Eternal Riders - Ares - Larissa Ione - E-Book

Eternal Riders - Ares E-Book

Larissa Ione

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Beschreibung

Der Krieger Ares gehört zu den vier Reitern der Apokalypse. Auf seinen Schultern lastet das Schicksal der Menschheit. Wenn er den Kräften des Bösen anheimfällt, sind auch die Sterblichen dem Untergang geweiht. Und das Böse droht seit einiger Zeit, die Übermacht zu gewinnen. Nur eine Frau kann den mächtigen Krieger noch retten: Die schöne Cara, die über eine besondere Gabe verfügt, die sie von anderen Menschen abhebt. Gemeinsam kommen Cara und Ares einer finsteren Verschwörung auf die Spur, die das Schicksal der ganzen Welt bedroht.

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Seitenzahl: 599

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LARISSA IONE

ETERNAL RIDERS

Ares

Roman

Ins Deutsche übertragen von

Bettina Oder

Manchmal muss ich mich selbst kneifen, um glauben zu können, dass mein Traum von einer Schriftstellerkarriere nicht nur in Erfüllung gegangen ist, sondern meine kühnsten Visionen noch übertroffen hat. Beim Schreiben dieses ersten Buches einer neuen Reihe wurde mir erst so richtig klar, wie weit ich gekommen bin. Dieses Buch ist für alle Autoren und Autorinnen, die mich inspiriert und ermutigt und mich etwas gelehrt haben. (Und ja, Lynn Viehl, dieses Wörterbuch war ein verdammter Glücksfall!)

Sowie für all meine wunderbaren Leser und Leserinnen da draußen, mit einem ganz besonderen Dankeschön an die Writeminded Readers, die Underworld General Hospital RPGler auf Facebook und alle meine Freunde auf Twitter, Facebook und Goodreads. Eure Unterstützung, euer Enthusiasmus und eure Unterhaltungskünste sind es, die mich weitermachen lassen. Viel Spaß beim Lesen!

Prolog

Ihr Name war Lilith, und sie war ein böser Sukkubus. Sein Name war Yenrieth, und er war ein guter Engel.

Nachdem sie jahrhundertelang damit zufrieden gewesen war, Menschen zu verführen, wurde es Lilith langweilig. Und so kam es, dass sie Yenrieth ins Visier nahm – die ultimative Herausforderung. Er widerstand. Sie ließ nicht locker. Er widerstand weiterhin. So vergingen einige Jahrzehnte, bis das Unvermeidliche geschah. Denn schließlich war sie von ungewöhnlich großer Schönheit, und er liebte den Wein ein bisschen zu sehr.

Niemand weiß, was nach ihrer Nacht voll Leidenschaft mit Yenrieth passierte, doch neun Monate später gebar Lilith vier Kinder: drei Jungen und ein Mädchen. Sie nannte sie Reseph, Ares, Limos und Thanatos. Lilith behielt das Mädchen, Limos, bei sich in Sheoul, doch die Jungen brachte sie auf der Erde unter, indem sie sie gegen die Säuglinge reicher, mächtiger Familien austauschte.

Die Jungen wuchsen zu Männern heran, ohne die Wahrheit über ihre Herkunft auch nur zu erahnen. Zumindest nicht, ehe sich Dämonen erhoben, Angst und Schrecken verbreiteten und danach trachteten, Liliths Söhne zu ihrem Werkzeug im Kampf gegen die Menschen zu machen. Limos entkam aus Sheoul, fand ihre Brüder und eröffnete ihnen die Wahrheit über ihre Herkunft.

Längst hatten die Brüder mit ansehen müssen, wie Dämonen ihre Ländereien und Familien zerstört hatten. Von Hass und dem Verlangen nach Rache geblendet, trieben Liliths Kinder die Menschen (durch Manipulation und gelegentlich auch durch Gewalt) dazu an, ihnen im brutalen, niemals endenden Kampf gegen die verabscheuungswürdigen Kreaturen der Unterwelt beizustehen.

Was im himmlischen Reich nicht allzu gut aufgenommen wurde.

Zachariel, ein Engel der Apokalypse, führte eine Legion von Engeln auf die Erde, wo sie im Kampf auf die Horden der Dämonen trafen. Als sich Erde und Gewässer vom Blut rot färbten und die Menschen nicht länger auf dem vergifteten Land überleben konnten, schloss Zachariel einen Handel mit dem Teufel.

Liliths Kinder sollten dafür bestraft werden, dass sie die Menschheit in ihrem selbstsüchtigen Streben nach Rache an den Rand der Vernichtung getrieben hatten. Da sie um ein Haar das Ende aller Tage herbeigeführt hätten, wurde ihnen das Amt der Hüter von Armageddon auferlegt. Ob als Verteidiger oder Aufrührer – diese Wahl lastete allein auf ihren Schultern.

Jedem wurde ein Siegel gegeben, und zu jedem Siegel gehörten zwei Prophezeiungen. Sollten sie ihr Siegel bis zum Eintritt der in der Bibel prophezeiten Geschehnisse intakt halten, würden sie ihre Seelen – und die Menschheit – retten.

Doch sollten sie zulassen, dass die Siegel vorzeitig gebrochen würden, wie es in den Daemonica, der Bibel der Dämonen, geschrieben stand, wären sie damit unwiderruflich auf die Seite des Bösen übergegangen und würden für alle Zeit unter den Namen Pestilence, War, Famine und Death (Pest, Krieg, Hunger und Tod) bekannt sein.

Und so wurden die vier apokalyptischen Reiter geboren.

Vor sechs Monaten …

»Mmm … Ich liebe die Geschichte eurer Entstehung. Überläuft es dich nicht auch jedes Mal eiskalt, wenn du sie hörst?«

Ares, der an der Bar eines Unterwelt-Pubs saß, bemühte sich, die Frau hinter sich zu ignorieren, aber sie war gar nicht so leicht auszublenden. Ihre Brüste rieben sich an seinem Rücken, und ihre zarten Hände glitten von seiner Taille aus zur Innenseite seiner Oberschenkel. Ihre Hitze spürte er sogar durch seinen harten Lederpanzer hindurch.

»Ja klar. Eiskalt.« Es gab immer irgendeinen Idioten, der jedes Mal, wenn er hier war, die Legende vorlas, die auf der Tafel an der Wand stand. Und das war oft der Fall. Die Taverne, deren Umsatz überwiegend auf Ares und seinen Geschwistern beruhte, war sein zweites Zuhause und sogar unter dem Namen Four Horsemen bekannt. Männliche Dämonen bemühten sich meist, mit dem Hintergrund zu verschmelzen, oder aber sie sahen zu, dass sie durch die Hintertür verschwanden, wenn Ares eintraf. Weise.

Ares verachtete Dämonen, und das, in Kombination mit seiner Liebe zu einem guten Kampf, führte zu …schlimmen Dingen … für die Lakaien der Hölle.

Das andere Geschlecht hingegen war ein wenig mutiger – oder vielleicht nur geiler. Weibliche Dämonen, Gestaltwandler, Were und Vampire tummelten sich rund um die Uhr in der Taverne, in der Hoffnung, Ares und seine Brüder in ihre Hände, Pfoten oder Hufe zu bekommen. Ach was – Ares konnte sich kaum umdrehen, ohne dass sein Schwanz eine von ihnen traf. Für gewöhnlich hatte er durchaus einiges für Trinken, Spielen und alle möglichen Dummheiten übrig, aber heute stimmte irgendetwas ganz und gar nicht. Er war unruhig. Nervös.

Das war nicht seine Art.

Er stand sogar kurz davor, die Schachpartie zu verlieren, die er mit dem pummeligen, rosafarbenen Oni-Barkeeper spielte, und das war nicht mehr passiert seit … ja, im Grunde überhaupt noch nie.

»Oh, War.« Die Sora-Dämonin, Cetya, fuhr mit der Zunge über sein Ohr. »Du musst doch wissen, dass uns das heißmacht.«

»Mein Name«, brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus, »lautet Ares. Und den Tag, an dem ich zu War werde, möchtest du gewiss nicht erleben.« Er verschob seinen Turm, kippte ein halbes Glas Bier runter und wollte gerade das nächste bestellen, als die Hand der Dämonin zwischen seine Beine wanderte.

»War gefällt mir immer noch besser.« Ihre Stimme vibrierte verführerisch, während sich ihre Finger geschickt an der Öffnung seiner Hose zu schaffen machten. »Und Pestilence … das klingt so sexy.«

Auf so eine Idee konnte auch nur ein Dämon kommen. Ares schob ihre rote Hand fort. Sie war eine von Resephs zahlreichen Bettgefährtinnen, eine von Hunderten Reiter-Groupies, die sich selbst Megiddo-Schlampen nannten. Zusätzlich unterteilten sie sich auch noch in Unterklassen, je nachdem, wer ihr Lieblingsreiter war; Ares’ Groupies nannten sich Treiber. Wie in Kriegstreiber.

Der Barkeeper führte mit seinem Springer einen unbesonnenen Zug aus, und Ares verbarg sein Grinsen in seinem Bierkrug.

Die Frau, die wie eines dieser Cartoon-Teufelchen aussah, fuhr mit einem langen, schwarzen Fingernagel über das Tattoo eines Hengstes auf Ares’ Unterarm. »Ich liebe das Ding.«

Das Pferd war genauso ein Teil von ihm wie seine Organe, ob sich Battle nun auf seiner Haut oder zwischen seinen Schenkeln befand. Ares erstarrte, als er die Berührung auf seinem Arm und in seinem Kopf zugleich spürte. Jeder Kontakt mit der Glyphe verursachte ein wahres Gefühlsgewitter in den entsprechenden Regionen von Ares’ Körper, was ziemlich grauenhaft sein konnte. Oder auch auf vollkommen unangemessene Weise angenehm …

Ares ließ seinen Bierkrug der Länge nach über die ganze Theke gleiten und brachte seine Dame in Angriffsposition. Ein Gefühl des Triumphs durchdrang ihn, erfüllte jenen Ort in seiner Seele, den es stets nach Siegen dürstete. »Schachmatt.«

Der Barkeeper fluchte, die Sora lachte, und Ares erhob sich. Neben seinen zwei Meter zehn wirkte die Dämonin geradezu zwergenhaft, was sie allerdings nicht im Mindesten aus der Fassung brachte, denn jetzt schmiegte sie ihren ganzen mit Tanktop und Minirock spärlich bekleideten Körper an seinen. Ihr Schweif fegte über den mit Heu bestreuten Boden, und ihre schwarzen Hörner schwenkten herum wie spitze Satellitenantennen. Wenn ihr Blick nur noch einen Hauch heißer würde, würde es in seiner Hose verdammt ungemütlich werden.

Er verachtete die Reaktion seines Körpers auf Dämoninnen, hatte sich nie wirklich für weibliche Wesen erwärmen können, die nicht zumindest menschlich erschienen.

Es gab Abneigungen, die man sein ganzes Leben lang nicht mehr loswurde.

»Ich bin dann mal weg.« Trotz seines Triumphs beim Schach steigerte sich seine innere Unruhe, bis sie beinahe unerträglich erschien – so wie immer, wenn ein globaler Krieg eskalierte. Er musste sich dringend auf die Suche nach einer seiner Exbettgefährtinnen begeben, einer Dämonin namens Sin, die eine Werwolfseuche – beziehungsweise Wargseuche, denn so nannten sie sich selbst – verursacht hatte. Ares und seine Geschwister hatten erst kürzlich herausgefunden, dass sie der Schlüssel zu einer Prophezeiung war, die, sollte sie sich tatsächlich erfüllen, Resephs Siegel brechen und ihn in genau das verwandeln würde, was sich Cetya wünschte: Pestilence.

Sin musste sterben, ehe unter den Werwölfen ein Bürgerkrieg ausbrach.

Unfähig, sich noch länger ruhig zu verhalten, warf er dem dreiäugigen Barkeeper eine Sheoulin-Mark zu. »Die nächste Runde geht auf mich.«

Mit festem Griff löste er die Kletten-Dämonin von sich und schritt aus der Taverne ins ewige Zwielicht hinaus. Heiße, feuchte Luft, die nach Schwefel stank, füllte seine Lungen, und seine Stiefel sanken in den sumpfigen Grund, der für das Sechsstromgebiet in Sheoul, dem Dämonenreich im Herzen der Erde, typisch war.

Battle drehte und wand sich ungeduldig auf seiner Haut. Er wollte laufen.

»Heraus mit dir«, befahl Ares, und einen Herzschlag später verwandelte sich das Tattoo auf seinem Arm in Nebel und dehnte sich aus, bis es zu einem riesigen, blutroten Hengst geworden war. Battle stupste ihn zur Begrüßung – oder aber, was wahrscheinlicher war, nach Zuckerstückchen bettelnd – mit dem Maul an.

»Du hast etwas vergessen.«

Allzeit bereit, seinem Namen alle Ehre zu machen, wandte sich Battle mit gefletschten Zähnen der Sora zu, die am Eingang der Taverne stand, den Schweif um den Griff eines Dolchs gewickelt, den sie spielerisch herabbaumeln ließ. Die unverfrorene Einladung in ihrem glutvollen Lächeln verriet ihm, dass sie Ares die Waffe höchstpersönlich entwendet hatte, aber das verstand sich von selbst. Er ließ seine Waffen niemals irgendwo liegen.

Allerdings ließ er sie sich für gewöhnlich auch nicht klauen. Die Frau war gut. Wirklich gut. Und obwohl er normalerweise nicht viel für Dämonen übrig hatte, musste er doch ihr Talent bewundern. Kein Wunder, dass Reseph sie so mochte. Vielleicht würde Ares ja mal eine Ausnahme von seiner Keine-Dämonen-die-wie-Dämonen-aussehen-Regel machen …

Mit einem Grinsen im Gesicht ging er auf sie zu, um gleich darauf stocksteif stehen zu bleiben.

Die Härchen in seinem Nacken richteten sich warnend auf. Mit einem erbosten Wiehern bäumte sich Battle auf, während aus dem Dickicht schattiger Bäume ein Höllenhund sprang, der die Größe eines Büffels hatte. Ares’ Blick konzentrierte sich sogleich auf die linke Flanke des Ungetüms, suchte die gezackte Narbe, die das gräuliche Geschöpf als dasjenige identifizieren würde, das er seit Tausenden von Jahren jagte. Doch er fand sie nicht. Enttäuschung durchzuckte ihn, während er die Sora aus dem Weg schob; eine dumme Tat, durch die er beinahe zwischen den klaffenden Kiefern des Höllenhunds gelandet wäre.

Ares und seine Geschwister waren unsterblich, aber für die apokalyptischen Reiter waren die Bisse eines Höllenhunds pures Gift, das zur Lähmung führte, und dann würde das Leiden erst richtig beginnen.

Er warf sich zu Boden, während Battle mit einem kräftigen Huf austrat, der das andere Tier mitten in die Rippen traf und es gegen die Tavernentür schleuderte. Der Hund erholte sich allerdings so rasch, als wäre Battles Tritt nichts weiter gewesen als ein Flohbiss. Als Nächstes nahm er die Sora ins Visier, die auf Händen und Knien rückwärts kroch. Ihre Todesangst war beinahe greifbar, wie flüchtige Peitschenhiebe auf Ares’ Haut, und er hatte das Gefühl, dass dies ihre erste Begegnung mit einem Höllenhund war.

Wirklich ein besonderes erstes Mal.

»Hey!« Ablenken. Ares zog sein Schwert, noch während er wieder auf die Füße kam. Provozieren. »Ich bin hier drüben, du räudiger Köter!« Erledigen.

Die blutroten Augen des Höllenhunds leuchteten erwartungsvoll, als er in einem tintenschwarzen Strom aus Bosheit herumwirbelte. Ares traf frontal auf ihn; hinter seinem Hieb lagen dreihundert Pfund gepanzertes Gewicht. Das befriedigende Knirschen von Stahl, der auf Knochen trifft, erfüllte die Luft. Der Aufprall ließ Ares’ Arme beben, und aus der Brust des Hundes schoss ein dicker Blutstrahl.

Dennoch gelang es dem Höllenhund, einen überraschend effektiven Gegenangriff zu starten. Aus seiner Kehle drang ein Knurren, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ, und dann prallte seine gewaltige Pfote gegen Ares’ Brust. Die Wucht schleuderte ihn gegen eine Steinsäule, und riesige Klauen kratzten über seinen Brustpanzer. Nur Sekundenbruchteile nachdem er sich der Schmerzen bewusst wurde, schnappten die Kiefer des Hundes zu und verfehlten Ares’ Halsschlagader um einen Millimeter.

Fauliger Atem brannte in Ares’ Augen, schäumender, beißender Geifer tropfte auf seine Haut. Die Klauen der Bestie versuchten sich durch seinen Harnisch zu graben, und es kostete Ares alle Kraft, den Hund davon abzuhalten, ihm die Kehle herauszureißen. Und obwohl auch Battle den Körper des Hundes nach Leibeskräften mit den Hufen bearbeitete, tat das Ungeheuer sein Bestes, um sich doch noch seinen Batzen Fleisch zu holen.

Ares trieb dem Tier mit aller Kraft das Schwert in den Bauch und zog die Klinge mit einem Ruck nach oben. Als das Untier vor Schmerz aufschrie, wälzte sich Ares zur Seite, drehte sich und schwang die Waffe etwas schwerfällig in einem Bogen herum.

Doch schwerfällig oder nicht – der Hieb trennte dem Hund den Kopf von den Schultern. Das Ding fiel zu Boden, wo es zuckend liegen blieb, während Dampf aus dem aufklaffenden Hals strömte. Der Boden saugte das Blut gierig auf, noch ehe es sich zu einer Pfütze sammeln konnte, und aus dem Schlamm sprossen Hunderte schwärzlicher Zähne, die sich in die Leiche verbissen und zu kauen begannen.

Battle wieherte belustigt. Dieses Pferd hatte einen Sinn für Humor, der mitten unter Krähen auf einem Galgen hockte.

Noch ehe die Erde die Bestie verschlingen konnte, wischte Ares seine Klinge an deren Fell sauber. Mehrfach dankte er demjenigen, der seine Bitten erhört hatte: Der Höllenhund hatte ihn nicht gebissen. Ein solcher Biss bedeutete nicht enden wollendes Grauen: Die Lähmung verhinderte weder den Schmerz noch die Fähigkeit zu schreien, wie Ares aus erster Hand wusste.

Er runzelte die Stirn. Diese scheußlichen Köter waren Raubtiere, Killer, aber für gewöhnlich jagten sie im Rudel … Warum war dieser hier allein unterwegs gewesen?

Was ging da vor sich?

Ares warf einen Blick zur Tür der Taverne. Die Sora war verschwunden; vermutlich war sie gerade dabei, sich ein paar Gläschen Dämonenfeuer an der Bar hinter die Binde zu gießen. Hey, war es nicht wundervoll, dass sich nicht ein einziger der illustren Gäste die Mühe gemacht hatte, herauszukommen und zu helfen? Andererseits nahm es wohl kein Dämon, der noch alle Zangen in der Folterkammer hatte, freiwillig mit einem Höllenhund auf, ganz gleich, wie sehr er Gemetzel liebte – und die meisten Dämonen liebten es sehr.

Ein Licht blitzte auf, und keine zwanzig Meter entfernt tauchte in einem Hain schwarzer, knorriger Bäume ein schimmerndes Höllentor auf. Normalerweise waren Höllentore dauerhafte Portale, durch die Geschöpfe der Unterwelt von einem Ort zum anderen reisen konnten, aber die Reiter besaßen die Fähigkeit, sie jederzeit und überall zu erschaffen, was Überraschungsangriffe erleichterte und überaus nützlich war, wenn es einmal galt, schleunigst die Flucht zu ergreifen.

Als Thanatos auftauchte, der bedrohliche Schatten warf, wo keine hätten sein sollen, schob Ares sein Schwert in die Scheide zurück. Sowohl Thanatos als auch sein falbes Ross Styx trieften vor Blut, und in den Nüstern des Hengstes blähten sich Blutblasen.

Dies war durchaus nicht ungewöhnlich, doch das Timing konnte wohl kaum Zufall sein, und Ares schwang sich fluchend auf Battle. »Was ist passiert?«

Thanatos’ Miene verfinsterte sich, während er das tote Tier musterte. »Offensichtlich dasselbe wie bei dir.«

»Hast du von Reseph oder Limos gehört?«

Thanatos’ gelbe Augen blitzten. »Ich hatte gehofft, sie wären hier.«

Ares erschuf mit einer hastigen Geste ein Höllentor. »Ich werde Reseph aufsuchen. Sieh du nach Limos.« Gleich darauf trieb er sein Pferd an, ohne auf die Antwort seines Bruders zu warten. Das Schlachtross durchquerte das Tor mit einem mächtigen Satz, und seine Hufe kamen auf einem Felsvorsprung auf, den Jahrhunderte rauer Winde und eisiger Stürme glatt geschmirgelt hatten.

Dies war Resephs Zufluchtsort im Himalaja; ein gigantisches Labyrinth aus Höhlen und Gängen, die tief in die Berge reichten und für menschliche Augen unsichtbar waren. Ares stieg geschmeidig ab, sodass seine Stiefel dumpf krachend auf dem Stein aufkamen. Der Laut schien endlos durch die dünne Luft zu hallen.

»Zu mir.«

Augenblicklich löste sich das Schlachtross in eine Rauchwolke auf, die herumwirbelte, bis sie sich in eine dünne Säule verwandelt hatte, die sich um Ares’ Hand legte und schließlich in der braungrauen Gestalt eines Pferde-Tattoos auf seinem Unterarm niederließ.

Ares stürmte durch den Eingang zur Höhle, doch er war kaum ein Dutzend Schritte weit gekommen, als eine Warnung in Form eines zehntausend Volt starken Stromschlags durch sein Rückgrat jagte.

Es war so weit.

Er befand sich bereits in vollem Lauf, als er sein Schwert zog; das metallische Geräusch der Klinge, die aus ihrer Scheide glitt, war wie das Flüstern eines Liebhabers während des Vorspiels. Es spielte keine Rolle, dass er eben erst gegen einen tödlichen Feind gekämpft hatte – er liebte einen guten Kampf, gierte nach der Entspannung, dem Gefühl der Erlösung, das ihn jedes Mal mit der Wucht eines ausgewachsenen Orgasmus traf. Er hatte schon vor langer Zeit entschieden, dass er lieber kämpfte als fickte.

Obwohl er zugeben musste, dass es nach einer anständigen Prügelei nichts Besseres gab, als sich mit einer üppigen, heißblütigen Frau zu entspannen. Vielleicht würde er gleich noch in die Taverne zurückkehren und sich doch noch eine Kriegstreiberin suchen.

Durch all das Adrenalin, das so heiß durch seine Adern floss, nahm Ares eine scharfe Kurve so schnell, dass er gezwungen war, mit den Füßen über den Boden zu schlittern, um die Richtung zu ändern. Gleich darauf brach er durch die Tür in den Wohnbereich seines Bruders Reseph hinein.

Dieser stand mitten im Raum, die Hand fest um eine blutige Axt geschlossen, die soeben einen frischen, blutroten, immer noch tropfenden Anstrich erhalten zu haben schien. Reseph atmete heftig, ansonsten stand er vollkommen regungslos da, als wären seine Muskeln erstarrt; mit gebeugtem Kopf, die Schultern gesenkt. Weißblondes Haar verbarg sein Gesicht. Hinter ihm lag ein toter Höllenhund, während ein überaus lebendiger Vertreter derselben Rasse, dessen weit aufgerissenes Maul zwei Reihen rasiermesserscharfer Zähne sehen ließ, ein grimmiges Knurren ausstieß.

»Reseph!«

Ares’ Bruder zuckte nicht einmal mit der Wimper.

Scheiße. Er hatte einen Biss abgekriegt.

Jetzt schwenkte die Bestie den zotteligen Kopf zu Ares herum. Rote Augen leuchteten vor Mordlust, als sie sich auf die Hinterläufe hockte und die Muskeln anspannte. Innerhalb einer Millisekunde berechnete Ares die Entfernung zum Ziel und schleuderte mit einer blitzschnellen Bewegung einen Dolch, der sich tief in das Auge des Höllenhunds bohrte. Ares nutzte seinen Vorteil und schwang sein Schwert in einem horizontalen Bogen; er traf das Tier mitten ins Maul und schlug ihm glatt den Unterkiefer ab. Der Hund heulte vor Wut und Schmerz auf, aber nachdem Ares ihn derartig verwundet hatte, war er geschwächt, torkelte und fiel zu Boden, wodurch er Ares ermöglichte, ihm die Klinge direkt durch sein schwarzes Herz zu jagen.

»Reseph!« Ohne das Schwert aus dem Kadaver zu ziehen, rannte Ares zu seinem Bruder, dessen blaue, vor Schmerz glasigen Augen ihn wild ansahen. »Wie sind sie reingekommen?«

»Jemand«, stöhnte Reseph, »muss sie … geschickt haben.«

So viel war inzwischen klar. Aber nur wenige Lebewesen waren in der Lage, mit einem Höllenhund umzugehen und ihn zu beherrschen. Wenn also jemand diese Bestien ausgeschickt hatte, war es ihm eine Herzensangelegenheit, Ares und seine Brüder – und vielleicht auch Limos – außer Gefecht zu setzen.

»Du solltest dich geschmeichelt fühlen«, sagte Ares mit einer Leichtigkeit, die er nicht fühlte. »Du hattest zwei Höllenhunde und ich nur einen. Wem bist du auf den Schlips getreten?« Sanft legte Ares die Arme um Resephs Brustkorb und legte ihn auf die Erde.

Gurgelnd sog Reseph die Luft ein. »Gestern Abend … mein … Siegel.«

Schlagartig fühlte sich Ares, als bestünde sein ganzer Körper aus Eis. Mit zitternden Händen riss er Resephs T-Shirt beiseite, sodass die Kette um dessen Hals zu sehen war. Das Siegel, das daran hing, war unversehrt, doch als er die goldene Münze in die Hand nahm, schoss ein Vibrieren reiner Bösartigkeit seinen Arm hinauf.

»Die Wargseuche …« Reseph musste immer wieder rasselnd Atem holen, während er die Worte zwischen zusammengebissenen Zähnen hervorstieß. »Schlimmer. Das ist … nicht … gut.«

Nicht gut war eine glatte Untertreibung. Noch während Ares das Medaillon in Händen hielt, spaltete ein haarfeiner Riss es genau in der Mitte. Die Höhle um sie herum begann zu beben. Reseph schrie auf, als sein Siegel in zwei Teile zerbrach.

Der Countdown für Armageddon hatte begonnen.

»Der erste apokalyptische Reiter ist unterwegs.«

Sergeant First Class Arik Wagner, einer von zwei Repräsentanten der paranormalen Einheit der U. S. Army, des R-XR, wäre beinahe über die eigenen Füße gestolpert, wie er da so im Konferenzraum des Berliner Hauptquartiers der Aegis auf- und abmarschierte. Die beiden Behörden arbeiteten seit Jahrzehnten unabhängig voneinander, hatten sich allerdings vor Kurzem zusammengeschlossen, um die ständig anwachsende Bedrohung durch die Unterwelt gemeinsam zu bekämpfen. Arik nahm Informationen der Aegis nie auf die leichte Schulter, musste sich Kynans Worte aber trotzdem ein paarmal durch den Kopf gehen lassen, ehe er die Lage begreifen, geschweige denn glauben konnte, dass dies wirklich geschehen war.

Während er etwas zittrig Luft holte, konzentrierte er sich darauf, weiterzugehen, ohne auf die Nase zu fallen. Dabei warf er Kynan und den anderen elf Ältesten, die um den Konferenztisch herum saßen, immer wieder Blicke zu. Offensichtlich waren einige von ihnen schon darüber informiert, andere hingegen … weniger, wie man dem Schreck und der Furcht auf ihren Gesichtern entnehmen konnte. Ihr Entsetzen war zu erwarten gewesen; es war ihre Furcht, die Arik nervös machte. Die Aegis war eine Organisation, die seit langer Zeit Dämonen bekämpfte und schon einer ganzen Reihe Weltuntergangsszenarien getrotzt hatte. Umso beunruhigender war es, ihre Anführer derartig verängstigt zu sehen.

»Verdammt.« Regan, eine atemberaubend schöne Frau mit bronzefarbener Haut, viel zu jung, um als »Älteste« betitelt zu werden, schleuderte ihren langen dunklen Pferdeschwanz über die Schulter nach vorne und begann mit dessen Spitze zu spielen; eine Gewohnheit, die sie, wie Arik wusste, immer überkam, wenn sie nervös war.

Ariks Partner Decker, der sich für gewöhnlich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ, war kreidebleich geworden und darauf angewiesen, dass der Türrahmen seinen massigen Körper aufrecht hielt. »Wann? Wie?«

»Ich habe es erst heute Morgen herausgefunden.« Kynans jeansblaue Augen blitzten, als er die Daemonica, die Bibel der Dämonen, in die Mitte des Tisches schob und sie aufschlug, sodass eine Seite am Ende zu sehen war. »Es geht dabei um diese eine Passage. Die Eine, die von gemischtem Blute ist und nicht existieren dürfte, birgt in sich die Macht, Seuche und Pestilenz zu verbreiten. Wenn der Kampf losbricht, ist die Eroberung besiegelt.« Die Anspannung zeichnete sein Gesicht, als er sich am Tisch umblickte. »Die Eine, die von gemischtem Blute ist, ist meine Schwägerin, Sin. Sie hat die Seuche in Gang gesetzt, die sich innerhalb der Werwolfpopulation verbreitete und zu dem Konflikt führte, der vor ein paar Tagen innerhalb dieser Spezies ausgebrochen ist. Wie die Prophezeiung besagt, ist die Eroberung besiegelt, wenn der Kampf losbricht. Der Kampf der Warge hat das Siegel des Reiters gebrochen.«

Arik setzte seinen Versuch, den Teppichboden zu verschleißen, unbeirrt fort; seine Kampfstiefel dröhnten wie gedämpfte Schüsse durch den ganzen Raum. »Dann behauptest du also, dass es hier um eine dämonische Prophezeiung geht?«

Es entstand eine lange Pause, ehe Kynan mit seiner tiefen, rauen Stimme ein unheilverkündendes »Ja« aussprach. In der Zeit, als er noch in der Army diente, hätte ihm ein Dämon beinahe die Kehle herausgerissen, und seitdem trug er die Narben und die angeschlagene Stimme wie ein Ehrenabzeichen.

»Inwiefern unterscheidet sich die dämonische Prophezeiung von der menschlichen?« Decker hatte in der Zwischenzeit zumindest wieder einen Hauch Farbe zurückgewonnen, was ein Glück war, denn mit seinen graublauen Augen und dem blonden Haar hatte er ausgesehen wie eine wiederbelebte Leiche.

Kynan, der abgetragene Jeans und ein eng anliegendes T-Shirt trug, stieß heftig seinen Stuhl zurück und faltete die Hände über seinen Bauchmuskeln. »Offensichtlich läuft es so: Wenn die Prophezeiung der Daemonica in Erfüllung geht, werden sich die Reiter ihrer dämonischen Hälfte ergeben und zu Wesen des reinen, unverfälschten Bösen werden. Wenn hingegen die Prophezeiung der Bibel eintritt, werden die Reiter ihrem Vater, dem Engel, nacheifern und auf der Seite des Guten kämpfen.«

Bei diesen Worten blieb Arik ruckartig stehen. »Was? Die Reiter sind böse. Hast du denn das Buch der Offenbarung nicht gelesen? Dort heißt es, dass sie das Ende aller Tage einläuten, mit Krankheit, Krieg, Hungersnot und Tod.«

»Das ist die am weitesten verbreitete Interpretation dieser Passage der Bibel.« Einer der älteren Ratsmitglieder, Valeriu, der zufällig auch durch Heirat weitläufig mit Arik verwandt war, trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte aus Eiche. »Allerdings sind einige Gelehrte, einschließlich meiner Wenigkeit, der Ansicht, dass die Siegel der Reiter von Jesus persönlich gebrochen werden und dass die Reiter dem Ende aller Tage vorausgehen, was nicht notwendigerweise etwas Schlechtes ist.«

»Aber selbstverständlich nicht«, sagte Arik gedehnt. »Jede Apokalypse ist eine Party. Bringt alle Bier mit, Salzstangen und halbautomatische Waffen.«

Regan warf ihm einen verärgerten Blick zu. Offenbar wusste man Sarkasmus im Aegis-Hauptquartier nicht zu schätzen. Beim R-XR ebenso wenig, aber das lag hauptsächlich daran, dass Arik in Ungnade gefallen war, als er sich vor einigen Tagen unerlaubt von der Truppe entfernt hatte, anstatt den Aufenthaltsort seiner Schwester – einer Werwölfin – zu verraten. »Und was bedeutet dieses erste zerbrochene Siegel nun für uns? Können wir es reparieren? Oder die anderen davon abhalten, es zu brechen?«

»Ich weiß nicht.« Kynan legte seinen ganzen Frust in einen Seufzer. »Wir werden uns auf die Suche nach Theorien und Prophezeiungen machen müssen und jeden noch so kleinen Schnipsel an Information ausgraben, den wir finden können.«

Scheiße. Nach all dem hier würde Arik einen ordentlichen Drink brauchen. »Wissen wir wenigstens, was es ist, das das nächste Siegel dazu bringen wird zu brechen?«

»Wir wissen nur, was die nächste Zeile der Prophezeiung besagt.« Valeriu blätterte den Papierstapel durch, der vor ihm auf dem Tisch lag, und zog ein einzelnes Blatt heraus. »Der Fehler eines Engels wird Krieg hervorbringen, und ihr Tod wird sein Schwert brechen. Doch seid auf der Hut – das Herz eines Hundes kann immer noch schlagen.«

Arik fuhr mit der Hand über seinen Bürstenschnitt Marke Militär. Was für ein merkwürdiger Zeitpunkt, um festzustellen, dass er dringend mal wieder zum Friseur musste. »Was zur Hölle soll das denn heißen?«

»Es geht um den zweiten Reiter: War.« Valeriu schob seine Brille hoch. »Wir verstehen noch nicht alles, glauben aber, dass Wars Agimortus ein Ausgestoßener ist.«

Ein Ausgestoßener … ein erdgebundener gefallener Engel, der Sheoul noch nicht betreten hatte und somit auch noch nicht unwiderruflich der bösen Seite verfallen war. Interessant. »Augenblick mal.« Arik schüttelte den Kopf. »Agimortus?«

»Ja«, erwiderte Valeriu. »Der Auslöser für den Bruch eines Siegels. Es kann sich um eine Person, ein Objekt oder aber ein Ereignis handeln.«

»Das Siegel von Pestilence wurde durch ein Ereignis zerbrochen«, erklärte Kynan. »Sin war ein Agimortus, dessen Handlungen ein Ereignis auslösten, das wiederum das Siegel zerbrechen ließ. Sie zu töten, ehe die Seuche, die sie verursachte, zu einem Krieg führte, hätte das Brechen des Siegels verhindern können. Aber wir gehen davon aus, dass Wars Agimortus eine Person ist. Und in diesem Fall wird die Tötung dieser Person das Siegel zerbrechen.«

Arik hielt kurz inne. »Wenn ihr aus der ersten Prophezeiung wusstet, dass Sin ein Agimortus war, warum habt ihr sie dann nicht beseitigt?«

Kynan holte bebend Luft. Sin war die Schwester seiner besten Freunde – und diese Freunde waren Dämonen. »Rückblickend ist das offensichtlich, aber zu dieser Zeit wussten wir das noch nicht. Wir hatten einfach nicht genug Abstand.«

»Du hattest nicht genug Abstand.« Regan erhob sich; ihr hochgewachsener kurviger Körper zog Ariks anerkennende Blicke auf sich. Nicht, dass er Interesse gehabt hätte – ihm gefielen Frauen besser, die ein wenig weicher waren und weniger Pass-bloß-auf-sonst-leg-ich-dich-um, aber sie erinnerte ihn daran, dass er schon viel zu lange keine Matratzen-Action mehr gesehen hatte. War ja auch gar nicht so einfach, jemanden aufzureißen, wenn man über alles lügen musste, von seinem Namen über seinen Job bis hin zu seinem gesamten Leben.

Rote Flecken färbten Kynans Wangen. »Ja. Es war mein Fehler. Ich hatte die Prophezeiung eine Million Mal gelesen, und darum hätte ich gleich sehen müssen, dass sie der Agimortus war, als die Seuche auftrat. Doch eins dürfen wir nie vergessen: Prophezeiungen sind aus einem bestimmten Grund obskur.«

Arik überdachte alles, was er bisher erfahren hatte. »In der Prophezeiung werden Hunde erwähnt. Könnte es sein, dass Höllenhunde irgendetwas mit alldem zu tun haben?«

Kys dunkle Augenbrauen zogen sich zusammen. »Wieso?«

»Das R-XR hat eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Berichten über Sichtungen von Höllenhunden erhalten.«

Die Wächter wechselten Blicke, bis Val schließlich sagte: »Auch uns ist eine Zunahme der Sichtungen aufgefallen. Allein in der letzten Woche haben unsere Wächter mehr Höllenhunde beobachtet als im gesamten letzten Jahr.« Ehe Arik fragen konnte, schüttelte Val den Kopf. »Wir wissen nicht, warum.«

»Okay, dann müssen wir also einen Weg finden, um zu verhindern, dass Wars Siegel bricht. Wie steht’s mit den übrigen Reitern? Ist es möglich, dass die Siegel in einer anderen Reihenfolge brechen?«

»Der Daemonica zufolge musste Pestilences Siegel zuerst brechen, aber die der anderen müssen sich an keine bestimmte Reihenfolge halten. Und es wird noch schlimmer«, sagte Val kläglich.

Was für eine Freude, irgendwie wurde die ganze Sache immer schlimmer. Ariks Drink würde ein Doppelter werden. Und dazu noch einer zum Nachspülen. »Wenn zwei der Siegel brechen, ganz egal, welche, werden auch die anderen brechen, ohne dass es dazu eines Auslösers bedürfte. Und sobald alle vier Siegel zerbrochen sind, stecken wir bis zum Hals in Armageddon.«

Arik hatte das Gefühl, seine Gedanken würden durcheinandergewirbelt wie Konfetti im Sturm. Er hatte so viele Fragen, aber sein Gefühl sagte ihm, dass es nicht annähernd genügend Antworten darauf gab. »Stehen wir denn jetzt unmittelbar vor dem Bruch der anderen Siegel? Oder ist das eine Sache, die sich noch jahrhundertelang hinziehen könnte?«

»Technisch gesehen könnte das der Fall sein.«

Regans Blick war düster, ihre rauchige Stimme grimmig. »Aber es ist schon schlimm genug, dass Pestilence losgelassen wurde. Überall auf der ganzen Welt brechen Seuchen aus, Wasservorräte werden mit Bakterien kontaminiert, und die Dämonenaktivität ist so hoch wie nie zuvor. Wollen wir wirklich, dass dieser Zustand Jahrhunderte andauert?«

Val räusperte sich. »Es steht geschrieben, dass die Zerstörung eines Siegels die anderen schwächt. Im Grunde löst sie Ereignisse aus, die das Brechen der anderen Siegel beschleunigen. Zum Beispiel könnte ein Gegenstand, der dazu benötigt wird, ein Siegel zu brechen, ausgerechnet jetzt aufgefunden werden, nachdem er jahrtausendelang versteckt gewesen war. Und zweifellos wird Pestilence – das pure Böse – alles tun, was in seiner Macht steht, um die Siegel seiner Geschwister zu zerbrechen. Die Reiter sind neben Satan selbst die mächtigsten Wesen der Unterwelt. Sie werden praktisch die Welt regieren, sollte der letzte Kampf zugunsten des Bösen ausgehen.«

»Na toll«, murmelte Arik. »Und wie lautet der Plan? Klingt so, als müssten wir diese Reiter entweder gefangen nehmen oder töten, damit sie keinen Schaden anrichten können, falls ihre Siegel brechen, oder aber wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten, damit es eben keine weiteren Siegel erwischt.«

»Wir wissen ja nicht mal, ob man sie gefangen nehmen oder töten kann.« Regan stellte ihre Tasse unter den Kaffeespender. »Wir wissen grundsätzlich nicht mal annähernd genug über irgendetwas.«

»Ich werde mal sehen, was meine angeheiratete Verwandtschaft weiß und noch herausfinden kann«, sagte Kynan. »Sie haben eine einzigartige Perspektive auf dämonische Überlieferungen.«

»Exzellente Idee.« Regans Stimme war noch süßer als ihr Kaffee. »Sollen uns doch die Dämonen helfen.«

»Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können.« Kynan verschränkte die Hände hinter dem Kopf und blickte auf das mittelalterliche Gemälde hinter Arik; das, auf dem ein Kampf zwischen Engeln und Dämonen dargestellt wurde. »Und wir brauchen vor allem die der Reiter.«

»Ist das denn weise?«, fragte Decker. »Wollen wir wirklich mit diesen Kreaturen auf Schmusekurs gehen? Wenn sie tatsächlich böse sind, möchten wir doch sicher nicht, dass sie uns auf dem Radar haben.«

Kynan schüttelte den Kopf. »Die Chroniken der Aegis besagen, dass sie früher eng mit uns zusammenarbeiteten.«

»Und wieso hat das aufgehört?«

»Moderne Dummheit. Im Mittelalter wurde die Aegis ein wenig fanatisch, was Religion betraf. Ach, was sag ich denn – die Aegis steckte hinter den Hexenverfolgungen. Es fand ein radikales Umdenken statt, das zu der Überzeugung führte, dass alles Übernatürliche böse ist, die Reiter eingeschlossen.« Kynan sah die Anwesenden der Reihe nach ernst an. »Erst in den letzten paar Jahren haben wir begonnen, auf den ursprünglichen Pfad zurückzukehren.«

Angesichts des provokativen Nachsatzes konnte sich Arik nur mit Mühe ein Grinsen verkneifen. Im Großen und Ganzen war es nämlich Kynan, der für die neue Linie der Aegis verantwortlich war, was die Geschöpfe der Unterwelt anging, auch wenn er dabei auf massiven Widerstand der Ältesten gestoßen war. Nicht nur, dass er mit einer Halbdämonin verheiratet war, es floss auch noch Engelsblut in seinen Adern. Dazu kam die Tatsache, dass er von den Engeln gesegnet worden und es ihm bestimmt war, eine Rolle im letzten Kampf zu spielen, und Ky scheute sich nicht, seinen Status dazu zu nutzen, die Ältesten dazu zu bekommen, die Dinge von seiner Warte aus zu sehen.

»Im Grunde genommen«, sagte Arik schroff, »müssen wir die Leute um Hilfe bitten, die möglicherweise Groll gegen die Aegis hegen und die die Macht besitzen, das Ende der Welt einzuläuten.«

Kynans Lächeln bestand zu gleichen Teilen aus Erheiterung und Verzweiflung. »Willkommen im Alltag der Aegis.«

1

»Krieg ist die Hölle.«

William Tecumseh Sherman

»Sherman war Wachs in meinen Händen.«

War

Gegenwart …

Ares, einem Großteil der menschlichen wie der dämonischen Welt auch unter dem Namen War bekannt, der zweite der vier apokalyptischen Reiter, saß am Rande eines namenlosen Dorfs in Afrika auf seinem Hengst. Sein Körper und sein Geist vibrierten vor Energie. Hier tobte ein Kampf: Zwei der dortigen Kriegsherren, deren Gehirne von einer von Insekten übertragenen Seuche zerstört waren, waren wegen des bisschen Wassers, das sich am Grund des Dorfbrunnens in einer Pfütze gesammelt hatten, aneinandergeraten … Schon seit Tagen wanderte Ares durch diese Gegend, von den Feindseligkeiten angezogen wie ein Süchtiger von Heroin, unfähig, sich davon loszureißen, ehe das Blut zu fließen aufhörte. Dabei handelte es sich allerdings um einen Teufelskreis, da schon seine bloße Gegenwart die Gewalt anheizte und die Blutlust jedes Menschen schürte, der sich in einem Radius von fünf Meilen aufhielt.

Verdammter Reseph.

Nein, nicht Reseph. Nicht mehr. Der lockerste und verspielteste von Ares’ Geschwistern, der Bruder, der sie alle im Laufe der Jahrhunderte zusammengehalten hatte, war seit sechs Monaten verschwunden. Jetzt war er Pestilence, und mit dem Namen und der Transformation waren gottlose Kräfte verbunden, die die Menschheit bedrohten. Pestilence durchstreifte die ganze Welt und verursachte Krankheit, Insekten- und Nagerplagen und ausgedehnte Ernteausfälle mit nichts als einem Biss, einer Berührung seines Fingers oder einem Gedanken. Während sich die Katastrophen häuften, brachen immer mehr Kriege wie dieser aus, und Ares wurde von den Kämpfen unweigerlich angezogen und von seiner dringlichsten Aufgabe fortgelockt: Er musste unbedingt Batarel finden, den gefallenen Engel, der Ares’ Schicksal in Händen hielt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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