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Die Kartenlegerin Sidonia sieht für ihren neuen Kunden eine Gefahr vorher. Doch der Mann nimmt sie nicht ernst. Einige Wochen später liegt er ermordet im Wald. Es handelt sich um den berüchtigten Journalisten Achim Nübel, der sich durch seine reißerischen Artikel viele Feinde gemacht hat. Auch Sidonia gerät in den Blickfang der Polizei, denn sie war neben einigen anderen Personen Gegenstand eines neuen Buches, bei dem Nübel beabsichtigte, ganze Berufszweige zu diskreditieren. Neben der Polizei begibt sich der Privatdetektiv Bruno Feldmann auf die Suche nach dem Täter und gerät in große Gefahr. Nichts ist, wie es scheint. Und alles ist auf merkwürdige Art miteinander verflochten. Als ein zweiter Mord passiert, müssen alle Karten neu gemischt werden.
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Seitenzahl: 377
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Ein paar Worte vorweg:
Dieses Buch ist ein Roman. Nichts von den Geschehnissen ist wirklich passiert.
Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Namensgleichheiten wären absolut zufällig.
Auch der Zeitungsverlag IMPULS existiert nicht, ebenso wenig das Restaurant Lippegrill in Schloß Neuhaus.
Die Personen:
Sidonia Okebe
Kartenlegerin aus Paderborn
Mercedes Okebe
Sidonias Tochter
David Gersdorf
Mercedes’ Freund, Jurastudent
Axel Neufeld, 42 J.
Journalist, bürgerliche Name
alias Achim Nübel
Axels „Künstlername“
Klaus Wittek
Axels Kollege, Fotograf
Kerstin Neufeld
Axels Ehefrau, Boutiquebesitzerin
Frauke Kleiber
Kerstins Partnerin in der Boutique
Sandra
Mitarbeiterin in der Boutique
Doris
Mitarbeiterin in der Boutique
Paulina Schüller
Haushaltshilfe beim Ehepaar Neufeld
Jan Tenbrock
Freund u. Anwalt von Axel u. Kerstin
Katja Tenbrock
Jans Ehefrau
Charlotte Behrens
Axels Geliebte, Mutter s. Tochter Marie
Theo Rakow
Koch, der von Axel denunziert wurde
Alwin Hübner
Eigentümer des Zeitungsverlags
IMPULS
Melanie Bauer
Alwins Sekretärin
Kilian Reuter
junger Reporter beim
IMPULS
Ben Jansen
Mitarbeiter im
IMPULS
Markus Otten
Polizei Inspektor
Evelyn (Ev) Dierkes
Polizei Inspektorin
Bruno Feldmann
Privatdetektiv
Sebastian Kupfer
Anwalt
Rick Foster
Fotograf
alias Richard Voss
Shila und Malou
Sidonias Katzen
Kapitel 1 : Juni 2019
Kapitel 2 : Ein Mittwoch im Juli 2019
Kapitel 3 : Ein Montag im Juli 2019
Kapitel 4 : Donnerstag
Kapitel 5 : Samstag
Kapitel 6 : Sonntag
Kapitel 7 : Montag
Kapitel 8 : Immer noch Montag
Kapitel 9 : Dienstag
Kapitel 10 : Mittwoch
Kapitel 11 : Donnerstag
Kapitel 12 : Freitag
Kapitel 13 : Immer noch Freitag, am Abend
Kapitel 14 : Die Woche danach
Kapitel 15 : Oktober 2019
Sidonia saß in ihrem Arbeitszimmer und stellte sich gedanklich auf ihren nächsten Besucher ein. Sie war bekannt als Madame Sidonia, Wahrsagerin und Hellseherin in Paderborn. Sie selbst mochte diese Ausdrücke nicht. Sie war keine Hellseherin, sie verstand sich lediglich auf die Kunst des Kartenlegens und des Handlesens. Beides waren Fähigkeiten, die man erlernen konnte. Die Karten wurden vom Kunden gemischt und dann ausgelegt – das geschah eben nicht zufällig. Und die Linien in der Hand waren erst recht kein Zufall, sondern gaben Auskunft über das Leben – über Vergangenheit und Zukunft.
Sie hatte sogar schon ein Buch darüber geschrieben. Der Blick in die Zukunft – Die Bedeutung von Handlinien und Kartenlegen war vor etwa eineinhalb Jahren auf dem Markt erschienen und leidlich erfolgreich.
Außerdem leitete sie Meditationsrunden, die sie ebenfalls in ihrem Arbeitszimmer anbot.
Eine gewisse Empathie für andere war schon von Nöten für ihren Beruf, aber das brauchte man in vielen anderen Jobs auch – im Grunde in allen Berufen, bei denen man mit Menschen arbeitete.
Sie hatte jedenfalls für sich und ihre Tochter Mercedes den Lebensunterhalt mit ihren Tätigkeiten verdient und sie lebten gar nicht mal schlecht davon. Sie besaßen sogar ein kleines Haus vor den Toren von Paderborn. Damals hatte es einsam dagelegen, heute war das nicht mehr der Fall, obwohl die Gegend zum Glück auch heute noch nicht sehr dicht bebaut war.
Mercedes war inzwischen erwachsen. Sie hatte ein prima Abitur hingelegt und studierte in Bielefeld Soziologie.
Sidonias Gedanken schweiften ab und das wollte sie jetzt nicht. Sie wollte sich doch auf ihren Termin vorbereiten.
Sie hatte höchst selten eine spontane Eingebung – wenn man es so nennen wollte, eine Vorhersehung – erlebt. Das letzte Mal war mehr als zwei Jahre her. Damals war sie ganz sicher gewesen, dass ihre junge Freundin Judith Schlüter in Detmold in Gefahr war. Sie war sich so sicher gewesen, dass sie, nachdem sie Judith telefonisch nicht erreicht hatte, sich in ihr Auto gesetzt hatte und von Paderborn nach Detmold gefahren war. Sie hatte Judith gerade noch vor einem Überfall retten können. Nur ihr Hund Cloud war verletzt worden. Aber zum Glück war der auch wieder gesund geworden.
Aber auch das war etwas, das die meisten Menschen in sich trugen. Das
Gefühl für die richtige Entscheidung, für Gefahr oder dafür, wann sie gebraucht wurden. Die meisten Menschen hätten diesem Gefühl nur nicht nachgegeben, weil es ihnen unrealistisch, irrwitzig und unsinnig erschienen wäre. Aber genau da war Sidonia natürlich anders. Sie hatte nachgegeben. Sie wusste, dass solche Gefühle immer recht hatten.
Früher, als sie viel jünger war, hatte sie auch mit einem Wohnwagen auf der Kirmes Libori gestanden und hatte ihre Dienste angeboten. Das war gut angekommen. Viele Menschen, die sonst vermutlich nie eine Kartenlegerin aufgesucht hätten, hatten dort spontan das Angebot angenommen und sich aus der Hand lesen lassen. So war es auch bei der Kundin aus Detmold gewesen. Zum ersten Mal war sie als vierzehnjähriges Mädchen mit zwei Freundinnen in ihren Wohnwagen gekommen. Danach war sie in unregelmäßigen Abständen bei ihr aufgetaucht.
Der Wohnwagen war mit schweren, bunt gemusterten Teppichen und Polstern in tiefroten Farben ausgestattet gewesen. Darüber konnte Sidonia heute nur lächeln. Sie war jetzt sechsundfünfzig Jahre alt und ging schon lange nicht mehr auf Rummelplätze, nicht einmal als Besucherin.
Auch die Glaskugel, die auf den Rummelplätzen auf dem Tisch gestanden hatte, benutzte sie nie. Die war sowieso mehr Dekoration gewesen, aber die Kunden verbanden sie irgendwie immer mit Wahrsagerei.
Sidonia lebte und arbeitete in ihrem Häuschen am Stadtrand von Paderborn. Dort hatte sie ihr spirituelles Zimmer, wie sie es nannte, eingerichtet. Es war stark in lila-Tönen gehalten, was als sehr meditative, Farbe galt.
Madame Sidonia selbst war noch immer eine schöne dunkelhäutige Frau. Ihre einst lange, wilde und tiefschwarze Lockenpracht hatte sie auf Schulterlänge gekürzt. Sie war beinahe vollständig ergraut, aber die Farbe ließ Sidonia nicht alt erscheinen, sondern verlieh ihr Reife und Tiefgründigkeit. Ihr ovales Gesicht war noch ungewöhnlich glatt, ihre Figur noch immer schlank, wenn auch nicht mehr ganz so fest wie früher. Aber das bemerkenswerteste an ihr waren ihre Augen. Groß und dunkel wirkten sie, als könnten sie ihrem Gegenüber bis in das Innerste blicken.
Sie trug eine schlichte blaue Jeans und ein weites buntes Oberteil darüber. Diesem Look blieb sie seit vielen Jahren treu, er passte einfach zu ihr und darin fühlte sie sich wohl.
Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Aufgabe, die vor ihr lag. Ihr Gast müsste jeden Moment kommen.
Es läutete und Sidonia lief zur Tür. Vor ihr stand ein Mann, der etwa vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt war, mit dichten, dunkelblonden Haaren, mittelgroß - höchstens einen Meter fünfundsiebzig – mit stahlgrauen Augen, die keine Wärme ausstrahlten und einer einzigen tiefen Falte vor der Stirn. Die Nase war etwas schief und die Lippen ziemlich dünn. Ein kurzgeschnittener Bart umrahmte seinen Mund, wodurch sein Gesicht durchaus an Attraktivität gewann.
Seine Figur war in Ordnung, er war weder dick noch superschlank und wirkte auch nicht besonders muskulös. Er war nicht gerade hässlich, aber auch kein auffallend attraktiver Mann.
„Guten Tag Frau Okebe“, grüßte er. „Mein Name ist Axel Neufeld, wir haben einen Termin.“
Er war Sidonia vom ersten Moment an unsympathisch.
Eigentlich gab es nicht wirklich einen Grund dafür. Er lächelte ihr sogar zu und war durchaus höflich. Früher hätte sie diese kleine innere Stimme als lästig und nervig abgetan, heute wusste sie, dass sie ihr vertrauen konnte. Diese spontanen Eingebungen hatten einfach immer recht. Irgendetwas stimmte mit diesem Kunden nicht.
Aber sie konnte nichts anderes tun, als ihn einzulassen. Er war ihr Kunde und sie würde ihn bedienen wie jeden anderen. Ihr musste ja nicht jeder Kunde sympathisch sein.
Sie standen in der geräumigen Diele, von der aus das Treppenhaus in die obere Etage führte. Von hier war jeder Raum im Erdgeschoss zugängig.
„Guten Tag“, grüßte sie höflich und lächelte ihn an.
„Nennen Sie mich ruhig Madame Sidonia. Das tut jeder. Ist so etwas wie ein Künstlername.“
Sie trat einen Schritt zur Seite, um ihn eintreten zu lassen.
Er lehnte sich noch einmal zurück und warf einen Blick auf ihr Namensschild an der Tür.
„Ah, ja. In Ordnung. So steht es ja auch auf Ihrem Firmenschild. Aber an der Haustür steht Sidonia und Mercedes Okebe.“
Sie nickte. „Ja.“
„Wer ist denn Mercedes?“, fragte er, während sie die Haustür schloss.
„Das ist meine Tochter. Wollen wir in mein Arbeitszimmer gehen?“ Sie hatte nicht vor, mit einem Kunden über ihre privaten Angelegenheiten zu sprechen. Das tat sie nur höchst selten, wenn aus einer beruflichen Beziehung mehr wurde, wie bei jener Kundin in Detmold.
„Natürlich. Ich folge Ihnen.“ Er grinste schief. Er hatte den leichten unwilligen Unterton durchaus vernommen. Vermutlich sprach sie nicht gerne über Privates. Es ging ja auch nicht um sie, wenn sie Kunden hatte. Nun gut. Mal sehen, was sie ihm vorhersagen würde.
Sidonia öffnete eine der Türen und bat ihn in den Raum.
Das nennt sie also Arbeitszimmer, dachte er und sah sich um. Von einem Arbeitszimmer hatte er eine vollkommen andere Vorstellung. In der Mitte stand ein Tisch mit verschnörkelten Beinen und auf jeder Seite ein Stuhl mit schwach lilafarbenem Polster. Auf dem Tisch lag bereits ein Kartenspiel. Wenn er das richtig sah, ein normales Pokerdeck. Auch zwei Wassergläser standen darauf.
An blasslila gepinselten Wänden hingen Bilder von Handinnenflächen mit der Bedeutung der Handlinien. In den Regalen lagen noch weitere Kartendecks und auch eine Glaskugel stand dort. Himmel, die wollte ihm doch wohl nicht aus der Kugel wahrsagen? So wie im Fernsehen?
Er kam sich vor, wie in einer Hexenküche. Nur der große Kessel mit einer undefinierbaren dampfenden Flüssigkeit fehlte.
Sie hatte seinen Blick bemerkt. „Die Kugel ist nur Dekoration“, erklärte sie. „Viele Menschen verbinden sie mit Wahrsagerei, aber sie ist für mich vollkommen nutzlos.“
„Aha.“
„Bitte, nehmen Sie Platz.“
Sie lächelte ihm freundlich zu und er setzte sich auf den ihm zugewiesenen Stuhl.
„Ich mag übrigens auch den Begriff Wahrsagen nicht. Ich sehe mich eher als Lebensberaterin oder Helferin. Was ich tue, ist Energiearbeit. Die Zukunft ist nicht unumstößlich festgeschrieben. Sie können sie mit Ihren Entscheidungen beeinflussen.“
„Ach tatsächlich?“, erwiderte er. Sidonia horchte auf. War da ein ironischer Unterton?
Sie hob das Glas Wasser und deutete ihm, ebenfalls zu trinken.
„Was ist dadrin?“, fragte er, hob das Glas an und betrachtete skeptisch die darin schwimmenden Steine.
„Mineralien. Es stärkt unsere Energie.“
Er konnte nicht verhindern, die Augen zu verdrehen.
Sidonia bemerkte es, aber sie kommentierte es nicht. Er kam doch zu ihr, um sich die Zukunft vorhersagen zu lassen.
Also sollte er es jetzt bloß nicht wagen, ihre Methoden zu kritisieren.
„Aber wenn die Zukunft nicht festgeschrieben ist, hat doch eine Vorhersage gar keinen Sinn?“, meinte er. Er bemühte sich um einen neutralen Tonfall, aber Sidonia bemerkte die Skepsis.
Sie lächelte geheimnisvoll. „Doch. Sicher hat das Sinn. Ich kann Ihnen sagen, was passieren wird, wenn Sie so oder so entscheiden. Sie haben dann die Macht, eine eventuell schlechte Zukunft positiv zu verändern. Aber lassen Sie uns einfach nachsehen. Fangen wir mit Ihren Handlinien an.“
Er reichte ihr seine Hand über den Tisch hinweg, so dass sie die Linien in seiner Handinnenfläche sehen konnte.
Sofort runzelte sie die Stirn.
Er zuckte gleichzeitig zusammen und zog seine Hand fort.
„Was ist los?“, fragte sie überrascht.
„Irgendetwas an meinen Beinen.“ Er schaute unter den Tisch. „Mein Gott – eine Katze. Nein, sogar zwei. Was soll das denn? Sie machen Ihrer Zunft wirklich alle Ehre.“
Jetzt lachte sie laut auf. „Sie meinen als Hexe?“
„Ja, allerdings.“
„Herr Neufeld, ich bitte Sie!“, wies sie ihn jetzt höflich, aber bestimmt zurecht. „Viele Menschen haben Katzen. Ich schätze diese Tiere, weil sie unabhängig sind. Sie passen zu mir. Sind Sie allergisch auf Katzenhaare?“
„Nein.“
„Dann bleiben die Tiere hier. Können wir fortfahren?“
Sie machte nicht viel Federlesen. Keine großen Erklärungen, keine Entschuldigungen. Na ja, wenn er ehrlich war – wofür sollte sie sich auch entschuldigen. Er war kein großer Tierfreund, aber er war hier zu Gast und musste sich wohl fügen.
Obwohl – er war doch der zahlende Kunde. Sollte er…?
Nein, er ließ es. Die beiden Katzen lagen inzwischen sowieso ganz friedlich in einer Ecke und würden hoffentlich nicht noch einmal um seine Beine streifen. Er war durchaus ein streitbarer Mann, aber eine Diskussion wegen der Katzen loszubrechen, lohnte sich wirklich nicht. Er hatte andere Ziele.
Er reichte ihr wieder seine Hand.
„Sie sind ein sehr willensstarker Mensch“, sagte Madame Sidonia jetzt.
„Ja natürlich. Das muss man auch sein. Sonst erreicht man im Leben nichts.“
„Sie sind nicht nur das, Sie sind auch rücksichtslos“, erwiderte sie hart.
Er reagierte darauf nicht. Es war gleichgültig.
„Sie hatten keine schlechte Kindheit“, fuhr sie fort.
„Nein. Ich habe immer alles bekommen.“
„Ja. Vielleicht sogar zu viel? Sie sind ehrgeizig, aber selten mit erreichten Zielen zufrieden. Sie sind erfolgreich, aber – nun ja…“
„Was?“, fuhr er sie an.
Der unwirsche Ton machte ihr die Antwort leichter. „Nicht sehr beliebt.“
Er zuckte die Schultern. „Was soll’s. Darauf kommt es nicht an.“
„Wenn Sie auf dem Weg bleiben, auf dem Sie gerade gehen, wird er Sie ins Verderben führen. Sie werden scheitern und das wird schlimmere Auswirkungen haben, als Sie denken.“
Er lachte gehässig auf. „Reden Sie keinen Unsinn!“
„Sie sind zu mir gekommen, Herr Neufeld. Wollen wir noch die Karten legen?“
„Damit? Oder wollen Sie mit mir pokern?“
Sidonia seufzte. Warum war er zu ihr gekommen, wenn er ihr Tun nicht ernst nahm? Warum war er so ein Kotzbrocken?
„Ob mit Tarotkarten oder mit diesem Deck, die Karten werden Ihnen die Wahrheit sagen. Jede hat ihre Bedeutung.
Bitte mischen Sie selbst.“
Er tat es.
„Jetzt legen Sie den Stapel auf den Tisch, konzentrieren sich und heben zweimal mit der linken Hand in Richtung Herz ab.“
Sie ärgerte sich über sich selbst, dass ihr die Anweisungen plötzlich so albern vorkamen. Er gehorchte mit einem schiefen, ironischen Grinsen.
Dieser Mann strahlte eine solche Arroganz aus und vermittelte mit jeder Mimik und jeder Geste, dass er nichts von ihrer Arbeit hielt, sodass es ihr schwerfiel, professionell weiterzumachen.
Sidonia drehte die drei Stapel um und erstarrte.
„Was ist?“ Er hatte ihren erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkt.
„Das ist eine Vorprognose und die sieht nicht gut aus. Hier – die Pik Sieben ist eine Warnung, die Kreuz Zehn bedeutet Streit und Unstimmigkeit. Aber immerhin: Die Karo Sieben verheißt berufliche Beständigkeit und Erfolg.“
„Das ist das Wichtigste. Ich bin ein Erfolgsmensch, Frau Okebe. Das ist mir das Wichtigste.“
Sie registrierte missmutig die erneute Anrede als Frau Okebe. Aber sie sagte nichts dazu. Sie wusste, er machte das absichtlich, um sie zu provozieren und ihren Berufsstand herabzuwürdigen. Sie durchschaute nur einfach nicht, warum er das tat. Was war mit ihm los? War er nur aus Neugierde hier und nahm das alles gar nicht ernst? Oder hatte er eine Wette verloren? Er legte definitiv keinen Wert auf ihre Ratschläge. Nun, vielleicht sollte sie genauso denken wie er – Geld war das Wichtigste. Hauptsache, sie wurde bezahlt.
Aber sie mochte es nicht, so behandelt zu werden. Und sie hatte das auch gar nicht nötig.
Nicht, dass es schlimm war, Frau Okebe genannt zu werden.
Es war der Name ihres Vaters, der zusammen mit seiner jungen Ehefrau aus Kenia hierher gekommen war und sich ein neues Leben aufgebaut hatte.
Ihre Eltern hatten ein kleines Geschäft gehabt, in dem sie afrikanische Dinge verkauften. Holzgeschnitzte Tiere, Spiele, Bücher, Figuren und einiges mehr. Auch Meditationsrunden führten sie durch. So war Sidonia förmlich in das Metier hineingewachsen.
Nein, es war einfach so, dass sie als Wahrsagerin nicht Frau Okebe war, sondern Madame Sidonia. Und er ignorierte das, obwohl sie ihn höflich darum gebeten hatte. Frau Okebe war die Privatperson, die Mutter und die Frau, der man beim Einkaufen begegnete.
Schweigend legte sie die Karten nach einem vorgegebenen Muster aus.
Das Kartenbild ließ sie erschauern.
„So viele negative Karten um die Bezugsperson herum habe ich selten gesehen.“ Sie erklärte ihm ausführlich und vorsichtig diese negative Konstellation. „Es sind Menschen in Ihrer Nähe, die es nicht gut mit Ihnen meinen“, sagte sie.
„Natürlich. Glauben Sie, man wird so erfolgreich, ohne Neider zu haben? Es gibt ein altes Sprichwort, das lautet: Viel Neid, viel Ehr oder so ähnlich.“
Sie runzelte die Stirn. Er nahm das alles viel zu leicht.
„Ich sehe Streit, aber es könnte schlimmer kommen. Ich sehe sogar eine drohende Gefahr.“
Er wirkte den Bruchteil einer Sekunde etwas aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht. Aber er fing sich sofort wieder und wischte die Bemerkung vom Tisch. „Na, dann habe ich ja alles richtig gemacht.“
Es schien ihn nicht besonders zu kümmern. Nun, mehr konnte sie nicht tun. Sie konnte ihm nur sagen, was die Karten ihr verrieten, wie seine Zukunft zurzeit aussah.
Die Karten lagen ausgebreitet auf dem Tisch. Sie sah noch einige Dinge in naher Zukunft, zum Beispiel eine kurze Reise, die mit der Gefahr in Zusammenhang stehen könnte, aber sie war nicht sehr motiviert, weiterzumachen. Sie wollte ihm auch keine weiteren, detaillierteren Methoden vorschlagen, wie sie es sonst oft tat.
Ihm lag sowieso nichts daran. Sein Glas Wasser stand auch noch unangetastet da.
Sie erhob sich, beendete das Gespräch. „Ich bekomme siebzig Euro“, sagte sie in betont geschäftsmäßigen Ton.
Er nickte und zückte seine Brieftasche. Er zählte das Geld ab und verabschiedete sich. „Ich finde allein hinaus. Vielen Dank für den interessanten Einblick in meine Zukunft.“
„Sehr gerne.“ Sie hörte seinen ironischen Tonfall, bemühte sich selbst um Neutralität, folgte ihm bis in den Flur und sah ihm nach, als er das Haus verließ.
Dann ging sie langsam zurück, nahm ein Tarot-Deck aus dem Regal in ihrem Arbeitszimmer. Sie konzentrierte sich auf den Mann, dem sie soeben die Karten gelegt hatte und zog eine einzige Karte aus dem Stapel. Der Magier.
Willensstärke, Erfolg, aber auch Gier, Machtstreben, Manipulation.
Was für ein Mensch war er wirklich?
Warum war er bei ihr gewesen?
Ein Schauer lief über ihren Rücken. Sie hatte gar kein gutes Gefühl.
„Mama!“, rief eine helle Stimme.
„Ich bin hier.“
Ihre Tochter Mercedes trat in das Zimmer. Sie zwar zwanzig Jahre alt, ihre Haut war etwas heller als ihre, da ihr Vater ein Weißer war, aber ihre Haare waren ebenso kraus wie Sidonias. Früher hatte Mercedes sie regelmäßig geglättet. Aber inzwischen hatte sie keine Lust mehr auf den Aufwand. Außerdem standen ihr die wilden Locken wirklich gut. Mercedes’ Haare fielen weit über ihren Rücken. Jetzt hatte sie sie mit einem bunten Band zu einem Pferdeschwanz gebändigt.
Sidonias Augen leuchteten, sie war sehr stolz auf ihre Tochter.
„Du bist früh zu Hause.“
„Ja, ich habe die letzte Vorlesung ausfallen lassen.“ Sie rümpfte ein wenig die Nase. „Will lieber für Klausuren lernen. Wer war denn der Mann, der gerade weggegangen ist?“
„Hast du ihn noch gesehen? Ein Kunde. Ein unangenehmer Mensch. Aber…“
„Aber?“, hakte Mercedes nach, als ihre Mutter abbrach.
„Es war merkwürdig. Ich sagte ihm, er sei in Gefahr, aber er wollte nichts davon hören.“
„Warum nicht? Wenn er zu dir kommt, sollte man doch meinen, er ist an deinem Rat interessiert.“
„Sollte man meinen“, sinnierte Sidonia. „War aber nicht so.
Nun, mehr kann ich nicht tun. Es ist sein Leben und seine Entscheidungen.“
Sidonia hakte sich bei ihrer Tochter unter und sie verließen zusammen den Raum.
„Ich habe keine Ahnung, um was es ihm wirklich ging.
Vielleicht war er nur neugierig, wie eine solche Sitzung abläuft. Oder er hat eine Wette verloren und musste in das Atelier einer Hexe.“ Sie verlieh ihrer Stimme einen gespenstischen Ton und verzog das Gesicht.
Mercedes lachte.
„Und das war ihm dein Honorar wert?“
„Scheint so.“
„Na dann denk nicht weiter drüber nach.“
„Ja, hast recht. So und jetzt mache ich uns was Leckeres zum Essen.“
„Nudeln“, schwärmte Mercedes sofort.
„Ja, Nudeln mit Spinat und Lachs.“
„Yeah!“
Kerstin Neufeld hatte sich einen gemütlichen Morgen gemacht. Es war schon fast Mittag, als sie sich angekleidet hatte, um in ihre Boutique ChezElle in der Paderborner Innenstadt zu fahren, die sie zusammen mit ihrer Partnerin Frauke Kleiber betrieb. Die Boutique lief gut, sie hatten inzwischen sogar neben der Teilzeitkraft Doris die Studentin Sandra als Minijobberin eingestellt.
Außerdem bot Kerstin inzwischen in einem extra dafür hergerichtetem und elegant eingerichtetem Hinterzimmer Stilberatungen an. Dafür hatte sie sich extra zur Stilberaterin ausbilden lassen. Es hatte ihr immer gut gefallen, Menschen zu beraten. Das lag ihr. Sie hatte ein gutes Gespür dafür, was die Kunden wünschten, was ihnen stand und zu ihrem Typ passte. Und sie konnte gut mit ihnen umgehen – auch mit den schwierigen.
Kerstin drehte sich vor dem hohen Standspiegel. Sie sah eine schlanke, elegante Frau. Da sie nicht sehr groß war, trug sie fast immer Schuhe mit hohen Absätzen. Das streckte die Beine und verlieh außerdem eine gute Haltung, fand Kerstin. Die blondierten Haare hatte sie zu einer Banane geschwungen und aufgesteckt, in offenem Zustand fielen sie glatt bis auf die Schultern.
Ihre grünen Augen waren perfekt geschminkt, ihr Teint war hell, aber sie ging regelmäßig auf die Sonnenbank - obwohl sie wusste, dass das nicht unbedingt gesund war - und half mit Make up und Rouge nach, um frisch und gebräunt auszusehen.
Sie achtete sehr auf sich, passte bei der Ernährung auf, um ihr Gewicht zu halten, kaufte teure Cremes und kleidete sich kostspielig und elegant. Das war sie ihrem Job schuldig.
Aber sie konnte es sich auch leisten. Ihr Mann Axel verdiente als Journalist gutes Geld und die Boutique lief auch ausgesprochen gut.
„Immerhin, nächstes Jahr werde ich vierzig“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Man sagt doch, ab da nehmen die Frauen zu. Das will ich einfach nicht.“
Schönheit und Geld waren ihr ausgesprochen wichtig. Mit all diesen Sprüche wie Geld allein macht auch nicht glücklich oder Das Wichtigste kann man sich sowieso nicht mit Geld kaufen konnte sie nicht viel anfangen. Geld allein reichte vielleicht nicht, aber ganz ohne Geld ging es doch auch nicht, oder? Man konnte sich eine Menge Dinge damit leisten, die glücklich machten. Reisen, chic essen gehen, Kleider, Handtaschen, Schuhe. Schmuck.
Manchmal hatte sie trotzdem das Gefühl, dass etwas nicht richtig lief. Eigentlich hatte sie immer fortgehen wollen von Paderborn, am liebsten an den Rhein. Aber Axel war so mit seinem Beruf und dem Zeitungsverlag Impuls, für den er arbeitete, verbunden, dass er sich niemals dazu durchringen könnte, fortzugehen. Auch nicht für sie. Sie hatte sich damit abgefunden. Musste man nicht immer Kompromisse eingehen?
Sie strich ihren schmalen Rock glatt und wandte sich von ihrem Spiegelbild ab.
Axel war gestern Abend zu seinem geheimen Ort gefahren, um zu arbeiten. Das tat er seit über einem Jahr immer häufiger. Kerstin hatte nichts dagegen. Nur, dass er anfangs nicht einmal ihr hatte sagen wollen, wo dieser Ort war, war ihr dann doch zu weit gegangen. Und so hatte er schließlich ihrem Drängen nachgegeben und ihr gesagt, dass er eine Hütte im Haxtergrund besaß, in der er in Ruhe und Abgeschiedenheit schreiben konnte. Außer ihr wusste niemand, wo sich diese Hütte befand – das glaubte sie zumindest; sicher war sie nicht, ob der Ort nicht längst weniger geheim war, als Axel dachte. Zumindest schien niemand das ungeschriebene Gesetz zu brechen, ihn auf keinen Fall dort zu besuchen.
Sie selbst hatte ihn niemals dort gestört. Und sie hatte es auch nicht vor. Wenn er diese Zeit brauchte, sollte er sie bekommen. Zu Axel verband sie eine ganz besondere Form der Partnerschaft. Sie liebten sich, daran bestand kein Zweifel. Aber sie brauchten beide ihre Freiräume. Und so hatte Kerstin ihre Boutique, Abendessen und Theaterbesuche mit Freundinnen und hin und wieder Geschäftsreisen zu Messen überall in der Welt.
Auch Axel war sehr engagiert in seinem Beruf als Journalist.
Seine Arbeit hatte sich mit seinem Ehrgeiz sehr verändert.
Als sie sich vor acht Jahren kennengelernt hatten, schrieb er über alltägliche Geschehnisse in Paderborn. Auch die Ausgrabungen im März 2017, bei denen alte Siedlungsreste an der Pader entdeckt worden waren, gehörten dazu. Danach wurden seine Artikel politischer.
Er hatte einen Skandal aufgedeckt, als er hinter den Pfusch am Bau eines Hochhauses kam. Er prangerte Tiertransporte an und warb um Tierschutz. Das waren Artikel, die positive Veränderungen bewirken sollten. Kerstin war sehr stolz auf ihren Mann. Aber sie entsprachen keineswegs Axels Idealen.
Im Grunde waren ihm die Transporte gleichgültig. Er wusste nur, mit welchen Themen er bei der breiten Öffentlichkeit auf positive Zustimmung traf.
Die Grenzen für eine objektive Berichterstattung schienen für ihn zu verschwimmen. Seine Artikel wurden zunehmend diskriminierend statt informierend. Kerstin fand das nicht gut, aber Axel ließ sich da nicht hineinreden. Das eben gehörte zu Axels Welt. Er meinte, er könne ja auch nichts damit anfangen, dass sie neuerdings diese albernen Stilberatungen durchführte. Das hatte sie verletzt, aber sie verdrängte das Thema. Dann sollte es eben so sein, ihre beiden Berufe konnten kein Gesprächsthema zwischen ihnen sein.
Aber jetzt war die Grenze endgültig gesprengt. Schon einige Male hatte sich Axel zurückgezogen, um seine Artikel zu schreiben.
Manchmal verstand Kerstin nicht, was er mokierte. Zum Beispiel hatte er einmal das Essen eines Kochs sehr schlecht gemacht. Kerstin hatte keine Ahnung, welches „Haar“ ihr Mann in der Suppe gefunden hatte. Sie war neugierig geworden, hatte das Restaurant mit einer Freundin besucht und war sehr zufrieden gewesen. Trotzdem hatte der Koch schließlich seinen Job verloren, weil die Kunden ausblieben.
Viele Menschen nahmen eben ernst, was in der Zeitung stand.
Darüber gab es doch sogar irgendein uraltes Lied von Reinhard May. Sie erinnerte sich, weil ihre Mutter die Lieder immer gerne gehört hatte. Weil’s in der Zeitung steht… Kerstin befürchtete, dass Axel durchaus bewusst war, was er für eine Macht hatte, dass er sie genoss und bewusst weiter ausbaute.
Dass er hin und wieder verschwand, machte ihr nichts aus.
Ja, sie liebte ihn, aber sie vermisste ihn auch nicht, wenn er mal ein paar Tage fort war. Sie mochte es, allein zu sein. Ihr Alltag war ja nicht langweilig, sie war nicht einsam, sie hatte immer Menschen um sich herum. Und dann abends allein zu sein - mit niemandem diskutieren zu müssen - keine abgelegten Jacken oder Pullover vom Sofa pflücken, keine vergessenen Gläser wegräumen zu müssen - die Musik einzulegen, die nur sie mochte - ein Schaumbad zu nehmen - einen Rotwein zu trinken - das empfand sie als reinste Verwöhnkur. Balsam für die Seele.
Nein, seine Abwesenheit war ihr gleichgültig. Die Zeit genoss sie. Sie wusste ja, er kam wieder. Das Einzige, was unumstößliche Pflicht war, war die Treue. Kerstin und Axel gingen hin und wieder ihre eigenen Wege, aber sie waren sich treu.
Sie hörte den Schlüssel in der Haustür. Ah, das war sicher ihre Putzfrau, die zweimal in der Woche kam. Eine Perle.
Sie war so froh, dass sie Paulina hatte. Sie ging ihr entgegen und begrüßte die fünfzigjährige, etwas mollige Frau herzlich.
„Guten Tag, Sie sind ja noch da“, bemerkte Paulina überrascht.
„Ja, meine Partnerin und unsere Minijobberin Sandra sind in der Boutique. Da konnte ich mir ein wenig Zeit lassen. Aber jetzt bin ich weg. Tschüß, Paulina.“
„Tschüß.“
Kerstin griff nach ihrer Jacke und Handtasche und stöckelte aus der Haustür hinaus. Paulina blickte ihr nach. Sie mochte die Arbeit im Hause Neufeld. Sie war leicht, es war ja nie besonders schmutzig oder durcheinander mit den zwei Erwachsenen, die sowieso den ganzen Tag außer Haus waren.
Die Chefin war auch immer freundlich. Aber man merkte, dass sie sich für etwas Besseres hielt. Schon die Art, wie die sie ganz selbstverständlich mit dem Vornamen ansprach, während sie selbst sie Frau Neufeld nannte. Und ein bisschen zu aufgetakelt war sie sowieso für Paulinas Geschmack.
Ihr Chef – na ja… Sie sah ihn so gut wie nie. Zum Glück.
Den mochte sie wirklich gar nicht. Der hielt sich doch für den Nabel der Welt.
Sie schloss die Haustür und lief durch das Haus, um Putztücher zu holen und mit ihrer Arbeit zu beginnen.
Sidonia ging in ihrem Haus unruhig auf und ab. Mercedes war in der Uni. Gut so. Die brauchte ihre Unruhe gar nicht mitzubekommen. Dann würde ihre Tochter nur versuchen, sie zu beruhigen. Mercedes war ein sehr fürsorglicher, einfühlsamer Typ.
Sie hatte immer mit dem Mädchen allein gelebt. Und heute war die inzwischen Zwanzigjährige eine enge Vertraute für sie geworden. Sie hatten ein ganz besonderes Verhältnis zueinander.
Aber Sidonia ließ ihre Unruhe nicht los. Seit dieser merkwürdige Kunde hier gewesen war, fragte sie sich, ob sie mehr tun konnte. Immer wieder sagte sie sich: Ich habe ihn gewarnt. Ich habe ihm gesagt, dass Gefahr droht. Er hat es nicht ernst gekommen. Damit ist meine Aufgabe erfüllt.
Sie fragte sich auch, warum er ihre Warnung nicht ernst nahm. Jemand, der zu ihr kam und einen Blick in die Zukunft tun wollte, tat das nicht leichtfertig und fast spöttisch ab.
Irgendetwas stimmte mit dem Mann nicht. Das hatte sie ja von Anfang an gespürt.
Sie hatte sich selbst die Karten gelegt und gesehen, dass ein Mensch in ihrem Umfeld aufgetaucht war, dem sie nicht trauen durfte. Vielleicht war das dieser Kunde gewesen.
Eine Krise bahnte sich in ihrem Leben an. Das war jedenfalls deutlich gewesen. Aber was genau das war, wusste Sidonia natürlich nicht.
Diese Unruhe war ein Resultat dieser Wahrsagung und des unguten Gefühls, das sie sowieso mit dem Kunden Neufeld gehabt hatte. Er war in Gefahr. Auch wenn er das nicht wahrhaben wollte; sie wusste, dass es so war.
Sie fühlte deutlich eine Lawine auf sich zurollen, die sie nicht stoppen konnte und die ihr Leben in den Grundfesten erschüttern würde.
In dem Moment klingelte das Festnetztelefon.
Ihre berufliche Nummer wurde kontaktiert.
Sie hob ab. „Madame Sidonia“, meldete sie sich. Ihre Stimme hatte noch nicht die gewohnte Festigkeit zurückgewonnen. Das Kartenbild hatte sie aus der Bahn geworfen.
Sie wusste, dass sie ihren Vorhersagen vertrauen konnte.
„Hier ist Axel Neufeld. Frau Okebe, ich glaube…“ Seine Stimme klang unruhig. Sogar gehetzt. „Ich glaube, Sie hatten recht.“
Sie zog die Augenbraue hoch. „Womit?“
„Damit, dass ich in Gefahr bin. Können Sie herkommen?
Ich würde Sie gerne treffen. Im Haxtergrund.“
Sie horchte auf. Aufs äußerste gespannt. Was sollte das?
Warum zitierte er sie zu sich? Er hatte nicht den Eindruck gemacht, dass er an ihre Vorhersagen glaubte. Wenn er jetzt so nervös war, dann nur, weil etwas passiert war.
„Wenn Sie das glauben, rufen Sie die Polizei.“
„Nein, ich muss mit Ihnen sprechen.“
Irgendwas in seiner Stimme passte nicht, aber sie wusste nicht, was es war. Panik hörte sie nicht darin. Nicht wirklich.
Machte er sich über sie lustig?
„Ich mache keine Hausbesuche. Und ehrlich gesagt, möchte ich mit Ihnen gar kein Gespräch mehr führen.“
„Aber hören Sie denn nicht? Ich bin bedroht worden. Ich bin in Gefahr.“
„Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie mich dann anrufen.
Jeder normale Mensch würde die Polizei rufen. Oder einen Anwalt. Ich kann Ihnen nicht helfen. Auf Wiederhören.“
„Nein, Moment!“ Jetzt klang endgültig so etwas wie Spott mit.
Was sollte das? Er spielt ein Spiel, aber sie hatte keine Ahnung, warum.
Sidonia war jetzt ganz sicher, dass der Kunde der Mensch war, dem sie nicht trauen durfte. Sie legte den Hörer auf.
Als Axel das Kicken hörte, lachte er laut. Wenn die wüsste, was er für interessante Neuigkeiten für sie gehabt hätte.
Welche Verbindung sie zu ihm hatte und warum er ausgerechnet sie ausgewählt hatte, um in seine Zukunft zu sehen.
Es hätte ihm Spaß gemacht, ihr davon zu erzählen, aber hey – man konnte eben nicht alles haben.
Axel setzte sich wieder an den Schreibtisch seines kleinen Holzhäuschens im Haxterholz und klappte sein Laptop auf. Er wusste, seine Arbeit wurde allmählich gefährlich. Er pinkelte durchaus einigen Leuten ans Bein, die damit nicht gut umgehen konnten. Einen Drohbrief hatte er schon bekommen. Allerdings war er mehr als überrascht gewesen, dass der ausgerechnet von diesem Koch gekommen war. Er hätte gedacht, der Bauunternehmer, der mit dem Typen von der Stadtverwaltung die Preise absprach, wäre gefährlicher. Oder erst recht dieser völlig abgehobene Schönheitschirurg, der sogar schon Siebzehnjährigen die Brust vergrößert hatte. Meine Güte, so etwas konnte doch wirklich nicht wahr sein!
Aber er hatte auch ein paar kleinere Fische an der Angel.
Er hatte geplant, einen Artikel über Menschen zu schreiben, die seiner Meinung nach mit ihren Berufen ihren Kunden das Geld aus der Tasche zogen, ohne wirklich Leistung dafür zu erbringen. Inzwischen dachte er darüber nach, daraus lieber ein Buch entstehen zu lassen. Berufe, die die Welt nicht braucht oder etwas blumiger Supervacuum.
Er lachte laut auf, als der aktuelle Text auf dem Bildschirm erschien. Wenn seine Kerstin wüsste, was er gerade schrieb, würde sie ausrasten. Dann wäre die Idylle seiner Ehe vorbei und alles Gerede um gegenseitige Freiheit und Vertrauen… Egal. Er hatte seine Mission zu erfüllen. Ja, so sah er das. Er wollte aufklären. Schwarze Schafe ausmustern. Die Menschen wachrütteln. Über unverantwortliches Vorgehen der Obrigkeiten, Scharlatanerie, überflüssige Berufe, dem Handel mit der Angst der Menschen.
Ach, konnten sie das denn nicht alles selbst sehen?
Es war verdammt schwer, einer der wenigen vernünftig denkenden Menschen der Welt zu sein. Aber er stellte sich dieser Aufgabe und dieser Berufung, wie er es sah.
Er horchte, plötzlich aufmerksam geworden, auf. Waren da Schritte? Ach was, nur sehr wenige Menschen kannten diesen Unterschlupf und wussten, wo er war.
Er wandte sich um und kniff die Augen zusammen. Wer konnte hier sein? Dann flog das Erkennen über sein Gesicht und ein Ausdruck von Überraschung machte sich breit.
Kerstin stöhnte. Sie hatte gerade die Boutique abschließen wollen, als zwei Leute hereinschneiten. Kerstin nahm ihre Erscheinungen mit einem geschulten Blick wahr.
Der Mann war etwa Mitte bis Ende vierzig, groß, schlaksig, mit dünnem, angegrautem Haar, Jeanstyp. Die Frau war viel jünger, um die dreißig, groß, über einssiebzig - trotz ihrer hochhakigen Schuhe war Kerstin etwas kleiner als die Fremde - sportlich gekleidet, Sneakers an den Füßen, Jeanshose, braune Haare, frecher Kurzhaarschnitt, helle Augen in einem herzförmigem Gesicht.
Kerstin verzog fast unmerklich das Gesicht. Sie bezweifelte, dass diese beiden Leute Kunden ihrer Boutique würden.
War nicht ganz ihr Stil – obwohl, jeder hatte ja durchaus mehr als einen einzigen Stil. Sie selbst trug privat schließlich auch Jeans und Schlabberpullover. Allerdings hatte weder sie noch Axel auch nur eine Jeans, die annähernd so miserabel saß wie die von dem Typen. Egal. Sie schüttelte sich innerlich. Manchmal war es gar nicht so gut, automatisch bei jedem den Kleidungsstil zu analysieren.
Das Preisniveau ihrer Boutique dürfte auch nicht ganz passen, schätzte sie, aber auch das konnte man nie wissen.
Manchen Leuten sah man ihre finanziellen Verhältnisse eben nicht an.
„Wir schließen jetzt“, begrüßte sie die beiden ein wenig unhöflich. Aber nach einem langen Arbeitstag stand ihr nicht der Sinn nach Kunden, die ihr sagten: Wir sehen uns nur mal um.
Der Mann zückte seine Ausweiskarte. „Wir sind keine Kunden. Kommissar Markus Otten – meine Kollegin Evelyn Dierkes.“
Kerstin zog überrascht die Augenbrauen hoch.
„Wir würden Sie gerne sprechen.“
„Sicher. Einen Moment, ich schließe nur kurz ab“, erwiderte sie leicht irritiert.
Markus Otten nickte und beide folgten ihr danach in ein kleines Zimmer im hinteren Teil der Boutique.
Dort setzte Kerstin sich auf den Bürostuhl, während Markus und Evelyn stehen blieben. „Nun? Was will denn die Polizei von mir?“, fragte sie.
„Ein Kollege Ihres Ehemannes war bei uns und hat Ihren Mann als vermisst gemeldet. Er hätte nach einer Auszeit wohl heute wieder im Büro sein sollen, ist aber nicht erschienen. Er hat sich nicht bei seinen Kollegen oder seinem Chef gemeldet und ist auch telefonisch nicht erreichbar. Das Handy ist ständig ausgeschaltet“, kam Markus Otten sofort auf den Punkt.
„Darum geht es?“ Kerstin wirkte überrascht.
„Ja. Wir waren bei Ihnen zu Hause. Auch dort haben wir Ihren Ehemann nicht angetroffen. Dieser Kollege hatte uns allerdings die Adresse Ihrer Boutique genannt, deshalb sind wir hergekommen.“
„Ich verstehe. Aber mein Mann ist nicht da. Er zieht sich des öfteren zurück, wenn er an seinen Artikeln arbeitet. Und jetzt will er sogar ein Buch schreiben. Der ist vermutlich so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er gar nicht weiß, welcher Tag heute ist.“ Sie lachte ein wenig künstlich.
„Wie gesagt: Er ist auch nicht auf seinem Handy erreichbar“, wiederholte Otten.
„Natürlich nicht. Das macht er meistens aus, wenn er arbeitet. Er schottet sich vollkommen ab.“
„Und das macht Ihnen gar nichts aus?“, hakte Evelyn Dierkes nach.
Kerstin legte ihren Kopf schief und sah die Polizistin fragend an. „Wie meinen Sie das?“
„Ich meine, dass die meisten Ehefrauen gerne wissen, wo und wie sie ihre Ehemänner erreichen können.“
„Aber das weiß ich doch. Nur telefonisch kann ich ihn nicht erreichen, da ist was dran.“
„Dann verraten Sie uns bitte, wo wir ihn finden können“, forderte Otten.
Kerstin wand sich unschlüssig. „Ich weiß nicht, er hat nur mir den Ort anvertraut und auch das nur weil ich darauf bestanden habe. Wenn er erfährt, dass ich ihn verraten habe…“
„Wenn ihm nun wirklich etwas passiert ist?“, versuchte Evelyn es sanft.
Doch Kerstin schien sich noch nicht dazu durchringen zu können.
„Ist es Ihnen lieber, wenn wir Sie mit aufs Revier nehmen und dort behalten, bis Sie uns die Adresse nennen?“, fragte jetzt Otten genervt. Mit der Tour dieser Frau konnte er nichts anfangen.
„Okay, okay“, lenkte Kerstin gereizt ein. „Er ist in einer Waldhütte im Haxtergrund.“
„Er ist hier in Paderborn und trotzdem für Sie unerreichbar?
Finden Sie das nicht ein wenig… egoistisch? Oder zumindest merkwürdig?“, fragte Markus Otten.
Kerstin seufzte. „Also schön. Ich gebe zu, mir gefiel das auch nicht von Anfang an, aber ich habe mich damit arrangiert. Er wäre nicht mehr mit mir zusammen, wenn ich hinter ihm her laufen würde. Er braucht diese Freiheit. Und mir kommt das ja durchaus zugute. Wir führen beide ein Stück weit unser eigenes Leben. Ohne den anderen.“
„Schließt das sexuelle Kontakte ein?“, fragte Evelyn direkt.
Jetzt bekam Kerstin große Augen und starrte sie entsetzt an.
„Nein!“, sagte sie hart. „So weit geht das nicht. Wir lieben uns. Wir sind nur… keine Einheit, sondern zwei unabhängige Menschen. Wir haben unsere Berufe und zum Teil auch getrennte Freundeskreise.“
„Könnte ja sein, dass er nicht allein in dieser Hütte ist“, hielt Evelyn dagegen.
„Er ist allein. Sie können sich ja mal umhören. Manche Schriftsteller schätzen die Abgeschiedenheit zum Schreiben.“
Evelyn nickte. Sie wusste nicht, ob das stimmte. Es gab Schriftsteller, die an Tischen in Kneipen oder Cafes geschrieben hatten. Mitten im Rummel. Nun ja, die Menschen waren unterschiedlich.
„Er ist kein Schriftsteller, sondern Journalist“, erwiderte Otten.
„Er schreibt ein Buch. Soviel ich weiß, keinen Roman, sondern eine Dokumentation. Aber Genaueres weiß ich nicht“, erklärte Kerstin leicht patzig. Die beiden Polizisten gingen ihr gehörig auf die Nerven.
„Apropos Berufe – sind Sie ganz allein hier im Geschäft?“, fragte jetzt Evelyn Dierkes.
„Zurzeit schon. Ich habe eine Partnerin und zwei Angestellte. Unsere Minijobberin ist um halb sieben gegangen.
Die letzte halbe Stunde war ich allein hier. Das ist kein Problem.“
„Nein. Sicher nicht. Gut. Also, Frau Neufeld, wir müssen nach ihrem Mann sehen, das ist Ihnen doch klar, oder?“, machte Otten deutlich.
„Nein, eigentlich nicht. Er ist doch erst seit heute überfällig.
Ich dachte, es müssen erst vierundzwanzig Stunden…“ „Ein Märchen. Wenn ein berechtigter Grund vorliegt, dass demjenigen etwas passiert ist, werden wir natürlich tätig.
Der Kollege hätte ja selbst nachgesehen, aber außer Ihnen kennt ja niemand diese Hütte. Also, geben Sie mir bitte die genaue Adresse“, sagte Markus Otten. Es war keineswegs eine Bitte, sondern eine klare Forderung. „Wir sehen, ob es ihm gutgeht und wenn ja, lassen wir ihn sofort wieder allein.“
„Wieso liegt denn die Befürchtung vor, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte?“, fragte Kerstin jetzt eine Spur weniger selbstsicher.
„Es hat im Verlag einen Drohbrief gegeben wegen eines Artikels von ihm“, erklärte Otten. Er beobachtete Kerstins Reaktion genau. Ihre Gesichtszüge entgleisten ganz kurz.
„Wussten Sie das nicht?“
„Nein, das wusste ich nicht.“
„Geben Sie uns die Adresse!“, bat Otten eindringlich.
Kerstin stöhnte schwer. „Eine Adresse gibt es nicht. Ich kann Ihnen die Lage auf Google Maps zeigen.“ Dabei zückte sie schon ihr Handy, um die entsprechende Seite aufzurufen.
„Das verzeiht er mir nie. Kann ich nicht lieber selbst nach ihm sehen?“, unternahm sie einen letzten Versuch.
„Tut mir leid. Das ist jetzt unsere Sache“, stellte Otten klar.
„Die macht sich tatsächlich mehr Sorgen darum, dass ihr Mann sauer wird, weil sie seinen Aufenthaltsort verraten hat als darum, dass ihm etwas passiert sein könnte. Scheint völlig normal für sie zu sein, dass ihr Mann eine Weile untertaucht und nicht erreichbar ist. Ich finde das sehr merkwürdig“, meinte Evelyn Dierkes, als sie wieder auf der Straße vor der Marienstatue in der Paderborner Innenstadt standen.
„Deine Meinung dazu hast du sehr klar gemacht. Aber jeder wie er meint. Ich hatte wirklich nicht das Gefühl, dass es ihr etwas ausmacht.“
„Oder sie weiß es gut zu verbergen. Oder sie weiß mehr, als sie zugibt.“
„Zum Beispiel?“
„Vielleicht ist ihr Mann abgehauen. Wirklich komplett untergetaucht, weil er bedroht wird?“, überlegte Evelyn.
„Mmm, das kann natürlich auch sein. Tatsächlich hat sie einen Moment ihre toughe Fassade verloren, als ich die Bedrohung erwähnt habe. Ist dir das auch aufgefallen?“
Evelyn nickte. „Ja, von dem Drohbrief hat sie wirklich nichts gewusst.“
„Das glaube ich auch. Die beiden scheinen wirklich eine ungewöhnliche Ehe zu führen, wenn er ihr solche einschneidenden Dinge verschweigt.“
„Sie sind halt keine Einheit, sondern zwei unabhängige Menschen“, wiederholte Evelyn ein wenig ironisch Kerstins Worte.
Otten nickte nachdenklich. „Na komm, Ev, fahren wir zu dieser Hütte im Haxtergrund. Danach wissen wir mehr.“
Markus Otten und Evelyn Dierkes waren nicht bis zu dem Wanderparkplatz gefahren, sondern parkten ihren Wagen in einem kleinen Seitenweg am Waldrand. Die Hütte musste von dort am schnellsten zu finden sein.
Tatsächlich fanden sie das kleine Häuschen sehr schnell. Es war eine schlichte Holzhütte, nur umgeben von Bäumen und bot bestimmt nicht den geringsten Luxus.
„Hier in der Nähe muss doch auch ein alter Pilgerpfad entlanggehen, oder?“, fragte Evelyn.
Markus sah sie irritiert an. „Ach so? Keine Ahnung. So was interessiert mich nicht besonders.“
„Nicht? Der Weg hier durch den Wald ist bestimmt wunderschön.
Ein Bekannter von mir ist den Jakobsweg in Spanien gewandert. Ganz allein. Darum geht’s doch auch dabei, nicht wahr? In Kontakt mit sich selbst zu kommen. Nicht sich zu unterhalten, Probleme von zu Hause durchzukauen.“
Markus grinste. Solche Gedanken konnte er nicht nachvollziehen. „Hier in der Nähe gibt es außerdem ein gutes Restaurant. Ich lade dich auf einen Flammkuchen ein, wie wär’s? Ist schon halb acht durch und ich habe Hunger.
Solche Bedürfnisse stehen mir jedenfalls näher.“
Evelyn lachte. „In Ordnung. Dann lass uns jetzt mal nach unserem Eremiten sehen.“
Eine Klingel gab es nicht, deshalb klopfte Markus mit den Knöcheln an die Haustür. Niemand reagierte. Er klopfte ein zweites Mal mit der Faust. Ein dumpfer Ton erklang. „Herr Neufeld? Sind Sie da?“, rief er. Keine Antwort. Vielleicht war der Typ ja einfach eingeschlafen oder saß auf dem Klo.
Etwas Geduld musste man schon haben.
„Er ist nicht da“, meinte Evelyn da auch schon.
„Sieht nicht so aus.“
„Vielleicht macht er ja einfach einen Spaziergang. Die frische Luft macht den Kopf frei und gibt Energie für die weitere Arbeit. Wäre schön blöd, wenn er das hier nicht mal machen würde.“
Markus nickte. „Wo doch der Weg durch den Wald so schön ist“, grinste er. Er wanderte um das Haus herum und spähte durch die Scheiben. Evelyn folgte ihm neugierig. Sie sahen beide durch das Fenster und erblickten den Laptop und einen Wust von Papieren.
„Mmm, sieht wirklich so aus, als käme er jeden Moment wieder zurück“, meinte Markus. „Alles liegt da, als ob er gleich weiterarbeiten will. Sogar eine Kaffeetasse steht dazwischen.“
Evelyn nickte. Sie glaubte nicht mehr, dass der Mann verschwunden war. Der war wirklich einfach nur egoistisch und dachte nicht über andere nach. Unbekannterweise war er ihr ausgesprochen unsympathisch.
„Pass auf, wir gehen jetzt wirklich einen Flammkuchen essen und danach kommen wir noch mal her. Von einem Spaziergang müsste er ja dann zurück sein. Was hältst du davon?“
Evelyn nickte. „Wenn es nicht unbedingt Flammkuchen sein muss, gerne.“
Er lachte laut. „Natürlich nicht.“
Ein Tag später, Dienstag:
Klaus Wittek machte sich im Gegensatz zu Kerstin wirklich Sorgen um seinen Kollegen Axel Neufeld alias Achim Nübel, wie er sich als Journalist nannte. Er nahm die Anfeindungen, denen Axel ausgesetzt war, ernster als Axel selbst. Und deshalb könnte er durchaus in Gefahr sein. Es gab sogar noch eine Bedrohung aus längst vergangener Zeit, von der Axel selbst überhaupt nichts wissen wollte. Er hatte sogar die Drohmails gelöscht. Na ja, das, worum es dabei ging, war wirklich sehr lange her. Aber Axel benahm sich wirklich oft unmöglich. Immer ging es nur um ihn, wobei er ihn, Klaus, oft in seine Machenschaften hineingezogen hatte.
Aber damit war jetzt Schluss. Klaus seufzte.
Und jetzt noch die Vorhersage dieser Wahrsagerin. Nicht, dass er an Wahrsagerei glaubte. Er war auch noch niemals bei einer Wahrsagerin gewesen, er las nicht einmal seine Horoskope. Aber irgendwie gruselig war es eben doch gewesen, als Axel ihm davon erzählt hatte. Aber der schlug ja sowieso jede Warnung in den Wind. Auch seine.
Rücksicht auf Kerstin nahm Axel auch nicht. Aber die machte es ihm auch leicht. Sie hatte sich mit Axels Art zu