren Blick wieder in den Garten. In diesem Moment öffnete sich die elektronische Katzenklappe und Severus spazierte hoheitsvoll herein. Er schaute sie vorwurfsvoll an. Sehr vorwurfsvoll.
„Na, was habe ich Eure Hoheit angetan? Das Futter vergessen?“
Daniela grinste. Das hatte sie tatsächlich! Er bekam am Morgen ein Schälchen Trockenfutter gereicht, verziert mit etwas Thunfisch aus der Dose. Anweisung von Olivero. Sie stellte ihren Teebecher ab und kam ihren Pflichten nach. Der Kater verschlang den Fisch, aber nicht das Trockenfutter. Sorgfältig putzte er sich Mäulchen und Barthaare und schaute sie immer noch vorwurfsvoll an, ließ sogar ein kleines Fauchen hören.
„Schlecht gelaunt, oder was?“
Sie ließ ihn einfach stehen, schnappte sich das Teppichmesser und begann, die Pakete zu öffnen. Ihr Tee war vergessen und wurde kalt.
Nachdem sie den Ständer mit den Zauberstäben wieder in eine aufrechte Stellung gebracht hatte, räumte sie die Stäbe, die einem Mikado gleich auf dem Boden verteilt lagen, in ihre Halterungen zurück, ergänzte die Lücken mit der neuen Lieferung. Verträumt hielt sie eine original lizensierte Nachbildung von Hermine Grangers Zauberstab vor ihre Augen und bewunderte die zarte Blumenranke, die ihn anmutig umschlang. Die Stäbe von Harry und Dumbledore hingegen mochte sie nicht besonders. Waren einfach zu grob für ihren Geschmack. Als sie mit dem Ständer zufrieden war, wandte sie sich der nächsten Kiste zu, hierin waren Drachenskulpturen und Hörner von Einhörnern, die sie auf den ersten Blick als lachhafte Fälschungen erkannt hatte. Überhaupt war es ihr peinlich, dass ihr Chef neben all dem Tand und den Büchern fast nur Fälschungen verkaufte, bis auf seltene Ausnahmen, die fast alle im Tresor lagen. Sie erkannte das mit Sicherheit, weil den gefälschten Gegenständen das magische Fluidum fehlte. Doch die Kundschaft war damit zufrieden. Wie anspruchslos die Leute dieser Stadt doch waren! Apropos seltene Ausnahmen … Daniela fiel das Päckchen aus Tibet ein, sie deponierte es rasch unter der Ladentheke im Geheimfach.
Kurz darauf kam der erste Kunde dieses Tages und fragte nach Tarotkarten.
„Ich hoffe, Sie haben die alten Klassiker im Angebot“, sagte der ältliche Mann, der schmale Lackschuhe an seinen Füßen und einen roten Künstlerschal locker um den faltigen Hals trug. „Nicht das Zeug, was man bei Amazon bekommt. Richtige Tarotkarten, Gnädigste, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Auch wenn der Kunde der Typ „blasierter Besserwisser“ zu sein schien, nickte Daniela angemessen freundlich und führte ihn zu einem schmalen Regal, das über den Runensteinen und den schwarzen Kerzen an der Wand befestigt war. In die Seitenwände des Regals waren lauter Köpfe von Waldtieren geschnitzt: Bären, Füchse, Marder, Eber und Eulen – eins ging ins andere über. Angeblich war das Ebenholzregal an die dreihundert Jahre alt. Zielsicher griff sie nach einem Original der Marseillekarten aus der Werkstatt des Nicolas Conver, nachdem sie sich weiße Handschuhe übergestreift hatte.
„18. Jahrhundert. Und wenn Ihnen das noch nicht alt genug ist, haben wir auch ein äußerst seltenes Exemplar aus dem alten Ägypten, was aber im Tresor liegt. Der Inhaber des Ladens dürfte am Montag wieder zu sprechen sein.“
Dass im Tresor auch ein Original aus Atlantis lag, verschwieg sie noch. Das zu offenbaren, lag allein in der Entscheidung des Ladeninhabers. Der Kunde überlegte. Er machte einen überraschten Eindruck und bekam kleine hektische Flecken am Hals, die lustigerweise dieselbe Farbe wie der Seidenschal hatten. Ein Sammler, ordnete Daniela ihn ein.
„Und was kostet dieses Deck von Conver?“
„320 Pfund für Marseille, die ägyptischen kosten etwa das Doppelte.“
Der Kunde zeigte sich unbeeindruckt. Andere Kunden zuckten im Allgemeinen etwas zusammen, wenn sie die Preise nannte.
„Es ist eine echte Antiquität“, versicherte sie.
„Angeblich gibt es hier auch atlantische Decks?“, fragte er lauernd.
„Durchaus.“ Ein gieriges Funkeln in seinen Augen sagte Daniela, dass sie ihn am Haken hatte. „Ich überlasse es meinem Arbeitgeber, Ihnen die Summe zu nennen. Ich kann Ihnen aber versichern, dass sie sechsstellig ist.“
„Hier ist meine Karte“, sagte er mit rauer Stimme. „Bitte übergeben Sie sie an Ihren Arbeitgeber. Er möge mich alsbald kontaktieren.“
Als Daniela die Karte annahm, sah sie, dass Severus im Bücherregal in einer Lücke lag. Er fixierte den Mann, sein Schwanz schlug hin und her und die Öhrchen zuckten. Was ihn wohl so aufregte? War etwa eine Maus im Laden? Daniela schaute sich unauffällig um, als sie den Kunden freundlich und zuvorkommend verabschiedete. Kaum hatte dieser das Geschäft verlassen, kam ein magerer Mann um die Vierzig herein. Er sah ungepflegt aus und nervös. Unter den Fingernägeln starrte schwarzer Dreck. Auch seine Schuhe hatten schon bessere Zeiten gesehen. Mal abgesehen davon stank der Kerl säuerlich und jagte ihr aus irgendeinem Grund eine Heidenangst ein. Er ging langsam zur Theke, wo die Kasse stand. Daniela zog die Handschuhe aus, drehte unruhig den silbernen Ring an ihrem kleinen Finger, nahm ihren Mut zusammen und ging zur Theke, stellte sich Schutz suchend dahinter, bereit, in den abschließbaren Flur zu fliehen, wenn nötig. Der Kerl nickte ihr kurz zu, tippte mit den Fingerknöcheln auf die Theke und sah sie bedeutungsvoll an.
„5 Gramm.“
Daniela zog fragend die Augenbrauen hoch.
„5 Gramm wovon?“
„Na das da!“ Er deutete wieder auf die Theke, schaute sich nervös um. „Nun mach schon, Alte. Du wirst doch wohl wissen, was dein Boss hier vertickt.“
Daniela schüttelte den Kopf.
„Vielleicht gehen Sie lieber. Mein Chef ist nicht da.“
Im selben Moment merkte sie, dass sie eben eine große Dummheit begangen hatte. Zuzugeben, dass sie allein war, war so ziemlich das Dämlichste, was sie hatte tun können. Der Kerl grinste sie schmierig an und wischte mit dem Handrücken den Schweiß von seiner Stirn. Im nächsten Moment warf er sich auf den Tresen und griff zielstrebig ins Fach unter der Steinplatte, doch griff seine Hand ins Leere. „Wo sind die verdammten tibetischen Pilze?“ Er hatte kaum den Satz ausgesprochen, da sprang ihm Severus mit ausgefahrenen Krallen ins Genick und zerfetzte ihm mit aller Macht das Gesicht. Wütend vor Schmerz aufheulend, packte der Mann das Tier und riss es von sich los, warf es mit Karacho gegen die Wand. Fluchend und blutend rannte er aus dem Laden. Daniela lief sofort zur Katze und hob sie vom Boden auf.
„Katerchen, geht es dir gut? Hat der böse Mann dir wehgetan?“
Besorgt untersuchte sie das Tier auf Verletzungen, aber er schien unbeschadet davongekommen zu sein, zitterte allerdings. Mit tröstenden Worten hielt sie das Tier in ihren Armen, streichelte es zärtlich.
„Du lieber, tapferer Kater. Du hast mich gerettet! Dafür hast du dir eine zweite Portion Fisch verdient, eine gaaaanz große“, schmeichelte sie ihm. „Du bist ein richtiger Held, weißt du das?“
„Miau.“
Severus rieb seinen Kopf an ihrer Halsbeuge und sah sehr zufrieden aus, während seine Pfote auf ihrer Brust lag. Daniela schnupperte verblüfft. Roch sein Fell wirklich nach Zimt? Hatte er sich etwa über ihre Keksvorräte hergemacht? Er schaute ihr mit seinen smaragdgrünen Augen tief in die Augen und schnurrte. Auf seinem Schädel, zwischen den Ohren, zog sich eine kleine Spur der Verwüstung in Form einer Brandnarbe, die er Waldemar Waldmeister zu verdanken hatte, wie Daniela wusste. Die beiden waren spinnefeind. Warum, war ihr nicht klar. Seit dem Vorfall vor zwei Wochen ließ sie ihren Drachen nicht mehr in den Garten. Severus hatte dort ältere Rechte.
***
Der Rest des Tages verlief ruhig mit freundlichen, höflichen Kunden, die ein dickes Portemonnaie mit sich führten. Es war, als wolle der Tag sich bei ihr für den schlechten Start entschuldigen. Daniela war am Abend nach dem Kassensturz zufrieden. Sie hatte guten Umsatz gemacht. Das Geld wanderte, bis auf das Wechselgeld für den nächsten Tag, in den zweiten Tresor im oberen Stockwerk, wo Olivero sein Domizil hatte. Der Tresor war nicht hinter dem obligatorischen Ölgemälde versteckt, sondern in den Boden eingelassen, verdeckt von einem dicken Teppich. Wenn sie auch sonst sehr vergesslich war, die Kombination war ihr förmlich hinter der Stirn eingraviert. Flink drehte sie das Zahlenschloss hin und her und verstaute das Geld, legte den Teppich wieder darüber. Neugierig sah sie sich um. Sie war noch nicht oft hier oben gewesen. Normalerweise legte ihr Chef selbst das Geld in den Tresor. Er verreiste nur selten. Wo wohl der andere Tresor mit den teuersten Waren sein mochte? Daniela suchte den Raum nach Auffälligkeiten ab. Wo würde sie hier einen Tresor verbergen? Da ihr nichts ins Auge fiel, was ihr diese Frage beantworten konnte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die skurrile Einrichtung. Auf dem Sideboard stand ein silberner Ritterhelm. Der war ihr neu! Hübsches Ding, aber eigentlich zu klein für einen authentischen Helm des Mittelalters. Sie nahm ihn in Augenschein und fummelte daran herum. Zu ihrer Freude ließ er sich aufklappen und entpuppte sich als Mini-Bar. Neugierig entstöpselte sie die Flasche, zu der auch vier kleine Gläser gehörten, und schnupperte daran. Mandellikör! Severus strich ihr plötzlich um die Beine und schnurrte laut, biss sie aber gleich darauf leicht ins Bein.
„Au! Was sollte das denn? Ich werde deinem Herrchen schon nichts wegtrinken, du Kratzbürste“, schalt sie und stieß ihn sanft mit dem Fuß von ihr weg. Ihr fiel nun die Visitenkarte des Sammlers wieder ein, fischte sie aus ihrer Hosentasche und legte sie auf den Schreibtisch aus Mahagoni, der schöne Messingbeschläge an jeder Schublade aufwies. Der Tisch hatte eine hochwertige 3-Felder-Schreibeinlage in tiefschwarz mit goldfarbener Umrandung. Seine Schönheit wurde durch eine Staubschicht beeinträchtigt. Und auch sonst war es hier oben eher schmuddelig und unordentlich. Daniela zog kritisch die Nase kraus und schaute ungeniert in alle Ecken. Der Mann brauchte eine Frau. Ohne Zweifel. Und zwar eine Putzfrau. Oder einen Putzmann im Sinne der Gleichstellung von Mann und Frau. Oder einfach nur einen Tritt in den Allerwertesten. Schließlich hatte er gesunde Hände und konnte selbst saubermachen. Für einen kurzen Moment kam sie in Versuchung, hier noch schnell mit dem Staubsauger und einem nebelfeuchten Lappen durchs Zimmer zu gehen und vor allem dem Tisch seine natürliche Schönheit wiederzugeben – doch ein herzhaftes Gähnen riss sie aus ihrem Arbeitseifer. Beim Barte des Merlin, was war sie doch müde! Schon wieder! Ab nach Hause! Sie ließ die Tür angelehnt, denn auch hier oben hatte Severus ein Körbchen. Daniela freute sich auf ihr Sofa, ihren Waldi, ein Abendessen, eine heiße Dusche und ihr Bett. In genau dieser Reihenfolge. Nein, falsch. Erst Waldi, dann das Sofa und der Rest!
Erschöpft vom langen Tag, schlurfte sie durch den Garten zwischen den Häusern. Es dunkelte schon, der Herbst kam früh. Erschrocken wich sie einer Fledermaus aus. Vielleicht war es aber auch eine kleine Eule gewesen. Hier hauste viel Volk. Sie hielt es für möglich, dass eines Tages kleine Elfen und Zwerge auf den Fliegenpilzen tanzen und trommeln würden. Für ein Weilchen blieb Daniela stehen, umarmte die alte Eibe und atmete tief ein und aus. Wie von selbst wanderten ihre Gedanken über die Mauern hinaus auf die Straße, schwebten über der Stadt. Was es dort nicht alles zu sehen gab! Warum nur hatte sie solche Angst davor, wo doch ihre Sehnsucht nach Freiheit und Neuem viel größer war? Dort hinzugehen, vor die Tür über die Schwelle zu gehen, war ihr schlicht unmöglich. Sie bekam allein beim Versuch eine Todesangst, die sie sich nicht erklären konnte. Weil ihre Gedanken wieder wuselig wurden, entließ sie die Eibe aus ihrer Umarmung und lief die letzten drei Meter zum Hintereingang ihres kleinen Hauses, schlüpfte durch die Tür und rief nach Waldi. Er kam ihr sofort entgegengeflattert, landete auf ihrer Schulter und zauste zärtlich ihr Haar mit seinen spitzen, schneeweißen Zähnen.
„Mein lieber Schatz, geht es dir gut? Ich mache uns sofort was zu essen.“
Aus dem Wohnzimmer drang die Titelmelodie von „The Big Bang Theory“.
„Hast du etwa wieder den Fernseher angemacht? Ich frage mich ja, ob das Absicht ist oder ob du einfach nur aus Versehen auf die Fernbedienung drauftrampelst.“
Kurze Zeit später saßen beide einträchtig auf dem Sofa, aßen kalte Frikadellen mit Brötchen und Tomatensalat und amüsierten sich prächtig mit den Nerds.
Daniela träumte in dieser Nacht von einer wildwuchernden, penetrant nach Sandelholz riechenden Ranke, die sich an ihrem Körper emporschlängelte, sie einengte und darüber hinaus drohte, sie zu Fall zu bringen. Es war ein grünhäutiger Sheldon Cooper im Flash-T-Shirt, der ihr hilfreich zur Seite stand und ins Ohr brüllte: Lies endlich und wach auf! Sonst musst du die Mitbewohnervereinbarung 100 x abschreiben! Die Drohung wirkte. Daniela wachte auf und rang nach Luft, wollte sich die Schlingpflanze von der Brust reißen, aber da war nur der BH, der zu stramm saß. Penny, die Freundin von Hofstadter, hockte auf der Bettkante und beäugte sie kritisch. Sie sagte in abwertendem Tonfall: Zu viel Pizza!
Das war der Moment, in dem Daniela wirklich aufwachte und sich erschrocken kerzengerade aufrichtete. Der Fernseher lief noch. Sie tastete nach der Fernbedienung und schaltete ihn ab. Jetzt war es dunkel im Raum. Und still. Außer ihrem pochenden Herzen und dem leisen Schnarchen ihres Schulterdrachens hörte sie nichts. Sie seufzte. Schon wieder auf dem Sofa vorm Fernseher eingepennt! Kein Wunder, dass sie tagsüber immer so müde war. Im Bett schlief man besser und tiefer. Alte Gummibärenweisheit. Verblüfft lauschte sie ihren Gedanken. Wo kam das Wort denn nun wieder her? Gummibärenweisheit? Sie raffte sich auf, ins Bett zu gehen. Doch gleich der erste Schritt bescherte ihr Schmerz, sie war auf etwas Hartes, Spitzes getreten. Daniela tastete mit dem Fuß danach. Ein Buch? Aber sie hatte am Abend doch gar nicht gelesen! Der letzte Harry-Potter-Band stand längst wieder im Laden und tat so, als wäre er ungelesen und wolle lesejungfräulich verkauft werden. Sie hob es auf und befühlte es. Stoffbezogen! Auch so etwas war im Laden erhältlich, leere Notizbücher – eines schöner als das andere. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals eins mitgenommen zu haben. Müde schlurfte sie in ihr Bett und machte nach einer Weile ihre Nachttischlampe an, weil sie einfach nicht einschlafen konnte. Seltsamerweise, ja es war überaus seltsam, hielt sie dieses Büchlein in der Hand. Immer noch. Sie konnte ihre Augen nicht davon lösen, zudem klopfte ihr Herz viel zu schnell, als dass sie diese Situation hätte ignorieren können. Daniela setzte sich bequem hin, drehte die Lampe so, dass der Lichtkegel auf ihre Hände fiel und schlug es auf. Die Seiten waren eng beschrieben. In ihrer Handschrift! Wie konnte das sein? Als sie die ersten Zeilen lesen wollte, wurden ihre Gedanken wieder ganz wuselig und ein Nebel schob sich vor ihre Augen. Plötzlich kam Waldi angeflattert. Er schaute so ernst drein, dass sie ihn mit vollem Namen ansprach.
„Was ist, Waldemar Waldmeister? Hast du das Sofa in Brand geniest?“
Daniela schnupperte, roch aber nichts Rauchiges.
Der Drache stupste das Buch in ihren Händen an und wackelte mit Hintern und Schwanz, als wäre er ein treudoofer Hund, der ein Leckerli erspäht hat. Als der Frau die Augen zufielen, schoss er einen wohlgezielten, kleinen Feuerstrahl ab, der genau vor ihrer Nasenspitze endete, ohne sie zu verbrennen.
„Bist du bescheuert?“, schimpfte Daniela und wurde munterer. Was hatte sie doch gerade machen wollen? Ach ja, dieses Buch da. Da war was mit. Was denn? Der Schulterdrache machte seinem Namen Ehre und setzte sich auf ihre rechte Schulter, züngelte in ihrem Ohr herum, damit sie wach blieb. Er wusste um die Wichtigkeit, die Dringlichkeit des Lesens. Daniela quietschte angeekelt auf und hielt seine Schnauze zu. Dabei fiel ihr Blick auf die ersten Worte, die so aussahen, als hätte sie selbst sie geschrieben.
Dandelia raufte sich schlaftrunken ihr lockiges Haar. Es ging weiter mit: Wie hatte sie das nur vergessen können? Ausgerechnet heute zu verschlafen! Daniela grinste. Na, mit dieser Dandelia hatte sie eindeutig Ähnlichkeit! Lockige Haare, schlaftrunken, vergesslich. Ob das Buch vielleicht irgendwie unter dem Sofa gelegen hatte und einer Vorgängerin gehörte? Einer, die gern Geschichten schrieb? Die erneut auftretende Wuseligkeit hinter der Stirn drängte sie energisch beiseite. Sie wollte das lesen! Und das tat sie auch, jetzt und sofort. Dieser Gedankennebel sollte sich zum Teufel scheren. Daniela tauchte voll und ganz in die Geschichte ein und las sie in einem Stück. Je mehr sie las, umso unruhiger wurde sie. Und umso wacher. Der Nebel in ihrem Kopf löste sich auf und …
Dandelia raufte sich schlaftrunken ihr lockiges Haar. Wie hatte sie das nur vergessen können? Ausgerechnet heute zu verschlafen! Ihre Hütte war ein einziges Chaos und die Blamage war vorprogrammiert. Heute war sie an der Reihe, die anderen Gäste der Prima Magica mit Tee zu bewirten und den Stuhlkreis zu gestalten. Was für ein bescheuerter Ritus! Und überhaupt … was hieß hier ‚Gäste‘? Das war eine lachhafte Umschreibung für Internierte. Sie waren Ausgestoßene, Gefangene – wenngleich das Gefängnis ein bezaubernder Ort war. Auf einer Waldlichtung standen räumlich großzügig verteilt ein gutes Dutzend Hütten, die im Grunde nicht mehr waren als Schlafküchen; und ging man durch den Wald in die südliche Richtung, so führte der Weg in die Berge, deren höchste Gipfel ständig schneebedeckt waren. Ein herrlicher Anblick, wenn man außer Acht ließ, dass dort Trolle hausten. Manchmal kamen sie aus ihren Höhlen gekrochen, heimlich herab zur Lichtung, und machten sich einen Spaß daraus, die fast unsichtbare Kuppel, die die ‚fehlgeleiteten‘ Hexen und Hexer unbarmherzig einschloss und vom Rest des Magischen Volkes trennte, mit Felsen und ganzen Baumstämmen zu bewerfen, was ein lautes Knistern und grelle Blitze zufolge hatte. Vorzugsweise in der Nacht natürlich. Dandelia erschrak jedes verdammte Mal fast zu Tode. Wenn sie nur könnte, hätte sie die blöden, dämlichen, hässlichen Kerle (Und Kerlinnen? Wer vermochte das schon zu sagen?) längst in Glibberschnecken oder Ähnliches verwandelt. Aber der Zauber ging nicht durch die magische Barriere hindurch. Apropos Zauber … verdammter Krötenkleister! Heute war ihre Magie gebannt, bis die Sitzung vorbei war. Chrysantha, die Prima Magica, bestand darauf, dass man sich Mühe gab, alles selbst tun musste: den Kräutertee kochen, den Stuhlkreis aufstellen (was bedeutete, dass sie sogar Möbel rücken musste, um dafür Platz zu schaffen!) und natürlich die Mitte besagten Kreises möglichst einfallsreich zu dekorieren. Mal ganz zu schweigen von der obligatorischen Kristallkugel, die, vom allerletzten Staubfitzelchen befreit, in die Mitte der Mitte zu platzieren war. Das alles war Teil des Resozialisierungsprogramms. Folge der Prima! Gehorche ihr! Erkenne ihr Genie an! Erkenne, dass du ein Haufen Nichts und Niemand bist!
Okay, Letzteres war ihre eigene Interpretation. Das hatte die Erste Magierin nie gesagt. Vielleicht gedacht. Mit Sicherheit oft gedacht! Sie konnte die Frau nicht leiden. Hasste sie sogar. Aus gutem Grund! Jetzt büßte sie dafür, dass sie so naiv gewesen war, die Prima Magica zum traditionellen Zweikampf aufzufordern, ohne Zeugen dafür zu haben. Sie und ihre spontanen Aktionen, beim Barte des Merlin! Ihre blöde Vertrauensseligkeit! Dandelia warf die Bettdecke beiseite, machte eine Katzenwäsche und zog sich an. Frühstück fiel heute aus. Sie öffnete Tür und Fenster, um durchzulüften, auch in der Hoffnung, dass der Staub auf den Möbeln vom lauen magischen Wind verweht wurde. Echten Wind gab es nur außerhalb der Kuppel. Missmutig schob sie den Tisch beiseite, setzte den Wasserkessel auf den Herd und zielte mit dem kleinen, beringten Finger auf die Holzscheite im Ofen, um sie zu entzünden. Auf dem Weg nach draußen zur unbewohnten Hütte, wo sie sich Stühle leihen wollte, blieb sie irritiert stehen. Irgendwas stimmte nicht mit dem Herd. „Krötenschleim, elender!“, schimpfte sie laut. Sie hatte doch keine Zauberkraft im Finger, bis die Sitzung vorbei war! Wütend stapfte sie zur Hütte von Olarion, die ihrer am nächsten gelegen war. Immerhin klopfte sie vorwarnend an die Tür, bevor sie sie aufstieß, grußlos zum Herd ging und sich ein brennendes Scheit „auslieh“. Sie packte es mit einem Metallhaken, der zum Feuerstokeln gedacht war, den sie ebenfalls … auslieh.
„Dir auch einen guten Morgen, Frau Nachbarin“, sagte der Mann lakonisch. „Wir sehen uns dann gleich.“
Mit Dandelias Temperament hatte er schon seine Erfahrungen gemacht, daher ließ er sie gewähren. In ihrer Hütte wieder angekommen, entfachte die junge Hexe ihr Herdfeuer für den obligatorischen Kräutertee und holte anschließend die Stühle herbei. Heute waren Olarion, Josefina und Belinda bei ihr zur Gruppensitzung einbestellt. Derzeit waren sie die einzigen Bewohner der Lichtung. Sie richtete die Stühle exakt nach den Himmelsrichtungen aus. Jedes Hexenkind konnte das tun, ohne hinzuschauen, das lag ihnen im Blut. Im Gegensatz zu den gewöhnlichen Menschen, die brauchten dafür einen Kompass. Die Menschen, die noch halbwegs naturverbunden waren, konnten es auch am Sonnenstand ablesen. Nun denn. Möge der Tag seinen Lauf nehmen. Da musste sie jetzt durch. In ihrer Wut über all die Ungerechtigkeiten dieser Welt stellte sie die obligatorische Kristallkugel zu fest auf den Baumstumpf, den sie in der Kreismitte platziert und mit Brennnesseln hübsch belegt hatte. Das blöde Ding bekam einen tiefen, gewitterblitzgleichen Riss und war hoffentlich nicht mehr zu gebrauchen. Chrysantha darin zu sehen, was das Letzte, was sie wollte. Ein triumphierendes, boshaftes Lächeln erwachte auf Dandelias Lippen. Vielleicht sollte sie noch mit der Axt draufhauen? Hm, nein. Das sah dann doch zu sehr nach Absicht aus. Einen Riss konnte man noch als Unfall erklären.
Und da kamen sie auch schon! Allen voran die magere, hochgewachsene Josefina, gefolgt von der zu kurz geratenen, kugelrunden Belinda, die offenbar ein Mitbringsel in ihren Händen trug. Den Abschluss der kleinen Prozession bildete Olarion, der gerade seine Goldrand-Brille mit den runden Gläsern an seinem Hemdsärmel putzte. Josefina, die stets wie eine feine Dame gekleidet war, nickte Dandelia huldvoll zu, als sie über die Schwelle der Holzhütte ging und ihren Platz im Süden einnahm. Belinda strahlte die junge Gastgeberin an (sie zog es vor, die korrekte Bezeichnung „Mitgefangene“ zu vermeiden) und überreichte ihr wortreich plappernd ein Kugelglas, in dem ein Goldfisch schwamm. „Das sollte wenigstens drei Tage halten“, flüsterte Belinda vertraulich in Dandelias Ohr. „Meine Transformationszauber sind nicht die stabilsten.“
„Trotzdem danke“, antwortete die junge Hexe, „das kommt mir sehr zupass.“
Belinda strahlte und setzte sich auf den westlichen Stuhl.
„Komm rein, Olarion“, Dandelia winkte ihn heran, „ich tu dir nichts, versprochen. Ich habe sogar ein schlechtes Gewissen dir gegenüber, und das will was heißen.“
Der Hexer stand auf der Schwelle und nickte bedächtig mit dem Kopf.
„Das solltest du auch haben. Es war nicht lustig, eine Kröte zu sein. Zumal ich dir gar nichts getan hatte.“
„Ja doch, Asche auf mein Haupt und so. Jetzt stell dich nicht so an und komm herein. Dein Platz ist im Osten.“
Dandelia setzte sich in den Norden, keinen Moment zu spät. Die Kristallkugel begann zu flimmern und in ihr erschien das Hologramm der Prima Magica, welches zu halber Lebensgröße anwuchs.
„Was ist denn das? Ich bin total zersplittert und es kratzt und pikst überall. Dandelia! Jedem vernunftbegabtem Magischen ist seine Kristallkugel heilig! Wie konntest du nur zulassen, dass sie Schaden nimmt?“
Die Angesprochene zuckte nur mit den Schultern und schaute aus dem Fenster, als ginge sie das alles hier nicht an.
„Oh, oh! Ich weiß! Ich weiß! Wir nehmen einfach das Goldfischglas als Ersatz“, rief Belinda eifrig und tauschte mit Olarions Unterstützung die runden, gläsernen Gegenstände. „Besser so?“
Chrysantha, die oberste Magierin, nickte ungnädig. Jetzt schwamm zwar ein goldfarbener Fisch um ihren Oberkörper herum, aber da er nur eine Illusion war, wurde sie immerhin nicht nass.
„Lasst uns nun beginnen. Ihr alle wisst, weshalb ihr hier unter der Kuppel seid. Euer Verhalten zeigt, dass ihr gegenwärtig nicht würdig seid, der hehren Gesellschaft der Hexen und Hexer anzugehören. Ihr habt euch selbst zu Ausgestoßenen gemacht. Aber ich bin eine barmherzige, gnädige Prima Magica. Nicht umsonst habe ich diesen Titel inne. Ihr bekommt die Chance zu bereuen und euch zu bessern. Wie ihr seht, gibt es eine Neue unter euch: Dandelia. Sagt dem Mädchen, weshalb ihr unter der Kuppel seid. Bekennt euch offen zu eurer Sünde. Seid dem jungen Ding ein Vorbild. Sie wird euch anschließend sagen, was ihr Verbrechen ist. Olarion, du beginnst.“
Der Mann setzte seine Brille ab, räusperte sich, setzte sie wieder auf und fuhr sich durch die Haare.
„Nun. Ich kann nur dabeibleiben, was ich immer schon gesagt habe: Mein Name ist Oliver und ich bin ein Mensch und gehöre nicht hierher.“
Josefina verdrehte die Augen und Belinda seufzte aus tiefstem Herzen. Sie mochten beide den Hexer sehr, reagierten aber grundverschieden auf seine bedauerliche Verwirrung. Chrysantha hingegen bekam hektische Flecke am Hals, tiefrot, und kleine Schweißperlen bildeten sich an ihren Schläfen. Die eigene Magierehre zu verleugnen, war das Letzte. Aber zu behaupten, man wäre ein Mensch, war das Allerletzte! Wütend zischelnd, wie eine Schlange, sprach sie ihn an.
„Olarion, du hast nichts weiter als eine massive Magieblockade, die dich am Zaubern hindert. Das ist zwar nicht schön, aber auch nichts, wofür du dich selbst verachten musst. Wir in Urbe Magorum haben dich immer akzeptiert, wie du bist. Dass der einzige Zauber, den du wirklich gut beherrschst, ein Verwirrzauber ist, ist zwar unnütz in unserer Gesellschaft, denn du würdest ihn ja nie gegen eine magische Schwester oder einen magischen Bruder richten. Doch du bist und bleibst ein Hexer. Das ist etwas Ehrenvolles, vom magischen Blute des Merlin abzustammen. Unehrenhaft ist es aber, sich mit minderwertigen Geschöpfen wie Menschen gemein zu machen. Nicht umsonst gab es vor vielen, vielen Jahren das große Schisma, das die Welt spaltete. Also nimm diese Brille ab und zerstöre sie. Nur Menschen brauchen körperliche Hilfsmittel.“
Alle richteten ihren Blick auf den Hexer Olarion, der sich in seiner Haut sichtlich unwohl fühlte.
„Aber habt ihr nie darüber nachgedacht, wie es sein kann, dass ich wie euer Olarion aussehe? Schon mal was von der Doppelgängertheorie gehört? Mein Urgroßvater sagte immer …“
Chrysantha kochte vor Wut. Sich vorzustellen, in der menschlichen Dimension gäbe es eine Frau, die ihr gliche wie ein Ei dem anderen, verursachte ihr Übelkeit. Sie war einzigartig!
„Olarion, du riechst wie du selbst. Die Magische Weihe und der Duft sind untrennbar verbunden mit deinen Zellen. Menschen tun das nicht! Es ist geradezu lächerlich, wie sie sich mit Parfüm und Duftwässern einsprühen, um so unbewusst die Hohen Magischen Weihen nachzuäffen. Sandelholz mit Zimt ist deine Duftnote, wenn ich mich recht erinnere.“
Josefina, die bis jetzt geschwiegen hatte, schnupperte angestrengt. Ihre feine, schmale Nase bebte.
„Also, ich kann nur noch eine Spur von Sandelholz wahrnehmen. Zimt ist völlig weg.“
„Was? Das ist unmöglich!“
Belinda rutschte unglücklich auf ihrem Stuhl hin und her.
„Das macht mir Angst“, klagte sie. „Können wir vielleicht über was anderes reden?“
Chrysantha schob unwirsch den Goldfisch mit ihrer kräftigen Hand beiseite, der ihr den Blick verstellte, und nickte grimmig.
„Ja, können wir. Über dieses Phänomen der Ent-Duftung muss ich das Buch der Bücher befragen, Merlins Grimoire. Fahren wir also fort mit Josefina, und dann bist du dran, Belinda. Stellt euch nun der Neuen vor und gesteht eure Missetat, auf dass ihr euch gegenseitig erziehen könnt, solange ihr unter der Kuppel weilt.“
Josefina setzte sich noch gerader und damenhafter hin, soweit das überhaupt noch möglich war, und sagte: „Ich bin Josefina, werde von meinen Freunden Fina genannt, und habe das Zeichen meiner Magischen Weihe, ein Amulett mit Amethysten, ausgetauscht, weil es nicht zu meiner Augenfarbe passt. Mir steht die Jade viel besser zu meiner grandiosen, seltenen Augenfarbe farngrün. Und ich denke nach wie vor, dass ich damit im Recht bin. Ein jeder Einwohner von Urbe Magorum sollte den Stil pflegen, welcher ihn am besten aussehen lässt.“
Dandelias Mundwinkel zuckten. Na, das war ja ein superschweres Verbrechen, wenn man dafür schon unter die Kuppel kommen konnte, dann musste sie sich nicht wundern.
Die rundliche Hexe hingegen schrumpfte nun förmlich zusammen und senkte Stimme und Augenlider.
„Ich bin Belinda und habe mich der Bewunderung einer anderen Person schuldig gemacht, anstatt mir selbst die Ehre zu geben.“
Plötzlich sprang sie vom Stuhl auf und schrie: „Aber ich liebe Fina und will wie sie sein! Ich kann einfach nicht anders!“
Die Angebetete giftete zurück: „Und ich wäre gern so simpel und fett wie du! Dann müsste ich nicht so viel Aufwand betreiben und Diät halten, weil mich dann eh kein standesgemäßer Hexer anschauen würde!“
„Kinder, Kinder! Benehmt euch!“
Chrysantha klatschte in die Hände, was einen kleinen Sturm im Goldfischglas hervorrief. Der arme Fisch wurde im Kreise umhergeschleudert und kotzte schließlich auf das Haar der Prima Magica. Da alles nur eine Illusion war, bemerkte sie selbst das nicht. Doch Dandelia und Olarion feixten. Er hinter vorgehaltener Hand, sie offen.
„Na, dann bin ich ja wohl jetzt an der Reihe und sitze auf dem Beichtstuhl. Ich bin Dandelia und ich habe versucht, die Prima Magica umzubringen, weil sie meinen Schulterdrachen, das Zeichen meiner Magischen Weihe, getötet hat, um mich im rituellen Zweikampf zu schwächen.“
In diesem Moment zerfloss die Illusion des Goldfischglases und auch das Hologramm der Prima Magica zersprang in tausende Lichtfünkchen. Zurück blieben ein Kieselstein und eine nunmehr rotgoldene Fliege, die das Weite suchte.
In der Hütte war Schweigen.
Und blankes Entsetzen.
Die Blicke, die die anderen ihr zuwarfen, schwankten zwischen Panik und Bewunderung. Sich gegen eine wie Chrysantha aufzulehnen – unvorstellbar! Es war Belinda, die als erste ihre Sprache wiederfand.
„Und sie hat wirklich deinen Schulterdrachen getötet? Du armes Ding, das fühlt sich bestimmt grauenvoll an.“ Belinda befingerte ihre Weihe-Kette mit den drei Rosenquarzen, die von je einem Turmalin benachbart waren. „Das hat es noch nie gegeben! Ich wusste nicht, dass die Prima Magica so böse sein kann.“
Josefina räusperte sich. „Erzähl uns mehr. Da muss doch ein Anlass dahinterstecken. Das tut niemand ohne Grund.“
Dandelias Augen füllten sich mit Tränen. Sie musste erst tief Luft holen, ehe sie reden konnte.
„Ich habe einen Fehler gemacht. Einen großen. Ich kann diese Frau nicht als Prima Magica und höchste Autorität in Urbe Magorum anerkennen. Sie ist so verbohrt und hochmütig. Darum habe ich sie zum Zweikampf gefordert. Doch ich war so dumm, dies ohne Zeugen zu tun. Ich stand kurz davor, den Sieg davonzutragen, denn ich überrage sie in der Kunst der Levitation und im Erdzauber. Ich war gerade dabei, einen fruchttragenden Apfelbaum zu erschaffen, und sie bringt ihre Bäume nur bis zur Blüte. Aber dann hat sie mit einem scharfen Photonenstrahl auf meinen Drachen gezielt und er wurde von meiner Schulter davongeschleudert.“ Dandelia entblößte zum Beweis ihre linke Schulter, auf der eine Schramme sich rot von ihrer hellen Haut abhob. „Ich hörte ihn noch vor Schmerz jammern, und dann verstummte er. Ich brach den Ritus ab, denn niemand bedeutet mir mehr als mein Drache, ist er doch gestaltgewordener Teil meiner Seelenmagie. Doch ich fand keine Spur mehr. Sie muss ihn Kraft ihres Willens aufgelöst haben, zurückgeschickt in das Meer der Magie, aus dem wir alle entstammen und am Ende unserer Zeit zurückkehren werden. Dann weiß ich nur noch, dass mir plötzlich schlecht wurde, alles drehte sich um mich und ich fand mich hier unter der Kuppel wieder.“
Der Hexer erhob sich von seinem Stuhl, ging zu Dandelia hinüber und legte seine Hand auf ihre heile Schulter. „Das tut mir sehr leid für dich. Nun verstehe ich deine unterdrückte Wut. Du hast allen Grund, wütend zu sein.“
„Danke“, sagte sie leise. „Mir tut es aber dennoch leid, dass ich meine schlechte Laune an dir ausgelassen habe.“
„Nun ja, wenn ich schließlich doch in meine Welt zurückkommen sollte, dann bin ich einzigartig und der erste Mensch, der von sich sagen kann, ohne zu lügen: Ich war eine Kröte und habe Fliegen geschluckt.“
Er grinste schräg, klopfte ihr auf die Schulter und verließ die Hütte.
Josefina folgte ihm langsam, drehte sich noch einmal um und sagte: „Chrysantha mag ein kleines Miststück sein, aber sie ist nicht grausam. Ich glaube dir kein Wort.“
Belinda schlug sich auf Josefinas Seite und trippelte ihr hinterher. „Du hast ja so recht! Die Prima Magica meint es doch nur gut mit uns. Und ich finde deine Farnaugen wunderschön, du solltest zur Jade noch etwas Smaragd tragen.“
Der Wasserkessel pfiff endlich nach Kräften, doch Tee wollte nun keiner mehr.
Wie es geschehen konnte, was nun geschah, darüber war sich Dandelia selbst nicht ganz im Klaren. Eine heiße Wut überkam sie, durchflutete ihre Adern. Diese blöden Schnepfen! Sie sollten bekommen, was sie verdienten! Dandelia schickte einen Tauschzauber ihnen hinterher, der sie voll in den Rücken traf. Sollten sie doch erleben, wie es war, die andere zu sein! So lange, wie es nötig tat, sie zur Vernunft zu bringen und raus aus der Ich-Bezogenheit. Ein gewaltiges Tosen dröhnte unter der Kuppel und ein magischer Wind wirbelte die beiden so unterschiedlichen Hexen hoch in die Luft. Als die Macht der Magie nachließ, und die Windhose ihren Fang ausspuckte, da war nur noch eine Frau da. Belinda war fort, Josefina war fort. Wer dort stand, war eine ganz andere Person!
Sie drehte sich um sich selbst, betastete ihren Körper mit weit aufgerissenen Augen. Dann ging sie langsam auf Dandelia zu, auch Olarion, der sich Oliver nannte, näherte sich.
„Was hast du nur getan, Dandelia? Du solltest dringend an deiner Selbstbeherrschung arbeiten“, empfahl er.
Das Wesen, das nun direkt vor ihnen stand, war mittelgroß, wohlgeformt und trug eine schlichte, aber hochwertige Kleidung. Ein Auge hatte eine grüne Iris, das andere eine blaue.
„Ich bin … Jolinda.“
Oliver griff nach Dandelias Hand und zog sie etwas näher zu sich.
„Sag mir, dass das ein vorübergehender Zustand ist!“
„Äh …“
„Äh was? Was genau hast du mit Josefina und Belinda gemacht, du Unglückselige?“
„Äh … jedenfalls nicht das. Also, das habe ich nicht gewollt. Wirklich nicht! Die beiden sollten nur für eine Weile den Körper tauschen, um zu sehen, wie es ist, die andere zu sein und einen anderen Blick auf sich selbst bekommen.“
Oliver ließ ihre Hand los und wandte sich der anderen Frau zu.
„Wie geht es dir, Jolinda? Weißt du, wer du bist und wo du bist?“
Die sozusagen vom Himmel gefallene Hexe lauschte nachdenklich in sich hinein und nickte dann heftig.
„Ich bin zwei. Ich war zwei. Josefina und Belinda sind in mir drin, aber ich selbst bin ganz neu, ein neues Wesen. Das ist gar nicht so übel. Ich fühle mich … frisch? Wie neugeboren? Ja, ich glaube, das ist, was ich fühle. Dandelia hat uns ein neues Leben geschenkt. Mir. Nicht uns. Oder doch? Ach, das ist aber auch schwierig! Ich fühle, dass ich den beiden gerecht werden will. Sie waren so unglücklich in ihrem Sein. Schrecklich! Aber ich möchte lieber nicht darüber nachdenken. Ich weiß, dass wir hier eingesperrt sind. Aber ich will frei sein. Ihr doch auch, oder?“
„Nichts lieber als das. Und du bist mir wirklich nicht böse?“, fragte Dandelia zaghaft.
Sie hatte ein schlechtes Gewissen, das konnte sie nicht leugnen. Wieder einmal hatte sie spontan gehandelt, aus dem Bauch heraus und nicht, nicht im Geringsten, die Folgen ihrer Handlung bedacht. Das musste aufhören.
„Um die Frage ernsthaft beantworten zu können, müsste ich zuerst einen Blick in den Spiegel werfen, wie ich aussehe.“ Jolinda zauberte sich einen Standspiegel, der sie in Lebensgröße abbildete.
„Sie hat zwei Ringe“, flüsterte der Mann. „Heißt das, sie ist doppelt so stark wie zuvor?“
„Keine Ahnung. Gut möglich“, flüsterte Dandelia zurück. „Wir sollten sie nicht verärgern.“
Derweil betrachtete die Dritte im Bunde sich ausgiebig und probierte neue Frisuren und einige Outfits, bis sie völlig zufrieden war. Danach entließ sie den Spiegel und schickte die Energie ins Meer der Magie zurück.
„Also, meine Kleine. Du hast Glück. Ich bin mit meinem Äußeren sehr zufrieden. Rundungen an den richtigen Stellen, interessante Augen, tolle Haare. Ich sehe aus wie Mitte Dreißig, obwohl die beiden Zimtzicken, aus denen du mich zusammengeschustert hast, um einiges älter waren. Ich vermute, ich habe auch einen Teil von dir mit abbekommen? Ich habe in mir einen unbändigen Drang nach Freiheit. Kommt, wir bündeln unsere Kräfte und sprengen diese verdammte Kuppel. Und dann treten wir der Prima Magica mal so richtig in den ihr-wisst-schon-was.“
Jolinda hatte ein manisches Funkeln in den Augen. Ihre Zauberringe glühten ein wenig, was Dandelia beunruhigte. Was, wenn sie ein Monster in die Welt gesetzt hatte? Wenn doch nur ihr Schulterdrache bei ihr wäre; er wusste immer die richtigen Worte zu sagen.
Olarions Augen leuchteten auch, als er ‚Carpe diem!‘ rief und kämpferisch eine Faust gen Himmel stieß. „Lasst es uns tun! Kommt, Mädels. Vereinigt eure Zaubermacht, lasst uns diese verdammte Kuppel zerstören. Zumindest einen Spalt auftun, damit wir hier verschwinden können. Das ist heute die beste Therapiesitzung, die ich hier je hatte! Los, folgt mir! Ich zeige euch die Stelle, an der ich das Portal verlassen habe. Ich will nach Hause.“
Dandelia stöhnte auf. „Olarion, du bist hier zuhause. Also, nicht hier oben, aber unten in Urbe Magorum. Es gibt keine Weltenportale mehr. Die wurden nach dem Großen Schisma alle verschlossen von der damaligen Prima Magica.“
„Das denkst du! Ich weiß es besser.“
Er lief voran und Jolinda folgte ihm Walküren gleich mit wallender Mähne. Dandelia hatte etwas Mühe, die beiden einzuholen. Sie keuchte bald schon, denn es ging bergauf und sie hatte heute noch nichts gegessen, nichts getrunken. Zu ihrer Erleichterung wuchsen hier im Unterholz Brombeerbüsche, die reife Früchte trugen. Sie hielt inne, pflückte eine Handvoll und stopfte sie sich auf einmal in den Mund. Die fruchtige Süße explodierte förmlich auf ihrer Zunge und erfrischte sie.
„Wenn das hier vorbei ist, mache ich Urlaub“, schwor sie sich. „Genau genommen bin ich mit zwei Wahnsinnigen in der wilden Wildnis eingesperrt.“
Kurz bevor sie Olarion und Jolinda einholte, bekam sie Halluzinationen. Dachte sie. Denn außerhalb der Kuppel sah sie etwas Grünes aufgeregt umherflattern. Etwas, das auf ihrer Schulter Platz hätte. Wenn es denn noch leben würde … Sie stieß einen gellenden Schrei aus. „Ich kommeeee!“ Jolinda erhob ihre Hände und feuerte mit wildem Blick aus beiden Zauberringen. Die Kuppel begann zu erbeben und glühte orangegelb, dort, wo die neuartige, doppelte Magie ihr Zerstörungswerk vollbrachte. Es verärgerte Dandelia, dass Olarion nicht mithalf. Sie hingegen setzte nun ihre ganze Kraft ein, und bald schon erglühte ein grelles Weiß, wo vorher noch ein Orangegelb gewesen war. Die Luft war erfüllt von einem metallisch-schwefeligem Gestank und tosendem Lärm. Jolinda hatte eine unfassbare Kraft in sich! Doch Dandelia – ihren verloren geglaubten Schulterdrachen vor Augen – stand dem in nichts nach. Ihre Liebe zum Drachen und ihr Wille zur Freiheit verstärkten um ein Vielfaches die Kraft ihrer Zaubermacht im kleinen Finger, die durch den obligatorischen Hexenring gebündelt wurde.
Kawumm!
Die Kuppel barst.
Man musste das bis weit ins Tal, wo die Hauptstadt Urbe Magorum lag, sehen und hören. Also blieb ihnen nicht viel Zeit. Der Jubelschrei des Hexers ging ihr unter die Haut. Sie sah eine solche Freude in seinem Gesicht, dass sie für einen Moment geneigt war, seiner Geschichte zu glauben.
„Kommt schnell, ich führe euch. Hier sind wir nicht sicher. Denkt an die bösen Trolle! Chrysantha wird sicher auch bald hier sein. Und ich denke, sie wird nicht allein kommen.“
„Du gehst in die Menschenwelt?“, fragte Jolinda.
„Natürlich, ich will nach Hause. Ich nehme euch gerne mit. Bei mir seid ihr sicher.“
Jolinda zögerte, schüttelte dann den Kopf. „Ich will nicht in eine nicht-magische Welt gehen. Kein Mann wird mir dort ebenbürtig sein. Ich wünsche euch Glück, aber hier trennen sich unsere Wege.“
Mit Staunen sahen sie, zu was Jolinda fähig war – denn sie schwebte jetzt nicht nur wie bei einer klassischen Levitation, nein, sie flog über Stein und Fels und war bald schon außer Sichtweite, flog ihrem eigenen Abenteuer entgegen.
Dandelia schaute ihr fassungslos hinterher. Olarion winkte Jolinda begeistert nach, und da erst sah Dandelia, dass er an seinem Zeigefinger gar keinen Zauberring trug. Aber jeder Hexer bekam am Tag seiner Weihe einen Ring, niemand lief ohne herum, das war undenkbar! Warum fiel ihr das jetzt erst auf?
Im nächsten Moment wurde sie von der Wucht eines fliegenden Körpers umgehauen. Dem grünen, überglücklichen Körper ihres Schulterdrachens! Die Freude war so groß, dass er unwillkürlich Feuer spie und ihr eine Haarsträhne versengte.
„Dandelia, endlich bin ich wieder bei dir!“
„Waldi! Du mein Liebster, mein Schatz, meine grüne Knalltüte du! Ich liebe dich so sehr! Ich dachte, du bist tot.“
„Es hätte auch nicht viel gefehlt.“
„Äh, Leute. So sehr ich mich für euch mitfreue – aber: Lauft! Die Trolle kommen!“
Dandelia sprang auf und folgte Olarion, der vielleicht doch Oliver hieß und ein Mensch war. Ihr Schulterdrache flog dicht über ihr. Die Trolle bekämpfen konnte sie nicht, sie hatte sich zu sehr verausgabt beim Sprengen der Kuppel. Der Brillenträger ohne Ring, ohne vollständigen Duft, aber mit viel Herz, eilte ihr voraus und führte sie in einen Felsspalt, der wiederum in eine Höhle führte. Sie war nicht völlig dunkel, diese Höhle, aber was sie dort sah, ließ sie wieder an eine Halluzination glauben. Vielleicht waren die Brombeeren mit dunkler Magie erfüllt gewesen? Denn sie sah eine … antike Standuhr. So etwas gab es doch nur bei den Menschen! Staunend sah sie zu, wie der Mann einen Schlüssel aus seiner Hosentasche holte und ihn in ein seitlich liegendes Schloss steckte und umdrehte. Der mittlere Teil der Uhr öffnete sich zu einem Portal. Kein Zweifel. Im Studium hatte sie Zeichnungen von diversen Portalen gesehen.
„Los, rein da! Wir kommen direkt in meinem Haus an.“
Er schubste sie hinein, Waldi folgte und dann sprang er hinterher. Das Portal schloss sich hinter ihnen und öffnete sich vor ihnen. Dandelia landete in einem halbdunklen, verstaubten Raum, der mit allerlei Kisten zugestellt war. Sie drehte sich erleichtert zu dem Mann um und zitierte grinsend die erste Regel nach dem Verlassen eines Weltenportals: „Dreh dich sofort um und präge dir Ort und Aussehen des Portals ein.“
Das Letzte, was sie sah, war das entsetzte Gesicht von Oliver.
An dieser Stelle des Textes begann ein neues Kapitel mit den Worten: Andere Leute hatten Kuckucksuhren. Oder programmierbare Kaffeemaschinen und ließen sich vom Duft frisch gemahlener und mit kochend heißem Wasser übergossener Arabica-Kaffeebohnen wecken. Nicht so Daniela. Sie wurde täglich Punkt 7 Uhr aus dem süßen Schlaf gerissen.
Daniela warf kreischend das Notizbuch weit von sich. Der übliche Nebel im Kopf hatte sich in glasklare Helle gewandelt. Gleichzeitig war inzwischen die Sonne aufgegangen und schickte ihre Strahlen über die Welt, um sie alle aus dem Schlaf zu locken.
„Das bin ich! Ich bin das!“, rief sie. „Ich bin Dandelia. Das hier ist nicht meine Welt! Beim Barte des Merlin, ich bin wahrlich diese Hexe!“
Ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie schlug die Bettdecke zurück und sprang auf die Füße. Was genau war passiert? Warum fehlte ihr die Erinnerung zwischen der Ankunft und dem heutigen Tag?
„Waldi, du bist doch dabei gewesen. Was ist passiert nach dem Portaldurchgang?“
Ihr Schulterdrache flatterte auf Augenhöhe und schaute sie traurig an. Wäre es ihm möglich gewesen, so hätte er in der Art der Zweibeiner mit den Schultern gezuckt. Ich kann es dir nicht sagen … denn in der Menschenwelt habe ich keine Sprache.
„Sag was!“, flehte Dandelia.
Er schloss seine Augen und schüttelte den Kopf, ließ sich traurig auf das zerwühlte Bett sinken.
„Du hast keine Sprache mehr. Ich verstehe.“
Dandelia bückte sich nach dem Notizbuch. Es war stoffbezogen, das Muster zeigte Triskelen, Penta- und Hexagramme, Sigillen und auch Yggdrasil, den Weltenbaum. Ein heilloses Durcheinander der magischen Kulturen, offensichtlich von Unwissenden grafisch gestaltet. Überall dazwischen gestreut, wie Gänseblümchen, waren auch noch winzige Runen auf dem Einband. Dandelia schnaubte unwillig durch die Nase und schlug die Seiten wieder auf. Eindeutig ihre Handschrift. Aber, wann genau sollte sie das geschrieben haben? Und warum? Ihr wurden die Knie weich. Warum, lag doch auf der Hand! Es ging um ihre Identität. Der Nebel hinter der Stirn tauchte wieder auf, aber Dandelia wehrte sich dagegen. Sie ging ins angrenzende Bad und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht und kühlte auch ihren Nacken. Anschießend bändigte sie ihr Haar mit der Bürste, was ungemein beim Beruhigen und Nachdenken half. Letztlich, als sie einen Wasserspritzer vom Spiegel wischte, kam ihr eine Idee. Wer sagte denn, dass es immer eine Kristallkugel sein musste? Mit Kristallglas im Spiegel musste es doch auch gehen!
„Waldemar Waldmeister, komm bitte her. Ich werde einen Zauber anwenden und will dich dabeihaben.“
In Windeseile flog der Schulterdrache ins Bad und setzte sich auf ihren Kopf, ließ seine Flügel hängen und legte sein Köpfchen auf ihren Scheitel inmitten der Lockenmähne. Mein Geist zu deinem Geist …