Der Vater des Berges - Torsten Weitze - E-Book

Der Vater des Berges E-Book

Torsten Weitze

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Beschreibung

Ahren und seine Gefährten sind endlich wiedervereint und habe in der Ewigen Kaiserin eine wertvolle Verbündete und einen weiteren Paladin für den Kampf gegen den Widersacher gewonnen. Doch die Reise des dreizehnten Paladins ist nicht ohne Spuren an ihm vorübergezogen. In der Hoffnung, der mysteriöse Vater des Berges kann Ahren bei seiner Genesung helfen, reisen die Freunde nach Tausend Hallen, zum Ursprung der Zwerge. Dort soll die Allianz der Völker Joraths geschlossen werden, um endlich eine gemeinsame Front gegen die noch immer wachsende Bannwolke bilden zu können. Doch Ahren und die anderen haben ihren Gegner unterschätzt, denn der dunkle Gott hat längst eine Falle für sie vorbereitet, die nur darauf wartet, zuzuschnappen.

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Torsten Weitze

Der Vater des Berges

Der 13. PaladinBand VIII

Impressum

© Torsten Weitze, Krefeld, 2020Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de

Torsten Weitze c/o LAUSCH medien

Bramfelder Str. 102a

22305 Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze

Für diejenigen, die niemals aufgeben, wie lang oder schwer der Weg auch sein mag.

Ihr seid nicht allein …

Und denkt daran:

Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte, als zum ersten Mal erlebt zu werden …

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

Epilog

1. Kapitel

Der Wind blies den feinen Nieselregen beinahe horizontal über das Land. Er peitschte durch Ahrens Haar und zerrte beharrlich an dessen Kleidung, während der junge Paladin nachdenklich in die Zentralebene hinabblickte, die sich unterhalb des Himmelspalastes über hunderte Längen gen Süden erstreckte. Hinter sich hörte Ahren das charakteristische Rasseln einer Rüstung, als sich eine jener Wachen diskret an ihm vorbeischob, die auf den Palastmauern patrouillierten und die sich im Laufe der letzten zwei Monde an den schweigsamen Mann gewöhnt hatten, der seine Tage meist vor sich hin grübelnd verbrachte. Ahren setzte seine gedankenverlorene Betrachtung der grünbraunen Landschaft fort, die jetzt, da die Ernte der vielen Felder eingeholt worden war, einen Großteil ihrer malerischen Anmut eingebüßt hatte. Die Erde erholte sich von einem mühseligen Sommer voller Wachstum und bereitete sich auf den langen, friedlichen Schlaf des Winters vor.

Ahren seufzte und fuhr sich abwesend mit den Fingern über seinen stoppeligen Bart und seine kurzen Haare, die er wieder wachsen ließ, wie um die innerlichen Narben zu verdecken, die er während der letzten Monde erlitten hatte. Er wünschte, ihm würde eine ebenso großzügige Pause gewährt werden, um sich auszuruhen, aber er wusste, dass dies nur ein müßiger Tagtraum war. Sie waren schon viel zu lange im Himmelspalast der Ewigen Kaiserin, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, tat ihm die Grübelei längst nicht mehr gut. Seit dem Herbstfest waren alle seine Gefährten in die Verhandlungen eingebunden worden, die auf den dramatischen Kampf zwischen den Doppelgängern und Quin-Wa gefolgt waren, jenes Schattenkrieges, in den Ahren und seine Gefährten vollkommen unvorbereitet und ungeplant hineingestolpert waren. Der Waldläufer ballte die Faust, ohne es zu wollen. Er durfte nicht schon wieder darüber nachdenken, aber sein widerborstiger Verstand glitt mühelos in die Vergangenheit zurück, und erneut ging Ahren den Verlauf der letzten Monde durch, von dem Moment an, als er und Khara sich aus Tiefstein fortgeschlichen hatten, über ihre Reise durch das Ewige Reich in der Rolle von Herrin und Diener bis zu dem Moment, als sie getrennt worden waren. Seine Hand begann zu zittern, trotz der festen Faust, zu der er sie geballt hatte. Er war in einer der Kampfarenen des Landes gestrandet, während Khara sich aufgemacht hatte, eine Schwertmeisterin zu werden und genug Einfluss zu erlangen, um ihn freizubekommen. Damals hatte Ahren gedacht, die Zeit in den dunklen Zellen, nur unterbrochen von erzwungenem Blutvergießen, wäre die düsterste Phase seines Lebens gewesen. Wie sehr er sich geirrt hatte. Ahren hieb seine zitternde Hand auf den rauen Stein der Palastmauer, als die Bilder in seinem Kopf unerträglich wurden. Er war als Nachtsoldat der Arena entronnen, einer jener geisterhaften Mörder geworden, die Quin-Wa aussandte, um unglückselige Seelen zu töten, die in dem perfiden Spiel um die Kontrolle des Ewigen Reiches sterben mussten, da sie in die Ränke der ebenso trickreichen Doppler geraten waren. Durch Drogen betäubt und gewaltsam indoktriniert hatte Ahrens Verstand sich in die Tarnidentität Meng-Uns geflüchtet, die ein düsteres Eigenleben entwickelt und vollständig die Kontrolle über Ahrens Geist übernommen hatte. Wären Khara und seine Freunde nicht gewesen, hätte Ahren wahrscheinlich nie das geistige Joch abgeschüttelt, das Meng-Un ihm auferlegt hatte, und wäre eine willenlose Tötungsmaschine geblieben, die sich nicht an ihre Aufgabe als Paladin erinnert hätte.

Ein vertrautes Zupfen in seinem Verstand ließ Ahren gequält lächeln und schuldbewusst kämpfte er sich aus seinen ungebetenen Erinnerungen zurück ins Hier und Jetzt.

Du hast mir versprochen, dieses Herumgegrübel sein zu lassen, beschwerte sich Culhen in strengem Ton, während der treue Wolf sein linkes Auge einen Spalt öffnete und ihn vorwurfsvoll ansah. Sein Freund gähnte herzhaft und entrollte sich weit genug, um sich zu erheben. Aus dem bisher schlafend daliegenden Fellhaufen an Ahrens Seite wurde ein massiger, beinahe zwei Schritt hoher Wolf, dessen weißes Fell selbst im trüben Licht des regnerischen Tages noch prachtvoll aussah. Ich kann dich wirklich keinen Herzschlag aus den Augen lassen, setzte Culhen seine Schelte fort. Dabei sandte er Ahren das Bild eines verletzten Welpen, der immer wieder an der Kruste einer Wunde herumknabberte, anstatt sie heilen zu lassen, bis ein großer, ungemein majestätischer Wolf das Jungtier davon abbrachte.

Ahren verspürte einen Anflug von Schuld. Culhen wachte jede Nacht über seinen Schlaf, um sicherzugehen, dass Ahrens Bewusstsein nicht durch seine Albträume wieder in die Fänge von Meng-Un geriet. Die Elfenpriesterin Jelninolan hatte zwar ausgeschlossen, dass auch nur ein geringer Rest Meng-Uns in den tiefsten Winkeln von Ahrens Verstand überlebt hatte, aber der junge Paladin traute sich selbst nicht über den Weg, und so kam Culhen seit Wochen geduldig der stummen Bitte seines Freundes nach und hielt Nacht für Nacht über ihn Wache.

Culhen gähnte ausgiebig und setzte sich neben Ahren auf seine Hinterläufe, während er mit würdevollem Blick auf das windumtoste Land hinabspähte. Wenn du schon den Einsiedler spielst und allen anderen die Entscheidungen und den Ruhm überlässt, dann nutze die Zeit zumindest, um dich auszuruhen und zu dir selbst zu finden.

Sein eitler Wolf konnte oder wollte nicht verstehen, warum Ahren sich nach den Ereignissen der letzten Monde für einen Weg der Passivität entschieden hatte. Der junge Paladin überließ seinen Gefährten alle wichtigen Entscheidungen und erfüllte klaglos jede Pflicht, die sie ihm auftrugen – aber mehr auch nicht. Zu schwer lasteten die Fehlentscheidungen auf ihm, die ihn seiner Meinung nach erst in die Kampfarena und dann zu den Nachtsoldaten verschlagen hatten und die beinahe im Tod Uldinis und dem Sieg der Doppler über Quin-Wa gegipfelt hätten.

Du konntest nicht voraussehen, wie sich alles entwickeln würde, reagierte Culhen gereizt auf Ahrens Gedanken.

Lass gut sein, erwiderte der Waldläufer matt. Sie hatten diese Diskussion schon Dutzende Male durchgespielt und jeder verharrte auf seinem Standpunkt. Weder Culhen noch einer der anderen hatte Ahrens Meinung ändern können, nicht einmal seiner Liebsten, Khara, war es gelungen, seinen Entschluss ins Wanken zu bringen. Sollten andere führen und die Last der Verantwortung tragen. Ahren würde ihnen folgen und das tun, was die Götter für ihn vorgesehen hatten: Ihn, der zwingt, vom Antlitz Joraths zu tilgen.

Culhen schnaubte unwillig, ein Laut, der mehrere Höflinge in den Gassen hinter ihnen zusammenzucken ließ. Es ist schon später Mittag. Lass uns wenigstens in den Thronsaal gehen, bat der Wolf mürrisch. Quin-Wa will eine weitere Proklamation verlesen, und du sollest dabei sein, damit alle sehen, dass der Dreizehnte ihre neuen Gesetze unterstützt.

Ahren rollte mit den Augen. Dafür hat sie doch sonst nie Hilfe gebraucht. Er wollte einfach nur seine Ruhe haben.

Culhen wuffte ungeduldig. Wir wollten, dass sie das Ewige Reich reformiert. Also sollten wir sie auch dabei unterstützen, wenn sie im wöchentlichen Takt jahrhundertealte Traditionen abschafft. Der Tadel in seinem Tonfall ließ den Wolf so sehr wie Ahrens ehemaligen Meister Falk klingen, dass jeglicher Widerstand des Paladins in sich zusammenbrach.

Wenn ich gebraucht werde, bin ich natürlich da, sagte er pflichtschuldig und fügte sich.

Ahren spürte eine tiefe Traurigkeit in den Gedanken des Wolfes, als dieser den zahnlosen Gehorsam seines Freundes zur Kenntnis nahm. Dann lass uns gehen, sagte Culhen spröde. DerWind treibt den Niesel in mein Fell.

Ahren blickte ein letztes Mal auf das herbstliche Land jenseits der Mauer hinab. Dann wandte er sich ab und stieg von der Mauer, um ein weiteres Mal den Dreizehnten Paladin zu spielen.

Ungläubiges Gemurmel erfüllte die riesige Halle mit den mächtigen Säulen, in der Quin-Wa auf ihrem Jadethron residierte und gerade mit tragender Stimme eine ganze Litanei von Gesetzesänderungen von einer vor ihr schwebenden Schriftrolle vorlas. Ahrens Blick schwenkte zur frisch renovierten Decke, in der vor einigen Wochen noch ein klaffendes Loch von ihrem verzweifelten Kampf gegen die Doppelgänger gekündet hatte. Dann glitt er zurück zu der majestätischen Gestalt auf dem neuen Thron aus glänzender Jade, dessen unverbrauchtes Grün jeden Betrachter daran erinnerte, dass der ursprüngliche Thron während jenes Kampfes ebenfalls zerstört worden war. Quin-Wa trug ihre übliche rote Robe mit elfisch anmutenden Goldstickereien. Ihr Klingenstab ruhte aufgerichtet in ihrer rechten Hand, während ihre linke auf dem Kopf der großen Tigerin Muai lag, die alle Anwesenden aus halb geschlossenen, trügerisch trägen Augen musterte.

»Abgaben an den Thron erfolgen vom heutigen Tage an allein gemessen am Vermögen der betreffenden Familie. Die Höhe der persönlichen Ehre wird reichen Häusern fortan keinen Vorteil mehr verschaffen«, proklamierte Quin-Wa, und die Höflinge des Himmelspalastes schienen ihren Ohren kaum trauen zu wollen.

Ahren spürte die nervöse Energie, die in der Luft lag wie ein regenschwangerer Wind, der einen kommenden Sturm ankündigte. Yanju, die ehemalige Anführerin des Widerstands, früher bekannt als der Eiserne Ring, stand hingegen zufrieden nickend neben Quin-Wa und wirkte in ihrer schwarzen Beamtenrobe äußerst staatsmännisch.

»Sie prescht zu schnell voran«, hörte Ahren die vertraute Stimme Uldinis und sein Blick schwenkte in die Richtung der kleinen Gestalt, die gut zwanzig Schritt vom Thron entfernt hinter einer Säule stand und das Geschehen zusammen mit Ahrens anderen Gefährten verfolgte. Der Meistermagus runzelte in einer Mischung aus höchster Konzentration und Sorge die Stirn seines kindlichen Gesichts, was Ahrens Mundwinkel für einen halben Atemzug in die Höhe schnellen ließen. Der Anführer der Alten, jener Zauberkundigen, die das Geheimnis der Alterslosigkeit für sich entdeckt hatten, steckte im Körper eines vielleicht neun Winter alten, dunkelhäutigen Knaben fest, und wenn er sich so ärgerte wie jetzt, ohne dabei auf seine Ausstrahlung zu achten, wirkte Uldini wie ein verzogenes Gör in einer schwarzen Robe.

Falk, Ahrens ehemaliger Meister, erblickte den jungen Paladin und winkte ihn zu sich heran. »Bist ja doch noch gekommen, Junge«, brummte der alte Mann leise mit seiner volltönenden Stimme, als Ahren sich neben ihm aufbaute. »Auch wenn du dich ruhig etwas hättest herausputzen können«, tadelte er Ahren und zupfte dabei vielsagend an seinem eigenen – übertrieben wallenden – weißen Umhang über der Tiefenstahlrüstung herum, in der Falk wie eben jene Sagengestalt aus alten Tagen aussah, der der Paladin nun mal war, und die hervorragend jenen alten Knurrhahn verbarg, als den Ahren seinen Mentor kannte und liebte. »Wenn ich so rausgeputzt herumlaufen muss, dann gilt das gefälligst auch für dich.« Seine grauen Augen wurden bei diesen Worten zu schmalen Schlitzen, durch die er Ahren kritisch musterte, so wie er es in den letzten zwei Monden häufig tat.

Ahren nickte und hätte beinahe ein »Ja, Meister« ausgestoßen, das er sich nur mühsam verkniff. Zusammen mit seiner überbordenden Grübelei und Passivität war sein Selbstverständnis als Paladin arg ins Wanken geraten und er fühlte sich heute mehr wie ein Jüngling als vor zwei Wintern. Es schien, als wären alle Komplexe und schlechten Angewohnheiten, die der junge Ahren in seiner Zeit als Sohn eines Trinkers verinnerlicht hatte, wieder an die Oberfläche seines Verstandes gespült worden.

»Wenigstens ist er noch gekommen«, sagte Jelninolan mit jenem fürsorglichen, mütterlichen Unterton in der Stimme, der Ahren die Schamesröte ins Gesicht trieb, was ihn noch mehr verunsicherte. Auf diese Weise hatte die Priesterin der Elfengöttin Sie, die fühlt, ihn immer in Schutz genommen, als er noch ein frisch ernannter Paladin gewesen war.

»Könnt ihr alle still sein«, sagte Uldini gereizt. »Ich will das hören.«

»… soll jedem Verurteilten freigestellt werden, ob er sein Glück in den Kampfarenen des Reiches versuchen möchte, in der Hoffnung, einen ehrenhaften Neuanfang zu erlangen, oder ob er seine Strafe lieber in den Minen und Steinbrüchen des Reiches verbüßen will«, schloss Quin-Wa ihre heutigen Gesetzesänderungen ab und ließ die Schriftrolle in die Hände der äußerst selbstzufrieden dreinblickenden Yanju gleiten.

Ein leiser Tumult setzte unter den anwesenden Höflingen ein, kaum dass ihre Kaiserin zu Ende gesprochen hatte, und mit einem Grollen erhob sich Muai, die ihre achatfarbenen Augen über die Menge schweifen ließ, so als würde sich die Tigerin diejenigen merken, die gerade am lautesten ihren Unglauben zum Ausdruck brachten. Sofort ließ das Gemurmel nach und Quin-Wa stieg von ihrem Thron herab, ohne mit einer Regung zu erkennen zu geben, dass ihr sonst so disziplinierter Hofstaat kurz vor einer offenen Revolte stand. Muai hingegen fixierte weiter die Menge, während ihr Grollen lauter und bedrohlicher wurde und die Dutzende Schritt lange Halle komplett auszufüllen schien, bis auch das letzte geflüsterte Widerwort verstummt war.

Angeberin, hörte Ahren die schmollende Stimme Culhens in seinen Gedanken und musste ein Grinsen unterdrücken. Der Wolf und die Tigerin standen auf keinem guten Fuß zueinander, und dass das elegante Tier praktisch neben Quin-Wa auf dem Thron des Ewigen Reiches saß, während sein eigener Paladin sich für ein Schattendasein als Lakai entschieden hatte, machte Culhens Laune nicht besser.

Ich kann deine Meinung, die du über mich hast, spüren, das weißt du, oder?, fragte Ahren verstimmt, aber Culhen antwortete ihm nicht, sondern fixierte die langsam und elegant zu Quin-Wa herabsteigende Muai, welche sich neben ihrer Herrin einreihte, die zu Ahren und den anderen herüberkam.

»Die neuen Gesetze sind im Großen und Ganzen doch recht gut aufgenommen worden, oder nicht«, sagte die Herrscherin mit einem kühlen Lächeln auf ihrem makellosen, leicht asketisch wirkenden Gesicht mit den grünen Augen und dem zu einem Knoten fixierten schwarzen Haar. Ihre Aura der Machtausübung war geradezu greifbar, und Ahren fühlte sich derart klein und unbedeutend in ihrer Gegenwart, dass er dem Impuls, sich hinter Falk zu verstecken, nur widerstand, weil Culhen ihn warnend anknurrte.

Was ist denn nur los mit dir?, beschwerte sich der Wolf gereizt in Ahrens Gedanken, aber dieser hob nur die Schultern und hätte sich beinahe bei dem Tier entschuldigt. Er wusste nicht, was er Culhen sagen sollte.

»Vielleicht warst du in einem anderen Thronsaal als ich«, erwiderte Uldini in beißendem Ton. »Ich kann praktisch schon die Pechfackeln und Heugabeln sehen, mit denen dich der Mob aus der Stadt jagt. Keinem der Höflinge schien gefallen zu haben, was du gerade vorgetragen hast. Und das war mitnichten die einzige Kröte, die sie in den letzten Wochen zu schlucken hatten. Denkst du nicht, du reformierst das Ewige Reich etwas zu schnell?«

Quin-Wa zuckte nur gelassen mit den Achseln. Wenn sie beunruhigt war, verbarg sie es gut. Widerwillige Bewunderung machte sich in Ahren breit. Jahrelang hatte er in der Ewigen Kaiserin eine Art Feindbild gesehen, die Verkörperung eines durch die Macht des Herrschens korrumpierten Paladins, doch dieser Eindruck war unter den Offenbarungen zusammengebrochen, die ihm und seinen Gefährten im privaten Domizil Quin-Was tief unter den Steinen des Thronsaals gewährt worden waren. Die tückischen Doppelgänger, oberste Diener des Dunklen Gottes, der momentan in der stetig wachsenden Bannwolke lauerte, hatten Quin-Wa jahrhundertelang belagert, um sie und ihr Königreich zu Fall zu bringen, welches der weibliche Paladin aus dem einzigen Grund erschaffen hatte, um mit dessen Armeen gegen Ihn, der zwingt, zu Felde zu ziehen, sobald er in seinem düsteren Gefängnis erwachte. Sie hatte sogar das Kunststück fertiggebracht, einen ganzen Stammbaum an Nachfahren ihrer Paladinlinie vor der Welt zu verbergen, welche jedoch schlussendlich den Ränken der Doppelgänger zum Opfer gefallen waren. Jeder Paladin hatte geliebte Menschen an den Dunklen Gott verloren, aber Quin-Was persönliche Verluste gingen in die Hunderte. Dass sie sich trotz alledem noch aufrecht hielt, trotzte Ahren eine massive Bewunderung ab, die ihn sich selbst noch unwürdiger fühlen ließ. Ihm war von allen Paladinen, die er kannte, noch am wenigsten Übles widerfahren und trotzdem brach ihm derzeit der Angstschweiß aus, wenn er entscheiden sollte, was er zum Frühstück essen wollte. Sein ungestümer Versuch, die abgeschottet lebende Quin-Wa zu erreichen, hatte ihren Feinden ungewollt Tür und Tor geöffnet und sie beinahe alles gekostet, was sie sich erarbeitet hatte. Ahren seufzte. Wenigstens hatten ihre jüngsten Abenteuer nicht nur die Doppelgänger dezimiert, sondern Quin-Wa etwas geschenkt, was sie sicher nicht erwartet hätte. Denn nicht alle ihre Nachkommen waren den Intrigen der Doppler erlegen, es hatte eine Überlebende gegeben, und die war ausgerechnet …

»Wo ist eigentlich Khara?«, fragte Ahren verwundert in die Runde, als der Gedanke an seine Liebste ihr Fehlen offenbarte.

»Wir hatten einen Disput«, sagte Quin-Wa und runzelte die Stirn.

»Habt ihr nicht ständig Streit?«, fragte Trogadon grinsend und hakte seine Daumen in den breiten Gürtel, der sein Kettenhemd fixierte. Der breitschultrige Zwerg sprach mit der Ewigen Kaiserin seit dem zweiten Tag ihrer Begegnung ebenso jovial wie mit einem Bauernmädchen und keine Drohung Muais vermochte etwas daran zu ändern.

Quin-Wa deutete beinahe gedankenverloren auf den geflochtenen Bart des Zwerges, der daraufhin ein sich windendes Eigenleben entwickelte und nach drei Herzschlägen über ein Dutzend Knoten aufwies, die äußerst fest wirkten.

»Das … war nicht nett«, sagte Trogadon, der bestürzt auf seine Haarpracht hinabstarrte und keuchend aus dem Thronsaal eilte.

»Er soll froh sein, dass ich gerade guter Stimmung bin«, sagte Quin-Wa eisig. »Du«, befahl sie und deutete auf Ahren. »Such deine Freundin und bringe sie zur Vernunft. In einer Woche ist ihr großer Auftritt und bis dahin muss sie ihren Teil unserer Vereinbarung einhalten.«

Ahren blinzelte und ein kalter Schauer der Vorahnung lief ihm über den Rücken. »Welche Vereinbarung?«, fragte er kleinlaut.

Keiner der Anwesenden antwortete ihm. Stattdessen blickten sich alle vielsagend an, und Ahrens Verunsicherung wuchs.

»Das sollte sie dir vielleicht selbst sagen«, stieß Jelninolan schließlich drucksend hervor.

Ahren drehte sich ohne ein weiteres Wort um und bahnte sich seinen Weg durch die respektvoll zurückweichenden Höflinge, Culhen im Schlepptau, der sich diebisch freute, dass es offenkundig doch etwas gab, das Ahrens Passivität durchbrechen konnte.

Zutiefst beunruhigt streifte Ahren zwischen den prunkvoll aufragenden Regierungsgebäuden durch die breiten Gassen des Himmelspalasts. Marmor und Jade bestimmten das Bild, so weit er nur blicken konnte, beides in höchster Kunstfertigkeit bearbeitet. Die an ihm vorbeieilenden Höflinge wirkten in ihren Roben prunkvoll und einschüchternd auf ihn, obwohl sie ihm alle höflich und mit einer tiefen Verbeugung Platz machten, sobald sie seiner gewahr wurden. Quin-Wa hatte ihren Status als Paladin jahrhundertelang als ihr Recht auf Macht genutzt und so war im Ewigen Reich jeder Streiter der Götter eine Person obersten Ranges geworden, seit Quin-Wa die Verbannung der anderen Paladine aufgehoben hatte. Ahren schüttelte den Kopf. Vom Paria zur Sagengestalt mit nur einer einzigen Proklamation. Gab es irgendetwas, das Quin-Wa ihrem Volk nicht abverlangen konnte?

Hoffen wir, dass wir das niemals herausfinden müssen, gab Culhen zum Besten, der majestätisch neben Ahren hertrabte und die Verbeugungen sichtlich genoss.

Du klingst wie Uldini, erwiderte Ahren grinsend, was Culhen ein unwilliges Schnauben entlockte.

Ihre Rolle als Alpha ist stark, aber kein Rudel wird klaglos ein Übermaß an Forderungen hinnehmen, orakelte sein bepelzter Freund und sandte Ahren das Bild eines stattlichen Wolfes, der von einer Gruppe Artgenossen davongejagt wurde.

»Wir müssen endlich aufbrechen«, murmelte Ahren leise. »Dann hat Quin-Was Volk Zeit, sich zu beruhigen, und wir können endlich den Frieden zwischen dem Ewigen Reich und den Sonnenebenen besiegeln.«

Culhen stieß ein leises Jaulen aus. Da hast du recht. Die Berichte von der Front sind alles andere als ermutigend. Wir brauchen endlich die Zwerge an unserer Seite.

Ein Stich schlechten Gewissens durchzuckte Ahren, als ihm klar wurde, dass er seit über vier Wochen keinen Kriegsbericht mehr gelesen hatte. Die Zahlen über die Verluste an Menschen und Elfen hatten ihn zu sehr erschüttert.

Sie fanden Khara genau dort, wo Ahren sie vermutet hatte: in der kaiserlichen Übungshalle, die eigentlich Quin-Was persönlichem Training vorbehalten war. Die Ewige Kaiserin hatte Khara und den übrigen Gefährten Einlass gewährt, sodass für gewöhnlich zu jeder Tageszeit einer von ihnen hier anzutreffen war. Ahren blieb leise im Torbogen stehen, der die zwanzig Schritt durchmessende und acht Schritt hohe Halle vom restlichen Gebäude trennte. Einlegearbeiten aus Jade zierten auch hier die marmorne Decke, aber der Rest des Raumes wirkte schlicht und funktionell. In einer Ecke waren die verschiedensten Waffen auf ebenhölzernen Halterungen platziert worden und der Boden und die Wände waren mit dicken, federnden Bambusstangen ausgelegt, die einen Aufprall abschwächten, damit man sich nicht verletzte. Letzteres wusste Ahren aus eigener Erfahrung, denn je weiter sein Selbstvertrauen in sich zusammenfiel, umso häufiger schickte Khara ihn bei ihren mittlerweile spärlichen gemeinsamen Übungsstunden auf den Boden.

Es wunderte Ahren nicht, Khara hier bei ihren Übungen anzutreffen. Das Schwerttraining war ihre Art, nach Streitereien zur Ruhe zu kommen. Seine Liebste glitt gerade durch verschiedene Angriffstechniken, in jeder Hand eine Waffe, welche gemeinsam einen harmonischen Klingenwirbel erzeugten. Sie trug ein weißes, weit wallendes Gewand aus Seide, die schwarzen schimmernden Haare mit ihrer Meisternadel zu einem Knoten auf dem Kopf fixiert, aus dem sich nur einige Strähnen gelöst hatten und in ihr wunderschönes Gesicht mit den dunklen Augen und der kecken Nase fielen. Für Ahren verkörperte Khara all das, was er gerade nicht besaß: Entschlossenheit, Willenskraft und Anmut.

Culhen schnaubte bei diesem Gedanken unmutig, und blitzschnell wirbelte Khara alarmiert zu ihnen herum. Ihre Augen wurden schmal, als sie Ahren im Türrahmen erblickte, der sich unwillkürlich klein machte.

»Du kannst ruhig hereinkommen, das weißt du, oder?«, fragte sie in ruhigem Ton, der nur eine sanfte Spur Tadel enthielt. Khara hatte neben Culhen am meisten an Ahrens aktueller Gemütsverfassung auszusetzen und forderte ihn bei jeder Gelegenheit dazu auf, sich endlich aus seinem Schneckenhaus zu befreien. So wie er von ihr verlangt hatte, die tückische Gefühlskälte der Leere hinter sich zu lassen, in der Khara vor wenigen Monden festgesteckt hatte, so sehr drängte sie nun darauf, dass er sich von den Geistern der Vergangenheit befreite. Und genauso wie Ahren damals, ging sie immer mehr auf Distanz zu ihm, je länger sein Zustand andauerte. Dass sie all dies bereits mit vertauschten Rollen durchlebt hatten, machte die Situation nicht einfacher.

Das Schweigen zwischen ihnen nahm eine fast greifbare Qualität an, und erst als Culhen in den Raum sprang und Khara überraschend seine schlabberige Zunge durch das Gesicht zog, brach der Bann unter dem melodischen Lachen der Schwertmeisterin in sich zusammen.

Gern geschehen, sagte Culhen möglichst würdevoll und genoss dabei Kharas Hände, die ihm Hals und Nacken kraulten.

Ahren war seinem Wolf überaus dankbar für dessen Eingreifen und schalt sich daraufhin selbst dafür, dass er trotz eines so treuen Freundes, der sogar seine Gedanken und Gefühle teilte, nicht besser mit seinen Erlebnissen im Ewigen Reich fertig wurde.

»Wolltest du etwas Bestimmtes oder mir nur vom Türrahmen aus zusehen?«, fragte Khara, da Ahren sich noch immer nicht bewegt oder ein Wort gesagt hatte.

Er lief rot an und wusste nicht so recht, wie er beginnen sollte. »Wir waren bei Quin-Was letzter Proklamation zugegen«, begann er ungelenk, und Kharas gelassener Gesichtsausdruck bröckelte bei seinen Worten. Ihre Ausbildung zur Schwertmeisterin auf dem Hügel der fünf Wasser hatte ihr einen bemerkenswerten inneren Frieden beschert, aber die Ewige Kaiserin schien diesen mühelos durchdringen zu können. »Sie erwähnte etwas von einer Vereinbarung, die ihr getroffen habt?«

Khara runzelte die Stirn und nickte. »Das ist richtig. Auch wenn ich diese nicht eingegangen wäre, wenn ich gewusst hätte, dass sie die Arenen nicht schließt und bis auf ihre Grundmauern abschleift.« Ahrens Liebste war in einer der Kampfarenen des Reiches geboren und aufgewachsen, ein Ergebnis jener Intrigen der Doppler, die nach und nach alle geheimen Nachkommen der Ewigen Kaiserin ausgelöscht hatten. Nur der Tatsache, dass Kharas Geburt nirgendwo dokumentiert worden war, hatte sie ihr Überleben vor den mörderischen Absichten der Diener des Dunklen Gottes zu verdanken – und natürlich ihrem Durchhaltevermögen und Kampfgeschick, mittels derer sie ihre Zeit in der Arena überlebt hatte. Dass die Arenen geschlossen wurden, war eine der Triebfedern für Khara gewesen, überhaupt mit der Ewigen Kaiserin zu reden, in der die Schwertmeisterin ihr ganzes bisheriges Leben einen Feind gesehen hatte, den es zu bekämpfen galt.

Ahren knetete unbewusst seine Hände, bis Kharas Blick ihn von der nervösen Geste abhielt. »Wenigstens haben die Verurteilten nun die Wahl, ob sie in der Arena kämpfen wollen oder nicht«, sagte er beschwichtigend. Mit einigem Erschrecken stellte er fest, dass er in seinem jetzigen mentalen Zustand den Steinbruch oder die Minen vorgezogen hätte.

Khara schüttelte mit einem angewiderten Gesichtsausdruck den Kopf. »Eine schöne Wahl, vor allem für jemanden, der zu schwach oder zu alt ist, um zu kämpfen«, sagte sie bitter.

Ahren scharrte unruhig mit den Füßen. »Die Anzahl der Verurteilungen sollte ja ohnehin zurückgehen, jetzt, da der Eiserne Ring aufgelöst wurde und die Doppler keine Intrigen mehr spinnen können.« Uldini und Jelninolan hatten Quin-Wa dabei geholfen, ihr Zaubernetz zu perfektionieren, das das gesamte Ewige Reich mittels der verzauberten Kaiserbäume durchzog, die in jeder Ansiedlung standen. Nun konnte kein Doppler mehr das Reich betreten, ohne dass Quin-Wa davon erfuhr, ob dieser sich nun mittels geschickter Zauberbänne tarnte oder nicht. Zwar schätzte Uldini, dass nach dem Kampf unter dem Himmelspalast nur noch eine Handvoll dieser Wesen auf ganz Jorath übrig waren, aber leider ging der Magus ebenso davon aus, dass dies die tückischsten und mächtigsten ihrer Art waren.

Khara wirkte ein wenig besänftigt von seinem Argument, und Ahren atmete erleichtert auf. Er hasste es, mit ihr zu streiten, denn früher oder später versagten momentan seine Nerven in jeder Diskussion. »Verrätst du mir, welche Vereinbarung du mit Quin-Wa getroffen hast?«, fragte er fast schüchtern.

Kharas Augen fixierten die seinen mit einem derart harten Blick, dass er das Gefühl hatte zu schrumpfen. »Auf einmal interessiert dich wieder die Welt außerhalb deines Kopfes? Ich habe dieses Abkommen vor Wochen getroffen und doch fragst du erst jetzt danach.«

Ahren suchte nach einer Antwort, aber wie in den letzten zwei Monden zuvor entglitten ihm die passenden Worte, wenn seine Verunsicherung zunahm. Er wusste nicht so recht, was er tun sollte, und diesmal konnte ihm auch Culhen nicht helfen. Der Wolf setzte sich auf seine Hinterbeine und stieß ein leises Winseln aus, während Ahren die Ratlosigkeit und das Mitleid des großen Tieres spürte.

Khara betrachtete ihn noch einen Moment, dann schloss sie ergeben die Augen und seufzte leise. »Hab Geduld«, wisperte sie, und erst dachte Ahren, sie meinte ihn, bis er realisierte, dass Khara sich selbst ermahnte. Als die Schwertmeisterin wieder die Augen öffnete, waren ihre Gesichtszüge gelassen und ihr Blick liebevoll. »Ich schlage dir einen Handel vor«, sagte sie ruhig. »Ich erzähle dir, was ich mit Quin-Wa besprochen habe, wenn du dich noch einmal von Jelninolan untersuchen lässt.« Sie kraulte Culhen kräftig unter dem Kinn, was diesen vor Wonne aufbrummen ließ. »Es gibt eine elfische Zaubertechnik, die sie ausprobieren möchte, um dir wieder auf die Beine zu helfen.«

Widerstand regte sich in Ahren und er schob störrisch das Kinn vor. »Sie hat schon sechs verschiedene Zauber an mir ausprobiert und auch Uldini hat mich genau unter die Lupe genommen«, verteidigte er sich mit einer Vehemenz, wie er sie seit Wochen nicht hatte aufbringen können. »Beide haben mir gesagt, ich sei gesund. Das Traumblatt ist aus meinem Körper verschwunden und auch von … ihm … ist nichts mehr in meinem Verstand. Culhen und ich waren damals sehr gründlich.« Er verschränkte die Arme vor dem Körper und blickte an ihr vorbei in die Halle hinein. »Alles, was ich will und brauche, ist ein bisschen Ruhe und Frieden.« Seine Stimme wurde immer leiser. »Und die Möglichkeit, meine Taten zu vergessen.«

Khara stieß explosionsartig ihren Atem aus. »Ihr Götter! Merkst du nicht, dass Ruhe und Frieden dir offensichtlich nicht helfen?« Sie fing sich nach diesem Ausbruch umgehend wieder und zog ihre Waffen. »Ein neuer Vorschlag«, sagte sie mit einem Glitzern in den Augen. »Wenn du nur einen einzigen Treffer bei mir landest, weiß ich zumindest, dass du dich in deinem jetzigen Zustand verteidigen kannst. Dann gebe ich für den Moment Ruhe und sage dir alles, was du willst.«

Ahren zögerte und spürte, wie sich der Schweiß auf seiner Stirn sammelte. Die Angst, erneut gegen Khara zu verlieren, lähmte seine Glieder. Und noch schlimmer: Was, wenn er einen Glückstreffer landete und ihr wehtat? Sie vielleicht sogar verletzte? Sie unter Umständen verblutete …

Culhens Heulen drang durch seine düsteren Gedanken und riss ihn aus der Abwärtsspirale immer schlimmer werdender Visionen persönlichen Versagens.

Khara sah erst den Wolf und dann Ahren überrascht an. Ihr dämmerte, dass Ahren nicht einmal einen Fuß in die Übungshalle setzen würde.

»Ich suche Jelninolan«, sagte Ahren tonlos, der nach diesem neuen Tiefpunkt erkannte, was die anderen schon seit Wochen sahen: Er löste sich auf, wurde zu einem Geist aus Ängsten und Nöten.

Culhen sprang bei diesen Worten neben ihn, der Schwanz wedelte aufgeregt hin und her. Endlich, sagte er nur.

»Ich begleite dich«, sagte Khara und nahm ihn fest in den Arm. »Wenn ich den Weg aus der Leere finden konnte, dann wirst auch du überwinden, was immer dich plagt.«

Culhen zu seiner Rechten, Khara zu seiner Linken wandte sich Ahren dem Hauptpalast zu, wo seine Gefährten in den letzten zwei Monden gemeinsam mit Quin-Wa versuchten, das Ewige Reich auf den Krieg an der Bannwolke vorzubereiten. Ahren hatte sich in seinem eigenen Kopf verlaufen und war voller Dankbarkeit, dass er treue Freunde hatte, die ihm dabei helfen wollten, den Weg zu alter Stärke zurückzufinden.

Die Dämmerung setzte bereits ein, als Jelninolan mit ihren Vorbereitungen fertig war. Ein Blick auf Ahren hatte der Elfe genügt, um zu erkennen, warum er gekommen war, und sie hatte ihn und die beiden anderen zu dem zentralen Platz des Himmelspalastes geführt, an dem der ursprüngliche Kaiserbaum stand, jener Kirschbaum, den Quin-Wa bei der Gründung ihres Reiches gepflanzt hatte und der als Ankerpunkt ihres Zaubernetzes fungierte, mit dem sie auf magische Weise die Vorkommnisse in ihrem Reich überwachte. Eine überirdische Ruhe lag zu jeder Tages- und Nachtzeit auf diesem von einer Mauer umringten Platz, den Ahren mehr als einmal aus der Ferne bewundert hatte. Niemandem, außer Quin-Wa, war der Zutritt gestattet, aber als Jelninolan sich den Palastwachen in ihrer schweren, jadeverzierten Rüstung näherte, machten diese mit einer kleinen Verbeugung Platz. Ahren runzelte verwirrt die Stirn. Was hatte er in der Zeit seines selbstgewählten Exils nur alles verpasst?

Sie betraten den mit einem Mosaik aus tausenden und abertausenden Marmorsteinen verzierten Boden des Platzes, das in verblüffendem Detail Szenen von der Erschaffung des Ewigen Reiches zeigte. Ahren sah ein Motiv, wie Quin-Wa weinend und niedergeschlagen auf eine von Krieg und Banditen zerrissene Ebene hinabstarrte und dann viele weitere, auf denen sie kämpfte, verhandelte und erbaute. Die meisten Personen und Orte auf den Motiven sagten Ahren nichts, aber er erkannte den fertiggestellten Himmelspalast auf einem Mosaik, und eine düstere Stadt in Flammen, umgeben von steilen Klippen, auf einem weiteren. Das musste Gol-Konar sein, die Stadt der Schurken im Norden, die zu Zeiten der Gründung des Reiches das Umland terrorisiert und einem Geschwür gleich die Jahrhunderte überdauert hatte und noch immer existierte, egal, wie oft sie auch niedergebrannt worden war. Auf dem letzten Mosaik sah man Quin-Wa, wie sie den Jadethron bestieg und auf ein riesiges, friedliches Reich hinablächelte, das im Sonnenschein dalag.

Ob sie dieses Kunstwerk erschaffen ließ, bevor sie ahnte, dass die Doppler ihr Reich über Jahrhunderte hinweg belagern würden?, fragte Ahren sich düster.

Hör auf, die ferne Vergangenheit auf totem Stein anzublicken, sagte Culhen, in dessen Gedanken eine tiefe Ehrfurcht und Förmlichkeit mitschwang. Hebe deinen Blick und erkenne die Schönheit des Lebens.

Ahren wollte auf Culhens hochtrabende Art mit einem kleinen Steinhieb antworten, aber als er aufsah und den Kaiserbaum zum ersten Mal in all seiner Pracht erblickte, versagte ihm die Stimme. Der Kirschbaum ragte gut dreißig Schritt empor, und wie jeder seiner kleinen Vettern in den Dörfern des Ewigen Reiches stand auch dieser hier ungeachtet der Jahreszeit in voller Blüte. Sein Holz wirkte knorrig und war voll dicker Verwachsungen in der Rinde, aber das Gewicht seines Alters schien er mit einer Kraft und Würde zu ertragen, die Ahren den Atem raubte. Die Äste des Kaiserbaums überspannten den gesamten Platz und stießen beinahe an die marmorne, zehn Schritt hohe Mauer, die von elfisch anmutenden Linien und Zeichen aus Jade durchzogen waren, die Ahrens Erfahrung nach magisch sein mussten. Allein die geradezu unwirkliche Höhe des Baumes zeugte von der Macht, die an diesem Ort gebündelt wurde.

Jelninolan ging bis zum Stamm des Kaiserbaumes und strich sanft und liebevoll über dessen Rinde. Ein Schauer schien, einem leisen Windhauch gleich, durch den Baum zu laufen, so als würde dieser die Priesterin erkennen. Als die Elfe das erste Mal von den Zaubern gehört hatte, mit denen die Kaiserbäume erschaffen worden waren, war sie erbost über Quin-Was Aneignung elfischer Magie gewesen. Anscheinend hatte sich ihre Meinung geändert. Ahren begann, sich über sich selbst zu ärgern. Er hatte zu viele Wendungen verpasst und fasste den Entschluss, sich schnellstens auf den neuesten Stand bringen zu lassen.

»Sie scheint sehr vertraut mit dem Kaiserbaum zu sein«, sagte er leise zu Khara. »Als ob sie schon früher hier gewesen ist.«

Khara musterte ihn kurz, und Ahren konnte erkennen, dass sie abwog, ob sie auf seine unausgesprochene Frage antworten sollte. »Siehst du die Stellen an den Wänden, wo die Jademuster etwas heller sind?«, fragte sie und deutete auf die den Platz umgebende Mauer. Ahren sah genauer hin und erkannte hier und da einzelne Linien, manchmal nur verschnörkelt erscheinende Punkte, die neueren Ursprungs zu sein schienen. Khara bemerkte die Erkenntnis in seinen Augen und nickte ihm zu. »Quin-Wa hat Jelninolan gebeten, ihr dabei zu helfen, den Zauber um den Baum zu perfektionieren. Ich habe nicht alles verstanden, aber wo der Baum früher ein Diener war, der tun musste, was Quin-Wa verlangte, ist er nun ein Freund, der Gefallen erweist, wenn man ihn darum bittet. Sowohl Jelninolan als auch Quin-Wa waren hocherfreut.« Kharas Stimme troff vor widerstreitenden Gefühlen, und Ahren konnte nachvollziehen, warum. Dass Quin-Wa freiwillig die Kontrolle über etwas so Kostbares wie ihr Zaubernetz abgab, passte nicht zu dem Bild der Herrscherin, das Khara seit frühester Kindheit geprägt hatte. Selbst Ahren tat sich mit diesem Gedanken schwer – und er hatte erst vor einigen Jahren von Quin-Was Existenz erfahren. Was für ein herrlich abgeschottetes Leben er in Tiefstein doch geführt hatte, als er einfach nur Falks Lehrling gewesen war!

»Ahren, komm bitte her und setze dich unter den Baum«, sagte Jelninolan und winkte Ahren zu sich. »Der gesamte Platz ist von Zaubern der Hellsicht durchzogen. Auch wenn wir sie nicht direkt nutzen werden, können wir sozusagen auf ihnen reiten, um leichter Zugang zu deinem Geist zu finden.« Sie lächelte ihn aufmunternd und mütterlich an, sodass Ahren sich wieder wie jener kleine Lehrling fühlte, der zum ersten Mal die Wunder Eathinians erblickte. Wie sehr er sich nach dem Frieden des Elfenwaldes sehnte …

Culhen stupste ihn mit seiner linken Schulter an, sodass Ahren auf die Elfe zustolperte. Hör auf, Zeit zu schinden, maulte der Wolf. Ich will endlich wissen, was mit meinem Paladin los ist.

Der Gereiztheit in Culhens Stimme verriet Ahren, dass das Tier schon eine ganze Weile mehr oder weniger geduldig darauf gewartet haben musste, dass Ahren sich eingestand, dass etwas mit ihm nicht stimmte.

Mit einem leisen Seufzer setzte Ahren sich unter den riesigen Kaiserbaum, der ihn mit einem leisen Rascheln seiner Blüten begrüßte. Der Stamm fühlte sich merkwürdig warm an Ahrens Rücken an und die Welt schien ein Stück von ihm fortzurücken, so als hätte er gerade hundert Längen zwischen sich und den Rest Joraths gebracht. Ein Gefühl der Weite bemächtigte sich seiner und unwillkürlich schloss er die Augen. Eben noch hatte er Jelninolans freundliches Gesicht, Kharas sorgenvolle Miene, sowie einen ungeduldig auf und ab tigernden Wolf vor sich gesehen, als er im nächsten Moment tausende kleiner Lichtpunkte in der Dunkelheit seiner geschlossenen Lider wahrnahm. Leise Worte, gedämpftes Lachen, inständige Bitten und Myriaden alltäglicher Geräusche eines dörfischen Lebens drangen an sein Ohr, einem Ozean aus Sinneseindrücken gleich, der ihn jedoch nicht ertränkte. Der Baum in seinem Rücken schien ihn vor dem Ansturm aus Lauten zu schützen, und nach und nach erkannte Ahren, was er hier wahrnahm. Dies waren die Eindrücke, die die anderen Kaiserbäume im gesamten Ewigen Reich in sich aufnahmen und an jenes altehrwürdige Gewächs weitergaben, das gerade sowohl seinem Körper als auch seinem Geist eine Stütze bot. Ahren spürte eine langsame, unterschwellige Frage in seinem Verstand, die von dem Kaiserbaum ausging und verstand instinktiv, dass er nur darum bitten müsste zu erfahren, was der Baum wusste.

Höre da besser nicht hin, Ahren, vernahm er Jelninolans ätherische Stimme in seinem Verstand. Deswegen sind wir nicht hier. Mit diesen Worten verblasste das Lichtermeer vor Ahrens Augen und im nächsten Moment hatte er das Gefühl, nach innen zu fallen, immer tiefer und tiefer in sich hinein. Es war, als hätte er sich bisher auf die Krone des Kaiserbaumes konzentriert und würde nun dem Ruf der Wurzeln folgen, die ihn aus der Welt fortführten, hinab in die dunklen Tiefen des eigenen Verstandes …

Ahren sah das belagerte Tiefstein vor sich. Rauch stieg von brennenden Gebäuden auf und eine schwer gerüstete Gestalt kämpfte auf dem Wall der befestigten Stadt gegen Blutwölfe und Kentauren. Ein zerrissener weißer Umhang flatterte wie eine Fahne von ihrem Rücken, getragen vom heißen Wind des Krieges, gehalten von einer Klammer aus Idealen. Soldaten aus jedem Reich und von jeder Rasse scharten sich um die Person, die mit Klinge und Bogen Schritt um Schritt der eroberten Balustrade zurückkämpfte, eine fleischgewordene Säule der Hoffnung in einem Meer aus Kummer und Blut. Ahren glitt mit einem einzigen Gedanken auf den Mann zu, der seine Anwesenheit zu spüren schien und zu ihm herumwirbelte. Er blickte in sein eigenes Antlitz, gestählt vom Mut der Notwendigkeit und dem absoluten Willen, all jene zu verteidigen, die seines Schutzes bedurften. »Komm zurück zu mir«, wisperte ihm sein eigenes Selbst entgegen, und Ahren streckte unwillkürlich seine Arme nach jener Version seiner Persönlichkeit aus, die all seine Sehnsüchte verkörperte.

Dann durchfuhr ihn ein Ruck und Ahren wurde fortgewirbelt. Über brennende Felder und verkohlte Wälder hinweg, in denen zersplitterte Erinnerungen seiner bisherigen Reise aufblitzten, sog es ihn unwiderstehlich auf das nun alte, verschlafene Tiefstein vergangener Jahre zu, das sich in der Ferne auftat und immer größer wurde. Unter sich sah Ahren sein Duell mit den Hochfang-Schamanen in den südlichen Dschungeln, dann den Kampf gegen den Finsterbären vor der Ehernen Stadt, und sogar den Moment, als er Culhen im Ostwald fand, ein kleines weißes Pelzknäuel, dessen Mutter durch Falks und Ahrens Hände den Tod gefunden hatte. Ahren wollte an diesen Bildern festhalten, aber der Rauch der Feuer der zerstörten Landschaft um ihn herum verdeckte ihm die Sicht, kaum dass er erkannte, welches Ereignisses er gewahr wurde.

Als seine unfreiwillige Reise schließlich endete, wusste er sofort, wo er war. Die vier hölzernen Wände, die karge Kochstelle mit dem Rauchabzug in der Decke und die alte Truhe an der Wand waren ihm derart vertraut, dass Ahren ein Schluchzen unterdrücken musste. Dies war Falks alte Waldläuferhütte! Verloren an die Feuer des Krieges hätte Ahren niemals gedacht, diesen Ort in solcher Klarheit wieder vor sich zu sehen, doch Jelninolans Zauber machte dies möglich. Ahren strich mit seinen Händen über das raue Holz der Wände, und ein wohliges Gefühl der Geborgenheit breitete sich in ihm aus. Dies war der Ort, an den er gehörte. Sollte die Welt auch brennen, hier wäre er sicher. Geradezu schlafwandlerisch legte er sich auf seine alte Schlafstatt, jene elfische Matte, auf der er die erste Zeit seiner Ausbildung zum Waldläufer genächtigt hatte. Es war eine Zeit voller Wunder gewesen, in der er jeden Tag etwas Neues von jenem alten Mann gelernt hatte, der nach und nach die Stelle eingenommen hatte, die Ahrens leiblicher Vater hätte ausfüllen müssen. Ahren rollte sich zu einem festen Ball zusammen und ignorierte Jelninolans Rufe, als er die Augen schloss und selig lächelnd einschlief.

Die Nacht war tief und alles war still, als Ahren panisch nach Luft schnappend erwachte. Jelninolans ferne Anwesenheit war verschwunden, ebenso wie die passive Kraft des Baumes in seinem Rücken. Doch trotz der friedlichen Ruhe der Waldläuferhütte wuchs Ahrens Angst mit jedem Atemzug, den er in der Finsternis tat. Er wagte nicht, sich zu rühren, sondern starrte auf die Fensterläden und die unverschlossene Tür, instinktiv spürend, dass außerhalb der Hütte ein unaussprechliches Grauen lauerte. Ahren wusste, dass er aufspringen und die Tür verschließen sollte, aber er konnte es nicht. Seine Muskeln waren gelähmt vor Angst, und als das trockene Wispern außerhalb der Hütte einsetzte, blieb ihm beinahe das Herz stehen.

»Ahren«, seufzte das Ding in der Dunkelheit. »Komm raus und lass uns spielen.« Bosheit und Niedertracht verzerrten jede Silbe des Satzes zu blankem Hohn und einer tödlichen Drohung. Der Waldläufer hörte Fingernägel kraftvoll von außen über das Holz der Hütte kratzen, die tiefe Spuren hinterlassen mussten. »Zwing mich nicht dazu, hereinzukommen«, fuhr der Sprecher hämisch kichernd fort.

Ahren brach der Angstschweiß aus und sein Atem ging stoßweise. Die Panik brachte seinen Überlebensinstinkt zum Vorschein und er tastete nach seinen Waffen, nur um zu seinem Entsetzen festzustellen, dass er lediglich seinen Dolch und seinen Lehrlingsbogen vorfand sowie einige Übungspfeile, wie jene, mit denen er damals das Bogenschießen erlernt hatte. Direkt neben seiner Schlafstatt donnerte plötzlich eine Faust von außen gegen die Hütte, das zornige Klopfen war ein Versprechen purer Gewalt. Ahren sprang auf, nur um verwundert innezuhalten und an sich herabzusehen. Er war geschrumpft und die Welt wirkte auf einmal viel größer und bedrohlicher auf ihn! Er hob verwirrt seine Hände vor das Gesicht und staunte über zartes, junges Fleisch, frei von den Schwielen beständigen Übens mit Bogen oder Windklinge. Dies waren die Hände eines Jünglings! Er war nicht geschrumpft, er war wieder der dreizehn Sommer zählende Lehrling, dessen aberwitzige Reise damals in dieser Hütte ihren unscheinbaren Anfang genommen hatte. Verzweifelt starrte Ahren noch einmal an sich herab, bemerkte die zu große Lederrüstung, die Falk ihm damals geschenkt hatte und spürte den Stoff, mit dem er das steife Leder aufgepolstert hatte, damit es nicht bei jeder Bewegung seines mageren Körpers verrutschte. Er war schwach, schlecht bewaffnet und dem Ding, das dort draußen um die Hütte kreiste und ihn mit scharfen Nägeln und einem höhnischen Lachen herausforderte, die sichere Heimstatt zu verlassen, hilflos ausgeliefert. Mit Mühe riss Ahren sich zusammen und machte sich klar, dass er sich tief in seinem eigenen Verstand befand und dass all dies nur ein Ausdruck seiner geistigen Verfassung sein konnte. Er atmete zweimal tief durch und verzog dann sein Gesicht zu einer widerwilligen Grimasse. Offensichtlich ging es ihm viel schlechter, als er angenommen hatte.

Ich muss aufwachen, dachte er und konzentrierte sich auf den Wunsch, dieser Vision zu entkommen, aber welchen Zauber Jelninolan auch verwendet hatte, er hinderte Ahren daran, seinen Körper eigenständig aus dem Reich der Träume zu reißen. Wenigstens spürte er nun wieder Jelninolans und Culhens Anwesenheit, die sich tastend durch den Wald außerhalb der Hütte bewegten, scheinbar auf der Suche nach Ahrens aktivem Verstand – der im Körper seines jüngeren Selbst festsaß. Auf einmal konnte Ahren die Frustration Uldinis, der trotz seiner jahrhundertelangen Erfahrung stets mit einer knabenhaften Gestalt auskommen musste, viel besser nachempfinden.

»Oh, Ahren, ich höre dich«, neckte ihn die Wesenheit außerhalb der Hütte und strich direkt vor der Tür entlang.

Ahren erstarrte zur Salzsäule. Er war nichts als ein verängstigter Junge, der mitten im Raum stand, die Waffen baumelten in seinen schlaff herabhängenden Fäusten umher. Wieder ertönte das hämische Lachen.

»Komm heraus und spiele mit mir.«

Ahren versuchte krampfhaft, seine Gedanken unter Kontrolle zu bringen – zumindest jene, die nicht Teil dieser seltsamen Welt waren und ihn quälten. Was auch immer da draußen war, es kam nicht zu ihm herein. Es schien sich an seiner Angst zu laben und vollends damit zufrieden zu sein, ihn in der Hütte festzuhalten.

Ahren versteifte sich erneut, diesmal aufgrund der eisigen Erkenntnis, die in ihm heranwuchs: Ein Teil seines Verstandes wünschte sich zurück in seine Lehrlingszeit, als seine ganze Welt noch diese Hütte und der sie umgebende Wald gewesen war. Und zwar aus Angst vor dem, was dort draußen lauerte. Seine Hände wurden feucht, als ihm klar wurde, wer da jenseits des schützenden Holzes auf ihn wartete. Er schloss die Augen, schulterte seinen Bogen und steckte seinen Dolch wieder fort. Diese Waffen würden ihm in seiner jetzigen Form gegen jenen Gegner nicht nützen. Seine einzige Chance war es, Culhen oder Jelninolan zu erreichen, damit sie ihn hier rausholten. Er wartete mucksmäuschenstill, bis das Kratzen der Fingernägel auf der Rückseite der Hütte angekommen war, dann stürzte er vorwärts und riss die Tür auf – wo Meng-Un bereits grinsend auf ihn wartete.

»Hallo, Ahren«, sagte er, das Gesicht unter dem rasierten Schädel eine Maske sadistischer Freude. Ahrens Gesicht, das die Verehrung des Lebens gegen einen finsteren Dienst im Dunkel der Nacht eingetauscht hatte. »Endlich spielst du also mit mir!«

Ahren handelte, ohne nachzudenken. Er warf sich links an Meng-Un vorbei, wobei er seinem Gegenüber im Abrollen einen Fuß in die Kniekehle stemmte, woraufhin dieser vorwärts stolperte und in der Hütte verschwand. Ahren sprang auf die Beine und flüchtete in den Wald, während er laut nach Culhen und Jelninolan rief. Meng-Un lachte hinter Ahren und war ihm keine drei Herzschläge später dicht auf den Fersen. Er stieß seine Finger in den Rücken des Knaben, tauchte mal links, mal rechts von ihm in dessen äußersten Blickfeld auf, während Ahren so schnell er konnte durch den Ostwald rannte und nach der Elfe und dem Wolf Ausschau hielt. Dabei sah er immer wieder Szenen aus seiner Zeit als Nachtsoldat, die sein Verstand aus den Tiefen der Erinnerung emporzerrte und als geisterhafte Schattenspiele zwischen die nächtlichen Baumreihen warf. Ahren wollte diese Schreckensbilder nicht sehen und rannte weiter, immer weiter, stets den lachenden Meng-Un einen halben Schritt hinter sich wissend und die Bilder seiner düstersten Taten links und rechts seines panischen Fluchtwegs.

»Ahren!«, hörte er Jelninolans Stimme aus weiter Ferne rufen. »Ahren, du musst aus dem Wald hinaus!« Selbst Culhens einsetzendes Geheul erklang nur echohaft, und der Waldläufer begriff, dass er diesen Teil seines Verstandes alleine bezwingen musste, damit seine Freunde ihm helfen konnten.

»Meng-Un ist hier!«, brüllte er in die Nacht hinaus. »Er ist viel zu stark!«

»Meng-Un ist fort«, antwortete Jelninolan mit einer Spur Verzweiflung in der Stimme. »Du lässt dich von einem Geist jagen.«

Ahren hetzte weiter, während er spürte, wie seine Beine immer schwerer wurden und die Willenskraft seines aktiven Verstandes mehr und mehr erlahmte. Das Herz in Ahrens Brust schien zu zerspringen und er spürte, dass seine Nase und Ohren bluteten. Meng-Un hetzt mich zu Tode!, schoss es ihm durch den Kopf, und sofort spürte er die kalte Hand des Nachtsoldaten, die ihm spielerisch über den Nacken strich.

Culhen heulte erneut auf geisterhafte Weise in der Dunkelheit des Waldes auf, aber der Laut hatte nicht länger etwas Rufendes an sich, sondern klang nach einer Herausforderung, nach dem Gruß eines Wolfes an seinen Gegner. Ahren begriff, was sein Freund ihm mitteilen wollte, und fasste einen Entschluss. Mit einem Aufschrei purer, unverfälschter Willenskraft zwang Ahren sich dazu, stehen zu bleiben, und wirbelte herum, bereit, Meng-Un ins Gesicht zu blicken und ihm die Stirn zu bieten. Das Phantom war direkt hinter ihm, und kaum, dass Ahren stehen geblieben war, hob es seine Windklinge und hieb auf den Lehrling ein. Ahren wich jedoch nicht vor der Waffe zurück, sondern trat geradewegs auf Meng-Un zu.

»Du bist fort«, sagte er fest, und die Waffe des Nachtsoldaten zerschellte auf Ahrens Haut. »Du bist fort«, wiederholte Ahren und griff nach der schwarz gekleideten Gestalt, jenem düsteren Zerrbild seines Selbst. Rauch stieg auf, als Meng-Un zerstob wie ein Nebelfetzen im Sturmwind. »Du bist fort«, beschwor Ahren ein drittes Mal in seinem Geist herauf. »Und ich habe keine Angst mehr vor dir.«

Zuerst dachte Ahren, dass er noch immer das Rauschen der Blätter des geisterhaften Ostwaldes hörte, bis er den Duft eines blühenden Kirschbaumes wahrnahm.

»Endlich«, ertönte Falks belegte Stimme rechts von ihm, und Ahren schlug heftig atmend die Augen auf. Für einen Moment blendete ihn Laternenschein, der den Platz in ein weiches, unstetes Licht tauchte und zunächst nur einen Haufen Umrisse offenbarte, die sich um den am Kaiserbaum sitzenden Ahren scharrten.

Er spürte zwei vertraute Arme, die ihn in eine erdrückende Umklammerung rissen, und Kharas tränennasses Gesicht, das sich an seine Wange presste.

»Nur du schaffst es, dich von deinem eigenen Verstand fast umbringen zu lassen, du Idiot«, sagte sie schluchzend und hielt ihn so fest umklammert, dass er kaum noch Luft in seine ohnehin geplagten Lungen bekam.

»Lass ihn los, Mädchen, oder willst du beenden, was dieser Zauber begonnen hat?«, schalt Quin-Was Stimme von dort, wo Ahren auch Falk gehört hatte. Khara reagierte umgehend, indem sie den Druck milderte, ihn jedoch nicht freigab. Seine Augen hatten sich mittlerweile an die Laternen gewöhnt und er erkannte Uldini, Quin-Wa, Falk, Trogadon, Culhen, Selsena und Jelninolan, die ihn alle förmlich belagerten und sorgenvoll auf ihn herabblickten.

»Oh, Ahren, es tut mir so leid«, sagte Jelninolan, und selten hatte der Waldläufer die Elfe so tief bestürzt erlebt. »Ich hätte nie gedacht, dass der Zauber dich derart gefangen nimmt.«

»Wie sollte auch ein experimenteller elfischer Zauber schiefgehen, bloß weil er mit einem vollkommen neuartigen und komplexen Zaubernetz kombiniert wird, welches mächtig genug ist, ein ganzes Land zu überwachen«, sagte Uldini sarkastisch in Richtung der Priesterin.

Die richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, woraufhin die Macht ihrer Wahren Gestalt den gesamten Platz mit einem blendend weißen Licht flutete. »Du hast mich doch mehrfach aufgefordert, Ahrens Zustand zu ergründen«, sagte sie aufgewühlt. »›Werde kreativ, Jelninolan‹, das waren deine Worte.«

Uldini brummelte etwas in sich hinein, aber da hörte Ahren schon nicht mehr hin, denn Falk war neben ihm in die Hocke gegangen und sah ihm forschend in die Augen. »Ganz schön viel los da drin, oder?«, fragte er mit einem milden Lächeln und klopfte mit seinen Fingerknöcheln gegen Ahrens Schädel.

Ahren nickte, dankbar, seinen ehemaligen Meister zu sehen. »Du hast ja keine Ahnung«, sagte er leise und mit einem selbstironischen Grinsen. »Es ist ein regelrechtes Schlachtfest.« Der junge Paladin atmete tief durch. »Aber wenigstens bin ich jetzt meine Angst vor Meng-Un los … denke ich.«

Falk nickte ihm mit einem aufmunternden Lächeln zu, dann meldete sich Quin-Wa zu Wort. »Hat uns dieser Zauber denn nun Klarheit gebracht oder hast du das Herz des dreizehnten Paladins unnötig an den Rand des Berstens gebracht?«

Khara versteifte sich und löste sich weit genug von Ahren, um Quin-Wa böse anzufunkeln, während der Waldläufer mit zitternder Hand nach seinen Ohren und seiner Nase tastete. Da war Blut, erkannte er erschrocken! Also hätte Meng-Un ihn tatsächlich in den Tod hetzen können. Er erbleichte und nahm abwesend den flachen, eisernen Trunkbehälter von Trogadon entgegen, der ihm dabei verschwörerisch zuzwinkerte. »Ist nur normaler Schnaps«, sagte der Zwerg leise. »Aber ich würde trotzdem vorsichtig davon trinken.«

Ahren nahm zwei kräftige Schlucke und gab Trogadon das Eisenfläschchen zurück. Dann richtete er sich mit Kharas Hilfe auf und blickte zusammen mit den anderen auf Jelninolan, die nach einer Antwort auf Quin-Was Frage suchte. Culhen trottete indes an Ahrens andere Seite und schleckte ihm das Blut aus dem Gesicht.

Bitte höre endlich auf damit, mir solche Angst zu machen, bat der Wolf ungewohnt kleinlaut.

Ahren streichelte ihm zur Antwort das Fell und genoss die Wärme des Wolfes, indem er sich dicht an ihn presste.

Jelninolan deutete auf Ahren und zuckte dann hilflos die Achseln. »In all meinen Jahren der Heilkunst habe ich so etwas noch nicht gesehen«, begann sie leise, und Ahren ahnte, dass ihm nicht gefallen würde, was er nun zu hören bekam. »Als Culhen und Ahren gewaltsam Meng-Un aus Ahrens Verstand rissen, haben sie wohl … Löcher hinterlassen.« Sie zuckte die Achseln. »Sozusagen.«

»Geht das ein wenig genauer?«, fragte Uldini gereizt. »Dass der Junge das ein oder andere Loch in seinem Verstand hat, hat er in den letzten Jahren schon mehr als einmal bewiesen. Das ist nun wirklich nichts Neues.«

Ahren registrierte die verhaltenen Lacher der Anwesenden nur am Rande, während er Jelninolan fixierte und Khara und Culhen ihn stützten.

Die Elfe rang sichtlich nach Worten. »Sein Göttersegen hat ihn bei Verstand gehalten und alles getan, um Ahren zu beschützen, zumindest denke ich das. Aber die Löcher sind noch immer da und hindern Ahren daran, auf viele seiner Erfahrungen zurückzugreifen.«

»Was soll das denn jetzt heißen?«, fragte Falk besorgt. »Junge, hast du etwa Gedächtnislücken?«

Ahren schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«

Jelninolan hob Einhalt gebietend die Hand. »Es geht nicht um spezifische Erinnerungen, sondern um die Erfahrungen, die Ahren mit ihrem Durchleben zu dem geformt haben, der er heute ist … oder sein sollte.« Sie schloss die Augen und tippte sich nachdenklich gegen die Stirn. »Wie verdeutliche ich das am besten …«, fragte sie sich selbst. Dann riss sie die Augen auf und deutete auf Ahren. »Wir werden bald gen Tausend Hallen aufbrechen«, sagte sie unvermittelt. »Sollen wir mittels eines Trosses von Kutschen oder zu Pferd reisen? Das eine ist bequemer und sicherer, das andere geht schneller. Was denkst du, Ahren?«

Überrascht blinzelte der Paladin und sah sich verunsichert um. Die anderen schienen auch nicht zu wissen, worauf die Elfe hinauswollte und zuckte nur die Achseln. »Ähm … also ich …«, begann er und spürte, wie sich der Schweiß auf seiner Stirn sammelte. Wenn er nun die Pferde wählte und ihnen ein Attentäter mit einem Bogen auflauerte? Oder er entschied sich für die Kutschen und dadurch verloren sie wertvolle Zeit, in der Soldaten an der Front starben. Sein Blick zuckte von einem seiner Freunde zum anderen, bis er sogar Quin-Wa hilfesuchend ansah. Er wollte keinen Fehler machen, denn die kosteten Menschenleben! »Vielleicht entscheidet ihr das besser«, sagte er schließlich niedergeschlagen, während er versuchte, seinen schweren Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.

Jelninolan jedoch wirkte seltsam zufrieden und deutete auf Ahrens schweißnasse Gestalt. »Da seht ihr, was ich meine. Sein Geist sah während meines Zaubers aus wie ein Trümmerfeld. Der Ahren, der in Tiefstein gegen die Kentauren gekämpft hat, ist von diesem Ahren hier durch ein Meer aus Schluchten und Narben getrennt, die Meng-Uns Vertreibung hinterlassen hat.«

»Soll das heißen, er ist wieder der verunsicherte Lehrling von damals?«, fragte Uldini mit einem Stöhnen. »Ihr Götter, das mache ich sicher kein zweites Mal mit.«

Ahren ignorierte die Spitze und auch die mitleidigen Blicke der anderen und hing stattdessen weiter an Jelninolans Lippen. Er selbst hatte noch viel weniger Lust, erneut in seine Rolle als Paladin hineinwachsen zu müssen, und er bezweifelte, dass der Dunkle Gott darauf warten würde, dass er der Mann wurde, der er sein musste, um den Widersacher zu besiegen. Zu seiner Erleichterung schüttelte Jelninolan den Kopf. »Stellt euch eine Pfeilwunde im Oberschenkel vor. Zieht man den Pfeil heraus, bleibt ein Loch im Fleisch. Dieses wächst langsam zu und auch die Muskeln darunter heilen. Dann beginnt man, das Bein langsam wieder zu belasten, bis alles wieder beim Alten ist.« Sie deutete auf Ahren. »Sein Verstand muss einen neuen Weg finden, die Erinnerungen miteinander zu verknüpfen. Schon morgen könnte er wieder der Alte sein«, sagte Jelninolan, doch in ihren Worten klangen Zweifel mit. Ahrens Mut sank.

»Du hast keine Ahnung, wie wir ihm helfen können, außer abzuwarten, oder?«, fragte Falk in die Stille hinein.

Jelninolan schüttelte den Kopf, und Ahren wurde furchtbar schwer ums Herz. Khara drückte mitfühlend seine Hand und Culhen winselte leise neben ihm. Die Stille dehnte sich aus und schien den Platz des Kaiserbaumes geradezu zu verschlingen, während Ahrens Gefährten ihn stumm anstarrten und das Gesagte verarbeiteten.

Dann kam Leben in die Gestalt Trogadons und er schlug dem jungen Paladin auf die Schulter. »Wenigstens wissen wir nun, dass du nichts für dein Verhalten kannst. Du bist krank und wie bei jeder Krankheit kann man nach einem Heilmittel suchen und gegen sie ankämpfen. Ich habe dir doch damals vom Vater des Berges erzählt, oder? Ich wette, er kann dir helfen.«

»Weil Zwerge ja auch so feinfühlig sind und so viel Wert auf die innere Reflexion ihrer Handlungen legen«, sagte Uldini bissig, dem Ahren seine Hilflosigkeit regelrecht ansehen konnte. Es gab kaum ein unleidigeres Wesen auf ganz Jorath als einen ratlosen Meistermagier.

Trogadon zog seine buschigen Brauen zusammen und wirkte mit einem Mal todernst. »Der Vater des Berges wird von der gesamten Zwergenheit für seine Weisheit und Weitsicht verehrt und verbringt sein ganzes Leben damit, das sturste und willensstärkste Volk Joraths in die richtigen Bahnen zu lenken und das mit nichts weiter als dem gesprochenen Wort«, sagte er voller Inbrunst. »Das klingt doch nach einem Zwerg, der einem verwundeten Verstand beistehen kann, oder nicht?«

Nach und nach nickten alle Anwesenden, bis auch Uldini sich ein kurzes Kinnzucken abrang, und Ahren fasste wieder Mut. Er drückte aufmunternd Kharas Hand und streichelte mit der anderen über Culhens Rücken. »Trogadon hat recht. Ich werde gegen meine Verwundung angehen, nun, da ich weiß, dass sie existiert.« Mit einem Anflug seines alten Kampfeswillens blickte er in die Runde. »Und bisher habe ich noch jeden Kampf gewonnen.«

»Na ja, fast jeden«, warf Trogadon grinsend ein, woraufhin Falk ihm einen Tritt gegen das Schienbein verpasste.

»Das ist nicht hilfreich«, zischte er leise.

Uldini klatschte lautstark in die Hände, anscheinend zufrieden, dass sie endlich einen Schlachtplan hatten, um Ahren zu alter Stärke zu verhelfen. »Ein Grund mehr, schnellstmöglich nach Tausend Hallen aufzubrechen«, sagte er lebhaft. »So sehr die Reformen des Ewigen Reiches auch nötig waren, jetzt, wo das Wichtigste erledigt ist, sollten wir aufbrechen und Quin-Was Beamten den Rest der Umstrukturierungen überlassen.«

»Noch nicht«, sagte die Ewige Kaiserin entschlossen. »In einer Woche findet Kharas Krönungszeremonie statt. Vorher werde ich diesen Palast nicht verlassen.«

Ahren schwindelte und er starrte Khara ungläubig an, während er versuchte, sich einzureden, er hätte sich verhört. »Deine Krönungszeremonie?«, fragte er mit schwacher Stimme.

»Du hast es ihm also noch nicht gesagt?«, hörte er wie aus weiter Ferne Jelninolan, die Khara für ihr Versäumnis tadelte.

»Das wollte ich tun, nachdem er bei dir war«, entschuldigte sich die Schwertmeisterin. Dann wandte sie sich an Ahren. »Wir sollten reden«, sagte sie und zog ihn fort in die Nacht.

*

Der Jäger reckte witternd die Nase in die Luft und stieß dann frustriert den Atem aus. Vorhin hatte er für einen Moment wieder den klaren Geruch von Ahrens unverfälschtem Göttersegen geschmeckt, der ihn über hunderte Längen Entfernung sirenengleich zu sich rief. Aber nun war die Welt wieder schal und trüb, da der Segen des jungen Mannes sich erneut genauso ausgelaugt und abgenutzt anfühlte wie die der anderen Paladine. Nicht-Sven trottete weiter durch die Nacht und folgte der Erinnerung an jenen kostbaren Moment der Klarheit, von dem er hoffte, dass er schnellstens wiederkehren möge.

2. Kapitel

Die nächtliche Luft schmeckte feucht und muffig, als Ahren neben Khara hertrottete wie eine frisch erweckte Hungerleiche. Die breiten Gassen zwischen den Palastgebäuden waren beinahe menschenleer, nur hier und da huschte ein berobter Beamter mit dem typischen schwarzen, breit ausladenden Hut durch den Niesel. Ein auffrischender Wind wirbelte um den verwitterten Berg, auf dem der Himmelspalast erbaut worden war, und trieb den feinen Regen dabei vor sich her. Ahrens Kopf explodierte geradezu vor Fragen, aber das Chaos in seinem Inneren hielt ihn davon ab, ganze Sätze aneinanderzureihen. »Wie … wann … warum?«, war alles, was er hervorbringen konnte.

Khara warf ihm einen schnellen Seitenblick zu und schüttelte den Kopf. »Hier könnten zu viele neugierige Ohren mithören. Dieser Palast besteht zur Hälfte aus Klatschbasen«, sagte sie. »Wir gehen dort hinauf.« Sie deutete vorwärts, und Ahren erkannte das Ziel seiner Liebsten: die Dutzende Schritt breite Treppe, welche zu dem hoch gelegenen Audienzpalast Quin-Was führte. Auf jenen Stufen hatten sie vor einigen Wochen gegen Wogen aus Dopplern ein erbittertes Rückzugsgefecht geführt. Die Erinnerungen drangen wie feine Glassplitter an die Oberfläche von Ahrens Verstand: Uldinis lebloses, fahles Gesicht, das bereits die Schwelle des Todes erblickte. Um sie herum ein Gemetzel aus loyalen Wachen und Doppelgängern, die ihre Chance gekommen sahen. Und er mittendrin, wie er verzweifelt versuchte, die Tragweite dessen zu erfassen, was er mit seinem Versuch, Quin-Wa aufzusuchen, losgetreten hatte.

Es hat sich doch alles zum Guten gewandt