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Ahren und seine Gefährten sind in heller Aufregung. Nachdem sie auf den Inseln der Klingensee die beiden Paladine Fisker und Aluna im Kampf gegen den Widersacher für sich gewonnen haben, geschieht etwas Beunruhigendes mit der Bannsäule. Unwissend, dass der Hochfang Sven seinem Meister ein grausiges Opfer dargebracht hat, eilen die Gefährten zur Königsinsel, um am ersten Konklave seit Jahrhunderten teilzunehmen. Doch dort angekommen, erwarten sie furchtbare Neuigkeiten: Unbekannte Dunkelwesen haben Hjalgar überrannt und drohen, sämtliche Bewohner des kleinen Reiches umzubringen. Ahren steht seine düsterste Prüfung bevor, denn die gefürchteten Dunklen Tage sind nach Jorath zurückgekehrt.
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Seitenzahl: 709
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Torsten Weitze
Der Kampf um Hjalgar
Der 13. PaladinBand VI
Impressum
© Torsten Weitze, Krefeld, 2019Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de
Torsten Weitze c/o LAUSCH medien
Bramfelder Str. 102a
22305 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze
Für eine bestimmte Leserin, die mich daran erinnert hat, warum ich ausgerechnet all dies schreibe …
Und denkt daran:
Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte, als zum ersten Mal erlebt zu werden ...
Inhalt
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
Epilog
Ahren blickte beunruhigt auf die aufgewühlten Wasser jenseits der Reling der Königin der Wellen. Das Flaggschiff schnitt mit wilder Kraft durch die unruhige See, und mit jedem durchbrochenen Wellenkamm erschauderte das Holz des Schiffes mit einem ohrenbetäubenden Krachen. Jede gemeisterte Welle brachte sie näher an die Küste der Königsinsel heran, jenes Ziel, welches sie nun schon seit Wochen unter vollen Segeln ansteuerten. Ahren konnte es kaum erwarten, endlich dort anzukommen. Es gab für ihn so viele Gründe, von diesem Schiff zu fliehen, dass sich ihm der Kopf drehte, wenn er nur über sie nachdachte. Und er tat den halben Tag nichts anderes. Mit der Bannsäule war etwas geschehen, etwas Übles. Der magische Kerker des Dunklen Gottes, Er, der zwingt, war seit Jahrhunderten ein Garant für den Frieden in Jorath gewesen, durchbrochen nur von den Animositäten der einzelnen Königreiche und den gelegentlichen Attacken versprengter Dunkelwesen. Doch jetzt war den Alten die Kontrolle über die Bannsäule entrissen worden. Weder Uldini noch einer der anderen alterslosen Magier spürte noch die Gegenwart des Zaubers, den sie vor so langer Zeit zum Schutz Joraths gewebt hatten. Die Furcht, dass der Widersacher bereits frei sein könnte, lag wie ein Leichentuch über jedem einzelnen Lebewesen an Bord.
Sprich nur für dich selbst, sagte Culhen gelassen, der gerade auf einem Kuhknochen herumkaute. Ich lasse mir so schnell keine Furcht einjagen.
Ahren blickte seinen Freund gereizt und irritiert an. »Wieso lässt dich die Ungewissheit derart kalt?«, fragte er den riesigen Wolf, dessen weißes Fell nass glänzte. Das Wetter war genauso trüb wie Ahrens Gedanken, und im selben Moment bemerkte der Waldläufer, dass es schon vor einer Weile angefangen haben musste, zu nieseln. Während er sich mit einer Hand über das Gesicht fuhr, ertönte in seinem Kopf Culhens nüchterne Antwort.
Wir können momentan sowieso nichts daran ändern. Kein Plan, den wir schmieden, kann uns helfen, solange wir keine genaueren Informationen haben. Mit einem Bersten zermalmten seine mächtigen Kiefer den Kuhknochen und endlich schauten die gelben Wolfsaugen zu Ahren herüber. Aber das weißt du ja schon, schließlich haben dir das alle anderen auch schon mindestens dreimal gesagt.
»Nicht alle«, flüsterte Ahren schmerzerfüllt und blickte zum Heck des Schiffes hinüber.
Ach, Ahren, sagte Culhen, in dessen Gedanken der junge Waldläufer nun ebenfalls Schwermut wahrnahm. Gib ihr einfach Zeit.
Eine einsame Gestalt stand am hinteren Ende des Schiffes und bewegte sich mit zwei gezogenen Waffen grazil durch einen imaginären Kampf mit mehreren Gegnern. Ihre seidigen schwarzen Haare waren zu einem Knoten auf ihrem Hinterkopf hochgesteckt und wurden dort von einer traditionellen Nadel zusammengehalten, die sie als Schwertkämpferin des Ewigen Reiches auswies.
Ahren hätte seine Augen schließen und jedes Detail ihres fein geschnittenen Gesichts beschreiben können, denn Khara war schon sehr lange ein fester Bestandteil seiner Gedanken und seines Herzens. Nur den kühlen, leicht abwesenden Gesichtsausdruck, den sie seit Wochen zur Schau trug, würde er nur allzu gerne vergessen können.
Um den Nachwirkungen eines magischen Fluchs zu entgehen, hatte Khara sich in die Leere zurückgezogen, jenen meditativen Zustand, in dem man keinerlei Emotionen verspürte. Was als nützliche Fähigkeit in einer Krisensituation gedacht war, hatte sich nun als unsichtbares Gefängnis entpuppt. Die Kriegerin war in der Leere gefangen, entweder unfähig oder unwillig, ihr zu entkommen, und seitdem zu jedem anderen Lebewesen kalt wie Eis. Nicht dass sie verletzend oder feindselig gewesen wäre. Sie wusste noch immer, wer ihre Freunde und Feinde waren. Aber jeder Umgang, den sie pflegte, war geprägt von einer kühlen Nüchternheit, die man nur schwer ertragen konnte. Vor allem, wenn man ihr Partner war.
Falls wir überhaupt noch ein Paar sind, dachte Ahren bitter.
Hör mit dem Selbstmitleid auf, ermahnte ihn Culhen mit einem Brummen. Nimm dir ein Beispiel an ihr und trainiere lieber etwas. Das lenkt dich ab.
Ahren nickte schwach. Er war in absoluter Bestform, denn um seinen Sorgen und Ängsten zu entkommen, tat er fast nichts anderes, als seine Fähigkeiten zu schulen. Und zu grübeln. Er hatte einen platzsparenden Trainingsplan ersonnen, dem er in der Enge des Schiffes rigoros nachkam. Aber er sehnte sich nach einem Waldlauf an Culhens Seite, dem Rauschen der Bäume über ihm und um ihn herum und der sanften Berührung des Unterholzes, das ihn liebkoste, während er und der Wolf sich gewandt hindurchschlängelten. Wenn Ahren ehrlich zu sich war, wollte er nur noch weg von diesem Schiff, weg von seinen Ängsten, weg von seinen Zweifeln, weg von den mitleidigen Blicken der Mannschaft.
Weg von Khara.
Er zuckte schuldbewusst zusammen, als ihn dieser Gedanke durchfuhr, und Culhen erhob sich, um sanft seinen Kopf gegen Ahrens zu drücken.
Ich verstehe dich, sagte der Wolf zu Ahrens Überraschung. Bei einem Kampf gibt es nur zwei Optionen: Angriff oder Flucht. Du kannst Kharas Zustand nicht angreifen, also willst du ihm entkommen.
Ahren musste unwillkürlich lächeln. Culhens Psyche war weiterhin die eines Wolfes, der allerdings viel klüger war, als es für ein so eitles Tier gut war. Er brach alle Dilemmas stets auf einfachste Wahrheiten herunter, und der junge Paladin war sich sicher, ohne seinen weißbefellten Freund in seinem Kopf, hätte er schon viele Dummheiten angestellt.
Noch mehr Dummheiten?, stichelte Culhen und rempelte Ahren mit seinem Körper sanft an. Das ist wirklich schwer vorstellbar.
Ahren langte zwischen die Ohren des Tieres und kraulte es ausgiebig, was ihm ein weiteres, zufriedenes Brummen einbrachte. »Folgender Vorschlag: Ich verausgabe mich, bis ich meine Arme nicht mehr heben kann, und dann suchen wir die anderen und fragen, ob es etwas Neues gibt.«
Culhen setzte sich auf die Hinterbeine, das Maul leicht geöffnet, und hechelte sein Wolfslächeln. Ich bin mir sicher, Uldini wird sich freuen, wenn du ihn das heute zum dritten Mal fragst.
Die Sonne berührte hinter einem dichten Wolkenvorhang bereits den Horizont, als Ahren nass von Regen und Schweiß unter Deck ging, um sich trockene Sachen anzuziehen und nach seinen Freunden zu sehen. Ihre Gemeinschaftskabine wirkte stickig und überfüllt. Vier Gestalten hockten um den einzigen Tisch herum und schienen verschwörerisch die Köpfe zusammenzustecken. Sie blickten auf, als er und Culhen den Raum betraten, und Ahren musste ob der bunten Truppe vor ihm einfach schmunzeln.
Da war natürlich Falk, sein ehemaliger Meister und Ziehvater, das wettergegerbte Gesicht unter den kurz geschorenen, grauen Haaren so ernst wie immer. Wie ein leuchtender Kontrastpunkt lächelte neben ihm die rothaarige Elfe Jelninolan zu Ahren herüber, deren grünblaues Kleid im schummrigen Licht der Kabine schimmerte. Uldini, in der knabenhaften Gestalt eines dunkelhäutigen Jungen von vielleicht neun Sommern, runzelte unwillig die Stirn. Der Meistermagier ahnte wohl schon, dass Ahren ihn erneut nach Neuigkeiten ausfragen würde. Fisker, der jung gebliebene Paladin mit den blonden Locken, den sie erst vor kurzem aus den Fängen einer dramatischen Hassliebe befreit hatten, prostete Ahren unbeschwert mit einem halb leeren Weinkrug zu. »Wie schön, dich zu sehen, Ahren«, sagte er erfreut. »Du machst dich noch immer furchtbar rar.«
Der junge Waldläufer nickte, zog sich das nasse Wams aus und griff dann nach einem trockenen Exemplar in seinem Bündel, bevor er endlich antwortete. »Ich bin momentan keine gute Gesellschaft.«
»Wohl wahr«, sagte Uldini säuerlich. »Und es hat nur wenige Wochen gedauert, bis du das bemerkt hast.«
Ahren streifte sich das frische Wams über den Kopf und stieg dann aus seiner Hose. »Was gibt es Neues?«, fragte er in die Runde, sowohl aus Gewohnheit als auch, um Uldini zu ärgern.
»Schläft-im-Wipfel hat sich gemeldet«, sagte Falk, bevor Uldini antworten konnte.
Ahren hielt mitten in der Bewegung inne. »Und?«, fragte er aufgeregt. »Was sagt sie?«
Jelninolan kicherte und blickte tadelnd an ihm herab. »Wir wollen doch auf die Reihenfolge achten, mein Lieber. Erst die Hose, dann die Neuigkeiten. Du bist zwar mittlerweile ein ganz netter Anblick, aber trotzdem muss ich deine Unterkleidung nicht länger sehen, als nötig.«
Ahren lächelte zurück. Die Priesterin hatte einen feinen Humor, der in unerwarteten Momenten aufblitzte. Schnell zog er sich fertig um, dann setzte er sich auf die freie Stelle, die Falk und Fisker ihm anboten, indem sie zur Seite rückten.
»In ihrer unnachahmlich kryptischen Art hat Schläft-im-Wipfel mir zu verstehen gegeben, dass sie auf der Königsinsel eingetroffen ist«, sagte Uldini. »Sie ist an den Grenzlanden entlang gereist und berichtet, dass die Bannsäule noch existiert, wenn auch in anderer Form. Ich wünschte, sie würde sich bei wichtigen Informationen einfach klar ausdrücken.«
Ahren war, als würden Eisenbänder, die seit Monden um seine Brust geschnürt waren, mit einem Mal aufspringen und als könnte er endlich wieder freier atmen.
Uldini hob warnend einen Finger. »Jetzt kommt der schlimme Teil: Sie hat sich ausgedehnt und bedeckt nun ein Drittel der Grenzlande.«
Ahren war verwirrt, und an den grimmigen Gesichtern seiner Gefährten erkannte er, dass dies schlechtere Neuigkeiten waren, als er im ersten Moment gehofft hatte. »Dort lebt doch schon lange keiner mehr. Warum ist das wichtig? Solange der Widersacher in der Bannsäule gefangen bleibt, haben wir noch Zeit, die anderen Paladine zu finden.«
»Vielleicht«, raunte Falk. »Tatsache ist, dass die Bannsäule nicht mehr unter der Kontrolle der Alten steht. Unser Feind hat sein eigenes Gefängnis gekapert.«
Jelninolan nickte langsam, ihr schönes Gesicht nun eine Maske der Unsicherheit »Und das wiederum heißt, dass er momentan nicht aus der Bannsäule hervorkommen will. Und das macht mir am meisten Angst.«
»Darin sind wir uns einig«, sagte Uldini düster.
»Hat Schläft-im-Wipfel noch etwas gesagt?«, hakte Ahren nach und griff nach Fiskers Weinkrug. Der junge Waldläufer nahm seit Wochen nur noch selten Alkohol zu sich, aber jetzt brauchte er dringend einen Schluck zur Beruhigung.
Uldini schüttelte den Kopf. »Es gilt nun mehr denn je das Gebot, dass wir Alten nur noch mittels kompliziert geschützter Magie miteinander kommunizieren dürfen. Wenn Er, der zwingt, wirklich schon wach genug ist, um die Bannsäule unter seine Kontrolle zu reißen, können wir nur so verhindern, dass er uns abhört und sich einen Vorteil verschafft.« Der Magus fuhr sich in einer Geste des Unwillens über seine kahlrasierte Kopfhaut. »Das bedeutet, dass jeder Satz, den wir auf magische Weise sprechen, äußerst kraftraubend ist. Und zwar umso mehr, je weiter wir voneinander entfernt sind.« Er seufzte bedauernd. »Mein magischer Warnruf, als die Bannsäule unserer Kontrolle entglitt, war ein Fehler. Jetzt weiß der Feind, dass wir uns zu unserem ersten Konklave seit Jahrhunderten auf der Königsinsel treffen.«
»Worüber habt ihr beraten, als ich reinkam?«, durchbrach Ahren die nachdenkliche Stille, die nach Uldinis Worten einsetzte.
»Was genau der Plan des Widersachers sein könnte«, sagte Fisker, der einen sehnsüchtigen Blick auf den Weinkrug in Ahrens Hand warf.
Ahren stellte das Gefäß demonstrativ neben Falk auf den Boden, außerhalb der Reichweite Fiskers. Der schlanke Paladin hatte in seiner Zeit als Piratenkapitän eine deutliche Schwäche für Wein und andere geistige Getränke entwickelt, und auch wenn Ahren ihm die Sauferei abgewöhnt hatte, blieb er wachsam, dass Fisker keinen Rückfall erlitt. »Zu welchem Urteil seid ihr gekommen?«, fragte Ahren, den schmollenden Gesichtsausdruck seines blond gelockten Freundes ignorierend.
»Dass wir es nicht wissen«, brummte Falk. »Eine Finte oder Hinhaltetaktik vielleicht? Ist der Dunkle Gott noch zu schwach, um auszubrechen, oder sammelt er seine Kräfte, um sofort losschlagen zu können, sobald er hervorkommt? Bereitet er im Inneren einen mächtigen Zauber vor? Alles denkbar. Das Einzige, das wir mit Sicherheit wissen, ist, dass die Bannsäule nun ebenso sehr eine Festung wie auch ein Gefängnis ist. Er kommt nicht raus. Wir kommen nicht rein.«
Gereizt nahm Ahren noch einen Schluck Wein. »Warum habt ihr mich vorhin nicht direkt hergerufen?«, fragte er mürrisch.
»Wie gut bist du in Magietheorie?«, erwiderte Uldini bissig. »Außerdem bist du in deinem momentanen Zustand sowieso keine Hilfe. Also leg dich einfach hin, bis wir Antworten für dich haben und hör auf, uns Löcher in den Bauch zu fragen.«
Der alte Ahren wäre nun beleidigt gewesen, aber die letzten Jahre und vor allem die Monde auf der Klingensee hatten ihm ein dickeres Fell beschert. »Punkt für dich«, murmelte Ahren nur und stand auf, um sich gähnend zu strecken. »Wenigstens steht die Bannsäule noch. Und solange sie den Widersacher umhüllt, haben wir Zeit, uns vorzubereiten.«
Uldini scheuchte ihn mit einer wedelnden Handbewegung fort und Ahren wandte sich ab und ging zu seiner Hängematte, um sich, müde vom Training, hinzulegen und zu versuchen, trotz der diffusen Ängste vor der Zukunft, einzuschlafen.
Ahren erwachte mitten in der Nacht. Eine tiefe Ruhelosigkeit floss wie eine Welle durch seinen Körper und trieb ihn auf die Füße. Die Kabine war in schummrige Dunkelheit getaucht und seine Freunde lagen still und schlafend da. Nur ein winziges Nachtlicht glomm und wandelte Ahrens gesamte Wahrnehmung in eine Ansammlung grauer Schemen. Ohne darüber nachzudenken, setzte er einen Fuß vor den anderen und stand nach wenigen Schritten vor Kharas ruhender Gestalt, die im Schlaf völlig normal aussah. Fort war der kalte Gesichtsausdruck, und beinahe hätte Ahren sie mit einem Freudenschrei auf den Lippen geweckt. Den Fehler hatte er schon zweimal begangen, jedes Mal davon überzeugt, dass Khara im Reich der Träume endlich die mentalen Fesseln abgestreift hatte, mit denen sich die junge Frau gefangen hielt. Beim ersten Mal hatte Jelninolan ihn danach zusammenflicken müssen, denn Kharas Hände hatten ihm einen Finger gebrochen, kaum dass er sie berührt hatte. Beim zweiten Mal hatte die Schwertkämpferin sich gerade noch zurückhalten können, aber der unbeteiligte Gesichtsausdruck, mit dem sie ihn bedacht hatte, war schlimmer gewesen als jeder physische Schmerz.
Er wandte sich von ihr ab und verließ die Kabine.
Wohin er gehen wollte, wusste er selbst nicht so genau. Vielleicht hoch an Deck, zu dem am Bug daliegenden Culhen. Oder in die Einsamkeit des Ausgucks. Wenn er schon nicht schlafen konnte, könnte er ebenso gut die Nachtwache ablösen. Er stand schon auf dem Fuß der Treppe, die hinauf in die kühle Nachtluft führte, als er einen rumpelnden Gesang wahrnahm, der durch die Ritzen einer geschlossenen Tür drang. Ahren wusste sofort, wen er da hörte. Die Stimme drang aus dem Raum, in dem der Zwerg Trogadon seine kleine Werkstatt eingerichtet hatte. Hier bastelte der Krieger an einem halben Dutzend Projekten gleichzeitig und ging seiner eigentlichen Berufung nach: etwas zu erschaffen.
Ahren öffnete leise die Tür und sah die gedrungene Gestalt seines lebenslustigen Freundes, wie er im Schneidersitz auf dem Boden hockte, mit dem Rücken an seine Werkbank gelehnt, die schwieligen Finger der rechten Hand um eine kleine Feile gelegt, mit der er einen filigranen, metallenen Gegenstand in seiner Linken bearbeitete. Überrascht hielt Ahren in der Bewegung inne, als er eine Matrosin erblickte, die, äußerst leicht bekleidet, mit dem Kopf im Schoß des Zwerges schlief. Trogadons steinfarbenes Haar war in einiger Unordnung und – Ahren hatte genug gesehen. Schnell wollte er die Tür wieder schließen, da erhob der Zwerg die Stimme.
»Sie wollte unbedingt Zwergenschnaps probieren«, murmelte Trogadon, der sein Lied und seine Tätigkeit unterbrach, als er Ahren erblickte. Er winkte den Waldläufer herein, der der Aufforderung nachkam und die Tür hinter sich schloss. Trogadon zog die Kleidung der Matrosin zurecht, sodass sie weder fror noch dem Betrachter im Schlaf eine unziemliche Blöße bot, und tippte dann mit seiner rechten Pranke neben sich. »Setz dich zu mir, Ahren. Der Schnaps hat sie umgehauen, bevor es ... interessant wurde, und ich kann noch nicht schlafen. Ich feile gerade an einem Abschiedsgeschenk für unseren schneidigen Kapitän.« Der Krieger hielt eine mit hübschen Gravuren verzierte Signalpfeife empor. »Die wird man überall auf dem Schiff hören. Dann muss er sich nicht immer die Seele aus dem Leib brüllen.«
Ahren grinste schief. Kapitän Orben war ein sehr korrekter Mann, der die Befehlskette liebte. Was im Umkehrschluss bedeutete, dass er sehr oft Befehle gab. »Er wird dein Geschenk lieben«, sagte Ahren leise. »Die Mannschaft dagegen wohl weniger.«
Trogadon lachte sein tiefes, freundliches Lachen, das Ahren immer an glatte Kiesel erinnerte, die einen Tunnel entlangkullerten. »Deswegen gebe ich es ihm auch erst, wenn wir von Bord gehen.« Er blickte verschmitzt auf die Matrosin hinab. »Ich habe zu viele Freundschaften an Bord, um diese früher als nötig aufzugeben.«
Ahren zog eine Augenbraue hoch, als er die Frau betrachtete. »Schon wieder eine Rothaarige? Langsam erkenne ich ein Beuteschema. Früher warst du weniger wählerisch.«
Trogadon winkte entschlossen ab. »Das ist reiner Zufall«, murmelte er, aber Ahren sah etwas in den Augen seines Freundes funkeln, das der Krieger noch nicht bereit war, auszusprechen. »Was hältst du von der kleinen Enthüllung, die Schläft-im-Wipfel überbracht hat? Bist du nun beruhigter?«
»Zuerst schon«, sagte Ahren zögernd und tippte sich dann gegen die Stirn. »Aber mein Verstand ist anscheinend inzwischen anderer Meinung. Sonst würde ich nicht hier mitten in der Nacht neben einem Zwerg und seiner betrunkenen Liebschaft sitzen.«
»Gutes Argument«, sagte Trogadon lachend. »Gut, dass wir in wenigen Tagen auf der Königsinsel eintreffen. Ansonsten würdest du vor lauter nervöser Energie irgendwann ein Loch ins Deck des Schiffes laufen.«
Ahren blieb dem Zwerg eine schlagfertige Antwort schuldig. »Wir sind bald da?«, fragte er hoffnungsfroh. Das schlechte Wetter und die unruhigen Winde hatten die Fahrt bereits derart lange hinausgezögert, dass Ahren jegliches Gefühl für ihr Vorankommen verloren hatte.
Trogadon nickte und klopfte Ahren auf die Schulter, wo er seine Pranke einen Moment lang liegen ließ. »Uldini hat es dir nicht gesagt? Wahrscheinlich, weil du ab dann unerträglich sein wirst.« Der warme, verständnisvolle Unterton des Zwerges strafte seine harten Worte lügen.
»Ich muss einfach von diesem Schiff runter und irgendetwas tun«, sagte Ahren leidenschaftlich. »Oder ich schwöre bei den Dreien, ich werde verrückt.«
Wieder ertönte Trogadons Lachen. »Die anderen Paladine sind ohnehin alle in einem mehr oder weniger desolaten Zustand. Da fällt ein weiterer Verrückter bestimmt nicht auf.«
Ahren verzog das Gesicht. Seine Freunde und er streiften seit Jahren quer durch Jorath, um die restlichen zwölf Paladine wieder in ihr altes Leben als Streiter der Götter zurückzuholen. Leider gestaltete sich dieses Unterfangen komplizierter als ursprünglich angenommen. Fast jeder Paladin, den sie antrafen, befand sich in einer misslichen Zwangslage oder einer psychischen Verfassung, die man nicht mit einer Heldengestalt in Verbindung brachte. In besonders schwierigen Fällen traf auch beides gleichzeitig zu. Fisker und Aluna, die beiden letzten Paladine, die sie aufgesucht hatten, waren damit beschäftigt gewesen, sich als Piratenkapitäne mit ganzen Flotten gegenseitig das Leben zur Hölle zu machen, während Fiskers Vertrauter Cassobo zum Krüppel gequält worden war und die Riesenschlange Fjolmungar per missratener Blutmagie die Kontrolle über Aluna übernommen hatte ...
Ahren stöhnte und kniff sich in den Nasenrücken, um sich ins Hier und Jetzt zurückzuholen. »Nur einmal möchte ich, dass ein Paladin aus freien Stücken auftaucht. Völlig ohne Haken und Ösen, sondern einfach nur, weil er oder sie uns helfen will. Ist das denn zu viel verlangt?«
Trogadon rumpelte leise vor sich hin, seine Hand immer noch auf Ahrens Schulter. Dann wurde er ernst. »Wie kommst du mit Khara zurecht?«, fragte der Zwerg, der treffsicher das eigentliche Zentrum von Ahrens Problemen erkannte.
»Gar nicht.« Ahren zuckte die Achseln und schüttelte dabei unabsichtlich Trogadons Hand ab. »Ich halte mich von ihr so weit entfernt, wie es nur geht. Alles andere schmerzt zu sehr. Sowohl körperlich als auch emotional.« Er blickte Trogadon gequält von der Seite an. »Hast du mitbekommen, dass sie mich vor einigen Wochen beim Üben beinahe von unten bis oben aufgeschnitten hätte?«
Trogadon nickte, blieb aber stumm, sodass Ahren weiterredete.
»Hinterher sagte sie völlig ungerührt, dass ich halt besser aufpassen müsste«, schloss er bitter. »Einfach so. Ohne jegliche Regung.« Er erschauerte.
»Vielleicht ist deine Lösung die beste«, sagte Trogadon nachdenklich. »Jelninolan versucht ja bereits intensiv, unsere alte Khara wieder hervorzulocken. Bestimmt gelingt es ihr früher oder später. Oder Aluna, wenn sie und Fjolmungar von ihrem Abstecher in die Klingensee zurück sind. Auch sie hat Erfahrung mit einem langanhaltenden, gemütsverändernden Zustand.«
Ahren stieß frustriert die Luft aus und starrte vor sich auf den Boden. Der Zwerg streckte sich daraufhin, um mit einem seiner kurzen Arme über sich auf die Werkbank zu langen und von dort eine kleine eiserne Flasche herunterzunehmen. »Hier, mein Junge. Nimm einen kleinen Schluck. Deine Probleme kann nur die Zeit richten, aber das hier wird dir zumindest beim Einschlafen helfen.«
Ahren nahm die Flasche gedankenverloren entgegen und entfernte den metallenen Stöpsel. Bevor ihn die scharfen Dämpfe warnen konnten, die aus der Flasche emporstiegen, legte er seine Lippen an den Flaschenhals, warf mit einem schnellen Ruck seinen Kopf in den Nacken und trank Schluck um Schluck.
»Oh je«, hörte er Trogadon noch sagen. Dann krachte Ahren auch schon besinnungslos und kopfvoran auf den Boden.
Schlagartig kam Ahren wieder zu sich. Er verspürte einen heftigen Schmerz in seinem Ohr. Irgendetwas griff ihn an! Mit hektisch rudernden Armen kam er blitzschnell auf die Beine und hatte seinen Dolch gezückt, noch bevor er die Augen ganz aufgeschlagen hatte. Ich bin entführt worden!, schoss es ihm durch den Kopf. Gerade hatte er noch bei Trogadon gesessen und mit ihm getrunken …
»Also seine Reflexe sind zumindest tadellos«, hörte er Falk hinter sich reden.
Ahren schaffte es endlich, sich zu orientieren, und ließ seine Waffe sinken. Er war an Deck der Königin der Wellen und die Morgensonne stand bereits am Himmel. Dann blinzelte Ahren und stellte fest, dass das feurige Rund auf der falschen Seite des Himmels hing. »Es ist ja schon Abend«, sagte Ahren verwirrt und drehte sich dabei um. »Wie lange habe ich geschlafen?« Trogadon, Falk und Jelninolan standen schmunzelnd vor einer Taurolle, auf der Ahren wohl bis vor kurzem gelegen hatte.
»Nur den gesamten lieben langen Tag«, sagte Falk sarkastisch und hielt eine kleine Eisenflasche in den Händen. »Du warst ein prächtiges Vorbild, wie du hier für die gesamte Mannschaft ein Schnarchkonzert gegeben hast, während sie arbeiten mussten.« Der Ton seines alten Meisters hätte Steine schneiden können, und Ahren zuckte schuldbewusst zusammen.
»Das war meine Schuld«, sagte Jelninolan lächelnd. »Als du nicht aufgewacht bist, habe ich Trogadon gesagt, dass Sonnenlicht helfen würde, dich wieder zu Sinnen zu bringen, und ihn gebeten, dich an Deck zu tragen.«
Der Zwerg nickte. »Aber du hast wohl ein paar Stunden Sonne mehr gebraucht als gedacht. Kein Wunder nach der Menge Zwergenschnaps in deinem Bauch.«
»Der war stärker, als ich vermutet hatte«, sagte Ahren lahm.
»Natürlich«, grummelte Trogadon und nahm Falk die Flasche ab. »Das war das gute Zeug. Mein persönlicher Lieblingstropfen für schlechte Zeiten.« Er drehte die Flasche demonstrativ auf den Kopf, um zu zeigen, dass sie leer war. »Selbst ich nippe nur daran. Falk musste dir fast das Ohr abreißen, um dich wachzukriegen.«
Ahren war heilfroh, dass Zwergenschnaps keinen Kater hinterließ, sonst hätte er wahrscheinlich die nächste Woche als wimmerndes Häufchen in seiner Hängematte gelegen. Er nickte Trogadon entschuldigend zu und rieb sich sein schmerzendes Ohr. Die Mannschaft um ihn herum zog feixende Gesichter, aber Ahren sah nichts als gutmütigen Spott in ihren Augen. Der dreizehnte Paladin hatte nach all den gemeinsam bestandenen Gefahren in den Augen der Seeleute eine solche Heldenverehrung erlangt, dass Ahren sich auch nackt und eine elfische Ballade trällernd durch die Takelage hätte schwingen können, und noch immer wäre ihm die Bewunderung der Matrosen sicher gewesen.
Bitte probiere das nicht aus, sagte Culhen trocken, der ihn mit einem Schulterblick von seinem Platz am Bug aus kritisch beäugte. Ich weiß nicht, ob ich dich dann jemals wieder ernst nehmen könnte.
Keine Angst, mein Großer, erwiderte Ahren lächelnd. Langsam fanden alle seine Sinne wieder zusammen und er streckte sich ausgiebig, bevor er sich wieder seinen Freunden zuwandte. »Wo sind die anderen?«
Jelninolan deutete in den Bauch des Schiffes. »Sie halten weiter Kriegsrat.« Die Elfe verzog das Gesicht. »Es ist nicht sehr produktiv. Ich gehe so weit, zu behaupten, du hast deine Zeit besser genutzt als wir.«
Trogadons Augen glänzten plötzlich. »Es wäre mir eine Ehre, euch ein wenig Zwergenschnaps zu kredenzen, damit die Zeit schneller vergeht, holde Priesterin …«, begann er enthusiastisch, aber Jelninolan winkte hastig ab.
»Oh nein«, sagte sie lachend. »Es gibt Legenden, dass Elfen von dem Zeug schmelzen, wenn sie es trinken. Ich bin nicht gewillt, das Risiko einzugehen.«
Ahren hörte dem Wortgeplänkel seiner Freunde nur noch mit halbem Ohr zu. Sein Blick fiel auf Khara, die allein auf dem Achterdeck stand und unermüdlich trainierte. Jedes Lachen ohne sie kam ihm wie ein Verrat vor und die dunkle Wolke der Frustration legte sich wieder über seinen Verstand.
»Land voraus!«, ertönte es da plötzlich aus dem Krähennest über ihm, und mit einem erleichterten Aufschrei stürmte Ahren an die Reling und spähte in die Richtung, in die der Ausguck wies. Die halbe Mannschaft tat es ihm gleich, ebenso seine Freunde. Im späten Licht der Abendsonne konnte man einen schwachen Schatten am Horizont ausmachen, der nicht mehr als eine diffuse Kontur war. Trotzdem schlugen sich die Matrosen gegenseitig auf die Schultern und die Stimmung war schlagartig ausgelassen. Auch unter den Seeleuten hatten die Gerüchte über die Bannsäule ihre Runde gemacht. Es hatte sich das besonders düster gesponnene Seemannsgarn verbreitet, die magische Druckwelle, die das Schiff vor Wochen erfasst hatte, wäre Beweis dafür, dass Jorath untergegangen war. Beim Anblick der freudestrahlenden Gesichter beschlich Ahren das Gefühl, einige von ihnen waren erleichtert, dass es überhaupt noch eine Küste gab, zu der sie zurückkehren konnten.
Ahren schob entschlossen sein Kinn vor und spürte die feierliche Zustimmung Culhens.
Nicht, solange ich atme.
Bis spät in die Nacht blieb Ahren an der Reling stehen und beobachtete die größer werdenden Lichter an der Küstenlinie. Nach seinem unfreiwillig langen Schlaf war an eine ordentliche Nachtruhe nicht zu denken, und schließlich gesellte sich Feldwebel Yantilla zu ihm und schaute mit einem tiefen Seufzen in die Nacht hinaus.
»Morgen werden wir endlich festen Boden unter den Füßen haben. Auch wenn wir auf einen Krieg zusteuern, wenigstens wird er an Land ausgefochten. Wenn ich damals im Wald gewusst hätte, auf was wir uns einlassen, als wir uns in Eure Dienste stellten, hätte ich meine Männer und Frauen in den tiefsten Wald geführt, den ich gefunden hätte, und wir wären die nächsten Jahre nicht mehr herausgekommen. Bei allem Respekt natürlich, Junker.«
Ahren warf der hageren Frau einen kurzen Seitenblick zu. »Wenn ich gewusst hätte, was auf uns zukommt, hätte ich Euch in diesem Wald Gesellschaft geleistet«, scherzte er.
Die Soldatin neben ihm war einst eine Söldnerin und Wegelagerin gewesen, die Ahren und seine Freunde überfallen hatte. Einer Eingebung und seinem tief verwurzelten Charakterzug folgend, so viel Blutvergießen wie nur möglich zu vermeiden, hatte Ahren sich ihnen als Paladin offenbart und ihnen eine Anstellung angeboten. Die Loyalität, die er in der Frau geweckt hatte, war offensichtlich tief genug gewesen, sodass sie und ihre Untergebenen ihm bei seinem letzten Abenteuer auf der Klingensee ungefragt beigestanden hatten.
»Aber warum redet Ihr von einem Krieg, Feldwebel?«, erkundigte er sich. »Die Bannsäule steht unseres Wissens noch.«
Yantilla deutete hinaus ins Dunkel. »Steht Ihr den kleinen rot flackernden Punkt dort draußen?«
Ahren kniff die Augen zusammen und blickte in die angegebene Richtung. Kaum wahrnehmbar schien dort ein kleines, rotes Licht am Horizont zu glimmen. »Jetzt schon«, sagte er beiläufig. »Ist das ein anderes Schiff?«
Yantilla schüttelte den Kopf. »Das ist das Leuchtfeuer der Königsinsel.« Sie machte eine kurze Pause. »In Kriegszeiten schütten sie ein Pulver hinein, sodass es rot leuchtet.«
Eine Weile waren das Knarzen des Holzes und das Brechen der Wellen am Kiel des Schiffes die einzigen Geräusche.
»Verdammt«, sagte Ahren schließlich und kratzte sich an seinem Bart.
»Ihr sprecht mir aus der Seele, Junker«, sagte Yantilla mit grimmigem Blick.
»Wenigstens hört morgen diese verfluchte Ungewissheit auf«, versuchte Ahren sich an tröstenden Worten.
»Dann wollen wir hoffen, dass wir uns nicht bald auf dieses Schiff zurückwünschen, in die Zeit, als wir noch nicht wussten, was auf uns zukommt«, sagte die hagere Soldatin düster.
»Liebäugelt Ihr noch immer mit dem tiefen Wald, Feldwebel?«, scherzte Ahren, um die fatalistische Stimmung zu vertreiben.
»Wir werden sehen, Junker«, sagte die Frau nur. »Wir werden sehen.« Dann verabschiedete sie sich mit einem Nicken und verschwand in Kapitän Orbens Kabine.
Ahren jedoch starrte noch lange auf das kleine, schwache Licht an der Küste, diesen roten Funken in der Dunkelheit, der einen ganzen Krieg zu entfachen schien.
Ahren erwachte am Bug in der felligen Umarmung seines Wolfes. Er hatte sich tief in der Nacht zu Culhen gelegt und war an ihn gekuschelt eingeschlafen. Culhen schnarchte leise, seine Schnauze in seinem Schwanz vergraben. Ahren streichelte sanft die Ohren des Tieres, die zu zucken begannen, bis sein Freund schließlich die Augen aufschlug, um ihn liebevoll anzusehen.
So kannst du mich gerne häufiger wecken, sagte Culhen und gähnte.
Sofort wurde Ahren von einem geradezu betäubenden Verwesungsgeruch eingehüllt, der dem schier unersättlichen Maul des Wolfes entströmte. Er kämpfte sich über den Rücken des Tieres aus dessen liebevoller Umklammerung hervor, während er japsend nach Luft rang. »Ich werde Jelninolan bitten, dein Maul mit einem Duftzauber zu belegen«, sagte er neckend. »Dann riechst du nach Veilchen und kein Dunkelwesen wird dich mehr ernst nehmen.«
Culhen beendete sein Gähnen mit einem lauten Zuklappen seiner kräftigen Kiefer. Nach dem ersten Biss, dachte er lässig, nimmt mich jeder ernst.
Ahren warf einen Blick über die Reling. Mittlerweile war die Königsinsel gut zu erkennen. Der flache, dicht bebaute Felsen mit dem ausladenden Hafen auf der Seeseite war die Hauptstadt der Rittermarschen und beherbergte neben dem Königspalast auch die wohlhabendsten Händler des nordöstlichsten Reiches Joraths. So viel Prunk und Reichtum wie auf der Königsinsel hatte Ahren bisher noch nirgends gesehen, und es erschien ihm unwirklich, an diesen Ort voller Macht und Gold zurückzukehren. Als er damals von hier aus in See gestochen war, um zum Silbernen Kliff zu reisen, wo er Trogadon kennengelernt hatte, war er noch ein unbedarfter Lehrling gewesen, der mehr falsch als richtig machte. So hatte er Khara damals in den Gassen der nun langsam vor ihm größer werdenden Stadt vor einer Gruppe finsterer Gestalten retten wollen, doch ... Ahren schloss die Augen gegen die Erinnerung, aber sie kam trotzdem. Am Ende hatte Khara ihn retten müssen, nachdem er von genau den Schlägern niedergestochen worden war, die das Mädchen zuvor bedrängt hatten. Ahren schien diese Begebenheit wie aus einem anderen Leben.
Ein Räuspern ließ ihn herumfahren und er entdeckte vor sich einen jungen Matrosen, der Ahren schüchtern anblickte. »Herrin Jelninolan wünscht Euch zu sprechen, Junker. Sie war sehr ... eindringlich in ihrer Bitte.«
Ahren zog die Augenbrauen hoch und blickte Culhen fragend an.
Was schaust du zu mir herüber? Ich bin auch gerade erst wach geworden, sagte der Wolf und schnupperte an dem Matrosen. Der Kerl hat nicht mal was zu essen dabei, fügte er schmollend hinzu.
Ahren wandte sich an den eingeschüchterten Matrosen. »Ich gehe sofort zu ihr. Bringt Culhen in der Zeit bitte etwas zu fressen, Soldat. Wenn er hungrig ist, kann er ebenfalls ... eindringlich werden.«
Culhen schnappte verspielt nach dem jungen Mann, der daraufhin in aller Hast unter Deck eilte, während er aus vollem Halse nach Futter für den Wolf rief. Das macht Spaß, verkündete das Tier.
»Übertreib es nicht«, warnte Ahren ihn lachend. »Du willst doch deinen Status als Schiffsmaskottchen nicht verlieren, oder?« Dann begab er sich schnellen Schrittes unter Deck, um die Elfe aufzusuchen. Ein hungriger Culhen mochte bedrohlich sein, aber eine wütende Jelninolan war eine Naturgewalt.
Die Gemeinschaftskabine sah aus wie ein Schlachtfeld, mit Jelninolan als unerbittliche Generalin im Mittelpunkt. Überall lagen Kleidungsstücke. Falk, Fisker und Trogadon saßen um die Priesterin herum. Sie polierten, flickten und reinigten ihre Ausrüstung unter dem wachsamen Blick der Elfe, die jede noch so kleine Nachlässigkeit mit einem Fingerschnippen und einer hochgezogenen Augenbraue anmahnte. In einer Ecke des Raumes saß Uldini, in seine mit Goldrändern bestickte schwarze Robe gehüllt, die er zu offiziellen Anlässen trug. Sein Kopf war frisch rasiert und er schien sich königlich über die drei Gestalten zu amüsieren, die unter Jelninolans Kommando schufteten.
»Was ist denn hier los?«, fragte Ahren verwundert.
»Wir legen in wenigen Stunden im Hafen der Königsinsel an«, sagte Jelninolan streng. »Bestimmt hat die Hafenwache unser Kommen bereits bemerkt. Das bedeutet, wir werden mit allen Ehren empfangen werden. Schließlich beherbergt dieses Schiff drei Paladine und zwei Alte, eingeladen zum ersten Konklave der letzten Jahrhunderte. Alle Augen werden auf uns gerichtet sein. Wir sollten nicht aussehen wie ein Haufen heruntergekommener Raufbolde.« Die letzten Worte waren an Falk gerichtet, der ergeben den Kopf senkte und weiter seine Rüstung polierte.
Ahren grinste. Zu gerne hätte er das Wortgefecht mitverfolgt, das Falk und Uldini offensichtlich verloren hatten. »Das ist eine gute Idee«, sagte er übertrieben demütig und setzte sich gehorsam hin, um seine Ausrüstung auf Vordermann zu bringen.
»Verräter«, knurrte Falk ihm leise zu und Ahren bedachte ihn daraufhin mit einem verschmitzten Blinzeln.
»Mein Meister hat mir beigebracht, dass man Kämpfen aus dem Weg geht, die man nicht gewinnen kann«, sagte er unschuldig. »Ist das etwa falsch?«
Anstelle einer Antwort polierte Falk grimmig an seiner Brustplatte herum.
Der Morgen verging in emsiger Geschäftigkeit und es wurde mit äußerster Genauigkeit an jedem Fingerbreit ihrer Erscheinung gefeilt. Jelninolan bereitete sich mit einer Gewissenhaftigkeit auf ihre Ankunft im Hafen vor, die Ahren nach kurzer Zeit als übertrieben empfand. Gerade als er den Mund aufmachte, um seine Zweifel hervorzubringen, brachte Uldini sich ein.
»Bedenkt, dass jeder Mann, jede Frau und jedes Kind der Königsinsel euch sehen wird. Das wird ein historischer Moment, über den die Barden einige Monde lang singen werden. Je besser ihr jetzt ausseht, umso höher die Moral. Das Kriegsfeuer brennt nicht ohne Grund im Leuchtturm. Also gebt diesen Leuten die Helden, die sie verdienen. Es werden unter Umständen für lange Zeit die letzten schönen Erinnerungen für sie sein.« Nach dieser kleinen Rede des Magus klappte Ahren den Mund einfach wieder zu und bemühte sich nach Leibeskräften, Jelninolans Anweisungen zu folgen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war es endlich so weit. Ahren stand frisch barbiert, frisiert, eingekleidet und mit seiner Ausrüstung versehen neben Falk und den anderen, während Jelninolan sie mit militärischer Akribie inspizierte. Schließlich nickte sie zufrieden und deutete auf die Kabinentür. »Also gut, raus mit euch an Deck. Keine Würfel, kein Wein und kein Essen. Ich will nicht, dass man euch beim Glücksspiel sieht oder ihr euch bekleckert. Schickt mir Khara herein, damit sie und ich uns vorbereiten können.«
»Ob Khara da mitmacht?«, fragte Fisker glucksend, um im nächsten Moment unter Jelninolans eisigem Blick zu verstummen.
»Das arme Ding hat den Zugang zu ihren Gefühlen verloren. Das bedeutet nicht, dass sie blöd ist«, sagte die Elfe eisig. »Ich bin sicher, sie wird meine Beweggründe schneller verstehen als so mancher Holzkopf in dieser Kabine.«
Danach schlichen die eingekleideten Männer an Deck und Falk bedeutete Ahren, Khara hinunterzuschicken. Der junge Waldläufer schluckte, dann stählte er sein Herz.
Khara übte wie fast jede wache Minute auf dem Achterdeck. Nur Jelninolan sprach noch regelmäßig mit der jungen Frau und versuchte sie aus ihrer emotionalen Trance hervorzuholen. Der Rest der Mannschaft war dazu übergegangen, sie zu meiden.
»Khara, Jelninolan will dich sehen«, sagte Ahren förmlich. Er hatte weicher, sanfter klingen wollen, aber seine Bemühungen scheiterten an ihrem distanzierten Blick, mit dem sie ihn bedachte.
»Du siehst gut aus«, stellte sie in neutralem Ton fest. »Sehr eindrucksvoll.«
»Danke«, sagte er überrascht und machte unwillkürlich einen Schritt auf sie zu. »Du siehst auch sehr gut aus.«
»Zweifelhaft«, sagte Khara zur Antwort und glitt an ihm vorbei. »Ich gehe mich ebenfalls herrichten.« Kein Seitenblick, keine flüchtige Berührung. Sie hätten ebenso gut Fremde sein können, die zufälligerweise auf demselben Schiff reisten.
Ahrens Fäuste ballten sich und er war kurz davor zu schreien. Nur die bewundernden Blicke der Mannschaft, die Ahren ganz offen angafften, ließen ihn Haltung bewahren. Diese Männer und Frauen hatten für Ahren und seine Sache geblutet und gekämpft. Einige ihrer Kameraden waren sogar für ihn gestorben. Sie verdienten es, dass er sich hier und jetzt wie der Held verhielt, den sie in ihm sahen.
Er ging zu den anderen aufs Hauptdeck und Falk nickte ihm anerkennend zu. »Wenn ich die Reaktionen der Mannschaft richtig deute, werden wir einen grandiosen Auftritt hinlegen«, sagte Fisker jovial.
»Denk daran«, ermahnte Falk. »Du bist jetzt wieder ein Paladin. Keiner will hier einen betrunkenen Piratenkapitän sehen.«
Als Reaktion auf Falks Kommentar ertönte ein Keckern über ihnen in der Takelage. Cassobo, das Vertrautentier Fiskers, hing über ihnen in den Seilen und bleckte die Zähne, während es seinen Freund verspottete. Das Äffchen hatte eine schelmische Ader, die über seinen scharfen Verstand hinwegtäuschte.
»Hör auf zu lachen und komm herunter«, sagte der blonde Paladin unbeeindruckt. »Es wird Zeit, auch dich aufzuhübschen.« Sofort leistete der Affe Folge, und Ahren schlug sich die Hand gegen die Stirn.
»Was ist los, Junge?«, fragte Falk beunruhigt.
»Ich gehe besser Culhen zurechtmachen. Wenn er ungekämmt von Bord gehen muss, wird er mir das nie verzeihen.«
Es war früher Nachmittag unter einem klaren, wolkenlosen Himmel, als die Königin der Wellen mit langsamer Fahrt in den Hafen der Königsinsel einfuhr. Was auch immer Ahren erwartet hatte, auf den vor ihm liegenden Anblick war er nicht vorbereitet. Die jubelnden Bewohner, die dicht gedrängt in den Straßen standen, warfen Blumen ins Wasser, von den befestigten Hafenmauern erschollen die Trompeten straffstehender Militärherolde, und Ahren vermutete, dass da eine Hundertschaft Ritter im Spalier stand, um die Ehrengäste der Königin der Wellen am mittleren Pier willkommen zu heißen. Je näher sie kamen, umso mehr Details konnte Ahren ausmachen, und er wurde immer nervöser.
»Was meinst du, wie die gucken würden, wenn wir Kapitän Orben befehlen würden, am falschen Pier anzulegen?«, raunte Trogadon ihm mit einem Augenzwinkern zu.
Ahrens Mundwinkel zuckten, als er sich vorstellte, wie die gesamte Ehrenformation und der Empfangsbaldachin, unter dem er König Senius Blaugrund entdeckt hatte, hektisch den Hafen hinabeilten, um sich neu zu formieren, bevor das Schiff anlegte. »Verlockend«, murmelte er zurück. »Aber mit solchen Streichen warten wir besser, bis der Krieg gewonnen ist.«
»Ist auch besser für Orbens Gesundheit«, warf Fisker ein. »Der alte Zausel platzt gleich vor Aufregung.«
Ahren warf einen Blick auf den überkorrekten Kapitän, der in seiner Paradeuniform am Steuerrad stand und eine gute Handbreit größer erschien als sonst. Dies mochte vielleicht der erhabenste Moment seines Lebens sein, und ihm den zu verderben, erschien Ahren nicht recht. Dann blickte er auf die jubelnden Menschenmassen und wann immer er einzelne Gesichter erkennen konnte, zuckte er innerlich vor dem Hoffnungsschimmer in den Augen der Feiernden zurück.
»Begreifst du jetzt?«, flüsterte Jelninolan ihm sanft ins Ohr. »Für diese Leute sind wir der Inbegriff der Hoffnung. Wir verkörpern alles, was sie sich für die Rettung ihrer Zukunft wünschen. Mut, Ehre, Tugend …«
Trogadon rülpste leise in Jelninolans Ansprache hinein und sie warf ihm einen tödlichen Blick aus ihren grünen Augen zu.
»Der musste raus«, entschuldige sich der Zwerg kleinlaut. »Und ich dachte, besser jetzt gleich, als wenn wir vor dem König stehen.«
Die Königin der Wellen glitt am Pier entlang und wurde immer langsamer. Unterdessen warf Ahren erneut einen Blick auf den Monarchen unter dem tiefblauen Pavillon, der das königliche Wappen trug. Der Mann wirkte sichtlich gealtert, seit der junge Waldläufer ihn das letzte Mal gesehen hatte. Mehr, als die paar Jahre rechtfertigten.
»Der Knabe hat wohl harte Zeiten hinter sich«, sagte Falk mitfühlend. »Ich hasse es, Leute altern zu sehen.«
Zum ersten Mal konnte Ahren ansatzweise nachempfinden, was seine Gefährten in ihrer langen Lebensspanne immer wieder durchmachten: Freunde und Bekannte, die alterten und starben, während die Zeit den Paladinen kein Haar krümmen konnte.
Während die Mannschaft das Schiff vertäute, schwoll der Jubel in der Menge noch einmal ohrenbetäubend an. Die umliegenden Piers und Straßen des Hafens waren dicht besetzt, und es wunderte Ahren, dass noch niemand ins Wasser gefallen war.
Als ob das jemand bemerken würde, warf Culhen trocken ein. Aber ich gebe zu, an so einen Empfang könnte ich mich gewöhnen.
Ahren rollte mit den Augen, als er das Wohlbehagen des Wolfes spürte, der die Zuneigung der Menge geradezu in sich aufsog.
Als die Planke schließlich auf dem Pier aufsetzte, kam zuerst ein königlicher Herold zu ihnen an Bord, der sich neben dem hölzernen Abstieg aufstellte und eine Schriftrolle hervorzog. Uldini schwebte neben den gepuderten ältlichen Mann und begann, hektisch auf ihn einzureden, wobei er auf die einzelnen Einträge auf der Liste deutete.
»Was tut er da?«, fragte Ahren leise aus dem Mundwinkel, während er wie alle anderen höflich winkend in die Menge lächelte.
Fisker kicherte verstohlen. »Er bringt den guten Mann wohl auf den neuesten Stand. Nicht dass der bei unserer Ankündigung einen Titel oder eine Heldentat vergisst. Uldini wird dieses Ereignis vollends ausnutzen, das kannst du mir glauben. Innerhalb weniger Tage wird sich die Hälfte der Adligen und Händler wundern, wie sie nach einem Gespräch mit unserem gerissenen Alten nur so große Teile ihres Vermögens für die Kriegsanstrengungen spenden konnten.«
Ahren verstand. Uldini war ein politischer Ränkeschmied erster Güte. Die jubelnden Würdenträger ringsum waren so etwas wie ein Festbankett für den ruchlosen Magus.
»Also gut, es geht los«, warnte Falk die anderen. Der Herold rief ihn zu sich, ein höfliches, leicht unterwürfiges Lächeln auf dem Gesicht. »Anscheinend bin ich der Erste.« Kaum hatte der alte Mann einen Schritt auf den Steg getan, als zahlreiche Fanfaren ertönten und es daraufhin im Hafen schlagartig still wurde.
Der Herold schwenkte einen Arm und rief dann laut: »Ich präsentiere: Baron Dorian Falkenstein, Paladin der Götter, Streiter der Dunklen Tage, General der nordöstlichen alliierten Kavallerie, Bezwinger von Delsorus, Tausendzahn und dem niederen Wyrm Zackenschuppe.«
Ahren schwor, dass er den Jubel in seinen Knochen spüren konnte, als jede einzelne Person im Hafen aus vollem Halse schrie, als gäbe es kein Morgen mehr. Er wusste, dass die Rittermarschen ‚ihren‘ Paladin über alles liebten, obwohl sie ihn nur aus jahrhundertealten Geschichten kannten. Aber wie Falk in seiner weiß glänzenden Rüstung den Steg hinabschritt, sein Breitschwert am Gürtel umfassend und den mächtigen Zwergenschild aus Tiefenstahl in der anderen Hand, wirkte er wirklich wie die fleischgewordene Sagengestalt – die er ja auch war. Jelninolan hatte ihm noch einen tiefblauen Umhang verpasst, der sich majestätisch im Wind bauschte, und in diesem Moment tat Ahren Senius Blaugrund ein bisschen leid. Der Monarch, auf den Falk nun zuschritt, konnte unmöglich mit dem Paladin mithalten, sondern nur hoffen, in Falks Glanz nicht hoffnungslos unterzugehen. Wenn wir erst alle bei ihm stehen, wird den König keiner mehr wahrnehmen, schoss es Ahren durch den Kopf. Der Gedanke hatte etwas Unwirkliches an sich.
Dann war Jelninolan an der Reihe, die in ihrer üblichen grünblauen Robe vorwärtsschritt. Ihre Haare hatte sie zu einer eleganten Turmfrisur hochgesteckt und ihre Sturmfiedel lag in ihrer linken Armbeuge.
Wieder ertönten die Fanfaren und wieder wurde es still im Hafen.
»Die Priesterin Jelninolan aus dem fernen Eathinian. Mitglied der Alten und Erweckerin der Sturmweberei.«
Fisker sog neben Ahren scharf die Luft ein. »Jetzt hat es Uldini mit der Angeberei aber übertrieben«, zischte er und deutete auf eine kleine Delegation aus Elfen, die Jelninolan unverwandt anstarrten. Die Elfe schritt unter dem donnernden Beifall der Menge würdevoll den Pier hinab, aber Ahren erkannte ihre Anspannung in der Haltung ihrer Schultern. Die Sturmweberei war seit dem Schisma der Elfen in Eathinian verboten, und dass Jelninolan diese Magieform wiederbelebt hatte, hätte sie ihrem Volk besser feinfühliger vermittelt, als durch einen menschlichen Herold. Auch Uldini schien seinen Fehler bemerkt zu haben, denn er warf Jelninolan einen entschuldigenden Blick zu, den diese jedoch ignorierte.
»Bin gespannt, wie er das wieder geradebiegt«, sagte Trogadon feixend, als der Herold ihn auch schon nach vorne winkte. Lässig seinen riesigen Hammer über der Schulter tragend und in sein knielanges Kettenhemd gehüllt, stand Trogadon auf dem Deck und forderte die Menge mit Gesten zum Klatschen auf, noch während die Fanfaren erschollen. Sein steinfarbenes Haar und der mächtige Bart waren in komplizierten Zöpfen miteinander verwoben, und ohne sein Lausbubengrinsen hätte der Krieger sicherlich äußerst würdevoll ausgesehen.
»Trogadon vom Silbernen Kliff, Träger eines zwergischen Ahnennamens«, verkündete Herold neben dem Zwerg in die bereits johlende Menge hinein. Mit einem breitbeinigen und leicht schaukelnden Gang stolzierte Trogadon über Steg und Pier, ganz so, als würde er einer Horde bewundernder Schankhausschläger zuwinken statt der gesamten Bevölkerung der Königsinsel.
»Kann er denn nie etwas ernst nehmen?«, fragte Uldini jammernd in die Runde.
»Tut er doch«, erwiderte Ahren. »Bei schlechtem Bier versteht er wirklich keinen Spaß.«
Der war gut, sagte Culhen anerkennend und wuffte amüsiert.
Während Uldini den jungen Paladin noch mit zusammengekniffenen Augen ansah, glitt der Zauberkundige neben den winkenden Herold. Uldini schwebte – wie immer – einen Schritt über dem Boden, während mystische Winde seine schwarze Robe blähten und verspielte kleine Blitze ihn geheimnisvoll umzuckten. Ahren hatte Uldinis Pose schon zu oft gesehen, um beeindruckt zu sein, als der Magus begann, den Steg hinabzuschweben. In die abwartende Stille der Menge mischten sich jedoch bei diesem Anblick nun staunende Ohs und Ahs.
»Uldini Getobo, Oberster der Alten, Weber des Bannspruches und Liebling der Götter.«
Während die Menge ehrfürchtige Rufe ausstieß, kicherte Fisker indes in sich hinein. »Erstaunlich. Er beansprucht drei Titel, aber nur einen davon hat er sich im Alleingang verdient. Dass die Götter ihn mögen, ist sicher nicht sein Verdienst, und am großen Bannspruch haben alle Alten mitgewirkt.«
Ahren grinste. Die Effekthascherei bei offiziellen Anlässen passte nur zu gut zu seinem Freund in der kindlichen Gestalt.
Dann war Fisker dran, der neben seinem silbern schimmernden Cape aus Tiefenseide und den elegant zurechtgelegten blonden Locken über dem spitzbübischen Gesicht ein derart charmantes Lächeln zeigte, dass Ahren davon überzeugt war, dass der Paladin an diesem Tag mehr Einladungen zu Stelldicheins erhalten würde, als er während ihres Aufenthalts würde einlösen können.
Du unterschätzt ihn, kommentierte Culhen trocken. Wäre er ein Wolf, würde ihn jeder kluge Alpha vom eigenen Rudel fernhalten – vor allem von den Weibchen.
Der Herold deutete auf Fisker: »Fisker Melanius, Paladin der Götter, Streiter der Dunklen Tage, Dolchrochentöter, Beschützer der Ostmeere, Admiral der alliierten östlichen Marine.«
Während der Jubel – vermischt mit weiblichen Entzückensschreien – erklang, zog Ahren überrascht die Augenbrauen hoch. Er kannte Fisker nur als aufschneiderischen Piraten und etwas anrüchigen Paladin. Dass sein Freund vor seinem Verfall in moralische Untiefen während der Dunklen Tagen Großes geleistet hatte, war ihm zwar aus den Anekdoten Fiskers bekannt, aber dass der jung gebliebene Paladin derart viel Ruhm eingeheimst hatte, verblüffte Ahren doch.
Der blond gelockte Mann vollführte eine kecke Pirouette auf dem Pier, während Cassobo auf dessen Schulter einen Purzelbaum schlug. Die Menge johlte und fort war der Moment der Ehrfurcht.
Ahren schüttelte grinsend den Kopf, dann winkte der Herold ihn nach vorne. Zuerst dachte Ahren, er würde jetzt sehr nervös oder unruhig werden, aber eigentlich war er schlicht und ergreifend überfordert von den jubelnden Menschen ringsum. Wenn er in seiner Funktion als Paladin nicht all den Zuschauern Trost und Hoffnung in diesen dunklen Zeiten hätte schenken sollen, wäre er einfach durchmarschiert. So aber stellte er sich gehorsam neben den Ausrufer, der ihm zumurmelte: »Es ist mir eine Ehre, Junker.«
»Gleichfalls«, murmelte Ahren höflich.
Gleich bin ich dran, oder?, fragte Culhen aufgeregt. Schau nach, ob er meinen Namen richtig aufgeschrieben hat.
Ahren rollte die Augen und schaute flüchtig auf die Schriftrolle des Herolds. Du stehst nicht drauf, erwiderte Ahren stumm, während die Fanfaren erklangen. Wir gehen wohl zusammen.
Ein empörtes Knurren ertönte hinter ihm. Ich werde nicht von Bord gehen, wenn er mich nicht ankündigt, entrüstete sich Culhen. Ich bin doch kein Anhängsel! Dann erteilte er Ahren konkrete Anweisungen, was der Herold von sich geben sollte.
Mittlerweile waren die Fanfaren verstummt und die Menge wartete mit angehaltenem Atem auf Ahrens Ankündigung, doch der stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen Worte hervor, die der verdutzte Herold zitternd notierte. Die Stille im Hafen war erdrückend, bis Ahren endlich Culhens Wünsche übermittelt hatte und das Protokoll seinen Lauf nehmen konnte.
»Junker Ahren, Sohn des Edrik, Retter König Senius Blaugrunds, der Dreizehnte Paladin!« Ehrlicher Triumph schwang in den letzten Worten des Herolds mit und die Menge explodierte förmlich.
Ahren versuchte gleichmäßig in alle Richtungen zu lächeln, während er den Steg hinunterging. Seine breiten Schultern steckten noch immer in dem mittlerweile zu klein geworden Bänderpanzer und sein langes; braunes Haar war im Nacken zusammengebunden. Der kurze Vollbart mit dem leichten Rotschimmer war frisch gestutzt, und sein Bogen und seine Windklinge ragten hinter seinem Rücken auf. Er war sich darüber bewusst, dass er nicht halb so heroisch wie Falk oder so charmant wie Fisker wirkte, aber das hielt die Menge nicht davon ab, ihm wie von Sinnen zuzujubeln. Ahren durchschritt das Ehrenspalier der Ritter, die ihn voller Ehrfurcht ansahen, und konnte es schließlich kaum erwarten, dass dieser Moment vorbei war.
Endlich war er bei König Senius Blaugrund angekommen, der ihm förmlich die Hand reichte und sich dann leicht verbeugte, eine Geste, die Ahren zeitgleich erwiderte. Der Monarch verzichtete angesichts des ohrenbetäubenden Jubels auf Begrüßungsworte und murmelte nur ein leises: »Wir reden später.«
»Wo ist denn Culhen?«, raunte Falk Ahren mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen zu.
»Wart’s ab«, sagte Ahren nur, der die Vorfreude des Wolfes geradezu auf der Zunge schmecken konnte.
»Khara aus dem Ewigen Reich, Kriegerin und Gefährtin des Dreizehnten«, ertönte die Stimme des Ausrufers, und Ahren zuckte zusammen, als die junge Frau den Pier hinunterspazierte und die Menge dabei eiskalt ignorierte.
»Was sollte denn dieser letzte Titel?«, fragte Ahren gequält.
»Das war meine Idee«, sagte Jelninolan mit einem mitfühlenden Lächeln. »So weiß die weibliche Hälfte der Königsinsel wenigstens direkt, woran sie ist.«
»Bleibt mehr für uns«, flüsterte Fisker Trogadon zu und die beiden grinsten sich an.
»Die Herren sind sich schon bewusst, dass hier ein Konklave stattfindet, oder? Meine Untertanen sind nicht Euer persönlicher Harem«, sagte der König indigniert, und schnell setzten die beiden Schwerenöter eine unschuldige Miene auf.
Khara war noch nicht ganz den Pier entlanggegangen, als ein erneuter Fanfarenstoß ertönte.
»Noch einer?«, fragte Uldini in den Krach hinein. »Aber das waren doch alle Würdenträger.«
»Einer fehlt noch«, seufzte Ahren.
»Ich präsentiere: Culhen, Vertrautentier des Dreizehnten, Erwählter der Göttin, Retter Tanentans vor dem Wächter des Weinenden Tals, Bezwinger des Dunkelpanthers Der-im-Schlaf-tötet, Schutzengel der Paladine.« Zu diesen Worten stolzierte Culhen mit heraushängender Zunge in einem schlendernden Gang auf den Pier, wo er anhielt und den Jubel der Menge genoss.
»Ich fasse es nicht«, stöhnte Uldini und Falk funkelte Ahren finster an.
»Schutzengel der Paladine? Ernsthaft?«, fragte er seinen ehemaligen Lehrling gereizt.
»Macht das mit ihm aus«, sagte Ahren stoisch in die Runde. »Ihr habt den eitlen Fatzke ja nicht ständig in eurem Kopf.« Insgeheim freute er sich jedoch für den Moment des Ruhms, den Culhen gerade durchlebte.
»Du kannst froh sein, dass du deinen Spitznamen unter den Paladinen bereits erhalten hast, kleiner Bruder«, sagte Fisker, der vor Lachen keuchte. »Sonst hättest du jetzt einen deutlich weniger angenehmen bekommen.«
»Engelsfreund«, schlug Trogadon vor.
»Vertrautenmensch des befellten Paladins«, warf Falk hinterher.
»Euch ist schon klar, dass gerade ein Krieg ausbricht?«, fragte König Blaugrund ungläubig ob der Scherze in der Runde. »Und dass das Wohl und Wehe ganzer Nationen von euch abhängen könnte?«
»Natürlich wissen wir das, mein König«, sagte Falk, nun wieder völlig ernst, mit einer Verbeugung, während Culhen zu ihnen aufschloss. »Deswegen nehmen wir ja jedes Lachen mit, das uns noch bleibt.«
Der König winkte ihnen zu, ihm zu folgen, und gemeinsam wandten sie sich vom Hafen ab und zwei Dutzend Adligen zu, die in gebührendem Abstand warteten, um sie zum Palast zu eskortieren. Während die Gefährten auf die bereitstehenden offenen Kutschen zugingen, verklang der Jubel der Menge hinter ihnen mit jedem Schritt, den sie sich vom Hafen entfernten. Die Gefährten tauschten wissende Blicke. Das Konklave würde nun beginnen und mit ihm ein neuerlicher Anbruch der Dunklen Tage.
Ahren stieg mit Falk und Jelninolan in eine Kutsche, die anderen teilten sich auf die übrigen Gefährte auf. Der junge Waldläufer war erleichtert, nicht mit Khara reisen zu müssen, und dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich.
»Schade, dass Selsena diesen Moment nicht erleben konnte«, sagte Falk seufzend. »Aber sie schwimmt ja immer noch als Narwal durch die Bucht.«
Jelninolan zögerte einen Herzschlag, dann sprang sie aus der langsam anfahrenden Kutsche auf die Straße und schritt zurück zu einem der Piere, sodass der gesamte Tross des Königs abrupt anhielt. »Bleibt sitzen!«, befahl sie streng, als Ahren und Falk sich erheben wollten. »Ich brauche allen Platz, den ich auf dem Pier bekommen kann.« Dabei legte sie ihre Sturmfiedel auf die Schulter und begann eine lockende, verschnörkelt klingende Melodie zu spielen.
»Will sie Selsena etwa jetzt und hier zurückverwandeln?«, staunte Ahren. »Vor der versammelten Menge?«
Falk konnte seine Vorfreude nicht verbergen und blickte die Elfe unverwandt an. »Ich denke, sie will gleichzeitig jemandem etwas beweisen«, sagte er und deutete dabei verstohlen nach links.
Ahren folgte der Geste mit den Augen und sah die vier Elfen, die er vom Schiff aus schon erblickt hatte. Ihre Gesichter zeigten unverhohlene Ablehnung, während sie Jelninolans magisches Fiedelspiel beobachteten. Dessen Klang erfüllte mittlerweile den gesamten Hafen, wo die wartende Menschmenge atemlos den Tönen lauschte, und wurde von den Kaimauern zurückgeworfen, sodass es schien, als erklänge mehr als eine Sturmfiedel. Das Echo fügte sich nahtlos in Jelninolans melodisches Spiel ein, und Ahren hörte Trogadon in der Kutsche hinter ihnen entzückt aufschreien.
»Wie Zwergensprache in einem Berg«, frohlockte er mit leuchtenden Augen.
Das wird die Elfen sicher noch weniger freuen, dachte Ahren grimmig.
Lass sie denken, was sie wollen, kommentiere Culhen das Geschehen, der sich neben Ahrens Kutsche niederließ und das Spektakel beobachtete. Jelninolan braucht ihre Zustimmung nicht mehr.
Wie um Culhens Worte zu bestätigen, drehte Jelninolan sich mitten im Spiel einmal im Kreis, und plötzlich wallte die Aura ihrer Wahren Gestalt mit solcher Macht auf, dass Ahren keuchend zurückzuckte. Ein Raunen ging wie eine Welle durch die versammelte Menschenmenge und mehr als eine Mütze wurde ehrerbietend vom Kopf gerissen. Edle Damen knicksten unvermittelt und gestandene Ritter sanken auf ein Knie, als Jelninolan noch immer spielend an ihnen vorbeischritt.
Das Lied wurde drängender und lebhafter, bis es schließlich in Ahren ein Bild erzeugte, das er mehr als willkommen hieß: Eathinian. Die mächtigen Bäume des Elfenwaldes, die Ruhe dieses Ortes und das ewig harmonische Miteinander seiner elfischen und tierischen Bewohner quollen aus Ahrens tiefsten Erinnerungen hervor und erfüllten ihn mit so viel innerem Frieden, wie er ihn schon lange nicht mehr verspürt hatte.
Jelninolan trat ans Ende eines der Piere und schien dem gesamten Meer etwas vorzuspielen, bis Ahren den weißen, schlanken Körper Selsenas erblickte, die in einer sich allmählich auftürmenden kleinen Welle auf den Hafen zuschwamm. Noch immer erklang das lockende Lied mit seinen Erinnerungen an das Elfenreich, und nun stiegen in Ahren Bilder auf, wie Selsena mit wehender Mähne durch den Immergrün rannte.
»Sie ruft Selsenas altes Ich hervor«, sagte Falk mit brüchiger Stimme.
Ahren legte kurz seine Hand auf Falks Schulter, selbst zu ergriffen von diesem Moment, um zu antworten. Dabei fiel sein Blick auf Khara, die zwei Kutschen hinter ihm saß, und erstarrte. Eine einzelne Träne lief über die Wange der jungen Frau, und Ahrens Herz setzte einen Schlag lang aus. Er wollte zu ihr rennen, aber in dem Moment schrie die Menge um ihn herum auf und er wurde abgelenkt.
Die Welle, in der Selsena heranschwamm, hielt direkt auf Jelninolan zu und das mit wachsender Geschwindigkeit. War der Zauber etwa schiefgegangen?
Ahren stieg aus der Kutsche, hin- und hergerissen, ob er zu Khara oder zu Jelninolan eilen sollte, als die Welle bereits tosend auf das Ende des Piers niederging. Für einen Moment schien es, als würden die Wassermassen die noch immer spielende Elfe unter sich begraben, aber dann teilte sich die Welle im letzten Moment und Selsena brach aus den Fluten hervor.
Mit donnernden Hufen, nass glitzerndem, silbrigem Fell und einem lauten Wiehern galoppierte das elfische Streitross an der beiseitetretenden Jelninolan vorbei den Pier hinab und hinein in die wartenden Arme Falks. Das Einhorn sandte seine Freude und Zufriedenheit hinaus in die Menge und fachte die ausgelassene Stimmung damit noch weiter an.
Jelninolan hatte indes ihr Lied mit einem sanft ausklingenden Finale beendet und lief nun langsam und unter dem frenetischen Applaus der Menge den Pier hinab auf die Kutsche zu. Selsena rieb sanft ihren Kopf an Falks Brustplatte und der legte seine Hände um ihren Kopf, wobei beide so geschickt vorgingen, dass keines der drei Hörner auf Selsenas Schädelplatte den alten Paladin verletzte.
»Sie redet noch etwas geschwollen, aber ansonsten scheint sie wieder die Alte zu sein«, sagte Falk erleichtert.
»Der Ozean ist weit und tief«, beruhigte ihn Jelninolan augenzwinkernd. »Es wird eine Weile dauern, bis er aus ihren Gedanken verschwunden ist.«
Ahren klopfte Selsena liebevoll auf die Flanke, ebenfalls froh, dass endlich wieder alles beim Alten war. Aber war es das? Die Erinnerung an Kharas Träne durchzuckte ihn, und er eilte um das Titejunanwa herum, nur um wie angewurzelt stehen zu bleiben. Khara saß mit völlig ungerührtem Gesicht in der Kutsche und betrachtete die Wiedervereinigung zwischen Falk und Selsena leidenschaftslos. Was auch immer das Zauberlied Jelninolans in ihr ausgelöst haben mochte, der Moment war vorbei und Kharas Emotionen wieder verschlossen.
Ahren ballte die Fäuste und hätte vor Frustration am liebsten losgeschrien.
Du hast den ersten Riss in ihrem Panzer gesehen, drangen Culhens tröstende Worte in seine Gedanken. Halt dich an dieser Hoffnung fest. Ein Wolf beklagt sich auch nicht über den Winter, sondern sehnt geduldig das Frühjahr herbei.
Ahren wusste nicht, wann Culhens philosophische Ader erwacht war, und momentan war es ihm auch egal. Äußerlich ruhig, aber innerlich voll ohnmächtiger Wut folgte er Jelninolan und Falk zurück in ihre Kutsche. Culhen und Selsena positionierten sich rechts und links davon, und kaum hatte Ahren sich hineingeschwungen, als sich der Tross auch schon in Bewegung setzte.
»Alles in Ordnung?«, fragte Jelninolan, die Ahrens inneren Aufruhr an seinem Gesicht abzulesen schien.
Der junge Paladin nickte und zwang sich zur Ruhe. »Dein Lied ist vorhin zu Khara durchgedrungen. Leider war der Effekt nicht von Dauer.«
Zu seiner Überraschung lächelte die Elfe und strahlte ihn an. »Das sind gute Neuigkeiten, Ahren. Der Griff der Leere scheint sich zu lockern.«
Ahren nickte langsam und sah sich dann rasch um, damit er dem Blick der Elfe entkam, die direkt in sein Herz zu sehen schien. Links und rechts des Weges standen Menschen und warfen Blumen auf den Weg, während sie Ahren und den anderen zujubelten. »Man könnte meinen, wir hätten gerade einen Krieg gewonnen, anstatt dass einer beginnt«, sagte er düster.
»Das haben wir auch«, sagte Falk, während er über die Kutschwand hinweg liebevoll Selsenas Flanke tätschelte »Der Krieg gegen die Hoffnungslosigkeit wird uns von nun an jeden Schritt unseres Weges begleiten und wir haben gerade unsere erste Schlacht in diesem unsichtbaren Konflikt geschlagen. Wir verlangen, dass arme Bauern und schlecht ausgebildete Milizen mit uns gegen die Dunkelwesen des Widersachers antreten. Die Moral der einfachen Bürger dieses Reiches wird noch lange Zeit von den Ereignissen des heutigen Tages zehren.«
Ahren versuchte, seine Frustration zu unterdrücken, und sah dann etwas, das ihm dabei half. »Nicht nur deren Moral«, sagte er süffisant und deutete hinter Jelninolan. »Es scheint, als hätte unsere musizierende Priesterin einen glühenden Verehrer gefunden.«
Die Elfe drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen um. Aus der königlichen Kutsche heraus schmachtete König Senius Blaugrund Jelninolan mit solcher Offenheit an, dass sein Gesichtsausdruck eher dem eines unbedarften Heranwachsenden glich, denn dem eines gestandenen Monarchen mittleren Alters.
Falks Gesicht legte sich in viele kleine Falten, als er breit lächelnd eine Verbeugung andeutete. »Ich gratuliere zu deinem Fang, liebste Jelninolan. Uldinis Freude über die politischen Vorteile deiner Vermählung mit einem König wird immens sein.«
Die Elfe lächelte dem Monarchen freundlich zu, aber ihre Stimme war kalt wie Eis. »Noch ein Wort und ich verwandele dich in einen Wal. Und zwar in einen dicken, pockennarbigen.«
Falk schürzte die Lippen und legte dann den Kopf schief, was er immer tat, wenn er mit Selsena redete. Anscheinend zog er es vor, Jelninolans Warnung ernst zu nehmen und sich lieber still mit dem zurückverwandelten Einhorn zu unterhalten.