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Die Belagerung der Ehernen Stadt ist beendet und der Paladin Bergen bleibt auf freiem Fuß. Nach diesem Erfolg zieht es Ahren und seine Gefährten in den südlichen Dschungel, wo sie Hinweisen über den Verbleib eines weiblichen Paladins nachgehen wollen. Die Reise ist lang und gefahrvoll, denn nicht nur müssen sie die Namenlose Wüste und den ungezähmten Urwald durchqueren, auch die Gefahr durch gedungene Attentäter bleibt auf dem Schwertpfad eine konstante Bedrohung und schließlich fordert Jelninolans lange Abwesenheit aus dem Immergrün ihren Tribut und es drohen tödliche Konsequenzen … Genießen Sie den vierten Band der Reihe "Der 13. Paladin" rund um den Waldläuferlehrling Ahren und seine gefahrvolle Suche nach den anderen Streitern der Götter.
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Seitenzahl: 690
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Torsten Weitze
Die Schlafende Mutter
Der 13. PaladinBand IV
Geneigte Leser:Wenn ihr meine Bücher mögt, sprecht darüber und teilt meine Links.
Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte,als zum ersten Mal erlebt zu werden…
Impressum
© Torsten Weitze, Krefeld, 2017Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de
Korrektorat: Daniela sechtig
Torsten Weitze c/o LAUSCH medien
Bramfelder Str. 102a
22305 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze
Für meine Mutter,die mir nach all diesen Jahren noch immer den Rücken freihält.
Inhalt
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
Epilog
1. Kapitel
Ahren keuchte vor Anstrengung und wischte sich den Schweiß mit einer hastigen Bewegung aus den Augen, darauf gefasst, dass sein unerbittlicher Gegner diesen kleinen Moment der Unachtsamkeit ausnutzen könnte. Und tatsächlich musste er sich im nächsten Augenblick unter einem schnellen Angriff seines Gegenübers hinwegducken und einen zweiten mit seiner Windklinge parieren, wobei er jedoch rückwärts taumelte und kostbaren Boden verlor. Nun trennten ihn nur noch zwei Schritte vom Rand des Hausdaches, auf dem er so erbittert um einen Sieg rang.
Culhen lag lauernd am anderen Ende des Daches und spähte die Deckung der Gestalt auf Schwachstellen aus, um seinem Freund einen Vorteil zu verschaffen, aber der angehende Waldläufer war zu sehr auf den Kampf fixiert, um in diesem Moment durch die Augen des Wolfes sehen zu können.
Ahren, die linke Seite!, rief Culhen ihm zu, aber da war der Augenblick schon wieder vorbei und der seitwärts geführte Hieb des Paladins wurde mühelos pariert, da sein Gegner die Deckung längst wieder geschlossen hatte und nun erneut zum Angriff überging.
Ahren fluchte lauthals, als ihn eine Serie von Schlägen und Hieben abermals in die Defensive zwang und er immer weiter zurückweichen musste. Er hatte kaum noch einen Fuß breit Platz, bevor er vom Dach stürzen würde, und jeder Versuch, zur Seite auszubrechen, wurde ihm von seinem Angreifer verwehrt. Er musste einen Ausweg finden, und zwar schnell!
Der Lehrling verlagerte seine Anstrengungen gänzlich auf seine Abwehr und öffnete seinen Geist für einen Moment den Bildern, die ihm Culhen durch ihre Verbindung zu übermitteln versuchte. Einen gefährlichen Moment lang schwindelte ihm, etwas, das immer geschah, wenn er versuchte, komplexe Handlungen auszuführen und gleichzeitig durch die Augen des Wolfes zu sehen. Nur mit größter Not gelang es ihm, den herbeizischenden Schlag auf seinen Kopf abzuwehren, während Culhens Gedanken ihm ihren Zweikampf aus Sicht des Wolfes zeigten. Ahren sah eine kaum merkliche Fehlhaltung in der rechten Ferse seines Gegenübers und setzte alles auf eine Karte. Er ließ sich auf ein Knie fallen und stieß seine linke Schulter gegen die rechte Hüfte seines Gegners, während er gleichzeitig seine Windklinge mit der Rechten in einem tiefen Bogen gegen dessen linkes Knie führte. Sein Schulterstoß durchbrach das Gleichgewicht seines Angreifers, da dessen unsauberer Stand dem Manöver des jungen Paladins nichts entgegenzusetzen vermochte. Freudig grinsend stoppte er seine Klinge keinen Daumenbreit vor Kharas Knie.
»Hab ich dich«, rief er triumphierend und blickte zu der jungen Frau hinauf, die ihn grimmig lächelnd musterte. Ihre Wisperklinge stand senkrecht und stoßbereit auf seiner Brust und ihr herausfordernder Blick sprach Bände.
»Ich verliere ein Bein. Du dagegen verlierst dein Leben«, sagte sie überlegen.
Ahren rappelte sich auf und zuckte die Achseln. »Das mag sein, aber es ist zumindest ein Unentschieden. Wenn ich dir das Bein abgetrennt hätte, wärst du sofort verblutet.« Der Lehrling war in diesem Moment unsagbar stolz auf sich und das würde er sich nicht verderben lassen. Es war erst das zweite Mal, dass ihm ein Patt gegen Khara gelungen war.
Khara kniff kritisch die Augen zusammen, während sie ihre beiden Schwerter wegsteckte. »Da hast du recht. Aber dafür, dass du geschummelt hast, ist das trotzdem kein gutes Ergebnis.« Sie deutete auf Culhen, der im Schatten des neben ihnen aufragenden Nachbarhauses lag und dort unschuldig seine Vorderpfote schleckte. »Man merkt es dir immer noch an, sobald du in seinem Kopf herumspukst. Deine Bewegungen werden langsamer und deine Reaktionen gleichen denen eines betrunkenen Affen.«
Ahren bemühte sich darum, ruhig zu bleiben. Die Schwertkämpferin zeichnete sich nicht nur durch einen hervorragenden Kampfstil und einen eisernen Willen aus, sondern auch durch die Tatsache, jede von Ahrens Schwächen auf möglichst bildhafte und meist beleidigende Weise hervorzuheben. Er hatte sich daran gewöhnt und schrieb diese Eigenheiten ihrer Ausbildung in einer der Kampfarenen des Ewigen Reiches zu. Also atmete er tief durch und schluckte die Erwiderung herunter, die ihm auf der Zunge lag. »Mit Culhen zu reden oder durch seine Augen zu sehen, ist kein Schummeln«, sagte er in überzeugtem Tonfall. Khara wollte darauf etwas erwidern, aber Ahren hob widersprechend einen Finger, während er fortfuhr. »Du kämpfst mit Wind- und Wisperklinge, also mit zwei Waffen.« Er deutete auf sein eigenes Schwert und auf Culhen. »Ich tue das auch.«
Khara öffnete erneut den Mund, schloss ihn aber nach einem kurzen Zögern wieder. Schließlich quittierte sie den erwartungsvollen Blick Ahrens mit einem schroffen Nicken. »Komm, das war ein langes Training. Lass uns die Zwölf Grüße an die Sonne durchlaufen.«
Ahren nickte beflissen und verbiss sich ein selbstzufriedenes Grinsen – zumindest bis sie beide in der Mitte des Flachdaches mit den meditativen Dehnungsübungen begannen und Khara ihn nicht mehr argwöhnisch beobachtete.
Ahren spazierte nachdenklich durch die Gassen der Ehernen Stadt und grüßte freundlich jene Passanten, die ihn erkannten und sich daher respektvoll vor ihm verbeugten. Nach der Rettung der Stadt vor den Dunkelwesen hatte ihn das Triumvirat, die drei herrschenden Vertreter der Ehernen Stadt, als den dreizehnten Paladin präsentiert – und seitdem war es um seine Anonymität geschehen. Was anfangs befremdlich und dann schmeichelhaft war, begann nun lästig zu werden, denn er konnte keine zwanzig Schritte gehen ohne aufzufallen. Culhen hingegen flanierte mit erhobenem Haupt und wogendem Schwanz neben ihm her, und seine Eitelkeit brannte wie ein Leuchtfeuer in Ahrens Gedanken. Das riesige Tier genoss jeden Moment der Aufmerksamkeit, die er als Ahrens Seelentier erhielt, und es schien, als würde Culhen nie genug davon bekommen, bewundert zu werden. Zumal sich herumgesprochen hatte, dass man ihn sogar streicheln oder herzen konnte, wenn man das gefräßige Tier nur mit ausreichend Leckerbissen in Form von Fleischbrocken bestach. Also bekam der Wolf momentan ständig etwas zu essen, und Ahren konnte ihm diese Zuwendungen kaum vorenthalten, ohne als missgünstiger Bösewicht dazustehen. Er hatte dies einmal versucht, aber Culhens herzzerreißendes Gewinsel hatte dem Lehrling daraufhin derart finstere Blicke eingebracht, dass dem jungen Mann schnell klargeworden war, dass er in einem Popularitätswettbewerb gegen den manipulativen Wolf schnell den Kürzeren ziehen würde. Das Bild von einem wütenden Mob, der ihn aus der Stadt jagte, während Culhen auf einem Seidenkissen auf dem Stadttor thronte und ihm herablassend hinterherschaute, hatte den jungen Paladin dazu bewogen, seine Taktik zu ändern. Er durchlief nun jeden Tag zusammen mit dem Tier ein rigoroses Trainingsprogramm, an dem der Wolf aktiv teilzunehmen hatte.
Zu Ahrens Verwunderung und Freude traten dabei nach und nach zwei Merkmale hervor, die Culhens schlechte Eigenheiten mehr als ausglichen. Sein vierpfotiger Freund entwickelte einen starken Ehrgeiz und ein Durchhaltevermögen, das selbst Ahren die Schamesröte ins Gesicht trieb. Sie liefen Runde um Runde um die Stadtmauer, Culhen apportierte seine Pfeile, während Ahren Zielschießen übte, und selbst beim Hindernislauf über die Dächer der Stadt war der Wolf stets an seiner Seite und trieb den Jungen und sich selbst immer wieder derart an, dass es Falk, Ahrens brummigem Meister, eine wahre Freude war.
Culhen reagierte auf Ahrens Gedanken und stupste ihn mit seinem massigen Kopf an. Sollen wir weitermachen? Die Pause war doch jetzt wirklich lang genug, drängelte er, und Ahren unterdrückte ein Stöhnen.
»Wir sind auf dem Weg zu Vandir, oder hast du das vergessen?«, sagte Ahren laut und würgte damit jegliche Diskussion ab, denn Culhen mochte den freundlichen, offenen Schmied sehr, der ihnen damals, ohne es zu wissen, den Weg zu Bergen Olgitram geebnet hatte.
Sie wanderten schweigend durch die Eherne Stadt und betraten das Schmiedeviertel, das je nach Wetterlage mal mehr, mal weniger stark von Rauchwolken eingehüllt war. Heute war ein sonniger Spätsommertag, der eine milde Brise zwischen den Häusern hindurchtrieb und dankenswerterweise die dunklen Rauchwolken zerstob, die von den zahllosen Essen der Schmiede aufstiegen. Überall in den Gassen zwischen den Langhäusern, die diesen Teil der Stadt dominierten, erklang das Hämmern von Eisen auf Eisen, das Feilschen der Händler und das Lachen der spielenden Kinder, die noch zu jung waren, um den Erwachsenen zur Hand zu gehen. Ahren musste unweigerlich grinsen, als er die Geschäftigkeit und Lebensfreude ringsum erblickte. Zu deutlich standen ihm noch die Trostlosigkeit und die ausgemergelten Gesichter vor Augen, die damals die Eherne Stadt beherrscht hatten, bevor die Belagerung aufgehoben worden war, und die Verwandlung der Stadt und seiner Bewohner war herrlich anzusehen.
Das ist auch dein Werk. Sei stolz darauf, erklang die selbstverliebte Stimme Culhens, der bereits wieder von einigen Kindern gestreichelt und gefüttert wurde.
Ahren musste seinem Freund recht geben und gönnte sich einige Momente der Zufriedenheit, während er vorwärtsschritt. In den letzten Wochen war die Eherne Stadt neu erblüht, und jeder zweite Passant auf den Straßen schien ein Händler von außerhalb zu sein, der Waren aus den Schmieden erstehen wollte.
Die beiden Gefährten bogen um die Ecke eines Langhauses und Vandirs Esse kam in Sicht. Der hochgewachsene, blonde Eisländer war in seine Arbeit vertieft, bei der er seinen schweren Hammer rhythmisch auf einen Stahlrohling niedergehen ließ.
»Ho, Vandir. Was wird aus dem armen Klumpen, wenn du mit ihm fertig bist?«, rief Ahren ihm lachend zu, während er näherkam.
Der Schmied blickte auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Schön, dass du da bist, Ahren«, begrüßte er ihn mit ungewohntem Ernst und atemloser Stimme. »Das hier soll ein Schild werden, aber nur, wenn mir jemand zur Hand geht. Also hör auf zu feixen und bediene den Blasebalg.«
Ahren zögerte keine Sekunde und tat, wie ihm geheißen. Der Lederbalg war nicht leicht zu bedienen, aber mittlerweile verfügte der Lehrling dank des intensiven Trainings während der letzten Monde über eine stattliche Körperkraft, und so waren seine Bewegungen nun kraftvoll und zugleich geschmeidig und fließend wie der Luftstrom, den Ahren dem Werkzeug entlockte und der nun gleichmäßig in die Kohlen blies.
»Aus dir könnte mal ein brauchbarer Schmied werden«, brummte Vandir sichtlich beeindruckt. »Zu schade, dass du unbedingt ein Paladin sein musst.«
Ahren blickte schelmisch zu Culhen hinüber, der es sich im Schatten eines Hauses bequem gemacht hatte. »Es hat Vor- und Nachteile«, sagte er trocken.
Ich bin definitiv ein Vorteil, übermittelte ihm Culhen gelassen, den Köder nicht schluckend, den Ahren ihm hingeworfen hatte.
Ahren lachte und all seine Liebe zu dem Tier lag in seinen folgenden Gedanken. Ja, das bist du wirklich.
Auch wenn Culhen eine sehr ausgeprägte und mitunter anstrengende Persönlichkeit entwickelt hatte, seit er zu Ahrens Vertrautentier geworden war, konnte der Lehrling sich nicht einen Tag ohne diesen treuen Gefährten an seiner Seite vorstellen. Ihre Verbindung wuchs von Tag zu Tag und mittlerweile kostete es Ahren keinerlei Mühe mehr, in Culhens Sinneswelt einzutauchen. Nur im Kampf gelang es dem jungen Mann noch immer nicht, die Verbindung intuitiv aufrechtzuerhalten. Doch daran würde er arbeiten.
»Wo sind denn alle?«, fragte Ahren neugierig und deutete mit seinem Kinn auf das Langhaus, während Vandir mit geschickten Schlägen den Rohling breiter und breiter klopfte, bis sich daraus eine flache Stahlplatte gebildet hatte. Der Schmied war Teil einer großen Familie, und Ahren hatte häufig mit ihnen zu Abend gegessen, seit das Fieber nicht mehr unter den Eisländern wütete, das während der Belagerung viele Verwandte des blonden Eisländers ans Bett gefesselt hatte. Normalerweise stand der Schmied nicht allein an der Esse, und für einen Moment machte der Lehrling sich Sorgen, es wäre etwas Schlimmes passiert.
»Eine Hochzeit«, sagte Vandir zu Ahrens Überraschung. »Die Braut und ich waren miteinander ... bekannt. Also wurde entschieden, dass ich hierbleibe.« Ein unterschwelliger Schmerz war in der Stimme des Schmieds zu hören, und Ahren hielt mit seiner Arbeit inne.
»Was ist denn passiert?«, fragte er vorsichtig. Erst glaubte er, Vandir würde ihm nicht antworten, da der Schmied stur den Hammer auf- und niedersausen ließ und den Stahl in die gewünschte Form brachte, ohne den Mund zu öffnen.
»Hab zu lange gewartet. Wendal hat ihr einen Antrag gemacht und sie hat zugestimmt.« Er kniff die Augen zusammen. »Hätte schneller sein müssen.«
Ahren biss sich auf die Lippen und seine Gedanken schossen sofort zu Khara, die vielleicht gerade auf der anderen Seite der Stadt mit einem der Eisländer herumschäkerte, die ihr seit dem Ende der Belagerung schöne Augen machten. Die Schwertkämpferin war in der Stadt zu einer Heldin avanciert, weil sie den Finsterbären getötet und den dreizehnten Paladin gerettet hatte.
Mal wieder, dachte Ahren verbittert. Er mochte die Gelegenheiten gar nicht mehr zusammenzählen, bei denen Khara ihm die Haut gerettet hatte. Selbst bei ihrem ersten Zusammentreffen waren seine heroischen Absichten, sie vor ein paar Lüstlingen zu retten, gründlich nach hinten losgegangen.
Er musste sich eingestehen, dass er gewisse Gefühle für die willensstarke, junge Frau entwickelt hatte, doch er rang mit sich, diese mit Khara zu teilen. Das Unglück, das er in Vandirs Augen sah, schien ihm wie eine Warnung, sich endlich ein Herz zu fassen und sein Schneckenhaus zu verlassen.
Ich habe gegen eine Riesenschlange, einen Erzwurm, einen Finsterbären und Dutzende andere Dunkelwesen gekämpft. Warum habe ich solche Angst vor meinen Gefühlen für dieses Mädchen?
Ahren knirschte frustriert mit den Zähnen, da ihm diese Frage nicht zum ersten Mal durch den Kopf spukte.
Culhen gähnte gelassen. Weil du viel mehr Übung im Kämpfen hast, als darin, mit einem Weibchen zu reden, antwortete er ungefragt auf Ahrens Dilemma.
Mit wie vielen Wölfinnen bist du denn schon durch die Wälder gestreift, hm?, giftete Ahren gereizt zurück.
Culhen hechelte keckernd. Mit keiner. Aber ich liege deswegen nicht jede zweite Nacht wach und heule den Mond an. Der tierische Teil von Culhens Persönlichkeit brach viele der menschlichen Probleme manchmal auf simple Lösungen herunter. Es gibt über tausend Weibchen in der Stadt. Bestimmt lässt sich auch eines davon aus der Entfernung anschmachten, fuhr Culhen genüsslich fort.
Ahren wusste, dass sein Freund ihn nur zu einer Handlung provozieren wollte, die Khara klarmachte, was er für sie empfand, aber in diesem Moment hätte er den Wolf einfach nur gerne zum Schweigen gebracht. Da er dies nicht konnte, tat er das Zweitbeste und ignorierte ihn.
»Tut mir leid, dass heute nicht dein Hochzeitstag ist«, sagte er stattdessen zu Vandir, der bisher schweigend seinen Schild bearbeitet hatte.
»Danke«, sagte er und nickte gefasst, aber Ahren konnte in seinem dankbaren Blick eine tiefe Traurigkeit erkennen.
In kameradschaftlichem Schweigen beendeten sie die Arbeiten an dem Schild, und selbst Culhen hatte keine klugen Worte mehr hinzuzufügen.
Der Tag neigte sich dem Ende zu, als Ahren über den großen Markt auf den Platz vor dem Hauptgebäude des Triumvirats schritt. Selbst jetzt, als die Schatten der umliegenden Häuser den Platz zur Gänze einhüllten und die kommende Nacht ankündigten, tummelten sich noch mehr als vier Dutzend Händler zwischen den Ständen und feilschten mit den kauffreudigen Interessenten um die letzten Waren. Monatelang war die Eherne Stadt abgeriegelt gewesen, doch nun erwarben die Besucher von außerhalb fieberhaft sämtliche Bestände, derer sie habhaft werden konnten. Dass Justinian III., der Kaiser der Sonnenebenen, per Proklamation hatte verlauten lassen, dass sich jeder loyale Bürger für die kommenden dunklen Tage rüsten möge, schadete der Nachfrage ebenso wenig, und so verging kein Tag, an dem nicht Wagenkarren voller Waffen und Rüstungen das neu errichtete Stadttor verließen, das zuvor durch Uldinis impulsiven Zauber während der Belagerung zerstört worden war.
Ahren drehte neugierig den Kopf von links nach rechts und erhaschte immer wieder Blicke auf exotische Waren, erlesene Tücher und aromatische Gewürze. Die fremden Händler kauften nicht nur, sie verkauften auch, und die Bürger der Ehernen Stadt nutzten ihre prall gefüllten Beutel ihrerseits, um ihre Vorratskammern aufzufüllen. Der Markt summte wie ein Bienenschwarm, und all die bösen Erinnerungen an die Belagerungszeit schienen bei den meisten Bürgern bereits verblasst – so wie ein böser Traum, der vom ersten Morgenlicht vertrieben wird. Ironischerweise war der Ort, an dem sich die meisten Menschen befanden, auch der Ort, an dem Ahren am wenigsten erkannt wurde. Viele der Händler von außerhalb wussten nicht, wer er war, und der Lehrling war dankbar dafür und genoss die Anonymität in vollen Zügen, während er zwischen den Marktständen umherstreifte.
Schließlich entdeckte er Jelninolan, die sich gerade mit einer Händlerin unterhielt, die tatsächlich eine Elfe war! Neugierig schritt Ahren hinüber und drückte die hochgewachsene Priesterin zur Begrüßung, die ihn ihrerseits freundlich anlächelte.
»Ahren!«, sagte sie mit warmer Stimme. »Ich habe dich schon fast eine Woche nicht mehr gesehen. Wo treibst du dich nur ständig herum?«
»Falk und die anderen halten mich auf Trab. Und Culhen will auch bewegt werden, sonst kann er den Berg demnächst herunterrollen.« Ahren warf dem Wolf einen vielsagenden Seitenblick zu, der wenige Minuten zuvor von einem hiesigen Händler ein großzügiges Stück Schweinefleisch erbeutet hatte und dieses nun geräuschvoll hinunterschlang.
Ich kann nichts dafür, sagte sein Freund unschuldig. Ich bin noch im Wachstum.
Ahren verzog ungläubig das Gesicht, und Jelninolan stupste ihn augenblicklich an.
»Was hat er gesagt?«
»Dass er noch wächst und daher so viel frisst«, seufzte Ahren.
Nachdenklich spielte Jelninolan mit einer Strähne ihres kastanienroten Haares, das sie einzigartig unter all den Elfen machte, die Ahren bisher kennengelernt hatte. »Hm, merkwürdig. Der Tiersegen hat sein Werk bereits vollendet. Eigentlich dürfte er nicht mehr wachsen. Bist du sicher, dass es nicht nur eine Ausrede ist?«
Culhen warf der Elfe einen tödlich beleidigten Blick aus seinen klugen Wolfsaugen zu. Ahren verschränkte die Arme und musterte seinen Gefährten abschätzend. »Nein, ich glaube, er hat recht. Es ist ihm zwar kaum anzusehen, aber ich bin mir sicher, dass er über den Sommer um mindestens eine halbe Daumendicke größer geworden ist. Und das nicht nur an der Hüfte.«
Culhen schnaubte empört, während die Elfen und Ahren in ein fröhliches Lachen einstimmten.
»Verzeiht meine Manieren«, sagte Ahren schließlich und wandte sich an die Händlerin. »Culhen kann einen schon sehr ablenken. Ich bin Ahren.«
Klar, schuld ist immer der Wolf, nörgelte sein Freund, rollte sich schmollend neben dem Stand zusammen und schloss die Augen.
»Ahren, darf ich vorstellen? Das ist Lithiniv. Sie ist eine unserer besten Tuchweberinnen und ist zusammen mit einer diplomatischen Delegation aus Eathinian hergereist. Unsere Tierwisperer haben jene Raubtiere des Immergrüns, die sich freiwillig zur Verteidigung des Waldes melden, von jeher mit speziellen Rüstungen ausgestattet. Einer von ihnen hatte die Idee, diese mit Zwergenstahl zu verstärken, nur leider handeln die Zwerge nicht mit uns Elfen. Doch jetzt, da die Eherne Stadt wieder offensteht, sind sie guter Dinge, hier alles zu bekommen, was sie benötigen, um die Tiere auszurüsten.«
Der Lehrling runzelte die Stirn. »Muss Kaiser Justinian dem nicht zustimmen?« Ein Teil der verfahrenen Situation, in die Ahren und seine Freunde bei ihrer Ankunft hineingeplatzt waren, war der komplizierte Handelsvertrag gewesen, der den Sonnenebenen alleinigen Zugriff auf den kostbaren Zwergenstahl zusicherte, der in der Ehernen Stadt reichlich verarbeitet wurde.
Die Händlerin, die die typischen weißen Haare und silbernen Augen der Elfen des Immergrüns besaß, neigte den Kopf und deutete in Richtung der sich unter ihnen erstreckenden Sonnenebenen. »Wir haben uns in den letzten Monden um eine Sondererlaubnis bemüht – mit bescheidenem Ergebnis. Erst die Erfolge von Lady Jelninolan und euch Paladinen brachten den gewünschten Durchbruch.« Sie blickte Ahren fragend an. »Was auch immer Ihr Justinian bei Eurem letzten Zusammentreffen gesagt habt, er zeigt sich seitdem deutlich kooperativer, wenn es um die gemeinsame Verteidigung in den kommenden Dunklen Tagen geht.«
Ahren bemühte sich darum, keinen Gesichtsmuskel zu verziehen. Er hatte dem mächtigsten Herrscher der Mittlande offen damit gedroht, ihm die Hilfe aller Paladine und der Alten zu entziehen, sobald der Widersacher aus seinem Bannschlaf erwachen würde, wenn Justinian nicht einlenkte und der bedrohten Ehernen Stadt im Kampf gegen eine Armee von Dunkelwesen zu Hilfe eilte. Auch wenn Ahrens Drohung, den Sonnenebenen jegliche Hilfe zu verweigern, nur ein frecher Schwindel gewesen war, hatte der Kaiser ihm doch geglaubt und war eingeknickt. Anscheinend wirkte der Bluff derart nach, dass der Herrscher sogar bereit war, einzelne Geschäfte mit den Elfen zu erlauben.
»Wir haben uns lediglich freundlich unterhalten und gemeinsam die Situation erörtert«, log Ahren glatt und erntete dafür ein listiges Zwinkern von Jelninolan und einen ungläubigen Blick der Händlerin. Schnell richtete er seine Aufmerksamkeit auf die elfischen Stoffe vor ihm und strich bewundernd mit einem Finger darüber. Er sah Farben, die er an einem Tuch noch nie erblickt hatte: Hier schien ein Kleid die Farbe der Morgensonne eingefangen zu haben und dort funkelte ein Wams wie das kühle Licht des Mondes. Sämtliche Farben des Regenbogens und all ihre Zwischentöne waren auf der Auslage vertreten, und es wunderte den Lehrling nicht, dass Jelninolan bereits drei Ballen Elfenstoff unter dem Arm trug.
»Ich wusste nicht, dass Stoffe sich in solch wunderschönen Farben färben lassen«, hauchte er bewundernd.
»Normalerweise stellen wir sie auch nicht her, viel zu verspielt für uns Elfen. Aber wir wussten, dass wir etwas ganz Besonderes zum Tausch anbieten mussten, wenn wir die horrenden Preise der Waren in dieser Stadt bezahlen wollen«, sagte Lithiniv mit Stolz in der Stimme.
Jelninolan war sichtlich peinlich berührt und versuchte prompt, ihre Einkäufe hinter dem Rücken zu verstecken, aber ein warmes Lachen der Händlerin entschärfte die Situation. »Zu verspielt für einfache Elfen, sollte ich besser sagen. Lady Jelninolan ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes.« Aufrichtige Bewunderung lag im Blick der Händlerin, und Ahren war sich sicher, dass die Bemerkung nicht böse gemeint war. Dennoch schien sich die Priesterin unwohl in ihrer Haut zu fühlen. Also nahm er ihr sanft die Stoffballen ab und hakte sich kurzerhand bei ihr unter. »Ich werde das für Euch tragen und Euch zurückbegleiten, wenn Ihr einverstanden seid«, sagte er schlicht, und Jelninolan nickte dankbar.
Lithiniv verbeugte sich vor den beiden und redete kurz, aber eindringlich in elfischer Sprache auf Jelninolan ein, sodass Ahren nicht verstand, worum es in dem Gespräch ging. Doch seine Gefährtin versteifte sich bei den Worten und murmelte nur einen knappen Dank in der Handelssprache. Dann schritt sie mit Ahren am Arm fort, der sie verwirrt aus den Augenwinkeln ansah.
»Lithiniv ist mehr als eine Händlerin. Wir Elfen haben keine Spione im eigentlichen Sinne, aber einige von uns sind besser darin, Informationen zu beschaffen als andere«, sagte Jelninolan leise. »Erinnerst du dich an die Elfen, denen wir am Sitz des Sonnenkaisers begegnet sind und die nicht mit uns sprechen wollten?«
Ahren überlegte kurz und nickte dann. »Was ist mit ihnen?«
»Sie bilden anscheinend die Delegation, die über den Zwergenstahl verhandeln sollte. Aber sie haben noch einen zweiten Auftrag, wie Lithiniv mir soeben mitteilte.« Sie warf Ahren einen Blick zu, in dem Unbehagen lag. »Es ging dabei um mich. Lithiniv konnte nicht mehr sagen, aber sie meinte, ich solle mich auf einen offiziellen Besuch dieser Elfen einstellen und dass mir ihre Worte nicht gefallen würden.«
»Ob etwas im Immergrün vorgefallen ist?«, fragte Ahren besorgt.
Jelninolan schüttelte den Kopf. »Es klang eher nach etwas Persönlichem«, sagte sie beunruhigt.
»Wir sollten Uldini Bescheid sagen«, schlug Ahren vor.
Die Priesterin nickte. »Er muss eh von dem Handel zwischen Eathinian und der Ehernen Stadt erfahren. Du weißt ja, er will immer alles wissen, was politisch relevant sein könnte.«
Ahren verzog amüsiert das Gesicht. Uldini war nicht nur der Oberste der Alten – jener mächtigen Magier, die das Geheimnis der Alterslosigkeit entdeckt hatten –, er liebte außerdem die Politik über alle Maßen. Sein Verstand konnte mit jeder noch so kleinen Information darüber, wer mit wem paktierte oder in Fehde lebte, etwas anfangen und daraus einen taktischen Nutzen ziehen. Seit Wochen saß er in der Beratungshalle des Triumvirats und spann dort seine Ränke, mal mit, mal ohne dem Wissen der Herrscher dieser Stadt. Beständig sandte er Nachrichten aus, entweder mittels Magie oder per Boten. Der mächtige Magus – gefangen im Körper eines Kindes von annähernd neun oder zehn Sommern – knüpfte ein Geflecht aus Verhandlungen und Zusagen, um die Herrscher Joraths, die bereits vom Erwachen des dunklen Gottes überzeugt waren, zur Zusammenarbeit zu bewegen. Bisher waren seine Erfolge in dieser Hinsicht noch eher klein, aber zumindest redeten der Sonnenkaiser Justinian III., König Senius Blaugrund, der Herrscher der Rittermarschen, und die Clans des Silbernen Kliffs nun direkt miteinander, was bereits ein deutlicher Fortschritt war.
»Wo ist eigentlich dein Meister?«, fragte Jelninolan neugierig.
Ahren hielt verblüfft inne. »Ich habe keine Ahnung. Seit ich weite Teile meiner Übungen selbst bestimmen darf, habe ich ihn viel seltener zu Gesicht bekommen.« Ein komisches Gefühl machte sich bei dieser Erkenntnis in Ahren breit. Seit er die Lehre bei dem grimmigen Waldläufer angefangen hatte, der gleichzeitig auch ein Paladin der Götter war und mit vollem Namen Baron Dorian Falkenstein hieß, war er praktisch nie von der Seite des alten Mannes gewichen. Stets hatte dieser ihn mit immer neuen Aufgaben traktiert und seine Ausbildung mit teils schillernden Methoden vorangetrieben. Aber nun, hier in der Ehernen Stadt und fernab des Waldes, gab sich der alte Mann damit zufrieden, dass sein Lehrling sich selbst antrieb und seinen Körper stählte, solange er nicht vor lauter Muskelkraft die Geschmeidigkeit verlor, die ein Waldläufer benötigte, um in unebenem Gelände rasch voranzukommen. Vor allem Ahrens Hindernisläufe über die unterschiedlich hohen Dächer der Stadt hatten es seinem Mentor angetan, und der junge Mann war sich sicher, dass Falk ihm dabei oft zusah, wenn auch nur aus der Ferne.
»Alle paar Tage setzen wir uns zusammen und er erklärt mir und Khara die Grundlagen der Taktik. Aber über den Rest seiner Zeit schweigt er sich aus.« Die Verunsicherung war nun deutlich in Ahrens Stimme zu hören, und Jelninolan drückte mitfühlend seinen Arm.
»Du wirst flügge«, sagte sie und lächelte aufmunternd. »Deine Ausbildung zum Waldläufer wird sicher nicht mehr lange dauern. Da ist es normal, dass du und dein Meister einen gewissen Freiraum zueinander entwickelt.«
Ahren biss sich auf die Lippe. Es hatte Tage gegeben, an denen er sich nichts sehnlicher gewünscht hätte, als dem strengen Blick des hin und wieder grantigen Mannes zu entkommen, aber nun verspürte er ein Ziehen in der Brust, ganz so, als wäre einer der Grundpfeiler seines jungen Lebens weggebrochen, ohne dass er dies bemerkt hatte.
Was auch passiert, er wird immer Teil deines Rudels sein, erklang nun die ungewohnt ernste Stimme Culhens in seinem Geist, während der Wolf seinen Kopf an Ahrens Brust schmiegte und dabei liebevoll winselte.
Derart eingekeilt zwischen einer mitfühlenden Priesterin und seinem treuen Vertrautentier verflog Ahrens plötzliche Trauer und machte einer brennenden Neugier Platz. »Ich frage mich allerdings wirklich, was er den lieben langen Tag so treibt.«
Jelninolan runzelte die Stirn. »Komm bloß nicht auf die Idee, Falk nachzuspionieren. Kannst du dir vorstellen, was er mit dir anstellt, wenn er dich dabei erwischt, wie du ihm hinterherschleichst?«
»Ich könnte dann immer noch behaupten, es sei eine Übung im Pirschen«, erwiderte Ahren nachdenklich.
Schlechte Idee, brachte Culhen sich sein. Der Alpha wird dich tagelang mit hässlichen Aufgaben bestrafen – und ich darf mich die ganze Zeit über langweilen.
Beinahe hätte Ahren den Rat des Tieres aus reinem Trotz ignoriert, aber dann besann er sich eines Besseren. »Ihr habt vermutlich recht. Vielleicht frage ich ihn ja einfach.«
Zufrieden nickte Jelninolan ihm zu. »Was für eine erfrischend erwachsene Idee.«
Sie hatten mittlerweile das hochaufragende Verwaltungsgebäude erreicht und grüßten die Wachen am Eingang höflich, während diese sich im Salut die Fäuste auf die Brust schlugen und eine steife Haltung einnahmen. »Irgendwie wäre ich froh, wenn wir bald aufbrächen«, murmelte der Lehrling leise. »Diese Ehrbezeugungen, egal wohin ich auch gehe, werden langsam lästig.«
Die Priesterin lachte glockenhell auf. »Ach, Ahren, das ist erst der Anfang. Was meinst du, wie die Leute reagieren, wenn dein Name sich wie ein Lauffeuer in ganz Jorath verbreitet? Noch ist die Rückkehr des dreizehnten Paladins nur in diplomatischen Kreisen bekannt, aber bald werden die ersten Barden von dir singen.« Sie schlug ihm spielerisch auf den Oberarm. »Noch ein paar Sommer und du bist bekannter als Uldini.« Sie feixte. »Wie ihn das ärgern wird.«
Ahren war indes bei dem Ausblick auf noch mehr Ruhm ganz mulmig geworden und er hoffte inständig, dass seine Gefährtin sich irren würde.
Sie schritten durch die Eingangshalle aus poliertem Holz und hielten auf die mächtige Doppeltür zu, auf der das Wappen der Ehernen Stadt prangte und die zu dem Beratungssaal, dem Herzstück des Triumvirats, führte. Schon auf mehrere Schritt Entfernung hörten sie die aufgeregte Stimme Uldinis, der gerade dabei war, jemandem detaillierte Instruktionen zu erteilen. Ahren dachte kurz an Tiefstein und daran, wie der alterslose Magus sich dort im Haus des Bürgermeisters eingenistet hatte. Anscheinend zog es ihren umtriebigen Freund stets zum Zentrum der Macht, egal, wo er sich gerade befand.
Sie schoben die angelehnten Türflügel auf und erblickten den Magus auf dem Platz, der eigentlich dem Triumviratssprecher gebührte. Er redete auf einen völlig überforderten Boten ein, der sich heftig schlotternd Notizen auf einem Pergament machte.
»Meister Enugion soll sich damit sputen oder ich sorge dafür, dass er die längste Zeit Hauptlieferant für die Stadtgarde gewesen ist, verstanden?«, herrschte Uldini den unglücklichen Mann an, nur um ihn anschließend mit einer nachlässigen Handbewegung aus dem Saal zu scheuchen.
»Ich schwöre bei den Dreien, es gibt keine zuverlässigen Boten hier in der Stadt«, knurrte er ungehalten. Wie er so dasaß, eine dunkelhäutige Knabengestalt von vielleicht zehn Sommern, gehüllt in eine schwarze Robe und kahlrasiert, das Gesicht zu einer unwilligen Grimasse verzogen, wirkte er wie der verwöhnte Zögling eines Adeligen und nicht wie das Oberhaupt der Alten.
Ahren konnte sich bei dem Anblick ein Grinsen nicht verkneifen, aber glücklicherweise lenkte Jelninolan den Magus ab, bevor er es sah und ihn zur Strafe für einen Tag in einen Frosch verwandelte. »Es gab durchaus gute Kuriere innerhalb der Stadtmauern. Du selbst hast sie alle bereits mit dringenden Nachrichten fortgeschickt, sodass nun jeder andere, der ein Pergament überbringen lassen will, sich mit dem traurigen Rest zufriedengeben muss, der noch übrig ist«, sagte sie streng. »Deinetwegen wird es in nächster Zeit sicher einige Fehlbestellungen und falsch überbrachte Einladungen geben.«
Uldini zuckte ungerührt die Achseln. »Jede einzelne dieser Botschaften war wichtig – und dabei waren das nur die mundanen Nachrichten, die meisten habe ich per Zauber übermittelt. Ich denke, ich habe in den letzten Wochen mit jedem der Alten über ein halbes Dutzend Mal gesprochen, und das, obwohl ich zuvor einige von ihnen seit Jahrzehnten nicht mehr kontaktiert hatte.«
Jelninolan wurde nun hellhörig und schien hoch konzentriert. »Selbst Schläft-im-Wipfel?«, fragte sie überrascht.
»Vor allem sie«, sagte Uldini. »Da sie in den Dschungeln knapp südlich von Tausend Hallen ihren Experimenten frönt, war sie von uns Alten die Einzige, die ein wirkungsvolles Zaubernetz auswerfen konnte, um Sunju aufzuspüren.«
Jetzt hörte auch Ahren gespannt zu. Sunju war der Name des weiblichen Paladins, dem sie derzeit auf der Spur waren. Der Paladin Bergen hatte ihnen von einer Göttin erzählt, die in den südlichen Dschungeln als »Die schlafende Mutter« verehrt wurde. Aufgrund der Beschreibungen, die Uldini zusammengetragen hatte, waren sich die Gefährten sicher, dass es sich bei ihr um eine der Dreizehn handeln musste.
»Schläft-im-Wipfel war übrigens erfolgreich – zumindest halbwegs«, redete der kindliche Magus weiter. »Sie konnte unser Ziel jedoch nicht so genau eingrenzen, wie ich es mir gewünscht hätte. Wir müssen irgendwo ins Herz des Dschungels, mittenrein.« Er schnaubte missbilligend. »Alles andere wäre ja auch zu einfach gewesen.«
»Dafür können wir jetzt wenigstens eine Route festlegen«, sagte Jelninolan voller Elan, und Ahren wurde ganz aufgeregt. Den halben Sommer über hatten sie auf die passenden Informationen gewartet, um entscheiden zu können, auf welche Weise sie den Dschungel erreichen wollten. Es gab nämlich zwei Möglichkeiten, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Zum einen lockte der Wasserweg, die Küste der Klingensee hinab, um sich dann vom zugewachsenen Ufer aus einen Weg durchs urtümliche Dickicht zu schlagen.
Zum anderen bestand die Möglichkeit, die Reise den Schwertpfad hinab und durch die Namenlose Wüste zu planen, um dann über den Klauenpass in den Dschungel vorzustoßen. Ahren wusste, welcher Strecke er den Vorzug geben würde. »Also können wir uns einschiffen?«, fragte er hoffnungsvoll.
Jelninolan und Uldini schüttelten beide den Kopf, und Ahrens zarte Hoffnung wurde von der nachfolgenden Antwort des Magus endgültig zerstört. »Dann hätten wir einen monatelangen Marsch durch den Dschungel vor uns, auch wenn die Schiffsreise selbst deutlich schneller vonstattenginge als die Reise durch die Wüste. Aber gleich hinter dem Klauenpass können wir auf dem Silbernen Band weiterreisen. Der große Fluss wird uns viel Mühsal ersparen und tief in das Höllenloch hineintragen, in dem Sunju sich mit etwas Glück aufhält. Natürlich wäre das alles weniger mühsam, wenn das Silberne Band direkt ins Meer münden würde, aber leider verschlingt der Dschungel all sein Wasser, bevor es die Küste erreicht.«
Es war nicht das erste Mal, dass Uldini abfällig über den Teil der Welt sprach, in dem er geboren worden war. Wann immer sie auf die Dschungel zu sprechen kamen, wurde die kleine Gestalt zornig und missmutig. Auch Jelninolan schien alles andere als glücklich über ihr Ziel zu sein, und wenn Ahren darüber nachdachte, fiel ihm keiner seiner Gefährten ein, der in Anbetracht ihres nächsten Reiseziels nicht das Gesicht verzog. Selbst sein stoischer Meister, dem nie eine Umgebung etwas auszumachen schien, hatte sorgenvoll dreingeschaut, als klar war, dass sie um eine Reise in die Dschungel nicht herumkommen würden.
»Ist es dort denn so schlimm?«, fragte der Lehrling skeptisch. Bisher war man ihm bei dieser Frage immer ausgewichen, aber nun, wo ihre Route feststand, war es an der Zeit nachzuhaken.
»Ich kann mich nur an Bruchstücke erinnern. Wie du weißt, wurde ich als kleiner Junge gefangen und als Sklave verkauft«, sagte Uldini düster. »Aber meine Eindrücke an die Zeit im Dschungel bestehen aus feuchter Hitze, Zähnen, Klauen, Gift, permanenter Gefahr und Würgeranken.« Dann erhob die kleine Gestalt sich mit einem Zauber vom Stuhl und schwebte wortlos zur Tür hinaus.
Während Ahren dem Alten verwundert hinterhersah, hörte er neben sich Jelninolans mitfühlende Stimme. »Er denkt nicht gerne an die Zeit seiner Versklavung zurück.« Sie räusperte sich und ihr Gesicht war sehr ernst, als sie fortfuhr. »In den südlichen Dschungeln wimmelt es von Dunkelwesen. Keine Armee kann sie in dem Dickicht aus Schlingpflanzen erreichen, um sie auszurotten, und selbst alle Waldläufer der Welt würden Jahrzehnte benötigen, um die Bestände der dort lebenden Untiere zu dezimieren. Neben dem Wutwald sind die südlichen Dschungel das lebensfeindlichste Gebiet, das ein Mensch, Zwerg oder Elf je betreten hat. Also bereite dich gut vor und nimm die Gefahr ernst. Uldini ist darauf bedacht, uns eine Route auszusuchen, die unseren Aufenthalt dort so kurz wie möglich gestaltet, denn jede Meile an Land kann zur tödlichen Gefahr werden. Folgen wir seinem Rat, können wir einen Großteil der Strecke auf dem Silbernen Band oder einem seiner zahlreichen Nebenarme zurücklegen.«
Ahren wurde bei Jelninolans Worten angst und bange. Er hatte sich in den vergangenen Jahren schon in so vielen todbringenden Situationen wiedergefunden, dass es für seinen Geschmack für ein ganzes Leben reichte – vielleicht sogar zwei –, und er verspürte kein Verlangen danach, sich in ein weiteres Abenteuer mit unbekanntem Ausgang zu stürzen.
Er wollte gerade sein Gesicht schicksalsergeben in seine Hände vergraben, da hörte er Culhens tröstende Stimme in seinem Kopf. Mach dir keine Sorgen, Ahren. Ich passe schon auf dich auf.
2. Kapitel
Trotz all der bedrohlichen Bilder, die seit dem Vorabend Ahrens Gedankenwelt beherrschten, wenn er an ihre bevorstehende Reise dachte, wachte er am nächsten Morgen in aller Frühe mit einem Gefühl der Ungeduld und Vorfreude auf. In zwei Tagen würde das Herbstfest stattfinden, welches in dieser Region zwar etwas anders und früher als in Ahrens Heimat Hjalgar gefeiert wurde, aber nichtsdestotrotz mit Geschenken an Familie und Freunde einherging.
Ahren hatte in diesem Jahr endlich die Zeit und Muße gehabt, für alle seine Gefährten etwas zusammenzutragen oder anzufertigen, und er war stolz auf die kleine Sammlung an Präsenten, die er angehäuft hatte. Mit Spannung erwartete er die Gesichter der anderen, wenn sie ihre Herbstfestgeschenke von ihm erhielten.
Mach schon, steh auf!, drängelte Culhen in Ahrens Kopf. Der Wolf stand neben dem Bett des Lehrlings und blickte mit vorwurfsvollen Augen auf ihn herab. Ich will endlich laufen, quengelte er, und da der junge Paladin wusste, dass sein haariger Freund nicht nachgeben würde, schälte er sich schließlich mit einem leisen Stöhnen aus dem Bett.
Bald sind wir wieder in der Wildnis, da kannst du dann so viel herumstreunen, wie du willst, antwortete Ahren, während er sich anzog.
Culhen sandte ihm Bilder von ihnen beiden, wie sie gemeinsam durch die Wälder liefen, und unweigerlich musste der junge Mann lächeln.
»Das ist eine schöne Idee, aber ich denke, die Umgebung wird zunächst weniger gastlich sein.« Dabei dachte er an die Todeshügel, die sie auf ihrem Weg zur Ehernen Stadt durchquert hatten: ohne Leben und staubtrocken.
Culhen nieste als Reaktion heftig, und Ahren pflichtete ihm stumm bei. Der Staub, der sich damals in Nase, Mund und Ohren gelegt hatte, war die Hölle gewesen, und er hoffte inständig, dass der Sand der Wüste, die sie auf ihrem Weg würden durchqueren müssen, sich als weniger störend erwies.
Ahren öffnete die Fensterläden und wurde von einem jungen Spätsommermorgen begrüßt, dessen Himmel voller bleigrauer Wolken hing. Schon sah er die ersten Regentropfen auf die Gassen und Dächer der Ehernen Stadt fallen und verzog das Gesicht. Das Gästezimmer im ersten Stock des hohen Triumviratsgebäudes bot einen hervorragenden Ausblick über die Umgebung, aber auf diesen verregneten Anblick hätte er heute gerne verzichtet.
Regen? Prima!, entfuhr es Culhen eifrig. Dann wird der Lauf über die Dächer wenigstens eine echte Herausforderung.
Ahren seufzte ergeben, wohlwissend, dass Widerworte vergebens wären, und warf sich einen schweren Wollumhang über seinen Bänderpanzer. Er vermisste die Zeit, als Falk der einzige Sklaventreiber in seinem Leben gewesen war – der war wenigstens außerhalb seines Kopfes geblieben.
Die Flachdächer waren nass und rutschig, doch Culhens Ehrgeiz wurde dadurch nur noch mehr angespornt, sodass Ahren sich gezwungen sah, sein Äußerstes zu geben, um mit dem ausgelassenen Tier mitzuhalten. Culhen flog mit weiten Sprüngen von Dach zu Dach und musste bei jeder Richtungsänderung schlitternd bremsen, um nicht über die nächste Dachkante getragen zu werden. Diesbezüglich hatte es Ahren leichter, und was der Wolf an Schnelligkeit gut machte, holte Ahren mit seiner größeren Wendigkeit wieder raus. Das Tier wog mittlerweile bestimmt doppelt so viel wie Ahren, und der Lehrling mochte sich gar nicht ausmalen, was es für ein Lärm für die Bewohner sein musste, wenn der Wolf auf ihren Dächern entlanglief. Glücklicherweise waren sie lokale Helden und so wurden sie mit viel Lob statt mit Flüchen bedacht, wann immer sie Bürgern der Ehernen Stadt während ihres morgendlichen Rituals begegneten.
Sie beendeten gerade ihre vierte Runde und kamen auf dem Dach der Taverne zum Stehen, die damals während der Belagerung ihre Unterkunft gewesen war. Schnaufend hielt Ahren inne. Hier hatten Khara und er das erste Mal die Zwölf Grüße an die Sonne ausgeführt und seitdem hatten die beiden sich auf einer unausgesprochenen Ebene darauf geeinigt, dass hier jede Übung ihren Anfang nahm. Der Wirt hatte nichts dagegen, denn dass sich drei der Helden der Stadt regelmäßig auf seinem Dach einfanden, hatte ihm durch zusätzliche Gäste sicher mehr als ein Goldstück in die Kasse gespült.
Khara wartete bereits auf dem Dach auf sie, ihre Arme und Beine dehnend, während sie dem Regen, der auf sie niederströmte keinerlei Beachtung schenkte. Sie beäugte Ahrens schwere Atmung kritisch und kniff die Augen zusammen. »Besteht die Chance, dich zu einer weiteren Runde zu überreden? Ich weiß, ich bin spät dran, aber Lady Jelninolan war in redseliger Stimmung. Sie ist etwas nervös wegen der elfischen Delegation, die mit ihr sprechen will.«
Ahren fehlte es noch immer an Luft, und während Culhen bei der Aussicht auf einen weiteren Lauf wild umhersprang und dabei kläffte und winselte wie ein junger Welpe, schüttelte der Lehrling den Kopf. »Macht ein paar Runden ohne mich«, japste er. »Vielleicht bekommen wir den pelzigen Wirbelwind ja gemeinsam müde.«
Khara zwinkerte ihm zu und sprang wortlos auf das nächste Dach, auf das der Wolf ihr enthusiastisch folgte. Bewundernd blickte Ahren der jungen Frau nach, wie sie elegant und präzise an Dachkanten entlanglief, sich auf höher gelegene Firste hinaufzog oder auf tieferliegende Dächer hinabrollte, ohne dabei merklich an Geschwindigkeit zu verlieren. Ihre Bewegungen waren stets flüssig und bedacht, wo Ahrens kraftvoll, aber stürmisch waren. Khara schien mit einem Bruchteil der Energie genauso viel zu erreichen wie der Lehrling, und der Anblick ihrer sehnigen Gestalt, die mit Culhen im Regen um die Wette lief, drang ihm wieder einmal tief ins Herz.
Auf dem Herbstfest werde ich mit ihr reden, versprach er sich und spürte prompt Culhens Zustimmung in seinem Kopf. Er seufzte resigniert. Wenn er jetzt kniff, würde der Wolf ihm das ewig vorhalten.
Der Rest des Tages war anstrengend und nass, aber ansonsten zufriedenstellend. Ahren durchlief alle Übungen, die er sich vorgenommen hatte, erreichte einen Patt gegen Khara im Schwertkampf und am Ende blieben ihm sogar noch genug Ausdauer und Tageslicht, um nach Falk zu sehen. Die Tatsache, dass er nicht wusste, wo sein Meister sich den lieben langen Tag über herumtrieb, ließ Ahren nicht los, und so hatte er beschlossen, den alten Paladin suchen zu gehen.
Damit seine Nachforschungen nicht nach Beschattung oder Herumschnüffeln aussahen, bediente sich Ahren eines einfachen Mittels: Er fragte alle Passanten und Händler, angefangen mit denen auf dem Marktplatz, ob sie zufällig Baron Falkenstein, den Paladin der Götter, gesehen hatten. Selbstverständlich erinnerten sich viele an den alten Mann, und so stieß der Lehrling schon nach kurzer Zeit auf die Fährte seines Meisters. Vielen der Händler war sein Mentor aufgefallen, wie er jeden Tag denselben Weg entlangschlenderte, und schließlich führte Ahren die wahre Flut an Hinweisen zu einem wohlhabend aussehenden und ungewöhnlich breiten Haus im Stil der Sonnenebenen. Ein Gildensiegel prangte über dem stattlichen Portal, und Ahren bemerkte überrascht die Schriftrolle in dem Symbol. Das Zeichen der Schreiber! Dies war eine Bibliothek. Verwirrt kratzte Ahren sich am Kopf. Was wollte sein Meister denn hier?
Bevor er sich ein Urteil bilden konnte, kam die breitschultrige Gestalt mit dem kurzgeschnittenen, grauen Haar auch schon aus dem Eingang marschiert. Falk steckte in seiner Paladinrüstung – wie jeden Tag, seitdem ihm ein Attentäter beinahe mit einem Pfeil das Leben geraubt hätte –, und dies gab ihm zusammen mit dem mächtigen Breitschwert auf seinem Rücken ein durchaus martialisches Aussehen. Der grimmige Gesichtsausdruck des Mannes, der Ahrens Leben verändert hatte wie kein zweiter, milderte das Gesamtbild nicht gerade ab, und als sich die stahlgrauen Augen Falks auf Ahrens schuldbewusste Miene hefteten, zuckte der Lehrling unwillkürlich zusammen.
»Bist du mir etwa gefolgt, Junge?«, fragte Falk düster statt einer Begrüßung und zog eine Augenbraue hoch.
»Nicht gefolgt. Ich habe Euch gesucht, Meister«, sagte Ahren so unschuldig wie möglich. »Ich habe herumgefragt und ... na ja ... es schien unter den Händlern und Bürgern kein Geheimnis zu sein, wo Ihr Euch aufhaltet.«
Das Gesicht des alten Mannes blieb streng, war aber nun weniger misstrauisch. Genau genommen hatte Ahren auch nicht gelogen, ihm nur seine Beweggründe, die auf purer Neugier basierten, verschwiegen. »Uns bleibt noch etwas Zeit, bis die Sonne untergeht. Vielleicht könnten wir die Kunst der Taktik weiter üben?«, schlug Ahren vor, um seinen Meister abzulenken. Außerdem konnte er jede Lektion in der Kriegskunst dringend brauchen. Er tappte jedes Mal wieder bei ihren durchgespielten Schlachten von einer Falle, die ihm sein Meister stellte, in die nächste, und jede seiner guten Absichten schien ihm den Sieg zu kosten. Der junge Paladin war sich der Tatsache bewusst, dass Falk die Prinzipien kannte, von denen Ahren sich leiten ließ, und dass er diese gnadenlos gegen ihn ausnutzte, aber Ahren konnte ihm das nicht vorwerfen. Jeder Feind, auf den er traf, würde sich genauso auf Ahrens Schwachpunkte stürzen, und wenn der Lehrling weiter an seinem Vorsatz festhalten wollte, im heraufziehenden Krieg so viele Leben wie nur möglich zu retten, musste er in den Punkten Strategie und Taktik dringend besser werden. Momentan tröstete er sich mit dem Wissen, dass er sobald keine Befehle würde geben müssen, sondern innerhalb der Gruppe seiner Gefährten noch immer am Ende der Befehlskette stand.
Falk schulterte ein Bündel, das er aus dem Gebäude mitgebracht hatte, und legte Ahren einen Arm um die Schulter. »Das ist eine feine Idee«, lobte er seinen Lehrling. »Weißt du, ich freue mich wirklich, mit welcher Ernsthaftigkeit du dich um deine Übungen bemühst.« Dabei sah Ahren ein belustigtes Funkeln in den Augen des alten Waldläufers aufblitzen und wusste in diesem Moment, dass seine kleine Scharade aufgeflogen war.
Falks Blick wurde ernst, die Hand auf Ahrens Schulter zu einer Eisenklammer. »Wenn du mir noch einmal ohne triftigen Grund folgst, werden wir ein schönes, langes Gespräch haben«, knurrte er leise.
Ahren nickte nur und schluckte schwer, während Culhen wenig hilfreich hinzufügte: Ich hab’s dir ja gesagt: Das war eine dumme Idee.
Falk löste seinen harten Griff, ließ die Hand aber, wo sie war. »Von einer gewissen Neugier und Unhöflichkeit gegenüber den Privatangelegenheiten anderer abgesehen«, fuhr er fort, »bin ich mit dir übrigens wirklich zufrieden. Khara sagt, deine Schwertkunst reife heran; deine Schultern werden immer breiter und deine Ausdauer immer besser.« Falk zögerte einen Moment. »Ich denke, es ist langsam an der Zeit, dich in deine Lange Woche zu schicken.«
Ahren blieb auf der Stelle stehen. Die Lange Woche bildete die Abschlussprüfung eines Waldläuferlehrlings, doch sein Meister hatte noch nie mit ihm darüber geredet, seit er Ahren erklärt hatte, dass es diese Prüfung überhaupt gab. Irgendwie war Ahren davon ausgegangen, dass er ein Lehrling bleiben würde, bis der dunkle Gott endgültig besiegt war. Umso größer war die Überraschung, dass Falk ihm schon jetzt das Ende seiner Ausbildung in Aussicht stellte, und so konnte Ahren nur ungläubig in Richtung seines Mentors starren.
Er musste aussehen, als habe er einen kräftigen Schlag auf den Kopf abbekommen, denn Falk musterte ihn kritisch und schüttelte anschließend den Kopf. »Und schon habe ich es mir anders überlegt«, sagte er schmunzelnd. »Solange du dich so leicht aus dem Konzept bringen lässt, habe ich besser noch ein Auge auf dich.« Er zog Ahren weiter, während Culhen seinen Freund mit schallendem Gelächter überschüttete. »Na, dann lass uns mal sehen, auf welch kreative Art du heute deine Schutzbefohlenen in den sicheren Untergang führst«, neckte ihn Falk, der sogleich damit begann, ein Kriegsszenario zu beschreiben.
Müde ließ Ahren sich ins Bett fallen und dachte darüber nach, was schiefgelaufen war. Falk hatte seine Bogenschützen mit der schweren Kavallerie aufgerieben, nachdem Ahren diese in Stellung gebracht hatte, um die Freischärler des alten Mannes zu beschießen, die sich über seine östliche Flanke anschleichen wollten und die Ahrens Kundschafter rechtzeitig entdeckt hatten. Eigentlich hatte er alles richtig gemacht – dann aber trotzdem haushoch verloren. Falk schien seine Freischärler als Köder ausgesandt zu haben, aber eine solche Taktik erschien Ahren in der Realität als arg kaltherzig. Obwohl, wenn man ihnen Schilde mitgab, um den ersten Pfeilhagel zu überstehen, bis die Kavallerie eintraf ...
Langsam und unmerklich glitt Ahren in tiefen Schlaf, während seine Gedanken noch immer um Aufstellungen und Formationen kreisten.
Es war der Vortag des Herbstfestes! Ahren sprang geradezu aus dem Bett, kaum dass er die Augen aufgeschlagen hatte und kam damit sogar Culhen zuvor. Zufrieden sah der junge Mann, dass die gelben Wolfsaugen ein wenig enttäuscht aussahen, ganz so, als hätte das Tier sich darauf gefreut, Ahren wie jeden Morgen zur Eile zu drängen.
Am Abend würden sich alle seine Freunde zu einem festlichen Essen zusammenfinden, und neben der Vorfreude darauf, seine Freunde zu beschenken, war Ahren sich sicher, dass Trogadon an diesem Abend etwas ganz Besonderes für ihn und Khara bereithalten würde. Schon den gesamten Sommer über schmiedete der Zwerg an zwei neuen Windklingen für die junge Schwertkämpferin und den Lehrling, da ihre beim Kampf gegen den Finsterbären zerbrochen waren. Und nicht nur irgendwelche Windklingen! Nein, diese würden aus Tiefenstahl bestehen, dem härtesten und zugleich leichtesten Metall, das die freien Völker kannten. Hinzu kam, dass Trogadon ein wahrer Meisterschmied war, und so freute Ahren sich mehr auf den bevorstehenden Abend, als es einem Paladin der Götter zu Gesicht stand.
Schnell zog er sich an und stürmte beinahe auf den Gang, derart voller nervöser Energie, dass er plante, sich in sein Training zu stürzen, damit die Zeit schneller verging. Er war noch keine zwei Schritte weit gekommen, als er verdutzt stehen blieb. In dem Flur vor ihm wimmelte es nur so von Elfen! Ahren blinzelte heftig, aber der Anblick blieb. Dort standen tatsächlich sieben Elfen vor der Tür zu Jelninolans Zimmer und blickten ihn ebenso irritiert an wie er sie. Eine Elfe schaute schmunzelnd an ihm herab, und als Ahren ihrem Blick folgte, stellte er fest, dass er sich in seiner Eile noch nicht fertig angezogen hatte. Hüstelnd knotete er seine Hose ordentlich zu, zog sein Hemd glatt und richtete den Bänderpanzer, bevor er sich einmal höflich verneigte. Die versammelten Elfen erwiderten seine Geste gleichzeitig, und Ahren war wieder einmal fasziniert von der Einheit, mit der diese Wesen stets agierten. Er hatte schon in Eathinian erlebt, wie Zauberwerker im Einklang miteinander wahre Wunder vollbrachten oder wie harmonisch eine elfische Zeremonie vonstattengehen konnte.
Dann schob sich Culhen auf den Gang hinaus – Ahren sorglos zur Seite drückend –, um sich hochaufgerichtet in Positur zu setzen. Die Elfen verneigten sich erneut, noch tiefer dieses Mal, und eine Welle wölfischer Zufriedenheit spülte durch Ahrens Verstand. Culhens Status als Vertrautentier und damit als Gesandter von Ihr, die fühlt, gab ihm einen ganz besonderen Stellenwert unter den Elfen, die ebenfalls unter dem Schutz der Göttin standen.
Angeber, murrte Ahren, aber Culhen ignorierte ihn einfach.
»Guten Morgen«, sagte der Lehrling in die Stille hinein, die nun folgte. Diese Begegnung schien ihm beinahe unwirklich, und nur mühsam widerstand er dem Drang, eine der Personen vor ihm zu berühren, um sich zu vergewissern, dass die Elfen tatsächlich echt waren und kein Produkt seiner Fantasie. »Kann ich Euch irgendwie weiterhelfen?«, fragte er im höflichsten Tonfall, den er zustande brachte.
Ein hochgewachsener, schmaler Elf, der direkt vor der Tür der Priesterin stand, neigte dankbar den Kopf und deutete auf das Holz vor ihm. »Lady Jelninolan scheint unsere Anwesenheit nicht zu spüren, was sehr ungewöhnlich ist. Es wäre unhöflich von uns, zu klopfen und so auf ihre mangelnde Aufmerksamkeit hinzuweisen. Also warten wir darauf, dass sie von selbst herauskommt.«
Ahren unterdrückte ein Augenrollen. Das war so elfisch, wie es nur sein konnte, und ihm wurde einmal mehr klar, wie unterschiedlich die Rassen Joraths eigentlich waren. Er nickte dem Sprecher freundlich zu, ging an ihm vorbei und klopfte dann energisch an Jelninolans Tür. Die Elfen zuckten zusammen, als Ahren rief: »Jelninolan, seid Ihr wach?«
»Komm herein«, erscholl es traurig von drinnen, und Ahren war sofort alarmiert. Etwas war nicht in Ordnung – und er fraß einen Besen, wenn es nicht mit dem Pulk aus geduldig wartenden Elfen zu tun hatte, die das Zimmer Jelninolans belagerten. Also drückte er die Klinke herunter, schob sich durch einen kleinen Spalt hinein und schloss, noch immer höflich lächelnd, die Tür vor der Nase der ins Zimmer drängenden Delegation.
Lass keinen ins Zimmer, bis ich etwas anderes sage, wies Ahren Culhen an, der prompt reagierte. Ahren hörte ein dumpfes Plumpsen auf der anderen Seite der Tür, und als er die Augen schloss und sich in den Geist des Wolfes hineinversetzte, sah er, dass das Tier sich einfach quer vor die Tür der Kammer gelegt hatte und so den Weg hinein versperrte. Die Elfen schauten einander ratlos an, und Culhen begann gelassen, an seinem Fell herumzuknabbern.
Ahren lächelte zufrieden, dann drehte er sich Richtung Zimmer um. Jelninolan saß auf einem Stuhl am Fenster und war gerade dabei, ein dunkelgrünes Kleid mit silbernen Applikationen zu versehen, die aus dem Elfenstoff geschnitten worden waren, den sie zwei Tage zuvor auf dem Markt erworben hatte. Ihr Gesicht wirkte gelassen, aber eine große Trauer lag in ihren Augen. »Sie stehen immer noch da draußen, oder?«, fragte sie leise, ohne aufzublicken.
Ahren nickte verwirrt. Die Elfe hatte die Delegation also doch wahrgenommen, aber sich dazu entschieden, sie zappeln zu lassen. »Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte er zaghaft. »Soll ich die anderen holen?« Er drehte sich schon halb zur Tür, da hielt ihn die Priesterin mit einer kleinen Handbewegung zurück.
»Ich spüre ihre Anspannung. Sie müssen mir etwas sagen, obwohl sie es nicht wollen«, sagte sie leise. »Noch konnte ich mich nicht dazu überwinden, den schönen Morgen zu ruinieren.«
Ahren schaute vielsagend aus dem Fenster und auf den wolkenverhangenen Himmel, der weiteren Regen versprach. Anscheinend waren sogar jahrhundertealte Elfenpriesterinnen voll mächtiger Magie nicht davor gefeit, sich vor schlechten Nachrichten drücken zu wollen.
Jelninolan folgte seinem Blick und lächelte selbstironisch, sagte jedoch nichts.
»Wenn Ihr wollt, schicke ich sie fort«, bot er an und deutete auf die geschlossene Tür. »Oder wir warten eine Weile. Um zu Euch zu kommen, müssen sie erst an Culhen vorbei – im wahrsten Sinne des Wortes.«
Jetzt war das Lächeln der Elfe voller Wärme. »Nein, danke«, erwiderte sie. »Aber es wäre nett, wenn du an meiner Seite bleiben würdest, wenn ich gleich diese Tür öffne.«
Ahren nickte nervös, das Verhalten seiner Freundin wirkte zu seltsam, um der kommenden Begegnung gelassen zu begegnen. Aber Jelninolan war so oft für ihn dagewesen, da konnte er sich einer so simplen Bitte nicht verweigern, also ging er zur Tür. Fragenden Blickes holte er sich ihr Einverständnis, bevor er schließlich die Tür öffnete.
»Lady Jelninolan ist nun bereit, Euch zu empfangen«, sagte er, so hochtrabend es ihm möglich war, wobei er versuchte, den Tonfall des Zeremonienmeisters nachzuahmen, der sie damals in den Rittermarschen auf dem Fest des Königs vorgestellt hatte.
Hinter sich hörte er ein verspieltes Kichern von Jelninolan und freute sich darüber. Was auch immer nun kommen mochte, wenigstens hatte er ihr zuvor noch etwas Freude geschenkt.
Culhen trollte sich behäbig aus dem Weg, und dann betrat die gesamte Delegation den Raum, sodass sich Ahren das Bild einer vorrückenden Armee aufdrängte.
Die Elfen verneigten sich tief und ausdauernd vor Jelninolan, dann begann der hagere Elf zu sprechen, der Ahren gegenüber bereits der Wortführer gewesen war.
In höflichem Tonfall redete er in Elfisch auf die Priesterin ein, die angespannt zuhörte, hier und da nickte und ein, zwei Zwischenfragen stellte. Ahren verstand nicht, worum es ging, aber zunächst schien alles gut zu laufen. Dann jedoch sagte der Hagere etwas, das Jelninolan alle Farbe aus dem Gesicht trieb. Bisher hatte Ahren sich im Hintergrund gehalten, aber nun eilte er an die Seite seiner Gefährtin und stützte sie.
Jelninolan schien ihn nicht zu bemerken, sondern erwiderte etwas mit derart schneidender Kälte in der Stimme, dass Ahren glaubte, die Temperatur im Raum wäre soeben rapide um zehn Grad gefallen. Dann sah er, wie der Spiegel im Raum beschlug. Es wurde wirklich kälter! Er räusperte sich, stupste der noch immer redenden Elfe sanft einen Ellenbogen in die Rippen und deutete hinüber zu der nun bereits vollständig beschlagenen Oberfläche.
Jelninolan unterbrach sich abrupt. Sofort ließ der Temperatursturz nach, und nun begann der Elf von Neuem zu sprechen.
»Was ist denn los?«, fragte Ahren leise, aber drängend.
»Sie wollen, dass ich nach Hause komme. Wenn ich mich weigere, nehmen sie Tanentan mit«, sagte Jelninolan knapp und voller Zorn, bevor sie auf Elfisch mit den Besuchern aus dem Immergrün weiterredete.
Ahren schnappte nach Luft. Das elfische Artefakt war Teil seiner Ernennung gewesen und hatte ihnen mit seiner Zaubermelodie mehr als einmal aus der Patsche geholfen. Er konnte nicht nachvollziehen, wie jemand der Priesterin dieses heilige Instrument der Elfengöttin wegnehmen wollte, und auch Jelninolan schien schockiert über die ihr zugetragene Nachricht.
Während Jelninolan immer emotionaler wurde und ihr Gegenüber weiterhin dieselbe gelassene Höflichkeit, mit der er das Gespräch begonnen hatte, zur Schau trug, verteilten sich die übrigen Elfen strategisch im Raum.
Ahren war sofort alarmiert, und das brachte nun auch Culhen auf den Plan, der sich im Türrahmen aufbaute, den er beinahe zur Gänze ausfüllte, und dort ein leises warnendes Knurren ausstieß.
Erschrocken blickte sich die komplette Delegation zu Culhen um und verneigte sich tief vor ihm, und auch Jelninolan büßte einen Großteil ihrer Wut ein, als sie den Wolf bemerkte, der die Elfen bedrohte.
Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und ging dann zögernd zu ihrer Reisekiste hinüber, während sie Ahren leise zumurmelte: »Sag ihm, er soll aufhören. Dies sind ehrenhafte Elfen, die nur das Beste für Jorath wollen.«
Überrascht blickte Ahren sie an, aber Culhen hatte sie mit seinem feinen Gehör bereits verstanden, ließ sich auf seinen Hintern fallen und hechelnd die Zunge heraushängen, jedoch nicht, ohne weiterhin die Tür zu blockieren.
Zu Ahrens wachsendem Entsetzen sah er, wie Jelninolan in die Truhe griff, Tanentan herausholte und dem hageren Elfen in die wartend ausgestreckten Hände legte. Daraufhin verneigten sich alle Elfen noch einmal tief vor der Priesterin, bevor sie sich wortlos dem Ausgang zudrehten, bereit zu gehen.
»Culhen, lass sie durch«, sagte Jelninolan in müdem Tonfall, und widerwillig machte das Tier gerade so viel Platz, dass die Delegation sich einer nach dem anderen an ihm vorbeiquetschen konnte.
Ahren stellte sich derweil dicht neben seine Freundin. »Geht es Euch gut?«, fragte er behutsam.
Jelninolan starrte unbewegt auf die Tür, wo sich gerade die letzte Elfe an Culhen vorbeidrängte. »Ich hätte es kommen sehen müssen«, flüsterte die Priesterin leise und setzte sich unsicher auf den Stuhl am Fenster.
Ahren verstand die Welt nicht mehr, und seine Verwirrung entrang Jelninolan ein müdes Lächeln. »Erinnerst du dich, dass ich dir erzählt habe, Tanentan sei nur eine Leihgabe?«
Ahren nickte nachdenklich. Die lautlose Laute war lange Zeit gut behütet im Weinenden Tal aufbewahrt worden, bis Ahren und seine Gefährten sie dem Hüter unter der Nase wegstibitzt hatten – einer der Glanzmomente Culhens, den der Wolf immer wieder gerne durchlebte. Damals hatte die Priesterin angedeutet, dass das Instrument nie lange in einer Hand verweilen durfte, ohne jedoch einen genauen Zeitraum zu nennen, der ihnen zu Verfügung stehen würde.
»Und warum holen sie die Laute ausgerechnet jetzt?«, fragte er verwirrt.
Jelninolan sah ihn lange schweigend an, bevor sie antwortete. »Es gibt mehrere Gründe. Der wichtigste ist, dass die Tierwisperer mithilfe von Tanentan mehr Tiere in kürzerer Zeit mental auf den kommenden Kampf vorbereiten können als durch reine Empathie und Zauberbanne.« Starke Emotionen kämpften auf dem Gesicht der Elfe um die Vorherrschaft – Wut, Trauer und Verlust. »Außerdem fürchten sie um die Langzeitwirkungen, wenn ich sie zu oft benutze«, sagte sie grimmig.
Ahren wusste, dass ein zu häufiges Nutzen des mächtigen Artefakts den Geist desjenigen angreifen konnte, der die Laute spielte, und dass der Klang der Laute Normalsterbliche in den Wahnsinn treiben konnte. »Aber Ihr habt Euch doch zurückgehalten«, protestierte er schwach, und sie legte ihm dankbar eine Hand auf die Wange.
»Lieber Ahren«, sagte sie wehmütig. »Das können sie aber doch nicht wissen. Und erst recht nicht für die Zukunft ausschließen. Nicht mal ich könnte das.«
Darauf wusste Ahren keine Antwort. Bevor er tröstende Worte finden konnte, sprach die Elfe mit brüchiger Stimme weiter.
»Und zu guter Letzt werden sie, da ich mich nun geweigert habe, euch zu verlassen, eine neue Hohepriesterin bestimmen, die sie mit der Laute weihen wollen.« Eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab, und wie betäubt nahm Ahren seine Gefährtin in den Arm. Still und würdevoll weinend fand sie dankbar Halt an seiner Brust, während der Lehrling zu begreifen suchte, wie ihr eigenes Volk seine mitfühlende Freundin derart hart dafür bestrafen konnte, dass sie ihren Gefährten auf ihrer gefahrvollen Reise die Treue hielt.
Während Jelninolan ihrer Trauer freien Lauf ließ, kämpfte Ahren gegen die bittere Galle an, die angesichts der Ungerechtigkeit in ihm hochstieg und die mit dem Schuldgefühl darüber, dass Jelninolan seinetwegen ihre Position als Priesterin aufgab, um die Vorherrschaft rang. Culhen hatte sich indes zu ihnen geschlichen, die Rute zwischen den Beinen und leise winselnd, und schmiegte sich nun dicht an die Elfe. Die ließ Ahren los und vergrub ihr Gesicht in Culhens Pelz, und so schlich sich der Lehrling nach einigen Atemzügen aus dem Raum.
Culhen nickte ihm noch einmal zu, weise, gelbe Wolfsaugen blickten ihn an. Ich und die Göttin sind bei ihr. Ich rufe dich, sobald wir sie wieder daran erinnert haben.