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Jillian Cardiff rettet einem attraktiven Fremden das Leben, der keine Erinnerung an seine Vergangenheit hat. Er kennt nur noch seinen Namen: Reseph. Zwischen beiden entbrennt schon bald eine tiefe Leidenschaft. Doch sie ahnen nicht, dass Reseph in Wahrheit der gefährlichste der Reiter der Apokalypse ist, der in der Vergangenheit Tod und Verderben über die Welt gebracht hat.
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Seitenzahl: 564
LARISSA IONE
Roman
Ins Deutsche übertragen
von Bettina Oder
Jillian Cardiff lebt allein in den Bergen von Colorado, seit sie nur knapp einen Angriff durch Dämonen überlebte. Inmitten eines Schneesturms findet sie einen nackten und halb erfrorenen Mann, der keinerlei Erinnerung an seine Vergangenheit besitzt. Einzig seinen Namen kennt er: Reseph. Jillian nimmt den attraktiven Fremden bei sich auf, der eine seltsame Anziehungskraft auf sie ausübt. Schon bald entflammen leidenschaftliche Gefühle zwischen ihr und Reseph. Doch ihre Liebe steht unter keinem guten Stern. Denn Reseph ist kein anderer als Pestilence, jener apokalyptische Reiter, dessen Siegel gebrochen war und der in der Vergangenheit Tod und Verderben über die Welt brachte. Als die Dämonen Wind davon bekommen, dass Reseph noch lebt, sind sie fest entschlossen, sein dunkles Ich wiederzuerwecken. Der Friede, den er mit Jillian in der Einsamkeit der Berge gefunden hat, wird jäh zerstört, als ein Dämon in ihr Haus eindringt. Kurz darauf erscheinen Resephs Geschwister, die drei anderen Reiter der Apokalypse, und bringen die Erinnerung an seine Vergangenheit als Pestilence zurück – und an all die Gräueltaten, unter denen auch Jillian einst leiden musste. Kann sie ihn noch lieben, wenn sie weiß, dass er das Böse selbst war und wieder sein könnte?
Für Jillian.Deine Großzügigkeit ist einfach umwerfend. Deine innere Schönheit ist wahrhaftig genauso groß wie deine äußere. Ich glaube, Resephs Heldin macht ihrem Namen alle Ehre. Danke für alles … einschließlich der Bratpfanne!
Es war kalt. So verdammt kalt.
Er öffnete die Augen und sah … nichts. Mit einem Stöhnen drehte er sich um, da er allem Anschein nach mit dem Gesicht nach unten lag. Na klar, er lag mitten auf der Fresse. Aber wo war er eigentlich? Das Einzige, was er sehen konnte, war Schnee. Nein, das stimmte nicht ganz; was er sah, waren Bäume, die mit Schnee bedeckt waren. Und Schneewehen, die mit Schnee bedeckt waren. Und Schnee, auf dem sich noch mehr gottverdammter Schnee türmte.
Also befand er sich wohl in einem Wald … voller Schnee. Aber wo? Warum?
Und wer zur Hölle war er eigentlich?
Reseph.
Der Name hallte leicht verwischt durch seine Ohren, als ob ein Betrunkener ihn gelallt hätte.
Reseph.
Kam ihm irgendwie bekannt vor. Reseph. Okay, damit konnte er arbeiten. Vor allem, da ihm aktuell keine anderen Namen in den Sinn kamen.
Er versuchte, sich auf die Knie zu erheben, doch ihm fehlte die Kraft; seine Arme zitterten, als ob sie aus Gummi wären, und er fiel immer wieder aufs Gesicht. Nach vier Fehlversuchen gab er auf und blieb einfach liegen, keuchend und zitternd.
Irgendwo über ihm schrie eine Eule, und ein paar Minuten später heulte ein Wolf in die zunehmende Dunkelheit hinein. Diese Geräusche trösteten Reseph, da sie bedeuteten, dass er nicht allein war. Sicher, die Eule könnte über ihn hinwegfliegen und ihm auf den Kopf scheißen, und der Wolf könnte ihn bei lebendigem Leibe zum Abendbrot verspeisen, aber zumindest hatte er etwas Gesellschaft.
Er wusste nicht allzu viel über sich selbst, aber eines wusste er definitiv: Er war nicht gern allein.
Außerdem mochte er Schnee nicht.
Nur komisch, dass er hier so ganz allein im Schnee lag. Ob ihn jemand hier liegen gelassen hatte? Ein Beben der Furcht ließ ihn innerlich ebenso heftig erschauern wie die Kälte ihn äußerlich zittern ließ. Es musste ihn doch sicherlich jemand suchen.
An dieser Hoffnung hielt er fest, während er sich nach und nach eines nagenden Schmerzes in seinen Knochen bewusst wurde, der von stechenden Schmerzen in seinem Kopf begleitet wurde. Wie es aussah, kam da eine kleine Ohnmacht auf ihn zu. Cool. Denn in diesem Augenblick schien er gleichzeitig zu erfrieren und zu verbrennen, ihm tat alles weh, während er zugleich eine seltsame Taubheit spürte. Genau, es wäre echt gut, mal kurz das Bewusstsein zu verlieren.
Sogar echt verdammt gut.
Idiot. Schwachkopf. Trottel von einem Wetterfrosch.
Jillian Cardiff verfluchte innerlich den Meteorologen, der das Timing dieses Blizzards total vergeigt hatte. Sie hatte überhaupt nichts gegen Wetterleute; ganz im Gegenteil, schließlich hatte sie bei der FAA, der Federal Aviation Administration – der Bundesbehörde für die zivile Luftfahrt – jahrelang mit ihnen zusammengearbeitet. Aber das hier, das war einfach nur lächerlich.
Jetzt hatte sie es verdammt eilig, zu ihrem Blockhaus zurückzukommen, ehe sie überhaupt nichts mehr sehen konnte und ihr Arbeitspferd – Sam – unruhig wurde.
»Komm schon, mein Junge.« Sie gab dem großen Fuchs einen liebevollen Klaps auf die Schulter. »Das restliche Feuerholz kann warten.«
Sam folgte ihr, ohne dass sie ihn an dem Strick führen musste, das an seinem Halfter befestigt war. Er kannte den Heimweg und freute sich genauso wie sie darauf, endlich in den Schutz eines warmen, behaglichen Gebäudes zu gelangen. Der Schlitten, auf dem nicht mal ein Kubikmeter Feuerholz lag, glitt hinter ihm her, schnitt durch die anderthalb Meter Neuschnee, die vor ein paar Tagen gefallen waren. Dieses neue Unwetter würde vermutlich noch mal einen Meter hinzufügen, und Ende Dezember würde hier so viel Schnee liegen, dass sie nicht mehr wissen würden, wohin damit.
Der Wind heulte wie ein Lebewesen, und Schneeflocken bombardierten ihr Gesicht wie kleine Geschosse. Jillian rückte ihr Gewehr zurecht, das über ihrer Schulter hing, neigte den Kopf und stemmte sich gegen den Sturm. In Zeiten wie diesen vermisste sie Florida schon sehr. Nicht, dass sie je zurückgehen würde. Manche Dinge vergaß man einfach nie.
Wie wenn man von Dämonen in Stücke gerissen wurde.
Als sie erschauerte, hatte das diesmal nichts mit der Temperatur zu tun. Sie würde nicht dorthin zurückkehren. Der Angriff lag hinter ihr, und solange sie weder fernsah noch ins Internet ging oder ihre Narben betrachtete, musste sie auch nie wieder darüber nachdenken.
Ein langes, schwermütiges Heulen durchdrang die Dunkelheit des Nachmittags. Das musste ganz in ihrer Nähe sein, wenn sie es trotz des Windes hören konnte. Sam schnaubte und warf den Kopf zurück. Sie verlangsamte ihre Schritte, um den Führstrick zu nehmen und ihm den Kopf mit der weißen Blesse zu tätscheln.
»Ist schon gut, Kumpel. Die Wölfe tun uns nichts.« Nein, im Allgemeinen ließen Wölfe Menschen in Ruhe. Wenn überhaupt, musste man sich wegen der Berglöwen Sorgen machen. In den vergangenen Wochen waren zwei Jäger aus der Gegend tot aufgefunden worden – besser gesagt, sie waren in Stücke gerissen worden. Das Blutbad hatten wohl die Großkatzen angerichtet.
Mit einem Puma konnte sie fertigwerden. Womit sie nicht fertigwurde, war die Dunkelheit. In der Dunkelheit lauerten Dämonen.
Sam bäumte sich plötzlich auf, und ein verzweifeltes Wiehern drang aus seinem gewaltigen Brustkorb. Jillian wurde der Strick aus der Hand gerissen, und sie hätte beinahe in dem eisigen Schnee den Halt verloren, als sie versuchte, ihn erneut zu packen. Sams Vorderhufe trafen auf dem Boden auf und er rammte sie mit der Schulter, sodass sie den Hang hinuntergestoßen wurde. Ihr Aufschrei verstummte abrupt, als sie gegen einen Baumstamm prallte.
Schmerz breitete sich spinnwebförmig im rechten Teil ihres Brustkorbs aus. Autsch, das würde morgen noch echt wehtun!
»Verdammt noch mal, Sam«, murmelte sie, als sie den schneebedeckten Abhang hinaufkletterte. Sie hielt kurz inne, um ihr Gewehr aufzuheben, das in einer Schneewehe gelandet war.
Sam schnaubte wie verrückt und drohte komplett durchzudrehen, während er mit einem Huf in einer Schneewehe scharrte. Jillian zog Eisstücke aus Orten, an denen Eis nichts zu suchen hatte, während sie durch den Schnee stapfte und sich fragte, was in aller Welt Sam dermaßen aufgeregt hatte und ihn jetzt noch so nervös machte.
»Ich hoffe nur, das ist ein Topf voller Gold, was du da gerade ausgräbst, du räudiges –« Mit einem Schreckenslaut verstummte sie.
Ein Mann … ein nackter Mann … lag mit dem Gesicht nach unten und mit einer dünnen Schneedecke bedeckt gleich neben dem Pfad, als ob er dort zusammengebrochen wäre.
»Oh mein Gott.« Ihre Hände zitterten, als sie sich einen Handschuh auszog und sein langes platinblondes Haar zur Seite strich, um ihm die Finger an den Hals zu legen. Seine Haut fühlte sich eisig an, was sie erwartet hatte, aber als sie unter ihren Fingerspitzen das regelmäßige Pochen seines Pulses fühlte, erschrak sie fast zu Tode. Er war noch am Leben. Mit einem starken Puls. Wie war das nur möglich?
Okay, dann … denk nach. Sie musste Hilfe holen, aber sie befanden sich mitten in einem Schneesturm, der immer schlimmer wurde, und es führte kein Weg vom Berg hinab, es sei denn mit dem Schneemobil. Das konnte sie in diesem Unwetter allerdings nicht riskieren; außerdem würde es Stunden dauern, um in die nächste Stadt zu gelangen. Inzwischen könnte er längst tot sein.
Scheiße.
Sie führte Sam ein Stück den Pfad entlang, bis der Schlitten genau neben dem Mann stand, während sie betete, dass dieser Kerl kein Serienmörder war, und versuchte, nicht allzu viel darüber nachzudenken, warum er sich mitten im Winter splitterfasernackt in den Bergen befand. So schnell sie konnte, räumte sie ihr Feuerholz auf die andere Seite des Pfades und steckte die Axt dann in die Schlinge an Sams gepolstertem Geschirr.
Den Mann auf den Schlitten zu wälzen, war leider nicht so einfach, wie sie gedacht hatte. Der Kerl war so schwer wie ein Felsbrocken und riesig. Und … gut aussehend. Und sehr, sehr nackt.
»Ach, wirklich?«, murmelte sie an sich selbst gewandt. »Ausgerechnet jetzt musst du bemerken, wie heiß er aussieht?«
Zugegeben, es war unmöglich, diese Dinge nicht zu bemerken; dennoch fühlte sie sich ein wenig schuldig, als sie ihn auf Verletzungen hin abtastete. Abgesehen davon, dass er bewusstlos und tiefgefroren wie ein Fischstäbchen war, schien er unverletzt.
Allerdings hatte er ein interessantes Pferdetattoo auf dem rechten Unterarm. Als sie mit den Fingern darüberstrich, fühlte sie ein leises Vibrieren, als ob die hennafarbenen Linien unter Strom stünden. Nur schade, dass der Strom keine Wärme mit sich brachte. Sie hätte schwören können, dass die Temperatur in den paar Minuten, die es gedauert hatte, sich den Kerl näher anzusehen, um zehn Grad gefallen war.
Der eisige, beißende Wind nahm weiter an Stärke zu, als ob Mutter Natur einen besonderen Groll gegen sie hegte; und der Schnee, den sie für gewöhnlich liebte, wurde zum Feind. Es war vermutlich ziemlich dämlich von ihr, doch sie zog ihren Mantel aus und legte ihn über den Kerl, vergaß auch nicht, die Ärmel sorgfältig unter ihn zu schieben. Die Schichten aus diversen T-Shirts und Hemden sollten sie für eine Weile schützen können, solange sie sich nur beeilten.
»Los, Sammy.« Sie drängte den Wallach, sich rascher vorwärtszubewegen, als ihr normalerweise lieb gewesen wäre, doch an dieser Situation war nichts normal.
Als sie endlich den Rauch ihres Holzofens roch, war ihr eiskalt, und sie war völlig erschöpft. Ihre Lider waren mit Eis überzogen, als sie Sam zu der wackligen Veranda führte. Bei jedem Atemzug verbrannte die eisige Luft ihre Lungen, als sie den bewegungslosen Mann vom Schlitten herunterzerrte und dann Sam ausspannte. Das Geschirr würde sie ihm später abnehmen. Jetzt musste sie erst einmal den Mann ins Haus und das Pferd in die Scheune bringen.
Sie rannte die dreißig Meter bis zur Scheune und öffnete die Tür, wobei sie sich ein Duell mit dem Sturm lieferte. Sam trottete hinein; sie machte sich gar nicht erst die Mühe, ihn zu seiner Box zu bringen, die würde er auch allein finden.
Nur schade, dass es nicht annähernd so einfach war, den Mann in ihr Schlafzimmer zu bugsieren, wie das Pferd unterzubringen. Als Fitnessfreak, der außerdem noch eine kleine Farm bewirtschaftete, war Jillian alles andere als ein Schwächling, aber sie hatte den Verdacht, sich etwas ausgerenkt zu haben, als sie das Fischstäbchen über den Boden schleifte. Weitere zehn Minuten verbrachte sie damit, an ihm herumzuziehen und zu zerren, um ihn auf ihr Bett zu hieven.
Als er endlich auf dem Rücken und alle viere von sich gestreckt dort lag, wobei seine breiten Schultern verdammt viel Platz auf der Matratze einnahmen, schaltete sie die elektrische Heizdecke auf die höchste Stufe und überprüfte seinen Puls. Immer noch stark. Müsste er nicht eher schleppend und schwach sein? Sie hatte eine Grundausbildung in Erster Hilfe und eine Ausbildung bei der Bergwacht für den Such- und Rettungsdienst gemacht, und soweit sie sich erinnerte, verursachte Hypothermie einen langsamen, schwachen Puls. Der vom Fischstäbchen war genau das Gegenteil. Regelmäßig, ansteigend, und sie hätte schwören können, dass seine Haut sich sogar schon ein wenig rosa färbte.
Sie beschloss, dieses Geheimnis vorerst einmal ruhen zu lassen, und überprüfte das Telefon. Na klar, es war tot. Als Nächstes schürte sie das Feuer und stellte die Elektroheizung auf fünfundzwanzig Grad. Sie hatte Glück, dass der Strom noch funktionierte. Das Licht flackerte immer wieder, und es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, ehe es ihr mit dem Strom genauso ginge wie mit dem Telefon.
Oh, und dann war sie ganz allein in der Dunkelheit, ohne Telefon, mitten im Nirgendwo … mit einem Fremden.
Das war wie der Anfang eines Horrorfilms. Sie besaß sogar das typische kleine Tier, um zu beweisen, dass die Lage ernst war, und sich sämtliche Frauen im Publikum Sorgen machten.
Ihr bengalischer Kater Doodle beobachtete die Aktivitäten von seinem Lager vor dem Holzofen aus; ihn ließ die Anwesenheit eines Fremden im Haus völlig kalt. Aber ihn brachte ohnehin so schnell nichts aus der Ruhe. Solange er nur zu fressen und jemanden hatte, der ihn streichelte, machte er sich gar nicht erst die Mühe, sich über irgendetwas aufzuregen.
»Du bist wirklich eine große Hilfe, Kumpel.« Sie warf Doodle einen finsteren Blick zu und zog sich eine trockene Jogginghose und Hausschuhe an. »Ich werd mal nach diesem Fremden in meinem Bett sehen, aber mach dir meinetwegen bloß keine Sorgen, okay?«
Doodle blinzelte sie mit seinen grünen Augen an.
Sie wünschte, sie hätte einen großen Hund …
Jillian schlüpfte ins Schlafzimmer. Als sie eintrat, seufzte Fischstäbchen und bewegte sich; es war nur eine winzige Bewegung, aber genug, um sie Hoffnung schöpfen zu lassen.
Dann schlug er plötzlich die Augen auf.
Erschrocken wich sie zurück und schlug sich die Hand vor den Mund. Seine Augen … Gott, die waren unglaublich. Sie strahlten im hellsten Blau, das man sich vorstellen konnte und waren kristallklar, so wie der Rand eines flachen Gletschers. Er starrte sie an, aber es war nichts Kaltes in seinem Blick. Die pure Hitze, die sie ausstrahlten, drang durch sie hindurch bis tief in ihr Innerstes.
Sie kam sich albern vor, weil sie überreagiert hatte – auch wenn ihre Beine immer noch zitterten –, und kehrte an das Bett zurück.
»Ich bin Jillian. Ich habe Sie im Wald gefunden. Ihnen geht’s bald wieder gut.« Sie war sich nicht sicher, ob er sie verstand oder nicht, aber seine Augen schlossen sich und sein muskulöser Brustkorb begann sich in einem tiefen, regelmäßigen Rhythmus zu heben und zu senken. Seine Hautfarbe war inzwischen normal, und seine Lippen, die anfangs bleich und rissig gewesen waren, waren jetzt glatt und rosig.
Bemerkenswert.
Was jetzt? Vielleicht sollte sie dafür sorgen, dass er etwas in den Magen bekam. Leise ging sie auf die Tür zu, um eine Brühe auf den Herd zu stellen.
»Hey«, krächzte er. Seine Stimme war kaum mehr als ein brüchiges Flüstern. »Hab ich … Ihnen wehgetan?«
Sie holte scharf Luft und drehte sich um, um einen Blick auf ihn zu riskieren. Wieder bohrten sich seine Augen in ihre, aber diesmal schienen sie ein wenig zu … leuchten.
»Nein.« Sie schluckte trocken. »Nein, Sie haben mir nicht wehgetan.«
Seine langen, goldenen Wimpern senkten sich flatternd, als ob ihre Antwort ihn zufriedengestellt hätte. Aber, du liebe Güte, wie kam er denn bloß auf die Idee, er hätte ihr etwas antun können?
Wen zur Hölle hatte sie da in ihr Haus geholt?
Das Fischstäbchen wachte die nächsten vierundzwanzig Stunden nicht wieder auf.
Und als er es dann tat, war es nur lange genug, um eine Tasse heißer Rinderbrühe zu trinken. Er hatte nicht ein Wort gesagt, sie nur aus diesen anbetungswürdigen blauen Augen angestarrt, und war dann wieder in einen tiefen Schlaf gefallen, als ob er ein ganzes Jahr wach gewesen wäre.
Jillian hatte versucht, Stacey anzurufen, einen Deputy des hiesigen Sheriffs und seit zwanzig Jahren ihre beste Freundin, aber die Telefonverbindung funktionierte nach wie vor nicht. War ja klar. Der Sturm schien einfach kein Ende zu nehmen. Jillian beschloss, diesen Meteorologen zu suchen und mit seinem eigenen Windstärkemesser zu erschlagen.
Doodle schien an dem Fremden Gefallen gefunden zu haben. Wenn der Kater nicht gerade fraß oder einem seiner Spielzeuge hinterherjagte, lag er zusammengerollt auf dem Bett. Der kleine Verräter.
Als die achtundvierzig-Stunden-Marke überschritten war, ging Jillian erneut ins Schlafzimmer, um Fischstäbchens Zustand zu prüfen. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer, als sie ihn auf ihrem schmalen Doppelbett ausgestreckt liegen sah – er nahm den Platz auf dem Riesending ganz für sich allein in Anspruch. Aus irgendeinem Grund dachte sie auf einmal, was er wohl mit einer Frau darauf anstellen würde. Jemand von seiner Größe brauchte auf jeden Fall eine Matratze, die eine Nummer größer war, vor allem, wenn er … Gesellschaft hatte.
Hör sofort damit auf. Warum um alles in der Welt hatte sie solche Gedanken über einen völlig fremden Kerl, von dem sie nicht mal den Namen wusste? Vielleicht lag es an der Energie, die er sogar im Schlaf noch ausstrahlte, an dieser unglaublichen Männlichkeit, die jedes weibliche Hormon in ihrem Körper tanzen ließ.
Hör. Auf.
Die Decken waren ihm bis zu den Hüften hinuntergerutscht, sodass seine harten Bauchmuskeln und die seitlichen Muskeln zu sehen waren, die schließlich unter dem Laken verschwanden. Nur ein paar Zentimeter, und sie wäre nicht mehr auf ihre Vorstellungskraft angewiesen gewesen. Sie hatte ihn ja schon ausgiebig betrachtet, als sie ihn hergebracht hatte, aber jetzt, wo seine Haut wieder Farbe hatte, handelte es sich um einen völlig anderen Mann. Vorher war er ihr wie eine Marmorstatue erschienen, schwach wie ein Baby. Jetzt … oh Mann!
Sein Haar, eine dichte lange Mähne weißen Goldes, war hoffnungslos verfilzt gewesen. Sie hatte ihn ein paarmal dabei überrascht, wie er im Schlaf knurrte und daran herumriss; darum hoffte sie, dass es ihm nichts ausmachen würde, dass sie es … irgendwie … abgeschnitten hatte.
Sie hatte es so lang gelassen, wie sie nur konnte, aber jetzt, wo es ihm vielleicht noch bis auf die Schultern reichte, war es dennoch gut dreißig Zentimeter kürzer als zuvor.
Nun ergoss es sich wie gesponnene Seide über das Kopfkissen aus rotem Flanell. Also wirklich, es war echt nicht fair, dass ein Mann schönere Haare hatte als sie. Schönere Haare und schönere Wimpern. Verdammt, Frauen bezahlten viel Geld, um derartig lange und dichte Wimpern zu bekommen.
»Langsam wird das lächerlich«, murmelte sie, als sie sich neben ihn auf die Matratze sinken ließ. Er ist nur ein Mann. Ein Mann, der Ende zwanzig zu sein schien und rein zufällig mit einem abartig perfekten Körper gesegnet war.
Sie legte ihm die Hand auf die Stirn und stellte erleichtert fest, dass er weder Fieber hatte noch sich zu kalt anfühlte.
Sie streckte die Hand aus, um die Decken wieder hochzuziehen, als er sie mit einer unvorstellbar schnellen Bewegung packte, grob unter sich zog und ihr seinen Unterarm über die Kehle legte. Angst erfüllte sie, scharf und beißend. Sie konnte sich unter seinem Gewicht kaum bewegen, und mit seinem Arm auf ihrer Luftröhre bekam sie kaum noch Luft.
Seine Augen wirkten wie Scherben aus Wintereis, als sein Blick sie durchbohrte, und sie wusste sofort, dass sie ihre Schätzung seines Alters überdenken musste. Wenn er auch keinen Tag älter als achtundzwanzig aussah, so waren seine Augen doch uralt.
»Wer bist du?«, knurrte er. »Wo bin ich?«
»Ich –« Sie hustete, versuchte vergeblich, Luft in ihre brennenden Lungen zu saugen. Er lockerte seinen Griff. Ein wenig. »Ich bin Jillian.« Sie atmete gierig ein. »Sie sind bei mir zu Hause.«
Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen an, sodass sie sich wie ein Reh fühlte, das von einem Wolf niedergehalten wurde. »Warum?«
»Ich habe Sie gefunden«, keuchte sie. »Im Schnee. Sie waren beinahe tot.«
Er runzelte die Stirn. »Das ist unmöglich.«
»Dass Sie beinahe tot waren oder dass Sie im Schnee lagen?«
Verwirrung blitzte in seinen Augen auf, und er lockerte seinen Griff noch weiter. »Ich bin mir nicht sicher.«
»Okay«, sagte sie langsam, um ihn bloß nicht noch mehr aufzuregen. »Fangen wir am besten mit etwas Einfachem an. Wie heißen Sie?«
»Ich glaube … ich glaube, ich heiße Reseph.«
»Sie glauben?«
Der Druck auf ihre Kehle ließ beinahe völlig nach, aber noch immer brannte jeder Atemzug. »Reseph ist der einzige Name, der mir einfällt.«
Er war sich nicht sicher, wie er hieß? Und was für ein seltsamer Name das war. Seine tiefe, wohlklingende Stimme hatte allerdings einen kaum merklichen Akzent. Nicht, dass sie ihn identifizieren könnte. »Wissen Sie, woher Sie kommen?«
»Keine Ahnung. Ich kann mich nicht erinnern … an gar nichts.« Er richtete sich auf – eine wunderbare Demonstration der Kraft in Schultern und Bizeps – und sah an seinem nackten Körper hinunter. »Haben wir gefickt?«
Sie wäre beinahe erstickt. »Nein.«
»Warum nicht?« Er ließ sich behutsam wieder auf ihr nieder und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals, wo er tief einatmete. Diesmal fühlte sie die eindeutige Präsenz einer Erektion an ihrem Becken. Das Summen, das die Luft um ihn erfüllte, wechselte mit einem Schlag von bedrohlich zu unverhohlen erotisch – wirkte aber nicht weniger gefährlich.
Oh Gott. »Weil wir uns überhaupt nicht kennen.«
Er hob den Kopf. »Und?«
Und? Das lief aber gar nicht gut. »Hören Sie, Sie sollten erst mal, äh, von mir runtergehen, und dann besprechen wir alles beim Abendessen.«
»Abendessen?« Er grinste. Du liebe Güte, er war atemberaubend, wenn er ihr mal gerade nicht eine Höllenangst einjagte. »Das wär jetzt genau das Richtige. Ich bin am Verhungern. Aber vielleicht könnten wir erst noch ficken?«
Diesmal verschluckte sie sich wirklich. Als sie endlich wieder reden konnte, sagte sie: »Bei mir steht Chili auf dem Tisch, und kein Sex.«
»Man kann Sex auf dem Tisch haben«, sagte er.
Na toll. Jetzt stellte sie sich lauter Dinge vor, die man in der Küche tun konnte, die aber nichts mit Essen zu tun hatten.
»Chili«, widersprach sie heiser. »Kein Sex.«
Er schien darüber nachzudenken. Sie wäre vor Erleichterung beinahe ohnmächtig geworden, als er sich endlich von ihr herunterwälzte. »Okay. Wo ist das Essen?«
»Küche.« Sie sprang vom Bett herunter, ignorierte sein amüsiertes Grinsen und versuchte, seine Erektion nicht anzustarren. Seine wirklich überaus ansehnliche Erektion. Die zu bedecken er keinerlei Anstalten machte.
Nö, er lag mit gespreizten Beinen auf dem Rücken, einen Arm hinter dem Kopf, als ob er bei sich zu Hause in seinem eigenen Bett wäre und sie lediglich irgendeine Tussi, die er letzte Nacht mit zu sich genommen hätte.
Wieder fragte sie sich, wen sie da bloß in ihr Haus gebracht hatte, denn offensichtlich hatte dieser Kerl nicht mehr alle Nadeln an der Tanne. Der war eindeutig weich in der Birne.
Sie wandte den Blick ab und ging rückwärts auf die Tür zu. »Ich werd mal sehen, ob ich etwas zum Anziehen für Sie finde. Sie können ruhig duschen –«
Er befand sich schon auf halbem Weg zu ihrem winzigen Badezimmer. Trotz ihrer Verärgerung konnte sie den Blick einfach nicht von seinem Körper abwenden, als er dort über den Holzboden ging. Jeder Muskel war ein fließendes Kunstwerk, wie er seine Beine vorwärtsbewegte, indem er sich streckte und wieder zusammenzog. Und dieser Arsch … oh mein Gott, er hatte die hinreißendsten Gesäßmuskeln, die sie je gesehen hatte.
Er verschwand im Badezimmer. Sie hätte jeden Eid abgelegt, dass er zum Schluss seine Arschmuskeln nur für sie noch einmal hatte spielen lassen. Oh, dieser Kerl musste unbedingt hier raus.
Während er duschte, begab sie sich in die Küche, um das Chili in seinem Schmortopf umzurühren, ehe sie die Treppe in den Keller hinunterstieg. Die eine Hälfte des unterirdischen Raumes war mit allen möglichen Nahrungsmitteln angefüllt. Auf der anderen stapelten sich die Überreste ihres Lebens in Florida, große Plastikkisten mit Weihnachtsschmuck und Dinge, die ihren Eltern gehört hatten.
Seit sie hergezogen war, hatte sie sich den ganzen Kram nicht ein einziges Mal angesehen, und sie verfluchte die Tränen, die in ihren Augen aufstiegen, als sie nun eine der Plastikboxen durchwühlte, in denen Kleidungsstücke ihrer Eltern lagerten. Jedes Hemd brachte eine Erinnerung zurück, jedes Paar Schuhe eine Geschichte.
Schnapp dir einfach irgendwas und bring’s hinter dich.
Allerdings war Jillian sich nicht sicher, ob sie mit dieser Strategie großen Erfolg haben würde. Auch wenn ihr Vater ein groß gewachsener Mann gewesen war, gab es unter seiner Kleidung nichts, was Reseph wirklich passen würde. Na ja, dann musste er sich halt mit der tannengrünen Flannellschlafanzughose und dem schwarzen Sweatshirt in Übergröße abfinden.
Froh, den Ausflug in die Vergangenheit hinter sich gebracht zu haben, stapfte sie die Stufen wieder hinauf. Um ein Haar hätte sie sich an ihrer Zunge verschluckt, als sie die Küche in genau demselben Moment betrat, in dem Reseph hereingeschlendert kam.
Vollkommen nackt.
»Ähm … hast du kein Handtuch gefunden?«
Er blickte an sich hinab. »Doch, sicher. Ich bin trocken.«
Offensichtlich besaß der Mann nicht das geringste Schamgefühl. »Na klar. Ich Dummerchen.« Sie hielt ihm die Kleidung hin. »Meinst du, du hast dir vielleicht den Kopf gestoßen?«
»Das würde jedenfalls erklären, warum ich das Gedächtnis verloren habe.« Okay, sicher, das würde die Amnesie erklären, aber das hatte sie gar nicht gemeint.
Während er sich anzog – eher widerwillig, erschien es ihr –, gab sie Chili in Schüsseln. Als sie Löffel aus einer Schublade nahm, spürte sie auf einmal eine Präsenz hinter sich. Resephs Wärme umschloss sie förmlich, als er ihr über die Schulter blickte.
»Sieht gut aus.«
Reseph besaß also weder Schamgefühl, noch schien er zu wissen, dass man anderen Menschen nicht zu dicht auf die Pelle rückte. Aber wenigstens hatte er sich was angezogen.
»Es ist gut.« Sie beeilte sich, aus seinem Schatten zu entfliehen. »Ist ein Rezept von meiner Mom.« Sie stellte die Schüsseln auf den Tisch. An entgegengesetzten Seiten.
»Ich frage mich, ob ich eine Mom habe.« Es lag eine Spur von … Trauer? … Angst? … Sorge? … in seiner Stimme. Vielleicht eine Mischung aus allen drei.
Sie konnte sich kaum vorstellen, wie sie sich fühlen würde, wenn sie an einem fremden Ort aufwachen würde, ohne sich zu erinnern, wie sie dorthin gelangt war oder wer sie war. Die Vorstellung, dass es irgendwo eine Familie – vielleicht einschließlich einer Frau – gab, die vielleicht nach ihm suchte, musste beunruhigend sein.
Vor allem, nachdem er mit einer ihm völlig fremden Frau Sex hatte haben wollen. Jillian hoffte nur, dass er nicht verheiratet war.
»Sorgen wir erst mal dafür, dass du was in den Magen bekommst, und dann sehen wir, was wir herausfinden können.« Sie öffnete den Kühlschrank. »Ich habe Milch, Wasser, Orangensaft, Sprite –«
»Bier?«
»Tut mir leid, Bier ist aus.« Sie trank gerne hin und wieder mal ein kaltes Bier, aber ein Getränk für den Winter war es nicht.
»Chili ohne Bier ist an manchen Orten ein Verbrechen«, sagte Reseph. »Oder sollte es zumindest sein. Dann Sprite bitte.«
Sie nahm zwei Dosen und zwei Gläser, und als sie sich umdrehte, saß Reseph bereits. Allerdings hatte er seine Schüssel einen Platz weiter geschoben, näher zu ihr. Sie seufzte. Ihre Mom hätte gesagt, den müsse man erst mal ordentlich erziehen.
»Danke«, sagte er leise.
»Ist doch nur Chili.«
Er schüttelte den Kopf, und sein feuchtes Haar strich über den Kragen des Sweatshirts. »Dafür und weil du dich um mich gekümmert hast.«
Er sah auf seine Schüssel hinunter, als ob er verlegen wäre. Dann machte er sich über das Essen her.
Reseph hatte noch niemals eine Frau gesehen, die so schön wie Jillian war, oder etwas gegessen, das so wunderbar schmeckte wie ihr Chili. Jedenfalls war er sich ziemlich sicher, was die Sache mit dem niemals anging. Mit ihrem kinnlangen dunklen Haar, das im Nacken kürzer geschnitten war, und den leuchtend grünen Augen, zog Jillian seinen Blick genauso oft an wie seine Schüssel seinen Löffel. Er war regelrecht ausgehungert, sowohl nach Essen als auch nach Gesellschaft, und unwillkürlich fragte er sich, wie lange er wohl schon ohne beides hatte auskommen müssen.
Er hatte seine Schüssel geleert, ehe Jillian auch nur ein Viertel ihrer Portion aufhatte.
»Ich hol dir noch was.« Als sie Anstalten machte aufzustehen, packte er ihren Arm und hielt sie fest.
»Du hast schon genug getan. Ich kann es mir selber holen.« Obwohl … wenn er sich von ihr bedienen ließ, könnte er ihren hübschen Hintern betrachten, wie er sich in dieser abgetragenen Jeans hin- und herbewegte, die sich an ihre perfekten Kurven schmiegte. Nicht einmal das alte schwarz-blaue Flanellhemd, das sie trug, konnte verbergen, dass sie vermutlich einen fantastischen Körper hatte.
Nein, er hatte genug von diesem Körper gefühlt, als sie unter ihm auf der Matratze lag – über Vermutungen war er weit hinaus.
Sie wirkte ein wenig verstört. Konnte das an seiner Berührung liegen? Das könnte er verstehen, denn ihre warme Haut fühlte sich so gut unter seiner Hand an, gut genug, dass er sie am liebsten dort gelassen hätte. Und das tat er auch, ein paar Sekunden länger, als angemessen war.
Denn eigentlich wusste er, was angemessen war. Es interessierte ihn nur nicht.
War er immer schon so gewesen? Dann war er aber ein ziemliches Arschloch, oder?
Mit einem gedanklichen Schulterzucken füllte er sich die Schüssel bis an den Rand mit Chili und kehrte an den Tisch zurück. »So. Wo sind wir eigentlich?« Als sie ihn fassungslos ansah, ganz als ob sie es für möglich hielt, dass er nicht wusste, dass er sich in einer Küche befand, lachte er. »In der Welt. Wo genau befinden wir uns?«
»Oh.« Sie lächelte, offensichtlich erleichtert. Ein bezauberndes Lächeln auf einem üppigen Mund und Lippen, die die Farbe reifer Äpfel hatten. Das brachte ihn zu der Frage, ob sie wohl genauso süß schmecken würden. »Colorado. Wir befinden uns in den Rocky Mountains, in der Nähe der Grenze zu Wyoming.«
»Warum?«
Ihre dunkelbraunen Augenbrauen schossen in die Höhe. »Warum?«
Der Löffel klirrte, als Reseph ihn in die Schüssel tauchte. »Warum lebst du hier?« Warum war er hier?
»Ähm … weil ich hier aufgewachsen bin. Ich habe das Haus von meinen Eltern geerbt, als sie gestorben sind.«
Er tauchte tief in sein Gehirn ab und versuchte, eine Erinnerung zu finden, in der es um seine eigenen Eltern ging, aber da war nichts. »Und was machen die Leute hier in der Gegend so?«
»Um Geld zu verdienen, meinst du?« Als er nickte, nippte sie an ihrem Getränk, als ob sie erst einmal Zeit brauchte, um eine Antwort zu finden. »Na ja, ich schätze, die meisten arbeiten auf einer Ranch oder in der Holzindustrie oder als Jäger. Die nächstgelegene Stadt ist kaum mehr als ein Fleck auf der Karte.«
»Warum bin ich wohl hier?«
Sie schüttelte den Kopf, sodass ihr Haar in weichen Wellen ihre Wangen streifte. »Ich habe keine Ahnung.«
»Vielleicht war ich auf der Jagd?«
»Du warst nackt. Und du hattest weder ein Gewehr noch einen Bogen.«
Bogen. Aus irgendeinem Grund kam es ihm … vertraut vor, einen Bogen zu besitzen. Nackt? Das klang ebenfalls vertraut. Allerdings nicht unbedingt nackt im Schnee.
Er grübelte über das Nudist-im-Winter-Szenario nach. »Gab es Spuren in meiner Nähe? Vielleicht hat mich jemand angegriffen.«
»Glaub ich eher nicht, weil man an dir keinerlei Spuren sieht.« Als sich eine sanfte Röte auf ihren Wangen ausbreitete, grinste er.
»Du hast wohl ganz genau hingesehen, was?«
»Ich habe nach Verletzungen gesucht.« Sie räusperte sich. »Jedenfalls hattest du keine, und es gab auch keine Spuren, aber der Schneesturm hätte sowieso alles überdeckt.«
Er dachte einen Moment lang darüber nach. »Was hast du denn in einem Schneesturm da draußen gemacht?«
Ihr Löffel klirrte gegen ihre Schüssel, als sie nach einer Kidneybohne fischte. »Ich habe den Rest des Feuerholzes geholt, das ich am Tag davor klein gemacht hatte.«
»Feuerholz …« Ihm fielen die Bäume ein, die er gesehen hatte, als er in der Schneewehe lag. »Was für ein Tag ist heute?«
»Der zehnte Dezember.«
Cool. Wenn er auch keinen Schnee mochte, war Dezember doch sein Lieblingsmonat. »Weihnachtszeit. Vielleicht wollte ich ja einen Weihnachtsbaum holen.«
»Nackt? Ohne Axt oder irgendein Fahrzeug? Und wenn es so war, dann war das unbefugtes Betreten.«
Reseph trank seine Limo aus. »Du hast mich auf deinem Grundstück gefunden?«
»Genau.«
Er beobachtete sie, während sie in ihrem Chili rührte. Ihre Hände waren zart, aber rau von der Arbeit. »Du lebst hier ganz allein?«
»Wieder richtig.«
»Wieso?«
Sie zuckte mit den Achseln, sodass das aufgestickte Emblem auf ihrer Hemdtasche – ein schwarzer Wolf – tanzte. »Ich bin halt gerne für mich.«
Reseph war eindeutig nicht gern allein. »Hast du einen Gefährten?«
Eine dunkle Augenbraue wanderte nach oben. »Du meinst, einen Freund oder so?«
»Einen Geliebten. Du weißt schon, einen Gefährten halt.«
»Ich würde wirklich zu gerne wissen, woher du kommst«, murmelte sie. »Aber nein. Kein … Gefährte.«
Aus irgendeinem Grund sagte ihm diese Antwort zu. »Warum nicht? Du bist hübsch. Du solltest jede Menge davon haben.«
Sie hüstelte. »Vielleicht sollten wir uns lieber auf deine Lage konzentrieren.«
Damit hatte sie vermutlich recht, aber er wusste gar nicht, wo er überhaupt anfangen sollte. »Hast du einen Computer?«
»Hab ich, aber das Internet läuft über eine Wählverbindung und ist ziemlich zickig. Genauso wie der Strom.«
»Was ist mit Fernsehen?«
»Ich hab eine Satellitenschüssel, aber die funktioniert auch nicht immer.«
Zickiges Internet und Strom, unzuverlässiges Fernsehen und noch dazu Schnee. Gott, Jillian lebte in der Hölle. »Was machst du denn dann hier? Wie kriegst du die Zeit rum?«
»Ich lese viel. Ich wandere durch den Wald und sammle Pilze. Im Grunde hab ich immer was zu tun. Die meiste Zeit geht für die Arbeit auf der Farm drauf.«
Pilze sammeln? Warum um alles in der Welt sollte man so was machen, wenn man die Dinger im Laden kaufen konnte? »Klingt so, als ob du hier festsitzt. Die Farm ist ein richtiger Klotz am Bein.«
Ärger blitzte auf ihrer Miene auf. »Von wegen Klotz am Bein – ich liebe meine Farm.«
»Aber du bist allein.« Er betrachtete sie und dachte, dass sie viel zu schön sei, um jemals allein zu sein. »Und eine Farm bedeutet eine Menge Verantwortung.«
»Keins von beidem ist schlecht«, erwiderte sie, aber Reseph war sich nicht so sicher. Allein zu sein war echt scheiße, und Verantwortung war nur ein anderer Ausdruck für Klotz am Bein. »Wie sind wir eigentlich wieder auf mich gekommen?«
»Ich erinnere mich an eine Schneewehe«, sagte er einfach. »Und dabei mag ich Schnee gar nicht.«
»Tut mir leid, Reseph.« Sie ließ den Löffel in ihr halb aufgegessenes Chili fallen, als ob sie den Appetit verloren hätte. »Sobald der Sturm nachlässt, fahren wir mit dem Schneemobil in die Stadt, sollte die Straße nicht frei sein. Ich bring dich ins Büro vom Sheriff, und dort werden sie dir helfen.«
Eine seltsame Angst überkam ihn und nahm auch ihm den Appetit. »Du darfst mich nicht dorthin bringen.« Seine Stimme war peinlicherweise zu einem heiseren Flüstern degeneriert.
»Muss ich aber.« Sie griff nach einer Serviette. »Die können dir besser helfen als ich.«
Sein Herzschlag begann zu rasen und eine Ladung heißen Adrenalins versengte seine Adern. Natürlich wollte er herausfinden, wer er war, aber in diesem Moment war das Einzige, was er kannte, Jillian und ihr Blockhaus. Er konnte es auf keinen Fall mit noch mehr Unbekanntem aufnehmen. Und er durfte auf keinen Fall wieder allein gelassen werden. Vorausgesetzt, er war überhaupt allein gelassen worden.
Er rückte seinen Stuhl vom Tisch weg und stand so hastig auf, dass Jillian erschreckt auf die Füße sprang.
»Was hast du denn?«, fragte sie. »Was ist los?«
»Ach, gar nichts.« So ein Quatsch, das entsprach keineswegs der Wahrheit. Er schüttelte den Kopf, in dem es zu hämmern begonnen hatte, beinahe so, als ob da drin jemand hockte und gegen seinen Schädel klopfte. »Alles. Mist, ich weiß auch nicht.«
Sie begann auf ihn zuzugehen, doch er war nicht bereit, berührt zu werden. Oder zum Schweigen gebracht zu werden. Oder Fragen zu beantworten. Eine Art Reizüberflutung bombardierte sein Hirn. Oder vielleicht hatte er sich tatsächlich den Kopf gestoßen. Was auch immer es war, das ihn so ausflippen ließ, es gefiel ihm ganz und gar nicht.
Ehe sie sich ihm nähern konnte, packte er seine leere Schüssel und das Glas und ging zum Spülbecken. Dort stand er dann wie ein Trottel, mit schwitzenden Handflächen und pochendem Herzen.
»Reseph?« Ihre Stimme klang zaghaft. Sanft. »Geht’s dir gut?«
Ganz und gar nicht. »Du hast eine Spülmaschine.«
»Die ist alt, aber sie funktioniert.«
Er schluckte. »Ich weiß nicht, wie man die benutzt.«
»Jedes Modell ist anders –«
»Nein. Ich glaube nicht, dass ich schon mal eine benutzt habe.« Es war eine ganz lächerliche Sache, aber dadurch fühlte er sich so … verloren.
»Du hast eine Amnesie, Reseph.«
»Das ist es nicht. Ich meine, auch wenn ich mich an nichts erinnere, sind einige Dinge doch vertraut. Ich wusste, dass ich Chili mag. Ich weiß, dass ich Sex mag. Ich weiß, wie man mit einem Computer umgeht. Aber ich weiß nicht, was ich mit einem Geschirrspüler anfangen soll.«
Ihre Hand legte sich auf seine, die immer noch die Schüssel in der Spüle festhielt, und sofort änderte er seine Meinung, was seine Abneigung gegen das Angefasstwerden betraf, denn ihre Hand beruhigte ihn genauso schnell wie ein Glas guten Tequilas. Was eine andere Sache war, von der er wusste, dass er sie mochte.
»Ich mach das«, sagte sie sachte. »Und du ruhst dich am besten aus.«
»Ich hab mich genug ausgeruht.«
»Dann geh fernsehen. Ich habe DVDs, falls die Schüssel streikt.«
Er wollte sie nicht verlassen, aber er war sich nicht mal sicher, warum. Trotzdem spürte er, dass sie jetzt etwas Ruhe brauchte. Das war ja auch verständlich. Er war ein Fremder in ihrem Haus, und sie war es gewohnt, allein zu leben. Es war im Grunde ein Wunder, dass sie ihn überhaupt aufgenommen hatte. Viele Leute hätten ihn einfach liegen und krepieren lassen.
Augenblick mal … woher wusste er das? Wenn er recht hatte, dass viele ihn hätten sterben lassen, dann musste es in seinem Leben eine ganze Menge Arschlöcher geben.
Was nicht gerade für ihn sprach. Genau genommen lauerte in den tiefsten Tiefen seines Gehirns, wo dieses seltsame Klopfen vor sich ging, ein hässlicher Verdacht. Der Verdacht, dass Reseph selbst ein Arschloch war.
Oder Schlimmeres.
»Wie geht’s dir denn, du heißer, nackter Adonis?«
Reaver öffnete die Augen gerade lang genug, um Harvester wütend anzustarren. Harvester war ein weiblicher gefallener Engel und hatte gerade mächtig Spaß daran, ihm auf die Nerven zu gehen.
Reaver schloss die Lider und sank wieder gegen die Knochenwand hinter ihm zurück. »Ich bin ein Engel, der in der Hölle festsitzt und langsam im Bauch eines Riesendämons verdaut wird. Was glaubst du denn, wie’s mir geht?«
Harvester schnippte mit den Fingern vor seinem Gesicht, sodass er erschrocken die Augen wieder öffnete. Sie hockte sich zu seinen Füßen hin; ihr ebenholzschwarzes Haar, das ihr bis über die Hüften reichte, fiel wie ein Wasserfall über ihr schwarzes Minikleid aus Leder und Spitze. Neben ihr auf dem Boden stand ein Rucksack. »Immerhin regenerierst du dich. Also stell dich nicht so an.«
Er seufzte. »Interessant. Deine neueste Foltermethode scheint darin zu bestehen, mich zu Tode zu langweilen.«
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