Der Butler 11: Tod dem Butler - Andreas Zwengel - E-Book

Der Butler 11: Tod dem Butler E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

In Hamburg entgeht der Butler knapp mehreren Anschlägen und gerät in die Gewalt eines Unbekannten, der seinen Tod wünscht. In seinem Kellergefängnis versucht der Butler herauszubekommen, wer noch eine Rechnung mit ihm offen hat.Dazu muss er sich mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzen und den Feinden, die er sich geschaffen hat. Nach dem spurlosen Verschwinden ihres Butlers begibt sich Lady Marbely auf die Suche nach ihrem treuen Gefährten. Sie ahnt, dass ihr nicht viel Zeit bleibt, um ihn zu finden.

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DER BUTLERBand 11

In dieser Reihe bisher erschienen:

2401 J. J. Preyer Die Erbin

2402 J. J. Preyer Das Rungholt-Rätsel

2403 Curd Cornelius Das Mädchen

2404 Curd Cornelius Die Puppe

2405 Andreas Zwengel Die Insel

2406 Andreas Zwengel Die Bedrohung

2407 Andreas Zwengel Teneriffa-Voodoo

2408 Andreas Zwengel Das Haus Etheridge

2409 Andreas Zwengel Die Jäger

2410 Andreas Zwengel Die sieben Aufgaben

2411 Andreas Zwengel Tod dem Butler

2412 Andreas Zwengel Alte Schule

2413 Andreas Zwengel Dirty Old Town

Andreas Zwengel

TOD DEM BUTLER

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckNach einer Idee von Jörg KaegelmannRedaktion: Andreas ZwengelLektorat: Dr. Richard WernerTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-515-9Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Der Butler beschäftigte seinen nimmermüden Geist mit Überlegungen zu seinem ­neuesten Fall, während er mit weit ausholenden ­Schritten die engen Gassen Hamburgs durchquerte. Dieses Mal war er sein eigener Klient, denn die Frage, die momentan seine gesamten logischen und deduktiven Fähigkeiten in Anspruch nahm, lautete: Wer ­versuchte gerade, ihn zu töten?

Seit er das Nobelhotel zwischen Alsterfleet und Bleichen­fleet verlassen hatte, war er sich beobachtet vorgekommen. Inzwischen lag es gerade mal zehn Minuten zurück, seit er einem Anschlag entgangen war. Schlampig ausgeführt, aber nichtsdestotrotz um ein Haar erfolgreich. Das Geschoss hatte einen jungen Mann getroffen, der dem Butler entgegengekommen war und kurz vor ihm die Gehwegseite wechselte. Anstatt links an ihm vorüberzugehen, war der junge Mann nach rechts ausgewichen und dadurch zwischen den Butler und den Schützen geraten. Es musste sich um einen schallgedämpften Schuss gehandelt haben, denn es war nichts zu hören gewesen. Der Getroffene war noch zwei Schritte gegangen und dann zusammengebrochen. Unter anderen Umständen hätte der Butler sofort Erste Hilfe geleistet, doch er musste davon ausgehen, dass er das eigentliche Ziel war und der Attentäter es gleich noch einmal versuchen würde.

Wer wusste, dass der Butler sich in Hamburg aufhielt? Lady Marbely und er waren gestern recht spontan in die Hansestadt aufgebrochen. Sie befanden sich hier, weil Mylady eine neue Firma in ihr Imperium aufgenommen hatte. Ein Familienbetrieb, der vor dem Konkurs gestanden hatte und sich im Augenblick größter Not an die reichste Frau der Welt wandte. Nicht um Almosen zu erbetteln, sondern um ein seriöses, geschäftliches Angebot zu machen. Die finanziellen Probleme der Firma hatten zwei Gründe: Sie bezahlte ihren Angestellten gute Löhne und produzierte Qualität. Deshalb verpasste Lady Marbely der Firma eine gehörige Finanzspritze und beließ ansonsten alles beim Alten. Es gab keinen Grund, etwas an der Geschäftsleitung zu ändern. Diese Männer und Frauen wussten, was sie taten, und würden durch Myladys Starthilfe wieder auf die Beine kommen, ohne ihre Prinzipien und Standards aufgeben zu müssen.

Der Butler bezweifelte, dass der Anschlag auf ihn damit in Zusammenhang stand, denn das Geschäft war längst abgeschlossen. Er bog in eine Gasse zwischen zwei Häusern, die gerade breit genug für seine Schultern war. Dort konnte ihn niemand aus sicherer Entfernung erschießen, sondern musste dicht an ihn heran. Und in diesem Fall hatte der Butler ein Wörtchen mitzureden.

Er wartete ab. Momentan befand er sich außer Gefahr, hatte aber nicht zu viele Haken geschlagen, damit der Schütze an ihm dranbleiben konnte. Der Butler wollte nicht entkommen, sondern wissen, mit wem er es zu tun hatte, sonst würde er in nächster Zeit ständig mit einem weiteren Angriff rechnen müssen. Wenn er den Grund für den Angriff kannte, würde ihm das schon sehr ­weiterhelfen.

Der Butler überlegte, wer ihm wohl ans Leben wollte. Da kamen einige infrage. Vielleicht hatte es sich das Syndikat doch anders überlegt und Quiller sollte ihn als Mitwisser aus dem Weg räumen. Oder aber jemand wollte eines der Opfer rächen, die der Wettbewerb des Syndikats gefordert hatte.1

Möglich, dass jemand ihm und Mylady eine Verantwortung am Tod eines Familienmitgliedes gab, weil sie zu den wenigen Überlebenden gehört hatten. Es war auch vorstellbar, dass jemand versuchen könnte, über ihn oder Lady Marbely an das Syndikat heranzukommen. Doch da musste der Butler alle enttäuschen. Er kannte den Aufenthaltsort von Maxwell Quiller nicht und leider beschränkte sich sein gesamtes Wissen über das geheime Syndikat auf diesen einzelnen Mann.

Der Butler lehnte an einer Hauswand und lauschte in beide Richtungen der Gasse. Der Straßenverkehr war zu weit entfernt, um alle anderen Geräusche zu über­decken. Er hörte eilige Schritte, die immer wieder stockten. Zwei Männer, die ihn einholen wollten, aber an jedem Abzweig überlegen mussten, welchen Weg er wohl genommen hatte. Dabei diskutierten sie halblaut. Einer von ihnen war dafür, sich zu trennen, der andere wollte, dass sie zusammenblieben. Der erste gewann.

Hätte der Butler seine Glock 17C dabei, wäre er ihnen einfach entgegengetreten, aber so musste er etwas zurückhaltender vorgehen. Die beiden waren keine Profis, aber deswegen nicht ungefährlich. Der Butler machte nicht den Fehler, Leute mit mangelnder Ausbildung zu unterschätzen. Auch sie konnten unter den richtigen Umständen zur Bedrohung werden. Bei diesen beiden handelte es sich zweifellos um Einheimische. Das bedeutete auch, dass sie sich in dieser Umgebung wesentlich besser auskannten als er.

Der Butler hörte den ersten Gegner. Der bemühte sich, leise und gleichmäßig zu atmen, um nicht gehört zu werden, besaß aber nicht genug Kondition, um seinen letzten Spurt einfach wegzustecken. Der Butler konnte die Position seines schnaufenden Gegners so einfach bestimmen, als wäre er in der Lage, durch Hauswände zu sehen.

Die Pistole erschien zuerst um die Ecke. Der Butler ließ den Griff seines Regenschirms auf das Handgelenk schnellen. Mit einem Aufschrei öffnete der Mann seine Hand und ließ die Pistole fallen. Allerdings war der Verfolger härter im Nehmen, als erwartet. Trotz des Schmerzes schlug er ansatzlos mit seiner unverletzten Hand zu. Der Butler wich zurück, als sich die riesige Faust immer mehr seinem Gesicht näherte. Gleichzeitig senkte er den Kopf, sodass der Kerl anstatt des Kinns die metallausgekleidete Melone traf. Ein erneuter Schmerzensschrei und der Mann besaß nun zwei verletzte Hände. Dennoch war er noch immer nicht außer Gefecht. Er versuchte, den Butler mit seinen kräftigen Armen zu umschlingen, um ihn wenigstens so lange festzuhalten, bis sein Partner eintraf. Seine Kraft dürfte sogar ausreichen, um dem hageren Kerl ein paar Rippen zu brechen.

Der Butler wollte es nicht darauf ankommen lassen und stieß dem Mann seinen Schirmgriff von unten gegen das Kinn. Der Schläger hielt dadurch in seinem Angriff inne, was dem Butler die Gelegenheit gab, seine Melone abzunehmen und seitlich gegen den Kopf des Mannes zu schmettern. Endlich ging er in die Knie.

Bevor der Butler ihn endgültig ausschalten konnte, ertönten die Schritte des zweiten Verfolgers, der sich schnell näherte. Rasch zog sich der Butler zurück, um eine bessere Gelegenheit abzuwarten. Einer seiner Gegner war zumindest angeschlagen, doch leider hatte sich nicht die Gelegenheit ergeben, ihn nach Hinweisen zu durchsuchen oder seine Pistole zu nehmen.

Die beiden Männer stritten kurz miteinander, dann setzte der zweite die Verfolgung fort, nachdem sein Kollege ihm die Richtung genannt hatte.

Der Butler beschleunigte seinen Schritt und hörte den Lärm der Stadt deutlicher. Er näherte sich wieder einer belebteren Straße. Eine Gasse mit mehreren Müll­containern führte direkt zu einer Ladenstraße. Er hatte sie noch nicht zur Hälfte durchquert, als eine Kugel über ihn hinwegpfiff. Sofort ging er hinter einem Container in Deckung. Die Gasse bot keine weitere Deckung, deshalb würde er ihr Ende nicht unversehrt erreichen. Zumal sich die Entfernung zwischen dem Schützen und ihm auch immer weiter verringerte. Mit dem Schirmgriff schlug er energisch gegen die Tür neben sich, die zu einem Lokal vorne an der Straße gehörte.

Nach dem zehnten oder elften Klopfen wurde die Hinter­tür von einem korpulenten Mann in schmutziger Kochmontur aufgerissen. In sehr lautem Spanisch erkundigte sich der Mann, ob sich der Butler geistiger Gesundheit erfreute, seine Eltern Geschwister gewesen waren oder er nur einfach zu viele Schnäpse zum Frühstück gehabt hatte.

Der Butler drängte sich an dem wütenden Mann vorbei in dessen Küche. Er hatte sie noch nicht ganz durchquert, als der Koch hinter ihm zu einer erneuten Schimpf­kanonade ansetzte, die aber schnell unterbrochen wurde, als der zweite Eindringling ihm eine Pistolenmündung ans Nasenloch drückte.

Der Butler konnte nicht riskieren, dass sein Verfolger auf ihn schoss, während er durch einen voll besetzten Gastraum rannte. Selbst bei einem Meisterschützen drohte die Gefahr, dass Unbeteiligte in die Schusslinie gerieten. Also bog der Butler ab und nahm die Treppe zum ersten Stock hinauf. Eine dicke Kordel sollte den Zugang zu diesem Bereich bis zum Mittagsbetrieb verwehren. Der Butler stieg über sie hinweg und eilte die Stufen hinauf.

Der Gastraum im ersten Stock bestand aus einem größeren Balkon, der das Erdgeschoss zur Hälfte überdeckte. Beides zusammen wurde von einer gläsernen Fassade eingeschlossen, die eine lichtdurchflutete Umgebung schuf. Der Butler lief weiter, doch die Treppe endete vor einer Tür, die aufs Dach führte und verschlossen war. Die benötigte Zeit, um das Schloss zu knacken, würde ihm sein Verfolger nicht zugestehen. Kurz entschlossen öffnete er das Fenster neben sich und kletterte nach draußen auf das Glasdach des Lokals. Er streckte sich flach darauf aus und suchte nach einer Möglichkeit, sicher nach unten zu gelangen. Viel Zeit blieb ihm nicht, denn sein Verfolger musste nur den Arm aus dem Fenster strecken, um ihn bequem erschießen zu können. Im Abstand von zwei Metern verliefen Träger unter dem Glas. Wenn er sich auf ihnen hielt, würde er bis zum äußersten Rand des Daches gelangen können. Vielleicht gab es auf der Vorderseite des Lokals etwas, das in der Lage war, seinen Sprung aufzufangen. Oder einen Baum, über den er nach unten klettern konnte.

Der Butler bemerkte eine Bewegung seitlich von ihm und drehte den Kopf. Neben ihm waren zwei Stiefel auf dem Dach aufgetaucht, aus denen zwei stämmige Beine in Tarnhose ragten. Er drehte seinen Oberkörper, um den Rest des Mannes zu sehen. Die hünenhafte Gestalt musste ansonsten recht Furcht einflößend wirken, aber in diesem Moment freute sich der Kerl zu sehr über die gelungene Überraschung und deshalb verzog ein breites Grinsen seine Schlägervisage.

„Einen schönen guten Morgen“, wünschte der Butler.

„Nich mehr lange“, nuschelte der Schläger und stieß die geballte rechte Faust in seine linke Handfläche. Die Pistole steckte in seinem Hosenbund. Nach der ganzen Rennerei wollte er sich wohl nicht auf Hilfsmittel verlassen, um den Butler seinen Unmut über die anstrengende Verfolgungsjagd spüren zu lassen.

„Gehe ich recht in der Annahme, dass sich Ihr Kampfgewicht auf über 220 Pfund beläuft?“

„Häh?“

„Ein stattlicher Mann wie sie bringt doch sicher so einiges auf die Waage.“

„Wieso’n willst’n das wissen?“

„Eine Frage der Statik.“

Ein durchdringendes Knirschen ließ den Mann nach unten blicken, wo das Glasdach Risse bekam wie ein zugefrorener See. Der Butler tippte sich zum Abschied an seine Melone, dann gab das Dach unter ihnen nach. Während der Schläger mit lautem Gebrüll nach unten stürzte, hakte der Butler den gebogenen Griff seines Schirms in einen der tragenden Querträger und hielt sich mit beiden Händen an seinem Regenschirm fest.

Unten im Lokal gab es aufgeregte Schreie der Gäste, obwohl keiner von ihnen wusste, was genau geschehen war, denn sowohl das Glas des Daches als auch der durchgebrochene Mann waren auf dem leeren Balkon im ersten Stock gelandet. Der Butler sah den Mann ausgestreckt auf einem Tisch liegen und gegen die Bewusstlosigkeit kämpfen. Selbst wenn er nach dem Erwachen noch in der Lage sein sollte, die Verfolgung fortzusetzen, dürfte dieser Sturz seinen Eifer doch deutlich bremsen.

Mit einer Behändigkeit, die man dem Butler wegen seiner steifen Kleidung nicht zugetraut hätte, kletterte er zuerst auf das Vordach zurück und dann durch das Fenster wieder ins Treppenhaus.

Er verließ das Lokal durch den Vordereingang und zog sich sofort von der belebten Straße zurück, denn er wollte nicht noch einmal Unschuldige in Gefahr bringen. Jetzt galt es, so schnell wie möglich und gleichzeitig unbemerkt ins Hotel zurückzukehren. Immerhin bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass nicht nur er ein Ziel darstellte, sondern auch Lady Marbely. Er musste sie zumindest vorwarnen, wenn er sie schon nicht persönlich schützen konnte.

Der Butler zog sein iPhone aus der Innentasche seines Mantels, während er in die nächste Straße bog. Sein Daumen befand sich bereits über dem Kontakt-Icon, als er die Gestalt vor sich bemerkte. Es handelte sich nicht um den Verfolger, mit dem er bereits zu tun gehabt hatte, dazu war die Person zu schmächtig. Sie hob einen läng­lichen Gegenstand und richtete ihn auf den Butler. Was im ersten Moment wie ein Gewehr gewirkt hatte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ein Blasrohr. Der Butler verschwendete keinen Gedanken daran, wie surreal diese Situation gerade war, sondern reagierte. Er bog seinen Oberkörper gleichzeitig nach hinten und zur Seite. Im Fallen sah er die funkelnde Nadelspitze des Blasrohrpfeils über seine Brust hinwegsausen. Sobald er auf den Boden traf, musste er sofort aufstehen, bevor der Schütze nachladen konnte. Falls dieser eine neue Nadel zuerst in Gift eintauchen musste, würde er einen Moment dafür brauchen. Ein erfahrener Blasrohrschütze würde es nicht riskieren, sich versehentlich an einer bereits präparierten Nadel zu verletzen, damit ihm nicht seine eigene Waffe zum Verhängnis wurde.

Sekundenbruchteile bevor er auf den Boden traf, verspürte er einen leichten Schmerz, der sofort von dem wesentlich heftigeren Aufprall überdeckt wurde. Ein anderer Mann hätte vielleicht an eine Sinnestäuschung geglaubt, aber der Butler war zu jedem Zeitpunkt Herr über seine Empfindungen und konnte sehr genau differenzieren.

Er hatte es mit zwei Schützen zu tun, so lautete die simple Wahrheit. Der eine hatte sich auffällig verhalten, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hätte der Butler nicht einem zweifellos vergifteten Blasrohrpfeil ausweichen müssen, wäre ihm der zweite Schütze sicher nicht entgangen. Doch nun war es zu spät, über verpasste Gelegenheiten zu klagen. Außerdem entsprachen Selbstvorwürfe nicht seiner Mentalität. Er war seinen Verfolgern in die Falle gegangen und musste nun Gegen­maßnahmen ergreifen. Er bemühte sich, die ersten Symptome der Vergiftung zu erkennen, um dadurch auf das verwendete Gift und den drohenden Verlauf schließen zu können, aber so viel Zeit blieb ihm schon nicht mehr.

Als der Butler aufstehen wollte, verwandelten sich seine Beine in Kautschuk und wurden so elastisch wie weich gekochte Spaghetti. Er griff mit beiden Händen an die Gitterstäbe eines Geländers, um sich aufrecht zu halten. Schon bald würde die Lähmung auch seine Arme befallen. Er verspürte bereits eine Taubheit in den Finger­spitzen.

In erreichbarer Nähe gab es kein Versteck und er fand es würdelos, über den Boden zu kriechen. Diese Genugtuung gönnte er seinen Verfolgern nicht, zumal eine erfolgreiche Flucht ohnehin nicht zur Debatte stand.

Sie näherten sich aus zwei Richtungen und hatten es nicht eilig, weil sie um die zuverlässige Wirkung ihres Pfeilgiftes wussten. Der Butler ging davon aus, dass ihm nur noch etwas weniger als eine Minute blieb, bis sie ihn erreichten.

Kapitel 2

„Aufwachen!“, befahl eine elektronisch verzerrte Stimme.

Der Butler hob langsam den Kopf und blinzelte in einen grellen Scheinwerfer, der direkt auf sein Gesicht gerichtet war. Leichte Kopfschmerzen und Übelkeit erinnerten ihn an die unfreiwillige Ohnmacht.

Das Licht wurde etwas gedimmt und der Butler konnte endlich etwas erkennen. Nur in Hose und Unterhemd saß er auf einem Stuhl. Das raue Tau, mit dem er gefesselt war, kratzte unangenehm über die bloße Haut seiner Oberarme. Jemand hatte ihm seine Uniform ausgezogen, während er bewusstlos gewesen war. Auf einem zweiten Stuhl ihm gegenüber lagen sein Mantel, der Frack, sein Hemd und die Weste. An der Lehne hing sein Regenschirm und unter dem Stuhl standen seine Schuhe ordentlich nebeneinander.

Er bewegte probeweise seine Hände, aber er musste nicht einmal kräftig an den Fesseln rucken, um festzustellen, wie aussichtslos es war, sie lösen zu wollen. Die Knoten seiner Fesseln waren perfekt. Das dicke Seil saß eng genug, um ihn daran zu hindern, sich zu befreien, aber nicht so eng, um ihm das Blut abzuschnüren. War das ein Hinweis darauf, dass sein Entführer um seine körperliche Unversehrtheit besorgt war? Ging es nicht darum, ihn zu töten? Das wäre natürlich eine gute Nachricht. Auch für den jungen Mann, den sie zunächst an seiner Stelle mit dem Blasrohr getroffen hatten. Er dürfte inzwischen auch wieder aufgewacht sein. Es gab noch die Möglichkeit, dass der Unbekannte ihn gar nicht für sich selbst entführt hatte, sondern im Auftrag eines Dritten. In diesem Fall wollte er mit seiner rücksichtsvollen Fesselung und den Betäubungspfeilen wohl nur dafür sorgen, dass die Ware nicht beschädigt wurde. Was nach der Übergabe geschah, interessierte ihn nicht mehr.

Jemand wollte ihn ganz sicher an diesem Ort festhalten. Der Butler sah sich in dem Raum um. Er besaß die Sterilität eines Labors und das Ambiente eines mittelalterlichen Kerkers. Alles war kahl, glatt und abwaschbar. Wenn ein Raum Feindseligkeit ausstrahlen sollte, musste er aussehen wie dieser. Als Einrichtung gab es neben den beiden Stühlen nur ein Waschbecken und eine Campingtoilette in der Ecke. Knapp unter der Decke befand sich ein einzelnes vergittertes Fenster. Anhand der Position ging der Butler davon aus, dass er sich in einem Kellerraum befand. Die Auswahl des Verstecks verriet ebenfalls den Profi. Sie hielten sich noch innerhalb der Stadt auf, man hatte ihn also nicht sehr weit transportieren müssen. Trotzdem lag der Keller abgelegen genug, damit niemand zufällig vorbeikommen oder aus der Ferne die Rufe des Butlers vernehmen konnte.

Die Suche nach Hinweisen und Fluchtwegen dauerte nicht lange, denn es gab keine. Der Butler hatte sich mit seinem Gefängnis hinreichend vertraut gemacht, um zu wissen, dass er in der Falle saß. Wenn es ihm nicht gelingen sollte, sich durch das Gitter zu schlängeln oder durch den Abfluss des Waschbeckens zu spülen, blieb ihm nur die massive Tür, die wahrscheinlich mehrfach gesichert war, aber keine Schlösser auf der Innenseite besaß. Ohne Werkzeug gab es kein Entkommen. Wer sich so gut vorbereitete wie seine Entführer, scheiterte nicht daran, eine Schwachstelle bei der Gefängniszelle zu übersehen. Nein, dieser Keller war sicher. Genauso gut hätten sie ihn einzementieren können.

Nachdem der Butler sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, konnte er unter dem Scheinwerfer eine Kamera ausmachen. Er wurde also beobachtet. Und von den Lautsprechern hatte er auch schon eine Kostprobe bekommen.

„Können wir reden oder brauchst du noch einen Moment?“, erkundigte sich die verfremdete Stimme auf Englisch.

„Mit wem habe ich das zweifelhafte Vergnügen?“, fragte der Butler zurück.

„Diese Frage wird uns heute beschäftigen.“

„Sie sprechen in Rätseln. Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Person gekidnappt haben? Ich frage nur vorsichtshalber. Sie sind sich ganz sicher, dass hier keine Verwechslung vorliegt?“

„Oh, da bin ich mir ganz sicher“, antwortete die Stimme amüsiert. „Ich habe genau die Person vor mir, die ich haben wollte.“

Der Butler wurde neugierig, welchem Umstand er so viel Aufmerksamkeit zu verdanken hatte. Der Angriff auf ihn war wohl kaum ein Zufall gewesen und auch keine Verwechslung. Ganz offenbar galt die Aufmerksamkeit nicht Lady Marbely, sondern ausschließlich ihm. Natürlich könnte jemand versuchen, zuerst ihn aus dem Weg zu räumen, um bei Mylady freie Bahn zu haben, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass es sich hier um eine persönliche Angelegenheit handelte, die allein ihn betraf.