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Lediglich ein Paladin fehlt noch, um die dreizehn Streiter der Götter zu vereinen. Also machen Ahren und seine Freunde sich auf den Weg ins ewige Eis des Südens, den kargen Spuren jenes Mannes folgend, der als Vater aller Waldläufer gilt und zuletzt gesehen wurde, als er den gefürchteten Drachen Vierklaue jagte. Eine Odyssee zu Wasser und auf dem Eis liegt vor ihnen, wohl wissend, dass Er, der zwingt, ihnen auf jedem einzelnen Schritt ihrer letzten Reise erbitterten Widerstand leisten wird, um sie am Ende doch noch scheitern zu sehen…
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Seitenzahl: 869
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Torsten Weitze
Die Ewigkeit des Eises
Der 13. PaladinBand XII
Impressum
© Torsten Weitze, Krefeld, 2022Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de
Torsten Weitze c/o LAUSCH medien
Bramfelder Str. 102a
22305 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze
Für alle, die mich bei meiner Vision einer epischen Reise unterstützt haben.
Bald ist es geschafft …
Und denkt daran:
Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte, als zum ersten Mal erlebt zu werden …
Inhalt
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
Epilog
Ich sehe was, das du nicht siehst … und das ist grün und nass!
Ahren runzelte mit geschlossenen Augen die Stirn und tauchte tief in die Gedanken Culhens ein, um das Rätsel zu lösen. Dann seufzte er, als er umgehend die Erinnerung erkannte, auf die sein treuer Freund anspielte.
Das Weinende Tal, dachte er und stieß einen kleinen Laut der Langeweile aus. Schon wieder.
Richtig, lobte ihn der Wolf, völlig unbeeindruckt von der Stimmung des Paladins. Das hast du gut gemacht.
Es war ja auch nicht schwer, erwiderte Ahren ungehalten. Du denkst immer nur an deine Heldentaten, ob groß oder klein. Das Weinende Tal kam jetzt schon achtmal vor.
Culhen antwortete nicht und Ahren spürte, dass sein Wolf selbstzufrieden in den Erinnerungen an die Bergung der lautlosen Laute schwelgte. Der Waldläufer öffnete die Augen und blinzelte gegen die Sonne an, die ihm zwischen den am Himmel entlangrasenden Wolkenfetzen entgegenschien. Durch die vordere Reling der Königin der Wellen hindurch hatte Ahren einen hervorragenden Ausblick auf das weite Meer, das sich stürmisch und aufgewühlt ausbreitete, so weit der Waldläufer blicken konnte. Das Schiff bockte wie ein unwilliges Pferd, wann immer es mit seinem eisenverstärkten Kiel eine schaumgekrönte Welle durchbrach, und das Zittern, das dabei durch das dunkle Holz fuhr, spürte Ahren tief in den Knochen.
So majestätisch die Szenerie anfangs auch gewesen sein mochte, nach mehreren Tagen auf hoher See hatte eine gewisse Langeweile die Oberhand gewonnen, sodass Ahren sich die Zeit notgedrungen mit kleinen Spielen mit seinen Freunden vertrieb, wenn er nicht gerade Hakanu trainierte. Culhens Idee, in den Gedanken des jeweils anderen nach spezifischen Erinnerungen zu fischen, die derjenige mit einem Hinweis vorgab, hatte anfangs äußerst kurzweilig geklungen. Zumindest bis die selbstverliebten Züge des Tieres dafür gesorgt hatten, dass Ahren sich eine Ruhmestat des Wolfes nach der anderen hatte ansehen dürfen.
Sei lieber froh, dass wir uns noch nicht mit ständigen Angriffen durch Dunkelwesen herumschlagen müssen, schmollte Culhen, der seinem Tagtraum entstiegen war und wieder auf Ahrens Gedanken reagierte.
Ahren nickte und kraulte geistesabwesend Culhens Fell. Er lag eng an die Flanke des Wolfes gekuschelt auf dem Vorderdeck der Königin der Wellen und schalt sich selbst für seine Unzufriedenheit. Sein Freund hatte natürlich recht: Seit sie aus der Stadt der Schurken aufgebrochen waren, hatten sie auf ihrem Kurs gen Süden noch keine einzige Begegnung mit einem Dunkelwesen erlebt. Das lag vor allem daran, dass die Gewässer in der Gegend um Gol-Konar vornehmlich von ruchlosen Piraten statt von den Dienern des Widersachers heimgesucht wurden. Auch von Schiffen voll gieriger Halsabschneider waren sie bisher verschont geblieben. Jetzt, wo Dahl-Rhi, die Herrin des Fahlen Hauses, dank Ahrens Gnaden die Kontrolle über die verbrecherische Stadt innehatte, war keine Piratenflagge am Horizont mehr aufgetaucht. Der Waldläufer fragte sich, ob das nächste voll beladene Handelsschiff, das diese Gewässer kreuzte, auch so viel Glück haben würde.
Eher nicht, warf Culhen trocken ein. Gol-Konar ist noch weit davon entfernt, gezähmt worden zu sein.
Ich sollte die Langeweile genießen, solange sie anhält, gab Ahren seinem pelzigen Freund recht. Die dezimierte Mannschaft der Königin der Wellen hielt seit ihrem Aufbruch aus der Stadt der Schurken tapfer Kurs gen Süden, wohl wissend, dass bald die gischtenden Wellen vor Schemen mordlüsterner Dunkelwesen nur so wimmeln würden.
Eine Woche Ruhe haben wir noch, antwortete Culhen und gähnte lange und ausgiebig. Zumindest, wenn Yantillas Berichte über die Feindbewegungen auf See noch nicht veraltet sind.
Ahren wandte seinen Körper, sodass er am Schwanz seines Wolfes vorbei auf das Hauptdeck der Königin der Wellen blicken konnte. Dort drillte die Kommandeurin der Eiswölfe die Überlebenden von Ahrens Leibwache mit unbarmherzigem Blick und lauter, schneidender Stimme. Unter den gut fünfzig Männern und Frauen erkannte Ahren auch den vor Anstrengung rot angelaufenen Kopf seines Lehrlings Hakanu. Der junge Meister hatte den Knaben aufgrund einer Mischung aus Pragmatismus und Bequemlichkeit dazu verdonnert, neben seinen eigenen Übungen zusätzlich an jeder Körperertüchtigung der Eiswölfe teilzunehmen, und bereits kurz nach ihrem Aufbruch aus Gol-Konar hatte Ahren unter der Schiffsmannschaft den Scherz kursieren hören, dass der junge Krieger aus dem Grünen Meer selbst im Schlaf noch trainieren würde.
Ich wünschte, dem wäre so, dachte Ahren und drehte sich wieder nach vorne, den Blick auf die unruhige See gerichtet. Hakanu bleibt so wenig Zeit, bis er dem Widersacher gegenüberstehen wird.
Nur noch ein Paladin, ließ Culhen sich vernehmen, der seine Aufregung nicht unterdrücken konnte und hinter Ahrens Rücken unruhig sein Gewicht verlagerte. Wenn wir Yollock finden und heimbringen, haben wir alle dreizehn Paladine beisammen. Dann werden wir in eine Schlacht gegen den Dunklen Gott ziehen, wie sie Jorath seit achthundert Wintern nicht mehr gesehen hat!
Und diesmal werden wir keine Bannwolke errichten, um uns in ferner Zukunft einen weiteren Versuch gegen den Dunklen Gott zu sichern, schoss es Ahren grimmig durch den Kopf. Diesmal endet es. So oder so.
»Kein Wunder, dass die See schäumt, als würde ein Gewitter aufziehen«, ertönte eine fröhliche Stimme neben Ahren, als Khara in sein Sichtfeld trat und sich neben ihm gegen Culhens Flanke plumpsen ließ. »Die Wellen haben dein Gesicht gesehen und dachten wohl, ein Unwetter reite auf ihren Rücken entlang.«
Ahren schenkte seiner Angebeteten ein aufrichtiges Lächeln und zog sie in seine Arme. Die Schwertmeisterin zupfte daraufhin an seinem Umhang, damit er auch sie einhüllte, und schmiegte sich genüsslich seufzend an den Paladin.
»Ist das schön warm. Jetzt verstehe ich, wie du es hier vorne trotz des pfeifenden Windes so lange aushältst.«
»Der Umhang funktioniert nur dann richtig, wenn er meinen Körper auch weitestgehend bedeckt«, erinnerte Ahren die Kriegerin sanft und zog seine Hälfte des verzauberten Leders so gut es ging über seine Brust. »Die meiste Zeit friere ich also genauso schlimm wie ihr anderen auch.«
Khara streichelte ihm über die Wange und atmete dabei tief durch. »Ist diese Ruhe nicht herrlich?«, fragte sie ausgelassen und deutete auf die See hinaus.
Ahren schmunzelte. »Woher die gute Laune?«
»Darf ein Mädchen nicht einfach die Tatsache genießen, dass es weit und breit keine Schurken, Halsabschneider, Mörder und anderes ehrloses Gesindel gibt?«, fragte die Schwertmeisterin mit einem Augenzwinkern.
Ahren nickte zur Antwort. Gol-Konar war für sie alle eine harte Erfahrung gewesen, und jeder von Ahrens Gefährten ging anders mit den Erlebnissen um. Khara hatte beispielsweise vorgeben müssen, eine aus dem Ewigen Reich verbannte Schwertmeisterin auf der Suche nach dem schnellen Gold zu sein, und ihren persönlichen Ehrenkodex mehr als einmal notgedrungen ignoriert. Ahren glaubte, dass seine Liebste in Zukunft lieber gegen zwei Dutzend Dunkelwesen kämpfen würde, als ein weiteres Mal ihre Kriegernadel falsch herum im Haar zu tragen.
»Nehmen Falk und Trogadon die Mannschaft noch immer nach Strich und Faden aus?«, fragte er.
Jetzt war es an Khara, stumm zu nicken.
Ahren lachte leise in sich hinein. »Wir sind so oft auf diesem Schiff gefahren, jeder Matrose, der hier Dienst tut, sollte doch wissen, dass die beiden jahrhundertelange Erfahrung im Würfeln haben.«
»Vor allem die Neulinge fallen auf die zwei Halunken rein«, sagte Khara, deren Tonfall erahnen ließ, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders war.
Ahren schenkte ihr einen Seitenblick und erkannte, dass die Schwertmeisterin die dahinrasenden Wolken beobachtete und ihre gute Laune spürbar nachgelassen hatte. »Woran denkst du?«, fragte der Paladin sanft.
»An Cochan«, antwortete sie bedächtig. »Uldini hat heute Morgen Kontakt mit ihr aufgenommen, um zu erfahren, wie es um den Ring bestellt ist. Ich war zufällig anwesend und habe herausgehört, wie müde ihre Stimme klang.«
Ahren versteifte sich unwillkürlich. »Ich dachte, es herrscht eine Art Patt«, sagte er beunruhigt. »Nach meinem Kenntnisstand belauern sich die Krieger des Rings und die Wesen der Obsidianfeste gegenseitig über hohe Mauern hinweg.«
»Das schon«, sagte Khara, die Augen noch immer auf den Himmel gerichtet. »Aber laut Cochan werden seit einigen Tagen komplizierte Bannflüche aus dem Inneren der Feste heraus gesprochen. Magische Krankheiten, die unter den Soldaten ausbrechen, oder verfluchte Nebel, welche Patrouillen, die hineingeraten, die Knochen brechen, sind nur zwei Beispiele. Quin-Wa und die anderen Alten tun ihr Möglichstes, um diese unheiligen Zauber aufzulösen, bevor sie noch mehr Schaden anrichten können.«
Der Widersacher testet unsere magische Verteidigung, sagte Culhen, der mit einem leisen Winseln seinen Kopf an dem der besorgten Khara rieb.
»Klingt, als würde der Dunkle Gott aktiver in den Krieg eingreifen als bisher«, sagte Ahren mit ernster Stimme. »Und als hätte er sich von der Erschaffung seiner Kinder erholt.«
»Noch nicht«, sagte Khara mit einem leichten Kopfschütteln. »Oder zumindest nicht vollständig. Laut Uldini sind diese Zauber nichts als Aufwachübungen für den Widersacher.«
Ahren schauderte unwillkürlich. Ihr Feind würde nicht ewig schlafen. Die gesamte mehrjährige Reise der Gefährten war beherrscht gewesen von Zug um Gegenzug zwischen ihnen und den Völkern der Schöpfung auf der einen und dem Widersacher und seinen dunklen Kreaturen auf der anderen Seite. Es hatte zahlreiche Siege und Niederlagen beider Parteien gegeben, denen Könige, Paladine und uralte Bestien ebenso zum Opfer gefallen waren wie unzählige Männer, Frauen und Dunkelwesen. Es grenzte an ein Wunder, dass Ahren und seine Freunde so weit gekommen waren, dass sich nun zwölf der dreizehn Paladine der Götter dem Krieg gegen den Widersacher angeschlossen hatten.
Wobei einige Paladine einsatzbereiter sind als andere, warf Culhen dazwischen und zeigte Ahren einen Erinnerungsfetzen, der Trimm bei dem verzweifelten Versuch zeigte, auch nur einen einzigen Liegestütz hinzubekommen.
Ahren rieb sich über sein Gesicht und drückte Khara enger an sich. »Es wird schon alles gut werden«, sagte er, sich selbst mehr beschwichtigend als seine Angetraute.
Khara nickte und schloss die Augen, während sie ihn mit ihren Armen umschlungen hielt. Ahren betrachtete noch eine Weile stumm den stürmischen Himmel, durch dessen löchrige Wolkendecke Dutzende Finger aus Sonnenstrahlen über das aufgewühlte Wasser tanzten. Nach den letzten Neuigkeiten konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er einem übermächtigen Wesen dabei zusah, wie es mit Fühlern aus purem Licht auf der Weite des Ozeans nach seiner Beute tastete.
Die als Aufbau am Heck des Schiffes befindliche Kapitänskajüte kam Ahren wie an jedem Abend furchtbar klein vor, was nicht nur an deren Kontrast zur Weite der See lag, sondern auch an der Anzahl der Gäste, die sich regelmäßig zum Sonnenuntergang hier einfanden. Muai und Culhen hatten sich nur durch Bestechung mit gewaltigen Portionen Fleisch und Fisch dazu ermutigen lassen, außerhalb des kleinen Raumes Platz zu nehmen, und trotzdem war es eng und stickig, als Ahren sich zwischen Khara und Hakanu an den langgezogenen Holztisch zwängte. Boden, Decke und Wände des Raumes knackten und knarzten bei jeder Welle und die Holzteller und Schüsseln rutschten dem Rhythmus des Ozeans folgend auf der rauen Oberfläche des Tisches hin und her.
Während sich die anderen Anwesenden setzten, warf Ahren einen prüfenden Blick in die Runde, um sich einen Eindruck von der Gemütsverfassung seiner Freunde und Verbündeten zu verschaffen.
Falk und Trogadon lachten leise vor sich hin und zählten kleinere Mengen an Münzen, augenscheinlich Gewinne aus ihren als Würfelspiel getarnten Raubzügen. Dem jungen Paladin entging dabei nicht der leicht gequälte Ausdruck in den Augen Falks, der unter der Trennung von Selsena litt. Das Titejunanwa war zusammen mit Haminul und Lanlion auf dem Festland zurückgeblieben, um den Blutleeren bei etwas zu unterstützen, das dieser nur vage als Pilgerreise bezeichnet hatte. Entgegen den Protesten der übrigen Gefährten hatte Ahren nur genickt und seinem Freund alles Gute bei seinem Vorhaben gewünscht. Offensichtlich hatte die Begegnung des verfluchten Paladins mit den Dreien auf der Brücke in Gol-Konar mehr bewirkt, als Ahren ursprünglich hatte erahnen können. Was immer Lanlions Pilgerreise beinhaltete, Falks Titejunanwa glaubte wohl, dabei besser helfen zu können als bei der Suche nach Yollock, für die das elfische Streitross mondelang im Bauch eines Schiffes ihr Dasein hätte fristen müssen, nur um dann in Schnee und Eis zu versinken und möglicherweise die gesamte Gruppe aufzuhalten. Keines dieser Argumente hatte Falk allerdings überzeugen können und der alte Mann trug die Trennung von seinem Vertrautentier wie eine offene Wunde mit sich herum, die jeder erkennen konnte, der den alten Paladin gut genug kannte.
Deswegen schimpft Jelninolan auch nicht mit Trogadon, sagte Culhen, der genüsslich auf seiner Bestechungsbeute herumkaute. Sie lässt ihn mit Falk diese armen Matrosen ausnehmen, um ihn abzulenken.
Ahren sah von Falk hinüber zu Trogadon und dann zu Jelninolan. Die Elfe wirkte müde und abgespannt, aber ansonsten glücklich, wie sie mit erschöpft herabhängenden Schultern dasaß und den Zwerg mit gütigem Blick musterte, der ihr Herz für sich gewonnen hatte. Sie trug, ebenso wie alle anderen Anwesenden, keinerlei Waffen oder Rüstung bei sich, ein stilles Versprechen, das sie sich gegenseitig gegeben hatten. Dass die ersten Tage ihrer Reise eine Zeit des Friedens sein würden.
Ahren hoffte, dass die Umstände sie nicht allzu schnell zwingen würden, diese unausgesprochene Übereinkunft aufzugeben. Er blickte weiter in die Runde und musterte Uldini, der am Kopf des Tisches saß und halb abwesend eine Schale Eintopf leerte, während er in die Tiefen des müde glimmenden Flammensterns starrte. Der Oberste der Alten gönnte sich kaum eine Ruhepause und empfing und versandte zu Dutzenden in altelfischen Gedichten versteckte Nachrichten. Entweder war der Widersacher bald ein Experte in elfischer Literatur oder er würde daran verzweifeln, die Kriegsberichte zu entschlüsseln, zumal Uldini jede fünfte Nachricht mit sinnlosem Kauderwelsch füllte, um eventuelle Mithörer der magischen Botschaften zu verwirren.
Khara stieß ihm einen Ellenbogen in die Seite. »Du starrst«, ermahnte sie ihn leise. »Das ist selbst unter Freunden unhöflich.«
Ahren nahm sich eine Schüssel voll Eintopf und begann pflichtschuldig zu essen, während er seine Aufmerksamkeit Hakanu und dessen Fuchs Kamaluq zuwandte. »Bist du gut mit deinen Studien vorangekommen?«, fragte er seinen Lehrling, der daraufhin den Kopf zwischen die Schultern zog und hastig seinen Mund mit Nahrung füllte.
»Ja, Meister«, brachte er undeutlich hervor und schaufelte noch mehr Essen in die bereits prall gefüllten Backen, wohl in der Hoffnung, keine weiteren Antworten geben zu müssen.
Ahren lächelte wissend. »Falks Aufzeichnungen über Dunkelwesen sind ein kostbarer Schatz an Wissen, den du verinnerlichen musst«, sagte er streng. »Ich weiß, dass das Lesen von Erfahrungsberichten nicht so spannend ist wie Waffenübungen, aber es ist doch von Vorteil, wenn du weißt, wohin du deinen Speer bei einem speziellen Dunkelwesen stoßen oder werfen musst, findest du nicht?«
Hakanu antwortete nicht, aber die roten Ohren, die der junge Krieger bekam, sprachen Bände.
Ahren seufzte. »Wir gehen gleich einige Seiten gemeinsam durch«, sagte er ohne jede Schärfe in seinen Worten. »Vielleicht bleibt dann etwas von dem Wissen in deinem Kopf hängen, den du anscheinend bis zum Rand mit Eintopf füllen willst.«
Freundliches Gelächter setzte am Tisch ein, woraufhin Hakanu endlich aufhörte, sich das Essen in den Mund zu stopfen, und mit der Einkehr der allgemeinen Erheiterung änderte sich auch Ahrens Wahrnehmung: Plötzlich kam ihm die Kabine nicht mehr eng, stickig und erdrückend vor, sondern heimelig, einladend und voller Wärme.
Die Macht guter Freunde, kommentierte Culhen weise die veränderten Eindrücke des Paladins, begleitet von dem Bild eines dicht beieinander schlafenden Wolfsrudels.
Ahren lächelte und sandte dem Wolf seine Dankbarkeit, konzentrierte sich dann aber wieder auf sein Essen vor ihm, als ein verräterischer Schimmer nahe seiner Schüssel ihm klarmachte, in welch großer Gefahr es sich befand.
»Kamaluq!«, schimpfte er streng und hob mahnend einen Finger. »Nein!«
Ertappt sprang der getarnte Schimmerfuchs vom Tisch und verkroch sich unter Hakanus Stuhl. Der Lehrling warf dem Tier liebevoll einen Fleischbrocken zu, welcher umgehend verschwand, als der Fuchs ihn herunterschlang.
»Muais und Culhens schlechter Einfluss hat ihn endgültig verdorben«, sagte Trogadon lachend und wischte sich dabei Brotkrümel aus dem Bart. »Der Kleine macht sich mittlerweile einen dauerhaften Spaß daraus, anderen das Essen zu klauen.«
»Er übt nur«, sagte Hakanu trotzig, das Kinn kämpferisch vorgereckt. »Je länger er in seiner Tarnung verbleiben kann, umso besser.«
»Und wie ich vernehme, ist dein Fuchs bereits ebenso geschickt darin, sein schlechtes Benehmen zu rechtfertigen, wie unsere Vertrautentiere«, warf Falk schmunzelnd ein und neuerliches Gelächter erhob sich.
Ahren sah, dass die Augen seines ehemaligen Meisters feucht im Licht der Sturmlaterne glitzerten, und fühlte mit ihm. Lanlion hatte angedeutet, dass er in den Norden Joraths gehen wollte, während sie dabei waren, den südlichsten Punkt der bekannten Welt aufzusuchen. Weiter konnten sich Selsena und Falk also kaum voneinander entfernen.
»Wo sind eigentlich Palnah und Trimm?«, fragte Khara neugierig in die Runde, als die Heiterkeit abebbte.
»Wieder in ihrer Kabine«, sagte Jelninolan lächelnd.
Ahren zog eine Augenbraue hoch. »Schon wieder?« Er hatte den frisch geretteten Paladin und seine Seelenverwandte bisher kaum zu Gesicht bekommen, seit die Königin der Wellen Gol-Konar verlassen hatte.
»Man könnte eher sagen: immer noch«, antwortete Uldini geistesabwesend, der unverwandt in seine Kristallkugel starrte.
»Dies sind die ersten Tage, die sie nach langer Zeit gemeinsam miteinander verbringen dürfen«, warf Hakanu ein. »Da ist es nur selbstverständlich, dass sie sich nach Zweisamkeit sehnen.« Es wurde mucksmäuschenstill am Tisch, als sämtliche Köpfe der Anwesenden sich zu Hakanu umdrehten, dessen Gesicht daraufhin erneut einen kämpferischen Zug annahm.
»Und was weißt du von derlei Dingen, Bürschchen?«, fragte Trogadon den Lehrling schmunzelnd unter seinen buschigen Augenbrauen hervor.
»Mehr, als ihr alle denkt«, gab der junge Krieger gelassen zurück. »Die Zelte meines Volkes haben dünne Wände.«
Ein vielsagendes Schmunzeln legte sich auf die Mienen der Gefährten, und Ahren beschloss, das Thema fallen zu lassen. »Wann erreicht uns der erste Begleitschutz?«, fragte er stattdessen in Uldinis Richtung.
Der Magus blickte nun das erste Mal von seiner Kristallkugel auf. »Zwei Kriegsschiffe aus dem Ewigen Reich sollen uns in drei Tagen erreichen. Die Xuan-Foi und die Herrin Aruti.« Der Alte machte eine bedeutungsschwangere Pause. »In fünf Tagen erwarte ich die ersten Sichtungen von Dunkelwesen.«
»Sobald wir von einem der Diener des Widersachers entdeckt wurden, wird diese Seefahrt zu einem unangenehmen Unterfangen«, sagte Falk. »Der Dunkle Gott wird uns alles entgegenwerfen, was uns auf See gefährlich werden kann. Wenn er uns nicht aufhält, bevor wir die Eisfelder erreichen, könnten seine schlimmsten Befürchtungen wahr werden.«
»Dreizehn Paladine, vereint im Kampf gegen Ihn, der zwingt«, sagte Ahren grimmig. Ihm lief bei diesen Worten ein Schauer über den Rücken, und in den Gesichtern seiner Freunde las er Ehrfurcht, Anspannung und Sehnsucht. Ahren mochte dem Ziel, sämtliche Paladine zu finden und zu vereinen, mehrere Jahre seines jungen Lebens gewidmet haben, aber viele der an diesem Tisch Versammelten versuchten den Kampf gegen den Dunklen Gott schon seit mehr als einem Zeitalter zu gewinnen.
»Unsere Reise nach Süden wird dem Durchbrechen einer Blockade gleichen«, warf Khara schließlich in den Raum. »Sind wir darauf vorbereitet?«
»Nein«, sagte Falk mit zusammengekniffenen Augen. »Deswegen der Geleitschutz. Wir werden außerdem in Men-Hark anlegen und sowohl die Mannschaft der Königin der Wellen aufstocken, als auch jene Reparaturen durchführen lassen, die nicht auf See erledigt werden können.«
»Außerdem werden sich uns dort noch weitere Schiffe anschließen«, sagte Uldini. »Je mehr wir uns dem südlichsten Ende Joraths nähern, desto größeren Widerstand erwarten wir. Wenn der Dunkle Gott uns auf See mit einer Armee seiner Diener vernichten will, dann wird eine schwer bewaffnete Flotte unsere Antwort sein.«
»Unser nächster Halt nach Men-Hark wäre dann Kap Verstaad«, erklärte Falk. »Dort rüsten wir uns für die Expedition in die Eisfelder aus.«
»Wäre es dann nicht sinnvoll, wenn wir in Men-Hark alles Nötige mit an Bord nehmen und direkt in die Eisfelder segeln?«, fragte Hakanu zweifelnd. »Mit dem Stopp in Kap Verstaad laden wir doch den Widersacher geradezu ein, eine weitere Angriffswelle aus Dunkelwesen zwischen uns und den Eisfeldern zu positionieren.«
»Gut mitgedacht«, lobte Uldini den Lehrling, schüttelte dann aber den Kopf. »Leider findet sich in Men-Hark nicht die Ausrüstung, die wir brauchen.« Der Magus hob die rechte Hand und zählte an den Fingern die einzelnen Punkte ab. »Das Wichtigste ist eine Art von Eisbrecher. Also ein Schiff, das uns durch das Packeis bringen kann. So sparen wir uns Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Längen an Fußmarsch durch die lebensfeindliche Kälte. Dann möchten wir Magier und Söldner anheuern, die uns auf unserem Weg ins ewige Eis unterstützen. Beides gibt es im Überfluss in Kap Verstaad.« Der Magus zuckte mit den Achseln. »Außerdem benötigen wir Nahrung für mehrere Monde, die möglichst frisch sein soll, und wir können nicht vor dem Frühling aus Kap Verstaad aufbrechen, da die Temperaturen in den Eisfeldern im Winter noch tödlicher sind als im Rest des Jahres.«
Ahren kratzte sich grüblerisch am Bart. »Klingt nach einem viel größeren Aufwand als bei unseren bisherigen Reisen.«
»In den Eisfeldern ist die Witterung selbst unser größter Feind«, erinnerte ihn Falk. »Dagegen müssen wir uns wappnen.«
»Vielleicht kann uns Jelninolan helfen?«, fragte Trogadon an die Elfe gerichtet. »Zum Beispiel mit einem Segen der Göttin?«
»Tut mir leid, mein Liebster«, sagte die Priesterin bedauernd. »Die Natur mag uns Elfen vor größter Unbill verschonen, aber aus den Erfahrungen, die mein Volk in den Eisigen Weiten nördlich des Eathinian gesammelt hat, kann ich dir sagen, dass selbst für uns das Überleben in solch kalten Regionen eine Herausforderung darstellt.«
»Also liegt unsere Route klar auf der Hand: erst nach Men-Hark, dann Richtung Kap Verstaad und von da aus in die Eisfelder hinein«, fasste Khara ihre Reisepläne zusammen.
»Vorbei an Horden von Dunkelwesen«, fügte Hakanu mit einem Glänzen in den Augen hinzu, das Ahren ein besorgtes Stöhnen auf die Lippen trieb.
»Um dann in tödlicher Kälte in einem riesigen Gebiet aus Schnee und Eis nach einem Paladin zu suchen, der dort vor Hunderten von Jahren verschollen ist«, schloss Uldini mit ernstem Gesicht die Rahmenbedingungen ihrer Aufgabe ab.
Trogadon klatschte in der darauffolgenden Stille seine großen Pranken lautstark ineinander. »Das klingt doch nach einem riesigen Spaß«, sagte er über beide Ohren grinsend. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich werde mir zusätzlich zu einem Satz schöner dicker Kleidung lieber noch etwas Winterspeck zulegen.« Dabei griff er nach der großen Schale mit Eintopf, was ihm ein lautstarkes Räuspern und einen kritischen Blick Jelninolans auf die Hüften des Zwerges einbrachte. »Was denn?«, fragte er unschuldig und begann, die dickflüssige Masse aus Erbsen und Schinken in sich hineinzuschaufeln. »Es ist doch für einen guten Zweck«, brachte er undeutlich mit vollem Mund hervor.
Erneut füllte freundliches Lachen die kleine Kabine und für einen kostbaren Moment waren alle Sorgen der Zukunft aus Ahrens Geist verbannt.
Der neue Tag begrüßte Ahren mit dem lauten, rhythmischen Donnern riesiger Wellen, die den Bug des Schiffes marterten. Dem Paladin war, als hätte sich die kleine Kabine, welche er sich mit Khara teilte, in eine Trommel verwandelt, die von einem ebenso schwerfälligen wie bösartigen Riesen in regelmäßigen Abständen geschlagen und dabei hoch und runter geschleudert wurde.
Ahren schwang seine Beine aus dem Bett und rieb sich die Augen. Seine Zunge fühlte sich zu groß für seinen Mund an und seine Ohren schienen den Lärm der Wellen mit diebischer Freude um ein Vielfaches verstärkt an das Hirn des Paladins weiterzuleiten.
»Ich hätte diesen Schnaps nicht trinken sollen, den Trogadon aus Gol-Konar mitgenommen hat«, murmelte er vor sich hin. Ein Blick auf die leere Seite der zerwühlten Koje sagte ihm, dass Khara bereits aufgestanden war, und ächzend erhob er sich, nur um von der Erschütterung der nächsten Welle wieder auf die Schlafstatt geworfen zu werden.
Vielleicht möchtest du auf allen vieren an Deck kriechen?, fragte Culhen schelmisch.
Ahren bemerkte jetzt erst die Präsenz des Wolfes in seinem Kopf, der dort still und heimlich das Erwachen seines Freundes beobachtet hatte.
Bei mir hat es jedenfalls funktioniert.
Sehr witzig. Ahren dachte über eine schlagfertige Replik nach, aber die nächste Welle schmetterte mit ihrem unbarmherzigen Donnern jedwede Kreativität aus seinem Schädel. Er kämpfte sich bis zur Eingangstür und hatte die Hand bereits an deren kupfernem Griff, als Culhen sich erneut meldete.
Ahren, sagte er langgezogen. Deine Hose.
Fluchend griff der Paladin nach dem herumliegenden Kleidungsstück und zwängte sich hinein. Danke, antwortete er zerknirscht.
Reiner Selbstschutz, gab der Wolf zurück. Schließlich leidet auch mein Ruf, wenn mein Paladin nur in Unterkleidung auf dem Deck eines Kriegsschiffes herumirrt.
Ahren rieb sich mit den Händen über das Gesicht, um seinem Antlitz den Anschein von Lebhaftigkeit einzuhauchen, und machte sich auf den Weg an Deck. Dabei kam er an Falks Kabine vorbei und klopfte versuchsweise an der Tür, doch hinter dem schweren, dunklen Holz scholl nur ein lautes Schnarchen hervor.
»Hat der es gut«, murmelte Ahren vor sich hin und schlurfte weiter, immer eine Hand seitlich von sich gestreckt, um die wild anmutenden Schiffsbewegungen auszubalancieren. Endlich kam die Leiter zum Deck des Schiffes in Sicht, und als der Waldläufer sie emporstieg, traf ihn ein Schwall kalter, erfrischender, lebensspendender Luft an Kopf und Hals, welche die Nachwirkungen des gestrigen Alkoholkonsums mit sich forttrug.
»Da ist er ja«, erklang Kharas muntere Stimme, als Ahren schließlich an Deck stand. Sie winkte ihm vom Vorderdeck aus zu, wo sie breit grinsend hinter Trogadon und Hakanu stand. Beide saßen im Schneidersitz auf dem nassen Holz des Schiffes und waren, wie Ahren mit einem verdutzten Blinzeln zur Kenntnis nahm, weitestgehend nackt. Muai und Culhen hockten nicht weit von den beiden beinahe unbekleideten Gestalten entfernt und schauten diese aus neugierigen Augen an.
»Was, bei allen Göttern, geht denn da vor?«, brummte Ahren und stampfte zu seinen Freunden hinüber. Auf dem Weg dorthin begrüßte er freundlich die Eiswölfe und Seeleute, welche mit Mühe die Königin der Wellen auf südlichem Kurs hielten, dem starken Wind und der aufgewühlten See zum Trotz.
Das ist so ein Spaß, ließ sich Culhen vernehmen, als Ahren das Vorderdeck betrat. Ihr Zweibeiner kommt auf die drolligsten Ideen.
Der Wolf hatte sich zu einem Fellball zusammengerollt, in dessen Mitte Kamaluqs Kopf aus Culhens Bauchfell herausragte, wo der Fuchs es sicher und warm hatte. Der kleine Kerl betrachtete Hakanu mit großen Augen und drängendem Fiepen.
»Will ich überhaupt wissen, was das hier soll?«, fragte Ahren zur Begrüßung in die Runde.
Khara gab ihm einen Kuss auf die Wange, ihre Augen sprühten vor Heiterkeit, und Hakanu sowie Trogadon drehten sich im Sitzen zu ihm um. Der Zwerg wirkte gelassen, geradezu gelöst, wie er so im kalten Wind und mit von Salzwasser benetzter Haut dasaß, aber Ahrens Lehrling schlotterte wie ein Blatt an einem vom Herbst gezeichneten Baum. Seine Lippen waren blau, seine Finger sahen so steif aus, als würde er mit ihnen nicht mehr greifen können, und Ahren war sich sicher, dass er einen Frostschimmer im Haar des Jungen erkannte.
»So … so härten s-sich Zw-Zwerge für den W-Winter a– … ab«, stammelte Hakanu und drehte sich wieder in den Wind. »A-Außerdem soll es gut gegen ein– … einen Kater sein.«
Ahren krümmte sich innerlich vor Mitgefühl, als er die Sturheit und den Stolz des jungen Kriegers aus dessen Worten heraushörte, vermischt mit einem Anflug purer Verzweiflung und einer gehörigen Portion schlechtem Gewissen.
»Du gehst sofort rein und ziehst dir die dickste Kleidung an, die du finden kannst«, bellte Ahren seinen Schützling an, der umgehend auf die Beine sprang und schlotternd davoneilte. »Dann kommst du wieder her und ich sorge dafür, dass du ins Schwitzen gerätst!«, rief er dem Lehrling hinterher.
Kaum war der Junge außer Hörweite wirbelte er zu Khara und Trogadon herum. »Was sollte das?«, zischte er leise. »Wollt ihr Hakanu umbringen? Ihr wisst doch, wie unbeugsam er sein kann. Er hätte sich hier zu Tode gefroren.«
Trogadon zog seine buschigen Augenbrauen hoch und hob abwehrend eine Hand. »Immer ruhig mit den jungen Titejunanwas«, sagte der Zwerg, als eine besonders große Welle am Bug des Schiffes brach und alle Anwesenden mit eisiger Gischt benetzte, sodass er sich das Spritzwasser aus dem Bart wischen musste. »Der Junge sah mich hier sitzen und wollte diese Form der Abhärtung unbedingt ausprobieren.« Der Zwerg zuckte die Achseln, sein Gesicht voll aufrichtiger Freundlichkeit. »In Anbetracht unseres schlussendlichen Reiseziels dachte ich mir, dass es nicht schaden kann, wenn sein Körper lernt, mit bitterer Kälte umzugehen.«
»Und sein Geist begreift, wie gefährlich sie sein kann«, ergänzte Khara mit vor der Brust verschränkten Armen. »Denn dein Lehrling würde selbst den Wind angreifen, sollte dieser ihn herausfordern.«
Ahren stieß einen langen, von Herzen kommenden Seufzer aus. Hakanus Mischung aus dem Drang, sich der ganzen Welt beweisen zu müssen, seiner angeborenen Furchtlosigkeit und seiner Tendenz zu impulsivem Gehabe machte ihn zu einer Gefahr für jedes Dunkelwesen, das ihm begegnete – und ebenso zu der größten Bedrohung für sein eigenes Leben. »Bei den Dreien, dieser Junge hat das Potenzial, der selbstzerstörerischste Paladin aller Zeiten zu werden.«
Trogadon lachte rumpelnd und erhob sich lässig. »Auf diesen Titel haben in der Vergangenheit schon ganz andere Anspruch erhoben«, sagte er mit einem listigen Funkeln in den Augen, während er Ahren anblickte. »Allein vor ein paar Tagen gab es da einen Paladin, der unbedingt sein Leben einem Kind des Dunklen Gottes darbieten musste.«
Ein Punkt für den Zwerg, warf Culhen ein und ließ eine Erinnerung an den Kampf mit dem besessenen Reik Silbermantel in Ahrens Geist aufblitzen.
Der Waldläufer kniff die Lippen angespannt zusammen. Sein Versuch, Zwietracht zwischen dem unterjochten Anführer Gol-Konars und dem unbekannten Kind des Widersachers zu säen, das sich im Geist des eitlen Mannes festgesetzt hatte, war erfolglos geblieben und hätte beinahe mit Ahrens Tod geendet. So gesehen war Trogadons spielerisch eingeworfene Kritik nicht ganz von der Hand zu weisen. Ahrens Ideen hatten häufig die Tendenz, halsbrecherisch zu sein. Deswegen funktionierten sie meistens – und führten zu fatalen Ergebnissen, wenn sie es mal nicht taten.
»Trotzdem hätte sich Hakanu ernsthafte Erfrierungen bei eurem kleinen Wettstreit zuziehen können«, murrte er schließlich, um den Fokus des Gespräches wieder auf seinen Lehrling zu lenken.
Khara winkte ab. »Ich habe ihn genauestens beobachtet. Noch bestand keinerlei Gefahr«, sagte sie gelassen. »Glaub mir, in so manchem Winter haben wir in den Zellen der Arena genauso schlimm gefroren. Da waren wir dankbar, wenn wir um ein paar Decken kämpfen durften.«
Ahren runzelte die Stirn und zog Khara dicht an sich. Sie redete nicht oft von ihrer Zeit in der Guitu-Arena, und er wusste, dass es ihr zusetzte, wenn eine üble Erinnerung die Oberfläche ihrer Gedanken durchbrach. Sie nickte dankbar, während sie sich an ihn drückte.
»Wo sind die anderen?«, fragte er Trogadon, der ausgesprochen langsam begann, sich anzukleiden, und dabei die verstohlenen Blicke der weiblichen Seeleute genoss.
»Noch beim Frühstück«, antwortete Trogadon und deutete auf die Kapitänskajüte. »Vorhin war mir nicht danach«, sagte er mit einem Grinsen. »Aber jetzt ist mein Kopf klar und mein Bauch leer. Wollen wir gemeinsam hinuntergehen?«
Ahrens Magen meldete sich mit einem vernehmlichen Grummeln, aber er schüttelte den Kopf. »Liebend gerne, aber erst muss ich Hakanu zum Schwitzen bringen.«
»Das kann ich übernehmen«, sagte Khara in leisem Ton. »Ich muss sowieso auf andere Gedanken kommen und da ich mich gestern Abend nicht an eurem Gelage beteiligt habe, konnte ich bereits frühstücken.«
»Also zu einem Gelage fehlte sowohl Musik als auch gutes Essen«, sagte Trogadon entschieden und noch immer sein Grinsen zur Schau stellend, das seinen üppigen Bart teilte. »Das gestern war ein herzhaftes Betrinken unter guten Freunden, mehr nicht.«
Khara fixierte ihn mit einem langen, kalten Blick.
»Wir gehen besser hinein«, schlug Ahren vor und verkniff sich dabei ein Lächeln.
Der Zwerg hastete bereits wortlos vom Vorderdeck.
»Ich kann mich darauf verlassen, dass Hakanu nach seinem drohenden Erfrierungstod nicht als Nächstes einen Hitzschlag durch Überanstrengung erleidet?«, fragte Ahren Khara leise, während er sich behutsam von ihr löste und ihr tief in die Augen blickte, eine Hand sanft auf das seidige Haar in ihrem Nacken gelegt.
Die Schatten der Vergangenheit flohen unter dem Einfluss der Neckerei aus den Augen der Schwertmeisterin, die daraufhin nachdenklich einen Finger an ihre Wange legte und übertrieben zum wolkenverhangenen Himmel starrte. »Ich kann nichts versprechen«, sagte sie süffisant. »Ich werde ihn nichts tun lassen, was ich nicht selbst vollbringen kann.«
Ahren küsste sie zum Abschied und folgte Trogadon, der bereits die Tür zur Kapitänskajüte aufgestoßen hatte und schwungvoll in Jelninolan hineinlief. Die Elfe musterte den Zwerg ihres Herzens eingehend und beließ es bei einem wissenden Schmunzeln, während sie ihm wortlos mit beiden Händen über die Zöpfe seines Bartes fuhr, um sie zu ordnen, und dann an ihm vorbeitrat. Mit Ahren war sie jedoch weniger nachsichtig.
»Du bist also wieder unter den Lebenden?«, fragte sie ihn, als er nur noch einen Schritt von der einladend warmen Kajüte entfernt war, in deren Innerem der Waldläufer durch die offene Tür Uldini, Trimm, Palnah und Yantilla sah, die dem hereinkommenden Zwerg am mit Tellern und Schüsseln beladenen Tisch Platz machten.
»Im Gegensatz zu Falk«, sagte Ahren mit einem schiefen Lächeln und wollte um die Elfe herumgehen, aber die hob eine Hand, um ihn aufzuhalten.
»Jeder von uns geht anders mit den Erlebnissen in Gol-Konar um«, sagte die Priesterin leise. »Bitte sorge dafür, dass Falk und Trogadon es beim Würfelspielen belassen und ein Abend wie der gestrige die Ausnahme bleibt.«
Ahren nickte ernst. Durch die Mahnung der Elfe kam ihm ein spontaner Gedanke. »Kharas Stimmung erscheint mir sprunghaft, seit wir aus der Stadt der Schurken abgereist sind«, sagte er in verschwörerischem Ton. »In einem Moment ist sie überschwänglich fröhlich und unbekümmert, im nächsten grüblerisch und verschlossen.« Er biss sich unschlüssig auf die Unterlippe, bevor er fortfuhr. »Könntest du mal mit ihr reden?«
Jelninolan lächelte ihn an und nickte. »Ich bin mir sicher, es sind nur ein paar unangenehme Erinnerungen an schlechte Zeiten, die durch Gol-Konars allgegenwärtige Verderbtheit wieder zum Leben erweckt wurden. Sollte es anders sein, gebe ich dir Bescheid.«
Ahren drückte die Elfe dankbar, als plötzlich die Stimme Uldinis ertönte.
»Kommst du jetzt rein?«, grantelte er laut aus dem Inneren der Kapitänskajüte. »Sonst mach die Tür zu. Es wird langsam kalt hier drinnen.«
Jelninolan schenkte Ahren noch ein Augenzwinkern zum Abschied, dann huschte der Waldläufer schnell in den Raum und schloss die Tür hinter sich. Nach dem frostigen Wind und der alles durchnässenden Gischt an Deck war der Raum ein Hafen der Wärme und Heimeligkeit.
»Was gibt es zum Frühstück?«, fragte er und rieb seine Hände aneinander, teils aus Vorfreude, teils, um die Kälte aus den Fingern zu vertreiben.
»Haferschleim und Neuigkeiten«, sagte Yantilla, die Kommandeurin der Eiswölfe, mit verkniffener Miene. »Ich kann mich nicht entscheiden, was ich mehr verabscheue.«
Ahrens Hand blieb über der großen, am Tisch fixierten Schüssel schweben. »So schlimm?«, fragte er in die Runde.
»Haferschleim ist immer furchtbar«, sagte Uldini trocken. »Und die Berichte über die Gegenwehr, auf die wir zufahren, sind alles andere als ermutigend.«
»Anscheinend tauchen täglich mehr Dunkelwesen in den Gewässern auf, die wir auf unserer Route gen Süden durchqueren müssen«, fügte Trimm hinzu. Der dicke Paladin schien mit jedem Wort mehr in sich zusammenzuschrumpfen. Seine Angst war geradezu greifbar. Erst als die schweigende Palnah seine Hand in die ihre nahm, richtete sich der Paladin wieder auf.
»Ich denke immer noch, dass wir Men-Hark ohne ein großes Gefecht erreichen können«, meldete sich Yantilla zu Wort, die Trimm mit einem kühlen Seitenblick strafte. »Das Schöne an einem Ozean als Schlachtfeld ist, dass er so viele Möglichkeiten des Ausweichens bietet. Selbst Tausende Dunkelwesen können nur einen Bruchteil des Wassers im Auge behalten. Wir brauchen nicht mehr als ein wenig Glück und Seefahrtsgeschick und schon brechen wir an einer geringfügig bewachten Stelle der Feindeslinien durch.«
Uldini rieb sich über seinen glattrasierten Schädel, die Augen nachdenklich zusammengekniffen. »Wir könnten unsere beiden Geleitschiffe als Köder einsetzen, um etwaige Dunkelwesen in die Irre zu führen …«
»Nein«, lehnte Ahren kategorisch ab, noch bevor der Alte seinen Gedanken zu Ende formulieren konnte. »Keine Köder. Die Gefahr, dass sie von einem Haufen Seedunkelwesen versenkt werden, ist zu groß. Ich werde keine Seeleute opfern, nur um einem Kampf zu entkommen.«
»Bei dem wir vielleicht selbst versenkt werden«, gab Trimm düster zu bedenken.
Ahren runzelte die Stirn und sah auf den furchtsamen Paladin hinab. Dann zwang er sich zu einer milden Miene und sagte leise: »Hab Mut, mein Bruder. Wo ist der Paladin hin, der Reik seinen Dolch ins Herz stieß, als alles verloren schien?«
»Er hat seinen Verstand wiedergefunden«, flüsterte Trimm und schauderte.
Ahren schwieg dazu. Es würde wohl noch lange dauern, bis der als Grande auftretende Mann seine Vergangenheit abschütteln konnte.
Hoffentlich nicht zu lange oder der Krieg ist vorbei, warf Culhen ein, der Ahren beiläufig einige Eindrücke vom Training übermittelte, mit dem Khara den schwitzenden Hakanu quälte. Die Schwertmeisterin hatte sich offenkundig Übungen ausgedacht, bei denen der Speer des Jungen eine entscheidende Rolle spielte. In diesem Moment musste der Lehrling den senkrecht in das Holz des Schiffes verkanteten Speer emporklettern, ohne dass dieser zur Seite kippte oder der junge Krieger am glatten Schaft hinabrutschte. Die dafür nötige Körperspannung hätte selbst Ahren an seine Grenzen gebracht. Lächelnd richtete er seine Konzentration wieder auf das Gespräch in der Kabine.
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Aluna und Fjolmungar erneut zu uns stoßen?«, fragte er hoffnungsvoll.
Uldini schüttelte den Kopf. »Die Wunden der Seeschlange waren nach der Schlacht in der Bucht Gol-Konars zahlreich und tief. Fjolmungar muss sich erst erholen.«
»Kann uns Magie weiterhelfen?«, griff Ahren nach einem letzten Strohhalm der Hoffnung.
Wieder ein Kopfschütteln Uldinis, gefolgt von einem Laut des Unwillens durch Yantilla. »Auch die beiden Alten müssen sich nach dem Gefecht in der Stadt der Schurken noch ausruhen«, sagte sie mit einem anklagenden Blick in Richtung der kindlichen Gestalt.
»Außerdem macht jeder Zauber unseren Standort leichter aufspürbar«, erwiderte Uldini in defensivem Ton. »Der Widersacher ist wach genug, dass er jeden größeren Zauber zu seinem Ursprung zurückverfolgen kann, vor allem, wenn er gegen einen seiner Diener gewirkt wird.«
Ahren horchte auf. »Also wären kleinere magische Rituale, die mit größter Vorsicht und weitab von Dunkelwesen gesprochen werden, durchaus möglich?«
Uldini nickte zögerlich. »Mal sehen, was mir und Jelninolan so einfällt.«
Ahren wusste, dass er kein größeres Zugeständnis von dem Magus erwarten konnte, und nahm sich zufrieden eine Schüssel voll Haferschleim, während er ihre Möglichkeiten im Kopf drehte und wendete. Am Ende lief alles auf eine Mischung aus Glück, List und Können hinaus, um unbeschadet in Men-Hark anzukommen.
Beeindruckend, drang Culhens Kommentar in Ahrens Geist ein. Ahren sah durch die Augen seines Freundes und musste ihm zustimmen.
Hakanu klammerte sich mit zitternden Muskeln am stumpfen Ende seines kaum schwankenden Speeres fest, dessen Spitze zwischen den Planken steckte. Die Füße des Jungen pressten sich seitlich gegen den runden Tiefenstahl, während die Hände des Lehrlings übereinander gefaltet auf dem Ende der Waffe ruhten. Der Oberkörper Hakanus war gerade weit genug über den Speer hinweg nach vorne ausgesteckt, dass der junge Krieger damit das Gewicht seines restlichen Körpers ausgleichen konnte.
Sieht aus wie eine Taube auf einer Glockenturmspitze, fügte Culhen amüsiert hinzu. Was wohl passiert, wenn ich jetzt laut heule?
Untersteh dich!, warnte ihn Ahren streng, dem die Leistung seines Zöglings zu sehr imponierte, um sie durch Culhens Humor zunichtemachen zu lassen. Hakanu vollbrachte sogar das Kunststück, die Wellenbewegungen auszugleichen, die das Schiff auf und ab senkten.
»Sehr schön«, hörte er Kharas lobende Stimme durch die Ohren des Wolfes. »Und so bleibst du jetzt, bis die Sonne zwei Fingerbreit gen Himmel gewandert ist.«
Hakanu keuchte auf, sein ganzer Körper zitterte bereits vor Anspannung. »Aber …«, begann er seinen Protest.
»Kein Aber«, sagte Khara kategorisch mit genug Stahl in der Stimme, um daraus einen zwergischen Streitwagen zu schmieden. »Fühle deine Waffe«, erklärte sie streng. »Erkenne ihre Bewegungen, um ihnen entgegenzuwirken, noch bevor sie dich aus der Balance bringen.« Sie griff zu Hakanu hinauf und zog den Jungen eine halbe Handbreit nach vorne. Ahren sah, dass Hakanus Haltung sich sofort entkrampfte und wie sich die Augen des Lehrlings überrascht weiteten. »Spüre das Zentrum, das du und dein Speer bildet. Bleibst du diesem harmonischen Punkt treu, kann dich nichts aus der Ruhe bringen oder ermüden«, fuhr Khara mit ihrer Lektion fort. »Wenn du diese Weisheiten verinnerlichst, wirst du erkennen, wie wenig Kraft eine perfekt ausgeführte Bewegung in Wahrheit erfordert.«
Ahren wurde aus der Betrachtung der Szene gerissen, als sich die Tür der Kapitänskajüte öffnete, Trogadon mit Yantilla und Uldini den Raum verließen und dafür, zusammen mit einem Schwall kalter Luft, Muai und Kamaluq hereinkamen. Schmunzelnd sah Ahren zu, wie die Tigerin sich erst mit ihren Pranken ein Stück abgehangenes Fleisch von einem achtlos hingestellten Teller angelte und ihre Beute dem Glitzerfuchs vor die Schnauze warf, bevor sie damit begann, für sich selbst auf Beutezug zu gehen. Mit einem kräftigen Fiepen machte sich das junge Vertrautentier über das Geschenk der Tigerin her, die mit einem zufriedenen Blick in ihren achatfarbenen Augen über den kleinen Kerl wachte und dabei einen großen Brocken Fleisch hinunterschlang.
»Schon so lange am Leben und doch jetzt erst Mutter. Wenn auch nur im Geiste«, murmelte Palnah. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Ahrens und Muais Köpfe ruckten zu ihr herum. Die Augen des Paladins waren voller Überraschung, die der Tigerin schmal und bedrohlich.
»Wie bitte?«, fragte der Waldläufer nach, aber da war die Brajah bereits aufgesprungen und mit gesenktem Kopf gen Ausgang gehuscht.
»Bitte entschuldige«, hauchte sie in Richtung Muai, dann war sie durch die hastig einen Spalt weit geöffnete Tür hinausgeschlüpft und hatte das schwere Holz hinter sich zugemacht.
»Sie meint es nicht böse«, meldete sich Trimm zu Wort. »Ihre Gabe lässt sie Dinge sehen, die andere verbergen wollen – meist auch vor sich selbst.«
»Ich kann nachvollziehen, wie gefährlich und auch mächtig eine solche Fähigkeit sein muss«, antwortete Ahren nachdenklich und deutete dann auf Muai. »Und auch wie unbeliebt derartige Wahrheiten aufgenommen werden können.«
Trimm lächelte gezwungen. »Ich denke, sie ist deswegen so lange bei Reik geblieben, weil er ihr zumindest nie das Gefühl gegeben hat, ihre Gabe sei ein Fluch. Egal, wie schlimm die Wahrheit auch war oder wie abgrundtief die Täuschung, die Palnah dadurch aufdeckte, er hat sie stets vorbehaltlos angenommen.«
Ahren entging der Schmerz in der Stimme seines Gegenübers nicht. »Glaub keinen Moment, du seist für sie weniger wert als dieser Wahnsinnige, der Palnah in einem Käfig der Zuneigung gefangen hielt, die aus purem Eigennutz geboren wurde. Er hat sie benutzt und nur dafür hat er sie geliebt.«
Trimm zuckte linkisch mit den Achseln. »Du ahnst gar nicht, mit wie wenig sich Menschen zufriedengeben, die keine hohe Meinung von sich selbst haben. Wo andere einen Krümel sehen, glauben wir ein Festmahl zu erkennen.«
Ahren kniff die Lippen zusammen. Er hatte noch nie in seinem Leben etwas so Trauriges gehört. »Ich glaube fest daran, dass du und Palnah einander zeigen könnt, was es heißt, wahrhaftig zu lieben. Und dass ihr erkennt, welchen Wert ihr für diese Welt darstellt.«
Trimm blickte Ahren in die Augen und eine wilde Sehnsucht lag darin. »Du schaffst es, lange vergrabene Träume wieder zum Leben zu erwecken«, flüsterte er schließlich in das beständige Knarzen der Kajüte hinein. »Ist dies dein Geheimnis? Folgen dir deshalb alle Paladine?«
Ahren zuckte mit den Achseln, vollkommen von der Frage des dicken Mannes überrumpelt. »Vielleicht«, sagte er schließlich zögerlich. »Ich bin so viel jünger als ihr alle«, versuchte er sich an einer Erklärung. »Ich denke, dadurch kann ich euch an viele Wahrheiten erinnern, die in den langen Jahren eures Lebens verschüttet wurden.« Ahren deutete auf die Tür und damit vage in Richtung des noch immer balancierenden Hakanus, den Culhen seit einer Weile mit einer Mischung aus Unglauben und väterlichem Stolz beobachtete. »Auch Hakanu hat mir diesen Dienst bereits erwiesen. Wir alle brauchen von Zeit zu Zeit jemanden, der uns an die Version unseres Selbst erinnert, wie wir sein wollen.« Er sah Trimm lange in die Augen. »Oder auch sein müssen, wenn es die Umstände erfordern.«
»Also ein Paladin anstelle eines Granden?« Die Worte Trimms waren mehr ein gequältes Flehen denn eine Frage.
Ahren nickte bedächtig. »Du wirst eine Weile ein Paladin sein müssen, damit du danach wieder Grande sein darfst«, sagte er sanft. »So, wie ich ein Paladin sein muss, bis ich wieder ein simpler Waldläufer sein darf.«
Trimm nickte, sein feistes Gesicht wirkte eingefallen und müde. Er schwieg, und so legte ihm Ahren eine Hand auf die Schulter. Gemeinsam saßen die Paladine da, lauschten dem Schiff, den Wellen und den Rufen der Matrosen, während jeder verstreichende Moment die Königin der Wellen Länge um Länge weiter gen Süden brachte, und damit unweigerlich dem nächsten Konflikt entgegen, in dem Ahren und Trimm zwei Streiter der Götter sein mussten.
Die Wolken waren fort, der böige Wind aber blies immer noch, als Ahren schließlich wieder das Vorderdeck aufsuchte, wo Jelninolan mit Hakanu einige Schlag- und Stoßkombinationen durchging, während Khara den beiden gelassen zusah.
»Der rechte Fuß muss weiter nach vorne, sonst ist dein Gewicht nicht ordentlich verteilt«, sagte die Elfe streng.
»Aber ich …«, begann Hakanu, doch zu Ahrens Überraschung ließ Jelninolan ihren Stab geschickt in die linke Kniekehle des Lehrlings zischen. Der Angriff hatte kaum Wucht, war aber extrem schnell ausgeführt worden und der junge Krieger knickte unwillkürlich ein, als seine unsaubere Standtechnik durchbrochen wurde.
Jelninolan wirbelte ihren Stab blitzschnell um ihre Hüfte herum und die Waffe zischte nun von der rechten Seite her gegen den ungeschützten Hals des strauchelnden Paladins, wo er keinen Fingerbreit von dessen Schlagader zum Stehen kam.
»Das reicht für heute«, sagte sie mit angespannten Mundwinkeln. »Ich bin erschöpft und kann keine weiteren Widerworte ertragen.« Als sie an Ahren vorbeiging, murmelte sie ihm zu: »Ihr Götter, was für ein Sturkopf. Je mehr er lernt, umso schwerer ist es, ihm etwas Neues beizubringen, weil er glaubt, er wisse es nun besser.«
Ahren drückte mitfühlend ihren Arm und sie schob sich an ihm vorbei, um dann noch einen Moment innezuhalten.
»Ich habe mit Khara gesprochen«, flüsterte sie. »Gol-Konar steckt ihr ebenso in den Knochen wie uns allen.«
Ahren kratzte sich grüblerisch am Bart. »Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn wir uns in Men-Hark alle die Beine vertreten. Damit wir uns daran erinnern, wie es in einer zivilisierten Umgebung zugeht.«
»Also ein Stadtbummel würde mir schon gefallen«, sagte die Elfe schmunzelnd. »Ich bin mir sicher, dafür wird genug Zeit sein, während die Königin der Wellen repariert wird.« Sie schenkte ihm ein warmherziges Lächeln und ging fort.
»Worüber habt ihr beiden getuschelt?«, fragte Khara neugierig, als Ahren neben sie und den sich ausruhenden Hakanu trat. Der Lehrling wirkte bei näherer Betrachtung seltsam unförmig und Ahren erkannte, dass der junge Krieger zwei Schichten Kleidung übereinander trug.
»Wie wir den Schatten Gol-Konars loswerden, der noch über uns allen schwebt«, antwortete er ausweichend. Dann deutete er auf Hakanu. »War mein Kommentar über einen möglichen Hitzschlag des Jungen etwa eine Inspiration für dich oder warum trägt er so viel Stoff am Leib?«, scherzte er.
Khara lächelte ihn belustigt an. »Mein Gedanke war, dass er lernt, in sperriger Kleidung zu kämpfen«, sagte sie. »Wenn wir in den Eisfeldern sind, werden sich all jene ohne einen magischen Umhang warm anziehen müssen. Das macht uns plumper, als wir es gewohnt sind.«
»Jeder überschätzt dieses Kleidungsstück«, sagte Ahren und rieb sich den Nacken. »Bei der Belagerung von Hjalgar habe ich gefroren wie alle anderen auch, solange ich Arme und Beine nicht unter ihm aufwärmen konnte.«
Khara sah ihn streng an. »Und genau darin besteht sein Segen. Wo Normalsterbliche ein Feuer brauchen, um sich aufzuwärmen, mummelst du dich einfach in deinen Umhang.«
»Ich lerne trotzdem besser ebenfalls, wie man in dicker Kleidung kämpft«, sagte Ahren nachdenklich. »Es schadet nie, neues Wissen zu erwerben.«
»Gut«, sagte Khara zufrieden. »Dann kannst du gleich einige Übungsformen mit Hakanu durchgehen.«
Ahren huschte unter Deck und zog sich um, wobei er das Fluchen von Seeleuten und das triumphierende Lachen von Falk und Trogadon aus dem Mannschaftsraum hörte, immer wieder unterbrochen von dem Geräusch rollender Würfel. Kopfschüttelnd ging er zurück an Deck, wobei er sich fühlte, als würde er in einer schlechtsitzenden, alle Gelenke einengenden Rüstung stecken.
Kharas Grinsen, als sie ihn erblickte, sprach Bände. »Sehr schön. Dann versucht als Erstes einen Übungskampf, damit ihr merkt, wie ihr eure Manöver in der dicken Kleidung modifizieren müsst.«
Vorsichtig und langsam stapften Ahren und Hakanu umeinander herum und belauerten sich, während sie ihre Waffen träge in den Händen kreisen ließen. Ahren graute bei dem Gedanken daran, dass seine Gefährten in den Eisfeldern auch noch dicke Fäustlinge würden tragen müssen!
Er begann mit einfachsten Attacken in Richtung Hakanu und ließ dem Jungen stets genug Zeit, um zu parieren oder auszuweichen.
»Das ist ein bisschen, wie im Wasser zu trainieren«, sagte Hakanu. Der Lehrling ging seinerseits zum Angriff über, kaum dass Ahren ihm eine Gelegenheit dazu gab. Sein Schützling konzentrierte sich auf eine Vielzahl von Stoßvarianten, die ihm in den vielen Lagen aus Kleidung deutlich leichter fielen als sämtliche anderen Techniken.
Also ließ Ahren einen der Stiche an sich vorbeigleiten und trat an Hakanu heran, die Windklinge stoßbereit an den eigenen Körper gepresst. »Und schon bist du tot«, sagte er ernst.
Hakanus Blick zeigte eine Mischung aus Trotz und Hilflosigkeit.
»Du musst mehr variieren, auch wenn dir dies schwerer fällt, solange du so eingepackt bist«, meldete sich Khara. »Noch mal.«
Die Sonne kletterte unaufhaltsam von ihrem Zenit herab, während Lehrling und Meister wieder und wieder ihre Manöver übten, unterbrochen nur von kurzen Pausen und Kharas guten Ratschlägen.
»Woher weißt du so viel über das Kämpfen in dicker Kleidung?«, fragte Ahren, als sie eine neuerliche Unterbrechung ankündigte. Ihm lief der Schweiß in Bächen am Körper hinab und die Versuchung, sich die überflüssigen Schichten Stoff und Leder vom Leib zu reißen, war groß.
»Es gab ein Jahr in der Arena, in dem ich in wattierter Kleidung üben musste«, sagte Khara knapp. »Ich war noch zu unerfahren, um mich beim Kampf nicht mit scharfen Waffen zu verletzen, aber bereits kostbar genug, dass es eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen gewesen wäre, würde ich sterben, ohne dass es zahlende Zuschauer gab.«
Ahren wollte Khara nach diesen Worten trösten, aber zu seiner Verblüffung – und auch ihrer, wenn er ihre überraschte Miene richtig deutete – war Hakanu schneller. Der Lehrling zog die Schwertmeisterin in eine impulsive Umarmung und drückte sie fest an sich.
»So etwas wird nie wieder passieren«, versprach er. »Meister Ahren und ich passen ja jetzt auf Euch auf.«
Khara blinzelte langsam und konsterniert, während sie Ahren über die Schulter des sie noch immer umklammernden Hakanu anschaute. Der junge Meister musste sich ein schallendes Lachen verkneifen und rang gleichzeitig mit seiner Rührung. Welche Fehler Hakanu auch haben mochte, er hatte sich ein gutes Herz bewahrt – was den jungen Krieger nicht davor bewahrte, in hohem Bogen durch die Luft zu fliegen, als Khara die unfreiwillige Umarmung mit einem geschickt angesetzten Wurf beendete. Ahren musste seinem Lehrling immerhin zugestehen, dass er nicht vor Überraschung aufschrie.
»Ich weiß die Geste zu schätzen, aber momentan passen Ahren und ich noch auf dich auf«, sagte Khara lächelnd zu dem Lehrling. »Ich freue mich auf den Tag, an dem sich das ändert.« Dann half sie dem platt auf dem Rücken liegenden Jungen auf die Beine.
»Sollen wir für heute aufhören?«, fragte Ahren und trank einen Schluck Wasser aus seiner Feldflasche. Dann deutete er auf Muai, Kamaluq und Culhen, die als unordentlicher Haufen aus Fell ineinander verschlungen dalagen und den gesamten Tag verdöst hatten. »Selbst unsere Vertrautentiere haben ihre Freude daran verloren, uns mit spitzfindigen Kommentaren zu bedenken.«
Du bewegst dich wie eine gichtkranke Schildkröte, ertönte daraufhin Culhens verschlafene, routiniert hervorgebrachte Schmähung, die der Wolf ohne große Leidenschaft von sich gab.
Ahren schmunzelte. »Culhens Sticheleien wiederholen sich sogar schon.«
»Noch ein letzter Übungskampf«, entschied Khara nach kurzem Überlegen und spielte dabei gedankenverloren mit ihrem Armband, das in Ahrens Kopf sang wie der ferne Ruf einer sich sorgenden Mutter. »Der Gewinner darf sich ausruhen, der Verlierer muss üben, bis die Sonne am Horizont versinkt.«
Kaum hatte Khara die Worte gesprochen, als Hakanu bereits seinen Speer in Richtung Ahren sausen ließ. Der junge Meister konnte dem Angriff nur entkommen, da der Junge seine Lieblingseröffnung gewählt hatte. Ahren kniff die Augen zusammen und ging entschlossen in die Offensive. Schlag, Stoß, Parade, Finte, Ausweichmanöver … Er nutzte sein gesamtes Repertoire, um seinen Lehrling zu bezwingen, der seine mangelnde Erfahrung mit jenem Feuereifer kompensierte, der seiner Jugend entsprang. Ahren wusste, dass er den Kampf gewinnen konnte, indem er Hakanu ermüdete, entschied sich jedoch für eine andere wertvolle Lektion.
Culhen, dachte er nur und sandte dem Wolf eine Idee zu.
Sein Freund erwachte aus seinem Dämmerzustand und hob umgehend den Kopf. Dann stieß er ein Heulen aus, das derart schaurig und laut war, dass es einen Matrosen vor Schreck aus den Wanten fallen ließ. Hakanu reagierte mit einem Zusammenzucken und einem Schulterblick auf das Tier, woraufhin Ahren ihm in dem Überraschungsmoment die Windklinge an den Hals setzte.
»Erwarte immer das Unerwartete«, sagte er grinsend. »Ein beweglicher Geist schafft einen beweglichen Körper.« Falk hatte Ahren diese wichtigste Lektion mehr als einmal eingebläut und er wollte diese Weisheit so tief wie nur möglich in Hakanus leidenschaftlichen Verstand einbrennen.
Sein Lehrling sah ihn indessen mit großen Augen an und schien schockiert darüber, dass sein Meister zu einem derart hinterhältigen Trick gegriffen hatte. Als Kamaluq jedoch mit einem kämpferischen Fiepen aufsprang und Ahren mit einem grellen Lichtblitz blendete, erkannte der junge Meister die Wahrheit. Hakanu hatte blitzschnell den Spieß umgedreht.
Ahren hörte, wie Hakanu von der Waffe an dessen Hals fortwirbelte, und das Zischen des Speeres. Schnell ließ der junge Meister sich in eine Rückwärtsrolle fallen und versuchte, sich zu orientieren. Der vor sich hin fluchende Culhen war ebenfalls vom Lichtblitz geblendet worden und daher keine große Hilfe.
Ahren schwang sich aus der Rolle wieder in den aufrechten Stand zurück und schärfte seine restlichen Sinne so gut er konnte, um Hakanu aufzuspüren. Khara bot ihm dabei einen Fixpunkt, denn das Armband der Schwertmeisterin ließ ihn spüren, wo sie sich befand, war es doch wie eine Art Leuchtturm für den Göttersegen in seinem Inneren.
Einer Intuition folgend konzentrierte Ahren sich auf dieses Gefühl der Verbundenheit und versuchte ihm nachzuspüren. Das Armband sang auf eine unbewusste Art zu ihm, und wie ein morgendlicher Tautropfen, der die Stränge eines Spinnennetzes entlang rann, war sich Ahren nach und nach der Präsenz erst eines, dann zweier und schließlich aller Paladine an Bord bewusst.
Er spürte den ängstlichen Trimm, der in seiner Kabine in den Armen Palnahs lag, die Frustration Falks, der unter Deck gegen die Langeweile und Unruhe in seinem Inneren ankämpfte, indem er mechanisch ein Würfelspiel nach dem anderen absolvierte – und er spürte den siegessicheren Hakanu in seinem Rücken, der sich mit stoßbereitem Speer anschlich, um Ahren zum Aufgeben zu zwingen.
Der Waldläufer glitt in eine weitere Rückwärtsrolle, die ihn an seinem überraschten Lehrling vorbeiführte, und kam dann in dessen Rücken zum Stehen. Noch immer mit geschlossenen Augen legte er seinem Schützling abermals seine Windklinge an den Hals.
»Gewonnen!«, sagte er triumphierend.
»Aber … Wie habt Ihr …?«, stammelte der junge Krieger und ließ seinen Speer fallen.
Ahren öffnete seine protestierenden Augen, die noch immer tränten, und deutete dann auf Kharas Armband aus Elfentrug. »Ich weiß nicht genau wie, aber irgendwie kann ich die Göttersegen aller anwesenden Paladine spüren, wenn ich mich auf Uldinis und Jelninolans Hochzeitsgeschenk konzentriere.«
Khara starrte blinzelnd auf das Schmuckstück an ihrem Handgelenk hinab. »Ich dachte, nur ich könnte das«, sagte sie.
Hakanu runzelte konzentriert die Stirn und riss dann überrascht die Augen weit auf. »Ich spüre es auch«, hauchte er. »Falk kommt gerade die Treppe hoch und Trimm … Trimm bemerkt dieses Gefühl ebenfalls, denke ich.«
Als Falks verwirrtes Gesicht auf der Treppe sichtbar wurde, flog auch schon die Tür der Kapitänskajüte auf.
»Was geht hier vor?«, fragte Uldini unwirsch und kam herangeflogen, gefolgt von einer neugierig dreinschauenden Jelninolan. »Irgendwer webt hier gerade ein äußerst filigranes Zaubernetz.«
»Wieso spukt ihr zwei Lausbuben und dieser Nichtsnutz Trimm durch meinen Kopf?«, fragte Falk grimmig, als er das Vorderdeck des Schiffes erreichte. »Und warum seid ihr beide angezogen wie zwei Schausteller, die sich nicht entscheiden konnten, was sie bei ihrer nächsten Gauklernummer tragen sollen, und daher einfach alles angezogen haben?«
Lausbub, warf Culhen genüsslich dazwischen. Das gefällt mir.
Ahren ignorierte den grummeligen alten Mann für den Moment und wandte sich stattdessen an Uldini und Jelninolan. »Es ist Kharas Armband. Anscheinend sorgt es dafür, dass wir die Göttersegen des jeweils anderen spüren können.«
Der Alte tauschte einen überraschten Blick mit der Elfe aus, die nur mit den Achseln zuckte.
»Wir wussten nur, dass das Armband Khara erlauben würde, sich den unbewussten Ruf aller Paladine untereinander nutzbar zu machen.« Sie nahm Kharas Hand sanft in die ihre und schaute nachdenklich auf das Kleinod hinab. »Dass es ein hauchfeines Zaubernetz zwischen den Göttersegen erschafft, habe ich nicht vorhergesehen.«
Ahren spürte die Irritation Falks, noch bevor er sie auf dessen Gesicht sah. »Könnt ihr das irgendwie steuern?«, fragte er die Alten mürrisch und deutete auf Ahren und Hakanu. »Ich mache mir sowieso ständig Sorgen um die zwei, auch ohne dass sie mir wortwörtlich im Kopf herumspuken.«
»Khara, was genau ist passiert, als das Zaubernetz entstand?«, fragte Uldini die Schwermeisterin.
»Ahren und Hakanu haben in einem Zweikampf geübt«, erwiderte sie grüblerisch. »Dann hat erst Ahren Culhen ein lautes Heulen ausstoßen lassen …«
»Vielen Dank auch dafür. Mir wäre vor Schreck beinahe das Herz stehen geblieben«, warf Trogadon ein, der sich mit Trimm und Palnah zu der immer größer werdenden Gruppe gesellt hatte, die die Paladine interessiert umringten.
»… dann hat sich Hakanu revanchiert, indem er Kamaluq befahl, einen Lichtblitz zu erzeugen «, fuhr Khara fort.
Der junge Fuchs reagierte auf die Nennung seines Namens, indem er wieder sichtbar wurde – und dadurch einen neuerlichen Impuls greller Helligkeit erzeugte. Allgemeines Stöhnen und Fluchen war die Folge, während alle Anwesenden sich die schmerzenden Augen rieben.
»Der nächste, der ungefragt ein Kunststück vollführt, findet sich für einen Tag als Kaulquappe in einem vollen Nachttopf wieder«, grollte Uldini drohend, als alle wieder sehen konnten. Kamaluq versteckte sich schnell mit einem ängstlichen Fiepen hinter dem stocksteif dastehenden Hakanu, der sich nicht zu rühren wagte. »Weiter«, forderte der Magus Khara barsch auf.
»Ich war geblendet, wie alle Anwesenden jetzt sehr gut nachvollziehen können, und versuchte mich zu orientieren. Mein Armband wurde warm. Es war ein Gefühl, als würde Ahren stumm nach mir rufen und das Schmuckstück würde … antworten?« Sie kratzte sich unschlüssig am Kopf. »Ich kann es nicht besser ausdrücken. Danach wusste ich einfach, wo sich welcher Paladin an Bord gerade aufhielt.«
»Wie aufregend«, sagte Jelninolan begeistert. »Uldini und ich wussten, dass es eine Weile dauern würde, bis sich die im Elfentrug eingewebten Bannzeichen auf dich einstimmen würden, aber mit einem autarken Zaubernetz, das alle in unmittelbarer Nähe befindlichen Paladine miteinander verbindet, haben wir sicher nicht gerechnet.«
»Es ist eigentlich nur logisch«, sagte Uldini grüblerisch. »Die Göttersegen streben von Natur aus zueinander, um sich zu verbinden. Schließlich sind nur alle dreizehn Paladine gemeinsam stark genug, um dem Widersacher endgültig die Stirn zu bieten. Unser Geschenk wirkt wie ein Leuchtturm und hilft ihnen dabei, sich gegenseitig zu finden.« Er drehte die Handflächen nach oben, ein zufriedener Ausdruck lag auf seinem Gesicht. »Durch die beständige Verbindung mit Kharas Armband als stabiles Zentrum erschaffen die Segen nun ein eigenständiges Zaubernetz.«
»Alles schön und gut«, sagte Falk ungeduldig. »Nach all diesem arkanen Schulterklopfen bleibt meine Frage immer noch offen: Kann man es auch abstellen?« Er tippte sich gegen die Schläfe. »Mit den dreien als Lichtwolken in meinem Schädel kann ich sicher nicht schlafen.«
Jelninolan sah Khara freundlich an. »Versuche mal, ob du jenes suchende Gefühl unterdrücken kannst, das das Armband in dir hervorruft«, riet sie ihr.
Khara schloss die Augen, und Ahren erkannte an ihrer entspannten Miene, wie sie für einen kurzen Moment ins Pelneng glitt. Sofort brach die Verbindung zu ihr und den anderen Paladinen ab.
»Och«, machte Hakanu enttäuscht. »Es fühlt sich jetzt irgendwie leer in meinem Kopf an.«
»Darauf wette ich«, sagte Trogadon in trockenem Ton, und alle Umstehenden lachten laut.
Ahren pflichtete seinem Lehrling jedoch im Stillen bei. Es war ein beruhigendes Gefühl gewesen, die Präsenz der anderen Paladine zu spüren.
Also ich fand es einfach nur laut, tat Culhen seine Meinung kund. Dein Kopf ist auch ohne zusätzliche Echos der anderen Paladinsegen darin schon ein heilloses Chaos.