Der Butler 13: Dirty Old Town - Andreas Zwengel - E-Book

Der Butler 13: Dirty Old Town E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Desert Plains ist ein abgelegenes Dörfchen in Arizona. Fernab der Zivilisation haben sich dort einige Aussteiger und Exzentriker niedergelassen. Eines Tages trifft eine junge Frau ein, die angeblich nur nach Ruhe sucht. In Wahrheit ist sie auf der Flucht. Und dies ist nicht ihr einziges Geheimnis.Bald kommen zahlreiche weitere Besucher in die Ortschaft, darunter auch eine englische Lady und ein Butler mit ihrem Luxuswohnmobil. In Desert Plains ist es mit der Ruhe vorbei.

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DER BUTLERBand 13

In dieser Reihe bisher erschienen:

2401 J. J. Preyer Die Erbin

2402 J. J. Preyer Das Rungholt-Rätsel

2403 Curd Cornelius Das Mädchen

2404 Curd Cornelius Die Puppe

2405 Andreas Zwengel Die Insel

2406 Andreas Zwengel Die Bedrohung

2407 Andreas Zwengel Teneriffa-Voodoo

2408 Andreas Zwengel Das Haus Etheridge

2409 Andreas Zwengel Die Jäger

2410 Andreas Zwengel Die sieben Aufgaben

2411 Andreas Zwengel Tod dem Butler

2412 Andreas Zwengel Alte Schule

2413 Andreas Zwengel Dirty Old Town

Andreas Zwengel

DIRTY OLD TOWN

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckNach einer Idee von Jörg KaegelmannRedaktion: Andreas ZwengelLektorat: Dr. Richard WernerTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-517-3Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Kapitel 1

Der kleine Privatflugplatz lag fünf Meilen von Phoenix, Arizona, entfernt, nahe der ­Interstate 10. Wer nichts von seiner Existenz wusste, musste sich sehr anstrengen, um in dem alten Gebäude und der winzigen, asphaltierten Fläche einen ­Hubschrauberlandeplatz zu erkennen.

Die junge Frau mit dem weißblonden Haar und dem grünen Sommerkleid schirmte ihre Augen mit der Hand vor dem grellen Sonnenlicht ab und blickte über das Flugfeld. Es war früher Nachmittag und sie konnte weit und breit niemanden entdecken. Der Taxifahrer, der sie gebracht hatte, hupte zum Abschied. Sie drehte sich herum und überlegte, ob sie ihn zum Warten auffordern sollte. Dabei verrutschte der Ledergurt, den sie unter ihrem Kleid trug, und schabte schmerzhaft über ihre Haut. Sie schob ihn rasch in die ursprüngliche Position zurück, obwohl niemand da war, der ihn hätte bemerken können. Selbst wenn jemandem die leichten Wölbungen an ihren Hüften aufgefallen wären, hätte derjenige eher an kleine Fettpölsterchen gedacht.

Sie hatte mittlerweile annähernd 2.000 Meilen zurückgelegt und bisher war alles gut gegangen. Allerdings sah es im Moment nicht so aus, als würde es von hier aus bald weitergehen. Sie stand allein auf einem verlassenen Landefeld. Die einzigen Geräusche, die zu hören waren, kamen von den Autos, die in einiger Entfernung über den Highway brausten.

Ein Blick auf ihre Armbanduhr bestätigte ihr, dass sie pünktlich war. Aber wo blieb der Hubschrauber? Die Hitze trieb ihr den Schweiß aus allen Poren und das Kleid begann, an ihrem Körper zu kleben. Entschlossen griff sie ihren Koffer und marschierte auf die Halle zu, die etwas Schatten versprach.

Die Eingangstür war unverschlossen, also trat sie ein. Ein kühler Luftschwall kam ihr entgegen. In der Halle herrschten angenehme Temperaturen, doch das ungute Gefühl in ihrem Magen wurde wieder stärker. Kein Hubschrauber, nicht einmal Werkzeug gab es zu sehen. Der Hangar war völlig leer. Für einen Moment war sie wie benommen. Sollte sie jetzt scheitern, weil sich diese unbedeutende Flugfirma als eine Scheinadresse entpuppte? Hatte sie sich von irgendeinem kleinen Betrüger hereinlegen lassen? Das ständige Gefühl der Bedrohung, das sie während der bisherigen Reise nicht hatte zur Ruhe kommen lassen, drohte sich nun in Wut zu verwandeln. Am liebsten hätte sie angefangen zu schreien, aber das würde auch nichts ändern. Sie saß fest.

„Was tun Sie hier?“

Sie zuckte erschrocken zusammen und drehte sich zu dem Mann um, der sie überraschend angesprochen hatte. Er stand kaum drei Meter von ihr entfernt und trug einen ölverschmierten Overall. Dem Aussehen nach war er Mexikaner, seiner Kleidung nach Mechaniker. Das gab Anlass zur Hoffnung.

„Sind Sie Mister Schroeder?“

Er sah sie amüsiert an, seine Mundwinkel zuckten leicht. „Sie wollen zu Schroeder? Das wird noch etwas dauern, bis er kommt.“

„Er ist aber schon auf den Weg hierher?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Wer weiß das schon. Er ist nicht gerade für seine Zuverlässigkeit bekannt.“ Der Mann kramte eine ­Schachtel Zigaretten aus der Brusttasche seines Overalls. Er steckte sich eine in den Mund und hielt ihr dann auffordernd die Schachtel hin. Sie griff dankbar zu und nahm mit zitternden Fingern eine Zigarette heraus. Eigentlich hatte sie aufgehört zu rauchen, aber inzwischen brauchte sie etwas, um ihre Nerven zu beruhigen.

Er musterte sie, als er ihr Feuer gab. „Nervös?“, fragte er scheinbar gleichgültig.

Sie hustete. Verdammt, war das so offensichtlich? „Nein, nein“, beteuerte sie eilig. „Wie kommen Sie darauf?“

Er zuckte mit den Schultern. „Nur so ein Gedanke.“

Sie schwiegen und rauchten. Ihr wurde die Ruhe unangenehm. „Sie arbeiten also für Mister Schroeder“, sagte sie, nur um die Stille zu unterbrechen. Doch sie bereute es schon eine Sekunde später.

Er sah sie an und seine Augen blitzten. „Für diesen Idioten?“, sagte er empört und warf die Zigarette auf den Boden. „Der kann froh sein, dass ich ihn noch hier bei mir landen lasse. Mit allen anderen hat er es sich nämlich schon verdorben.“

„Dann gehört Ihnen das Gelände?“

Er nickte. „Ich bin Carlos.“

„Cathy“, antwortete sie automatisch und ärgerte sich im nächsten Moment, dass sie ihm ihren richtigen Namen genannt hatte. „Ein schöner Platz“, lobte sie wenig überzeugend.

Der Anflug eines Lächelns umspielte das Gesicht des Mannes. „Was wollen Sie in dem Nest, Cathy?“

„Welchem Nest“, fragte sie erstaunt.

„In Desert Plains. Ich nehme doch an, dass er sie dorthin bringen soll.“

„Äh ja, nun, äh, mein Freund lebt dort, wir werden heiraten.“

In der Eile fiel ihr nichts Besseres ein. Sie hatte nicht mit der Frage gerechnet. Genau genommen hatte sie nicht damit gerechnet, überhaupt ein Gespräch führen zu müssen. Wo blieb dieser Schroeder?

Carlos nahm eine weitere Zigarette aus der Schachtel und zündete sie sich an, ohne ihr noch eine anzubieten. „Ein Freund? In Desert Plains? Soviel ich weiß, leben da nur Gauner und Verrückte, allen voran dieser Schroeder. Wie heißt ihr Freund, ich kenne die meisten Leute von dort.“

Na los, du wirst doch wohl den Namen deines Freundes kennen, spornte sich Cathy innerlich an. „Sein Name ist Tatum. Channing Tatum.“

Carlos überlegte. „Gehört habe ich den Namen schon mal. Wohnt ihr Freund schon länger in der Gegend?“

„Nein, er ist erst vor Kurzem zugezogen und hat eine Hütte im Ort gekauft, die er seitdem renoviert. Wir werden dort einziehen.“ Je mehr sie erzählte, desto leichter fiel ihr das Lügen. „Er hat mir geschrieben, wie nett die Leute sein sollen. Chany hat schon viele Freunde gefunden, und sie sind sehr neugierig auf mich.“

„Sind Sie sicher, dass Ihr Freund dieses Desert Plains meint? Normalerweise haben die Leute dort etwas gegen Fremde, und erst recht gegen welche, die auch noch ­bleiben wollen. Nicht, dass das viele wollten.“

Aus der Ferne war ein leises Geräusch zu hören, das sich aber deutlich vom Lärm der Autos unterschied. Die Rettung nahte.

„Das ist er“, sagte Carlos. „Ich werde mich dann mal wieder an die Arbeit machen. Schroeder und ich pflegen, uns aus dem Weg zu gehen. Viel Glück für die Zukunft. Wenn Sie meinen Rat hören wollen, überreden Sie Channing, mit Ihnen nach Chester zu ziehen. Der Ort besitzt wenigstens einen Hauch von Zivilisation.“

Cathy war erleichtert, dass er keine Zeit mehr hatte, sie weiter über ihren Freund auszufragen. Das Geräusch des näherkommenden Hubschraubers wurde immer lauter. Sie nahm ihren Koffer und trat ins Freie.

Der gewaltige Hubschrauber vom Typ S-618 kreiste einmal über dem Platz und sank dann langsam herab, bis die Räder den Boden berührten. Erst jetzt fiel ihr das Emblem auf der hinteren Seite der Maschine auf. Daneben stand in verblasster schwarzer Schrift: KÜST NWA HE DE VERE NI TEN TA TEN V N AME ICA. Einige Buchstaben fehlten, doch man konnte immer noch erkennen, dass es sich um einen Hubschrauber der Küsten­wache handelte. Cathy wusste nicht, was sie davon halten sollte, deshalb beschloss sie zu warten, bis der Pilot ausstieg.

Die schwingenden Rotorblätter wurden langsamer, und Cathy trat näher an die Maschine heran. Hinter dem Plexiglas der Kanzel konnte sie einen großen Mann erkennen, der gerade die Cockpittür entriegelte und seine langen Beine aus der Maschine schwang. Sie sah eine Kakihose, die in schwarzen Springerstiefeln steckte. Dann kam der Rest des Mannes zum Vorschein. Er war wirklich groß, mindestens einsneunzig, dafür aber unglaublich hager. Ein dünner Oberlippenbart verlieh seinem schmalen Gesicht eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Donald Sutherland. Nur, dass das Gesicht des Piloten weicher und weniger ernst wirkte.

Mit ausgebreiteten Armen kam er auf sie zu, und sie wich instinktiv zurück. „Sie sind Cathy Madigan“, sagte er voller Überzeugung und fasste sie sanft an den Schultern.

Cathy nickte.

„Ich bin Schroeder“, stellte er sich fröhlich vor.

„Angenehm, Mister Schroeder.“

„Lass den Mister ruhig weg, ich nenne dich dafür Cathy. Einverstanden?“

„Einverstanden.“

„Dann kann es ja losgehen“, sagte Schroeder und klatschte eifrig in die Hände. Er wies auf ihren Koffer. „Ist das dein ganzes Gepäck?“

„Ja, mehr brauche ich nicht.“

Schroeder hob den Koffer auf, trug ihn zur hinteren Einstiegsluke des Hubschraubers und stellte ihn hinein. Dann stieg er ins Cockpit und öffnete ihr von innen die Tür. Cathy kletterte auf den Platz des Kopiloten und schnallte sich sofort an.

„Du scheinst nicht viel von meinen Fähigkeiten zu halten“, bemerkte Schroeder ironisch.

„Man hat mich bereits vor dir gewarnt“, sagte Cathy.

„War es zufällig ein verbitterter Mexikaner namens Carlos? Wir gehen uns jetzt schon seit über drei Jahren erfolgreich aus dem Weg. Ich weiß überhaupt nicht mehr warum. Aber er weiß es mit Sicherheit noch, denn er ist der nachtragendste Mensch, den ich kenne. Ich muss ihn bei Gelegenheit einmal danach fragen.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du eine Antwort von ihm bekommst.“

„Das weiß man bei Carlos nie. Hinter seiner harten Schale steckt ein weiches Hirn“, sagte Schroeder und lachte. Die Rotoren begannen, wieder schneller zu ­kreisen, und das Motorengeräusch schwoll gleich­mäßig an.

„Außerdem hat er behauptet, in Desert Plains würden nur Gauner und Verrückte leben“, fuhr Cathy fort.

Schroeder grinste. „Wo Carlos recht hat, hat er recht.“

Cathy sah den Piloten von der Seite an. „Und zu welcher Kategorie zählst du dich?“

Er überlegte einen Moment. „Ich glaube, ich gehöre zu beiden.“

Der Motor hatte seine volle Leistung schnell erreicht und Schroeder zog am Steuerknüppel. Der Hub­schrauber hob langsam vom Boden ab, und Schroeder fuhr die Räder ein. Dann betätigte er das Seitenruder mit den Füßen und ließ die schwere Maschine herumschwenken. Sie flogen ein paar Meilen die Interstate 10 entlang, bis Schroeder plötzlich den Steuerknüppel zur Seite drückte und den Hubschrauber Richtung Süd­osten lenkte.

Cathy fand es erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit sich die Maschine dirigieren ließ. Unter ihnen verschwanden die letzten Häuser und Straßen.

„Sag der Zivilisation Lebewohl, Cathy.“ Schroeder beschleunigte noch weiter, und sie sausten mit unglaublicher Geschwindigkeit durch den strahlendblauen Himmel. „Darf ich fragen, was dich ausgerechnet nach Desert Plains führt?“

„Dasselbe hat mich auch Carlos schon gefragt.“

„Und was hast du ihm geantwortet?“

„Ich will mich für eine Weile zurückziehen und habe dazu einen völlig abgelegenen Ort gesucht. Niemand hat meine Adresse und mein Handy liegt zu Hause.“

Schroeder lachte. „Klingt wie jemand auf der Flucht. Ehrlich gesagt wäre das auch der einzig denkbare Grund für einen Urlaub in Desert Plains.“

Sie wechselte schnell das Thema. „Darf ich auch eine Frage stellen?“

„Nur zu“, antwortete Schroeder.

„Seit wann verkauft die Küstenwache ihre Hubschrauber?“

„Tut sie nicht. Ich war ein paar Jahre dort angestellt und habe Rettungseinsätze entlang der kalifornischen Küste geflogen. Die Maschine hier ging bei einem der Einsätze zu Bruch und sollte eigentlich verschrottet werden. Ich habe sie praktisch für ein Trinkgeld bekommen.“

„Und wieder repariert“, stellte Cathy fest.

„Das hat zwei Jahre gedauert, doch es hat sich gelohnt.“

„Was ist mit der Aufschrift? Stört es deinen früheren Arbeitgeber nicht, dass du damit herumfliegst?“

„Natürlich stört es sie. Ich habe schon mehrere Schreiben bekommen.“

Sie lächelte. Schroeder spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Cathy war ohne Übertreibung eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Ihre Ankunft würde für Aufregung in Desert Plains sorgen.

In diesem Moment fiel im hinteren Teil der Maschine etwas polternd zu Boden. „Aufs Stichwort“, brummte Schroeder.

„Was war das?“, fragte Cathy überrascht.

„Einer der eigenwilligen Leute, vor denen Carlos dich warnen wollte. Darf ich vorstellen, das ist Jack.“

Sie drehte sich in ihrem Sitz herum und sah in den Laderaum. Es dauerte eine Weile, bis sie den bärtigen Mann entdeckte, der zusammengerollt zwischen den Vorratskisten lag.

Erst jetzt stieg ihr der durchdringende Whiskeygeruch in die Nase, der von ihm ausging. Sie drehte sich wieder nach vorne. „Hier muss nachher aber gründlich gelüftet werden“, sagte sie.

Schroeder lachte. „Ich glaube nicht, dass ich den Geruch noch einmal aus der Maschine herausbekomme, dazu fliegt er zu oft mit.“

In einiger Entfernung tauchten Häuser auf.

„Das ist Chester“, erklärte Schroeder. „Die einzige größere Stadt in der Nähe von Desert Plains. Jetzt brauchen wir höchstens noch fünf Minuten, dann sind wir da.“

Der kleine Ort schoss unter ihnen vorbei. Wenn er dieses Kaff als größere Stadt bezeichnet, wie klein ist dann erst Desert Plains, dachte Cathy. Aber genau das hatte sie ja gewollt. Je einsamer, desto besser.

Die Bergspitzen wischten schemenhaft vorbei. Der Steinuntergrund hatte durch die vielen Metalloxide unterschiedliche Farbtöne bekommen und durch Verwitterung war im Laufe der Jahrtausende eine faszinierende Landschaft entstanden.

„Vor uns liegt Desert Plains“, sagte Schroeder.

Cathy kniff die Augen zusammen und blickte in die angegebene Richtung. Zuerst konnte sie nichts erkennen, doch langsam wurden in der steppenartigen Umgebung ein paar Hütten sichtbar, die ringförmig um einen großen Platz angelegt waren. Einfache Holzhäuser, meist mit provisorischen Anbauten. Hier wird mich niemand finden, dachte Cathy erfreut.

Kapitel 2

„Was für ein Kontrast“, sagte Lady Marbely und fächelte sich Luft zu. „Vor einer Woche schipperten wir noch über den Atlantik und jetzt befinden wir uns mitten in der Wüste. Das ist doch wirklich witzig, nicht wahr, James?“1

„Urkomisch“, sagte der Butler, der gerade seine Weste ausgezogen hatte, um den Reifen des Wohnmobils zu wechseln.

„Wenigstens werden wir hier nicht mit einer Waffe bedroht.“

„Noch nicht, Mylady“, erwiderte der Butler. „Meiner Erfahrung nach wird früher oder später überall eine Waffe auf uns gerichtet.“

„Finden Sie unser kleines Abenteuer nicht auch spannend? Zurück zu den Wurzeln. Ganz ursprünglich in der freien Natur leben?“

Der Butler tat sich etwas schwer mit dieser wild­romantischen Darstellung. Schließlich waren sie nicht mit Pferd und Planwagen unterwegs, sondern mit einem der modernsten und komfortabelsten Wohnmobile, das der Markt anbot. Das Luxusvehikel war zwölf Meter lang. Wenn in Parkposition die Seitenteile hydraulisch ausgefahren waren, wuchs die Breite auf fünf Meter an und die Wohnfläche auf achtundsechzig Quadratmeter. Der silberne Koloss sah aus wie das Mutterschiff einer Alieninvasion.

Der Luxus in diesem Gefährt war unbestreitbar. Die komplett eingerichtete Küche ließ keine Wünsche offen. Der große Kühlschrank bot genug Platz für die ganzen Gerichte, die sie eingelagert hatten. Der Butler verstand sich zwar hervorragend darauf, die unterschiedlichsten Gerichte zuzubereiten, aber Lady Marbely hatte darauf bestanden, die regionale Küche auszuprobieren. Nachdem sie unterwegs in einem Restaurant vorzüglich gespeist hatten, ließ sie sich vom Koch mehrere Gerichte von der Karte zubereiten, die für unterwegs im Kühlschrank verstaut wurden.

Platz bot das Wohnmobil mehr als ausreichend. Neben den üblichen Wohnräumen gab es noch einen großzügigen Salon, in dem man Gäste empfangen konnte. Alles war so edel wie möglich ausgestattet: teure Ledermöbel, polierte Marmorböden und teure Hölzer wie Kirschholz und Ahorn. Durch die ausfahrbaren Erker entstand ein zweites Schlafzimmer, das der Butler nutzte. Im Bad gab es einen Spa und eine Erlebnis-Regendusche und auf dem Dach befand sich ein Whirlpool. Außerdem bot ein Multimedia-Zimmer, in dem sich einer der beiden riesigen LCD-Bildschirme befand, allerlei Unterhaltungsmöglichkeiten.

Normalerweise hatte Lady Marbely nicht viel übrig für Protz und übertriebenen Luxus, aber als sie das Wohnmobil erblickt hatte, wurde sie von der völligen Maßlosigkeit in ihren Bann gezogen. Das Gefährt befand sich jenseits aller Vernunftgrenzen, und Lady Marbely betrachtete es einfach als ein großes Abenteuer, damit unterwegs zu sein.

Sie war der Meinung, sich diese Reise verdient zu haben, nachdem sie einen Großteil ihres üppigen Terminplans abgearbeitet hatte. Seit ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten hatten der Butler und sie einen Betrieb nach dem anderen besucht, meist sogar zwei an einem Tag. Das ererbte Imperium von Lady Marbely umfasste Firmen rund um den Erdball und sie würden im Laufe der Zeit überall einen Antrittsbesuch machen. Aber in Zukunft nicht mehr so stressig wie in den letzten Tagen. Hotelzimmer, Konferenzräume, Betriebsbesichtigungen und Flughäfen. Der immer gleiche Ablauf, wie bei einer Rockband auf Tour. Nach sechs Tagen voller Termine und Informationsüberflutung hatte Lady Marbely genug gehabt und ihren Butler gebeten, alle weiteren Termine auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Sie wollte auch etwas von dem Land erleben, das sie seit fast einer Woche bereisten, ohne je etwas anderes als die oben genannten Stationen gesehen zu haben. Also hatte sie diesen fahrbaren Untersatz gemietet.

„Wir könnten auch den Automobilklub anrufen“, schlug Lady Marbely vor. Sie stand in der Tür, wo sie noch die angenehme Kühle der Klimaanlage spüren konnte.

„Nicht nötig, Mylady. Der Schaden ist so gut wie behoben.“

„Habe ich Ihnen je gesagt, wie sehr ich Ihre handwerklichen Fähigkeiten zu schätzen weiß?“

Der Butler nickte. „Jedes Mal, wenn ich Gelegenheit bekomme, diese unter Beweis zu stellen.“

„Dann ist es ja gut.“

Der Butler erhob sich und wischte sich die Hände an einem Lappen ab. „In wenigen Minuten können wir die Fahrt fortsetzen.“

„Eigentlich ist dieser Ort doch so gut wie jeder andere. Was halten Sie davon, wenn wir hier unser Nachtlager aufschlagen?“

Der Butler sah sich um und musste feststellen, dass die Beschreibung von Lady Marbely absolut zutraf. Durch eine identische Landschaft waren sie bereits den ganzen Tag gefahren und es war nicht damit zu rechnen, dass in den nächsten Stunden eine erhebliche Veränderung der Umgebung stattfinden würde. Besser am nächsten Morgen mit frischen Kräften aufzubrechen, als heute noch nach kurzer Fahrt einen neuen Lagerplatz finden zu müssen.

„Wie wäre es mit etwas Tee?“, schlug der Butler vor.

„Dazu sage ich nie Nein“, erwiderte Lady Marbely erfreut.

Kapitel 3

Die Kneipe von Armante Garcia war noch leer, bis auf ihn selbst und seine beiden Stammgäste Curt Miller und Hank Stanton, die den ganzen Tag dort verbrachten. Sie standen am Morgen vor der Tür, bevor Armante aufschloss, und mussten jeden Abend hinausgeworfen werden, weil sie freiwillig nicht gingen.

Es war nicht so, dass die beiden Männer übermäßige Trinker gewesen wären, vielmehr suchten sie Gesellschaft. In Armantes Kneipe trafen sich im Laufe des Tages alle Bewohner des Dorfes und so waren die beiden alten Männer nie allein.

Armante hatte einen Nachbarraum in einen Gemischtwarenladen umfunktioniert, den er neben der Kneipe unterhielt. Morgens kamen die Frauen einkaufen, am Nachmittag nach der Arbeit schauten die Männer herein, um einen ersten Schluck zu nehmen, und abends versammelte sich dann ganz Desert Plains dort. Kinder und Jugendliche gab es keine und auch nur wenige Paare. Der Ort war ein Sammelbecken für Einzelgänger.

Bevor Armante sich hier niedergelassen hatte, musste er das Schicksal vieler anderer Chicanos teilen, den Spanisch sprechenden Wanderarbeitern mexikanischer Herkunft. Zusammen mit den Leuten, die die Landarbeiter­gewerkschaft aus Phoenix geschickt hatte, halfen sie für einen Hungerlohn bei der Baumwoll- und Melonenernte. Mit dem Geld, das er und seine Freunde damals verdienten, fuhren sie an jedem Zahltag in die Stadt und zogen durch die Bars, bis sie schließlich in einem Hinterzimmer bei einer Pokerpartie landeten und den Rest ihres Lohnes verloren, der nicht an die Familie zu Hause ging. Eine dieser Partien dauerte bis zum nächsten Tag und schließlich setzte der Besitzer seine Kneipe gegen alles, was Armante bis dahin gewonnen hatte. Armante war ein erfahrener Spieler und betrunken genug, um darauf einzugehen. Eine Minute später war er Besitzer einer Kneipe in einem verlassenen Nest namens Desert Plains gewesen.

Das lag nun fünf Jahre zurück. Mit der Kneipe war nicht viel Geld zu verdienen, doch Armante konnte davon leben und investierte. Er schaffte einen Großbild­fernseher und einen Billardtisch an. Später baute er an die Kneipe einen eigenen Fernsehraum an. So kam es, dass sich die wenigsten Bewohner von Desert Plains abends zu Hause aufhielten, sondern ihre Zeit gemeinsam bei Armante verbrachten.