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Es ist vollbracht - Ahren und seine Freunde haben die Allianz der Völker Joraths wiederbelebt. Während der Verteidigungsring um die Bannwolke mit Hilfe der Zwerge geschlossen und befestigt wird, kommen die Gefährten dem Hilferuf der Wutelfen aus dem Wutwald nach, in dessen Tiefen geheimnisvolle Bedrohungen lauern, die den Elfenwald und alles Leben in ihm zu zerstören drohen. Die Zeit drängt, denn nicht nur schreitet die Ausbreitung der Bannwolke bedrohlich schnell voran, auch muss der heimgesuchte Wutwald um jeden Preis gerettet werden, denn wenn der Wald fällt, fällt mit ihm auch der Verteidigungsring und alle Hoffnung auf einen Sieg gegen IHN, DER ZWINGT, wäre verloren.
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Seitenzahl: 839
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Torsten Weitze
Im Herzen des Wutwaldes
Der 13. PaladinBand IX
Impressum
© Torsten Weitze, Krefeld, 2020Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de
Torsten Weitze c/o LAUSCH medien
Bramfelder Str. 102a
22305 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze
Für all jene, die mich mit ihrem Lob, ihrem Lachen oder ihren Inspirationen immer weiter vorwärtstragen.
Und denkt daran:
Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte, als zum ersten Mal erlebt zu werden …
Inhalt
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
Epilog
Ahren genoss mit geschlossenen Augen die Wärme der Sonne, die überraschend kräftig auf sein Gesicht schien. Die ihn umheulende, kalte Bergluft bildete dagegen einen drastischen Widerspruch, der mehr als deutlich machte, dass der Winter seine Macht über Tausend Hallen nur zögerlich aufzugeben bereit war. Hier auf dem Podest, das der Vater des Berges sonst stets für sich beanspruchte, um über sein geliebtes Zwergenkönigreich zu wachen, konnte Ahren dem Kampf der Elemente nachspüren, der das ganze Gebirge heimsuchte.
Ein fernes Rumpeln ertönte. Ahren musste lächeln und schlug die Augen auf. Eine weitere Lawine löste sich von einem fernen Berg und raste gen Tal, um dort in einer weißen Schneegischt zur Ruhe zu kommen. Bereits seit einer Woche lösten sich Schneemassen von den steilen Hängen Tausend Hallens und verkündeten jedem aufmerksamen Beobachter, dass die Zeit der wetterbedingten Isolation des Zwergenreiches in wenigen Tagen beendet sein würde.
Bald würden Ahren und seine Freunde aufbrechen!
Wolltest du nicht den Moment genießen? Die Stimme seines Wolfes Culhen schwankte in seinem Kopf zwischen würdevoll und amüsiert. Wie wollen wir je gemeinsam die Leere erreichen, wenn deine Gedanken hüpfen wie eine liebeskranke Heuschrecke.
Ahrens Lächeln wurde breiter. Sein Freund ließ keine Gelegenheit aus, sich über die neu gewonnene Zweisamkeit zwischen Ahren und Khara auszulassen – selbst, wenn es vollkommen zusammenhanglos war, so wie jetzt. Du solltest dich auch freuen, dass es weitergeht, sagte er neckend. Unterwegs werden Khara und ich uns nicht so oft miteinander beschäftigen können, wie wir wollen. Du wirst also nicht ständig vor uns flüchten müssen.
Ich flüchte nicht, sagte Culhen mit einem indignierten Wuffen. Ich lasse euch euren Freiraum. Der Wolf nahm seinen breiten Kopf von dem Stein und sah Ahren erwartungsvoll an. Es sei denn, du möchtest, dass ich eure Schäferstündchen in Zukunft kommentiere.
Ahren schüttelte heftig den Kopf und legte einen Arm über den massigen Körper des mannshohen Tieres, das neben ihm auf dem Podest jenes Paladins lag, der als der Vater des Berges bekannt war. Ich bin dir für deine Diskretion sehr dankbar, sagte er hastig und spürte sofort die Zufriedenheit des Wolfes über ein weiteres gewonnenes Wortgefecht.
Culhen schüttelte sich und stand auf, wodurch er den ächzenden Ahren mit auf die Füße zog. Wir sollten es für heute gut sein lassen, sagte das Tier. Zweimal war ich nahe dran, die Leere zu erreichen, aber ein gewisser gut gelaunter Paladin hat mich jedes Mal zurückgehalten.
Ahren streckte sich und zuckte gelassen mit den Achseln. »Morgen versuchen wir es wieder«, sagte er laut, um ihren Gastgeber mit einzubeziehen, der einige Schritt hinter ihnen auf dem kalten Boden des Eishaupts hockte und wie die Ruhe selbst schien. Ein überaus dicker und schläfriger Bär diente dem meditierenden Zwerg als weiche Rückenlehne, und Ahren musste einmal mehr darüber schmunzeln, wie sehr der Vater des Berges in sich ruhte. Darkan, wie der Paladin in seinem früheren Leben geheißen hatte, war voll und ganz in der Rolle des weisen Ratgebers der Zwergenheit aufgegangen, und es schien, als könne nichts auf der Welt den inneren Frieden des Mannes brechen.
Der Vater des Berges öffnete seine blaugrünen Augen einen Spalt breit und sah Ahren unverwandt an. »Ich kann nicht sagen, dass ich mich über ein wenig Einsamkeit nicht freuen würde«, sagte er mit der leisesten Andeutung eines Lächelns. »Für einen Volkshelden zappelst du ganz schön viel rum.«
Ahren ignorierte Culhens Gelächter in seinem Kopf und kratzte sich über den gestutzten Vollbart, in dem sich einige Eiskristalle verfangen hatten. »Mir geht viel durch den Kopf, jetzt, da wir Tausend Hallen bald verlassen werden.«
Der Vater des Berges lachte herzlich und kuschelte sich gemütlich in die Flanke Hanulfs, seines riesigen Gefährtentieres. Der Kopf mit den rotgrauen Haaren schien beinahe im Fell des Bären zu versinken, während der Zwerg weitersprach. »Dasselbe Lied höre ich schon seit Wochen von dir. Dreimal wolltet ihr schon aufbrechen und jedes Mal seid ihr doch geblieben.«
Ahren zuckte schuldbewusst zusammen. Nicht weil er einen Tadel durch den Vater des Berges fürchtete, sondern weil jeder Tag, den sie hier im Gebirge verweilten, ein weiterer Tag war, an dem sie ihren Verbündeten nicht zu Hilfe kamen. Sowohl die Clans vom Grünen Meer als auch die Elfen des Wutwaldes hatten nach der Schlacht um Tausend Hallen die Unterstützung Ahrens und seiner Freunde erbeten, und beide Gesuche waren von äußerster Dringlichkeit. Der Wutwald schien sich mehr und mehr gegen seine Bewohner zu wenden und das Grüne Meer klagte über seltsame Phänomene, die Uldini jenem Nekromanten zuschrieb, der auch schon Tausend Hallen zugesetzt hatte und der mitverantwortlich für die Schneemassen war, die das Gebirge in ihrem eisigen Griff gefangen hielten. Ahren hatte beschlossen, dass sie zuerst den Elfen helfen würden, weil der Wutwald auf ihrem Weg Richtung Grünes Meer lag. Das war vor über zwei Monden gewesen.
»Irgendetwas hält uns immer auf«, sagte Ahren defensiver, als er klingen wollte. Seit er in Tausend Hallen gegen innere und äußere Dämonen gekämpft hatte, gab es wenig, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte – außer es ging um Hilferufe, denen er sich verpflichtet fühlte. Und davon gab es in Kriegszeiten reichlich. »Jelninolan musste sich vom Kampf gegen den Nekromanten erholen, die Pässe waren nicht begehbar, Sonnenschimmer und Sunju sind schon lange fort, sodass sie uns nicht ausfliegen können, und Trogadon steckt seinen verschwitzten Kopf seit Wochen nicht mehr aus der Tiefenschmiede, da wirklich jedem Paladin, mit dem wir in Kontakt stehen, ein Gegenstand eingefallen ist, den er oder sie gerne aus Tiefenstahl hergestellt haben möchte.« Ahren musste wieder grinsen, da Culhen bei der Erwähnung der legendären Kernschmiede ganz unruhig wurde. Neben der Flut von kleinen und mittelgroßen Aufträgen der Paladine per Rillans und Brieftauben, hatte Trogadon dem Wolf eine große Überraschung versprochen, die eigentlich nur eine eigene Rüstung sein konnte. Seit jener winzigen Andeutung war das Tier nicht bereit, das Gebirge zu verlassen, bevor der Zwerg mit seiner Arbeit fertig war, und Ahren hatte keine Chance gehabt, seinem Drängen jenen Nachdruck zu verleihen, der nötig gewesen wäre, um früher aufzubrechen. Also hatte er das Beste aus ihrer langen Wartezeit gemacht und sich voll und ganz dem Training verschrieben, sowohl an den Waffen und im Waldlauf als auch in den Versuchen, mit Culhen zusammen die Leere zu erreichen. In allen Bereichen hatte er seine selbst gesteckten Ziele erreicht – bis auf den letzten. Was die Leere anging, glaubte er immerhin an einen bevorstehenden Durchbruch, sofern es ihm gelang, seine galoppierenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. »Wir hatten einfach zu viele gute Gründe, länger zu bleiben«, schloss er grüblerisch. »Ich hoffe nur, unsere Alliierten sehen das ebenso.«
»Gibt es bereits eine Reaktion aus dem Grünen Meer?«, fragte der Vater des Berges neugierig.
Ahren schüttelte den Kopf. »Die wöchentlichen Berichte von der Front durch die Alten sind in der Hinsicht immer gleich. Das Meer liegt still, die Clans sind unauffindbar. Selbst die entsandten elfischen Späher haben Mühe, das Reitervolk auf den weitläufigen Grasebenen aufzuspüren. Es ist gut möglich, dass Feuer-im-Blick noch gar nicht weiß, dass unsere Hilfestellung erst mal nur aus ein paar Wipfelläufern und Fisker besteht, den Sunju bei ihrem Aufbruch mitgenommen hat.«
»Ausgerechnet Fisker«, sagte der Vater des Berges stirnrunzelnd. »In einem Tanzsaal oder einer Gaststube wäre er besser aufgehoben als in den weiten Ebenen des Grünen Meeres. Hoffentlich übernimmt er sich nicht.«
Ahren strich Culhen gedankenverloren über das Fell. »Jeder von uns spielt seine Rolle in diesem Krieg, und mir kommt es so vor, als würde Fisker aufblühen, wenn er schwierige diplomatische Aufgaben meistert. Erst die Zähmung der Piraten der Klingensee und nun die Reise in die Grünen Ebenen … wenn einer die Clans dazu bringen kann, unserer verzögerten Hilfe ohne Groll zu begegnen, dann seine Silberzunge.« Ein schmerzlicher Unterton hatte sich in Ahrens Stimme geschlichen. Er vermisste den jung gebliebenen Paladin mit den goldenen Locken, der am ehesten so etwas wie ein Bruder für ihn geworden war.
Es wird Zeit, sagte Culhen mit einem Blick auf die gemächlich aufsteigende Sonne. Falk und die anderen werden dir den Marsch blasen, wenn du unpünktlich bist.
Ahren runzelte die Stirn. Und du denkst, du würdest von ihrem Zorn verschont bleiben?, fragte er herausfordernd.
Culhen sah ihn beinahe spöttisch mit seinen goldenen Augen an. Ich bin der Wolf, den jeder liebt. Was glaubst du wohl?
Mit einem lauten, hellen Klang krachte die Donnerkutsche gegen die Prallplatte und Ahren wurde in die Ledergurte geschleudert, die ihn auf seinem Platz hielten, während Culhen unzufrieden in seinen Tragegurten brummte.
Wollte Akkad den Zwergen nicht helfen, diese Technik zu verfeinern?, fragte er ungehalten.
Ahren machte erst sich und dann den Wolf los, der sich zappelnd zu befreien versuchte. Das Tier war in den letzten Wochen noch massiger geworden und die Transportriemen passten ihm nicht mehr so gut wie zu Beginn des Winters. Seit unser Freund eine Gondel kontrolliert hat abstürzen lassen, damit wir die Sichelschreckenkönigin erschlagen konnten, lassen sie ihn nicht mehr in die Nähe der Donnerkutschen. Du weißt, wie Zwerge sein können. Jetzt konzentriert er sich auf sein Vorhaben, den Aufbau der Befestigungsanlage zu beschleunigen und stöbert dafür in den Archiven der Zwerge. Er musste grinsen. Darüber sind sie fast noch weniger erfreut.
Culhen stieß ein dumpfes Brummen aus, verließ die dunkle Eisengondel und schüttelte sich ausgiebig. Zumindest diesen Teil unseres Aufenthaltes werde ich nicht vermissen, sagte er entschieden. Ich habe lieber festen Boden unter den Pfoten.
Ahren blickte an dem Drahtseil zurück, an welchem die massive Eisengondel entlanggeglitten war, um sie innerhalb kürzester Zeit zwischen dem Berghang des Eishaupts und des Gekrönten Gipfels reisen zu lassen, und war hin- und hergerissen. Natürlich war diese Fortbewegungsart ungewohnt, laut und unbequem. Aber andererseits sparte sie auch Tage des Wanderns und Kletterns ein. Ein Teil von ihm würde den Komfort vermissen, den sie aufgaben, wenn sie erst wieder auf den Pfaden Joraths unterwegs waren. Genieß es lieber, solange es anhält.Der Wutwald wird bestimmt ein deutlich ungastlicherer Landstrich sein als Tausend Hallen.
Es ist ein Wald, sagte Culhen leichthin. Wie schlimm kann es schon werden?
In dem Moment schob sich eine Wolke vor die Sonne und Ahren fröstelte, sodass er seinen Umhang aus Feuerstraußenleder schloss, damit dieser ihn wärmte. Er antwortete Culhen nicht, sondern sah grüblerisch zu dem einzelnen weißen Federwölkchen empor. Dann ging er in die Tunnel des Berges hinein und versuchte, nicht weiter über Omen oder dunkle Vorhersehungen nachzudenken.
*
Der Jäger hing an der Wand des Gesteins unter dem Gipfel des Eishauptes und sein für menschliche Verhältnisse zu breiter Mund dehnte sich zu einem raubtierhaften Grinsen. Über Monde hinweg hatte er gewartet und gelauscht, wo er nur konnte. Und endlich war er fündig geworden. Die Jagd war ein kunstfertiges Gespinst aus vielen Faktoren und nun kannte er den wichtigsten: Sein Ziel würde gen Wutwald reisen – und der Jäger würde dort bereits auf ihn warten.
Das Echo jenes Wesens, das vorher diesen Körper bewohnt hatte, bestürmte ihn geradezu, Ahren hier und jetzt anzugreifen, aber der Jäger wusste es besser. Der Wutwald war düster und gefährlich. Ein Ort, an dem der Jäger sich heimelig fühlen könnte. Ein Ort, an dem er Ahren tausend Fallen zu seinen eigenen Bedingungen stellen konnte. Ein Ort, an dem der Göttersegen, der so prachtvoll in der Brust des Mannes über ihm glänzte, endlich Nicht-Sven gehören würde.
*
»Zu spät«, sagte Falk mit ernstem Gesichtsausdruck. »Wie immer, wenn es um etwas Offizielles geht.«
Ahrens Gesicht verfinsterte sich, als er an seinem ehemaligen Meister vorbeiging. »Eine Beerdigung ist nichts, auf das ich mich freue«, sagte er leise.
Falk hielt ihn auf, indem er seine Hand sanft auf Ahrens Schulter legte. »Umso wichtiger ist es, ihr mit dem nötigen Respekt zu begegnen. Heute trauert ein ganzes Königreich.«
Ahren nickte nur und drehte sich zu seiner Kammer, in der er seit Monden mit Khara wohnte. Die Gefährten waren nie aus der Halle der Bittsteller ausgezogen und mittlerweile kam ihm das Herdfeuer in der Mitte der großen, aus dem Stein des Berges geschlagenen Höhle wie eine Heimat vor. Die still daliegenden Zimmer, die Reihe um Reihe, Etage um Etage den vergangenen Ruhm glanzvollerer Zeiten bekundeten, als Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Botschafter und Händler aus ganz Jorath hier ihre Unterkünfte hatten, waren ein Mahnmal dessen, dass das kleine Volk noch einen langen Weg zurück in die Normalität vor sich hatte, nun, da Ahren und seine Freunde den Hauch des Wandels nach Tausend Hallen gebracht hatten. Ein Wandel, der kostspielig und hart erarbeitet worden war und dessen Preis sie heute deutlich spüren würden.
»Wo sind denn alle?«, fragte Ahren, der mit seinem Mentor und Culhen allein in der Halle stand.
Falk schnaubte. »Wo schon? Auf ihren Zimmern, um sich herauszuputzen.« Er zupfte unbehaglich an dem weißen Umhang herum, den seine Frau für die Paladine genäht hatte, damit sie diese bei offiziellen Anlässen tragen konnten. Zusammen mit der schweren, weißen Plattenrüstung aus Tiefenstahl sah Falk mit seinen kurz geschnittenen grauen Haaren und dem ebenso grauen Vollbart aus wie eine Heldengestalt aus einem kitschigen Bardengesang – also genau die Art von Ausstrahlung, die jeder von den Streitern der Götter an einem besonderen Tag erwartete.
»Du bist schon vor allen anderen fertig?«, neckte ihn Ahren. »Onja hat dich anscheinend innerhalb kürzester Zeit gezähmt, wie es aussieht.« Zur Überraschung aller war die Baroness kurz nach der Schlacht um Tausend Hallen durch die Lange Dunkelheit an die Seite ihres Mannes zurückgekehrt, um noch ein paar zusätzliche Wochen Zeit mit ihm zu verbringen, bevor die anstehende Reise gen Wutwald und Grünem Meer sie für eine lange Zeit trennen würden.
Falks Gesicht wurde so finster, dass eine Gewitterwolke neidisch geworden wäre. »Im Gegensatz zu dir bin ich vorbereitet und habe nun meine Ruhe, Junge«, sagte er mit einem düsteren Grinsen, das sich nach und nach auf seine Lippen stahl. »Sag du mir, wenn wir uns gleich wiedersehen, ob meine Methode die bessere ist.«
Ahren war sich nicht sicher, was Falk meinte, bis die Tür seiner Kammer aufflog und eine halb frisierte Khara mit blitzenden Augen im Türrahmen erschien. »Will der ehrenwerte Dreizehnte Paladin sich vielleicht heute noch ankleiden?«, fauchte sie. »Oder sind er und sein pompöser Wolf über jede irdische Mühsal erhaben, die selbst Könige in ihren Fängen gefangen hält?«
»Oh je«, sagte Ahren nur, und Culhen zog den Schwanz zwischen die Beine.
Aber … aber ich bin doch der süße Wolf!, beklagte sich das Tier. Wieso bekomme ich auf einmal Schelte?
Ahren ging hastig in die Kammer und bedeutete Culhen, ihm zu folgen. Khara schmetterte die Tür krachend hinter ihm zu, und während sie zu einer Tirade über unverantwortliche Waldläufer ansetzte, war er sich sicher, vor dem dicken Holz das leise, hämische Kichern Falks zu hören.
Bis zum Mittag verging die Zeit wie im Flug, während Khara einen wahren Schwall von Anweisungen auf ihn niederprasseln ließ. Anscheinend hatte Gilmintor, ihr zwergischer Hallenfinder und damit so etwas wie ihr persönlicher Adjutant in diesen Bergen, genaue Anweisungen hinterlassen, was sie wie zu tragen hatten und welche Besonderheiten bei einer zwergischen Bestattung zu beachten waren. Neben seiner neuen Bänderrüstung, die Trogadon vor Wochen in der Kernschmiede hergestellt hatte, trug Ahren seinen Umhang, seine Waffen inklusive Bogen, einen Köcher, in dem genau vier Pfeile steckten, und außerdem einen schwarzen Zierhandschuh, dem das Clansymbol des Verstorbenen auf den Handrücken gestickt worden war. Nun trat Khara dicht an Ahren heran, ein Tiegelchen mit einer rußartigen Paste in der Hand.
»Wir müssen nur noch die Trauermale auf dein Gesicht malen, dann sind wir fertig«, murmelte sie und tunkte ihre Finger in die schwarze Masse, um anschließend mit langsamen, präzisen Bewegungen Symbole auf seine Stirn und seine Wangen zu zeichnen. Ahren konnte nicht viel mehr tun, als still dazustehen und die Frau zu beobachten, die sein Herz bereits vor vielen Wintern erobert hatte. Ihre glatten, langen Haare mit dem seidigen Schimmer waren mit Kharas weiß glänzender Meisternadel auf ihrem Kopf hochgesteckt und ihr fein geschnittenes Gesicht mit den dunklen Augen wirkte äußerst konzentriert, während sie seine Trauerbemalung vervollständigte. Ahren wurde mit einem Schlag gewahr, wie viel Glück er inmitten dieses furchtbaren Konfliktes gegen den erwachenden Widersacher erfahren hatte.
»Ich liebe dich«, flüsterte er leise, was sie jedoch nur die Stirn runzeln ließ.
»Still«, ermahnte sie ihn abwesend. »Wenn du redest, machst du mir die Malerei nur unnötig schwer.« Sie sah ihm kurz in die Augen, bevor sie weiter mit den Fingern über seine Wangen fuhr. »Außerdem bringt es nichts, Süßholz zu raspeln. Ich bin immer noch wütend, dass ihr so spät gekommen seid. Zu einer Beerdigung sollte man niemals gehetzt erscheinen.«
Ahren hätte gerne erwidert, dass seine Verspätung keine Absicht gewesen war, aber erstens hatte er Sprechverbot und zweitens war er sich nicht sicher, ob ein Teil von ihm der heutigen Zeremonie lieber ferngeblieben wäre. Inmitten all der Verluste, die die Zwerge erfahren hatten, fühlte er sich für den des an diesem Tag geehrten Verstorbenen persönlich verantwortlich.
Khara schien seine Gedanken zu erraten, denn sie kniff die Augen zusammen und musterte ihn kritisch. »Du machst dir schon wieder Vorwürfe, oder? Obwohl sowohl ich als auch viele deiner Freunde ebenfalls vor Ort waren und keiner von uns etwas hätte tun können, um den König zu retten.« Sie trat einen halben Schritt von ihm weg, die rußverschmierten Finger weit von sich gestreckt, um nicht aus Versehen ihr Kleid aus Tiefenseide oder ihre goldene kaiserliche Schärpe zu besudeln.
»Ich mache mir keine Vorwürfe«, sagte Ahren fest. »Aber ich bedaure, es nicht verhindert haben zu können.«
Khara zögerte einen Moment und sah ihm prüfend in die Augen. Offenkundig gefiel ihr, was sie darin sah, und sie nickte zufrieden. »Eine überraschend gesunde und erwachsene Einstellung zu Holwortunurs Tod«, sagte sie, während sie sich die Hände in der Waschschüssel des Zimmers säuberte.
»Danke«, sagte Ahren trocken. »Ich lerne langsam, aber stetig.«
»Bei Ersterem gebe ich dir recht«, sagte Khara, den Schalk in den Augen, und Culhen wuffte amüsiert.
Verräter, sandte Ahren ihm zu, was die Heiterkeit des Wolfes noch verstärkte.
»Jetzt bin ich dran«, sagte Khara und reckte ihm ihr Gesicht entgegen. »Je ein Symbol auf Stirn und beide Wangen.«
Ahren griff nach dem Tiegelchen und sah immer wieder hilfesuchend auf ein Pergament, auf dem Gilmintor ihnen Zeichnungen der Trauersymbole überlassen hatte, während er Kharas Gesicht entsprechend bemalte.
»Das kitzelt«, sagte sie, als er ihrer Nase zu nahe kam, und Ahren setzte einen strengen Blick auf.
»Nicht reden«, imitierte er sie und kassierte dafür einen verspielten Fingerspitzenstoß seiner Liebsten in den Bauch. »Das war mutig«, ächzte er übertrieben. »Beinahe hätte ich dir durch den Schlag einen Rußblitz über die Nase gezeichnet.«
Culhen reckte seine Nase und schnüffelte von seinem Kissenberg in einer Ecke des Raumes gen Eingangstür. Die anderen sind schon alle draußen. Ihr solltet euch beeilen.
»Fertig«, sagte Ahren und trat von Khara weg, um sich die Hände zu waschen, aber sie hielt ihn auf.
»Nicht so schnell«, sagte sie und deutete auf die Rußpaste. »Jedes Mitglied des Trauerzuges muss entsprechend gezeichnet sein.«
Ahren verstand, was seine Liebste meinte, und drehte sich grinsend in Richtung des frisch gekämmten und hochmütig dasitzenden Wolfes um, der ihn nun alarmiert ansah.
Was hast du vor, Ahren?, fragte das Tier nervös. Bleib mir gefälligst mit dem schwarzen Zeug vom Leib!
Ahren tauchte seine Finger tief in die klebrige Substanz. So traurig der Anlass auch war, die Erinnerung an die nächsten Augenblicke würde er noch sehr lange genießen.
Das werde ich dir so was von heimzahlen, grollte Culhen, der mit den Symbolen im Wolfsgesicht zum Anbeißen niedlich aussah.
Sie gesellten sich zu ihren wartenden Gefährten, die alle schwer gerüstet und bewaffnet dastanden und deren Trauerbemalung sie düster und bedrohlich wirken ließ, sodass Ahren hätte meinen können, auf einen Haufen rachsüchtiger Geister zuzugehen.
»Wer hat denn Culhen in einen Waschbären verwandelt?«, fragte Trogadon leichthin und zerstörte die düstere Vision mit seinem üblichen Humor. Der Schmied trug sein ausgebessertes und nun mit Tiefenstahlplatten verstärktes Kettenhemd, das wie neu wirkte. Neben all den Verbesserungswünschen der Paladine hatte der Zwerg sich ebenfalls an den Tiefenstahlvorräten Tausend Hallens gütlich getan und seine eigene Panzerung verbessert. Die Kohlezeichen auf seinem Gesicht wirkten ein wenig fahrig und waren verschmiert, sodass er aussah, als käme er direkt aus der Kernschmiede. Seine Augen blickten Ahren gütig an, doch er konnte den Schmerz in ihnen sehen. Holwortunur war vielleicht nicht Trogadons König gewesen, aber doch ein Zwergenherrscher, der einen großen Ruf genossen hatte.
»Wenn du willst, kann ich die Symbole permanent ins Fell schmelzen«, sagte Uldini und hob seine Kristallkugel, mit der er die seltene Spielart der Sonnenmagie zu meistern versuchte, seit er sie in einem Akt der Verzweiflung an sich gebunden hatte. Auf seiner dunklen Haut fiel der Ruß gar nicht weiter auf, aber die schwarze Robe mit den goldenen Säumen wirkte so sehr wie ein Trauergewand, dass Uldini sich auch so mühelos in jede Trauerzeremonie eingefügt hätte.
Culhen knurrte die Gestalt des Magiers warnend an, ein skurriler Anblick, wie ein pferdegroßer Wolf zähnefletschend auf einen scheinbar Zehnjährigen hinunterblickte. Wenn er das macht, wird er jeden Morgen vollgepinkelte Schuhe vorfinden, so lange ich lebe, drohte das Tier.
Ahren grinste, und Falk, der nun auch Trauersymbole auf den Wangen trug, raunte: »Will ich wissen, was er gerade gesagt hat?«
»Ich verrate es dir später bei einem Bier«, erwiderte Ahren leise.
»Muss ich wirklich um etwas Respekt bitten?«, fragte Jelninolan atemlos. »Wir begraben gleich einen König.« Die Elfe lehnte sich schwer auf den goldenen Stab, den sie bei ihrem Kampf in den Katakomben unter der Königsinsel an sich genommen hatte. Ihre blaugrüne Robe umschmeichelte ihre Gestalt, aber mit dem Ruß auf den eingefallenen Wangen wirkte sie wie eine schwindsüchtige Version ihrer selbst. Ganz im Gegensatz zu dem opulenten Akkad, der neben ihr stand und sämtliche Körpermasse, die ihm durch seine exzessive Zauberei vor einigen Wochen verloren gegangen war, wieder zugelegt hatte. Ahren entdeckte das Fehlen von schwarzen Markierungen auf seinen Wangen und hob überrascht die Augenbrauen.
»Du kommst nicht mit zur Beerdigung?«, fragte er.
Akkad schüttelte den Kopf. »Unsere zwergischen Alliierten sind bei ihrer Gästeliste schon großzügig genug gewesen.« Er deutete auf Uldini und Jelninolan. »Alte und Elfen bei einer königlichen Beerdigung gab es noch nie. Ich möchte den Bogen nicht überspannen, zumal ich in den letzten Wochen durch äußerst neugieriges Verhalten aufgefallen bin.«
»Er meint, er hat in den Archiven rumgeschnüffelt«, warf Trogadon ein. »Und zwar in den Bereichen, die eigentlich tabu sind.«
»Akkad«, sagte Uldini nur und rollte mit den Augen.
Der füllige Magus hob beschwichtigend die Hände. »Die Streifzüge haben sich gelohnt. Ich habe bereits sechs Ideen im Kopf, wie ich den Bau der zwergischen Befestigungsanlagen an der Front unterstützen kann, jetzt da ich ein paar ihrer Geheimnisse kenne.«
»Du hättest einfach fragen können«, sagte Jelninolan tadelnd.
»Manchmal bittet man lieber um Verzeihung als um Erlaubnis«, sagte der Magus mit einem Augenzwinkern in Richtung Ahren.
Der verschränkte die Arme vor der Brust und starrte den Alten streng an. »Und manchmal gefährdet man nicht eine mühsam gewonnene Allianz mit leichtsinnigen Alleingängen.«
Ein Prusten neben sich ließ ihn zur Seite blicken. Sowohl Falk als auch Khara und Trogadon lachten in sich hinein, während Uldini ihn sprachlos ansah.
Ich denke, aus deinem Mund war das ein wenig unpassend, sagte Culhen genüsslich und setzte sich auf seine Hinterpfoten. Schließlich gibt es kaum eine Regel der Zwerge, die du nach unserer Ankunft nicht gebrochen hast.
Falk räusperte sich, nachdem er seine Heiterkeit unter Kontrolle gebracht hatte. »Schön, dass mein ehemaliger Lehrling endlich die Nützlichkeit einer gewissen Selbstkontrolle erkannt hat. Aber wir sollten jetzt gehen, bevor Uldini seine Sprache wiederfindet und dem Dreizehnten eine passende Antwort geben kann.«
»Ich studiere dann mal weiter einige Pergamente, die … äh … von einem Archivstapel gefallen sind«, sagte Akkad, vollkommen unberührt von Ahrens Tadel.
Uldini sah von ihm zum Waldläufer und wieder zurück und seufzte dann tief. »Ich geb’s auf«, murmelte er. »Macht doch alle, was ihr wollt.«
»Auch wenn ich es mir wünschen würde«, sagte Falk leise zu Ahren, »glaube ich kaum, dass wir heute Uldinis Kontrollsucht zu Grabe tragen werden.«
Onja schlug ihrem Mann warnend mit dem Handrücken gegen den Oberarm, und dann setzten sich die Gefährten in Bewegung, um dem gefallenen König von Tausend Hallen die letzte Ehre zu erweisen.
Erstaunlich leise bewegte sich die stetig wachsende Prozession aus mittlerweile Hunderten von Zwergen durch die Tunnel des gekrönten Hauptes. Wortlos und mit ernstem Blick reihten sich die Neuankömmlinge in die bereits anwesenden und dem großen Sarg aus Obsidian folgenden Trauergäste ein. Zehn Zwerge, angeführt von jenem Priester des Gottes Er, der ist, der auch schon den Bund zwischen dem Sonnenkaiser und Quin-Wa geknüpft hatte, trugen ihren gefallenen Herrscher in seinem schwarzglänzenden Behältnis zu seiner letzten Ruhestätte, die tief im Kern des Berges verborgen lag. Die Halle der zerbrochenen Kronen wurde nur bei der Bestattung eines Monarchen geöffnet, und Ahren schätzte, dass viele der sie begleitenden Zwerge noch nie dort gewesen waren.
»Sieh nur«, wisperte Khara und deutete verstohlen auf ein paar Neuankömmlinge, die milde Unruhe auslösten, als sie sich in die Prozession einreihten. »Das sind Taninil und ihre Freundinnen.«
Ahren verkniff sich ein Lächeln und nickte der Zwergin nur zu, als sich ihre Blicke für einen Moment kreuzten. Die neue Anführerin der Halle der Herzen, wo alle weiblichen Zwerge wohnten, um das Überleben ihres Volkes zu sichern, hatte sich in den letzten Wochen zu deutlichen Lockerungen des selbstauferlegten Exils durchgerungen. Auch wenn es nur kleine Veränderungen waren, taten diese den Bewohnern Tausend Hallens sichtlich gut. Ahren konnte nun häufiger von schwer gepanzerten Eskorten begleitete Zwerginnen beobachten, die ihren Liebsten einen Besuch außerhalb der wenigen Feiertage abstatteten, an denen Tausend Hallen in eine abgeschottete Festung verwandelt wurde, damit die Halle der Herzen geöffnet werden konnte. Er und Trogadon waren sich einig, dass sie seitdem häufiger mal einen Zwerg ein fröhliches Lied singen oder summen hörten, während der Betreffende seiner Arbeit nachging. Tausend Hallen wirkte auf Ahren wie ein altes, vertrocknetes Herz, in das die Zwerginnen mit ihrer Anwesenheit wieder Leben pumpten. Er fand es schade, dass Holwortunur dies nicht mehr miterleben konnte, und rieb sich überrascht eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Dafür, dass du den alten Knaben am Tisch der Clans zusammengeschrien hast, bist du jetzt aber ganz schön sentimental«, murmelte Trogadon leise in seine Richtung.
»Ich habe ihn nicht zusammengeschrien«, erwiderte Ahren indigniert. »Ich habe nur lautstark meinen Standpunkt vertreten.«
Ein Zwerg mit überaus dichten, buschigen Augenbrauen, die ihm seitlich an seinen traurig dreinblickenden Augen herabhingen, drehte sich zu Ahren um und legte sich mit würdevoller Miene einen Finger auf den Mund. Der Waldläufer presste die Lippen zusammen und nickte betreten, um sodann mit gesenktem Kopf weiterzugehen.
Nach der Beerdigung gibt es doch einen Festschmaus, oder?, fragte Culhen ungeduldig, und der eh schon peinlich berührte Ahren zuckte zusammen, bis er sich mit einem Aufatmen daran erinnerte, dass außer ihm niemand die taktlosen Worte des Wolfes hören konnte.
Ja, gibt es, sagte Ahren. Tu wenigstens so, als seist du betroffen, fügte er hinzu, als sein Freund sich erwartungsvoll die Lefzen leckte.
Ist das alles nicht ein wenig viel Aufwand für einen einzigen Toten?, fragte Culhen spitz, als eine mit Obsidian und Gold verkleidete Doppeltür in Sicht kam, die die Zeichen aller Clans Tausend Hallens auf ihrer dunklen Oberfläche trug. Die Maße der Türen waren so gewaltig, dass ein Hordenbulle hindurchgepasst hätte.
Stell dir vor, Sonnenschimmer wäre etwas zugestoßen, sagte er, um dem Wolf einen Vergleich zu bieten, der dem Tier näher war. Würdest du dann nicht auch wollen, dass sie einen schönen Ruheplatz findet?
Der Wolf winselte traurig, was ihm anerkennende Blicke der umstehenden Zwerge einbrachte. Für sie wäre ein Palast in den Wolken nicht prächtig genug, sagte sein Freund bedrückt.
Ahren legte dem Tier einen Arm über den Rücken und drückte ihn so gut es ging. Der muskulöse Wolf hatte durch seinen neuen Tiersegen genug Masse aufgebaut, um mit einem Streitross mithalten zu können. Der Gedanke brachte Ahren auf Selsena und er beugte sich zu Khara hinüber, als die Doppeltür langsam aufgezogen wurde, während der Staub der Jahrhunderte aus ihren Ritzen rieselte. »Weißt du, warum Selsena nicht dabei ist?«, fragte er leise.
Die Schwertmeisterin deutete auf die sie umschließenden Tunnel. »Für eine Hochzeit hat sie sich gerne hier reingequält, aber für eine Beerdigung …« Sie zuckte mit den Achseln. »Falk war wohl sehr fordernd, aber sie wollte nicht mitkommen.«
Moment, warf Culhen da ein. Die Teilnahme war freiwillig? Ich habe mir umsonst meine schöne Schnauze verunstalten lassen?
Klappe, Culhen, sagte Ahren nur. Ein gewisser Mangel an Pietät war wohl allen Vertrautentieren gemein, egal wie menschlich sie sonst wirkten. War Ahren ein verstorbenes Wesen wichtig, schmerzte sein Verlust Culhen auch, aber die Subtilität von Anstandsregeln, wie sie hier gerade griffen, glitt vollkommen an dem weißen Wolf ab.
Mit einem Donnern glitten die Flügel der Doppeltür in ihre Endposition und der Zwergenpriester warf einen glimmenden Span in den dunklen Raum. Ein Fauchen ertönte, als Ölrinnen sich entzündeten und das Innere der Halle binnen weniger Herzschläge in ein schummriges, ehrfurchtgebietendes Leuchten hüllten. Ahren sah um die siebzig Obsidiansärge auf großen, glatt geschliffenen Steinpodesten, die im Raum verteilt errichtet worden waren, und erst jetzt wurde ihm klar, wie lang so ein Zwergenleben eigentlich war. Hier ruhten sämtliche Herrscher, die seit der Gründung Tausend Hallens gelebt hatten, und doch waren es insgesamt keine siebzig. Einige der Särge mussten in diese Halle geschafft worden sein, noch bevor die Dunklen Tage angebrochen waren.
Das Gewicht der Geschichte Joraths ruhte schwer in diesem Raum und rang Ahren ein Gefühl der Demut ab, als er sich zusammen mit der schweigenden Prozession in die Halle der zerbrochenen Kronen begab. Nun erkannte er, dass die Ölrinnen nur den vorderen Teil der riesigen, von schwarzen Säulen getragenen Kammer ausleuchteten, während ein undurchdringlich dunkler Teil vor den Blicken der Gäste verborgen blieb, so als würden sie den Schleier des Todes selbst vor sich sehen, der jedem lebenden Wesen ein Mysterium war. An der Schwelle zwischen Licht und Finsternis sah Ahren schemenhaft weitere Reihen leerer Podeste, die die Zwerge der alten Zeit bereits vor zwei Äonen aus dem Fels gehauen hatten, um zukünftigen Königen die letzte Ruhestätte zu bieten.
»Man kann über Zwerge sagen, was man will, aber sie planen wirklich langfristig«, wisperte Uldini ihm leise zu und erntete dafür einen Rippenstoß von Trogadon. Das Gesicht des Zwerges wirkte ernsthaft erbost, und Uldini kniff die Lippen zusammen und nickte ihm entschuldigend zu. Ahren dachte über die Worte des Magus nach und musste ihm recht geben. Welches Volk schuf schon eine Grabkammer, die für Tausende oder gar Zehntausende Winter bestehen sollte?
Ein Volk, das in der Ewigkeit der Berge zu Hause ist, antwortete Culhen überraschend auf seinen Gedanken. Sie betrachten sich als Teil des Felsens um sie herum. Sogar ihre Gräber sollen die Dauerhaftigkeit ihrer Heimat widerspiegeln.
Vorsicht, mein Großer, sagte Ahren warmherzig. Du wirst auf deine alten Tage noch richtig philosophisch.
Das hier ist nichts für meinesgleichen, sagte der Wolf und ließ ein leises, abfälliges Schmatzen ertönen. Ist ein Körper tot, lässt man ihn liegen, damit andere Tiere etwas zu fressen haben, sagte er schlicht. Ihn in einem Steinsarg wegzusperren, erscheint mir … geizig.
Ahren beendete die Unterhaltung, da er den Eindruck hatte, dass die sonst kaum spürbare Barriere zwischen Mensch und Tier bei diesem Thema unverrückbar zwischen ihnen stand, und konzentrierte sich stattdessen auf die Beerdigungszeremonie. Unter leisem, vielstimmigem Gemurmel aller versammelten Zwerge wurde der Obsidiansarg auf ein Podest geschoben, auf dem bisher ein schlichter, im schwachen Licht kupfern schimmernder Reif gelegen hatte.
»Die Krone Holwortunurs«, entfuhr es Trogadon ehrfürchtig. »Jeder König der Hallen schmiedet seine Krone bei Amtsantritt und legt sie dann auf seine zukünftige Grabstelle, als Zeichen dafür, dass er darum weiß, dass seine Herrschaft nicht ewig hält.«
Der Zwergenpriester nahm den Reif an sich und begann eine Litanei auf Zwergisch, in die das kleine Volk einstimmte, während der Sarg auf dem Podest in Position gebracht wurde, bis er sich nicht mehr von den umliegenden Ruhestätten unterschied. Ahren griff nach Kharas Hand, die die seine daraufhin fest umschloss, und gemeinsam standen sie schweigend da und lauschten dem Sprechgesang der Zwerge, der eine Ewigkeit anzuhalten schien. Ahren lockerte verstohlen die Muskeln unter seiner Rüstung, indem er auf subtile Weise sein Gewicht verlagerte, und erkannte aus den Augenwinkeln, dass seine Freunde dasselbe taten. Sie alle kannten den Hang der Zwerge zu langatmigen Zeremonien und diese hier schien keine Ausnahme zu sein.
Er wusste nicht genau, wie lange der Gesang anhielt, schätzte aber, dass es bereits später Nachmittag sein musste, als die Zwerge schließlich verstummten.
Endlich!, sagte Culhen mit einem Schnauben. Das war wirklich langweilig und Hunger habe ich auch.
Der Priester hob den Stirnreif über den Kopf, während Ahren dem unruhigen Wolf eine Hand auf den Rücken legte. Ich denke, es ist noch nicht vorbei, sagte er mit ehrlichem Bedauern zu seinem Freund.
Der alte Zwerg rief etwas mit donnernder Stimme, welche von den Wänden des Gewölbes widerhallte, und zerbrach mit einer einzigen Bewegung den Stirnreif des toten Königs in mehrere Teile. Ahren keuchte auf, als der Priester den versammelten Zwergen den Rücken zuwandte und die Reste der zerbrochenen Krone schwungvoll hinter sich warf. Die Menge der Zwerge teilte sich, als wären die Bruchstücke giftige Schlangen, und klirrend kamen die fünf Kronensplitter auf dem Fels der Grabhöhle auf.
»Trogadon?«, fragte Ahren so leise er konnte, und sein Freund bedeutete den Gefährten, sich ein Stück von dem nächstliegenden Bruchstück zu entfernen. Viele andere Zwerge taten es ihnen gleich, sodass sich fünf Inseln nackten Felsbodens inmitten der Anwesenden bildeten, in deren Mitte jene harmlos wirkenden Bruchstücke lagen.
»Das ist die Krönungszeremonie, oder?«, fragte Falk mit heiserer Stimme. »Jeder, der glaubt, würdig zu sein, kann sich einem Bruchstück nähern. Ich habe davon gehört, ihr jedoch nie beigewohnt.«
Trogadon nickte. »Es ist das erste Mal in der Geschichte Tausend Hallens, dass Mitglieder eines anderen Volkes anwesend sein dürfen.«
Ahren warf Culhen einen bedeutungsvollen Blick zu, der immer wieder Richtung Ausgang starrte, und der Wolf ließ schließlich einen tiefen Seufzer ertönen und setzte sich artig auf seine Hinterbeine. Na gut, sagte er schmollend. Wenn es solch eine Ehre ist, bleibe ich einfach hier sitzen, bis die Zwerge fertig sind oder ich verhungert bin.
»Es geht los«, sagte Falk und deutete auf einen Zwerg in einem in zornigem Rot gefärbten Kettenhemd, der einen ersten zaghaften Schritt auf eines der Bruchstücke zu machte. Ahren erkannte in ihm ein Clanoberhaupt, das bisher am Tisch der Clans gesessen und sich durch eine äußerst bedächtige Haltung ausgezeichnet hatte.
»Jantitikal, Anführer der Felsweber«, sagte Trogadon leise und nickte anerkennend. »Etwas überraschend, aber wir könnten es schlechter treffen.«
Wie auf ein geheimes Zeichen hin begannen nun über zwei Dutzend Zwerge, sich vorsichtig und gemessenen Schrittes an einzelne Bruchstücke der Krone heranzupirschen. Ahren beobachtete, wie sich hinter ihnen erste Trauben aus Zwergen formten, die leise Sprechgesänge anstimmten, wobei jede Gruppe etwas anderes zu murmeln schien. Die Szene wirkte auf Ahren fremdartig, würdevoll und bedrohlich zugleich. Die unendlich langsam auf die Bruchstücke zugehenden Zwerge beäugten einander, ebenso die sich hinter den anderen versammelnden Unterstützer, und es begann ein bizarrer Tanz, der mit der Langsamkeit eines Gletschers vonstattenging, als sich die Kandidaten vorwärts- und manchmal auch wieder rückwärts schoben, wenn neue Anwärter auf den Thron hinzukamen oder andere aufgaben. Ebenso wechselte die Anhängerschar hinter den jeweiligen Zwergen, wann immer das Feld der Kandidaten auf den Thron neu formiert wurde. Ganze Trauben liefen mitunter zu anderen Gruppen über, und mit Erstaunen stellte Ahren fest, dass keine finsteren Blicke, kein böses Wort und keine geschüttelte Faust zu sehen waren. Es herrschte nur jenes höfliche Murmeln, mit dem die einzelnen Anwesenden ihren Kandidaten unterstützten, und Ahren fand es beeindruckend, mit wie viel Respekt gegenüber der Meinung eines jeden sich in dieser Halle begegnet wurde.
»Was sagen sie da die ganze Zeit?«, fragte Khara leise, und Falk drehte sich zu ihr um.
»Das sind die Aufzählungen der Taten des jeweiligen Kandidaten«, erklärte er und deutete auf einen Zwerg, der ganz nahe an einem Bruchstück stand und plötzlich umschwenkte, um sich hinter einem anderen Anwärter einzureihen, woraufhin der Großteil seiner Anhänger sich ebenfalls hinter den grauhaarigen Zwerg mit zwei winzigen, in den langen Bart geflochtenen Zierhämmern stellte. Kaum war das geschehen, als über ein halbes Dutzend weiterer Zwerge ihren Versuch aufgaben, der nächste König der Hallen zu werden, und sich stattdessen anderen Kandidaten anschlossen. Hin und her wogten die Leiber der Zwerge wie ein unendlich langsamer Ozean aus gemurmelten Worten, gepanzerten Leibern und geflochtenen Bärten.
Trogadon beobachtete das Schauspiel mit einer gewissen Unruhe in den Augen, und Ahren rückte dicht neben ihn.
»Lass mich raten«, begann er leise. »Es sind Kandidaten dabei, die uns das Leben schwermachen könnten?«
Der Schmied sah Ahren unter seinen buschigen Augenbrauen hervor an und wiegte den Kopf hin und her. »Ein paar sehr vorsichtige Köpfe sind darunter, dann noch zwei jähzornige Gesellen und einige echte Fundamentalisten. Aber niemand, der die Allianz infrage stellen würde.« Er kratzte sich nachdenklich am Bart. »Wenn der Falsche gewinnt, würde der Ton beim Kriegsrat vielleicht rauer oder man müsste ein paar Hundert Worte mehr von sich geben, um die richtigen Truppenbewegungen zu erwirken, aber nichts, was den Krieg maßgeblich beeinflussen würde.« Trogadon reckte den Hals und zog zischend die Luft ein, als der Zwerg mit den winzigen Hämmern im Bart immer mehr Anhänger bekam. »Es ist nur … ich persönlich könnte unter Umständen einigen Ärger bekommen, wenn bestimmte Zwerge den Thron besteigen.«
Falk und Uldini wurden bei diesen Worten hellhörig, und schnell war der Schmied von einer Traube aus Ahrens engsten Freunden umzingelt, die den lebenslustigen Zwerg beunruhigt anstarrten und vor neugierigen Blick abschirmten.
»Was hast du getan?«, fragte Uldini zischend.
Trogadon rückte den Helm zurecht, den er zu diesem feierlichen Anlass trug, und trat von einem Bein aufs andere. »Ihr wisst doch, dass ich seit Monden mit meinen Lehrlingen in der Kernschmiede die Wunschliste all unserer Paladine abarbeite, oder?«
»Ja«, grollte Falk leise. »Und wir sind dir sehr dankbar für deine Hilfe.« Dabei rollte er unbewusst die Schulterpanzer, die der Zwerg in eine neue Form geschmiedet hatte, damit Falk sowohl besseren Schutz als auch höhere Bewegungsfreiheit genoss. Die Rüstung des alten Mannes war ein Paradebeispiel für jene Gefallen, die auf Trogadon eingeprasselt waren, nachdem sie Tausend Hallen vor dem Kriegsschwarm gerettet hatten. Falk hatte im Laufe der Jahrhunderte über ein Dutzend Ideen für Detailverbesserungen an seiner geliebten Rüstung angesammelt und die Gunst der Gelegenheit genutzt, dass ein Zwerg mit ungehindertem Zugang zur Kernschmiede all seine Wünsche erfüllte.
»Nun«, sagte Trogadon nach einigen Herzschlägen des Zögerns. »Es könnte sein, dass ich bei meinen Bemühungen, sowohl eure Forderungen zu erfüllen als auch gleichzeitig meine eigenen Ideen umzusetzen, … äh …«
»Raus damit, Trogadon!«, sagte Ahren seufzend. Dass seinem sonst so selbstbewussten Freund die Worte fehlten, beunruhigte ihn zusehends.
»Nun«, sagte Trogadon und räusperte sich zweimal. »Ich glaube, ich habe den Vorrat an Tiefenstahl aufgebraucht, den Tausend Hallen zuletzt besaß.«
Falk stöhnte und Uldini barg sein Gesicht in den Händen. Ahren wollte etwas sagen, aber Khara war schneller.
»Das ist ein Scherz, oder?«, sagte sie mit einem nervösen Schulterblick. »Du selbst hast mir erzählt, dass da unten Rohmaterialien für zehn Rüstungen lagerten.«
Trogadon sah auf seine Zehenspitzen. »Auf der Wunschliste waren ein paar echt große Projekte«, murmelte er. »Allein die Brustplatte mit dem anpassbaren Kettengeflecht für Sonnenschimmer …«
»Ich fasse es nicht«, sagte Falk mit unterdrückter Wut in der leisen Stimme. »Wie kannst du nur so dumm sein?«
»Gib ihm nicht die Schuld, Liebster«, sagte Onja überraschend, und Trogadon strahlte die Frau an wie ein Gefangener, der endlich wieder Sonnenlicht sah. »Ihr habt ihm doch all diese Wünsche angetragen, oder? Den Unterarmschild für den Ersten, einen Halbhelm für Fjolmungar, Arm- und Beinschienen für Bergen. Jeder von euch hat aus dem Vollen geschöpft und nie gefragt, wo Trogadon den Tiefenstahl hergenommen hat. Kein Wunder, dass jetzt nichts mehr übrig ist.«
Falk wollte etwas sagen, aber der feste Blick seiner Frau ließ ihn stattdessen wütend auf seiner Wange herumkauen.
»Heißt das, in den kommenden Jahren wird es keinen Tiefenstahl mehr geben?«, fragte Khara leise.
Trogadon schüttelte den Kopf. »So weit würde ich nicht gehen. Pro Mond schürft Tausend Hallen etwa eine Handvoll der benötigten Rohmaterialien – aber der nächste Paladin, der eine neue Rüstung braucht, sollte schon ein, zwei Jahre Geduld mitbringen.«
Ahren runzelte bei dem Gedanken die Stirn. »Momentan arbeiten wir daran, dass nie wieder ein Paladin eine neue Rüstung braucht«, sagte er entschlossen. »Ein Grund mehr, diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen.«
Trogadon schlug ihm demonstrativ auf den Rücken. »Das ist die richtige Einstellung, mein Lieber. Vergiss dieses Argument nicht, wenn herauskommt, wohin der Tiefenstahl verschwunden ist.«
»Ich wusste es«, schimpfte Uldini vor sich hin. »Es war einfach zu ruhig in den letzten Wochen. Ich wusste, einer von euch schafft es, uns bis zum Hals im Schlamassel versinken zu lassen.«
»Na, so schlimm ist es auch wieder nicht«, sagte Trogadon beschwichtigend. »Zumindest solange die Silberhämmer nicht gewinnen«, fügte er hinzu und deutete auf den Zwerg mit den Schmuckhämmern im Bart, der mittlerweile eines der Bruchstücke der Krone in seinen schwieligen Händen hielt. »Sein Clan ist der festen Überzeugung, bei jeder Vergabe von Tiefenstahl übergangen worden zu sein. Wenn er König wird und die leeren Vorratskammern sieht, platzt ihm wahrscheinlich eine Ader.«
»Das ist nicht witzig«, ermahnte ihn Ahren.
»Oh, das war kein Scherz«, sagte Trogadon trocken. »Sollte dieser alte Knabe König der Hallen werden, reisen wir besser heute Nacht ab, damit er sich beruhigen kann, bevor er uns das nächste Mal sieht.«
»Warum, ihr Götter?«, flüsterte Uldini mit ausgestreckten Händen gen Himmel. »Warum ich? Hättet ihr nicht jemand anderen zum Flöhe hüten auswählen können?«
»Sei still«, sagte Jelninolan schmunzelnd. »Du würdest vor Langeweile sterben, wenn die Götter dich nicht ständig fordern würden.«
Die Gefährten verfielen in Schweigen, als sich die Gruppen um die fünf Bruchstücke immer weiter vereinten. Nun waren nur noch sechs Kandidaten übrig, von denen sich einer gerade hinter dem Anführer der Silberhämmer vereinte.
»Nicht gut«, flüsterte Trogadon unruhig. »Vielleicht gehen wir besser schon mal packen.«
»Nur keine Sorge«, ertönte da eine Stimme hinter ihnen, und Ahren drehte sich verstohlen um, damit er keine Aufmerksamkeit erregte. Taninil stand mit einem selbstzufriedenen Grinsen da, welches vor allem Trogadon zu gelten schien. »Ich habe euer kleines Dilemma mit angehört und Maßnahmen ergriffen.«
»Was denn für Maßnahmen?«, fragte Uldini misstrauisch und bekam dafür von Falk einen Klaps gegen den Hinterkopf.
»Die nette Zwergin hilft uns mit unserem Problem«, sagte er, als würde er ein Kleinkind erziehen. »Also sag gefälligst Danke.«
»Danke«, murrte Uldini und verschränkte die Arme vor dem Körper, damit die umstehenden Zwerge die magischen Entladungen nicht sahen, die zwischen seinen gereizt zuckenden Fingern umherspielten.
»Darf ich dennoch Uldinis Frage aufgreifen, so unhöflich sie auch formuliert war?«, fragte Ahren freundlich. »Wie genau könnt Ihr uns helfen?«
»Oh, ich selbst gar nicht«, sagte Taninil ernst. »Bis Tausend Hallen eine Königin der Hallen akzeptiert, ist es noch ein langer Weg.« Das selbstzufriedene Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück. »Lasst euch einfach überraschen.«
Ahren beobachtete gespannt, wie sich zwei weitere Kandidaten zurückzogen und ihre Bruchstücke in die erwartungsvoll geöffneten Hände zweier der übrigen Bewerber um die Krone legten. Dann zog sich der Zwerg mit dem roten Kettenhemd ebenfalls zurück und legte sein Bruchstück zu dem des Anführers der Silberhämmer.
»Nicht gut«, wisperte Trogadon, als der andere Kandidat, ein recht jung aussehender Zwerg mit breiter Nase und tiefschwarzen, kaum von grau durchzogenen Haaren verunsichert auf die zwei Bruchstücke in seiner Hand hinabsah und dann seine Anhängerschar mit der des Silberhammers verglich. Die Bewegung war kaum merklich, aber Ahren stöhnte innerlich auf, als sich die Hände des schwarzhaarigen Zwerges ganz langsam und sachte auf die seines Konkurrenten zubewegten.
»Er gibt seinen Teil der Krone ab«, sagte Falk ernüchtert. »Da kommen in den nächsten Monden ein paar sehr lange, unerfreuliche Gespräche auf uns zu.«
»Lebewohl, Murgamolosch«, flüsterte Trogadon betrübt und Ahren sah seinen Freund erschrocken an. Der wollte irgendwann jenen Berg besiedeln, den sie auf einer Insel in der Klingensee entdeckt hatten, und dafür musste Trogadon ein Clanführer werden. Unter dem verstorbenen König hätte er sicher die Erlaubnis bekommen, so er denn genug Zwerge und Zwerginnen um sich scharen konnte, aber wenn ihm der neue Zwergenherrscher feindlich gesonnen war, würde Trogadons kühner Traum einen schnellen und endgültigen Tod sterben.
Ahren legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter, als plötzlich Bewegung in die sie umgebenden Zwerge kam. Wie ein Stein, der in einen Teich geworfen wird und Wellen schlägt, machten Dutzende Zwerge Platz, als einer von ihnen einen einzigen bedächtigen Schritt vorwärts tat.
»Das ist Kamkanzakur«, flüsterte Khara verblüfft. Der legendäre Heerführer der Zwerge, den Ahren und seine Freunde in diesem Winter aus seiner Jahrhunderte währenden Starre erlöst hatten, war unverkennbar. Er steckte in jener schweren zwergischen Plattenrüstung, die charakteristisch für die Elitekämpfer Tausend Hallens waren, und selbst hier trug er seinen Vollhelm unter dem Arm mit sich, so als würde er einen Kampf erwarten. Seine grauen, mit einem Hauch längst vergangenen Schwarz durchzogenen Haare waren in dichte, dicke Stränge geflochten und wirkten wie eine zusätzliche Panzerung, die das von Narben gezeichnete Gesicht umrahmte. Ahren hatte noch nicht wieder mit dem Mann gesprochen, dessen Schicksal sie so nachhaltig beeinflusst hatten, und als dieser nun einen zweiten Schritt auf die beiden Konkurrenten um die Krone zumachte, wusste der Waldläufer nicht, ob er sich über dessen Kandidatur freuen sollte oder nicht.
Jelninolan teilte seine Sorge. »Taninil, bist du dir sicher, dass er der richtige König für Tausend Hallen ist?« Ihre vor Schwäche zittrige Stimme unterstrich die Zweifel der Elfe nur umso mehr.
Die Zwergin zuckte mit den Schultern, als Kamkanzakur einen dritten Schritt vorwärtsmachte und sich die ersten Zwerge hinter seiner breiten Rüstung sammelten. »Wir haben Krieg. Da habe ich lieber jemanden an der Spitze des Tisches der Clans, der sich mit dem Preis brutaler Gewalt auskennt.« Sie schluckte schwer und fuhr leiser fort. »Außerdem haben er und Mutter sich geliebt. Allein das macht ihn in meinen Augen zu einem würdigen König.«
»Du bist wohl nicht allein mit dieser Einschätzung«, sagte Uldini trocken, als immer mehr Zwerge, einem unaufhaltsamen Erdrutsch gleich, hinter Kamkanzakur traten. Er begann, ein leises Lied anzustimmen, das sofort von seinen Unterstützern aufgegriffen wurde, und der schwarzhaarige, junge Zwerg trat daraufhin mit Tränen in den Augen zu ihm und übergab ihm seine beiden Bruchstücke der Krone.
»Das war’s«, sagte Trogadon mit belegter Stimme. »Ihn hält niemand mehr auf.«
»Was ist das für ein Lied?«, fragte Ahren leise, und Taninil antwortete statt des Schmiedes.
»Es heißt ,Die Verteidigung Tausend Hallens‘. Es ist ein altes Kriegslied, das ein jeder Zwerg lernt, der zum ersten Mal eine Waffe zum Kampf erhebt.« Sie war wohl ebenso gerührt wie Trogadon und räusperte sich gründlich, bevor sie fortfuhr. »Er hat dieses Lied schon in so vielen Schlachten während der Dunklen Tage gesungen, dass es praktisch sein persönliches Erkennungsmerkmal ist.«
Kamkanzakur ging unbeirrt und quälend langsam auf den Anführer der Silberhämmer zu, der beunruhigt zur Kenntnis nahm, wie mehr und mehr Zwerge sich hinter dem Heerführer sammelten. Als die beiden Kandidaten schließlich aufeinandertrafen, waren mehr als zwei Drittel der versammelten Zwerge dabei, aus vollem Hals das alte Kriegslied anzustimmen, das zum Zeichen Kamkanzakurs geworden war.
Halb erwartete Ahren nun einen rituellen Zweikampf, aber einmal mehr erstaunte ihn die Disziplin und immanente Selbstbeherrschung der Zwerge. Der Silberhammer blickte seinem Gegenüber fest in die Augen und ließ seine drei Bruchstücke in die wartenden Hände Kamkanzakurs fallen. Dann reihte er sich hinter dem Heerführer ein und begann mit Inbrunst mitzusingen, während es ihm seine Anhänger gleichtaten. Kamkanzakurs Miene blieb unbewegt, während er still dastand und die alte Kriegsweise ertönen ließ.
Alle anwesenden Zwerge sangen nun mit einer Stimme, und Ahren war derart ergriffen, dass er Khara fest an sich zog, eine Hand auf Culhens Rücken, und sich schwor, diesen Moment niemals zu vergessen. Mit diesem Lied wurde ein neuer Herrscher geboren und es gab keinen Zweifel daran, dass er die unverrückbare Unterstützung seines Volkes haben würde. Der Zwergenpriester kam zu Kamkanzakur herüber und wartete geduldig, bis das Lied vollendet war, bevor er etwas auf Zwergisch verkündete, das keiner Übersetzung bedurfte.
Tausend Hallen hatte einen neuen König und sein Name war Kamkanzakur.
2. Kapitel
Die Halle leerte sich zusehends, nachdem der Priester seine Worte gesprochen hatte, und Ahren blinzelte überrascht ob dieses abrupten Endes.
»Das war alles?«, fragte er leise. »Das ganze Hin- und Hergeschleiche und kaum ist ein Zwerg ausgewählt, schickt euer Priester alle mit einem Satz nach Hause?«
Trogadon lachte rumpelnd, und Ahren erkannte an den tadelnden Blicken der nahen Zwerge, die sich gen Ausgang drängten, dass er lauter als beabsichtigt gesprochen hatte.
Genau deswegen mögen mich alle viel lieber als dich, sagte Culhen selbstgefällig. Und jetzt lass uns gehen, es gibt bestimmt ein Festessen zu Ehren des neuen Königs der Hallen.
»Kamkanzakur wird allein in der Halle zurückbleiben, aus den Bruchstücken der alten Krone seine eigene schmieden und diese auf ein leeres Podest seiner Wahl legen.« Trogadon deutete auf den ehemaligen Heerführer, der vom Zwergenpriester einen kleinen Hammer überreicht bekam und diesen nachdenklich in der Hand wog. »Das Material der Krone kann ohne Feuer geformt werden, solange man über das passende Wissen verfügt.«
Der Priester deutete auf Ahren und seine Gefährten und forderte sie mit raschen Gesten auf, die Halle der zerbrochenen Kronen zu verlassen.
»Wir sollten gehen«, sagte Onja, und alle folgten der Baroness und ihrem Mann aus der Begräbnisstätte in die hell erleuchteten Korridore des Gekrönten Hauptes.
»Man muss die Zwerge wirklich bewundern«, sagte Uldini nachdenklich. »Ein durch allgemeine Achtung und Zustimmung gekürter Monarch in nur einem Nachmittag und das ganz ohne Messer im Rücken … Bei den Menschen würde es so etwas nicht geben.«
»Im Ewigen Reich schon«, sagte Quin-Wa, die aus dem Dunkel eines benachbarten Korridors trat.
Uldini zuckte erschrocken zusammen. »Verdammt, schleich dich nicht so an. Und überhaupt: In deinem Reich gibt es keine Herausforderer. Da ist es nicht besonders schwer, das gesamte Volk hinter sich zu vereinen.«
Die grünen Augen der Ewigen Kaiserin blitzten auf. »Du weißt genau, wie schwer es vor allem dann ist, wenn es keinen anderen gibt, dem man die Schuld für Versäumnisse oder Versagen zuschieben kann.«
Khara hängte sich bei ihrer Urahnin unter, die sie der Einfachheit halber meist nur Cochan nannte, was so viel wie geliebte Mutter bedeutete. »Lass dich nicht von Uldini reizen, Mutter«, sagte Khara leichthin. »Er fürchtet sich nur davor, die Methoden der Zwerge könnten zur Norm werden. Dann würden seine ganzen politischen Intrigen hinfällig werden.«
Uldini erschauderte. »Was für ein schrecklicher Gedanke. Ein Königshof wäre auf einmal der langweiligste Ort des Landes.«
»Über den finsteren Kern in deiner Seele müssen wir irgendwann einmal reden«, sagte Jelninolan lächelnd, aber atemlos. Sie stützte sich schwer auf ihren Stab, und Trogadon tippte auf seine Schulter.
»Stütz dich hier mit der anderen Hand ab«, sagte er voller Wärme in der Stimme. »Ich bringe dich zu deinen Gemächern zurück, während die anderen sich noch weiter beraten.« Die beiden verschwanden den Tunnel hinab, ein vollkommen ungleiches Paar, das leise miteinander redete.
»Ob die beiden ihr Tänzchen irgendwann beenden?«, fragte Quin-Wa mit einem Seufzen. »Es erscheint mir wie Zeitverschwendung, dass sie so viel Energie auf subtile Gesten verschwenden, anstatt sich ihre Gefühle zu gestehen.« Sie blickte ihnen nachdenklich hinterher. »Oder fürchten sie sich noch immer davor, was ihre jeweiligen Völker von einer solchen Verbindung halten würden?«
Falk sah die Herrscherin kritisch an. »Wer bist du und was hast du mit der berüchtigten Ewigen Kaiserin gemacht?«, fragte er launig.
»Die ist im Bund mit einem wundervollen Mann und glücklich damit«, antwortete sie. »Etwas, das du nachvollziehen können solltest, oder etwa nicht?«
Falk zog den Kopf ein, als wäre er geschlagen worden, und nickte hastig unter dem Blick seiner frisch gebackenen Frau. »Sehr, sehr glücklich«, sagte er hastig.
»Dreh dich mal um und geh ein paar Schritte zurück«, feixte Uldini. »Da muss irgendwo dein Rückgrat liegen.«
Ahren lachte laut auf und kraulte den ungeduldigen Culhen zwischen den Ohren, während er sich zu Quin-Wa umdrehte. »Warum waren du und Justinian nicht bei der Beisetzung?«
»Aber das waren wir doch«, sagte sie bedächtig. »Nur haben wir uns im Hintergrund gehalten, zusammen mit Darkan.« Sie deutete auf einen zwergenhaften Umriss in der hinter ihr liegenden Dunkelheit.
Ahren kniff die Augen zusammen und sah den Paladin mit gefalteten Händen stumm im unbeleuchteten Korridor stehen. »Dass zwei Menschenherrscher lieber diskrete Beobachter spielen, kann ich noch verstehen, aber warum bist du nicht in Erscheinung getreten, als es um die Wahl des nächsten Königs ging?«, fragte er den Vater des Berges.
»Ein Berater drängt sich nicht auf«, sagte dieser schlicht. »Hätte es ein Patt gegeben, wären die Zwerge schon zu mir gekommen.« Er schwieg einen Augenblick, bevor er süffisant fortfuhr: »Außerdem wurde ich konsultiert.«
Ahren lächelte. »Taninil war also bei dir«, sagte er, und es klang nicht nach einer Frage, sondern viel mehr nach einer Feststellung.
»Die auf dein Anraten hin Kamkanzakur zugeredet hat, damit er die Bürde der Krone an sich nimmt«, sagte Uldini bewundernd. »Du hast dich wirklich verändert, Darkan.«
»Nenn mich nicht so«, sagte der Vater des Berges leise. Dann drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit des Korridors.
»Er hat die Sache mit dem Einsiedler etwas zu sehr verinnerlicht, wenn ihr mich fragt«, sagte Falk kritisch.
»Dafür hat er inneren Frieden gefunden«, verteidigte Ahren seinen ungewöhnlichen Freund.
»Da hast du recht«, sprang Khara ihm bei. »Und dafür zahlt man doch gerne jeden noch so hohen Preis.«
Nach diesen Worten schlenderten die Gefährten langsam den Tunnel hinab, jeder in seinen Gedanken verloren – jeder, bis auf einen.
Ahren, quengelte Culhen energisch. Wir gehen doch jetzt zum Festessen, oder? Dabei grollte der Bauch des Tieres so vernehmlich, dass alle Anwesenden in Gelächter ausbrachen. Ahren kraulte den Wolf zwischen den Ohren, während er ihm tief in die goldenen Augen sah.
Wir hatten für heute genug Düsternis, beruhigte er seinen Freund. Es wird Zeit für Licht und Lachen und gutes Essen.
Er wurde mit einer schlabberigen Zunge in seinem Gesicht belohnt. Endlich. Ihr Zweibeiner macht alles so kompliziert. Es ist ein Wunder, dass ihr noch nicht samt und sonders verhungert seid.
Die Halle des Festes war genauso imposant, wie Ahren sie sich vorgestellt hatte. Riesige Tiefenfeuer sandten ihre rötlichen Strahlen durch Kristallprismen in der Decke in die sicherlich zweihundert Schritt durchmessende, kuppelartige Halle. Das Licht wurde in ein verzauberndes Farbenspiel aus Myriaden von Reflexionen zerbrochen, die dem Ort etwas Erhabenes und gänzlich Unwirkliches gaben. Hunderte Zwerge saßen bereits auf robusten Sitzbänken, und Ahren sah an jedem der Langtische ein eigenes Bierfass sowie ganze Käselaibe und mächtige Braten von Wildschwein und anderem Wild. Es wurde gewürfelt, gelacht, geschmaust und getrunken, während hier und da ganze Zwergenscharen fröhliche Trinklieder zum Besten gaben.
»Trogadon muss Jelninolan wirklich lieben, wenn er für sie auf diese Feier verzichtet«, sagte Khara lachend.
Ahren deutete auf einen unbesetzten Tisch am Rande des Tumultes. »Wollen wir uns dorthin setzen? Es ist jetzt schon laut hier drinnen und ich bin mir sicher, an einem Tag wie heute werden die Zwerge alle Disziplin fahren lassen.«
»Gute Idee«, sagte Onja und zog Falk hinüber zu dem Tisch, bevor der etwas sagen konnte.
»Sie hat ihn gut im Griff«, flüsterte Khara leise, während sie den beiden folgten.
»Ich denke, sie will sich und anderen etwas beweisen«, sagte Ahren. »Wenn man eine lebende Legende heiratet, muss man aufpassen, dass man nicht gänzlich in ihrem Schatten verschwindet.«
Khara sah ihn von der Seite an. »Wie aufmerksam von dir.«
Er stieß sie verspielt mit seiner Schulter an. »Ich bin mit einer kaiserlichen Prinzessin zusammen, die obendrein noch eine Schwertmeisterin ist. Ich kenne das Gefühl.«
Khara runzelte die Stirn. »Du bist der dreizehnte Paladin, vergiss das nicht. Ich sollte aufpassen, nicht in deinem Ruhm unterzugehen.«
Ahren zog sie in den Arm und küsste sie lange. »Einigen wir uns einfach darauf, dass jeder von uns genug vorzuweisen hat, auf das er stolz sein kann.«
Weniger Reden und mehr Futter für den Wolf, bitte, sagte Culhen, der gierig sabbernd neben einem Braten stand, der von einem verzweifelt dreinblickenden Jungzwerg bewacht wurde.
Ahren machte eine auffordernde Handbewegung und einen Augenblick später hatte das Tier dem Bediensteten die Köstlichkeit schon aus den zitternden Händen gebissen. Ahren ließ sich mit Khara gegenüber von Falk und Onja nieder und nahm sich selbst etwas zu essen und zu trinken, während er dem Lachen und den Gesängen der Zwerge lauschte. »Ist euch aufgefallen, dass die Säulen ungewöhnlich schmal für eine Höhle dieser Größe sind?«, fragte Falk zwischen zwei Bissen.
»Das liegt daran, dass sie mit Stahl verstärkt wurden«, sagte Akkad, der sie soeben erspäht und zu ihnen herübergeeilt war. »Eine faszinierende Technik, die …«
»Nimm dir was zu essen«, sagte Falk stöhnend. »Und danach reden wir über etwas anderes als Architektur.«
Ahren und die anderen lachten über das pikierte Gesicht des Magus, der sich zu Uldini gesellte, und eine Weile genossen sie alle schweigend die Atmosphäre der feiernden Zwerge. Nach und nach kamen Quin-Wa, Justinian und auch Gilmintor dazu und setzten sich zu ihnen an den Tisch. Ahren betrachtete demonstrativ die kostbaren Fäden in den Zöpfen des fröhlich lächelnden Goldbartes, der offensichtlich in der Gunst seines Clans gestiegen war, seit er den Gefährten dabei geholfen hatte, Tausend Hallen zu verteidigen – wenn auch nicht immer ganz freiwillig. Justinian hingegen wirkte ein wenig bedrückt, und Ahren ahnte, dass der Sonnenkaiser schlechte Nachrichten von der Front erhalten hatte. Ahren kannte den Herrscher mittlerweile gut genug, um seine verschiedenen mürrischen Mienen auseinanderhalten zu können.
»Will ich wissen, was dir auf der Seele liegt?«, fragte er leise, aber Justinian schüttelte den Kopf.
»Da ist nichts, was nicht bis morgen warten könnte, General.«
Ahren rollte die Augen. »Wie oft denn noch? Wenn wir uns duzen, lassen wir auch die Ränge weg, in Ordnung?«
Der Sonnenkaiser grinste wölfisch. »Ich wollte nur sichergehen, dass du deinen neuen Rang nicht vergisst.«
Beruhigt lehnte Ahren sich wieder zurück. Solange Justinian noch scherzte, konnten die Nachrichten so schlimm auch wieder nicht sein.
Er nahm sich einen Humpen voll dunklen, starken Zwergenbieres und spülte zwei hastig abgebissene Brocken Käse herunter, während seine Gedanken abglitten, weg vom Hier und Jetzt und hin zu den Gefährten, die gerade nicht anwesend waren. Da Justinian ab und zu mit seiner Frau schäkerte, musste es den neuesten Berichten zufolge gut um die restlichen Paladine stehen, die gerade an der Front gegen die aus der sich ausbreitenden Dunkelwolke hervorbrechenden, vom Widersacher kontrollierten Wesen kämpften. Er beruhigte sich selbst mit diesem Gedanken und zwang sich, daran zu glauben, dass all seine Freunde in Sicherheit waren.
»Du grübelst schon wieder«, sagte Khara leise zu ihm. »Hier ist gerade ein Fest zugange, das weißt du, oder?«
Ahren nickte und lächelte gezwungen. »Ich werde wohl langsam wie Uldini«, flüsterte er ihr zu. »Wenn ich nicht alles unter Kontrolle habe, ist es, als würden Ameisen in meinem Kopf umherlaufen.«
»Mein Paladin, der Anführer«, sagte die Schwertmeisterin halb neckend und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Auch wenn ich mich freue, dass du deine Verantwortung als Streiter der Götter und als General der Allianz annimmst, musst du auch lernen, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass alle anderen ihre Aufgaben erledigen, ohne dass du auf sie aufpasst.«
»Aber genau dafür sind wir Paladine doch da«, sagte Ahren mit zusammengekniffenen Augen, während er ins lodernde Herdfeuer der Halle starrte, dessen Flammen mehr als ein Dutzend Schritt in die Höhe leckten. »Um alle zu beschützen.«
»Aber nicht alle Lebewesen gleichzeitig«, sagte Khara beschwichtigend. »Sonst hätten die Drei euch sicher die Gabe geschenkt, an mehr als einem Ort auf einmal aufzutauchen.«
Dann wäre mehr als ein Ahren auf einmal in Jorath unterwegs?