Der Butler 08: Das Haus Etheridge - Andreas Zwengel - E-Book

Der Butler 08: Das Haus Etheridge E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

England im Jahr 1906. Das Geisterjägerpaar Montgomery und Victoria Carlyle soll das heimgesuchte Herrenhaus Etheridge Manor von seinem Spuk befreien, doch allem Anschein nach haben es die beiden mit mehr als nur dem Geist eines Verstorbenen zu tun.England in der Gegenwart: Eine Entrümpelungsfirma soll das leer stehende Herrenhaus für seine neue Besitzerin Lady Amanda Marbely vorbereiten. Das Grauen kehrt zurück.Die Printausgabe umfasst 160 Buchseiten

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Seitenzahl: 161

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DER BUTLERBand 8

In dieser Reihe bisher erschienen:

2401 J. J. Preyer Die Erbin

2402 J. J. Preyer Das Rungholt-Rätsel

2403 Curd Cornelius Das Mädchen

2404 Curd Cornelius Die Puppe

2405 Andreas Zwengel Die Insel

2406 Andreas Zwengel Die Bedrohung

2407 Andreas Zwengel Teneriffa-Voodoo

2408 Andreas Zwengel Das Haus Etheridge

2409 Andreas Zwengel Die Jäger

Andreas Zwengel

DAS HAUS ETHERIDGE

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2019 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckNach einer Idee von Jörg KaegelmannRedaktion: Andreas ZwengelLektorat: Dr. Richard WernerTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierIllustrationen: Jörg NeidhardtSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-512-8Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Südwestlich von London, 1906

„Mister Montgomery Carlyle samt Gattin, darf ich annehmen?“, sagte der Butler an der ­Eingangstür. Er stellte sich als Fry vor und ließ keinen ­Zweifel daran, wer in diesem Haus das Sagen hatte. Fry war über einen Meter neunzig groß und trug seine Kinnpartie so hoch, dass er kleinere Menschen nur schwer ausmachen konnte. Beim Anblick der beiden Gäste bot sich auf ­seinem Gesicht die komplette Gefühlsskala von Abneigung dar. „So ist es“, bestätigte der jungenhafte Gentleman, der trotz der robusten Arbeitskleidung seine Herkunft aus gutem Hause nicht verleugnen konnte. Seine Frau nickte dem Butler grüßend zu, aber es war mehr eine Geste, wie man sie unter Kollegen benutzte.

Fry hob eine Augenbraue als Ausdruck des Erstaunens und drückte die Unterlippe gegen die obere Zahnreihe, um Missbilligung zu demonstrieren. Mrs. Carlyle besaß ein wunderschönes Äußeres, aber die hochgesteckten Haare und der Hosenanzug verrieten eine pragmatische Einstellung, die Fry besonders bei einer Frau nur ablehnen konnte.

Der Butler ließ das Ehepaar eintreten und übernahm persönlich die Führung durch das Haus. Dabei erwies er sich als Kenner der Familiengeschichte, der gleichzeitig auch über ein fundiertes Architekturwissen verfügte. Er vermittelte den Besuchern das Gefühl, sie durch sein eigenes Haus zu führen.

„Kaum vorstellbar, dass seine Herrschaft noch größere Snobs sein könnten“, flüsterte Victoria Carlyle ihrem Mann zu. Falls Fry sie gehört hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Er führte die Carlyles in den Westflügel des Hauses.

„Wo wurde der Spuk beobachtet?“, fragte Montgomery.

„Im Laufe der letzten Wochen in fast allen Räumen des Hauses.“

„Sie selbst haben es also auch gesehen?“

„Mehr als einmal.“

„Warum sind Sie dann so abweisend zu uns?“, erkundigte sich Victoria interessiert.

„Ich glaube an die Existenz des Spuks in diesem Haus“, gab der Butler zur Auskunft. „Das heißt aber nicht, dass ich Sie beide nicht trotzdem für Scharlatane halte.“

„Wir werden uns bemühen, Sie vom Gegenteil zu überzeugen, Fry“, sagte Montgomery, den die Worte des Butlers nicht im Geringsten beleidigen konnten. „Mit welcher Art von Spukerscheinung haben wir es hier zu tun?“

Fry erbleichte und blieb stehen, als sei er vor eine Wand gerannt. Er drehte sich zu dem Ehepaar, ohne seine Beine sichtbar zu bewegen. „Es gibt verschiedene Arten?“

„Beschreiben Sie die Erscheinung“, bat Montgomery. „Sind es Poltergeister, Spukgeister oder etwas völlig anderes.“

Der Butler ließ sich endlich zu einer Beschreibung der Erscheinung herab. Allerdings war er kein besonders guter Beobachter oder Kenner von Bekleidungs­stilen, sodass ihm keine historische Einordnung gelang. Er beschrieb die drei Gestalten als modern gekleidet, was nach Montgomerys Einschätzung wohl lediglich bedeutete, dass sie weder Felle noch Rüstungen trugen. Ebenso löchrig und wenig belastbar erwies sich sein Gedächtnis, was die Art und Häufigkeit der Geistererscheinungen betraf. Er hatte sich natürlich keine Notizen über die vergangenen Ereignisse gemacht und merkte selbst, wie unzufrieden die Carlyles mit seinen Auskünften waren. Andererseits wäre er sicher in der Lage, aus dem Stand aufzuzählen, was seine Herrschaft im vergangenen Jahr an jedem einzelnen Tag gespeist hatte und welche Kleidung sie dazu trugen.

„Die anderen haben so etwas nie gefragt“, brachte er zu seiner Verteidigung vor.

„Wie überraschend“, kommentierte Victoria. Sie blieb nicht ganz so gelassen wie ihr Ehemann, wenn sie von oben herab behandelt wurde.

Die Carlyles waren nicht die erste Wahl der Herrschaften gewesen. Fry hatte Druiden, Exorzisten, Schamanen, Hexen und Magier ins Haus kommen sehen und ihm klangen noch die Ohren von den Gesängen und Beschwörungen. Der Geruch von verbranntem Salbei und anderen Kräutern hing weiterhin in allen Räumen.

Der lange Flur, den sie entlang gingen, war nur spärlich beleuchtet.

„Wir sehen uns Spukhäuser gerne bei hellem Tageslicht an“, sagte Victoria. „Könnten Sie also die Vorhänge zurückziehen und Tageslicht hereinlassen?“

„Ungern. Ich fürchte, der Gast von Lady Ivanna ist etwas lichtempfindlich. Miss Borderline meidet das Tageslicht.“

Montgomery und Victoria warfen sich einen fragenden Blick zu, beschlossen aber erst einmal, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Die Besitzer des Hauses schienen so manche Eigenart zu besitzen. So war den Carlyles bereits die große Zahl an Spiegeln aufgefallen, die sich im Haus befanden. Anscheinend betrachteten sich diese Leute sehr gerne.

„Wir haben ein Zimmer für Sie vorbereitet“, fuhr Fry fort. „Sie können sich dort etwas frisch machen.“

„Wir möchten lieber sofort unsere Ausrüstung aufbauen“, erklärte Montgomery.

„Aber die Herrschaften würden Sie gerne begrüßen.“

„Dafür sind sicher ein paar Minuten Zeit, bevor wir beginnen“, entschied Victoria.

Fry machte ein schockiertes Gesicht. „Sie wollen den Herrschaften in diesem Aufzug gegenübertreten?“

Victoria verlor langsam die Geduld, aber ihr Mann legte ihr beruhigend eine Hand auf den Unterarm.

„Es tut uns leid, Fry“, sagte Montgomery. „Aber wir haben unsere Abendgarderobe nicht dabei. Außerdem hatten wir den Eindruck, dieser Fall sei sehr dringend und wir sollten sofort tätig werden.“

„Das stimmt vollkommen, Sir, aber das ist doch kein Grund, die Etikette zu vernachlässigen.“ Bei dem Butler klang der Vorwurf eher nach: Das ist doch kein Grund, die komplette Zivilisierung zu ignorieren.

„Dann hätten die Gespenster gewonnen, nicht wahr?“, sagte Victoria und versuchte erst gar nicht, den ironischen Unterton zu verbergen.

„Ich werde den Herrschaften mitteilen, dass Sie bereits Ihre Arbeit aufgenommen haben“, sagte Fry kühl und wandte sich zum Gehen, da fiel sein Blick aus dem Fenster, und er sah den monströsen Dampfwagen, der die Auffahrt heraufrumpelte. „Mein Gott, was ist das?“

Victoria lächelte. „Unsere Ausrüstung. Oder dachten Sie, wir versprühen nur etwas Weihrauch und murmeln dazu Beschwörungen?“

„In diesem Augenblick wünschte ich, es wäre so“, gab Fry kühl zurück.

„Sir Roger hat das alles abgesegnet“, erklärte Montgomery.

Frys Gesichtsausdruck zeigte deutlich, wie er zu dieser Entscheidung stand. „Tun Sie mir einen Gefallen und versuchen Sie, nicht das komplette Anwesen zu zerstören. Da ertrage ich lieber weiter die Gesellschaft der Geister, die haben zumindest die Einrichtung verschont.“

„Wir haben das unter Kontrolle, keine Sorge“, versicherte Carlyle.

„Wie viele Personen befinden sich momentan im Haus?“, fragte Victoria.

„Vier. Die Herrschaften, ihr Gast und ich.“

„Sie haben das übrige Personal weggeschickt?“

„Ihre Anwesenheit erschien mir nicht notwendig. Es sei denn, Sie wünschen zu speisen. In dem Fall würde ich unsere Köchin rufen lassen, sie wohnt nur eine halbe Stunde entfernt.“

„Keine Umstände“, sagte Montgomery. „Es ist für unsere Arbeit von Vorteil, wenn sich so wenige Personen wie möglich im Gebäude befinden. Sagen Sie uns nur, wer von dem üblichen Personal heute nicht anwesend ist.“

„Die Köchin, das Dienstmädchen und die Kammerzofe Ihrer Ladyschaft. Unser Kammerdiener ist sofort nach der ersten Geistererscheinung verschwunden. Sir Roger musste sich am nächsten Morgen selbst anziehen. Es ist ein Skandal. Außerdem gibt es noch einen Kutscher und einen Gärtner, die sich allerdings nur bei Bedarf hier aufhalten.“

Das Personal von Haus Etheridge war durch die vorangegangenen Ereignisse bereits sehr ausgedünnt worden. Fry hielt tapfer die Stellung. Ebenso die Köchin, die bereits seit dreißig Jahren an seiner Seite tätig war und sich für zu alt hielt, um noch den Tod zu fürchten, und ein blutjunges Hausmädchen, das nicht sonderlich intelligent war. Ihm fehlte schlicht die Phantasie, um sich zu fürchten. Ähnlich verhielt es sich bei der Kammerzofe, aber sie verfügte immerhin über genug Grips, um sich ihren Dienst fürstlich entlohnen zu lassen. Die drei waren allein nicht in der Lage, den ursprünglichen Glanz des Hauses zu bewahren, aber sie hielten zumindest den Betrieb aufrecht.

Sobald die Carlyles ihre Arbeit erfolgreich erledigt hätten, würde man Etheridge Manor wieder zu seinem alten Ruhm zurückführen. So lautete zumindest die Absicht seiner Lordschaft.

Sie erreichten den Salon des Westflügels. Sir Roger und Lady Ivanna sowie ihr Hausgast Miss Borderline saßen bei einer Tasse Tee im Salon und warteten vergeblich darauf, dass das exzentrische Ehepaar, über das ganz London sprach, ihnen ihre Aufwartung machte. Als der Butler zur Seite trat, um die Gäste eintreten zu lassen, klemmte sich der Hausherr sein Monokel ins rechte Auge.

Montgomery und Victoria begrüßten die Anwesenden.

Lady Ivanna bemühte sich, ein Lächeln für Victoria aufzubringen. „Ihre Zofe kann die Kleider auf Ihr Zimmer bringen, dann können Sie sich vor dem Essen umziehen.“

Victoria lehnte dankend ab. „Ich habe weder ein Kleid dabei noch eine Zofe, und wenn alles gut geht, dann werden wir Ihr Geisterproblem noch heute lösen und benötigen kein Zimmer.“

„Sie haben keine Zofe?“ Das Entsetzen war echt. Lady Ivanna warf ihrem Mann einen schockierten Blick zu und betrachtete dann wieder das Ehepaar. Dieses Mal mit noch deutlicherer Verachtung.

„Wer sind diese Leute?“, fragte die ältliche Miss Border­line, weil sie die vorherige Erklärung entweder nicht gehört oder verstanden hatte. „Sie sind so schrecklich gewöhnlich.“

„Die Carlyles sind professionelle Geisterjäger.“

„Wie bitte?“, fragte Miss Borderline nach, weil sie die Antwort nicht glauben konnte.

„Sie jagen Geister“, erklärte Lady Ivanna geduldig.

„Warum sollte ich mich mit solchen Leuten abgeben?“ Miss Borderline fragte dies in einer Lautstärke, die auf Schwerhörigkeit schließen ließ. Wahrscheinlicher war allerdings, dass sie nur sichergehen wollte, von den beiden Gästen auch gut gehört und richtig verstanden zu werden.

„Weil Sie uns helfen könnten“, sagte Sir Roger ­Etheridge. „Mister Carlyle ist ein technisches Genie, wenn ich das mal so sagen darf. Er hat Apparate ­entwickelt, die auf jeder Weltausstellung zur Sensation werden würden. Sie haben große Erfolge auf ihrem Fachgebiet erzielt. Einige Gentlemen in meinem Klub schwören auf ihr Können.“

Die Carlyles standen unbeteiligt dabei, während ungeniert über sie geredet wurde.

Ihre Kundschaft erhielten sie ausschließlich durch Mundpropaganda. Trotzdem gaben ihre Klienten ungern zu, dass sie die Dienste der Geisterjäger in Anspruch genommen hatten, sondern spotteten stattdessen in Gesellschaft über die Carlyles und den Hokuspokus, den sie betrieben. Nur hinter vorgehaltener Hand erzählten sie die Wahrheit. Die Carlyles wurden dafür verachtet, weil körperliche Arbeit nicht ihrem Stand entsprach.

Miss Borderline rümpfte die Nase. „Trotzdem erscheinen mir diese Personen kein angemessener Umgang zu sein. Ohnehin alles Scharlatane, wahrscheinlich bezahlen Sie Rumtreiber und Schauspieler für diese Farce, um den Leichtgläubigen ihr Geld aus der Tasche zu ziehen.“

„Sie haben uns doch nicht kommen lassen, nur weil Sie uns nicht kennenlernen wollen?“ Victoria war wütend und ihr Mann hoffte, dass keiner der Herrschaften jetzt etwas Falsches sagte, das noch Öl ins Feuer gießen würde. Die drei Mienen, auf denen sich der Schock über Victorias ungebührliches Verhalten widerspiegelte, verhieß nichts Gutes.

Der Hals des Lords wurde dunkelrot und schien auch an Volumen zuzunehmen. „Mäßigen Sie Ihre Frau, mein lieber Carlyle. Sie vergreift sich im Ton.“

Lady Ivanna stand ihrem Mann zur Seite. „Was erlauben ...“

„Sie haben ein loses Mundwerk.“ Miss Borderline rümpfte die Nase und wandte sich an ihren Gastgeber. „Bitte sag dieser Person, dass dies ein anständiges Haus ist.“

Montgomery ignorierte die aufgebrachten Herrschaften und drehte sich zu seiner Frau. „Sir Roger hat recht, Liebling, lass uns bitte allein. Wir müssen geschäftliche Dinge bereden.“ Er fasste sie sanft am Arm und führte sie hinaus in den Flur.

„Sicher, Darling, bitte entschuldige, mein Temperament muss mit mir durchgegangen sein“, versicherte Victoria laut genug, um im Salon gehört zu werden. Sie hatte mal wieder die gesellschaftlichen Gepflogenheiten vergessen, deren sie sich außerhalb der eigenen vier Wände befleißigen musste. Trotz des ernsten Tonfalls und des Gesichtsausdrucks sprang Montgomery bei seiner Zurechtweisung das verschmitzte Zwinkern förmlich aus dem Gesicht.

Sie war ein solches Verhalten gewöhnt. Das ganze Leben über hatte man Victoria ihre gesellschaftliche Position deutlich vor Augen geführt. Weit über dem Pöbel der Straße, doch als Frau nur ein Accessoire ihres zukünftigen Mannes. Sie hatte von klein auf dagegen rebelliert, doch erst in ihrer Ehe mit Montgomery konnte sie sich tatsächlich frei entfalten. Er war ihr ruhender Pol und hatte eine beruhigende Wirkung auf sie, wenn ihr mal wieder in aller Öffentlichkeit das Blut überkochte. Ihr Ehemann teilte ihre Ansichten, sah aber auch den Nutzen, wenn man sich mit den Konventionen arrangierte.

Victoria und Montgomery Carlyle waren schon von frühester Jugend an ein eingespieltes Team. Sie teilten eine Vorliebe für Geistergeschichten und Technik. Da ihre Eltern Nachbarn und sie beide Einzelkinder waren, verbrachten sie beinahe jede freie Minute miteinander. Die Eltern, die diese Beziehung von Anfang an unterstützten, hatten keinerlei Einwände, als das Paar seine Heiratspläne verkündete. Aber sie reagierten entsetzt, als sie von den gemeinsamen Zukunftsplänen ihrer Kinder erfuhren. Es brauchte einiges an Überzeugungskraft und der Präsentation eines tatsächlichen Geistes, damit die Eltern ihre Tätigkeit akzeptieren und auch gegenüber spöttelnden Bekannten verteidigen konnten.

Montgomery Carlyle war vor seiner Heirat einer der begehrtesten Junggesellen von ganz London gewesen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Die gesellschaftlichen Pflichttermine hatte er so weit wie möglich reduziert, um mehr Zeit für seine Basteleien und die Erforschung des Unerklärlichen zu haben. Außerdem hatte er immer Victoria an seiner Seite und nur Augen für sie, sodass er die schmachtenden Blicke der heiratsfähigen Debütantinnen sowie all ihrer weiblichen Verwandten überhaupt nicht registrierte.

Die Carlyles lebten, arbeiteten und kämpften Seite an Seite und strahlten dabei so viel Glück aus, dass es nicht nur Neid provozierte, sondern manchem auch ein sehnsüchtiges Seufzen entlockte.

„Bezahlen uns diese Leute mehr als andere, damit sie uns so behandeln dürfen?“, raunte Victoria ihrem Mann auf dem Flur zu.

„Nein, sie glauben wohl, das sei im Preis inbegriffen.“

Sie musste lächeln, und er gab ihr einen aufmunternden Klaps auf den Hintern. Sie kannten den Spott und die Gerüchte, die über sie verbreitet wurden. Wenn diese überhaupt eine Wirkung hatten, dann nur, dass sie die beiden als Paar fester zusammenschweißten.

„Diese Herrschaften sind seltsam. Selbst für Briten. Ich bin stolz, dass du so geduldig mit ihnen bist“, sagte Montgomery und wurde im nächsten Moment von Frys Räuspern unterbrochen.

„Die Herrschaften warten, Mister Carlyle.“

Montgomery ging mit dem Butler zurück in den Salon. Deutlich konnte er die Unterhaltung der Herrschaften hören. Besonders die Stimme Ihrer Ladyschaft trug sehr weit: „Dieser Carlyle ist ein tumber Tor und hat sein Weib nicht im Griff.“

„Aber er ist über alle Maßen erfolgreich“, hielt Sir Roger dagegen. „Die Firma, oder wie sie dieses ­lächerliche Unternehmen auch nennen, läuft hervorragend.“

„Ich frage mich, wie ein so grober Klotz eine so einnehmende Erscheinung ehelichen konnte?“, überlegte Miss Borderline laut.

„Da müssen Sie noch fragen, meine Liebe? Er hat Geld und Einfluss im Übermaß und sie hat nichts davon. Das scheint mir doch eine einfache Rechnung. Im Übrigen mag ihre äußere Erscheinung recht ansprechend sein, ihr Wesen dagegen ist es nicht im Geringsten. Die Dame, und ich benutze den Ausdruck nur sehr widerwillig, ist über alle Maßen gewöhnlich und vulgär.“

Fry hielt die Tür auf und ließ Carlyle eintreten. Falls den dreien bewusst sein sollte, dass ihr Gast sie gehört haben musste, schien es ihnen nicht viel auszumachen. Auch Montgomery störte sich längst nicht mehr an solchem Gerede. Er hatte schon so viel Schlimmeres gehört. Außerdem konnte er es den Leuten nicht verdenken, wenn sie skeptisch waren. Montgomery trat vor seine Auftraggeber und kreuzte die Handgelenke hinter seinem Rücken. „Ich könnte mir vorstellen, dass Sie einige Fragen an mich haben.“

„Wie kann man Geister fangen oder vertreiben, wenn man sie nicht berühren kann?“, wollte Sir Roger wissen.

„Berühren vielleicht nicht, aber es gibt einige Dinge, die ihnen tatsächlich unangenehm sind, und wenn man diese mithilfe der Dampfkraft um ein Vielfaches verstärkt, dann geschieht es nicht selten, dass die Geister Reißaus nehmen.“

„Und das funktioniert?“

„Sie wissen, dass es funktioniert, sonst hätten sie sich nicht an uns gewandt“, antwortete Montgomery lächelnd.

„Erklären Sie es mir trotzdem.“

„Wir treiben die Geister nicht mit Beschwörungen oder Gebeten aus, sondern mit Dampfkraft und Elektrizität. Beide Techniken mögen sich im Konkurrenzkampf befinden, aber wir nutzen sie einfach beide für unsere Zwecke. Außerdem bekämpfen wir nicht ausschließlich Geistererscheinungen. Es gibt auch Gegner in massiver physischer Erscheinung. Bei ihnen arbeiten wir mit ­normalen Stich- und Schusswaffen, mit Harpunen und religiösen Waffen.“

„Barbarisch!“, stöhnte Lady Ivanna.

„Sie sprechen von Kruzifixen und dergleichen?“, erkundigte sich ihr Mann.

„Wir sind für verschiedene Religionen gerüstet, aber Sie haben recht, Kreuze gehören dazu. Ebenso wie ein Weihwasser-Dampfstrahler. Aber gegen vorchristliche Geister hilft kein Kreuz. Wir besitzen auch eine dampfbetriebene Absaugglocke für gasförmige Erscheinungen. Sie leistet ganze Arbeit. Vielleicht werden Sie Gelegenheit haben, den Anblick zu genießen, wenn eine gas­förmige Erscheinung in die Länge gezogen wird und in dem unerbittlichen Schlund verschwindet.“

„Und was geschieht anschließend mit ihnen?“

„Sie werden in speziell versiegelten Glasbehältern aufbewahrt. Bei sehr niedrigen Temperaturen, wodurch manche der gasförmigen Wesen im Inneren kondensieren.“

Er klatschte in die Hände. „So, ich würde sagen, wir beginnen.“

Montgomery plante, die Geister in einem Raum zu isolieren, und wählte dazu die Bibliothek, da sie dort am häufigsten aufgetaucht waren. Gemeinsam mit zwei Helfern brachten die Carlyles ihre Ausrüstung herein.

Fry sah dem Aufbau skeptisch zu. „Ich hoffe, Sie werden keinen Schaden anrichten. Einige dieser Bücher sind unbezahlbar und der Rest auf andere Art sehr wertvoll.“

„Keine Sorge, Fry, wir hinterlassen einen Ort immer so, wie wir ihn vorgefunden haben.“

„Meistens jedenfalls“, sagte Victoria, die es reizte, den Butler zu provozieren.

„Wenn ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein kann, scheuen Sie sich nicht, nach mir zu klingeln.“

„Das werden wir tun.“

Sir Roger kam eilig schnaufend durch den Hauptflur. Er blieb keuchend vor ihnen stehen, aber kaum bekam er wieder ausreichend Atem, hatte er seine Zigarre zwischen den Lippen. Der ausgestoßene Rauch rundete das Bild ab. „Wie kommen Sie voran?“

„Unsere Ausrüstung ist aufgebaut.“

„Wie wollen Sie die Geister in die Falle locken?“, fragte er zwischen zwei Zügen.

„Wir brauchen einen Köder, deshalb müssen wir wissen, ob es einen Grund gibt, weshalb die Geister auftauchen“, erklärte Montgomery. „Es würde helfen, wenn wir wüssten, wer die Geister sind. Oder waren. Was wollen sie erreichen? Es ist offensichtlich, dass sie ein Ziel verfolgen, wir kennen es nur noch nicht. Wollen sie die Besitzer des Hauses bestrafen? Die einschlägige Literatur beschreibt viele Fälle, in denen die Geister der vorherigen Bewohner unliebsame Nachmieter vertreiben wollen oder versuchen, auf ungesühnte Verbrechen aufmerksam zu machen.“

„Mir ist nichts dergleichen bekannt“, antwortete Sir Roger schnell, und Montgomery wusste sofort, dass er log. Aber so lief es meistens ab. Ihre Kunden wollten ihre kleinen schmutzigen Geheimnisse so lange wie möglich bewahren, und erst, wenn es gar nicht mehr anders ging und die Lage aussichtslos geworden war, rückten sie mit der Wahrheit und den entscheidenden Details heraus. Die Carlyles hatten schon lange aufgehört, sich darüber zu ärgern, und gingen stattdessen immer davon aus, von ihren Kunden angelogen zu werden.

Sie trafen die letzten Vorbereitungen für ihre Geisterfalle, und Sir Roger wich ihnen dabei nicht von der Seite. Er berichtete von seinem Ritterschlag, und Victoria legte ihm im Gegenzug ihre Haltung zur Monarchie dar. Die beiden würden niemals Freunde werden.

„Die meisten ehrwürdigen Häuser haben Leichen im Keller“, stichelte Victoria.