Der Butler 12: Alte Schule - Andreas Zwengel - E-Book

Der Butler 12: Alte Schule E-Book

Andreas Zwengel

0,0

Beschreibung

Lady Marbely und ihr treuer Butler James suchen Entspannung. Sie wollen eine Kreuzfahrt antreten. Doch eine banale Panne verhindert, dass sie rechtzeitig an Bord des Schiffes gelangen. Kurz darauf erhält die Reederei eine Lösegeldforderung.Unter den Passagieren befinden sich mehrere Entführer, die sich bisher nicht zu erkennen gegeben haben. Niemand an Bord weiß von der Entführung. Sollten die Behörden eingeschaltet werden, drohen die Gangster damit, das Schiff zu versenken.Lady Marbely erfährt, dass die Reederei ihr gehört, und denkt nicht daran, untätig abzuwarten. Gemeinsam mit dem Butler will sie unbemerkt an Bord des Kreuzfahrtschiffes gelangen, um die Entführer zu enttarnen und unschädlich zu machen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 180

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



DER BUTLERBand 12

In dieser Reihe bisher erschienen:

2401 J. J. Preyer Die Erbin

2402 J. J. Preyer Das Rungholt-Rätsel

2403 Curd Cornelius Das Mädchen

2404 Curd Cornelius Die Puppe

2405 Andreas Zwengel Die Insel

2406 Andreas Zwengel Die Bedrohung

2407 Andreas Zwengel Teneriffa-Voodoo

2408 Andreas Zwengel Das Haus Etheridge

2409 Andreas Zwengel Die Jäger

2410 Andreas Zwengel Die sieben Aufgaben

2411 Andreas Zwengel Tod dem Butler

2412 Andreas Zwengel Alte Schule

2413 Andreas Zwengel Dirty Old Town

Andreas Zwengel

ALTE SCHULE

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Str�aße 2a, 51570 WindeckNach einer Idee von Jörg KaegelmannRedaktion: Andreas ZwengelLektorat: Dr. Richard WernerTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-516-6Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Der Butler hielt mit einer Hand die Melone auf seinem Kopf fest, während das Taxi durch die Kurve rauschte. Im nächsten Moment musste der Fahrer eine Vollbremsung vollführen, weil vor ihnen ein Stauende auftauchte. Der Mann fluchte derbe und auch seinen beiden Fahrgästen lag so ­mancher Kraftausdruck auf der Zunge. Die Zeit wurde langsam knapp.

Hinter ihnen schloss der folgende Verkehr auf und kam ebenfalls zum Stehen. Der Butler drehte sich um und blickte aus dem Rückfenster, wo sich Autos auf vier Fahrspuren stauten. „Können wir diesen Stau umgehen?“, erkundigte er sich bei dem Fahrer.

„Wie soll das gehen, Chef? Wir sind mittendrin!“

Sie würden ihr Schiff verpassen. Es sei denn, ein Wunder geschah und alle anderen Verkehrsteilnehmer bildeten eine Gasse für sie. Aber damit war höchstens zu rechnen, wenn ihr Fahrer ein Blaulicht auf sein Dach zaubern konnte. Der Mann schien allerdings keine großen Ambitionen zu haben und rückte sich bereits für eine längere Wartezeit in seinem Sitz zurecht.

„Können Sie nicht einen anderen Weg nehmen? Es darf auch ein Umweg sein“, versuchte ihn Lady Marbely zu locken.

„Die einzige Richtung, die uns momentan noch offensteht, ist nach oben“, brummte der Fahrer. „Aber dafür sitzen Sie in der falschen Art Taxi. Und hundert Jahre zu früh.“

„Ich werde mir das Problem einmal ansehen“, sagte der Butler und öffnete die Tür.

„Soll ich Sie begleiten?“, fragte Lady Marbely. „Das ist sicher interessanter, als hier untätig herumzusitzen.“

„Moment mal, wenn Sie beide gehen, wer sagt mir dann, dass sie wiederkommen.“

„Glauben Sie, wir verschwinden einfach, ohne zu bezahlen?“

„Alles schon passiert.“

Lady Marbely zog ein paar Scheine aus ihrer Geldbörse. „Das sollte für die gesamte Fahrt reichen“, sagte sie. „Und noch für eine Rundreise um die ganze Stadt.“

„Nehmen Sie bitte in der Zwischenzeit keine anderen Fahrgäste an“, bat der Butler beim Aussteigen.

Der Taxifahrer quittierte den Scherz mit einer unwilligen Grimasse. Ein Stau war für ihn immer geschäftsschädigend und zermürbend.

Der Butler und Lady Marbely gingen zu beiden Seiten ihrer Autoreihe nach vorne, wo sie logischerweise die Ursache des Staus erwarteten. Sie rechneten natürlich nicht damit, ihn beheben zu können, sondern wollten nur eine ungefähre Einschätzung, mit welcher Verzögerung sie zu rechnen hatten. Ob es überhaupt lohnte, auf das Auflösen des Staus zu warten. Wenn er noch eine Stunde oder sogar noch länger anhielt, dann sollten sie besser auf öffentliche Verkehrsmittel ausweichen.

„Können Sie etwas sehen, James?“

„Leider ja“, antwortete der Butler. Er war auf die Mittel­leitplanke geklettert und sah ein ganzes Stück voraus einen Lkw, der auf die Seite gekippt war und seine Ladung gleichmäßig über beide Fahrtrichtungen verteilt hatte. „Das wird dauern.“

„Wir können nicht den ganzen Weg bis zum Hafen laufen“, sagte Lady Marbely. „Ich würde vorschlagen, die U-Bahn zu nehmen.“

Der Butler sprang wieder auf die Straße. „Ich sehe keine Station.“

„Vielleicht auch Bus oder Straßenbahn. Momentan wäre mir sogar eine Rikscha recht.“

„Glücklicherweise müssen wir unser Gepäck nicht mit uns herumschleppen.“

„Richtig, aber wenn wir das Schiff nicht erreichen, wird es ohne uns nach New York fahren.“

Der Butler schüttelte entschieden den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich habe schon zu lange die Gastfreundlichkeit dieser Stadt genossen.“

„Ach, kommen Sie schon, außer diesem Keller, in dem man Sie festgehalten hat, haben Sie doch nicht viel von Hamburg gesehen.“1

Nach seiner Entführung waren sie in Hamburg geblieben, um auf die Abfahrt ihres Schiffes zu warten. Nach dem unfreiwilligen Ausflug in seine Vergangenheit konnte der Butler gut etwas Urlaub gebrauchen und die nächsten zwei Wochen an Bord sollten auch ihm ausreichend Gelegenheit zum Ausspannen bieten. Auf dem Schiff gab es so viele Angebote, dass man überhaupt nicht alle wahrnehmen konnte. Sie würden die nörd­liche Route nehmen. Nach Island und anschließend südlich von Grönland über den Atlantik nach Neufundland.

„Man könnte annehmen, dass es Ihnen wichtiger ist, das Schiff rechtzeitig zu erreichen, als mir“, sagte Lady Marbely über ein Autodach zwischen ihnen hinweg.

„Sagen wir doch einfach, dass wir uns beide sehr auf diese Reise freuen“, erwiderte der Butler, während er seinen hochgereckten Kopf suchend in alle Richtungen drehte. „Dort entlang!“

Sie gaben dem Taxifahrer durch Handzeichen zu verstehen, dass sie sich alleine durchschlagen würden, dann führte der Butler seine Arbeitgeberin zu einer Treppe, die zu einer Fußgängerüberführung hinaufführte. Wo es Fußgänger gab, gab es auch öffentliche Verkehrsmittel. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal und sprach oben eine junge Frau an, um den schnellsten Weg zur nächsten U-Bahn-Station zu erfragen. Bis Lady Marbely ihn eingeholt hatte, kannte er bereits den Weg.

Dieses Prinzip behielten sie bei. Bis Lady Marbely in verträglichem Tempo die Station erreichte, hatte der Butler bereits die Fahrpläne studiert und kannte den richtigen Weg. Auf dem Bahnsteig angekommen, stand der Butler in der offenen Tür des Wagens, um sie für Lady Marbely zu blockieren. Die Fahrkarten steckten in der Tasche seines Frackrocks. Lady Marbely trat an ihm vorbei in den Wagen und ließ sich schwer atmend auf eine Sitzbank nieder. „Ich hatte eigentlich keinen Abenteuerurlaub im Sinn. Vor allem nicht, bevor der richtige Urlaub beginnt.“

„Ein letztes Hindernis vor zwei Wochen Entspannung“, sagte der Butler.

„Richtig, aber vor unserer Ankunft müssen wir noch einmal den Terminplan durchgehen. Ich muss meine Ansprachen üben und mit allen Geschäftsführern im ­Vorfeld wenigstens ein kurzes Telefongespräch führen. Ich nehme an, Ihre Aufgaben sind bereits alle erledigt?“

Der Butler nickte lächelnd.

„Die Alte hat ihren Alten ja ganz schön unter der Fuchtel“, kommentierte eine hohntriefende Stimme von der Seite. Der Butler und Lady Marbely wandten ihre Köpfe und sahen zwei Fußballfans in vollem Ornament, die sich jeweils mit einer Hand an den Haltestangen hielten und mit der anderen an einer Bierdose.

„Ein Trauerspiel“, bestätigte der zweite Fan und wischte sich die Nase an seinem Ärmel ab. Die beiden waren höchstens Ende zwanzig, gaben sich aber bereits wie viel ältere Männer. Der eine trug einen Schnauzbart, der selbst in den Achtzigern als unmodern bezeichnet worden wäre, und der andere hatte die Haare zu einem Borstenschnitt gekürzt, den nur zwei Millimeter von einer Glatze trennten. Die beiden schienen schon kräftig gezecht zu haben, denn sie folgten jeder Bewegung der U-Bahn sehr nachgiebig. Breit grinsend betrachteten sie das seltsame Paar vor sich, ohne zu erkennen, dass sie selbst ein solches abgaben.

„Mann, wenn meine Frau so mit mir reden würde“, sagte Schnauzbart. „Der würde ich aber sofort eine einschenken.“

Lady Marbely wandte sich an den Mann. „Was ist Ihr Problem?“

„Ich bevorzuge Frauen, die ihren Platz kennen“, sagte Schnauzbart und nahm einen tiefen Schluck aus seiner Bierdose.

Lady Marbely hob eine Augenbraue. „Einen solchen Spruch hätte ich eher von einem viel älteren Mann erwartet.“

Der Fußballfan zuckte mit den Achseln. „In meiner Familie waren wir schon immer eher konservativ.“

„Konservativ ist nicht gleichbedeutend mit rückständig, engstirnig und ignorant. Jedenfalls nicht immer.“

„Auch noch eine Emanze“, stöhnte die Fast-Glatze.

Lady Marbely lächelte nachsichtig. „Aber weshalb sollte mir daran gelegen sein, die Meinung von zwei verwöhnten und überheblichen Machos zu ändern, die ihre Mütter als kleinen Prinzen verhätschelt haben und die nun alle Frauen für ihr Personal halten? Sie dürfen gerne weiter glauben, was Sie wollen. Mir tun nur die Frauen in Ihren Leben leid, die sich das bieten lassen müssen. Aus welchen Gründen auch immer.“

Schnauzbart wurde erst blass, dann feuerrot. Er formte in Gedanken Antworten, hielt aber keine für ausreichend, um seine Empörung auszudrücken. Man sah ihm an, dass er Lady Marbely am liebsten geschlagen hätte und es nur deshalb nicht tat, weil er fürchtete, deshalb das Ansehen seines Begleiters zu verlieren. Aus keinem anderen Grund.

Vielleicht noch den einen Grund: Er bemerkte den Blick des Butlers, der ihm deutlich verriet, was ihm blühte, wenn er es wagen sollte, seine Hand gegen die alte Dame zu erheben.

Sein Kumpan hatte den warnenden Blick ebenfalls bemerkt, hielt den älteren Mann aber dummerweise für harmlos. Er trat neben den Butler und äffte ihn nach, seine Haltung, seine Sprache und auch seinen Gesichtsausdruck.

„Ist hier eigentlich ein Maskenball?“, spottete Fast-Glatze.

Der Butler musterte die Aufmachung des Mannes: Strickmütze, Fan-Schal, Vereinstrikot und eine passende Flagge wie ein Superhelden-Cape um die Schultern gebunden. „Sehr interessant, dass ausgerechnet Sie eine solche Frage stellen.“

„Wir sind gerade etwas in Eile“, versuchte Lady Marbely an die Vernunft ihrer Gesprächspartner zu appellieren. Der Butler hatte bereits begriffen, dass dies ein sinnloses Unterfangen war, aber er hatte in seinem Leben auch schon wesentlich mehr negative Erfahrungen mit Menschen gemacht. Allerdings betrachtete er es auch als seine Aufgabe, Lady Marbely vor solchen Erfahrungen zu bewahren.

„Sie sollten sich nicht zwischen meinen Butler und dieses Schiff stellen“, warnte Lady Marbely.

Der Butler seufzte und bedauerte es bereits, seine Vorfreude auf die Reise zugegeben zu haben. Selbst wenn es nur indirekt geschehen war.

Fast-Glatze trat dicht neben den Butler und versetzte der Melone einen Klaps, um sie ihm vom Kopf zu stoßen. Doch direkt nach einem hellen Klang stieß der Mann einen Schmerzenslaut aus und umfasste die betroffenen Finger mit seiner unversehrten Hand. „Woraus ist das verdammte Ding gemacht?“

Lady Marbely stemmte die Hände in die Hüften und baute sich vor den beiden Fußballfans auf. „Ihr Benehmen ist wirklich unmöglich.“

Schnauzbart lachte auf. „Und was wollen Sie dagegen tun?“

„Unsere Mütter anrufen?“, fragte Fast-Glatze und stieß seinen Kumpel mit dem Ellenbogen an.

„Das würde ich tatsächlich tun, wenn die geringste Aussicht auf einen Nutzen bestände“, sagte Lady Marbely.

Der Butler hatte seine Melone aufgehoben und wischte sie sauber. „Mylady, ich denke, wir sollten hier aus­steigen. Diese Herren sind offenbar nicht in der Verfassung für eine einfache Unterhaltung.“ Er ergriff Lady Marbely am Oberarm und führte sie zur Tür, während die U-Bahn in die Station einfuhr.

„Was soll das denn heißen?“, brauste Schnauzbart auf.

Sein Begleiter war kaum weniger empört. „Schön hiergeblieben, das klären wir jetzt mal unter Männern, du Pinsel.“

Die beiden marschierten gleichzeitig los, kamen aber nicht weit. Mitten im Lauf wurde ihnen ein Bein weggezogen und sie landeten auf dem Boden. Überrascht blickten sie zurück und sahen das dünne Nylonseil, das jeweils um einen ihrer Knöchel gebunden war und hinter einer der deckenhohen Haltestangen entlangführte. Keiner von ihnen hatte den Butler im Auge behalten, als er seine Melone aufhob. Nun sahen sie vom Boden aus, wie er sich draußen zum Abschied an die Melone tippte. Dann schlossen sich die Türen und die U-Bahn setzte sich wieder in Bewegung.

Lady Marbely und der Butler stiegen die Stufen nach oben und traten an die Straße. Nirgendwo war ein Taxi in Sicht. „Ich könnte uns ein Uber rufen“, schlug der Butler vor.

„Da vorne ist eine Bushaltestelle.“

Gemeinsam gingen sie zu dem Glashäuschen. Der Butler studierte den Fahrplan. „Der nächste Bus kommt erst in zehn Minuten, wir müssten einmal umsteigen.“

Sie sah auf ihre Uhr. „Das wird sehr knapp werden.“

„Optimistisch ausgedrückt.“

„Da kommt ein Taxi!“, rief Lady Marbely plötzlich.

Der Butler trat auf die Straße, hob seinen Schirm und winkte damit in der Luft, um auf sich aufmerksam zu machen. Er erkannte den Fahrer im selben Moment, als dieser sie beide erkannte. Seine Miene verfinsterte sich und dann gab er Gas. Trotz der großzügigen Entlohnung schien er es ihnen nachzutragen, dass sie ihn im Stau hatten sitzen lassen. Das Taxi sauste an ihnen vorbei und der Fahrer zeigte ihnen den Mittelfinger. Offenbar hatte sich der Stau inzwischen aufgelöst und die Straße war wieder frei.

Lady Marbely und der Butler sahen dem davonfahrenden Fahrzeug nach.

„Das ist aber nicht besonders nett von ihm“, beschwerte sich Lady Marbely. „Immerhin haben wir ihm den kompletten Fahrpreis gezahlt.“

„Ich stimme Ihnen zu, dass eine solche Obszönität weder angemessen noch gerechtfertigt ist.“

Sie winkte ab. „Keine Sorge, ich bin nicht so zart­besaitet, dass mich ein erhobener Mittelfinger verstören könnte.“

Sie warteten auf den Bus, und als er endlich eintraf, stiegen sie ein. Als sie den Umsteigebahnhof erreichten, war ihre Linie gerade abgefahren und sie mussten auf den nächsten Bus warten. Der kam zwar nur fünf Minuten später, aber inzwischen zählte jede Minute.

Bereits nach wenigen Hundert Metern musste der Bus in einem weiteren Stau halten. „Wo kommen bloß die ganzen Autos her?“, fragte Lady Marbely ermüdet.

Der Mann vor ihnen drehte sich zu ihnen um. „Auf der Umgehung hat es einen Unfall gegeben, bei dem ein Lkw umgekippt ist. Da herrscht Vollsperrung. Jetzt schlägt sich jeder auf eigene Faust durch und die meisten wählen diese Straße.“

Als der Bus die nächste Haltestelle ansteuerte, erhob sich Lady Marbely, um auszusteigen.

„Ich besorge uns jetzt ein Fahrzeug, selbst wenn das bedeutet, dass ich jemandem sein Auto abkaufen muss.“

Ganz so teuer wurde es dann doch nicht. Der Butler hatte eine Strecke ergoogelt, die staufrei bis zum Hafen führte. Dazu mussten sie nur ein Stück zu Fuß gehen, um in eine Parallelstraße zu gelangen. Dort überzeugte Lady Marbely einen jungen Mann durch eine beträchtliche Spende dazu, sie zum Hafen zu bringen.

Sie ließ sich in die Polster des Rücksitzes sinken. „Von nun an möchte ich keinen Finger mehr rühren, bis wir in New York ankommen. Keinen Stress, keine Hetze und keine Aufregung.“

Als sie auf den Hafen zufuhren, sahen sie ihr Schiff. Es befand sich weit von der Anlage entfernt.

„Sie haben bereits abgelegt“, sagte der Butler zerknirscht.

Lady Marbely sah ihren Butler mit einem tröstenden Blick an. „Ich fürchte, Sie müssen jetzt ganz stark sein, denn wir haben unser Schiff verpasst. Nach allem, was wir bis hierhin durchstehen mussten. Die Welt ist wirklich nicht gerecht.“

Sie könnten ein Flugzeug nehmen und in neun Stunden an ihrem Ziel eintreffen, anstatt in zwei Wochen. Doch der Butler hatte die Weiterreise ab New York geplant, Termine mit den Firmen abgesprochen und Unterkünfte gebucht. Ohne die lange Seereise würde er alles verschieben und stornieren müssen oder das Programm sogar noch erweitern, um die fehlende Reisezeit zu füllen. Ihre Amerikareise diente nicht nur dem Vergnügen. Lady Marbely war auf dem Weg, zahlreiche Firmen in den Staaten zu besuchen, die zu ihrem ererbten Imperium gehörten. Es gab noch viele Orte, die auf einen Besuch der neuen Chefin warteten. Wahrscheinlich hatten die Leute dort nicht einmal den Vorbesitzer Jakob Aufhauser kennengelernt. Der deutsche Cousin von Lady Marbely, der ihr dieses gigantische Vermögen vererbte, obwohl sie ihn nicht besonders gut gekannt hatte. Sie selbst war kinderlos und besaß keinen direkten Erben, aber einige entfernte Verwandte, die sich gerne um diesen Posten beworben hätten. Sie stammten ausnahmslos von der Seite ihres ­verstorbenen Ehemanns Graham, auf der sich ausnehmend viele schwarze Schafe versammelten.

„Sie können es ruhig sagen“, sagte Lady Marbely.

„Wie meinen?“

„Sie haben mehrfach darauf gedrängt, früher das Hotel zu verlassen. Jetzt möchten Sie doch sicher so etwas sagen wie: Ich habe es ja gesagt.“

„Wieso das Offensichtliche aussprechen, Mylady. Ich werde Johann verständigen, damit er uns abholt und zum ersten Anlegehafen der Arthur-Curry bringt.“

„Er soll uns nach Reykjavik fliegen, wo das Schiff erst übermorgen eintrifft?“

„Das wäre die naheliegende Vorgehensweise.“

Lady Marbely schnaubte. „Mag sein, aber es gibt sicher noch einen anderen Weg. Folgen sie mir“, sagte sie und öffnete die Wagentür.

„Was haben Mylady vor?“, fragte der Butler beunruhigt, nachdem er sie eingeholt hatte.

„Ich werde jemanden mit der nötigen Befugnis darum bitten, dass uns Johann mit dem Hubschrauber auf der Arthur-Curry absetzt.“

„Wir könnten auch auf Island zusteigen.“

„Ich gedenke nicht, auch nur eine einzige Nacht auf dem Schiff zu verpassen.“ Sie wies auf das Gebäude der Reederei, auf das sie zusteuerte. „Deshalb gehe ich jetzt dort hinein und werde das Büro nicht eher verlassen, bis ich eine Landeerlaubnis bekommen habe.“

Kapitel 2

Die Büros der Reederei befanden sich nicht weit vom Hafen entfernt in einem gläsernen Gebäude, das einem Kreuzfahrtdampfer nicht unähnlich war. Der Butler fasste den Stangengriff der gläsernen Eingangstür und wollte sie aufziehen, als die Handtasche von Lady Marbely zu vibrieren begann. Sie kramte nach ihrem Handy und meldete sich.

Am anderen Ende war ihr langjähriger Vertrauter Sam Hamilton. „Es tut mir leid, Sie zu stören, Mylady, aber ich habe beunruhigende Nachrichten erhalten.“

„Stören Sie nur, ich habe Zeit. Wir haben nämlich gerade unser Schiff verpasst.“

Hamilton atmete auf. „Sie sind nicht an Bord? Gott sei Dank.“

„Das ist aber nicht nett, ich hatte mich auf den Urlaub gefreut. Und James ebenfalls. Aber ich gedenke, trotzdem an Bord zu kommen. Notfalls werde ich das Schiff kaufen.“

„Sie wissen es nicht, oder?“, erkundigte sich Hamilton.

„Was weiß ich nicht?“

„Na, das Schiff?“

Sie wurde ungeduldig. „Was ist mit dem Schiff?“

„Es gehört Ihnen bereits. Sie sind Miteigentümerin der Reederei.“

Lady Marbely lachte auf. „Es lohnt sich also doch, sein Kapital breit zu streuen. Aber wenn ich endlich einen Überblick über alle Firmen hätte, an denen ich beteiligt bin, wäre es wohl in diesem Fall nicht nötig gewesen, Fahrkarten zu kaufen. Tja, immerhin wird es wohl keine Probleme geben, eine Landegenehmigung zu erhalten.“

„Besser nicht, Mylady“, sagte Sam Hamilton eilig. „Es ist nur momentan nicht sehr empfehlenswert, auf der Arthur-Curry zu sein.“

„Sie machen mich neugierig“, sagte Lady Marbely und wandte sich vom Eingang ab. Der Butler ließ den Türgriff wieder los und folgte ihr in diskretem Abstand.

Nach einigen Minuten beendete sie das Gespräch und wandte sich an ihren Butler. „Die Arthur-Curry wurde entführt.“

Der Butler blickte zum Horizont, wo sich der Kreuzfahrtriese noch deutlich abzeichnete. „Schon? Das Schiff hat den Hafen gerade erst verlassen.“

„Und im selben Moment ging die Forderung bei der Reederei ein. Sam Hamilton wurde sofort verständigt, weil mir wohl ein beträchtlicher Teil von all dem hier gehört.“

„Und deshalb beabsichtigen Sie auch nicht, sich zurückzuziehen und die Angelegenheit der Polizei zu überlassen“, stellte der Butler fest.

„Nun, zumindest möchte ich gerne erfahren, was die zuständigen Leute hier zu tun beabsichtigen, um mein Eigentum unbeschadet zurückzubekommen.“

Lady Marbely betrat das Gebäude und blieb nicht eher stehen, bis sie die Chefetage erreicht hatte. Die Empfangsdame telefonierte mit Sekretärinnen und ­Assistentinnen, um den Weg für sie freizumachen. Als Lady Marbely im obersten Stockwerk aus dem Aufzug trat, wurde sie bereits empfangen und in einen Konferenzraum geführt, in dem drei Männer und eine Frau auf sie warteten.

„Mein Name ist Amanda Marbely. Ich bin sowohl Passagierin der Arthur-Curry als auch Miteigentümerin dieser Reederei.“

Der Butler beobachtete amüsiert den Stimmungsumschwung in dem Konferenzraum. Eine Minute später hatte man Lady Marbely einen Platz angeboten und ihr diverse Getränke angeboten.

„Ulrich Hartmann“, stellte sich ein weißhaariger Mann mit Sonnenbräune vor, der auch sofort eine Fernseh­karriere als Traumschiff-Kapitän beginnen könnte. „Dies sind Regina Herbst, die Enkelin des Gründers, sowie meine Kollegen Hans Drümmer und David Sumit. Es freut uns sehr, endlich eine unsere wichtigsten Teil­haberinnen kennenzulernen. Auch wenn Ihr Besuch sehr überraschend kommt und zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt.“

„Um ganz ehrlich zu sein, dieses Treffen wäre nicht zustande gekommen, wenn ich rechtzeitig an Bord gewesen wäre. Aber ich wurde über die aktuelle Krisen­situation informiert und möchte meine Hilfe anbieten“, sagte Lady Marbely.

Ulrich Hartmann wechselte einen erstaunten Blick mit seinen Kollegen. „Wie haben Sie davon erfahren, Mylady? Niemand außer uns vieren weiß bisher davon.“

„Ich habe fähige Mitarbeiter, deren Aufgabe es ist, mich auf dem Laufenden zu halten.“

„Soll das bedeuten, Sie haben Spitzel in unserer Firma?“, fragte Regina Herbst spitz. Die Frau machte eigentlich einen freundlichen Eindruck, aber momentan war sie wie alle anderen ziemlich angespannt.

„Bisher weiß ich nur, dass die Arthur-Curry entführt wurde. Bringen Sie mich bitte auf den neuesten Stand“, verlangte Lady Marbely. „Was planen diese Leute? Wollen Sie ein Lösegeld erpressen?“

Hartmann zuckte mit den Schultern. „Das wissen wir noch nicht, bisher erhielten wir nur die Nachricht, dass sich das Schiff in fremder Hand befindet. Mehr nicht.“

„Wie bekamen Sie diese Nachricht?“, erkundigte sich der Butler.

Hartmann sah ihn überrascht an, als bemerke er seine Anwesenheit erst in diesem Augenblick. „Die Mitteilung kam per E-Mail direkt an unser Büro hier. Darin stand nur, dass der Absender die Arthur-Curry in seiner Gewalt habe und wir niemanden darüber informieren dürfen. Das schließt die Besatzung des Schiffes mit ein.“

„Keine Namen, Drohungen oder Forderungen?“, fragte Lady Marbely.

Hartmann schüttelte den Kopf.

„Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass es sich um einen Scherz handelt“, mischte sich David Sumit ein. Sein britischer Akzent war deutlich herauszuhören.

Hans Drümmer schien eine ähnliche Theorie zu haben. „Oder einen Bluff. Der Erpresser versucht, die Reederei zu erpressen, obwohl er nichts in der Hand hat und keine Möglichkeit besitzt, dem Schiff zu schaden.“

„Aber dieses Risiko können wir nicht eingehen“, wehrte Hartmann ab. „Wenn es kein Bluff ist ... ich wage es mir kaum auszumalen.“

„Er muss Verbündete an Bord haben, wenn er etwas ausrichten will. Diese Verbündeten müssen wir finden“, sagte Regina Herbst.

Drümmer schnaubte. „Und wenn er einfach nur Bomben an Bord hat? Dann braucht er keine Helfer, sondern nur einen Zündknopf.“