Demonica - Tödliche Verlockung - Larissa Ione - E-Book

Demonica - Tödliche Verlockung E-Book

Larissa Ione

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Beschreibung

Als einzige weibliche Seminus-Dämonin ist Sinead Donnelly seit jeher eine Außenseiterin. Sie besitzt die Gabe, ihre Gegner im Kampf mit einer einzigen Berührung zu töten. Dabei setzt sie jedoch versehentlich ein gefährliches Virus frei, das Werwölfe umbringt. Zusammen mit dem Halbvampir Conall Dearghul versucht sie, ein Heilmittel zu finden.

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LARISSA IONE

Demonica

Tödliche Verlockung

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Bettina Oder

Für alle da draußen, die im medizinischen Sektor arbeiten. Ihr wart meine Inspiration für diese Bücher. Ich bewundere die Arbeit, die ihr leistet, und danke euch für die Risiken, die ihr in Bezug auf eure eigene Gesundheit und Sicherheit auf euch nehmt. Vielen von euch durfte ich mit meinen Fragen zu einigen meiner medizinischen Szenarien auf die Nerven gehen, wofür ich euch gar nicht genug danken kann.

Ebenso für meine Schwägerinnen Stephanie Rice, Andrea Etheridge und Anna Walker. Eure Unterstützung bedeutet mir mehr, als ich mit Worten ausdrücken kann … und dass ihr die Bücher auch noch mögt, ist ein zusätzlicher Bonus!

Und für Steve Gitre. Ich weiß, du wärst stolz gewesen. Wir vermissen dich.

Prolog

»Die Warge müssen sterben.«

Sin lief im großen Gemach ihrer Assassinenhöhle auf und ab, während ihr Gehirn Überstunden machte, um Bantazars Worte zu begreifen. Der Bote der Assassinengilde stand in der Nähe der kalten Feuergrube und hielt eine Pergamentrolle in der ausgestreckten Hand. Die entriss sie dem Neethul sogleich – sogar ohne die Grufti-Plateauschuhe, die er trug, maß er wohl an die zwei Meter zwanzig, sodass er sie jetzt erst recht um wenigstens einen Meter überragte. Trotzdem schüchterte der Lakai der Gilde sie nicht im Mindesten ein. Sie hatte schon weitaus größere Dämonen getötet.

»Acht Stück?«, fragte Sin. »Acht Werwölfe auf einmal?«

Er nickte, wobei sein schulterlanges, schneeweißes Haar an den spitzen Ohren hängen blieb. Die Neethulum waren – zumindest, was das Äußere anging – eine schöne Rasse von elfengleichem Aussehen. »Ein ganzes Rudel.«

Was ein zweijähriges Wolfsjunges einschloss. Sie warf einen verstohlenen Blick auf den Mann in der Ecke, der in Schatten und Schweigen aufzugehen schien. Lycus, ihr einziger Warg-Assassine, hätte genauso gut eine steinerne Statue sein können. Die Nachricht, dass dieser Vertrag das Leben einer ganzen Reihe seiner eigenen Leute beenden würde, schien ihn nicht im Geringsten aus der Fassung zu bringen. Nicht, dass sie so etwas erwartet hätte. Er war Profi. Kalt, effizient und skrupellos.

Sin unterdrückte einen Fluch und blieb abrupt stehen. Sie konnte es sich nicht leisten, Nerven oder Widerwillen zu zeigen. Die Gilde beobachtete sie und lauerte auf das kleinste Anzeichen von Schwäche. Die würden jede Gelegenheit nutzen, um sie zu vernichten und ihre Assassinen an sich zu reißen. Also musste sie unbarmherziger denn je auftreten, da sie bereits darauf verzichtet hatte, auf etwa ein Dutzend Verträge Angebote abzugeben. Und sie war schließlich erst seit drei Wochen Assassinenmeisterin.

Sie überflog die Einzelheiten, die auf Sheoulisch auf das Pergament gekritzelt waren. »Wem wurde dieser Job sonst noch angeboten?«

»Du weißt, dass ich dir das nicht sagen darf.« Bantazars rubinrote Lippen verzogen sich zu einem wollüstigen Lächeln. »Aber sollte es dir in den Sinn kommen, einige deiner Sukkubus-Fähigkeiten an mir auszuprobieren, könnten mir in einem Moment der Leidenschaft möglicherweise einige Namen entschlüpfen.«

So traurig das auch war, fühlte sie sich tatsächlich versucht, den Mistkerl zu vögeln, wenn sie dadurch an die Informationen gelangen konnte, die sie brauchte. Für diesen Job musste sie ein Angebot vorlegen, aber sie musste zugleich sichergehen, dass es hoch genug ausfiel, um den Vertrag nicht zugesprochen zu bekommen. Und zu wissen, wer ihre Mitbieter waren, würde ihr dabei einen Vorteil verschaffen.

»Ich würde dir ja sagen, du sollst zur Hölle fahren, aber zweifellos gehört dir ein nicht unbeträchtlicher Teil davon.«

Die Neethulum waren wohlhabende Sklavenhändler, deren Besitz umfangreiche Gebiete in Sheoul umfasste, und als untergeordneter Assassinenmeister war Bantazar vermutlich auf dem besten Weg, es seinen Brüdern gleichzutun.

»Deth hätte mein Angebot sicher nicht ausgeschlagen«, schnurrte er.

»Damit würde ich an deiner Stelle lieber nicht prahlen.« Sie studierte den Ring an ihrem linken Zeigefinger, der einst ihrem toten Boss gehört hatte. »Deth hätte auch eine stachelige Höllenratte gevögelt, wenn es ihm denn gelungen wäre, eine zu fangen.«

Bantazar lachte, während er sich auf sie zubewegte, geschmeidig wie eine Schlange. »Deine Assassinensklaven werden zunehmend unruhig, Halbblut. Kann es sein, dass deine menschlichen Moralvorstellungen deine Fähigkeit behindern, mit ihnen fertigzuwerden?«

Sie schnaubte. »Ich habe keinerlei Moral.« Vielleicht früher einmal, ehe sie herausgefunden hatte, dass sie eine Dämonin war, aber all die Dinge, die sie in ihrem Leben schon getan hatte – sei es freiwillig oder gezwungenermaßen –, hatten an ihrem Herzen und ihrer Seele genagt, sodass von beidem nicht mehr allzu viel übrig war.

Zumindest war das so gewesen, bis sie eine Seuche in die Welt gesetzt hatte, die Werwölfe überall auf der Erde umbrachte. Etwas an dieser Tat hatte ihre Gefühle in Aufruhr versetzt und ein Körnchen Reue freigelegt, das sie seitdem drückte wie ein Steinchen, das einem in den Schuh gerutscht war.

Dazu kam jetzt noch diese mysteriöse Zunahme von Mordaufträgen an Werwölfen – oder Wargen, wie sie sich selbst nannten –, und es fiel ihr verdammt schwer, Angebote auf Verträge abzugeben, die sie zwingen würden, ihre Assassinen gegen sie auszusenden.

Denn sie brachte sie ja jetzt schon dutzendweise um, ohne sie auch nur berührt zu haben.

Geistesabwesend rieb sie sich den rechten Arm, wobei ihre Handfläche den leichten Temperaturunterschied zwischen ihrer bloßen Haut und den scharfen Umrissen des Tattoos erfasste, das auf ihrer Haut erschienen war, als sie zwanzig war. Das Dermoire, das den Stammbaum väterlicherseits ihrer dämonischen Vorfahren darstellte, war nicht allein gekommen. Gleichzeitig war ihre Libido außer Rand und Band geraten, und sie besaß auf einmal die Fähigkeit, jeden, den sie berührte, mit einer Krankheit zu infizieren, die innerhalb weniger Minuten tötete. So ätzend das auch sein mochte, ihren Zwillingsbruder Lore hatte es sogar noch schlimmer erwischt. Sie konnte ihre »Gabe« wenigstens kontrollieren. Er hingegen konnte niemanden berühren, abgesehen von seinen Geschwistern und seiner Gefährtin, ohne denjenigen auf der Stelle tot umfallen zu lassen.

»Und?« Bantazar ließ seine Fingerknöchel knacken; ein unangenehmes Geräusch, das von den glatten Steinwänden des Gemachs widerhallte. »Wirst du ein Angebot abgeben, oder willst du warten, bis deine Sklaven eine Meuterei anzetteln?«

Dank der Verbindung, die ihre Assassinensklaven durch den Ring des Assassinenmeisters an sie banden, waren sie nicht in der Lage, ihr auch nur ein Haar zu krümmen; zumindest nicht, solange sie sich in der Höhle oder im Hauptquartier der Gilde aufhielt – oder an einem anderen Ort, der vor Gewalt geschützt wurde, wie dem Underworld General. Aber sie waren sehr wohl imstande, sie an jedem anderen Ort in Sheoul oder auf der Erde, im Reich der Menschen, anzugreifen – was der Grund dafür war, warum Assassinenmeister ihre Schlupfwinkel nur äußerst selten verließen.

Sie verfluchte ihre Lage zum ungefähr millionsten Mal, seit sie das Amt des Assassinenmeisters angenommen hatte. Nicht, dass das ihr Wunsch gewesen wäre, aber sie würde unter keinen Umständen zulassen, dass ihr Bruder erfuhr, dass sie ihn nur aus einem Grund angenommen hatte: um zu verhindern, dass seine Gefährtin Idess, ein Engel, gezwungen war, den Job anzunehmen, den sie erworben hatte, als sie Detharu umgebracht hatte. Denn damit wäre Idess ihrer Seele verlustig gegangen, und da Sin davon ausging, dass sie die ihre schon längst verloren hatte …

Tja. Keine große Sache.

Sie zog ein Federmesser mit doppeltem Ende aus der Hüfttasche ihrer Lederhose und kritzelte eine lächerlich hohe Summe auf das Pergament. Darunter setzte sie ihre Unterschrift. Dann drehte sie das Federmesser um und ritzte sich den Daumen mit der scharfen Klinge auf. Sobald ein Bluttropfen auf das Pergament fiel, bildeten sich rote, pulsierende Adern aus, die das gesamte Blatt durchzogen. Innerhalb von Sekunden hatte sich das spröde, steife Rechteck aus getrockneter Haut in ein warmes, geschmeidiges Stück Fleisch verwandelt, aus dem ein bindender Vertrag werden würde, sollte das Individuum, das dahinterstand, ihr Angebot akzeptieren.

Angewidert gab Sin dem Neethul das Ding zurück. Als er auf den Ausgang zuschlenderte, drehte sich ihr der Magen um.

»Das ist dir schwergefallen«, sagte Lycus, nachdem die massive Tür mit lautem Knall zugefallen war. Seine Hände legten sich von hinten auf ihre Schultern, und seine Finger begannen sie zu massieren, aber seine Berührung vergrößerte ihre Anspannung nur noch. »Nimm mein Angebot an. Paare dich mit mir. Dann werden wir gemeinsam herrschen.«

»Bist du taub oder einfach nur total dämlich?« Seit sie diesen Job übernommen hatte, hatte sie nicht ein Mal Gewalt gegen einen ihrer Handlanger benutzt, aber jetzt war sie ernsthaft versucht, sich umzudrehen und ihr Knie mit seinen Eiern Bekanntschaft schließen zu lassen. »Wie oft muss ich denn noch Nein sagen?«

Seine Lippen strichen über die Spitze ihres rechten Ohrs. »Ich kann auch Nein sagen.«

Sie erstarrte. »Erpressung, Lycus?« Er war einer ihrer wenigen kostbaren Bettgenossen. Seit sie die Meisterin dieser Assassinenhöhle geworden war, nahmen sich die meisten ihrer Assassinen – genau dieselben, die jahrelang ihr Bett geteilt hatten – entweder in Acht oder hatten Angst vor ihr. Auch wenn es ihr gutes Recht war, sie zu zwingen, ihr zu Diensten zu sein, würde sie das niemals tun. Lycus hingegen gestattete ihr vollständigen Zugang zu seinem Körper, aber nicht, weil er wusste, dass sie ohne Sex sterben würde.

Er wollte ihren Job haben, wollte sie zu seiner Gefährtin machen, damit er sich die Herrschaft über die Höhle mit ihr teilen konnte. Doch so schön es auch wäre, die schwierigen Entscheidungen einfach auf jemand anders abzuwälzen, konnte sie Lycus nicht geben, was er wollte. Niemals und unter gar keinen Umständen könnte sie jemandes Gefährtin sein. Könnte nie wieder jemandem gehören.

Seltsam … sie hatte tatsächlich in Erwägung gezogen, mit Bantazar zu schlafen, um an Informationen zu gelangen, hatte aber Probleme damit, sich mit einem Mann zusammenzutun, um unangenehme, wenn auch notwendige Pflichten abzuschieben, die ihr Geschäft am Laufen hielten und ihre Assassinen glücklich machten.

Es musste etwas passieren, und das möglichst bald.

Während sie Lycus fortschob, tat sie etwas, das sie nicht mehr getan hatte, seit sie herausgefunden hatte, dass sie ein Dämon war.

Sie betete.

1

»Es gibt Nächte, in denen die Wölfe schweigen und nur der Mond heult.«

George Carlin

»Du verdammpirter Mistkerl!«

Con stieß ein harsches Lachen aus, als er Lucs gebrüllte Beleidigung hörte, obwohl er genau in diesem Augenblick mit so viel Wucht im Schnee auftraf, dass es einem Menschen die Oberschenkelknochen zerschmettert hätte. Aber Con war ein Dhampir, eine seltene Mischung zwischen Werwolf und Vampir, und war aus härterem Material gemacht. Als Werwolf war Luc genauso stark wie er, aber nicht annähernd so schnell, wie Con bewiesen hatte, als er aus dem fliegenden Helikopter gesprungen war, ehe sich Luc auch nur die Skibrille aufgesetzt hatte.

Mit zwei mächtigen Sätzen befreite Con seine Skier aus dem tiefen Schnee, der nach wie vor die Schweizer Alpen bedeckte, und schon raste er im Zickzack den Berg hinunter. Der Himmel war klar und blau, und hier, über der Baumgrenze, wurde die Stille nur von dem leisen Geräusch der Rotoren und dem Zischen seiner Rossignols unterbrochen, die durch den frisch gefallenen Puderschnee glitten.

Doch die trügerische Stille dauerte nur so lange an, bis auch Luc auf dem Schnee landete und Con erneut mit Verwünschungen überschüttete.

Der Lärm des Hubschraubers verging, als der Pilot zusah, dass er von dort wegkam. Er hatte sie mit erstaunlichem Einfallsreichtum auf die verschiedensten Arten für verrückt erklärt, aber schließlich – für den vierfachen Betrag, den er für gewöhnlich fürs Heliskiing nahm – doch zugestimmt, sie noch höher hinaufzufliegen. Den armen Kerl hätte fast der Schlag getroffen, als Con ihn anwies, in zehn Metern Höhe über dem Schnee stehen zu bleiben, statt in der doch wesentlich geringeren Höhe, die seine menschlichen Kunden gewohnt waren.

Aber nein, Con machte es sich nie leicht, und er machte auch nichts zweimal auf dieselbe Art. Als Luc und er das letzte Mal beim Heliskiing gewesen waren, waren sie aus geringerer Höhe gesprungen.

Und die Lawinengefahr war erheblich kleiner gewesen.

Der Pulverschnee lag dick auf einer instabilen Altschneeschicht; der Abhang war steil, und die Anstrengung, die es Con kostete, dort hinunterzufahren, war so gewaltig, dass er vermutlich am ganzen Körper zittern würde, wenn sie nach einigen Meilen erst das Höllentor unten im Tal erreichen würden.

Gleich vor ihnen verwandelte sich der Berg in einen schroffen Abhang. Er sprang und spürte das Luftpolster unter seinen Skiern. Der Boden lag unfassbar weit unter ihm und war mit Felsen übersät, aber der Wind wehte ihm ins Gesicht, er atmete den Duft der Kiefern tief ein. Adrenalin strömte heiß durch seinen Körper.

Das war die beste Art zu leben – oder zu sterben, je nachdem, wie er landete.

Manchmal war es ihm wirklich egal.

Er landete hart in einer Explosion aus Schnee und wäre beinahe kopfüber gestürzt, konnte sich aber in letzter Sekunde noch fangen, ehe er auf eine Stelle von durch den Wind verharschten Schnee geriet, der ihn sicherlich hätte stürzen lassen.

Hinter sich hörte er Lucs Skier, die beim Wedeln mit lautem Kratzen durch den Schnee schnitten … und dann ein sehr viel unheilvolleres Geräusch.

Con wandte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie sich Luc von einem schneebedeckten Felsen abdrückte, aber hinter ihm hatte ein Schneebrett begonnen, sich entlang großer Risse zu lösen und abzurutschen – die Geburtsstunde einer Lawine.

»Luc!« Sein Herz hämmerte so fest gegen seine Rippen, dass es schmerzte, als Con seine Ski mit einem Satz so ausrichtete, dass sie bergab auf einen massiven Felsvorsprung wiesen, der sich auf dem Berghang erhob. Luc konnte diesen potenziellen Zufluchtsort nicht sehen, denn er war der Vorderkante der gewaltigen Decke weißen Tods zu nahe, die unaufhaltsam auf ihn zuglitt.

Luc, der sowieso noch nie ein Freund graziler Manöver gewesen war, ließ jegliche Finesse sausen und schoss auf direktem Weg den Hang hinunter. Er raste durch Schneewehen wie ein Öltanker durch zehn Meter hohen Seegang, aber – Scheiße! Er konnte es unmöglich schaffen! Die Lawine hinter ihm holte auf, und obwohl Con nach links hätte ausweichen und ihr damit aus dem Weg hätte gehen können, schlug er jetzt eine Richtung ein, als wollte er der Lawine den Weg abschneiden, und schoss auf Luc zu.

Der Wind brannte in seinem Gesicht, während er an Geschwindigkeit gewann, Luc immer näher kam … und dem Felsen … und dieser verdammten Wand aus Eis und Schnee. Sie hatten nur eine Chance … Sein Verstand machte dicht und katapultierte ihn an einen Ort absoluter Ruhe, als er in allerletzter Sekunde Luc rammte, sie damit beide umriss und direkt vor den Felsen warf. Die Monsterschneewelle rollte über sie hinweg.

Con landete auf Luc, verkrallte sich in dessen Schultern und wandte das Gesicht ab, um es vor dem Trommelfeuer aus Eisbrocken zu schützen, die überall durch die Luft flogen. Der Krach war ohrenbetäubend, das Grollen so heftig, dass Cons ganzer Körper vibrierte und sein Herz in einen neuen, panischen Rhythmus trieb.

Sechzig Sekunden später hob er den Kopf. Ausgezeichnet. Sie waren noch am Leben.

»Eh, verdammt, geh endlich runter von mir, du Perversling«, murmelte Luc.

Vorsichtig löste sich Con von dem Werwolf und wischte sich Schnee aus dem Spalt zwischen Jacke und Hals. »Echt ’ne schöne Art, einem Kerl zu danken, der dir dein jämmerliches Leben gerettet hat.«

Luc setzte sich auf und tastete sich von oben bis unten ab, als wollte er überprüfen, ob ihm eventuell das eine oder andere Teil fehlte. »Scheiße«, flüsterte er schließlich. »Jetzt schulde ich dir was.«

»Da hast du allerdings verdammt noch mal recht.« Als Con ein Bein anhob, entdeckte er, dass sich die Skibindung gelöst hatte, aber zum Glück hing sein Ski an einer Leine und konnte nicht verloren gehen. »Und ich kann’s kaum erwarten, dich daran zu erinnern.«

»Lass mich aber nicht etwa irgendwas Bescheuertes machen. An einem Stierlauf teilnehmen oder so.« Luc griff in eine seiner Jackentaschen und zog eine kleine Flasche heraus. »Nackt.«

Con verzog das Gesicht. »Vertrau mir, ich verspüre nicht das geringste Verlangen, deinen nackten, pickligen Arsch zu sehen.« Er riss Luc die Flasche aus der Hand, nahm einen Schluck und genoss das brennende Gefühl, mit dem der Rum seine Kehle hinunterrann. »Aber ich hätte nichts dagegen zu sehen, wie du von Stieren zertrampelt wirst. Du bist ein Arschloch.«

»Dito.« Luc holte sich den Alkohol zurück und nahm einen großen Schluck. »Bist du bereit?«

Con ließ seinen Schuh in die Bindung einrasten. »Jepp.«

»Und was machen wir als Nächstes?«

Bedauern flackerte in Con auf. Eidolon hatte sämtliche werwölfischen Krankenhausmitarbeiter in Quarantäne geschickt, um zu verhindern, dass sie sich mit dem Virus infizierten, das gegenwärtig die Werwolfpopulation dezimierte, und so langsam fiel Luc die Decke auf den Kopf. Auch wenn Con und Luc nie wirklich Freunde gewesen waren – sie hatten sich bei einer Kneipenprügelei kennengelernt –, arbeiteten sie beide als Sanitäter und hingen gelegentlich zusammen ab, in erster Linie, um zu sehen, wer wohl wen bei dem schlagen konnte, was sie gerade so trieben.

Aber seit Luc in völliger Abgeschiedenheit lebte, wuchs sein Verlangen, irgendwelchen verrückten Mist anzustellen. Con wollte kein Spielverderber sein, aber immerhin hatte er noch einen Job, und er arbeitete mehr denn je, um Lucs Abwesenheit auszugleichen.

»Ich muss arbeiten. Aber nächste Woche könnten wir Fallschirm springen.«

Luc nickte, doch obwohl seine Miene so versteinert war wie immer, entging Con das enttäuschte Aufblitzen in seinen dunkelbraunen Augen nicht.

»Wann wurdest du eigentlich zum letzten Mal flachgelegt? Als du in Ägypten warst? Von dieser Wächterin?« Con erhob sich. »Du brauchst eine Frau.«

Luc schnaubte. »Frauen nerven nur.« Wie wahr.

Genau genommen war die nervigste Frau, die er je getroffen hatte, für ebendiese Epidemie verantwortlich, die die Warge gerade massenhaft umbrachte. Und Doc E hatte für diesen Nachmittag ein Treffen mit Con erbeten – na ja, befohlen –, der sich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass diese Nervensäge alias Sin ebenfalls dort sein würde.

Mist. Con holte sich die Flasche von Luc zurück, setzte sie an die Lippen und trank sie aus. Gleich darauf raste er den Berg hinab.

Oh ja, Rum und Adrenalin vertrugen sich gut. Viel, viel besser, als Sin und er sich je vertragen würden.

Sin war herbeigerufen worden.

Und da stand sie nun – das verdammte Oberhaupt einer Assassinenhöhle, Meisterin von über drei Dutzend hoch qualifizierten Mördern, und war wie irgendein niederer Kobold zu einer Audienz mit ihrem Bruder herbeigerufen worden.

Dem großen Dämonenarzt.

Sie hatte ihm doch schon alles gegeben: ihr Blut, ihre DNA, ihre Pisse, ihre Rückenmarksflüssigkeit … welche Proben der Herr Doktor auch immer für seine Forschungen gewünscht hatte, sie hatte sie ihm bereitwillig überlassen. Immerhin war Sin für die Seuche verantwortlich, die die Werwolfrasse auszulöschen drohte.

Auch ein Weg, um berühmt zu werden.

Vor ein paar Tagen war sie sogar ins Underworld General gekommen, um ihre Energie in einen Infizierten zu leiten – ein Versuch, das Virus zu töten. Aber wenn überhaupt eine Wirkung zu spüren war, dann hatte sie seine Verbreitung wohl eher noch beschleunigt.

Dabei hatte sie tatsächlich geglaubt, es könne nicht mehr schlimmer werden.

Sin grummelte unaufhörlich vor sich hin, während sie die dunklen Korridore des UG auf dem Weg zu Eidolons Büro durchquerte. Ihre Stiefel trafen mit lautem Klacken auf den schwarzen Steinfußboden, der, was ungewöhnlich war, dringend hätte gekehrt werden müssen. Das Echo hallte mit gruseligen Vibrationen von den grauen Wänden zurück. Ihr Finger glitt über die Schrift auf besagten Wänden: beschützende Anti-Gewalt-Zaubersprüche, geschrieben mit Blut. Das musste sie ihren Brüdern lassen: Das Krankenhaus war für so ziemlich alle Arten Dämonen da, von denen viele untereinander verfeindet waren.

Als sie um die Ecke bog und den Verwaltungstrakt erreicht hatte, stieß sie einen wilden Fluch aus. Wraith, der einzige ihrer vier Brüder mit blondem Haar und blauen Augen – keines von beidem Originalteile –, stand in der Türöffnung, als hätte er auf sie gewartet. Die Arme hatte er vor der breiten Brust gekreuzt, und das Dermoire auf seinem rechten Arm harmonierte mit dem keltischen Druck auf dem T-Shirt. Keltische Muster, die sich durch clevere Planung zu den Worten »Verpiss dich« zusammenfügten.

»Na, wenn das nicht Typhoid Mary ist.«

»Lies, was auf deinem T-Shirt steht.« Sie drängte sich an ihm vorbei ins Büro, um gleich darauf ins Stolpern zu geraten, als sie nicht nur Eidolon, Dr. med., erblickte, sondern auch Conall, seines Zeichens Mistkerl h.c.

Na klasse. Als sie den Vampir-Werwolf vor ein paar Wochen zum letzten Mal gesehen hatte, war ihr Abschied nicht gerade herzlich verlaufen. Er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass er nur das Schlechteste von ihr dachte, hatte sie bedroht und sich insgesamt wie der letzte Arsch aufgeführt. Oh, sicher, sie hatte ihn in dem Glauben gelassen, dass sie die Epidemie, die seine Wargverwandtschaft umbrachte, absichtlich ausgelöst hätte, aber wenn er nicht so ein Idiot gewesen wäre, hätte sie ihm möglicherweise die Wahrheit gesagt.

Nicht, dass die Wahrheit viel besser wäre.

»Sin.« Eidolon blieb an seinem Schreibtisch sitzen. Seine espressofarbenen Augen waren blutunterlaufen und von großen dunklen Ringen eingerahmt. Sein kurzes, fast schwarzes Haar war wirr; vermutlich war er wiederholt mit sämtlichen Fingern hindurchgefahren. Insgesamt sah er aus, als hätte er einen Trip zur Hölle und zurück hinter sich gebracht. »Setz dich.«

Die Anweisung passte ihr überhaupt nicht; dennoch schlang sie ihren Fuß um ein Stuhlbein und stieß das Möbelstück so weit wie nur möglich von Conall weg, um dann in aller Gemütsruhe ihren Hintern darauf zu pflanzen. »Was ist denn jetzt schon wieder? Ich hab echt kein Blut mehr übrig, und wenn du glaubst, du könntest eine Stuhlprobe von mir einsacken, dann kannst du –«

»Ich brauche keine Stuhlprobe«, unterbrach Eidolon sie. »Ich brauche deine Hilfe.«

Sie spürte, wie Cons Silberaugen wie Bohrer in sie hineinstießen, und bemerkte zu ihrem Ärger gleichzeitig, dass eine Hitze in ihrem Körper aufstieg – als würde er sich an eine andere Situation erinnern, in der sich ein ganz anderer Körperteil Conalls in sie hineingebohrt hatte. Das würde auf gar keinen Fall noch mal passieren. »Hör mal, du solltest wissen, dass die Assassinengilde im Moment von Anfragen für Morde an Wargen geradezu überflutet wird. Ich weiß ja nicht, ob dieser plötzliche Anstieg was damit zu tun hat, aber ich dachte, ich erzähl’s dir mal lieber.«

Wraiths scharfer Blick schwenkte zu Eidolon. »Ich habe genau dasselbe gehört. Es wird gemunkelt, dass sich einige der anderen Wer-Spezies Sorgen machen, dass die Wölfe die Seuche auf sie übertragen könnten, und sich dabei … sagen wir mal, ein wenig proaktiv verhalten.«

Eidolon und Con stießen denselben grimmigen Fluch aus.

Sin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und zwang sich zur Ruhe, obwohl sie am liebsten angesichts der Katastrophe, die sie verursacht hatte, laut geschrien hätte. »Du hast gesagt, du brauchst meine Hilfe. Welche Art Hilfe?«

Eidolon griff nach der Wasserflasche auf seinem Schreibtisch und nahm einen Schluck, ehe er sprach. »Dank der Höllentore und der Fähigkeit, innerhalb von Sekunden überallhin zu reisen, hat sich das Virus inzwischen auf sämtlichen Kontinenten ausgebreitet, mit Ausnahme der Antarktis. Die Anzahl der Toten steigt stetig an. Diese Seuche hat eine Mortalitätsrate von einhundert Prozent, praktisch keine Inkubationszeit, und kein Opfer hat den Zeitpunkt der Infektion um mehr als zweiundsiebzig Stunden überlebt. Wenn ein Patient hereinkommt, bleibt uns im Grunde so gut wie keine Zeit für eine Behandlung.«

Oh Gott. Es war schlimmer, als sie gedacht hatte. »Habt ihr denn überhaupt keine Fortschritte gemacht?«

»Einen kleinen.« Leder knarrte, als sich Eidolon in seinem Stuhl zurücklehnte. »Wir haben ein halbes Dutzend Warge gefunden, die dem Virus ausgesetzt waren, sich aber nicht infiziert haben. Das R-XR ist dabei, herauszufinden, was genau sie immun macht.«

Die paranormale Einheit der U.S. Army war inzwischen auch involviert? Und Eidolon arbeitete mit denen zusammen? Sie hatte gewusst, dass die Gefährtin ihres Bruders Shade – Runa – früher einmal bei dem Verein gewesen war, und dass Runas Bruder Arik immer noch dabei war, aber heilige Scheiße, es kam ihr einfach nicht richtig vor, dass die Regierung in irgendeiner Weise mit dem Underworld General zu tun hatte.

Ganz besonders nicht eine Militäreinheit, die Dämonen tötete, gefangen nahm und Experimente an ihnen durchführte.

Andererseits besaß das UG starke Verbindungen mit der Aegis, einer zivilen Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Dämonen zu töten – immerhin war Eidolons Gefährtin eine Aegis-Wächterin –, und bislang hatte die Zusammenarbeit sowohl dem UG als auch der Aegis genützt.

»Und warum genau bin ich dann hier? Brauchst du die Dienste eines Assassinen, oder was?« Letzteres hatte sie einfach nur so in den Raum gestellt, um endlich mal eine Reaktion von ihrem verklemmten Bruder zu erhalten, der immer alles unter Kontrolle zu haben schien, aber zu ihrer Überraschung war es Con, der sogleich reagierte.

»Du bist hier, weil immer mehr Warge sterben, und das ist deine Schuld«, knurrte er. Der Hauch eines seltsamen, möglicherweise britischen Akzents färbte seine Worte. Das passierte immer, wenn er stinkig war, und seltsamerweise war es ziemlich … heiß.

Aber deshalb konnte sie ihn immer noch nicht leiden, also riss sie den Kopf zu ihm herum, um ihm einen finsteren Blick zuzuwerfen. Was ein guter Plan hätte sein können, wenn er in seiner schwarzen Sanitäteruniform nicht so verdammt gut ausgesehen hätte. Sie betonte seine tiefgebräunte Haut und das von der Sonne gesträhnte blonde Haar verflucht vorteilhaft. Wenn man dazu noch diese schimmernden, silbernen Augen nahm, wurde aus so einem finsteren Blick schnell schon mal ein bewundernder.

»Warum bist du überhaupt hier?«, fuhr sie ihn an, wobei sich ihre Wut eher gegen ihre eigene Reaktion richtete. »Ich dachte, die Seuche betrifft Dhampire nicht.«

»Ich gehöre zum Rat der Warge und halte ihn auf dem Laufenden.«

»Na, wie schön für dich.«

Eidolon räusperte sich gebieterisch. »Genau genommen gibt es einen Grund, warum ihr beide hier seid. Sin, es wird langsam Zeit, dass wir uns ernsthaft mit deiner Gabe beschäftigen. Wir müssen einen Weg finden, sie einzusetzen, um die Krankheit zu behandeln.«

»Das haben wir doch schon versucht. Meine ›Gabe‹ tötet. Sie heilt nicht.« Ihre »Gabe« war etwas, das sie ihrem Seminusvater am liebsten gleich wieder zurückgegeben hätte. Nur schade, dass der Kerl schon tot war.

»Nun ja, im Grunde solltest du gar nicht existieren, darum bin ich noch nicht bereit, das Unmögliche abzuschreiben.«

Oh, wie sie diese kleinen Bemerkungen liebte, die sie daran erinnerten, dass sie eine Missgeburt war: der einzige weibliche Seminusdämon, der je geboren war. Ein Schlumpfinchen, wie Wraith sie gern nannte.

»Und wie sieht dein Plan aus?«

»Kannst du deine Gabe dazu einsetzen, festzustellen, welche Art von Krankheit in einem Körper sitzt? Wenn du jemanden berührst, der krank ist, kannst du dann sagen, um welche Krankheit es sich handelt?«

»Irgendwie schon. Ich kann die Zusammensetzung der Viren oder Bakterien oder was auch immer spüren. Und wenn ich die erst einmal kenne, kann ich diese spezifische Krankheit auch replizieren.« Sie grinste Conall frech an. »Khileshianischer Schwanzbrand ist einer meiner Lieblinge.«

Wraith lachte. Conall wurde blass. Eidolon sah sie an, als sei sie für jeden Fall dieser überaus schmerzhaften Geschlechtskrankheit verantwortlich, die Schwänze verschrumpeln ließ. Der Kerl war so steif, der stärkte vermutlich sogar seine verdammten Unterhosen.

»So verstörend das auch sein mag«, sagte Eidolon ausdruckslos, »ist es genau das, was ich hören wollte.«

Nach kurzem Anklopfen spazierte Lore an Wraith vorbei, der immer noch Türwächter spielte. Er hielt einen Aktenordner in der mit einem Lederhandschuh bekleideten Hand. Wieder einmal dachte Sin, dass sie sich wohl nie daran gewöhnen würde, ihren Zwillingsbruder im Arztkittel zu sehen. »Ich habe gerade den Erstbericht des R-XR über die immunen Warge gelesen, und da ist mir etwas aufgefallen. Die Warge, die sich nicht mit SF infiziert haben, obwohl sie dem Erreger ausgesetzt waren, waren geborene Warge. Daraufhin habe ich die Leichen in unserer Leichenhalle untersucht und einige Tests durchgeführt. Ich weiß natürlich, dass nicht jeder infizierte Warg hier im Krankenhaus behandelt wurde, aber die, die hier gestorben sind? Alles gewandelte Warge.«

Sin runzelte die Stirn. »SF?«

»Sin-Fieber«, meldete sich Wraith ein wenig zu enthusiastisch.

Sin-Fieber? Sie hatten diese beschissene Krankheit nach ihr benannt? Mistkerle!

E blätterte in dem Ordner, den Lore ihm übergeben hatte. »Gerade als ich dachte, wir würden nie eine Verbindung zwischen den Opfern finden. Ich werde gleich das R-XR anrufen und es ihnen mitteilen. Ausgezeichnete Arbeit, Lore.«

Obwohl die ganze Angelegenheit schrecklich trostlos war, verspürte Sin doch ungeheure Freude über ihren Bruder, der noch vor wenigen Wochen als Assassine nichts als Morden und Einsamkeit gekannt hatte und jetzt mit seiner Gefährtin glücklich war und im Krankenhaus arbeitete – und zwar im Leichenschauhaus, wo seine tödliche Berührung niemanden versehentlich umbringen konnte.

»Augenblick mal«, sagte Sin. »Wie kann man denn zwischen gewandelten und geborenen Wargen unterscheiden?«

»Geborene Warge tragen für gewöhnlich ein Geburtsmal irgendwo am Körper, aber darauf können wir uns nicht immer verlassen.« Ehe Sin nach dem Grund dafür fragen konnte, fuhr Eidolon fort: »Ausgestoßene müssen sich dieses Mal entfernen lassen, und einige gewandelte Warge wiederum lassen es sich künstlich anbringen. Darum müssen wir Gentests durchführen, um festzustellen, ob ein Warg gewandelt oder als solcher geboren wurde.«

Hm. Wer hätte das gedacht? »Und was wolltest du jetzt von mir?«

Als Eidolon von den Akten aufblickte, schienen die Ringe unter seinen Augen etwas heller geworden zu sein. »Was das betrifft … Das ist der Grund, warum ich Con zu diesem Treffen gebeten habe.«

Con stützte die muskulösen Unterarme auf die Knie und lehnte sich auf seinem Stuhl nach vorn. Als er sprach, blitzten seine Fänge so wild auf wie seine Augen. »Was willst du damit sagen?«

»Deine wöchentlichen Bluttests auf SF waren bisher immer negativ«, sagte Eidolon. »Bis gestern.«

»Was? Ich hab die Krankheit?« Con explodierte förmlich aus seinem Stuhl, aber Eidolon hob die Hände, als Zeichen, dass er sich beruhigen solle.

»Nicht so richtig. Sie ist in deinem Blut, aber dein Körper greift sie nicht an, und sie greift nicht deinen Körper an. Du produzierst auch keine Antikörper. Aber als wir im Labor Sins Blut zu der Mischung hinzugefügt haben, haben sich deine und ihre weißen Blutkörperchen zusammengetan und das Virus angegriffen.«

Sins Haut begann zu prickeln. Das verhieß nichts Gutes. Da steckte doch noch mehr hinter. »Verschon uns mit der Vorgeschichte und dem ganzen Hintergrundkram. Jetzt mal im Klartext: Was willst du von uns?«

»Es ist unbedingt erforderlich, dass sich Con von dir nährt«, antwortete er mit für ihn völlig untypischer Verlegenheit. »Und zwar sofort.«

Es ist unbedingt erforderlich, dass sich Con von dir nährt.

Con fluchte leise. »So gern ich dir auch aushelfen würde, Doc, ich kann das nicht tun, was du von mir verlangst.« Ja, er hatte schon mal von Sins Blut gekostet – und es hatte verdammt gut geschmeckt –, aber genau das war der Grund, warum er es nicht noch einmal tun konnte. Er war schon einmal nach dem Blut einer Frau süchtig gewesen, und er würde unter keinen Umständen zulassen, dass das wieder passierte.

»Ich weiß ja, dass du sie nicht unbedingt magst –«

»Er sagte, er kann nicht«, unterbrach Lore ihn. »Also lass es gut sein.«

Eidolon klopfte mit einem Bleistift auf den Schreibtisch; das dumpfe Geräusch des Radiergummis auf dem Holz unterstrich seine Worte. »Bedauerlicherweise ist ›lass es gut sein‹ keine Option. Es wäre möglich, dass dies unsere einzige Chance auf eine baldige Lösung ist.«

»Das kapier ich nicht«, sagte Sin. »Was meinst du mit Lösung?«

Eidolon drehte eines der Papiere vor ihm um, sodass Sin und Con einen Blick auf die ausgedehnte Zahlenkolonne werfen konnten, die er darauf gekritzelt hatte. »Ich kann Con die Menge von Sins Blut, die nötig wäre, um das Virus zu zerstören, nicht injizieren, ohne ihn zu töten. Er muss es oral zu sich nehmen. Als Dhampir verfügt er über einen Doppelmagen, wobei die zweite Kammer so arbeitet wie der Magen eines Vampirs und das Blut des Opfers nahezu umgehend in den Blutkreislauf des Vampirs leitet. Wenn meine Berechnungen also korrekt sind, würde eine normale Mahlzeit ihm erlauben, ausreichend Blut aufzunehmen, sodass eine sofortige Attacke auf das Virus erfolgt. Und wenn das passiert –«

»Dann kann ich sein Blut überwachen, um zu lernen, wie das Virus getötet werden kann und dann meine Kraft nutzen, um es selbst zu zerstören«, beendete Sin seinen Satz.

»Genau.« Eidolon grinste. »Du solltest wirklich lieber hier arbeiten und nicht als Assassine.«

Irgendwann hatte Sin ein Wurfmesser hervorgezogen, das sie jetzt durch die Finger wirbeln ließ. Con hatte den Verdacht, dass die Geschwindigkeit einen direkten Bezug zum Grad ihrer Aufregung hatte, und das Mistding bewegte sich so schnell wie ein Hubschrauberrotor. »Du kannst mich mal.«

Eidolon zeigte auf Conall. »Das überlass ich lieber ihm.«

»Nein«, widersprach Con grimmig. »Es muss doch einen anderen Weg geben.«

»Das denke ich auch.« Sin erhob sich so hastig, dass ihr blauschwarzes Haar wütend um ihre Taille peitschte. »Ich lass niemanden seine Fangzähne in mich schlagen.«

Mich hast du schon mal gelassen, du kleine Lügnerin. Heißekleine Lügnerin. Mann, Con hätte sie nur zu gern daran erinnert, wie genau sie ihn rangelassen hatte, aber wenigstens zwei ihrer Brüder in diesem Raum waren ein wenig überfürsorglich, und der andere brauchte gar keine Entschuldigung, um zu töten. Im Grunde brauchte dazu keiner von ihnen eine Entschuldigung.

Genauso wenig wie Con.

»Wenn es einen anderen Weg gäbe«, sagte Eidolon, »hätte ich ihn gefunden. Aber es gibt keinen.« Er knüllte ein Blatt Papier zusammen und warf es in den überquellenden Papierkorb in der Ecke. »Du trägst das Virus in dir; es greift dich einfach nur nicht an, und ich weiß immer noch nicht, warum. Es handelt sich um einen Stamm, der sich ein wenig von dem unterscheidet, der die Warge angreift … es hat sich wohl an deine Spezies angepasst, aber möglicherweise versucht es, sich in etwas zu verwandeln, das in der Lage ist, dich anzugreifen. Und darum müssen wir es so rasch wie möglich eliminieren. Was die Warge betrifft – genau das war ja an den Blutproben, die das R-XR genommen hat, so merkwürdig. Es war, als ob die nicht infizierten Warge einer anderen Spezies angehörten und nicht von diesem Virus befallen werden könnten.«

»Du meinst, so wie sich Pferde bei Menschen nicht mit Masern anstecken können«, sagte Sin.

Eidolon nickte. »Genau. Ich weiß immer noch nicht, was geborene Warge von gewandelten unterscheidet.« Der Frust in Eidolons Stimme spiegelte sich in seiner Miene, als er sich jetzt Con zuwandte. »Und du bist irgendwie enger mit gewandelten Wargen verwandt als mit geborenen, trotz deines Vampirstatus.«

Con überlief ein Schauer des Unbehagens. Genau das war eines der schmutzigen kleinen Geheimnisse der Dhampir-Rasse, aber es war eines, das er mit dem Arzt würde teilen müssen. Er würde alles tun, um dieser verdammten Epidemie Einhalt zu gebieten. Na ja, vielleicht nicht alles. Er würde die ein oder andere unbedeutende Einzelheit auslassen. Auch wenn er seinem Volk im Grunde genommen nichts schuldete, nicht einmal die Höflichkeit, ihre Geheimnisse für sich zu behalten, nachdem sie ihn so gut wie ausgestoßen hatten. Sicher, sie verloren ihn nie ganz aus den Augen, weil er schlussendlich einfach zu wertvoll war, um ihn endgültig abzuschreiben. Aber er hatte sie beschämt, und dafür bestraften sie ihn nur zu gern.

»Dhampire werden nicht so geboren.«

Eidolon blickte ihn mit ernster Miene an. »Was meinst du?«

Con lehnte sich vor und legte die Unterarme auf die Schenkel. »Ich meine Folgendes: Wenn wir ins späte Teenageralter kommen, beginnen unsere Fänge zu wachsen, und wir verspüren zum ersten Mal das Verlangen nach Blut … und dann werden wir krank. Wenn wir nicht in der ersten Nacht des Vollmonds, nachdem sich unsere Fangzähne vollständig entwickelt haben, von einem Warg gebissen werden, sterben wir.«

»Interessant«, murmelte Eidolon. »Dann handelt es sich bei Dhampiren also im Grunde um gewandelte Werwölfe, die Blut trinken. Das erklärt vermutlich, warum du dir eine Unterart des Virus zugezogen hast, aber dabei dürfen wir eins nicht vergessen.«

Con gefiel sein Tonfall nicht. Ganz und gar nicht. »Was denn?«

Eidolon schwieg, als würde er in Gedanken nach den richtigen Worten suchen. Con wurde schon ganz flau. »Das Virus in dir will vermutlich nicht nur dich angreifen. Es will raus.«

»Damit willst du also sagen«, brachte Con mühsam heraus, »dass ich ein Träger bin. Ich könnte andere angesteckt haben.«

»Leider ja. Die Krankheit scheint sich sowohl über direkten als auch indirekten Kontakt sowie über die Luft zu verbreiten, aber als asymptomatischer Träger könntest du sie auch noch auf andere Weise übertragen. Ich habe deinen Speichel getestet und festgestellt, dass das Virus darin enthalten ist. Wir müssen noch weitere Tests durchführen, um sicherzugehen, aber nachdem sich Luc das Virus nicht zugezogen hat, gibst du es vermutlich nicht über die Atemluft oder flüchtige Berührungen weiter. Aber du musst ab sofort jeden näheren Kontakt mit Werwölfen und anderen Dhampiren vermeiden.«

Oh, verdammte Scheiße! Wie viele Frauen hatte Con im letzten Monat gevögelt und gebissen? Seine Gedanken rasten, als er zählte und die eliminierte, die keine Werwölfe waren. Nur eine war ein Warg gewesen … ein gewandelter Warg. Ironischerweise eine Frau, mit der zu schlafen er seit Jahren vermieden hatte, da ihm etwas an ihr lag und sie etwas Besseres verdient hatte als einen One-Night-Stand mit ihm.

Mist. »Augenblick, Doc.« Con zog sein Handy aus der Tasche, wählte, und Yasashiku, ein Mitglied des Warg-Rats, meldete sich nach dem zweiten Klingeln.

»Con. Du verpasst gerade die Sitzung. Valko dreht gleich durch. Wo bist du?«

»Ich bin bei der Arbeit. Ich komme, so schnell ich kann.« Er bewegte sich in eine Ecke und senkte die Stimme. »Hast du in letzter Zeit von Nashiki gehört?«

Yasashikus Schweigen brachte Con mit einem Mal schmerzhaft zu Bewusstsein, wie laut sein Herzschlag in seinen Ohren dröhnte.

»Dann hast du es noch nicht gehört?«

»Was gehört?« Sag es nicht. Bloß nicht.Sag. Es. Ja. Nicht.

»Sie hat sich mit dem Virus infiziert«, sagte Yas. Sein japanischer Akzent war stärker als sonst. »Sie ist letzte Nacht gestorben.«

Con antwortete nicht einmal. Wie betäubt klappte er das Handy zu. In den tausend Jahren seines Lebens hatte er schon einige Lebewesen getötet. Einige Tötungen waren gerechtfertigt, andere nicht. Aber es erschien ihm besonders obszön, jemanden durch Lust zu töten. Vor allem, nachdem er Nashiki vor einigen Jahren das Leben gerettet hatte, als sie von einem Rudel Löwengestaltwandler angegriffen worden war. Wenn er auch normalerweise nicht mit seinen Patienten in Kontakt blieb, war sie doch etwas ganz Besonderes gewesen, so überschäumend und strahlend; eine der wenigen Personen in seinem Leben, die sich nie kleinkriegen ließen.

Dann hatte er sie also gerettet … nur um sie zu töten.

Sicher, es gab keinen Beweis dafür, dass er das Virus an diesen hinreißenden Warg mit der honigfarbenen Haut übertragen hatte. Sie hatte es einfach nicht verdient, von ihm gevögelt zu werden, während er insgeheim an Sin dachte, geschweige denn, von ihm mit einer Seuche infiziert zu werden, die ihre Organe in Brei verwandelt hatte. Es gab nicht den kleinsten Beweis, aber das Timing stimmte, wenn er die Zeit bedachte, die zwischen ihrem Zusammensein und ihrem Todeszeitpunkt vergangen war.

Mit einem Mal schob sich ein blutroter Schleier vor seine Augen – einerseits befiel ihn Übelkeit, weil er eine unschuldige Frau umgebracht hatte, andererseits fühlte er Wut, weil die Person, die letztlich dafür verantwortlich war, sich direkt neben ihm befand. Das musste ein Ende haben. Und mittlerweile war sein Risiko, wenn er sich wiederholt von Sin nährte, die geringste seiner Sorgen.

Vor allem, da das Risiko ganz auf Sins Seite sein würde.

»Con?« Wraiths tiefe Stimme war kaum mehr als ein Summen unter all dem anderen Lärm in Cons Kopf. »He, Mann, alles okay bei dir? Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen.«

»Dann sollte ich mich wohl lieber nähren.« Conalls Stimme war eisig, als er zu Sin herumfuhr. »Und wie es aussieht, bist du das Mittagessen.«

2

Das war alles so eine verdammte Scheiße.

Sin kapierte ja, dass dies die Lösung für die Epidemie sein könnte, aber Con musste sie dennoch nicht anstarren, als wäre sie ein saftiges Steak. Er könnte zumindest versuchen, so angewidert zu sein wie sie.

»Setz dich.« Cons Stimme klang mit einem Mal tiefer und rauer, bezwingend, sodass sie beinahe auf der Stelle gehorcht hätte wie ein gut erzogener Hund.

»Sollen wir es gleich hier tun?«

Er hob eine sandige Augenbraue. »Würdest du es lieber in einem Patientenzimmer tun? Oder wäre eine Abstellkammer mehr nach deinem Geschmack?«

Oh, dieser Mistkerl! Auf keinen Fall würden sie in ein Patientenzimmer gehen, wo ein Bett sie nur zu leicht dazu verlocken könnte, mehr zu tun als bloß diese Blutsache. Und die Bemerkung über die Abstellkammer war ein Seitenhieb, der sich auf den ersten – und letzten – Ort bezog, an dem sie zusammen gewesen waren.

Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Na gut. Dann bringen wir die Sache mal hinter uns.«

»Wie goldig«, sagte Wraith. »Ihr klingt wie ein altes Ehepaar.«

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