Die Eherne Stadt - Torsten Weitze - E-Book

Die Eherne Stadt E-Book

Torsten Weitze

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Beschreibung

Kaum sind die ungleichen Gefährten nach der Ernennung Ahrens zum 13. Paladin in Tiefstein eingekehrt, droht neues Ungemach. Über die Alten erfahren sie, dass einer der Ihren, der Paladin Bergen Olgitram sowie seine Söldnertruppe Die blaue Kohorte von dem eigenwilligen Sonnenkaiser in der Ehernen Stadt festgehalten werden. Nicht genug, dass Ahren und seine Gefährten sich schnellstmöglich auf den Weg in die Sonnenebenen machen müssen, um die Eherne Stadt und ihre kostbaren Schmieden vor der Zerstörung durch den Sonnenkaiser zu bewahren, auch das Triumvirat der Stadt muss von einem friedlichen Ende der Auseinandersetzung überzeugt werden. Alles halb so wild, wenn der Sonnenkaiser nicht darauf bestünde, den abtrünnigen Hauptmann und seine Söldner hinrichten zu lassen. Doch Jorath braucht im Kampf gegen IHN, DER ZWINGT, jeden einzelnen der dreizehn Paladine. Auch, wenn es sich dabei um einen störrischen Kommandanten handelt. Die Saga um den dreizehnten Paladin geht weiter. Lassen Sie sich vom dritten Band in das Reich der Sonnenebenen entführen und freuen Sie sich auf ein Wiedersehen mit Ahrens Freunden in Tiefstein.

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Torsten Weitze

Die Eherne Stadt

Der 13. PaladinBand III

Dieses Buch widme ich Euch, meinen Lesern.Denn ohne Euch wäre ich nur ein Kerl, der sinnlos Buchstaben aneinanderreiht.

Und denkt dran:

Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte,als zum ersten Mal erlebt zu werden …

Impressum

© Torsten Weitze, Krefeld, 2017Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de

Torsten Weitze c/o LAUSCH medien

Bramfelder Str. 102a

22305 Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze

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Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

Epilog

1. Kapitel

Wie Schmetterlingsflügel auf der Haut nahm Ahren eine leichte, flatterhafte Berührung seines Verstandes wahr. Die Tage nach Ahrens Ernennung hatten die ungleichen Gefährten in einer atemlosen Flucht aus den Grenzlanden verbracht, in deren Verlauf Jelninolan und Uldini einen Tarn- und Verschleierungszauber nach dem anderen hatten wirken müssen.

In diesem Moment traten sie zwischen die ersten Bäume, die Falks Meinung nach sicher zu Hjalgar gehörten. Ein leichter Schneefall verhinderte, dass sie weiter als zwei Dutzend Schritt sehen konnten, und Ahren war sich nicht sicher, was er da fühlte, als Culhen wie ein Gespenst zwischen den Bäumen hervorschoss, sein weißes Fell kaum vom umliegenden Schnee unterscheidbar.

»Ahren? Ahren!«, ertönte es in seinem Kopf, und lächelnd ließ der Lehrling sich auf ein Knie hinunter und schloss den Wolf in seine Arme, während er dessen Liebkosungen tapfer ertrug. Auch Selsena näherte sich ihnen zwischen den Bäumen und sandte ihnen eine Welle des Willkommens zu. Aus Sicherheitsgründen – und um die Kräfte der beiden Alten zu schonen – waren die beiden Tiere auf ihrer Flucht vorgelaufen und hatten in diesen sicheren Wäldern auf sie gewartet.

Culhen plapperte immer wieder seinen Namen, das Einzige, was ihre geistige Verbindung bisher zuließ, und Ahren streichelte das Fell des Tieres, bis der Wolf sich beruhigt hatte.

Zufrieden, dass sie alle wieder beisammen und in Sicherheit waren, zogen sie weiter, und Ahrens Herz machte einen Satz, als Falk verkündete: »Nur noch wenige Tagesreisen, dann werden wir in Tiefstein sein.«

Ahrens Meister sollte mit seiner Vorhersage recht behalten. Sechs Tage später durchquerten sie den Ostwald, und mit jeder vertrauten Tanne und jedem liebgewonnenen Bach, an dem sie vorbeikamen, steigerte sich in Ahrens Brust das wohlige Gefühl von Heimat. Er ertappte sich dabei, dass er Jelninolan Anekdoten aus seiner Ausbildungszeit, die er hauptsächlich in diesem Wald verbracht hatte, vorplapperte, die sie geduldig und mit einem nachsichtigen Lächeln ertrug. Über der Landschaft lag eine dichte Schneedecke, und so wirkte auch Tiefstein winzig und verschlafen, als sie an einem klaren Wintermorgen die einzige Straße des Dorfes entlangschritten und sich dem Dorfplatz näherten. Die einfachen Holzhäuser, die sich im Schutz des Waldrandes aufreihten – nie mehr als einen Bogenschuss vom Gehölz entfernt –, wirkten auf Ahren fremd und vertraut zugleich. Natürlich erkannte er jedes der Häuser wieder, aber irgendwie wirkten sie kleiner und weniger imposant, als er sie in Erinnerung hatte.

Während er noch über diese Veränderung in seiner Wahrnehmung nachgrübelte, stieß ihm Trogadon einen Ellbogen in die Seite.

»Warum habt ihr euer Dorf so in die Länge gezogen. Wirkt irgendwie unpraktisch. Allein die Laufwege müssen sehr lang sein«, sagte er verwundert. Auch wenn der Krieger alles andere als ein typischer Zwerg war, der Hang zum Pragmatismus, den das kleine Volk stets auszeichnete, war auch ihm zu eigen.

»Unsere Häuser sind zu zugig. Der Ostwind bringt vielen den Blauen Tod, also bauen wir nahe an den Bäumen, damit sie uns den nötigen Schutz geben«, sagte Ahren knapp. Auch seine Mutter war kurz nach seiner Geburt daran gestorben, und der Lehrling redete nicht gerne über die Krankheit.

Trogadon strich sich nachdenklich über den Bart. »Hm … verstehe«, murmelte er und betrachtete kritisch die Bauweise der umliegenden Häuser.

Ahren wollte gerade fragen, was dem Zwerg durch den Kopf ging, als ein Aufschrei ihn herumwirbeln ließ. In der Kälte dieses Wintermorgens waren sie bisher unentdeckt geblieben, aber nun hatte der Bäcker des Dorfes sie durch die Fensterläden erspäht und schrie das gesamte Dorf zusammen.

Sie kamen noch bis zum Dorfplatz mit seiner mächtigen Eiche, der gemauerten Schmiede, die seit Ahrens Fortgang ausgebaut worden war, und der kleinen Kapelle der Drei, in der Ahrens Reise seinen Anfang genommen hatte. Dann war ganz Tiefstein herbeigeströmt und schnell waren sie von einer staunenden, teils furchtsamen, teils fröhlichen Menge umringt. Falk hatte Selsena extra im Ostwald zurückgelassen, damit ihr Anblick die Tiefsteiner nicht überforderte, aber auch so war der Anblick einer Elfe und eines Zwerges die Sensation der letzten zehn Generationen in dem verschlafenen Dörfchen. Nur die Tatsache, dass Falk und Ahren wiedererkannt wurden, sorgte für ein herzliches Willkommen.

Während der Bürgermeister Gordo Pramsbildt, die Amtskette schief um den Hals und die Kleidung hastig angelegt, aus seinem Haus trat, erhob Uldini sich zum Erstaunen aller in die Luft und donnerte mit tragender Stimme: »Ich bin Uldini Getobo, Oberster der Alten und Liebling der Götter. Mit wem darf ich über eine Unterkunft sprechen?«

Sofort teilte sich die Menge vor dem unglücklichen Bürgermeister, der sich am liebsten wieder in die schützenden Wände seines Zuhauses zurückgezogen hätte.

Uldini schwebte auf den schlotternden Mann zu und redete erhaben auf ihn ein, aber Ahren bekam davon nicht viel mit, da er herumgerissen und in eine kräftige Umarmung gezogen wurde, der er keuchend und mit Mühe standhielt. Holken, einer seiner Jugendfreunde und nun in den Farben eines ausgebildeten Büttels gekleidet, drückte ihn fest an sich und lachte ihm dabei fröhlich ins Gesicht. »Mensch, Ahren, ist das schön, dich zu sehen! Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht, seit ihr in der Nacht des Nebelkatzenangriffs verschwunden seid«, rief er herzlich aus.

Ahren wollte gerade antworten, aber da packte ihn eine Hand an der Schulter und drehte ihn erneut überschwänglich um. Keinen Herzschlag später fand sich der Lehrling in der deutlich schwächeren, aber genauso freundschaftlichen Umklammerung Likis' wieder, der es sich nicht hatte nehmen lassen, sich zu seinem engsten Jugendfreund vorzukämpfen.

»Ahren!«, schrie der schmächtige Kaufmann ihm euphorisch ins Ohr. »Wo hast du gesteckt? Ist das dein Schwert?«

»Hast du den Zwerg mitgebracht?«

»Bist du jetzt ein Waldläufer?«

»Hast du Drachen gesehen?«

Die Fragen seiner Freunde prasselten von allen Seiten auf ihn ein, und Ahren hob lachend und abwehrend die Hände. »Langsam, langsam«, stieß er unter Tränen der Rührung und der Freude hervor. »Warum suchen wir uns nicht ein gemütliches, warmes Plätzchen und ich erzähle euch alles.«

Hunger.

Das Wort bohrte sich mit ungestümer Vehemenz in Ahrens Träume und zerstörte ein wunderschönes Bild von einer behaglichen Lichtung im Wald, das sein Unterbewusstsein gerade erschaffen hatte.

Hunger, ertönte es wieder in Ahrens Kopf.

Mit einem Stöhnen schlug er die Augen auf und starrte vorwurfsvoll in die treuen gelben Augen Culhens, der ihn mit einem stinkigen, schlabbrigen Gruß seiner Zunge, die ihm einmal quer durch das Gesicht fuhr, vollends weckte.

Hunger, durchfuhr es Ahren erneut, als Culhen seinem schier endlosen Wunsch nach Nahrung ein weiteres Mal Ausdruck verlieh.

Genervt rollte der Lehrling mit den Augen, während er sich hastig erhob, um der Zunge des Wolfes zu entgehen. Nicht zum ersten Mal zweifelte er an der Nützlichkeit des Wunders, das seine und Culhens Gedanken miteinander verschmolzen hatte. Der Wolf war nun sein Gefährtentier, auserwählt von ihr, die fühlt, dafür geschaffen, um Ahren auf seinem gefahrvollen Kampf gegen ihn, der zwingt, zu unterstützen. Aber alles, was Ahren bisher von dem Tier zu hören bekam, waren penetrante Aufforderungen nach mehr Nahrung, mehr Streicheleinheiten und noch mehr Nahrung. Wenn der dunkle Gott sich nicht zu Tode knuddeln ließ oder in einem Napf darauf wartete, heruntergeschlungen zu werden, würde Culhen keine große Hilfe sein.

Der Wolf heulte kurz auf und setzte sich auf die Hinterbeine, während er Ahren beleidigt ansah.

Unfair, erklang es in den Gedanken des frischgebackenen Paladins der Götter.

Ein bitterer Seufzer entfuhr dem Lehrling, während er sich in unterdrückter Frustration den Kopf rieb. Culhen konnte ebenso in seinen Geist blicken, wie der junge Mann in den des Wolfes. Das bedeutete, dass er nie alleine war und jeder seiner Gedanken offen und ungefiltert vor seinem vierpfotigen Freund dalag.

Er rief sich eine Erinnerung von Culhen ins Gedächtnis, wie dieser mit der lautlosen Laute im Maul das Weinende Tal verließ. Die Erinnerung an diesen Glanzmoment versöhnte den jungen Wolf immer und verschaffte Ahren meist einige Momente Luft, während das eitle Tier dasaß und sich in den ruhmreichen Bildern sonnte.

Das Licht in der Hütte wurde dunkler, als die breite Silhouette Falks im Türrahmen auftauchte.

»Na, gewöhnt ihr euch langsam aneinander?«, rumpelte die Stimme durch den kleinen Raum. Tiefe Wärme und eine gehörige Portion Heiterkeit schwangen in der Frage des alten Mannes mit.

Ahren warf frustriert die Arme in die Luft und deutete anschließend auf Culhen, der noch immer verträumt dasaß und sich an seiner vergangenen Heldentat ergötzte. »Es wird einfach nicht besser. Mehr als einzelne Wörter und grundlegende Gefühle bringt er nicht heraus - und meistens dreht es sich um Futter!«, stieß der junge Mann hervor.

Die Belustigung Falks war deutlich auf seinem Gesicht zu lesen. »Ich habe es dir doch schon so oft erklärt: Es braucht Zeit, damit die Verbindung wachsen kann. Übe mit ihm, rede in ganzen Sätzen, wenn du zu ihm sprichst, und vor allem: habe Geduld. Bisher war er nur ein recht kluger Wolf, aber sein Verstand hat eine größere Veränderung durchgemacht als deiner. Hilf ihm dabei, damit zurechtzukommen, dann gewöhnst auch du dich schnell an eure Verbindung und willst seine Anwesenheit in deinem Geist nicht mehr missen.« Bei den letzten Worten hatte sich ein wehmütiger Unterton in die Stimme des Waldläufers geschlichen.

Mitfühlend blickte Ahren zu seinem Meister hinüber. Der alte Mann hatte sich jahrzehntelang mit seinem Gefährtentier, dem Titejunanwa Selsena, überworfen und in dieser Zeit getrennt von ihr gelebt. Der Gedanke, seinen eitlen, gefräßigen Wolf auch nur eine Woche nicht zu sehen, trieb Ahren einen Kloß in den Hals und er herzte das Tier schnell, das sich zufrieden hechelnd an ihn schmiegte. Die Zuneigung beider verschmolz in ihrem Verstand zu einem harmonischen Gefühl der Verbundenheit, und Ahren lächelte glücklich.

»Na, geht doch«, brummte Falk zufrieden. »Kommt gleich ins Dorf, wenn ihr so weit seid. Uldini hat Neuigkeiten für uns.«

Ahren horchte auf und wollte sofort ein paar Fragen stellen, aber sein Meister hatte sich bereits umgedreht und die Hütte verlassen. Aufgeregt begann Ahren sich anzukleiden, wobei er auch den elfischen Bänderpanzer anlegte, den Jelninolan ihm vor über einem halben Jahr geschenkt hatte. Zum einen hatte er sich vorgenommen, weiter zu üben, wie man das komplizierte Geflecht aus Lederstreifen und -bändern schneller alleine anlegen konnte. Zum anderen waren die bewundernden Blicke der Dorfjugend recht ermunternd, wenn er in der Rüstung durch seinen Heimatort Tiefstein schlenderte. Auch wenn Ahren darauf brannte, zu erfahren, was in Jorath in den letzten Monden passiert war, nahm er sich die nötige Zeit, sich ganz auf seine Tätigkeit zu konzentrieren. Er wusste, was passieren konnte, wenn man sich in der Bänderrüstung verhedderte, und das Bild von Jelninolan, die – hilflos in die eigene Rüstung verschnürt – auf dem Boden ihres Zimmers lag, schob sich in seinen Geist und er musste lachen.

Culhen kläffte amüsiert und Ahren zauste ihm durchs Fell. Also das verstehst du, hm?, sandte er dem Wolf in Gedanken zu.

Culhen legte den Kopf schief und ein verwirrtes Gefühl drang in Ahrens Gedankenwelt ein. »Das wird schon«, sagte er laut und tätschelte seinem Freund noch einmal den Kopf.

Als er mit dem Anlegen der Rüstung fertig war, schnallte er sich Köcher und Windklinge auf den Rücken und hängte den Bogen dazu. Kurz durchfuhr ihn der Gedanke, dass er jetzt vielleicht ein bisschen dick auftrug, aber er beruhigte sein Gewissen mit der Ausrede, dass er anschließend noch trainieren wolle und die Waffen dann bereits zur Hand hätte.

Culhen sah ihn bewundernd an, und während Ahren durch die Tür nach draußen trat, fragte er sich, ob die Eitelkeit seines Wolfes durch ihre Gedankenverbindung auf ihn abfärbte und er sich deswegen so ausstaffierte. Die kühle Luft des endenden Winters füllte seine Lungen und die vertrauten Geräusche und Gerüche des Ostwaldes ließen ihn abermals lächeln. Er drehte sich langsam um die eigene Achse und genoss das Gefühl der Vertrautheit, das der Anblick der Bäume und der kleinen Hütte Falks in ihm auslöste. Die mächtigen Tannen der Umgebung schienen ein schützendes Dach über der kleinen Holzhütte zu bilden, und die Sonnenstrahlen der kräftigen Wintersonne ließen die Eiskristalle auf dem Dach hypnotisch funkeln.

Hier hatte er seine ersten Schritte als Lehrling eines Waldläufers getan und von hier aus war er letztes Jahr zu seiner gefahrvollen Reise aufgebrochen, um zum Paladin der Götter ernannt zu werden. Es hatte in den letzten Monden Momente gegeben, in denen er sich sicher gewesen war, die Waldläuferhütte nie mehr wiederzusehen. Mehr als einmal war er nur knapp dem Tod entronnen und seine Suche nach den drei Einhan hatte ihn immer weiter von Tiefstein fortgeführt. Aber schließlich hatte er die Fürsprecher für seine Ernennung gefunden, und sie hatten das Ritual durchgeführt, das ihn zum Paladin ernannt hatte und ihm die Gaben der drei zuteilwerden ließ.

Zumindest zwei davon, denn die Rüstung und Waffen von ihm, der ist, fehlten noch. Erleichtert war er vor allem über die erste Gabe: Er, der formt, hatte Ahrens Geist und Körper nun vor jeder Einflussnahme von außen geschützt. Vorbei war die Gefahr, dass der Widersacher oder jemand anderes in seinen Kopf eindrang und an seinen Gedanken und Gefühlen herumpfuschte.

Na ja, bis auf Culhen, dachte er müde, während er von einem drängenden Hunger malträtiert wurde, der eindeutig wölfischen Ursprungs war.

Es gibt gleich was, tröstete er das Tier, und erwartungsvoll schleckte Culhen sich das Maul.

Der prächtige Wolf als sein Gefährtentier war die zweite Gabe, das Geschenk von ihr, die fühlt, auch wenn Ahren darin ein wenig Schummelei sah. Schließlich hatte er den Blutwolf damals eigenhändig als Welpen aus dem Zwang des dunklen Gottes befreit – und nun bekam er ihn als Gottesgabe?

Culhen winselte bei diesem Gedanken, und schnell streichelte Ahren den Kopf des Tieres. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, würde er den Wolf gegen kein Gefährtentier der Welt eintauschen, nicht einmal gegen einen Drachen oder Greifen.

Zufrieden huschte Culhen ins Unterholz, und Ahren erkannte über ihre geistige Verbindung, dass der Wolf ein Kaninchen jagte, das sich unvorsichtigerweise zu nahe an den Waldweg herangetraut hatte. Während Culhen sich ein leichtes Frühstück fing, um sich danach zweifelsohne ein Nickerchen zu gönnen, ging Ahren weiter auf seinen Heimatort zu. Es war einiges seit ihrer Ankunft in Tiefstein passiert.

Uldini hatte natürlich seinen Status ausgespielt, und innerhalb eines halben Tages waren er, Trogadon und Jelninolan im Haus des Bürgermeisters untergekommen, der – ein wenig überrumpelt – plötzlich in der kleinen Gästehütte des Dorfes nächtigen musste, weil sein Heim plötzlich von wichtigen Persönlichkeiten überquoll.

Jeden Tag tummelten sich in der Schänke neugierige Tiefsteiner, die den endlosen Geschichte Trogadons lauschten. Der Zwerg erzählte ungeniert – und ein wenig übertrieben – aus seinen Tagen als Söldner, während er Unmengen an Bier in sich hineinschüttete, lachte und zwergische Trinklieder sang. Die übrigen Gefährten waren dem Krieger aus tiefstem Herzen dankbar, denn dadurch, dass er alle Aufmerksamkeit der Dörfler auf sich zog, blieben die anderen weitestgehend von Fragen verschont und konnten sich in Ruhe erholen. Der Zwerg hingegen war so voller Lebensfreude, dass er seine inoffizielle Aufgabe sichtlich genoss und seinen Erfolg bei der Damenwelt Tiefsteins weidlich auskostete. Mehr als ein eifersüchtiger Verehrer der nun abgelenkten Frauen hatte den zwergischen Kämpfer verdreschen wollen, aber die Versuche endeten stets mit einer menschlichen Nase, deren Blutung mit dem Schnee des Winters gestillt wurde. Auch half es dem Ansehen des Zwerges, dass er den Tiefsteinern mit seinem Wissen um zwergische Architektur im Laufe des Winters die Herstellung eines Mörtelgemisches beibrachte, das es ihnen ermöglichte, ihre Häuser endlich so weit abzudichten, dass die Gefahr des Blauen Todes der Vergangenheit angehörte.

Mit den Wochen legte sich allmählich die Aufregung um die Neuankömmlinge, und auch wenn die Schenke noch immer jeden Abend voll und die starken Arme des Zwerges nie leer waren, war der Glanz des Neuen mittlerweile weitestgehend verflogen.

Ahren hatte den Winter sehr genossen. Die Wochen waren nur so verflogen, während er entweder mit seinen alten Freunden zusammengesessen hatte oder seinem Training nachgegangen war.

Denn auch wenn sich die Magier ausruhen mussten, hatte Falk seinem Schützling schnell klargemacht, dass dies nicht für ihn galt. »Du hast keine Magie gewirkt, also gibt es auch keine Pause«, war alles was er dazu gesagt hatte, bevor er Ahren kreuz und quer durch den verschneiten Ostwald gescheucht hatte. Der alte Mann hatte Hindernisparcours errichtet und überall im Wald Ziele auf die Bäume gemalt und anschließend eine alte Sanduhr genutzt, um die Zeit zu stoppen, die Ahren benötigte, um die Strecken abzulaufen und gleichzeitig alle Ziele mit seinen Pfeilen zu treffen. Diese Übungen waren nur vom Schwertkampftraining mit Khara unterbrochen worden, die ihn regelmäßig unter den bewundernden Augen der Dorfjungen haushoch besiegte.

Jetzt, wo der Frühling vor der Tür stand, hatte alles eine gewisse Routine angenommen. Uldini und Jelninolan waren fast genesen, Trogadon ließ es sich noch immer gutgehen und Ahren verbrachte seine Zeit mit dem Training und mit seinen Freunden. Das einzig Ärgerliche war, dass Holken und Likis mittlerweile darauf bestanden, dass er Khara zu ihren Treffen mitbrachte, und die beiden sich jedes Mal darin überboten, dem Mädchen zu imponieren. Sehr zu Ahrens Verdruss schien Khara deren Aufmerksamkeit auch noch zu gefallen, und sie lächelte seine Freunde an einem einzigen gemeinsamen Nachmittag häufiger an, als ihn im gesamten vergangenen halben Jahr.

Ahren blinzelte überrascht, als er den Rand Tiefsteins erreichte. Seine Grübelei hatte ihn den ganzen Weg zum Dorf über beschäftigt und nun erblickte er die Lebhaftigkeit der kleinen Ortschaft, die langsam aus dem Winterschlaf erwachte. Ein bleigrauer Himmel hing über dem Ostwald, der seine Drohung eines heftigen Schneesturms jedoch bisher nicht wahrgemacht hatte und so allen im Dorf die Hoffnung gab, dass er unverrichteter Dinge weiterzog. Also wurden Vorräte gezählt, die ersten Absprachen für die Frühjahrsarbeiten getroffen, und hier und da hörte man bereits geschäftiges Hämmern. Freundliche Gesichter blickten Ahren entgegen, wo immer er jemandem begegnete, und der Lehrling beobachtete, wie einige scheu die Augen abwendeten, wenn er sie herzlich grüßte. Er hatte sich selbst noch nicht an seinen Status als Paladin gewöhnt, doch manche Tiefsteiner taten sich mit seiner neuen Position offensichtlich noch schwerer. Ahren hatte über die letzten Wochen verteilt mehr als ein Dutzend Entschuldigungen von betreten dreinblickenden Burschen entgegengenommen, die ihm früher das Leben schwergemacht hatten. Die ersten hatte der junge Paladin noch als wohltuend empfunden, zum Ende hin hatte er jedoch die reuigen Jugendlichen direkt unterbrochen und ihnen versichert, dass weitere Worte überflüssig waren und er ihnen verzieh.

Nur einer entschuldigte sich nicht, der Einzige, der es wirklich nötig gehabt hätte. Sven, der Müllerssohn, wechselte kein Wort mit ihm, aber bei mehr als einer Gelegenheit hatte Ahren bemerkt, wie ihn die hasserfüllten Blicke des missgünstigen jungen Mannes durchbohrt hatten.

Der Lehrling erreichte den Hauptplatz und sah Trogadon, der zufrieden auf der Bank vor der Schenke saß, in einer Hand einen Bierkrug, im anderen Arm Hilda, eine Magd, die ihre Zuneigung gegenüber dem Krieger immer wieder gerne unter Beweis stellte und mittlerweile jeden freien Atemzug bei dem fröhlichen Zwerg verbrachte. Die Frau schlief und hatte sich an die fassförmige Brust des Zwerges gekuschelt, der Ahren in diesem Moment aufmunternd zuwinkte.

Da Ahren Hilda nicht wecken wollte, erwiderte er den stillen Gruß und ging weiter zum Haus des Bürgermeisters, wo er Uldini und die anderen vermutete. Das Stadtoberhaupt Tiefsteins stand unschlüssig vor seinem eigenen Heim, offenkundig unsicher, ob er anklopfen sollte oder nicht. Als der dickliche Mann mit dem gewaltigen Schnurrbart und dem schütter werdenden, roten Haar Ahren erblickte, atmete er erleichtert aus und ging dem jungen Mann hastigen Schrittes entgegen.

»Guten Morgen, Meister Paladin. Ich hoffe, Ihr habt wohl geruht«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung. »Ob Ihr mir vielleicht einen kleinen Gefallen erweisen könntet?« Seit der Mann von Ahrens Berufung zum Paladin erfahren hatte, verhielt er sich ihm gegenüber sehr förmlich und ungemein respektvoll, und der junge Mann ertappte sich noch immer dabei, wie er sich zunächst vergewisserte, dass diese Höflichkeit tatsächlich ihm galt und nicht jemandem, der zufällig hinter ihm stand.

»Guten Morgen, Herr Bürgermeister. Was kann ich für Euch tun?«, fragte er seinerseits höflich und ein wenig befangen.

»Ob Ihr die hohen Herrschaften wohl fragen könntet, wie lange sie noch hier wohnen wollen? Der Frühling naht und ich müsste langsam zu meinen Geschäften zurückkehren …« Die Stimme des Mannes verlor sich, und Ahren unterdrückte mühsam ein Schmunzeln. Uldini hatte diesen Mann bereits den gesamten Winter ausquartiert, und es musste den armen Pramsbildt allen Mut gekostet haben, Ahren seine Bitte vorzutragen.

»Ich werde ihn fragen, aber ich kann Euch versichern, es wird nicht mehr lange dauern, bis wir abreisen.« Hoffentlich versprach er da nicht zu viel, andererseits konnte Ahren sich nicht vorstellen, dass sie noch viel Zeit in Tiefstein verbringen würden. Elf Paladine mussten noch gefunden werden, und sie hatten nur wenige Jahre, bis der dunkle Gott sich erneut erheben würde. Dass Uldini anscheinend bedeutende Neuigkeiten erhalten hatte, erhärtete seinen Verdacht, dass ihre ruhige Zeit in seiner alten Heimat zu Ende ging. Während Ahren bei diesem Gedanken ein schmerzhafter Stich des Bedauerns durchfuhr, nickte ihm der Bürgermeister dankbar, fast schon enthusiastisch zu und verabschiedete sich mit einer weiteren tiefen Verbeugung.

Ahren verdrängte seine Trauer über den bevorstehenden Abschied und öffnete die Tür des zweistöckigen Gebäudes, das für Tiefsteins Verhältnisse wohlhabend eingerichtet war. Der Wohnraum war mit einem kaum verblichenen Teppich ausgestattet, dazu einigen gut erhaltenen Wandbehängen, dunklen Möbeln mit spärlichen Verzierungen und einem solide gemauerten, riesigen Kamin, dessen Feuer eine gemütliche Wärme verbreitete. Ein ausladender Tisch mit acht Stühlen, an denen seine Gefährten saßen, die ihn nun erwartungsvoll anblickten, dominierte die Mitte des weitläufigen Zimmers.

»Siehe da, unser hochwohlgeborener Paladin beehrt endlich das gemeine Fußvolk mit seiner Anwesenheit.« Es tat gut, zu sehen, dass der Magus zu seiner alten Form zurückfand, und Ahren musterte ihn eingehend. Die Stimme des vermeintlich zehn Winter alten Jungen in der schwarzen Robe, der am Kopfende des Tisches saß, troff vor Sarkasmus. Uldini hatte das Geheimnis der Unsterblichkeit bereits in jungen Jahren entdeckt, so dass er nun in diesem knabenhaften Körper feststeckte und dies mit seiner mitunter ätzenden Art zu kompensieren versuchte. Ahren wusste, der Alte konnte auch anders, etwa wenn er sich unter Höflingen bewegte, aber hier und jetzt ließ er seiner jovialen Art freien Lauf. »Wenn du nichts dagegen hast, würden wir nun gerne damit anfangen, die Welt vor einem wahnsinnigen Gott zu retten – es sei denn, du hast gerade noch etwas Besseres vor.«

»Es ist genug, er hatʼs verstanden«, warf Jelninolan sanft, aber bestimmt ein. Die Elfenpriesterin trug ihr grünes Gewand aus Elfenstoff und darüber einen schweren Fellumhang, den ihr Jorek, der Gerber, geschenkt hatte. Zur Überraschung aller hatte die Elfe den stillen kleinen Mann in ihr Herz geschlossen und mehr Nächte in seinem Haus verbracht, als in ihrer eigenen Schlafstatt. Ahren hatte anfangs einen Stich der Eifersucht verspürt, da er seine Schwärmerei für die Elfe noch immer nicht recht verwunden hatte, aber schlussendlich hatte er sich eingestanden, dass er in der Priesterin lieber eine Art Mutterersatz denn etwas anderes sah.

Falk grinste seinen Lehrling an und schob ihm mit dem Fuß einen Stuhl entgegen. Die breitschultrige, grauhaarige Gestalt seines Meisters steckte heute in seiner üblichen Ledermontur, die zeigte, dass er sich an diesem Tag eher als Waldläufer denn als Paladin sah. Je nach Situation präsentierte sich der alte Mann als Baron Dorian Falkenstein, den Streiter der Götter, oder als Falk, den Waldläufer. Ahren wünschte, sein Meister würde endlich einen Weg finden, seine beiden Leben miteinander zu vereinen, aber er erfuhr an sich selbst, wie schwer das sein konnte. Hier in Tiefstein war Ahren die ersten dreizehn Jahre seines Lebens einfach nur der bemitleidenswerte, schüchterne Sohn des Dorfsäufers gewesen. Dann hatte ihn der brummige Mann vor ihm als seinen Lehrling aufgenommen, und Ahrens Leben hatte sich von Grund auf verändert. Auch seine lange und gefahrvolle Reise und die Ernennung zum Paladin waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen, und wenn er sich im Eis des Teiches hinter der Hütte ansah, erkannte Ahren sich manchmal selbst nicht wieder. Wie musste es erst für einen Mann sein, der über Jahrhunderte hinweg in einer Rolle und dann jahrzehntelang in einer anderen gesteckt hatte.

»Willst du mich weiter bewundernd ansehen oder setzt du dich heute noch mal?«, fragte Falk belustigt, und schnell nahm der junge Paladin mit beschämt gerötetem Kopf Platz.

Khara kicherte über das Missgeschick des Lehrlings und warf ihm unter ihren langen schwarzen Wimpern einen belustigten Blick zu. Das Mädchen mit den mandelförmigen dunklen Augen und der schmalen Nase ließ in letzter Zeit häufig seine Haare ins Gesicht fallen, nur um die Welt durch einen schwarzen Schleier hindurch zu beäugen. Ahren war sich sicher, es tat das nur, um exotisch zu wirken, aber Holken und Likis waren von dieser nervigen Angewohnheit völlig hingerissen. Er verzog das Gesicht ungnädig in Kharas Richtung und drehte sich dann betont gelassen zu Uldini um.

»Falk sagte, es gäbe Neuigkeiten?«, fragte er so beiläufig wie möglich.

Jelninolan schmunzelte über seinen Versuch, die wachsende Neugier zu verbergen, hinter vorgehaltener Hand, und Uldini kam direkt zum Wesentlichen. »Ich habe den gesamten gestrigen Tag mit den anderen Alten kommuniziert, um einen Überblick über die momentanen Geschehnisse in Jorath zu erhalten.«

»Bist du dafür nicht noch etwas zu schwach?«, warf Falk besorgt ein.

Uldini wischte den Vorwand mit einer herrischen Handbewegung zur Seite. »Wir brauchen Informationen und wir brauchen sie schnell. Ohne zu wissen, was da draußen los ist, können wir unsere nächsten Schritte nicht planen.«

»Ich dachte, wir reisen zur Ehernen Stadt?«, fragte Ahren verblüfft. Khara hatte in der Nacht der Ernennung von einer seltsamen alten Frau Besuch erhalten, die ihr verraten hatte, dass ein Paladin in Gefahr schwebte, da er in einer Belagerung feststeckte und ein wütender Kaiser seinen Kopf wollte.

Uldini rollte die Augen in den Kopf. »Und ich dachte, ich hätte bereits deutlich genug gesagt, dass wir unsere Pläne nicht nach den Aussagen seltsamer Omas richten, die sich einfach so gefahrlos durch eine stockfinstere Ebene voller Dunkelwesen bewegen können. Das ist nicht gerade die vertrauenswürdigste Quelle, weißt du?« Die letzten Worte begleitete ein Tonfall, den der Magus sonst für besonders dumme Menschen reservierte, und Ahren musste sich zusammenreißen, um keine pampige Antwort zu geben.

»Und? Was hatten die Alten zu berichten?«, rief Jelninolan dazwischen und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf der Tischplatte.

Uldini lehnte sich zurück und schloss die Augen, während er in eine dozierende Sprechweise verfiel. »Eathinian rüstet sich zum Krieg. Dein Volk nimmt die Gefahr sehr ernst und es werden Kampfbögen und gehärtete Pfeile erschaffen, so schnell eure Zauberwerker nur können. Die Tierwisperer suchen den Immergrün nach bereitwilligen Raubtieren ab und nehmen die vielversprechendsten unter ihre Fittiche, um sie auszubilden und mit Rüstungen zu versorgen. Die Titejunanwas patrouillieren an den Grenzen des Waldes, und abseits der Handelspfade kann man keine zehn Schritte im Immergrün tun, ohne dass man aufgehalten wird.« Er öffnete seine Augen und sein Blick richtete sich auf Falk. »Die Rittermarschen sind im Aufruhr, aber König Blaugrund hat mittlerweile fast alle Barone um sich geschart. Die Grenztürme zu den Elfen sind wieder unbesetzt, stattdessen werden überall große Ritterspiele abgehalten. Elgin hat ihm dazu geraten, um die Einsatzfähigkeit der Ritter und Lehnsleute zu erhöhen, ohne die Stimmung durch eine Kriegswarnung weiter zu verschärfen. So haben die Bauern was zu gaffen, sind glücklich und werden gleichzeitig auf den Ernstfall vorbereitet. Es kostet die Krone zwar einen Haufen Gold, die vielen Preisgelder auszuloben, aber Senius war klug genug, zu erkennen, dass die Staatskasse dort gut angelegt ist. Es wird dich freuen, zu hören, dass Erik Grautuch sich als recht fähiger Truchsess entpuppt hat, der deine Ländereien langsam wieder auf Vordermann bringt.«

Falk nickte dankbar und Ahren freute sich für seinen Meister. Die Baronie Falkenstein war lange Zeit in unfähigen und korrupten Händen gewesen, und Falk hatte bei ihrem Besuch auf der Königsinsel dafür gesorgt, dass seinem Anwesen nun ein einfacher Hauptmann vorstand. Anscheinend hatte sich diese Entscheidung als sinnvoll erwiesen. Auch dass die Rittermarschen vom Rande eines Bürgerkriegs zur Normalität zurückfanden, war ungeheuer wichtig für die Zukunft Joraths. In den kommenden Schlachten gegen die Dunkelwesen würden sie die Hilfe der Ritter des Reiches noch bitter nötig haben. Ahren legte dem alten Mann warmherzig seine Hand auf die Schulter, der noch immer lächelte, erleichtert ob der guten Neuigkeiten.

»Ab jetzt wird der Bericht weniger rosig. Die Clans des Grünen Meeres verhalten sich still. Alle Versuche der Kontaktaufnahme sind gescheitert. Irgendetwas geht da vor sich, und ich würde gerne nachforschen, aber die Clans sind eigen. Wenn wir in irgendein heiliges Ritual hineinplatzen, können wir eine Zusammenarbeit in den nächsten zehn Jahren vergessen, also warten wir erst mal ab. Tausend Hallen und das Silberne Kliff treiben weiter fleißig Handel, aber von den Zwergen habe ich auch nichts anderes erwartet. Bevor wir nicht mit dem König der Hallen persönlich sprechen und die Lage darlegen, wird das kleine Volk keine Vorbereitungen für einen Krieg treffen. Andererseits sind sie seit tausend Jahren praktisch ständig kriegsbereit, also sehe ich keinen Bedarf für rasches Handeln.«

»Wo wir gerade von Zwergen reden, wo ist eigentlich Trogadon?«, warf Falk ein, während Uldini genervt die Augen rollte, weil er wieder unterbrochen wurde.

»Der hat es sich mit Hilda vor der Schenke gemütlich gemacht«, sagte Ahren trocken.

»Gibt das nicht irgendwann Ärger, wenn er mit der Hälfte aller alleinstehenden Damen des Dorfes anbändelt?«, fragte Falk und machte eine vielsagende Geste über seinem Bauch.

Uldini schüttelte den Kopf. »Zwerge können sich mit Menschen nicht fortpflanzen. Deswegen benehmen sie sich auch so … ungezwungen.«

»Ich hole ihn«, sagte Khara leise und stand in einer einzigen weich fließenden Bewegung auf. Während er dem Mädchen nachsah, fragte Ahren sich zum wiederholten Male, wie sie das hinbekam. Jede Regung der ehemaligen Sklavin schien ohne Ansatz oder Pausen zu erfolgen. Wann immer sie handelte, geschah dies ohne zu zögern und ohne überflüssige Energie zu vergeuden, in einem genau abgemessenen Tempo.

Khara verließ den Raum, und der Magus atmete tief durch, dann griff er seinen Monolog wieder auf. »Jetzt wird es richtig spannend. Der leidige Krieg zwischen den Sonnenebenen und dem Ewigen Reich ist eskaliert, nachdem sich beide Armeen aus ihren verschanzten Stellungen vorgewagt haben, hinter denen sie jahrelang hockten. Anscheinend hat Justinian einige empfindliche Niederlagen im Südwesten hinnehmen müssen und der innenpolitische Druck auf ihn wächst. Schon wetzen viele Senatoren die Messer und hoffen darauf, dass unser geliebter Sonnenkaiser beim gemeinen Volk in Ungnade fällt. Wenn das passiert, wähnt sich ein jeder von ihnen nur einen Dolchstoß vom Kaiserthron entfernt, da Justinian keine Kinder hat. Quin-Wa hingegen regiert weiter mit eiserner Faust und sieht sich schon als Herrscherin ganz Mitteljoraths.«

Betretenes Schweigen breitete sich am Tisch aus und Ahren nutzte die Gelegenheit für eine Frage. »Können wir den Krieg nicht irgendwie beenden? Ich meine, jetzt, wo die dunklen Tage zurückkehren, sollten die Völker doch zusammenhalten, oder nicht?«

Uldini schnaubte abfällig, aber Falk war es, der antwortete. »Theoretisch schon, aber der Konflikt zwischen den beiden größten Menschenreichen besteht schon seit über vierzig Jahren und wurde von Quin-Wa seit sehr langer Zeit geplant. Sie ist eine von uns, also ein Paladin. Keiner kennt ihre Ziele, und unbeschadet bis zu ihrem Palast vorzudringen, gilt als schier unmöglich. Zwar ist sie selbst zugleich Magierin und Paladin, doch sie duldet außer sich keine anderen Magier oder Paladine in ihrem Reich.«

Uldini blickte Ahren fest in die Augen. »Das Beste, was wir erreichen können, ist Justinian davon zu überzeugen, einen Stellungskrieg zu führen und sich so lange zu verbarrikadieren, bis wir persönlich vor ihr stehen und Quin-Wa davon überzeugen können, ihre Pläne aufzugeben. Aber das könnte schwierig werden, denn ich habe noch keine Ahnung, wie wir uns durch ein riesiges Reich schmuggeln wollen, in dem uns jeder hasst, fürchtet oder an den Pranger stellt. Aber du hast recht, die beiden größten Armeen der Welt dreschen seit Jahrzehnten aufeinander ein – und bei jedem Toten lacht er, der zwingt, sich ins Fäustchen.«

»Was ist also dein Plan?«, fragte Jelninolan ungeduldig.

Die kleine Gestalt richtete sich kerzengerade auf und wollte gerade antworten, als Trogadon und Khara den Raum betraten. Der Zwerg nickte allen wortlos, aber freundlich zu und bedachte Ahren mit einem Augenzwinkern. Unwillkürlich musste der junge Mann lächeln, und Uldini räusperte sich, um sich die Aufmerksamkeit der Gruppe zu sichern, während Khara und Trogadon sich setzten.

»Die Elfen des Wutwalds berichten, dass die Grenzlande nach unserer Flucht kaum noch passierbar sind. Es wimmelt dort von Dunkelwesen und die Wutelfen sind mittlerweile überfordert. Außerdem hört man wieder von Raubzügen der Nomaden in den südlichen Eisfeldern. Aber das nur am Rande. Für uns von unmittelbarer Bedeutung ist, dass Kharas nächtliche Besucherin recht hatte. Aus irgendeinem Grund belagert die 17. Legion die Eherne Stadt, und auf den Hauptmann der Blauen Kohorte ist ein Kopfgeld ausgesetzt, tot oder lebendig. Ich konnte nicht herausfinden, was im Inneren der Stadt vor sich geht, aber wir sollten sie erreichen, bevor sie fällt.«

»Wie lange haben wir?«, fragte Falk knapp.

Uldini wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Wenn sich keine der beiden Seiten allzu dumm anstellt, vielleicht bis zum nächsten Winter. Aber nur, wenn niemand auf die Idee kommt, die Blaue Kohorte auszuliefern, um den Kaiser gnädig zu stimmen. Momentan werden die Söldner noch als Helden gefeiert, weil sie sich gegen Justinian gestellt haben, aber ein leerer Magen bringt die meisten Menschen dazu, ihre Prioritäten noch einmal zu überdenken.«

»Wer ist die Blaue Kohorte eigentlich genau?«, fragte Ahren neugierig. Er hatte im Laufe der letzten Wochen hier und da ein paar Informationen aufgeschnappt und wusste nur, dass es sich um eine legendäre Söldnertruppe handelte, die eigentlich von allen Herrschern hochgeschätzt wurde.

Jelninolan blickte ihn mit einem entrückten Gesichtsausdruck an, sie schien halb verloren in Erinnerungen an eine lang vergangene Zeit. »Sie werden von Bergen Olgitram, dem fünften Paladin, angeführt. Er war schon immer ein Raufbold und hatte wenig für Autorität gleich welcher Art übrig. Nach dem Anketten des Widersachers unter die Bannsäule verschwand er ohne ein Wort und ein Jahrhundert später hörte man das erste Mal von der Blauen Kohorte. Zwei Dutzend Kämpfer – niemals mehr, niemals weniger –, die von außerordentlicher Kampfkraft beseelt und mit großer Zähigkeit gesegnet sind, die schwersten Aufträge annehmen und fast immer siegreich aus einem Konflikt hervorgehen.«

Trogadons Augen leuchteten freudig auf, als er die Schilderungen der Elfe vernahm. »Das klingt ganz nach meinem Geschmack. Diesen Bergen Olgitram und seine Truppe würde ich nur zu gerne kennenlernen. Aber warum ist der Sonnenkaiser hinter dem Hauptmann her, wenn er und seine Männer doch einen so guten Ruf genießen?«

»Weil sowohl Bergen als auch Justinian verdammt sture Schwachköpfe sind«, fauchte Uldini aufgebracht. Kleine Blitze zuckten von der Gestalt des Magus fort, als er, wild mit den Händen fuchtelnd, weitersprach. »Die Eherne Stadt wird von drei Familien kontrolliert, die als Triumvirat die Geschicke der Bürger lenken. Die Stadt grenzt direkt an Tausend Hallen, wodurch sie den bei weitem größten Umschlagsplatz für Zwergenstahl bildet – und ihre Schmieden sind überragend. Über die Hälfte aller Waffen für die Legionen der Sonnenebenen werden dort geschmiedet oder gehandelt. Die Bevölkerung ist ein Gemisch aus Nordmännern, Zwergen und dem Volk aus den Ebenen, und alle legen großen Wert auf ihre Unabhängigkeit. Das Beste, was sämtliche Sonnenkaiser der Geschichte bisher erreichen konnten, war es, ein alleiniges Handelsrecht zu erwirken. Alle Waffen der Ehernen Stadt werden in die Sonnenebenen verkauft, dafür zahlt der Kaiser im Ankauf Höchstpreise.« Uldini hatte sich durch seinen eigenen Monolog ein wenig beruhigt, aber nun kehrte die Wut in seine Stimme zurück. »Justinian hat in einem Anflug geistiger Umnachtung beschlossen, die Stadt einzunehmen, um die Kosten für die Waffen zu drücken. Dazu wollte er sich der Blauen Kohorte bedienen, die dort gerade einen Garnisonsvertrag über zehn Sommer ableistet. Justinian durfte keine Legionssoldaten in der Stadt unterbringen, also bezahlte er Bergens Söldner dafür, dass diese ein Auge auf die Einhaltung des Vertrags zwischen dem Triumvirat und den Ebenen werfen. Doch dann hat er den Wachbefehl der Kohorte in einen Angriffsbefehl verwandelt. Er wollte die Stadt im Handstreich einnehmen. Vierundzwanzig Elitesöldner im Inneren einer ahnungslosen Stadt – die Kapitulation wäre unausweichlich gewesen. Doch als die Soldaten von Justinians 17. Legion die Stadt stürmen wollten, stellten sie fest, dass die Blaue Kohorte ihnen nicht die Tore öffnete, sondern stattdessen das Triumvirat gewarnt hatte. Bergen lebt seit jeher nach einem sehr strengen Ehrenkodex und so hatte er beschlossen, den Verrat an der Ehernen Stadt nicht mitzutragen.« Uldini seufzte schwer und schlug sich eine Hand vor die Augen. »Justinian kann jetzt nicht mehr zurück, ohne sein Gesicht zu verlieren. Er muss die Stadt einnehmen und die Blaue Kohorte wegen Befehlsverweigerung hinrichten lassen. Sollten die Waffenlieferungen aus der Ehernen Stadt über mehr als zwei Sommer ausbleiben, werden die Sonnenebenen wiederum den Krieg gegen das Ewige Reich verlieren. Justinian wird also früher oder später handeln müssen und daher die Abriegelung der Stadt immer weiter verschärfen – in einer Stadt, in der keine Nahrung angebaut wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Volk Sturm läuft und Köpfe rollen sehen will. Da wir Bergen brauchen, sollten wir ihn dort herausholen, bevor er den hungrigen Bürgern oder dem rachsüchtigen Kaiser zum Opfer fällt.«

Ahren stierte Uldini ungläubig an. »Der Sonnenkaiser will einen Paladin töten, weil der ihm nicht beim Verrat an einer verbündeten Stadt geholfen hat? Und das ausgerechnet jetzt? So dumm kann doch keiner sein!« Bevor er sich's versah, hatte der Lehrling in einem Anfall frustrierter Wut seine Faust auf den schweren Tisch niedergehen lassen.

Keiner wies ihn zurecht, und als der junge Mann sich umsah, erkannte er, dass die anderen ebenso fühlten wie er.

»Justinian weiß nicht, dass der dreizehnte Paladin zurück ist«, erklärte Falk in grimmigem Ton. »Für ihn macht es keinen Unterschied, ob nun ein oder zwei Paladine fehlen. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich bei manchen sogar der Irrglaube durchgesetzt, er, der zwingt, komme nicht zurück, solange es keine dreizehn Paladine gäbe. Daher gab es in der Vergangenheit einige fehlgeleitete Anschläge auf uns. Ein weiterer Grund, warum viele von uns in den letzten Jahrhunderten Anonymität und Abgeschiedenheit bevorzugt haben.«

Ahren musste das erst mal verdauen. Natürlich war es schwer nachzuvollziehen, dass der Zauber der Bannsäule an die Rückkehr des dreizehnten Paladins geknüpft war. Aber die Vorstellung, dass man Jagd auf die anderen Paladine machte, um ihre Anzahl immer unter dreizehn zu halten, war für ihn unbegreiflich und ließ einen Schauer über seinen Rücken gleiten.

Uldini meldete sich wieder zu Wort. »Glücklicherweise ist dieser Irrglaube nicht weit verbreitet. Und wenn wir mit Justinian sprechen, wird er hoffentlich einsehen, dass Bergen im kommenden Krieg gebraucht wird. Mein Kaiser ist zwar stur, aber nicht dumm.« Der Magus schüttelte den Kopf. »Da ist man mal einen Sommer nicht am Hof und sofort geht alles schief.«

Ahren erinnerte sich dunkel daran, dass Uldini eigentlich der Hofmagus des Sonnenkaisers war. Der Alte hatte im vergangenen Frühling jedoch alles stehen und liegen gelassen, als Ahrens Anwartschaft auf den Titel des Paladins offenbart worden war, um zu dem ahnungslosen jungen Mann zu eilen und ihn vor einer Attacke durch Dunkelwesen zu retten. Also war der Herrscher der Sonnenebenen nun ohne magischen Rat und ohne den Beistand eines der Alten, der ihm mitteilen konnte, was in der Zwischenzeit passiert war.

»Habt Ihr ihm denn keine Nachricht geschickt?«, fragte Ahren verwundert. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein unsterblicher Magus derart nachlässig wäre.

Uldini blickte ihn scharf an, verbiss sich dann aber eine Erwiderung. »Quin-Wa ist eine geschickte Manipulatorin. Sie traktiert die Sonnenebenen schon seit vielen Jahrzehnten mit Fehlinformationen, falschen Boten und fingierten Omen. Jede Nachricht von größerer Tragweite, die den Sonnenkaiser erreicht, muss von mehrfacher Seite bestätigt oder von mir überprüft werden, bevor sie als wahr erachtet wird. Und da ich nicht da bin …« Uldini ließ den Satz ausklingen, und Ahren erkannte die ganze Tragweite der Konsequenzen, die der überstürzte Aufbruch des Magus hervorgerufen hatte.

»Also, wie lautet der Plan?«, fragte er benommen. Er hoffte, dass es nicht noch mehr schlechte Neuigkeiten gab. Bei all den Komplikationen, von denen er gerade gehört hatte, kam ihm seine Ernennung auf einmal wie ein Göttertagsausflug vor.

Uldini zuckte in gespielter Gelassenheit mit den Achseln. »Wir reisen zum Sonnenkaiser, präsentieren dich als den dreizehnten Paladin und reden ihm den Schwachsinn aus, Bergen hinrichten zu wollen. Dann finden wir einen Weg, um die Beziehungen zur Ehernen Stadt zu retten, und zwar so, dass Justinian nicht das Gesicht verliert. Sobald Justinian wieder an neue Waffen gelangt, können wir einen Sieg Quin-Was verhindern und sicherstellen, dass die Sonnenebenen politisch stabil bleiben.«

Trogadon pfiff anerkennend durch die Zähne. »Da haben wir aber ein schönes Stück Arbeit vor uns.«

Falk schüttelte missmutig den Kopf. »Das war nur die Variante, in der alles glatt läuft. Dieses ganze Schlamassel kann für uns noch deutlich komplizierter werden.«

Die Warnung des alten Waldläufers hing wie eine düstere Vorahnung im Raum, und keiner wollte sich mehr dazu äußern, während jeder von ihnen ins Feuer des Kamins starrte und darüber nachdachte, was ihnen dieser Frühling an Ärger bescheren mochte.

Sie saßen noch den Großteil des Morgens zusammen und unterhielten sich über Unwägbarkeiten und Risiken ihres Unterfangens und wie man ihnen begegnen konnte, aber schnell erkannten die Gefährten, dass sie sich immer wieder im Kreis drehten. Viele Dinge waren nicht planbar und am Ende stand nur fest, dass sie nach Süden reisen würden, hinein in die Sonnenebenen.

Das viele Reden hatte Ahren erschöpft und müde stand er auf. Er sehnte sich nach dem Wald und einer Runde auf dem nördlichen Parcours, der ihn für den gesamten Nachmittag beschäftigen und von allzu vielen Grübeleien abhalten würde. »Also brechen wir in den nächsten Tagen auf?«, fragte er in die Runde, während er in Gedanken bereits durchging, was er noch alles zu erledigen hatte, bevor sie Tiefstein verließen. Nochmal wollte er seine Freunde nicht mit einem überstürzten Aufbruch verletzen.

Zu seiner Überraschung schüttelte Falk den Kopf. »Nicht vor der Frühlingszeremonie in sechs Wochen.«

Verdutzt hielt Ahren in seiner Bewegung inne. Hatte er sich gerade verhört? »Ich dachte, die Situation ist kritisch und wir sollten so schnell wie möglich handeln?«

Jelninolan ergriff das Wort. »Uldini und ich sind noch weit davon entfernt, unsere magischen Kräfte regeneriert zu haben.« Dabei deutete sie auf den Magus und sich selbst. Ahren sah noch immer Zeichen der Erschöpfung in ihren Gesichtern. Tiefe Linien zogen sich über ihre Wangen und ihre Augen hatten noch immer diesen fahlen Glanz der Müdigkeit, der all denen gemein war, die sich für einen längeren Zeitraum über ihre Grenzen hinaus antrieben. Er hatte den Tribut, den die Alten für das Ernennungsritual und ihre anschließende Flucht entrichtet hatten, wohl doch unterschätzt.

»Bloß, weil wir wieder etwas lebhafter durch die Gegend laufen, bedeutet das nicht, dass wir für einen mächtigen Zauber bereit wären«, fuhr sie fort. »Und wenn wir aufbrechen, müssen wir genesen sein, um auf alles, was uns über den Weg laufen könnte, angemessen reagieren zu können.«

Uldini stieß entschlossen seinen Zeigefinger in Ahrens Richtung. »Auch dir schadet es nicht, wenn wir noch bleiben. Er, der zwingt, hat sich ganz schön an deinem Segen gelabt, bevor Tlik ihn aufgehalten hat. Während der Frühlingszeremonie ist die Verbindung zum Schlaf der Drei sehr stark. Jelninolan und ich können so an einem einzigen Tag wieder zu unserer alten Stärke finden, und dein Segen kann dabei ebenfalls gekräftigt werden.«

Ahren war noch nicht überzeugt. So gerne er noch etwas geblieben wäre, hatte ihn das Rennen gegen die Zeit in den Monden vor seiner Ernennung zu sehr geprägt. »Der Zeremonie können wir doch unterwegs beiwohnen. Es gibt doch sicher Tempel der Drei in den Sonnenebenen, oder?«, bohrte er nach.

Falk schmunzelte über die Hartnäckigkeit seines Lehrlings, bevor er antwortete. »In Tiefstein wurdest du als zukünftiger Paladin erkannt. Dem Götterstein hier im Tempel ruht damit eine gewaltige Macht inne. Die Wirkung auf unsere Kräfte wäre nicht halb so groß, wenn wir woanders am Frühlingsfest teilnehmen würden.«

Ahren war seine Unzufriedenheit anscheinend im Gesicht abzulesen, denn Jelninolan lächelte ihn aufmunternd an, während sie ihre Hände in einer besänftigenden Geste ausbreitete. »Bitte vertraue uns in dieser Sache. Uldini und mir tut die Ruhe gut und du lernst, dass man manchmal im Schritt innehalten muss, um schneller an sein Ziel zu kommen.«

Der Lehrling wollte weiter protestieren, aber Falks buschige Augenbrauen senkten sich, und der junge Mann biss sich auf die Zunge. Ihm wurde bewusst, dass er nur noch um des Widersprechens willen diskutierte, und er nickte schließlich störrisch.

»Wenn es dir hilft«, warf Uldini beschwichtigend ein, »das wird die letzte Zeremonie sein, der du beiwohnen musst. Danach ist dein Gottessegen so frisch und kraftvoll wie der eines jeden Paladins. Und diesmal werden wir uns nicht mal um einen Finsterbären sorgen müssen.«

Die anderen waren den schwarzen Humor des Magus bereits gewohnt, aber trotzdem tauschten sie alle nervöse Blicke aus, als die Erinnerungen an das riesige Monstrum wach wurden, das sie bei Ahrens Ernennungsritual beinahe überwältigt hätte. Nur dank des selbstlosen Opfers, mit dem der Kobold Tlik den geistigen Griff des dunklen Gottes auf dessen Diener kurzzeitig unterbrochen hatte, waren sie mit dem Leben davongekommen. Ahren war sich noch immer nicht ganz sicher, was das gehässige Wesen dazu bewogen hatte, sein Leben zu geben, war aber fest entschlossen, den Tod des Kobolds zu ehren, indem er dem Schrecken des Widersachers ein für alle Mal ein Ende bereitete.

»Sind wir dann fertig?«, fragte Trogadon ungeduldig. »Ich werde draußen gebraucht, wisst ihr?« Dabei grinste er vielsagend, und Uldini reagierte mit einer fortwischenden Handbewegung, während er das Gesicht unwillig verzog.

»Ja. Wir wollen dich nicht aufhalten, bevor dein Bier noch schal wird oder deine Freundin dich vermisst.« Der Tonfall des Magus troff vor Missbilligung, aber der Zwerg ignorierte die Kritik und sprang schwungvoll auf und schlug in gespieltem Tatendrang in die Hände, während er schnellen Schrittes die Tür ansteuerte.

»Ah, die schwere Last der Verpflichtungen«, rief er lachend und voller Vorfreude, dann war er hinausgetreten und das schwere Holz der Eingangstür fiel krachend hinter ihm zu.

Khara kicherte hinter ihrem Vorhang aus Haaren und alle anderen konnten sich ein Schmunzeln ebenfalls nicht verkneifen.

»Du hattest recht, alter Mann«, sagte Uldini widerwillig. »Man muss ihn einfach gernhaben, egal, wie plump er sich auch aufführen mag.«

Falk blickte voller Zuneigung auf den Ausgang, wo soeben noch die breite Gestalt des Zwerges zu sehen gewesen war. »Was du plump nennst, ist offene Ehrlichkeit und pure ungezügelte Lebensfreude. Ich bin froh, dass er sich entschlossen hat, uns auch weiterhin zu begleiten.«

Ahren lief ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. An die Möglichkeit, dass einer ihrer Gefährten ihre kleine Gruppe verlassen könnte, hatte er noch gar nicht gedacht! Uldini, Jelninolan und Trogadon waren als Einhan, als würdige Vertreter ihrer Rasse, notwendig gewesen, um ihn beim Ritual der Ernennung als Paladin zu bestätigen. Aber damit war ihre offizielle Aufgabe eigentlich beendet. Wenn sie wollten, konnten sie von nun an unbehelligt ihrer Wege ziehen. Nur Falk und er waren Paladine und damit die beiden Einzigen der Gruppe, deren Kräfte dem dunklen Gott gefährlich werden konnten. Wild blickte er die anderen an, aber Jelninolan kam ihm zuvor.

»Beruhige dich. Keiner von uns wird dich oder die anderen Paladine im Stich lassen. Wir bleiben an deiner Seite. Bis zum Ende«, sagte sie sanft.

»Ob du willst oder nicht«, fügte Uldini trocken hinzu.

Ahren nickte gerührt und Falk scheuchte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung Richtung Ausgang. »Raus mit dir, bevor hier wieder alle gefühlsduselig werden. Warum zeigst du Khara nicht den neuen Rundlauf, den ich im Nordosten angelegt habe? Er ist auf Wendigkeit und Schnelligkeit ausgelegt und alle Ziele hängen so, dass sie auch mit einem Schwert zu erreichen sind.«

Während der Lehrling noch überrascht dreinblickte, war Khara bereits auf den Beinen. Sie verbeugte sich dankbar in Richtung Falk und warf dem Lehrling anschließend einen ungeduldigen Blick zu. Der brauchte noch einen Moment, um sich zu fangen. Dies war das erste Mal, dass Falk eine Trainingseinheit so verändert hatte, dass auch Khara von ihr profitierte. Sicher, er hatte die Schwertkämpferin eingebunden, um Ahrens Fähigkeiten mit der Klinge zu verbessern, aber diese Strecke hatte er nur für sie angepasst. Ahren kämpfte gegen eine Welle der Eifersucht an und nickte nur knapp. Dann stürmte er wortlos hinaus, der begierigen Khara dicht auf den Fersen.

Jelninolan starrte den beiden belustigt nach und legte Falk mitfühlend eine Hand auf den Unterarm. »Ich denke, dein Lehrling hat nicht begriffen, dass du ihm damit einen Gefallen tun wolltest.«

Falk zuckte ungerührt die Achseln. »Wenn er einen Nachmittag allein im Wald mit einem tollen Mädchen nicht zu schätzen weiß, hat er ihn auch nicht verdient.«

Uldini lachte meckernd, dann setzten die drei ihr Gespräch über die Vorbereitungen zu ihrer kommenden Reise im Frühling fort.

2. Kapitel

Die Schneefront war zur Erleichterung aller weitergezogen und hatte einem milden Spätwinterhimmel Platz gemacht, der alles in ein weiches, beinahe verträumtes Licht tauchte, das warm vom umliegenden Schnee reflektiert wurde. Als Ahren und Khara das Dorf verlassen wollten, um den neuen Übungsparcours auszuprobieren, kam ihnen Likis entgegen, der gerade aus dem Kaufmannsladen trat und auf dem Nachhauseweg war.

»Wohin wollt ihr?«, fragte er neugierig und beäugte den martialischen Ornat der beiden kritisch. »Gibt es etwa Ärger?«

Ahren schüttelte den Kopf. »Nein, wir wollen nur trainieren. Falk hat uns eine neue Hindernisstrecke erstellt, die wir ausprobieren wollen.«

»Ui, das klingt spannend. Darf ich mitkommen? Heute ist nicht viel los und ein wenig Bewegung schadet mir sicher nicht.« Dabei schaute Likis vor allem Khara an, die ihm aufmunternd zulächelte.

»Klar, wenn du dir das zutraust«, sagte Ahren warnend. »Falks Übungsläufe werden ebenso wie er immer bärbeißiger.«

»Ich werde es ihm mitteilen«, sagte Likis neckend, und die Freunde machten sich lachend auf den Weg in den Wald.

Schmollend stapfte Ahren vor seinen beiden schwatzenden Begleitern, die ihn weitgehend ignorierten, durch den Schnee des Ostwaldes, während er den Beginn von Falks neuestem Hindernislauf suchte. Der alte Waldläufer knotete für gewöhnlich einen gelben Stofffetzen an den Wipfel des höchsten Baumes in der Nähe des Startpunktes. Nach einem einstündigen Fußmarsch Richtung Nordwesten erklomm er einen Baum, um einen Blick auf die schneebedeckten Spitzen des Waldes zu erhaschen, und entdeckte den gelben Stofffetzen an einer hohen Blautanne zu seiner Rechten. Er kletterte wieder hinab und atmete voller Genugtuung ein. Jetzt musste die Markierung jeden Moment auch vom Boden aus zu sehen sein und dann konnte er endlich mit seinem Training beginnen. Er ignorierte das fröhliche Gespräch hinter ihm, so gut es ihm möglich war, aber als Likis laut auflachte, drehte sich Ahren zu seinem besten Freund um.

Die kleine quirlige Gestalt mit den blauen Augen und den schwarzen Haaren schüttete sich gerade über irgendeinen Kommentar aus, den Khara von sich gegeben hatte. Ahren hatte nicht zugehört, war sich aber sicher, dass ihre Worte kaum einen derartigen Heiterkeitsausbruch rechtfertigten. Khara lächelte geschmeichelt und der Lehrling unterdrückte ein Augenrollen.

Eigentlich hatte er mit dem Kaufmannsohn über ihre bevorstehende Reise sprechen wollen, aber er war den gesamten Weg über nicht zu Wort gekommen. Khara sprach die Nordsprache mittlerweile fließend, wenn auch mit einem seltsamen Singsang in der Stimme, der ihren Worten einen melodischen Klang verlieh und nicht weiter störte. Ganz im Gegenteil empfanden ihn Ahren und Likis offenbar beide gleich anziehend.

Khara kostete ihre neugewonnenen Sprachkenntnisse weidlich aus, und Ahren blieb nur die Rolle des Zuhörers, während sie sich mit Likis in einer lebhaften Unterhaltung befand, die sich ausgerechnet um Ahrens schlimmste Patzer aus seinen Kindertagen drehte.

Der Waldläufer starrte seinen Freund missbilligend und stumm an, der den finsteren Blick jedoch gar nicht bemerkte. Schließlich gab der junge Kaufmann seinen übertriebenen Lachanfall auf und warf Khara einen verschmitzten Blick zu.

»Habe ich dir eigentlich schon davon erzählt, wie Ahren an einem einzigen Tag seine Angel, seinen Fang und seine Köder samt Korb verlor? Und das im Schlaf?«, raunte er verschwörerisch.

Khara schüttelte den Kopf und hing an den Lippen des schmächtigen Jungen, während er in wilden Ausschmückungen von einem seiner größten Missgeschicke berichtete.

Kurz überlegte Ahren sich, seinen Freund darin zu korrigieren, dass er seine Angel damals gar nicht verloren hatte, ließ es dann aber auf sich beruhen. Mit Worten gegen Likis anzutreten, war, als wollte man den Wind mit einem Netz einfangen. Böse konnte er dem quirligen jungen Mann ohnehin nicht sein. Vielmehr wunderte es ihn, wie liebreizend Khara wirken konnte, wo Ahren sie bisher meist nur von ihrer ohrfeigenverteilenden, knochenaufreibenden und unbarmherzigen Seite, die alles kritisierte, was der Lehrling tat, kennengelernt hatte. Er konnte also nachvollziehen, dass dieser exotische Gast Tiefsteins einen bleibenden Eindruck auf Likis machte. Und als Ahren sich daran erinnerte, wie er sich auf einem Herbstfest vor wenigen Jahren gegenüber Svens Schwester zum Affen gemacht hatte, beschloss er, seinen Freund gewähren zu lassen und ihn lieber in den folgenden Jahrzehnten damit aufzuziehen, wie dieser sich an diesem Tag gegenüber Khara verhalten hatte. Lächelnd drehte Ahren sich um und ging weiter, die scherzenden Turteltauben im Schlepptau.

Endlich fand er, wonach er suchte, und deutete auf eine hohe Tanne, in deren Wipfel ein kleiner gelber Fleck zu sehen war. »Wir sind da. Seid ihr sicher, dass ihr mitmachen wollt? Sonst könnt ihr auch hierbleiben und weiterplaudern.« Innerlich verfluchte Ahren sich dafür, dass er diese Spitze nicht hatte zurückhalten können, aber die beiden schienen sich nicht daran zu stören.

»Natürlich laufen wir mit«, sagte Likis entschlossen. »Ich werde die Ziele auslassen, da ich nicht mit einer Waffe umgehen kann, aber den Hindernislauf kann ich bestimmt meistern.«

Ahren erinnerte sich daran, dass sein wieselflinker Freund schon früher sehr wendig gewesen war, und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Dann schaute er zu Khara hinüber, während er zum Stamm des Baumes ging. Dort hatte Falk ein kleines Zeichen eingeritzt, gerade tief genug, dass man es erkennen konnte, wenn man danach Ausschau hielt, aber flach genug, damit es den Baum nicht schädigte.

»Hier ist der Anfang. Wir müssen immer den Zeichen folgen und zwar in einer geraden Linie. Die Hindernisse zu umlaufen gilt nicht. Khara, dort, wo du rote Punkte auf den Bäumen siehst, befinden sich die Übungsziele, die wir treffen sollen.« Dabei deutete er auf einen Baum in knapp fünfzig Schritt Entfernung, der eine rote Markierung an einem der untersten Äste aufwies.

Das Mädchen folgte seiner Hand mit den Augen, und die Heiterkeit schwand aus ihrem Gesicht, um einer gelassenen Konzentration Platz zu machen, die sie immer ausstrahlte, sobald sie ihre Windklinge zog. Mit einem schabenden Geräusch glitt die Waffe aus ihrer Hülle hervor, die die Schwertkämpferin in ihrem Nacken festgebunden hatte, dann nickte sie einmal ernst in Ahrens Richtung.

Der nahm seinen Bogen von der Schulter und deutete abermals in den Wald.

»Seht ihr die nächste Markierung?«, fragte er konzentriert. Die fast zeremonielle Haltung Kharas spornte seinen Ehrgeiz an, und er war begierig drauf, sich mit ihr zu messen.

»Ich denke schon«, erwiderte Likis eingeschüchtert. Der plötzliche Stimmungsumschwung und die gezogenen Waffen machten ihn offenkundig nervös, aber er zeigte auf die breite Eiche mit dem roten Punkt, die schwer gebeugt unter der Last des Schnees dastand.

»Du hast gute Augen«, sagte Ahren aufmunternd und zwinkerte Likis zu. »Versuch einfach mitzuhalten und gerate nicht zwischen Kharas Schwert und ihr Ziel.«

Der Kaufmannssohn lachte auf, brach dann aber nervös ab, als er in die angespannten Augen des Mädchens blickte und erkannte, dass Ahrens Warnung ernst gemeint war. Likis nickte unsicher, und schon liefen die beiden anderen los, so dass er fluchend hinter ihnen her sprintete.

Auch wenn er sich die Luft eigentlich hätte einteilen müssen, konnte Ahren nicht anders, als fröhlich aufzulachen. Falk hatte sich mit der Wahl des Parcours selbst übertroffen. Die Strecke führte sie über umgestürzte Bäume hinweg und unter schneebedeckten Zweigen hindurch, die einen bei der geringsten Berührung mit ihrer kalten Fracht abstraften. Durch dornige Büsche und sogar über einen zugefrorenen Tümpel leiteten sie die Zeichen des alten Waldläufers und stellten ihre Fähigkeit im Hindernislauf dabei auf die Probe. Das allein war schon fordernd genug, aber bei all seinen Manövern hatte Ahren den Bogen in der Hand und einen Pfeil für das nächste Ziel, das es zu treffen galt, aufgelegt. Auch hier hatte sein Meister ein hervorragendes Gespür bewiesen. Es gab Ziele, bei denen Khara sich förmlich in die Höhe schrauben oder von einem Baumstamm abspringen musste, um sie treffen zu können. Diese waren für Ahren schnell erspäht und ebenso schnell getroffen und dann zog er an dem flinken Mädchen vorbei. Dann waren da jedoch die Markierungen, die versteckt auf Bodenhöhe oder hinter einem Hindernis verborgen lagen. Hier musste Ahren Zeit aufwenden, um langsamer zu werden und den Bogen im letzten Moment herumzureißen, während Khara im Vorbeirasen fließend ihre Klinge über sie hinweg zog und eine feine Kerbe hinterließ. Dadurch waren sie einem ständigen Wechsel im Tempo unterworfen, und Falk hatte meisterhaft dafür gesorgt, dass sie sich in ihrem Überschwang nicht gegenseitig treffen konnten, weil jeder von ihnen stets ein anderes Ziel anvisierte.

Alles in allem war es einfach großartig, durch den winterlichen Wald zu laufen und von der Schwertkämpferin neben ihm angespornt zu werden, die mal dicht vor, mal dicht hinter ihm lief und ihn dazu zwang, das Äußerste aus sich herauszuholen.

Ahren vernahm ein lautes Heulen in seinem Kopf, als Culhen aus seinem Verdauungsschlaf erwachte, seine Lebensfreude spürte und sie auf seine Weise erwiderte. Kurze Zeit später lief der Wolf mit wehender Zunge im offenen Maul neben ihm her. Ahren schien das Herz vor Freude in der Brust zu zerspringen. Die klare Waldluft in seinen Lungen, der treue Freund an seiner Seite und in seinem Kopf, und das Rauschen der Blätter, zwischen denen er hindurchtauchte, verbanden sich zu einem großartigen Ganzen und ließen diesen Moment zu einem perfekten Erlebnis verschmelzen, während Mann und Wolf als Einheit durch den schneebedeckten Ostwald preschten.

Fünf markierte Bäume später war die Strecke schließlich zu Ende und das Hochgefühl schwand und machte einer milden Erschöpfung Platz. Der Lehrling sackte an Ort und Stelle in sich zusammen und umarmte seinen Wolf, der ihn schwanzwedelnd mit seiner Zunge traktierte und immer wieder in seinen Gedanken Jagen? Spielen!, rief.

Khara kam nur wenige Meter hinter ihm an und stützte ihre Hände schwer auf ihre Knie, während sie intensiv nach Luft schnappte. »Deine … Ausdauer … ist hoch«, brachte sie schnaufend hervor.

Ahren grinste sie breit an, was durch seine schnaufende Atmung zu einer fürchterlichen Grimasse verkam. »Aber dafür … bist du schneller als ich«, erwiderte er knapp, denn zu mehr fehlte ihm einfach die Luft.

Khara nickte anerkennend, runzelte dann die Stirn und blickte sich um. »Wo ist Likis?«

Zwei Stunden später fanden sie den armen Kaufmannssohn, der sich hoffnungslos verirrt hatte, als er eines der Zeichen an den Bäumen übersehen hatte. Er hockte missmutig auf einem Stumpf und sang ein Lied über niederträchtige Freunde im Wald, das er sich wohl in der Wartezeit ausgedacht hatte.

Kurz verspürte Ahren einen Anflug von Schuld, da sie Likis hoffnungslos abgehängt hatten, als Khara und er sich in ihrem Wettstreit verloren hatten. Aber dann sah er, wie sein tückischer Begleiter die Situation schamlos ausnutzte, indem er sich bei Khara unterhakte, nachdem er ihr erklärt hatte, wie erschöpft er durch die einsame Suche im Wald nun war.

Mit verbissenem Gesicht führte Ahren ihre kleine Gruppe zurück nach Tiefstein, während Likis sich eng an der lachenden Khara festhielt.

Culhen spürte den Ärger seines Gefährten und blickte Likis an, während er sich das Maul leckte. Beißen?, fragte er Ahren in seinem Kopf.

Khara lachte einmal mehr auf, und für einen kurzen Moment überlegte der junge Mann, was er dem Wolf antworten sollte.

Als sie schließlich an Falks Hütte ankamen, war ihnen furchtbar kalt. Der Wind war weiter aufgefrischt, und Ahren schätzte, dass am Abend kräftiger Schneefall einsetzen würde.

»Kommt erst mal mit rein, so durchgefroren holt ihr euch auf dem restlichen Weg sonst noch den Tod«, sagte er daher.