Die Stadt der Schurken - Torsten Weitze - E-Book

Die Stadt der Schurken E-Book

Torsten Weitze

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Beschreibung

Ahren und seine Gefährten reisen in den Immergrün, um nach den tragischen Ereignissen im Grünen Meer neuen Mut zu finden. Als sie schließlich aufbrechen, um den Kontinent auf der Suche nach dem verschollenen Paladin Yollock zu durchqueren, geraten sie unversehens in einen Sog der Ereignisse rund um eine geraubte Frau, einen verzweifelten Granden aus Kap Verstaad und eine mörderische Stadt voller Schurken. Kontrolliert vom brillanten Meuchler Reik Silbermantel, stellt dieser Ort ohne Gesetze oder Moral Ahren und seine Freunde vor eine ihrer schwersten Prüfungen…

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Torsten Weitze

Die Stadt der Schurken

Der 13. PaladinBand XI

Impressum

© Torsten Weitze, Krefeld, 2021Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de

Torsten Weitze c/o LAUSCH medien

Bramfelder Str. 102a

22305 Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze

Für alle, die neuen Mut brauchen.

Es ist nie zu spät, solange man sich nicht aufgibt.

Und denkt daran:

Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte, als zum ersten Mal erlebt zu werden …

Inhalt

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Epilog

Prolog

Das Lichterspiel des Eathinian schien geradewegs bis in Ahrens Seele zu dringen. Die lebendige Aura, die der gesegnete Wald der nördlichen Elfen ausstrahlte, war so rein und unverfälscht, dass sie selbst gegen die Finsternis in Ahrens Gedanken ankam und sie auflöste wie Balsam tiefste Wunden heilte. Jeder Atemzug an diesem Ort erinnerte den Paladin daran, wofür sie kämpften.

Wofür sie starben, korrigierte er sich düster.

Culhens feuchte Schnauze drängte sich gegen sein rechtes Ohr, als sein treuer Wolf ihn aufmunternd anstupste. Gleite nicht wieder fort, ermahnte ihn sein Freund. Das hat der Junge nicht verdient.

Ahren nickte, ein schiefes Lächeln auf seinem Gesicht. Halb fühlte er sich ertappt, halb provoziert durch die Aussage Culhens. Er sah sich genauestens um, indem er seinen Blick von der elfischen Tuchbrücke aus umherschweifen ließ. Hier irgendwo musste er sich verstecken. Ahren war sich dessen sicher, und dass er den Jungen nicht sofort sah, verlieh ihm ein wenig Hoffnung, die das dauerhafte Gefühl der Bedrohung in seiner Brust für einen Moment verstummen ließ. Elfische Baumhäuser aus kunstvoll geflochtenem Stoff hingen zwischen den hoch aufragenden grünen Baumriesen, die diese Region Eathinians beherrschten. Ahren war noch nie so weit östlich im Immergrün gewesen und es überraschte ihn, welch rauer Charme in diesem Teil des Waldes vorherrschte. Laut Jelninolan setzten sich hier vor allem jene Bäume durch, die auch am Rande der Eisigen Weiten gediehen, und so waren hier trotz des stets milden Klimas viele Nadelbäume zwischen den übergroßen Eichen und Buchen zu finden, die den Elfen eine Heimstatt boten. Die aus gewebtem Tuch bestehenden Behausungen des naturverbundenen Volkes wirkten wie immer harmonisch eingefügt in den Wuchs und die individuellen Charakteristika eines jeden Baumes, aber sie erschienen Ahren leerer und verlassener als früher.

Weil viele Elfen im Krieg sind, sagte Culhen sanft. Bitte höre auf, überall Verfall und Tod zu sehen. Du musst dich zusammenreißen. Für den Jungen.

Ahren ballte die Fäuste und schüttelte den Kopf. Es fällt mir schwer, gab er zu.

Genauso schwer, wie ihn zu finden?, neckte ihn der Wolf herausfordernd.

Der Paladin verstärkte seine Bemühungen, jene Gestalt auszumachen, die seit knapp zwei Monden seine Nerven bis zum Zerreißen belastete. Er beugte sich auf dem Band aus Tuch weit genug vor, um steil nach unten zu blicken, sah dort aber nur seine Freunde beisammenstehen und lachen. Auf Ahren wirkte ihre Heiterkeit befremdlich. Es war erst wenige Wochen her seit Feuer-im-Blick …

Sie haben Derartiges schon früher erlebt, erinnerte ihn Culhen.

Nicht so etwas, erwiderte der Waldläufer bitter. Er betrachtete Jelninolan und Trogadon, die nebeneinanderstanden und beinahe scheu Händchen hielten. Die majestätische Elfe und der wie ein Fels in der Brandung wirkende Zwerg schienen so unterschiedlich, wie zwei Wesen nur sein konnten. Ihre Liebe zueinander war für Ahren ein Zeichen, dass Unmögliches möglich war. Doch selbst Wunder haben ihre Grenzen, durchzuckte ihn ein ungebetener Gedanke.

Sei dankbar, für jene Wunder, die dir geschenkt wurden, erinnerte ihn Culhen geduldig. Der Wolf sah zu Khara hinab, und Ahren konnte durch dessen Augen sehen, wie gelöst sie wirkte und wie wunderschön sie aussah. Ihre weiße Tiefenstahlrobe mit der kaiserlichen Schärpe war probeweise durch einen zeremoniellen elfischen Umhang ergänzt worden, der aussah, als würde der hauchfeine, reinweiße Stoff beim sanftesten Windhauch zerreißen. Sie diskutierte lebhaft mit Jelninolan. Zweifelsohne besprachen sie in Vorbereitung des morgigen Tages verschiedene Details.

Etwas, das du auch tun solltest, erinnerte ihn Culhen.Der Herbst ist nicht mehr fern. Die Sonne beginnt bereits zu sinken.

Ahren schaute noch für einen Moment zu Khara hinab, dann wanderte sein Auge hinüber zu Falk, Uldini, Fisker, Lanlion … so viele waren gekommen, um am morgigen Tag anwesend zu sein. Er sollte sich freuen, aber diese düstere Wolke, die über seinen Gedanken hing, wollte nicht weichen.

Sie wollen das Leben feiern, redete Culhen ihm zu. Also hör auf, ständig dem Tod dein Ohr zu leihen.

Ahren sah den Wolf von der Seite an. Hast du in letzter Zeit zu oft Lanlion gelauscht?, fragte der Waldläufer mit einem Hauch von Humor.

Pah, machte das Tier und schnaubte. Der redet umso schwülstiger, je näher der morgige Tag kommt, dass sogar die Barden Reißaus vor ihm nehmen. In seinem kalten Körper lodert ein überaus helles Feuer der Poesie.

Ahren wischte sich mit einer Hand über die Augen und sah sich dann noch einmal um. Neben ihnen stand eine Handvoll junger Elfen, der übliche Pulk aus Kindern, die in einigen Schritt Entfernung darauf wartete, das Culhen sich wieder Zeit für sie nahm. Davon abgesehen sah der Waldläufer nur Blätter, dicke Äste und den weiten, mit Federwolken geschmückten Himmel oberhalb der Baumkrone hindurchblitzen, die keine zehn Schritt entfernt über ihnen thronte. Ahren schaute auf die mit Ästen gelegte Markierung zu seinen Füßen. Er war an der richtigen Stelle, nur von ihm war nichts zu sehen.

Also gut, sandte er Culhen mit einem resignierten Seufzer zu. Benutze deine Nase, forderte er den Wolf auf. Wir schummeln.

Aber Ahren! Jedes Wort des Tieres troff vor selbstgerechter Empörung, die durch und durch geheuchelt war. Wie kannst du nur an so etwas denken?

Ich bin sicher, Falk hat damals ebenso oft geschummelt, sagte Ahren unwirsch. Ich gebe nur weiter, was ich gelernt habe. Dabei kniff er die Augen zusammen und sah sich noch einmal um. Wo steckt der Bursche nur?

»Steht er noch immer über uns?«, fragte Khara mit einem unterdrückten Lächeln, ohne den Kopf zu heben.

»Und ob«, raunte Falk vergnügt. »Wenn er nicht langsam fündig wird, dann muss ich mich schämen, sein Meister gewesen zu sein.«

»Falk!«, rügte Jelninolan den alten Mann. »Du solltest deinem ehemaligen Lehrling besser beistehen.«

»Diese Zeit ist vorbei«, sagte der Paladin vergnügt und rieb sich über seinen grauen Bart. »Jetzt darf er selbst sehen, wie er klarkommt.« Khara sah, wie sich eine Falte auf der Stirn des Mannes bildete. »Verdammt, wann schummelt er endlich? Muss ich ihm denn alles beibringen?«

Culhens Nase zuckte, als der Wolf sie witternd in den Wind hielt. Kein Wunder, dass du ihn nicht findest, sagte das Tier schließlich. Er ist nicht hier.

Ahren stieß einen derben Fluch aus, der heftiges Getuschel unter den wartenden Elfenkindern auslöste. »Vergesst, was ihr gehört habt«, sagte der Paladin zu dem elfischen Nachwuchs und stürmte dann das gewebte Band hinab, das sich in sanften Schwüngen, einer Wendeltreppe gleich, den Baum hinabwand. »Die Anweisungen waren klar«, tobte er. »Er sollte sich irgendwo verstecken, von wo aus er die Markierung sehen kann!« Wut und Sorge bildeten in seinem Inneren ein übles Gemisch.

Es wird schon nichts passiert sein, beruhigte der Wolf ihn und trabte an Ahrens Seite. Wir sind hier schließlich im Immergrün.

Der Paladin rang mit seiner irrationalen Furcht und verlor. Ein Fehltritt in den hohen Ästen eines Baumes oder ein verwundetes Raubtier konnte auch an diesem vermeintlich sicheren Ort gefährlich werden. Er selbst hatte unter dem Blätterdach des Immergrüns bereits mehr als eine Gefahr überstehen müssen …

Ahren!, fuhr Culhen ihn streng an. Du musst endlich loslassen. Der Schatten der Vergangenheit wird deinen Blick sonst für immer trüben.

Der Waldläufer reagierte kaum, sondern hastete weiter, während ein Dutzend Horrorvorstellungen in seinem Kopf kreisten, was seinem Schützling zugestoßen sein könnte. Such ihn, befahl er Culhen, außer sich vor Sorge. Such ihn, und mögen ihm die Götter gnädig sein, wenn er irgendwo den Sonnenschein auf seiner faulen Haut genießt.

Seine Erleichterung war wie eine Welle, die die Last der Sorgen aus Ahrens Gemüt spülte, um gleich darauf einer ganz anderen Emotion Luft zu machen: brodelnder, heiß auf der Zunge schmeckender Wut.

Culhens zuverlässige Nase hatte sie ein ganzes Stück weit in den Wald geführt bis zu einem kleinen Fluss, an dessen Ufer sie ein großes, dichtes und verdächtig schnarchendes Gebüsch vorgefunden hatten. Ahren hatte vorsichtig die Blätter zur Seite gebogen, und da lag der Jüngling eingerollt und friedlich schlummernd zwischen den Ästen.

Wie er da hineingekrochen ist, ohne Spuren zu hinterlassen, ist schon eindrucksvoll, versuchte Culhen Ahrens Zorn zu dämpfen. Das bedeutet doch, dass er dazulernt.

Nur nicht bei den wichtigen Dingen, erwiderte der Paladin ungehalten. Weck ihn auf. Dabei sandte er dem Wolf ein sehr spezifisches Bild, auf welche Weise er dies tun sollte.

Ahren …, begann Culhen.

Nein, widersprach der Paladin sofort und verschränkte die Arme vor dem Körper. Er muss es lernen.

Na gut, sagte das Tier zögerlich. Aber auf deine Verantwortung. Dann sprang Culhen mit einem mächtigen Satz und einem lauten Knurren in das Gebüsch und auf den schlafenden Jungen, der sofort erwachte und panisch schreiend nach seinem Messer griff. Doch der Wolf hatte seine Beute auf dem Boden festgenagelt und geistesgegenwärtig dafür gesorgt, dass der Bursche nicht an seine Waffe gelangen konnte, indem er seinen Waffenarm mit einer Pfote zu Boden drückte. Culhens Lefzen waren weit zurückgezogen und er knurrte den panischen Knaben aus den tiefsten Tiefen seiner Kehle an. Sein Opfer zitterte nun wie Espenlaub, die Augen so groß, dass Ahren Sorge hatte, sie würden dem Jungen aus den Höhlen springen.

»Ich gratuliere«, sagte der Paladin mit einer kalten, schneidenden Stimme. »Du hast dich im Schlaf von einem Dunkelwesen fressen lassen und bist tot.«

Der Knabe blinzelte und sah erst durch das Blattwerk zu Ahren und dann auf die vermeintliche Bestie über ihm. Das Zittern ließ nach und wurde von einer tiefen Schamesröte ersetzt. »Culhen … «, keuchte er. »Es ist nur Culhen.«

Jetzt knurrte der Wolf aus eigenem Antrieb und schnappte spielerisch nach der Nase des Jungen. Ich bin nie ›einfach nur Culhen‹, ertönte eitel die Stimme des Tieres in Ahrens Kopf. Sag ihm das.

Ahren musste ein Schmunzeln unterdrücken und die Wut auf den Jungen half ihm dabei. Er richtete seinen strengsten Blick auf den sich unter Culhen hervorwindenden Knaben. »Du hast deine Aufgabe vernachlässigt, dich unerlaubt entfernt, wertvolle Zeit verschlafen und warst ungehorsam!«, ließ er eine wahre Litanei von Fehltritten auf sein Gegenüber niederprasseln.

Der Junge kroch aus dem Gebüsch und richtete sich auf, die Schultern verkrampft, die Hände zu Fäusten geballt. Ahren war sich nicht sicher, ob Verlegenheit oder Zorn die Oberhand in den grünen Augen seines Lehrlings behielt, zu sehr rangen diese beiden Emotionen miteinander. Er ist ein brodelnder Vulkan, warnte Culhen seinen Freund und trottete aus dem Gebüsch hervor. Besser, du verhinderst einen Ausbruch, der euch beiden schadet.

Ahren sah den Knaben vor sich mit zusammengekniffenen Augen an und musste dem Wolf widerwillig recht geben. Hier kam er nicht weiter. Nicht so. Also griff er zu einem altbewährten Mittel. »Siehst du diesen Baum da?«, fragte er und zeigte auf eine gut vier Dutzend Schritt hohe Eiche, die am Flussufer ihre Wurzeln tief in die Erde Eathinians gegraben hatte.

»Ja?«, fragte der Knabe misstrauisch, als sein Blick zu dem Baumriesen hinüberzuckte.

»Den wirst du jetzt fünfzigmal hinauf- und wieder hinunterklettern«, sagte Ahren in eisernem Ton. Mal sehen, wie viel innerer Widerstand noch übrig ist, wenn er am Ende seiner Kräfte ist, dachte Ahren selbstzufrieden. Bei mir hat das auch immer funktioniert.

»Aber … «, begann die schlanke Gestalt.

»Jetzt«, unterbrach ihn der Waldläufer mit einer Stimme wie ein Peitschenknall.

Die Schultern des Jungen sackten herab. »Ja, Meister.«

Ahren konnte eine gewisse Selbstzufriedenheit nicht leugnen, als er es sich unter der Eiche bequem machte und genüsslich den Knaben beobachtete, wie dieser sich abmühte, seine Strafe abzugelten. Er hatte sich in die Flanke des Wolfes gekuschelt, wie er es seit vielen Monden tat, wenn er auf Reisen nächtigte. »Nicht müde werden«, rief er in den Baum hinauf. »Siebenunddreißig Kletterpartien hast du noch vor dir.« Die schmale Gestalt über ihm zuckte bei dieser Erinnerung zusammen, und Ahrens bärtiges Gesicht verzog sich zu einem schmalen Lächeln.

»Du bist wohl furchtbar stolz auf dich«, ertönte plötzlich die melodische Stimme Jelninolans neben ihm, und Ahren sah sich überrascht um. Linker Hand trat die Elfe mit einem missbilligend verzogenen Gesichtsausdruck hinter einem dichten Strauch hervor und wirkte wie eine Mutter, die ihren erwachsenen Sohn beim Naschen vom frisch gebackenen Kuchen erwischte.

»Ein wenig«, antwortete Ahren mit Trotz in der Stimme und fühlte sich plötzlich viel jünger, als er war. »Irgendwie muss er es ja lernen. Bei mir hat diese Methode funktioniert.«

»Er ist aber nicht wie du«, sagte Jelninolan ruhig und setzte sich neben ihn. Culhen erschauderte zufrieden, als die Elfe sich an ihn schmiegte und dabei einen Arm um Ahrens breite Schultern legte. »Du und er, ihr müsst euren eigenen Weg finden.«

»Das sagt sich so leicht«, brummte Ahren und er spürte, wie seine Stimme heiser wurde. »Nach Feuer-im-Blick …«

Jelninolan unterbrach ihn mit einem Seufzer. »So geht das nicht weiter«, sagte sie. »Diese Wolke hängt schon zu lange über deinem Geist. Du hast dich den Ereignissen nie wirklich gestellt.«

Ahren versteifte sich. »Wie kannst du das sagen?«, erwiderte er empört. »Es vergeht kein wacher Augenblick, an dem ich nicht an den Tod Feuer-im-Blicks denke.«

»Genau das meine ich«, erwiderte Jelninolan sanft. »Du hängst fest wie eine Fliege im Spinnennetz. Morgen willst du mit Khara den Bund eingehen und doch bist du in Gedanken noch immer in jener Nacht gefangen – die uns alle zutiefst verletzt hat.« Sie deutete auf die schwitzende Gestalt im Baum. »Ihn ebenso, wenn auch auf andere Weise.«

Ahren schüttelte unwillig den Kopf. »Was soll ich denn tun?«, fragte er heftig. »Ich gebe hier wirklich mein Bestes.«

»Ich weiß«, sagte Jelninolan sanft und zog Mirilan aus ihrem Beutel hervor. »Ich habe darüber nachgedacht und ich glaube, ich kann dir helfen.«

Hoffnung glomm in Ahren auf wie ein langersehnter Sonnenaufgang nach einer stürmischen, finsteren Nacht. »Wie?«, fragte er leise.

»Mit Sturmweberei natürlich«, sagte die Elfe lachend und legte den Kopf schief. »Eigentlich mit der klassischen Magie meines Volkes, aber mit Mirilan wird es schneller und effektiver gehen.« Sie sah ihn mit ihrem intensiven Blick von der Seite an, und Ahren konnte nicht wegsehen. »Erinnerst du dich noch, wie ich dir die Vision von meiner Entfesselung gezeigt habe, damals in Tiefstein?«

Ahren runzelte die Stirn. »Das war kurz nach Culhens Vergiftung«, sagte er grüblerisch. Der Wolf hinter ihm regte sich unbehaglich mit einem leisen Knurren. »Als wir Sven …«

Jelninolan nickte. »Damals hat mir das Durchleben dieser Erinnerung geholfen. Jetzt versuche ich etwas Ähnliches bei dir.« Sie klopfte sanft auf ihre Sturmfiedel. »Ich bringe dich zurück in jene Nacht und du durchlebst sie noch einmal.«

»Auf keinen Fall!«, rief Ahren aus und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie der Junge im Baum innehielt und zu ihnen herabsah. »Du kletterst schön weiter!«, befahl Ahren streng und deutete auf den Jungen, ohne den Blick von Jelninolan zu nehmen. »Und was dich angeht …«, begann er zornig.

»Bemerkst du eigentlich, wie du sprichst?«, fragte die Elfe eindringlich. »Du bist voller Wut und Bitterkeit. Und so willst du dem Jungen da oben im Baum ein guter Meister sein? Oder morgen mit Khara vor den Augen der Götter den Bund eingehen?«

Ahren wand sich wie ein Wurm am Haken.

Hör ihr wenigstens zu, bat Culhen ihn drängend.

Was soll das bringen, diese Qualen noch mal durchzustehen?, begehrte Ahren auf.

Frage sie und finde es heraus, kam die lakonische Antwort. Oder riskiere es, bei deinem Lehrling zu versagen, nur weil du aufgrund deiner Schuldgefühle den Eathinian vor lauter Bäumen nicht siehst.

Ahren ließ die Schultern sinken. Er sah jetzt bestimmt so aus wie sein Lehrling, als er ihn aus dem Gebüsch geschimpft hatte. »Was soll ein erneutes Erinnern schon bewirken?«, fragte er die Elfe leise und hörte die Kapitulation bereits aus seiner eigenen Stimme heraus.

Jelninolan nickte zufrieden und hob Mirilan an ihre Schulter. »Versetze dich tief in die Melodie hinein«, sagte sie und begann eine sanfte, tragende Weise zu spielen, die die Tragik jener vergangenen Nacht ins Licht des ersterbenden Tages zerrte. »Fühle alles, was du damals gefühlt hast, als wäre es das erste Mal.«

Ahrens Blickfeld engte sich ein und seine Augen wurden schwer.

»Doch dieses Mal lässt du all deine Emotionen zu und stellst dich ihnen.«

Der Paladin wollte erwidern, dass er dies doch bereits getan hatte, aber da trug ihn die Magie bereits fort, auf jenen schicksalhaften Augenblick zu, den Ahren nie wieder hatte erleben wollen.

1. Kapitel

»Er ist tot.«

Die geflüsterten Worte Uldinis waren wie ein Richterspruch, der Ahrens Welt aus den Angeln hob und ihn zu einem Leben in Finsternis und ewiger Schande verurteilte. Ahren blinzelte mechanisch, dann sah er entsetzt in die blicklos gen Nachthimmel starrenden Augen Feuer-im-Blicks, dessen Kopf im Schoß des jungen Waldläufers ruhte. Die Brustplatte des toten Paladins verbarg gnädigerweise die Verwundungen, die der boshafte Wandler dem Clansmann zugefügt hatte. Der Mörder Feuer-im-Blicks war bereits unter Uldinis Magie vergangen, aber sein dunkles Werk blieb bestehen.

»Er ist tot«, wiederholte Uldini, und zu Ahrens Grauen hörte er eine tiefe Verzweiflung in der Stimme des Magus, dessen eiserner Wille sonst niemals brach. Tränen schossen dem jungen Paladin in die Augen und flehentlich sah er zu Jelninolan, die links neben ihm kniete und mit einem hoffnungslosen Blick in den Augen die Wunden unter der Rüstung des toten Mannes abtastete.

»Da ist nichts mehr zu retten«, sagte sie mit gebrochener Stimme. »Dieses Herz wird nie wieder schlagen.«

Ahren hörte Khara und die anderen hinter sich schluchzen, schreien und jammern, aber er selbst fühlte sich plötzlich losgelöst vom Geschehen, so als würde er sich und seine Freunde aus großer Höhe betrachten. Der Krieg war verloren. Der Feind hatte gesiegt. Mit diesem einen Todesstoß aus der Dunkelheit heraus hatte der Widersacher alles zerstört, wofür Ahren so hart gekämpft hatte – wofür Paladine und Alte viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende gekämpft hatten.

Die Leere in Ahrens Innerem drohte ihn zu verschlingen, aber es gab einen Ruhepol in dem Sturm aus Trauer, der sein Innerstes verwüstete.

Wir finden einen Weg, sagte Culhen und drückte seine Schnauze liebevoll an Ahrens Nacken. Du findest einen Weg. Das hast du immer getan.

Ahren war zu erschüttert, um zu antworten, aber die Worte seines Freundes waren wie ein Anker, der ein Schiff vor dem tödlichen Mahlstrom einer tückischen See bewahrte.

»Können wir nicht irgendetwas tun?«, fragte er in die Runde und sah zum ersten Mal bewusst seine Freunde an. Trogadon war grau wie eine Granitwand und stand nur mit offenem Mund da, die Hände krampfhaft um seinen Hammer geschlungen, der ihnen nicht mehr helfen konnte. Es gab keinen Feind damit zu erschlagen und auch kein Werkstück zu schmieden. Ahrens flehender Blick zuckte zu Lanlion hinüber. »Kannst du helfen?«, fragte er. »Deine Magie … kannst du ihn vielleicht …« Ihm gingen die Worte aus.

»Mein Fluch wirkt nur bei jenen, die die letzte Schwelle noch nicht überschritten haben«, erinnerte Lanlion Ahren mit vor Melancholie schweren Augen. »Und ich bin mir nicht sicher, ob ich einem Freund diese Bürde auflasten würde, also bin ich dankbar, dass ich dies nicht entscheiden muss.« Yantilla, die Lanlions Geheimnis noch nicht kannte, sah den Blutleeren irritiert an, blieb jedoch starr und wie betäubt sitzen, als hätte sie der plötzliche Tod des Paladins in eine Salzsäule verwandelt.

Ahren schluckte und sah sich weiter um. In Kharas Gesicht las er Trauer, bedingungslose Liebe und Mitgefühl, während Falk beinahe so bleich war wie das Antlitz des verstorbenen Paladins. Selsena überschwemmte sie alle mit einer solchen Traurigkeit, dass Ahren glaubte zu ersticken, und Muai stieß ein kontinuierliches Grollen aus, als wolle sie den Tod selbst herausfordern, damit der seine kostbare Beute freigab. Fisker war stumm wie ein Fisch und wiegte sich geistesabwesend vor und zurück, während er den aufgeregt kreischenden Cassobo mechanisch streichelte. Blieb nur noch Uldini.

»Tu etwas«, raunte Ahren ihm mit zitteriger Stimme zu. Der junge Waldläufer hörte, dass er selbst wie die Saite eines Musikinstrumentes klang, die über Gebühr gespannt war und bald reißen würde. »Irgendetwas.«

»Ich kann nicht«, sagte Uldini und sackte mutlos zu Boden. Tränen rannen über das jungenhafte Gesicht des uralten Magiers, was ihn wie ein tief verletztes und verwirrtes Kind erscheinen ließ.

»Du bist der Oberste der Alten«, sagte Ahren mit einer Schärfe in der Stimme, die ihn erschreckte. Sie klang unmenschlich und fordernd, beinahe wie die des Ersten, wenn er verlangte, dass andere funktionierten, wo gewöhnliche Menschen zerbrachen. »Tu etwas!«

Ahren …, begann Culhen warnend.

»TU ETWAS!«, brüllte Ahren seinen Schmerz und seine Verzweiflung heraus. Die Worte ließen ihn leer und zittrig zurück.

Uldini zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden, und warf sich mit einem urtümlichen Knurren an Ahren vorbei auf den Leichnam von Feuer-im-Blick. Er drückte Flammenstern auf den Brustpanzer des Paladins und sofort begann in der Kristallkugel ein schwaches Glühen zum Leben zu erwachen.

»Was soll das?«, fragte Falk, sein Tonfall eine Mischung aus Argwohn und Verwirrung.

»Ich weiß es nicht«, gestand Uldini, der seine Augen fest geschlossen hielt. »Ich muss etwas versuchen, oder nicht? Irgendetwas.«

Ahren starrte wie gebannt abwechselnd auf das Gesicht des Toten in seinem Schoß und auf den immer heller glühenden Flammenstern, der wie eine kleine Sonne loderte.

»Uldini«, ächzte Jelninolan, die anscheinend spürte, was der Magus tat. »Das hält deine Kristallkugel niemals durch.«

»Ich weiß«, knurrte die kindliche Gestalt, die schweißüberströmt und am ganzen Leib zitternd auf Feuer-im-Blick lag und ihren Zauberfokus beharrlich auf dessen Brust presste. Am lodernden Feuer Flammensterns vorbei bemerkte Ahren, wie der Tiefenstahl der Brustplatte des Toten zu glühen begann, als würde das Metall frisch aus den Tiefen jener Zwergenschmiede kommen, in der es einst geformt worden war. Ahren spürte ein tiefes Summen von der Kristallkugel ausgehen, das mehr und mehr zunahm und in seinen Ohren widerhallte wie Tausende Echos. Ein Ruck ging durch den toten Körper Feuer-im-Blicks, und für einen wilden, wahnsinnigen Moment hoffte Ahren, dass der Magus das Unmögliche vollbracht und den Clansmann dem Tod entrissen hatte. Doch Feuer-im-Blick lag nach dieser kurzen Bewegung wieder still da, die Augen blicklos gen Himmel gerichtet, als ob sie einen unsichtbaren Pfad zu den Göttern sahen, den nur jene erkannten, deren Zeit auf Jorath abgelaufen war.

»Das ist gefährlich«, stöhnte Jelninolan und deutete auf Flammenstern, während sie mit der anderen Hand ihre Augen vor dem immer stärker werdenden Glanz der Kristallkugel abschirmte.

»Mehr als das«, stimmte Uldini zu und erhob sich torkelnd, das golden gleißende Objekt zwischen den Fingern. »Es ist die Tat eines Wahnsinnigen.«

»Was hast du getan?«, fragte Falk und starrte aus zusammengekniffenen Augen und voller Abscheu auf die Flammenkugel in den Händen des Magus. »Alles in mir wehrt sich gegen diesen Anblick.«

Auch Ahren verspürte ein tiefes Unbehagen, wann immer er Flammenstern blinzelnd ansah. Das Licht in ihrem Inneren fühlte sich falsch an. »Uldini?«, fragte er heiser.

Der Magus wirkte genauso verloren und verwirrt wie direkt nach dem Tod des Paladins. »Sein Göttersegen«, sagte er flüsternd. »Ich habe ihn eingefangen.«

Ahren musste würgen, als alles in ihm gegen die Vorstellung rebellierte, dass etwas so Reines und Heiliges wie die Kraft der Götter nun in einem Gebilde aus Glas und Magie gefangen war. »Das ist falsch!«, stieß er hervor.

»Verdammt falsch«, grollte Falk und machte einen wütenden Schritt auf die kleine Gestalt zu. »Du spielst hier mit der Essenz der Schöpfung selbst.«

»Technisch gesehen nicht …«, begann Lanlion, verstummte aber unter dem Blick des alten Paladins.

»Flammenstern vergeht unter der Macht, die ich in seinem Inneren eingeschlossen habe«, sagte Uldini mit einer vor Anstrengung verzerrten Stimme. »Uns bleiben keine dreihundert Herzschläge, um eine Lösung zu finden, oder der Göttersegen Feuer-im-Blicks bricht hervor und ist für so lange Zeit verloren bis die Drei einen neuen Paladin erschaffen.«

Bis dahin sind wir tot, ging es Ahren durch den Kopf. Der Widersacher wird uns nicht die Zeit lassen, bis die Götter erneut genug Kraft gesammelt haben, um einen der unseren zu ersetzen.

Denk nicht an Probleme, ermahnte ihn Culhen und schleckte ihm über das rechte Ohr. Denk an Lösungen.

Ahrens Verstand raste, aber Khara war schneller als er. »Was ist mit mir?«, fragte sie. »Ich stamme von einem Paladin ab, von Quin-Wa. Kann ich den Göttersegen aufnehmen?«

Wieder wallte eine wilde Hoffnung in Ahren auf. Uldini und Jelninolan schüttelten jedoch heftig die Köpfe und das Gefühl erstarb, nur die kalte Asche der Verzweiflung in ihm zurücklassend. »Du bist an Quin-Was Segen gebunden«, sagte Jelninolan. »Ein anderer passt dir so wenig wie Uldini die Schuhe Trogadons passen würden.«

Kharas Schultern sackten herab und sie nickte betrübt.

»Außerdem liegt deine Abstammung zu Quin-Wa generationenweit zurück«, warf Uldini stöhnend ein. »Die Macht eines Göttersegens würde dich von innen heraus zerreißen.«

»Was dann?«, fragte Lanlion in die Stille hinein, die nur vom leidgeplagten Keuchen der Gefährten unterbrochen wurde.

Ahren bemerkte, dass das laute Feiern der Clansmänner und -frauen an den Freudenfeuern ringsum nachließ und die ersten fragenden Rufe ertönten. Er schloss die Augen, als ihm neue Tränen kamen und alle Kraft aus seinen Gliedern wich. Gleich würde ihr Versagen real werden, wenn sie würden eingestehen müssen, dass einer der dreizehn Streiter der Götter tot war. Ahren wollte aufstehen, um sich den Clansleuten zu stellen, als ihm plötzlich wieder einfiel, dass er noch immer den Kopf des Toten auf seinem Schoß barg. Der junge Paladin bettete Feuer-im-Blicks Haupt vorsichtig auf den steinernen Boden, wobei er das Gefühl hatte, als würde das Gewicht der ganzen Schöpfung in seinen Händen lasten. Er wollte sich endlich erheben, aber sein Verstand war von den jüngsten Ereignissen und dem bedrohlichen Summen Flammensterns bis an den Rand des Erträglichen getrieben worden. Eigentlich sollte er seinen Freunden dabei helfen, eine Lösung für den sich bald befreienden Göttersegen zu finden, aber das klare Denken fiel ihm zunehmend schwerer und seine Beine wollten ihn nicht tragen.

Du stehst unter Schock, so wie wir alle, hörte er Culhen sagen. Der Wolf drehte seinen Kopf und sah Ahren tief in die Augen, bis der junge Paladin nichts anderes auf der Welt mehr wahrnahm, als die darin schimmernde Güte und Treue. Atme tief durch und sammle dich. Da kommen Fäuste-wie-Eisen, Blickt-zum-Horizont und Aimenata mit einem Dutzend anderer Clanmitglieder. Sicher gefällt denen Uldinis Verzweiflungstat überhaupt nicht.

Ahren zwang sich zu einem tiefen Atemzug und stand dann auf, wobei er sich an seinem treuen Wolf festhielt. Er blickte erst der alten, dann der neuen Hochschamanin in die Augen und schließlich Fäuste-wie-Eisen. Es war das Schwerste, was er je getan hatte, als er so standhaft wie nur möglich verkündete: »Feuer-im-Blick ist tot.«

Seine Worte hätten ebenso gut ein Sturmwind sein können, der den Lebenswillen aller Anwesenden auslöschte, denn mehrere Clanmitglieder sackten an Ort und Stelle zusammen. Das tiefgläubige Volk des Grünen Meeres traf der Tod eines der Streiter der Götter besonders hart.

»Was … wie …?«, stammelte Fäuste-wie-Eisen, während die beiden Schamaninnen wie gebannt auf Uldinis immer stärker vibrierende Kristallkugel starrten.

»Ein Attentäter«, sagte Ahren. »Ein besonders mächtiger Doppler.« Ihm kam jedes seiner Worte wie ein Mühlstein vor, den er mühsam aus seinem Mund herauspressen musste. »Es ging alles viel zu schnell.« Der letzte Satz war nicht mehr als ein zaghaftes Flüstern.

»Und was soll dies hier sein?«, fragte Aimenata mit tiefem Entsetzen in der Stimme, das sich mühsam an der Schwermut vorbeizwängte, die ihrer Frage einen rauen Unterton gab. Sie deutete auf den gefangenen Göttersegen. »Ihr haltet das Schicksal der Welt in Händen, anstatt es den Dreien zurückzugeben.«

»Das weiß ich auch«, fauchte Uldini, dessen Magie seiner Laune sichtlich zusetzte. Flammenstern ruckte wie ein bockiges Pferd, das seinen Reiter abzuwerfen versuchte, zwischen den schlanken Fingern der jungenhaften Gestalt hin und her. »Ich kann Euch beruhigen, dieser Zustand wird nicht mehr lange anhalten. Wenn Ihr nicht gleich einen Paladin aus dem Nichts herbeizaubert, wird meine Torheit bald bestraft werden … denn ohne passendes Gefäß, in das ich ihn leiten kann, wird der Segen Flammenstern verzehren und sich befreien.«

Nach diesen Worten wirkten die beiden Schamaninnen doppelt so betroffen, und auch Ahren durchlief eine Welle der Mutlosigkeit. Sollten sie nun auch noch Uldinis machtvollen Fokus verlieren? Ahren war, als würde alle Farbe aus der Welt entweichen und nur bittere Schwärze zurücklassen.

»Kommt mit.« Die Worte Fäuste-wie-Eisens wurden mit solcher Bestimmtheit und Autorität gesprochen, dass keiner der Anwesenden widersprach. Ohne sich umzudrehen, ging der Älteste los, seine verkrampften Schultern und geballten Fäuste vermittelten Ahren den Eindruck, als wolle der breitschultrige, glatzköpfige Mann geradewegs in eine Schlacht stapfen.

Verunsichert ging Ahren ihm hinterher, den Blick seiner Gefährten suchend. Keiner schien genau zu wissen, was der Clansmann vorhatte, aber sie alle folgten ihm mit hastigen Schritten durch das Lager, in dem sich das laute Wehklagen des Reitervolks wie ein Steppenfeuer ausbreitete. Nur Yantilla blieb auf Ahrens Zeichen mit einigen Eiswölfen zurück, um den Leichnam zu bewachen,

»Dunkle Kunde fliegt mit breiten Schwingen«, flüsterte Lanlion schwermütig in die Runde. »Der Tod unseres Freundes wird heute Nacht so manches Herz schwer werden lassen.«

»Wo gehen wir hin?«, fragte Uldini ungeduldig und voller Anstrengung. Ahren sah Flammenstern immer stärker in den Händen des Magus vibrieren. »Uns läuft die Zeit davon!«

»Es ist nicht mehr weit«, erklang die heisere Antwort von Fäuste-wie-Eisen. Der unterschwellige Zorn in den Worten des Clansmannes riss Ahren aus seiner geistigen Betäubung. Was hatte der sture Älteste vor, nun, da Ahren und seine Freunde versagt hatten? Wollte er sie für den Tod Feuer-im-Blicks anklagen, solange sie noch unter Schock standen? Die Götter wussten, sie hätten es nicht anders verdient.

Du denkst nicht klar, warnte ihn Culhen. Lass weder Angst noch Scham deinen Geist übermannen. Die Stimme seines Freundes klang förmlich, fast feierlich. Die anderen brauchen dich jetzt. Jorath braucht dich jetzt.

Wirklich?, entgegnete Ahren bitter. Die Dreizehn sind ausgelöscht. Es gibt nur noch zwölf. Alle Hoffnung ist verloren. Mit jedem gedachten Wort schrumpfte sein Blickfeld mehr in sich zusammen, während die Schwermut ihm Augenlicht, Atemluft und Lebenswillen gleichermaßen zu rauben drohte. Er ahnte nun, wie die Paladine sich in der Nacht des Blutes gefühlt haben mussten. Und zu allem Überfluss hatten sie damals auch noch ihre Liebsten verloren.

Und trotzdem haben sie am nächsten Tag erneut gegen den Widersacher gekämpft, erinnerte ihn Culhen. Das Bild eines zerbissenen Wolfes, der sein Rudel vor einem tollwütigen Bären zu schützen suchte, tauchte vor Ahrens Augen auf. Der Kampf ist erst vorbei, wenn wir uns geschlagen geben.

Ahren legte seine rechte Hand in das Nackenfell seines Freundes und lehnte seinen Kopf gegen dessen Schnauze, während sie weitergingen. Irgendwann während ihres Marsches hatte Khara seine Linke umfasst. Culhens Worte und die Präsenz seiner Freunde um ihn herum verliehen Ahren die Kraft, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

»Gleich ist es zu spät«, stieß Uldini hervor und riss den jungen Paladin aus seiner Gedankenwelt. »Flammenstern ist am Ende seiner Kräfte … und ich bin es auch.«

»Nicht jammern«, knurrte Fäuste-wie-Eisen und steuerte ein großes Zelt an, in dem gut zehn Personen Platz finden konnten. Ahren erkannte an beiden Seiten des Eingangs die stilisierten Zeichnungen einer geballten Faust. Dies musste das Zelt des Ältesten sein. Was bei allen Göttern wollte er nur mit ihnen hier? Der Clansmann riss den Zelteingang regelrecht auf. »Wir sind da«, verkündete er, und Ahren fiel auf, dass die Adern auf der Stirn und an den Schläfen des kahlköpfigen Mannes derart angeschwollen waren, dass es aussah, als würden sie jeden Moment bersten. »Alle hinein, die Alte oder Paladine sind. Der Rest bleibt draußen.«

Also ich komme in jedem Fall mit, sagte Culhen und schritt hastig an Fäuste-wie-Eisen vorbei, bevor der protestieren konnte. Ahren folgte mit Khara an seiner Seite, die ebenfalls keinerlei Anstalten machte, sich ausschließen zu lassen, ebenso wenig wie der stur dreinblickende Trogadon. Während die restlichen Gefährten das Zelt betraten und Uldini schweißüberströmt ein weiteres Mal um Eile bat, sah der junge Paladin sich in dem gleißenden Licht der wie ein Dutzend zornige Wespenschwärme summenden Kristallkugel um. Es gab drei Schlafstätten. Eine davon war unbenutzt, auf den beiden anderen hockten zwei Clansleute, die die Eindringlinge erschrocken anstarrten. Eine der beiden Gestalten war eine Frau mittleren Alters mit glattem braunem Haar und gefühlvollen grünen Augen, in denen ein alter, tief sitzender Schmerz zu finden war, den auch der Schrecken nicht auslöschen konnte, den sie zweifelsohne gerade aufgrund der Fremden in ihrem Zelt empfand. Die andere belegte Schlafstatt gehörte einem Knaben von vielleicht dreizehn oder vierzehn Wintern, der die Haar- und Augenfarbe seiner Mutter geerbt hatte und die Eindringlinge mit stechendem Blick fixierte, in dem Überraschung und Angriffslust miteinander rangen. Fäuste-wie-Eisen sagte in rauem Ton einige Worte in der Sprache des Reitervolkes und die beiden entspannten sich. »Meine Frau, Still-wie-ein-Teich, und mein Sohn«, sagte der Clansmann knapp und schloss die Zeltklappe hinter sich.

»Sehr erfreut«, fauchte Uldini in die Runde. Flammenstern ruckte nun so heftig in seinen Händen, dass es aussah, als würde der Magus regelrecht mit der Kristallkugel ringen. »Sollen sie mit ansehen, wie die letzte Hoffnung Joraths erlischt, oder warum sind wir hier?« Die Stimme des Magus war so beißend, dass Ahren sich nicht gewundert hätte, wenn die Worte des Alten ein Loch in die Zeltwand gefressen hätten.

»Hakanu, steh auf!«, befahl Fäuste-wie-Eisen und der Junge tat umgehend, wie ihm geheißen. »Hilf dem Obersten der Alten dabei, seine Kugel festzuhalten.«

»Nicht!«, sagte Uldini scharf, doch es war zu spät. Ungläubig sah Ahren, wie der Jüngling, ohne zu zögern, nach Flammenstern griff, ihn mit beiden Händen umfasste – und wie die Kristallkugel sich daraufhin beruhigte und das Summen abrupt abnahm.

Ein Keuchen entrang sich aller Anwesenden einschließlich Hakanus. Nur Fäuste-im-Blick und seine Frau wirkten nicht überrascht. Der Clansmann schien einfach nur wütend zu sein, und die braunhaarige, zart gebaute Frau brach in Tränen aus.

»Was … wie … warum?«, stammelte Uldini und sah vollkommen verwirrt von Flammenstern zu Hakanu und wieder zurück.

»Du wolltest einen Paladin von Feuer-im-Blicks Blut«, sagte Fäuste-wie-Eisen, seine Stimme ein Mahlstrom aus unterdrücktem Zorn und unbändiger Frustration. »Hier hast du einen.«

***

Nach dem Tode von Tücke hatte Schatten sich unbemerkt von seinem jetzigen Träger, einem arglosen Händler, gen Osten bringen lassen. Der Tölpel hatte nur zu leicht auf die mörderischen Einflüsterungen reagiert, die Schatten ihm ins Ohr gewispert hatte. Die Leiche seines Mitreisenden lag kalt und still in einer Grube, gemeuchelt, einzig weil Schatten es so gewollt hatte.

Wenn alle Menschen derart leicht zu manipulieren waren, würde der Tod des nächsten Paladins ein Kinderspiel werden. Es fehlten ihm nur noch die passenden Verbündeten.

***

»Kann mir bitte jemand erklären, was hier geschieht?«, fragte Trogadon über das Summen Flammensterns und das leise Weinen von Still-wie-ein-Teich hinweg. Jelninolan war instinktiv zu der leidenden Frau hinübergeeilt und barg sie in ihren Armen, während ihr Gesicht ein Dutzend Fragen gleichzeitig widerspiegelte. Fragen, die auch Ahren auf der Zunge lagen.

»Nicht loslassen«, befahl Fäuste-wie-Eisen indes seinem Sohn, der beflissen nickte. Auch in den Zügen des Knaben erkannte Ahren Neugier, die sich jedoch mit wachsender Verunsicherung mischte.

»Nun rede schon, verdammt«, knurrte Falk, der mit eingefallenem Gesicht an den Ältesten herantrat. »Mein altes Herz braucht endlich ein wenig Ruhe. Wenn du etwas zu sagen hast, das uns alle rettet, dann raus damit.«

Fäuste-wie-Eisen sah hinüber zu seiner weinenden Frau, ihre Trauer spiegelte sich als stumme Qual in seinen Augen. »Ich lernte Still-wie-ein-Teich schon als Jüngling kennen und lieben«, sagte er mit heiserer Stimme. »Damals kannte man sie noch als Lacht-wie-der-Morgen.« Er räusperte sich. »Wir wurden schnell ein Paar und die Welt war voller Verheißung und Freude. Dann kam das Sehnen.« Seine Stimme schlug um, nahm einen düsteren Ton an und Galle schlich sich in jede Silbe hinein. »Die Götter hatten sie für einen Paladin bestimmt.« Er starrte Ahren an und der junge Paladin glaubte für einen Moment, der Clansmann würde hier und jetzt einen Kampf mit ihm beginnen. »Sie widerstand noch ein paar Winter, aber schließlich wurde es zu stark. Unweigerlich suchte sie die Nähe Feuer-im-Blicks, obwohl sie und ich längst den Bund eingegangen waren.«

Khara stieß einen traurigen Laut aus und drückte Ahrens Hand fester. Ihr eigenes Ringen um Ahrens Herz war gerade erst überstanden, und der junge Paladin konnte in ihren Augen sehen, dass sie mit dem Mann litt, der seine tragische Liebesgeschichte vor ihnen ausbreitete. Still-wie-ein-Teich weinte leise vor sich hin und Ahren war sich nicht einmal sicher, ob sie die Worte ihres Mannes überhaupt wahrnahm. Hakanu hingegen bekam immer größere Augen und hing mit einer Mischung aus Argwohn und Furcht an den Lippen seines Vaters.

»Schließlich waren die Qualen, die meine geliebte Frau litt, zu groß geworden und ich stimmte zu, dass sie eine einzige Nacht dem Sehnen nachgab.« Das Weinen von Still-wie-ein-Teich wurde heftiger und Ahren sah, wie sehr Fäuste-im-Blick unter der Trauer seiner Frau litt. Einer Trauer, die dem verblichenen Mann galt, den die Götter für sie auserwählt hatten. »Danach wurde es leichter für sie – für uns. Denn sie trug nach dieser einen Nacht ein Kind unter dem Herzen und das Sehnen versiegte.« Er sah sie nun mit unendlicher Traurigkeit in den Augen an. »Zugleich hatte es ihre Liebe für mich fortgebrannt und unsere gemeinsamen Abende wurden kalt und leer.«

»Ich ahne, wohin diese Geschichte führt«, sagte Falk und legte dem Clansmann mitfühlend eine Hand auf die Schulter. »Warum belassen wir es nicht dabei und ersparen einigen unter uns den traurigen Rest fürs Erste.« Dabei sah er vielsagend zu dem verwirrten Hakanu hinüber, der seine flehentlich dreinblickenden Augen nicht vom Antlitz seines Vaters lösen konnte.

»Sie endet nicht so düster, wie Ihr glaubt«, sagte Fäuste-wie-Eisen. »In meinem Zorn über die verlorene Liebe meiner Frau schlug ich Feuer-im-Blick einen Zweikampf vor. Der Sieger sollte bestimmen, wie es weiterginge. Ich hatte schließlich den Willen der Götter geschehen lassen und verlangte nun, dass Feuer-im-Blick im Gegenzug den Bund respektierte, den ich und Still-wie-ein-Teich eingegangen waren, lange bevor das Sehnen einsetzte, denn eine solche Verbindung ist hier im Grünen Meer ausgesprochen heilig. Sollte er gewinnen, würde ich weichen, meinen Platz als Ältester aufgeben und so lange an der Grenze Wache halten, bis mich ein früher Tod ereilen und Still-wie-ein-Teich zur Witwe würde. Sollte ich gewinnen, würde ich das Kind an der Seite meiner Frau als mein eigenes großziehen.« Er sah nun Hakanu direkt an. »Ich besiegte Feuer-im-Blick, und die Liebe, die meine Frau und ich für unseren Sohn empfanden, brachte uns im Laufe der Zeit wieder näher zueinander und schenkte uns Frieden.«

Hakanu schüttelte ungläubig den Kopf und nahm die Hände von Flammenstern, um auf seinen Vater zuzugehen. Sofort gebärdete sich die Kristallkugel wie wild und das sanfte Summen wurde zu einem ohrenbetäubenden Kreischen.

»Hände an die Kugel!«, brüllte Uldini den überwältigten Knaben an, und Ahren sprang vorwärts und drückte sanft, aber bestimmt die Hände des Jungen zurück auf das vibrierende Glas.

»Alles wird gut«, murmelte er Hakanu zu und stellte sich neben ihn. »Ich weiß, dass es sich für dich gerade anfühlt, als ob die ganze Welt aus den Fugen gerät, aber wenn du die Hände nicht auf der Kugel lässt, wird genau das wortwörtlich geschehen.« Der Junge nickte verwirrt, und Ahren sah in seinem glasigen Blick die ersten Anzeichen emotionaler Überlastung. An keinem von ihnen würde diese Nacht spurlos vorbeigehen, und Ahren fühlte, wie eine Welle der Zuneigung und des Mitleids für Hakanu in ihm emporstieg. Der Junge würde all die harten Lektionen noch lernen müssen, die Ahren in den letzten Jahren selbst überstanden hatte.

»Also ist dies hier Feuer-im-Blicks Junge?«, fragte Trogadon in die Runde und sah schließlich Fäuste-wie-Eisen an. »Du bist der Ziehvater eines potenziellen Paladins?«

Der Älteste richtete sich kerzengerade auf und sah Hakanu fest in die Augen, während er die Frage des Zwergs beantwortete. »Feuer-im-Blick erwählte ihn nach seiner Geburt als Nachfolger und ließ uns dann in Frieden. Ich bin Hakanus Vater«, sagte er mit Stolz in der Stimme. »In allen Belangen, außer dem des Blutes.« Ahren sah, wie Vater und Sohn die Blicke verschränkten – und Hakanu schließlich die Augen schloss und traurig den Kopf zur Seite drehte. Fäuste-wie-Eisen seufzte und deutete dann auf Flammenstern, der fröhlich summend die Berührung des erwählten, aber noch nicht ernannten Paladins genoss. »Tut, was Ihr tun müsst, und dann verlasst dieses Zelt. Diese Nacht hat genug Verwüstung in meinem Leben angerichtet.«

Als hätten die Worte von Fäuste-wie-Eisen Uldini aus einer geistigen Starre befreit, kehrte das Leben in die kleine Gestalt zurück, dem vor Anstrengung der Schweiß über das Gesicht rann. »Also gut. Jelninolan, Trogadon, ich brauche euch hier. Wir werden eine improvisierte Ernennung vornehmen.«

»Hier?«, fragte Ahren verwirrt. »Braucht das nicht einen speziellen Ort, heilige Gegenstände und all so etwas?«

»Du vergisst, dass deine Ernennung ein Spezialfall war«, brachte Falk sich mit leiser Stimme ein. »Es gab keinen Segen zu überreichen, so wie hier. Und auch keinen Widersacher, dessen Bande es zu durchtrennen galt.« Ahren schauderte bei der Erinnerung an jene Nacht in den Ruinen des alten Heims des getöteten Dreizehnten.

»Nichtsdestotrotz sollten wir so viele Punkte des Rituals wie möglich befolgen«, sagte Jelninolan, die sich behutsam von der noch immer weinenden Still-wie-ein-Teich löste. Zu Ahrens Überraschung nahm Fäuste-wie-Eisen den Platz der Elfe an der Seite seiner Frau ein und umarmte sie fürsorglich. Die von Kummer übermannte Gestalt presste sich an ihren Mann und schien dort Trost und Halt zu suchen und zu finden. Offensichtlich war Fäuste-wie-Eisen ein so guter Gefährte gewesen, wie es unter den furchtbaren Bedingungen möglich gewesen war. Ahren zuckte innerlich bei der Vorstellung zurück, dass dies ein mögliches Schicksal für ihn, Khara und Singt-im-Sattel gewesen wäre, wenn die Schamanin sich nicht zu Aimenata gewandelt hätte, um das Sehnen zu beenden. Er zwang sich dazu, sich auf das beginnende Ritual zu konzentrieren, als er spürte, wie Hakanus Hände sich von der Kugel lösen wollten und Ahren sie wieder sanft auf das Glas drückte.

»Ich weiß, dass du Angst hast und verwirrt bist, aber was nun geschieht, ist der Wille der Götter«, hörte er sich sagen. Er spürte, wie hohl diese Worte für den Jungen klingen mussten. »Tief in deinem Inneren ist etwas dabei, zu erwachen«, fügte er daher hinzu. »Erspüre es. Frage dich, ob es von diesem Licht in der Kugel fortwill oder ob es danach greifen möchte.«

Uldini nickte Ahren mit hochkonzentriertem Gesichtsausdruck zu und Jelninolan lächelte ihn anerkennend an, als Hakanus Körperspannung nachließ und der Junge beinahe neugierig in das Gleißen Flammensterns starrte, das daraufhin einen weichen, harmonischen Glanz annahm wie die milde Sonne eines herrlichen Frühlingstages. Vorsichtig nahm Ahren seine Hände von der Kugel und berührte Hakanu an der Schulter. Es kam ihm falsch vor, den Jungen mittels Zwang in Schach zu halten. Diesen ersten, wichtigen Schritt auf seiner Reise als Paladin würde der Knabe freiwillig tun müssen. Ahren bedeutete Falk, Fisker und Lanlion, in einem breiten Halbkreis hinter den Jungen zu treten, und ihm ebenfalls eine Hand auf die Schulter zu legen. »Wir sind bei dir, junger Bruder«, sagte Ahren.

»Gemeinsam, nicht allein«, intonierte Falk flüsternd.

»Gemeinsam, nicht allein«, sagten die vier Paladine daraufhin im Chor.

Ahren spürte, wie sich eine ruhende Kraft in Hakanu regte, ein schwaches Zupfen, das beinahe fragend den Segen der vier Paladine berührte. Ahren öffnete den Mund, um den Schlachtruf der Paladine auszustoßen, aber Uldini hielt ihn mit einem hastigen Kopfschütteln auf.

»Noch nicht«, sagte der Magus, der erahnt haben musste, was Ahren vorhatte. »Erst muss die Ernennung stattfinden.«

Während Ahren und die übrigen Paladine sich hinter Hakanu platziert hatten, waren Jelninolan und Trogadon neben dem Jungen in Stellung gegangen und bildeten gemeinsam mit Uldini ein grobes Dreieck um den Anwärter. Die Elfe stand dicht neben Ahren und deutete, einige Worte in Elfisch murmelnd, mit ihrem Finger auf den Boden. Ein kompliziert aussehender Zauberkreis erglomm auf dem glatten Fels.

»Das muss reichen«, murmelte sie abwesend und zog Mirilan hervor. Ahren war sich nicht sicher, ob sie den erschaffenen Kreis oder die Sturmfiedel in ihrer Hand meinte, die im folgenden Ritual Tanentan würde ersetzen müssen.

Trogadon hielt seinen Hammer auf beiden Händen vor sich ausgestreckt und sah Uldini skeptisch an. »Sollten wir die Ernennung wirklich derart übers Knie brechen?«, fragte er und sprach Ahren damit aus der Seele.

Uldini nickte entschlossen. »Der Segen Feuer-im-Blicks ist vor Ort und intakt, das ist die Hauptsache. Mirilan ist zwar offiziell kein heiliges Artefakt der Göttin, aber dennoch machtvoll genug, um in diesem Ritual seinen Zweck zu erfüllen. Und ich bezweifle, dass irgendwer nach der Ernennung Hakanus Legitimität anzweifeln wird. Bei Ahren mussten wir ganz penibel sein, um Jorath von der Wiederkehr des Dreizehnten zu überzeugen und den in ihm aufkeimenden Segen zu verankern, bevor der Widersacher ihn an sich reißen konnte.« Er sah Ahren zufrieden lächelnd an. »Mittlerweile ist der Ring um die Obsidianfeste gezogen und die Allianz der Völker hergestellt. Wichtig wird nur sein, dass es dreizehn Paladine gibt, nicht ob bei dieser einen Ernennung alle Formalitäten eingehalten wurden.«

Khara ging indessen zu Fäuste-wie-Eisen und Still-wie-ein-Teich hinüber und redete leise auf sie ein. Zögernd standen die beiden von der Bettkante auf und traten hinter Uldini, wo sie eng umschlungen dastanden und Hakanu mit tränenerfüllten Augen ermutigend zunickten. Die Schwertmeisterin ergriff Ahrens freie Hand, die dieser kräftig und dankbar drückte. So furchtbar die Umstände dieser Ernennung auch waren, wenigstens würden sie alle ihr Möglichstes tun, damit daraus eine kostbare Erinnerung für den armen Hakanu wurde.

»Sind alle so weit?«, fragte Jelninolan in die Runde und eine feierliche Stille senkte sich über den Raum. Hakanu wirkte zwar noch immer angespannt, aber mittlerweile auch konzentriert, und mehr konnten sie von dem überrumpelten Jungen wohl kaum erwarten.

Uldini räusperte sich vernehmlich. »Ich werde die Liturgie der Ernennung ein wenig kürzen«, sagte er. »Je schneller wir den Segen aus Flammenstern herausbekommen, umso besser.« Dann holte er einmal tief Luft und begann, jenen Text zu sprechen, den Ahren niemals in seinem Leben würde vergessen können. »Wir sind heute hier versammelt, um zu sehen, wie die Bürde des Paladins übergeht von Vater oder Mutter zu Tochter oder Sohn. Wir bitten die Götter, diesen Übergang zu segnen und … für das lange und glückliche Leben zu danken, das ihr verblichener Diener gelebt hat.« Ahren runzelte flüchtig die Stirn, als Uldini vom eigentlichen Wortlaut abwich, doch dann war er dem Magus dankbar, dass er Hakanu eine möglichst einfühlsame Ernennung ermöglichte. Auch Hakanus Eltern bemühten sich um ein tapferes Gesicht und Ahren drückte mitfühlend die Schulter des Knaben vor ihm. »Des Weiteren bitten wir um den Segen der Drei für ihren neuen Streiter, der nun die schwere Last auf sich nimmt, für die Schöpfung zu kämpfen und Ihn, der zwingt, aufzuhalten und vom Antlitz Joraths zu tilgen.« Hakanu versteifte sich bei diesen Worten, und wieder stieg Mitgefühl für den Jungen in Ahren auf. Als die Sonne unterging, war er noch der einfache Sohn eines Ältesten gewesen, und nun sah er sich mit einer Aufgabe konfrontiert, die größer kaum sein konnte. »Zum Zeichen, dass er würdig ist, haben sich hier die Einhan versammelt, um Fürsprache für ihn einzulegen, sowie vier Paladine, die ihn im Kreis der Ihren willkommen heißen werden«, sprach Uldini weiter. Hakanu sah sich nach links und rechts über seine Schultern um, und Ahren und seine Freunde lächelten dem eingeschüchterten Jungen aufmunternd zu. Ein wilder Stolz glomm in den Augen Hakanus auf, den Ahren mit einer milden Überraschung wahrnahm. Er erinnerte sich wieder an die Übersetzung des Namens Hakanu: Schreit-lauter-als-er-jagt. Dies war die Bezeichnung für einen unbeholfenen oder eingebildeten Jäger. Ungeschickt wirkte der junge Clansmann nicht, also musste er eingebildet oder bestenfalls selbstgefällig sein. Ahren beschlich plötzlich ein mulmiges Gefühl, während Uldini weiterredete. »Möge der Einhan der Zwerge uns mitteilen, ob er die Wahl des anwesenden Anwärters unterstützt und ihn als würdig erachtet, die Bürde eines Paladins gewissenhaft und standfest zu ertragen.«

»Der Einhan der Zwerge befindet den Anwärter für würdig.«

»Möge der Segen von Ihm, der ist, auf den Anwärter übergehen und mögen seine gesegnete Rüstung und Waffe dem Paladin gute Dienste tun«, redete Uldini weiter.

»Moment«, sagte Khara, löste ihre Hand aus der Ahrens und huschte aus dem Zelt.

Uldini unterbrach die Ernennung und ein erwartungsvolles Schweigen legte sich über das Zelt. Blicke schossen durch den Raum, als die Anwesenden stumm ihre Hoffnungen, Ängste und Wünsche miteinander teilten. Ahrens Gedanken wanderten wieder zum Naturell des nun Stolz erhobenen Hauptes dastehenden Hakanu, der wirkte, als wolle er es mit der gesamten Welt aufnehmen, nun da er begriffen hatte, was genau mit ihm geschah.

Er ist in keiner Weise bereit, sagte Ahren stumm zu Culhen und unterdrückte ein Stöhnen. Der junge Stammeskrieger drehte seinen Kopf in Ahrens Richtung und der Paladin sah ein wildes Feuer in den Augen des Knaben lodern. Der wird im Morgengrauen losziehen wollen, um ein paar Drachen mit bloßen Händen zu erwürgen, weil er sich für unverwundbar hält.

Gut, dass du laut deinen Erinnerungen und den Erzählungen Falks als frischgebackener Lehrling ganz anders warst, sagte Culhen trocken. Viel reifer und erfahrener.

Ich war zumindest demütiger, gab Ahren pikiert zurück. Hakanu wirkt, als wolle er gleich die Herrschaft über das Grüne Meer an sich reißen.

Du übertreibst, erwiderte Culhen und betrachtete den Knaben mit schief gelegtem Kopf. Ich finde ein gesundes Selbstbewusstsein ganz ansprechend.

Ahren schüttelte den Kopf. Natürlich sah sein eitler und selbstverliebter Wolf das Problem nicht. Das Tier hatte alle Mühe dabei gehabt, Ahren beizubringen, dass dieser sich nicht kleiner machen sollte, als er war. Bei Hakanu wartete eine ganz andere Herausforderung auf sie.

Der Zelteingang öffnete sich und die schwer bepackte Khara kam herein, die Brustplatte, die Arm- und Beinschienen und den Speer Feuer-im-Blicks auf den Armen. Seine Liebste hatte die Rüstung hastig blank poliert, sodass es keinen Hinweis mehr auf das düstere Schicksal ihres vorherigen Besitzers gab. Trogadon stellte seinen Hammer vor sich ab und nahm die Ausrüstung entgegen, um sie nach und nach Hakanu zu überreichen. Erleichtert sah Ahren, dass nun doch eine gewisse Demut Einzug in die Mimik des Jungen hielt, als er die Rüstung und Waffen seines gerade erst verstorbenen Vorgängers mit einer Hand entgegennahm und zu seinen Füßen ablegte. Die Brustplatte war natürlich zu groß und Ahren erkannte mit fachkundigem Blick, dass der Knabe auch für die Arm- und Beinschienen noch deutlich kräftiger werden musste, damit diese passten, aber den langen Speer nahm der Junge souverän entgegen und hielt ihn mit sicherer Hand, was auf eine gewisse Übung hindeutete. Wenigstens müssen wir mit seiner Ausbildung nicht ganz von vorne beginnen, schoss es Ahren durch den Kopf.

Indes fuhr Uldini mit der Zeremonie fort. »Möge die Einhan der Elfen uns mitteilen, ob sie die Wahl des anwesenden Anwärters unterstützt und ihn als würdig erachtet, die Bürde eines Paladins gewissenhaft und standfest zu ertragen.«

»Die Einhan der Elfen befindet den Anwärter für würdig«, sagte Jelninolan, in deren Blick Ahren die gleichen Zweifel sah, die auch er hegte. Hakanu wirkte belastbar, das musste der Paladin zugeben. Für jemanden, dessen Welt auf einen Schlag auf den Kopf gestellt worden war, schien er sehr gefasst. Aber das Feuer des Stolzes in seinem Blick, das allmählich zurückkehrte, erschien Ahren wie eine lodernde Signalflamme, die deutlich machte, dass dieser Knabe viel, sehr viel zu lernen hatte.

»Möge der Segen von Ihr, die fühlt, auf den Anwärter übergehen und möge ihr Diener ihn vor allen Gefahren seiner Reisen beschützen, ob an Leib oder Seele«, fügte Uldini hastig hinzu. Das Summen Flammensterns war wieder lauter geworden, anscheinend erlahmten die Kräfte des Alten. Als er verstummte, erinnerte sich Ahren daran, dass sie an dieser Stelle auf das Erscheinen des Vertrautentieres warteten, das sich nun offenbaren sollte. Ahren war damals bei seiner Ernennung wahnsinnig enttäuscht gewesen, als keins erschienen war. In seinen Träumen hatte sein junges Ich von einem Drachen geschwärmt, der zu ihm kam, ohne zu ahnen, dass er mit Culhen bereits das beste aller Tiere an seiner Seite hatte.

Ich hab dich auch lieb, sagte Culhen auf diesen Gedanken hin und stupste ihn sanft mit der Schnauze in den Nacken. Dann spürte Ahren, wie Culhen vor Aufregung ganz unruhig wurde. Da nähert sich ein Tier. Der Wolf war auf den Beinen und am Zelteingang, noch bevor Ahren einen Ton sagen konnte. Mit seinem Kopf schob der Wolf die Planen zur Seite, als von draußen ein zaghaftes Kratzen ertönte, und senkte dann sein Haupt gen Boden. Willkommen, kleiner Freund, sagte Culhen voller Wärme, die Ahren die Tränen in die Augen trieb. Von draußen ertönte ein Wiehern, als auch Selsena dem neuen Vertrautentier ihren Gruß mittels einer Welle der Zuneigung darbrachte, und dann machte Culhen gerade so viel Platz, dass ein tapsiges Fuchsjunges ins Innere stolpern konnte, das keine zwei Monde alt war. Das dichte Fell des Tieres leuchtete in einem warmen Rotton, lediglich sein Gesicht wurde von einem schmalen weißen Pelzkragen umrahmt. Die Augen waren rotbraun und unterschieden sich somit kaum von der restlichen Farbe des Tieres. Es tapste direkt auf den etwas unschlüssig wirkenden Hakanu zu und stieß dabei ein schwaches, hohes Krächzen aus, das entfernt an eine Mischung aus Bellen, Fiepen und Japsen erinnerte. Auf Hakanus Gesicht machte sich Enttäuschung breit, und Ahren unterdrückte ein Schmunzeln, als er sah, wie der Junge sich notgedrungen von seinen persönlichen Tagträumen verabschiedete, in denen vermutlich zumindest ein stattlicher Hanta vorgekommen war. Dann schmiegte sich der Fuchswelpe an das Bein des Jünglings, und als dieser das Tier mit einer Hand aufhob und es so zum ersten Mal berührte, biss sich Ahren auf die Lippe, um nicht vor Rührung zu weinen. Vollkommen überwältigt stand Hakanu da und schien angestrengt auf etwas zu lauschen, das nur er hören konnte.

»Lasst euch Zeit«, riet ihm Ahren leise. »Er ist noch zu jung, als dass du echte Worte verstehen könntest.« Hakanu sah ihn mit großen Augen an und Ahren deutete auf den Fuchs. »Dieser kleine Kerl wird nun dein Schild gegen alles werden, was dir im Leben widerfährt. Schütze ihn, so gut es dir möglich ist. Einen besseren Freund wirst du auf dieser Welt nie wieder finden.«

Culhen winselte leise und kehrte zu Ahren zurück. Also manchmal findest sogar du die richtigen Worte.

»Ich, als menschlicher Einhan, befinde den Anwärter für würdig, die Bürde eines Paladins gewissenhaft und standfest zu ertragen. Möge der Segen von Ihm, der formt, auf den Anwärter übergehen und seine Form feien gegen jedweden Zwang von innen oder außen«, fuhr Uldini schließlich fort und blickte sich dann unter den Paladinen um. »Wer von euch vieren will für diesen Anwärter die Verantwortung übernehmen?«, fragte er und als er sah, wie die Paladine zögerten, fügte er hinzu: »Entscheidet euch schnell, denn der Segen will endlich dahin, wo er hingehört.«

Sofort sah Ahren zu Falk hinüber, der jedoch heftig den Kopf schüttelte. »Oh nein, denk nicht einmal daran«, brummte er. »Nach meinem letzten Lehrling habe ich ein wenig Frieden und Ruhe verdient.«

Auch Lanlion schüttelte stumm den Kopf und Ahren verstand. Der Blutleere hatte genug mit sich selbst und seinem düsteren Zustand zu kämpfen und wäre kein guter Mentor. Als Ahren vielsagende Blicke mit Fisker austauschte, wurde ihm plötzlich klar, auf wen die Wahl fallen würde, denn der unstete Paladin hatte gerade erst im Grünen Meer seine innere Balance gefunden. Ahren liebte Fisker wie einen leiblichen Bruder, aber ihm den stolzen Hakanu anzuvertrauen, konnte nur in einem Fiasko enden. Ahren seufzte und spürte den stillen Rückhalt Culhens, als er schließlich sagte: »Ich übernehme diese Aufgabe.«

Er drehte sich Hakanu zu, seine Hand ruhte unverwandt auf dessen Schulter, bevor Uldini die letzten Sätze der Ernennung sprach: »Ahren aus Tiefstein, akzeptierst du diesen Anwärter als Paladin und wirst ihn alles lehren, was er wissen muss?«

Ahren atmete einmal tief durch und sah in die vor innerem Feuer sprühenden Augen des jungen Clankriegers. War er wirklich dazu bereit? Würde er all das weitergeben können, was Falk und die anderen ihn gelehrt hatten? Aus dem Augenwinkel sah er Falks ermutigendes Nicken, und da wurde ihm klar, dass er nicht alleine mit dieser Aufgabe war. »Ich akzeptiere den Anwärter als einen der Unseren«, sagte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und hielt Hakanus Blick mit dem seinen gefangen.

»Dann besiegele ich hiermit die Ernennung«, ächzte Uldini, und mit einem goldenen Aufblitzen floss das Licht binnen eines Herzschlags aus Flammenstern durch den Arm des Knaben in dessen Körper hinein. Ebenso plötzlich glomm die Kristallkugel nur noch in einem matten Schein, so als wäre selbst Flammenstern erschöpft von der vollbrachten Tat.

»Willkommen, Hakanu, als einer der dreizehn Paladine«, sagte Ahren, und Erleichterung strömte durch das Zelt wie ein warmer Sommerwind.

»PALADINIM THEOS DURALAS«, rief Ahren.

Der Göttersegen war gerettet und mit ihm ganz Jorath.

»PALADINIM THEOS DURALAS!«, antworteten die anwesenden Paladine.

Ihr Kampf gegen den Dunklen Gott konnte fortbestehen!

***

Schatten zuckte zusammen, als ihn die wilde Wut seines schlafenden Vaters überrollte. Ihre Verbindung war zu schwach, als dass er genau verstand, was den Dunklen Gott derart in Aufruhr versetzte, aber es war anzunehmen, dass die Paladine einen unerwarteten Sieg errungen hatten. Schatten grübelte darüber nach, was schiefgelaufen sein konnte, und beschloss, seine Bemühungen, einen weiteren Paladin zu töten, zu verdoppeln.

Er hatte bereits einen groben Plan und würde bald am Ziel seiner Reise eintreffen. Dann würde er einen Hinterhalt legen, dem selbst eine kleine Armee aus Paladinen nicht entkommen könnte …

2. Kapitel

Die Nachtluft schmeckte nach Rauch, Wein und gebratenem Essen, Relikte der Freudenfeuer und der Siegesfeier über den Tod des Nekromanten, der ihm wie ein ferner Traum vorkam. Überall hörte Ahren leises Wehklagen oder sah die Körper erschöpft zusammengerollter Clansleute, die sich in den Schlaf geweint hatten. Hier und da vernahm er auch den melancholischen, undeutlichen Gesang einzelner Männer und Frauen des Reitervolkes, die Trost am Grunde eines Kruges vergorener Hantamilch gesucht hatten. Der Glatte Stein war vielleicht kein Schlachtfeld voller Leichen, aber die Verwüstung, die der Geist durch die Tötung Feuer-im-Blicks angerichtet hatte, war für das geübte Auge leicht zu erkennen.

»Wir sollten sie wecken und ihnen die frohe Nachricht verkünden, dass ein neuer Paladin erwählt wurde«, sagte Ahren leise, als seine Freunde nach und nach aus dem Zelt des Ältesten traten. Fäuste-wie-Eisen und seine Familie waren im Inneren zurückgeblieben, um ihren Frieden mit den Umwälzungen zu machen, die ihr Leben in dieser Nacht heimgesucht hatten. Ahren kam nicht umhin, sich für Still-wie-ein-Teich und ihren Mann zu wünschen, dass sie von nun an einen Hauch persönlichen Glücks finden konnten, nun, da Feuer-im-Blick verschieden war. Er wusste nicht, ob eine Seelenverwandte sich neu verlieben konnte, und er war zu müde, um zu fragen. Er für seinen Teil fand, dass die beiden eine zweite Chance verdient hatten..

»Warten wir bis morgen früh«, antwortete Jelninolan auf Ahrens Vorschlag. »Die meisten der Clansleute schlafen schon oder sind emotional so ausgelaugt, dass die Neuigkeit sie überfordern könnte. Derart gute Nachrichten überbringt man am besten bei strahlendem Tageslicht und in ausgeruhtem Zustand. Sollen sie diese Nacht um ihren gefallenen Helden trauern. Umso mehr werden sie morgen Hakanu als seinen Nachfolger willkommen heißen können.«

Ahren nickte. »Aber Aimenata und Blickt-zum-Horizont informieren wir besser sofort.«

»Einverstanden«, sagte Uldini, der sich schwebend zwischen sie schob und sich suchend umsah. Der Alte war zwar schweißgebadet von den Mühen, die er auf sich genommen hatte, aber jetzt, wo die Krise abgewendet worden war, kehrte der unverwüstliche Erzmagus wieder zu seinem üblichen Wesen zurück. »Ich wundere mich sowieso, dass ich sie nirgends sehen kann«, fügte er hinzu.

»Ich weiß, wo sie sind«, sagte Khara müde. »Als ich Feuer-im-Blicks Ausrüstung holte, bereiteten sie ihn gerade für die Einäscherung vor.«

Ahren stutzte. »Jetzt schon? Noch in dieser Nacht?«

»Die Grabriten für Paladine sind beim Reitervolk einzigartig«, sagte Falk, während er sich mit einer Hand über die Augen rieb. »Das Verbrennen der Leiche ist nur eine Vorbereitung. Die Asche des Paladins ist es, die während des Begräbnisses geehrt und meist an einem besonders schönen oder heiligen Ort verstreut wird.«

»Das Grüne Meer ist weit«, gab Lanlion zu bedenken. »Dieser Brauch soll verhindern, dass der Verstorbene verwest ist, bevor man am gewählten Ort der Zeremonie angekommen ist.«