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Ahren lässt seine Gefährten zurück und macht sich mit Khara auf den Weg ins Ewige Reich, denn die Zeit rennt: Die Bannwolke breitet sich immer weiter aus und noch immer sind nicht alle 13 Paladine vereint. Doch der verzweifelte Versuch, im Alleingang bis zur drakonisch abgeschottet lebenden Kaiserin vorzudringen, um ihre Hilfe im Kampf gegen den Widersacher einzufordern, droht zu scheitern, als Ahren in die Fänge von Quin-Was Friedenswachen gerät. Während Ahrens Gefährten noch einen Weg suchen, Quin-Was Zaubernetz zu unterlaufen, um ihnen zu Hilfe zu eilen, befinden sich Ahren und Khara längst in einem Kampf um Leben und Tod.
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Seitenzahl: 732
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Torsten Weitze
Im Ewigen Reich
Der 13. PaladinBand VII
Impressum
© Torsten Weitze, Krefeld, 2019Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de
Torsten Weitze c/o LAUSCH medien
Bramfelder Str. 102a
22305 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze
Für alle, die mich in den letzten drei Jahren unterstützt haben: Ohne euch hätte Ahrens Reise ihren Zenit nie erreicht.
Und denkt daran:
Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte, als zum ersten Mal erlebt zu werden …
Inhalt
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
Epilog
Ahren stieß einen tiefen Seufzer aus, während er auf die grasgrünen Ebenen blickte, die unter einem mit Federwolken verzierten Himmel vor ihm lagen. Die Sonne brach nur an einigen wenigen Flecken durch das pudrige Weiß und erschuf so Felder aus geschmolzenem Gold, die sich langsam über das Erdreich schoben, während er mit Khara unter den ausladenden Ästen eines großen Apfelbaums rastete. Die Luft roch nach dem Drängen der Pflanzen gen Sonne, ein derart vertrauter Geruch in den ersten Wochen des Frühlings, dass Ahren lächelte, bevor er erneut die Luft einsog und sie mit einem leisen Hauchen wieder ausstieß.
So trügerisch wie der friedvolle Anblick waren auch Ahrens Seufzer. Es war nur ein harmloser Laut, aber er offenbarte das Dilemma, in dem der Paladin steckte. Er war mit seiner großen Liebe Khara im Schutze der Nacht davongeeilt, damit sie sich unbemerkt ins Ewige Reich schleichen konnten. Sie waren dringend auf die Hilfe der Herrscherin Quin-Wa angewiesen, die ein Paladin und zugleich eine Alte war. Sowohl ihre persönliche Kampfkraft als auch die riesigen Armeen ihres Großreichs wurden benötigt, um die Flut der Dunkelwesen einzudämmen, die aus der neuerschaffenen Bannwolke des Dunklen Gottes herausströmten. Da die Kaiserin jedoch in Fehde mit den anderen Alten und im Krieg mit den Sonnenebenen lag, hatte sie magische Schutzmaßnahmen getroffen, die Ahren und Khara zu ihrem waghalsigen Plan zwangen. Es hieß, dass Quin-Wa durch ein Zaubernetz jeden aufspüren konnte, der Tiefenstahl oder magische Gegenstände am Leib trug oder ein ihr bekannter Paladin oder Alter war – zumindest wenn Ahren den Ausführungen des Ersten glauben durfte, jenes uralten Paladins, den die Götter vor unzähligen Jahrhunderten vor allen anderen Streitern der Götter erschaffen hatten.
Also hatten Khara und Ahren ihre Freunde und magische Ausrüstung zurückgelassen, um möglichst unbemerkt in das riesige Reich zu gelangen. Wieder entrang sich Ahren ein Seufzer. Er vermisste die anderen und fragte sich zum hundertsten Mal, ob er nicht doch einen von ihnen hätte mitnehmen sollen. Falk, sein brummiger ehemaliger Lehrmeister, konnten sie nicht mitnehmen, weil er ein Paladin und Quin-Wa wohlbekannt war. Und da Quin-Wa Magie und Paladine in ihrem Reich nicht duldete, wäre Falk bei einer Entdeckung durch Quin-Was Zaubernetz sofort von ihren Soldaten abgefangen worden. Dasselbe galt für Uldini und Jelninolan, die beiden Alten, deren magische Kräfte sie beim Eindringen in das Zaubernetz der Ewigen Kaiserin verraten würden. Ahren seufzte ein weiteres Mal. Trogadon, der treue Zwerg und Meisterschmied, hätte sie vielleicht begleiten können, aber das hätte bedeutet, dass er ohne Kettenhemd und Hammer aus Tiefenstahl in ein potenziell feindliches Reich hätte reisen müssen, in dem Zwerge unglaublich selten und daher extrem auffällig waren. Und das, wo Diskretion das oberste Gebot bei ihrer Reise sein musste. Jetzt ballte Ahren eine Faust, denn seine Gedanken führten ihn zwangsläufig zu dem Gefährten, den er am meisten vermisste: Culhen, seinen treuen Wolf, sein Vertrautentier, seinen besten Freund. Aber ein zwei Schritt hoher Eiswolf hätte definitiv noch mehr Aufmerksamkeit erregt als ein Zwerg, und so hatte Culhen zurückbleiben müssen.
Sie waren jetzt seit knapp fünf Wochen voneinander getrennt, so lange wie noch nie zuvor, seit sie zueinandergefunden hatten, und Ahren spürte jetzt, da er nicht mehr bei ihm war, wie sehr der Wolf ihn stets zum Besseren beeinflusst hatte. Er munterte Ahren auf, wenn er betrübt war, ermahnte den jungen Mann, wenn er sich selbst leidtat, stand ihm mit Rat und Tat zur Seite, wenn Ahren mal nicht weiterwusste. Für den Rest der Zeit war Culhen ein eitler, verfressener Wolf und eine echte Nervensäge. Ahren schmunzelte still vor sich hin, denn dafür liebte der Paladin das Tier heiß und innig.
Ein leises Stöhnen drang an Ahrens Ohr und er schaute in seinen Schoß hinab. Khara wälzte sich im Schlaf und drückte dabei ihren Kopf dicht an seinen Bauch. Ihre feingeschnittenen Züge durchliefen im Traum ein Wechselspiel der Gefühle, und Ahren erkannte Schmerz, Furcht und Einsamkeit, die ein makabres Hasch-Mich-Spiel im Kopf der jungen Frau zu vollführen schienen. Ahren legte ihr eine Hand auf die Stirn und machte ein leises, beruhigendes Geräusch, das glücklicherweise seine Wirkung tat. Khara wurde ruhiger und schlief weiter, die Miene angespannt, aber frei von nackter Angst.
Ahren rollte still die Augen gen Himmel und wünschte sich mit ganzer Kraft seine Freunde herbei. Khara litt noch immer unter den Erinnerungen an ihre Zeit in den Reihen des Verlorenen Volkes, welches, vom Widersacher verflucht, in den Tiefen der Klingensee gelebt hatte. Mit Kharas Hilfe war es Ahren und seinen Freunden gelungen, den Fluch zu brechen und die armen Seelen aus der Knechtschaft des Dunklen Gottes zu befreien, aber der Preis war hoch gewesen. Khara hatte sich nach ihrer Errettung während des gesamten Feldzuges in Hjalgar in die Leere geflüchtet, jenen meditativen Zustand, in dem man frei von Gefühlen handeln konnte, um dem Schmerz der Erinnerung zu entfliehen. Erst die Aussicht, dass Ahren allein ins Ewige Reich gehen würde, hatte sie aus der Leere hervorgelockt, und nun suchte sie langsam Tag für Tag in Ahrens Armen nach Heilung. Jede Nacht lag sie lange wach, erzählte von ihren Eindrücken unter den Wellen und den Überfällen auf andere Seefahrer, die sie in die Tiefe des Ozeans gezogen hatte, um sie ebenfalls dem Fluch des Verlorenen Volkes auszuliefern, alles auf Geheiß der drängenden Stimme des Widersachers in ihrem Kopf. Sie schlief kaum und wenn, dann nur sehr schlecht – die Dunkelheit der Nacht erinnerte sie an die tintige Schwärze des Ozeans. Also war Ahren dazu übergegangen, mittags eine lange Rast einzulegen, damit Khara an einem möglichst friedlichen und sonnenüberfluteten Ort den Schlaf nachholte, der ihr des Nachts verwehrt blieb, während er über sie wachte. Diese Taktik funktionierte überraschend gut, aber Ahren wäre trotzdem wohler gewesen, wenn Jelninolan hier gewesen wäre, um Khara bei ihrer Genesung zu helfen. Die Priesterin fand stets die richtigen Worte, um das Seelenheil ihrer Gefährten und Freunde zu stärken, sei es nun ein guter Rat oder eine strenge Ermahnung. Ahren seufzte wieder, als seine Gedanken sich ein weiteres Mal im Kreis drehten. Er vermisste seine Freunde.
***
Culhen war frustriert und gelangweilt. Sein schöner Plan, dass er und seine Weggefährten Ahren und Khara bei deren Infiltration des Ewigen Reiches helfen würden, war krachend gescheitert. Er hatte ihnen vier Wochen Vorsprung gegeben und dann die anderen informiert, damit sie den zweien zu Hilfe eilten, ohne sie jedoch aufhalten zu können, bevor sie das Reich Quin-Was erreichten. In Culhens Kopf war alles so einfach gewesen: Er führte sie Ahrens rasch verblassende Fährte entlang, Uldini und Jelninolan dachten sich dabei einen tollen Zauber aus und dann würden sie unbemerkt an Quin-Was Zaubernetz vorbeihuschen, um zu Ahren und Khara zu stoßen, sodass sie alle vereint die Ewige Kaiserin aufsuchen und sie davon überzeugen konnten, den Krieg mit den Sonnenebenen zu beenden und ihre Armeen für den Kampf gegen die aus der Bannwolke hervorbrechenden Dunkelwesen zur Verfügung zu stellen.
Leider hatte Culhen sowohl die magischen Hürden, vor denen sie standen, über-, als auch die Gewitztheit seines Freundes Ahren unterschätzt. Der hatte mit Khara nämlich einen tückischen Weg eingeschlagen, um die Nase des Wolfes in die Irre zu führen und es ihnen gleichzeitig unmöglich zu machen, sie zu Pferd zu verfolgen. Durch reißende Bäche, stinkende Moore und dichte Wäldchen hatte Ahrens Fährte geführt, und bei mehr als einer Gelegenheit hatte er sogar Nieswurz hinter sich verstreut! Culhen brummte ungehalten, als er daran dachte, dass er wie ein junger Welpe auf den Hinterbeinen gesessen hatte und von einer Niesattacke in die nächste verfallen war. Darüber würde er mit Ahren noch ein ernstes Wörtchen reden, das hatte er sich fest vorgenommen.
Die Diskussion der Gefährten, die ihr weiteres Vorgehen am Lagerfeuer besprachen, wurde in diesem Moment wieder lebhafter, und so stellte er seine Ohren auf, um ihnen zu lauschen.
»Was für eine Erkenntnis!«, donnerte Falk gerade spöttisch und deutete nach Westen in die grünen Ebenen hinaus. »Dein toller Zauber sagt uns also, dass Ahren und Khara in Richtung des Ewigen Reiches unterwegs sind«, fuhr er mit gereizter und vor Hohn triefender Stimme fort. »Jetzt sind wir ja so viel schlauer. Wie gut, dass wir einen so mächtigen Alten dabeihaben!«
Auf Falks Stirn konnte Culhen deutlich jene pochende Zornesader erkennen, die aufgrund Ahrens Verhaltens während seiner Lehrjahre viel zu häufig unter der Haut des alten Mannes hervorgetreten war. Culhen mochte den knurrigen Waldläufer sehr. Seine bestimmte, mal stoische, mal aufbrausende Art machte ihn zusammen mit den kurz geschnittenen grauen Haupthaaren und dem Vollbart sowie den breiten Schultern und den stechend grauen Augen zu einem Alpha unter den Menschen. Falk war vielleicht kein Wolf, aber nah dran. Und Culhen war nachsichtig genug, um einzusehen, dass nicht jeder perfekt war. Außer ihm selbst natürlich.
Das Lagerfeuer, an dem sie in der beginnenden Dämmerung saßen und ihr Abendessen einnahmen, loderte für einen Moment sonnenhell auf. Culhen kniff verärgert die geblendeten Augen zusammen und funkelte den Verursacher des Effekts böse an. Uldini, der Oberste der Alten, jener Gruppe von Meistermagiern, die das Geheimnis der Alterslosigkeit für sich entdeckt hatten, saß auf der anderen Seite des Feuers und blickte Falk erbost über die Kristallkugel hinweg an, die einen Fingerbreit über seiner geöffneten rechten Handfläche schwebte. Seitdem der Magier in einem Akt der Verzweiflung die Kugel an sich gebunden und ihr den Namen Flammenstern gegeben hatte, wurden seine Stimmungen manchmal von ungewollten Lichteffekten begleitet, da er die Sonnenmagie noch nicht vollständig unter Kontrolle hatte – was den reizbaren Magier nicht gerade umgänglicher werden ließ.
Culhen hatte die Erscheinung des scheinbar zehn Winter alten Knaben mit der tiefbraunen Haut und dem kahl geschorenen Kopf lange nicht ernst nehmen können, aber im Laufe der Jahre hatte er gelernt, Uldini besser einzuordnen: Er betrachtete den Magus wie eine Naturgewalt, einem Tornado oder Wintersturm gleich. Besser, man legte sich nicht mit ihm an, wenn er seine Kraft entfesselte.
Er neigte nachdenklich den Kopf. Andererseits hatte Culhen bisher noch jeden Wintersturm unbeschadet überstanden, also konzentrierte er sich wieder auf den Streit, der unweigerlich seinen Lauf nahm.
»Ich habe dir doch gesagt, dass mein Zauber nur die Richtung und die Distanz angeben kann, in der die zwei sich befinden«, giftete Uldini zurück. »Sie sind uns immer noch zwei Wochen voraus, und wir haben kaum aufgeholt.«
»Ich habe dem Jungen einfach zu viel beigebracht«, sagte Falk mit einem angewiderten Schnauben und feuerte seine Schüssel mit Eintopf in die noch immer lodernden Flammen.
»Ich nehme also an, du hast keinen Hunger mehr?«, fragte Jelninolan mit einer mahnend erhobenen Augenbraue. »Denn wenn du so mit dem Mahl umgehst, das ich zubereitet habe, kannst du dir dein Abendessen in Zukunft gerne woanders suchen.«
Culhen streckte die Zunge zu einem Wolfslächeln heraus, während ein Anflug von Schuld über Falks Züge glitt. Die Elfenpriesterin saß vollkommen ruhig und gelassen am Feuer, während sie ihre Sturmfiedel polierte, aber ihre Stimme hätte Steine schneiden können. War Uldini eine Naturgewalt, so war Jelninolan in Culhens Augen eine Göttin. Die Elfe war eine Hohepriesterin von Ihr, die fühlt, jener Göttin, die die Schutzherrin aller Tiere und Elfen war und die den Paladinen ihre Vertrautentiere geschenkt hatte. Nur dank jener Göttin verfügte Culhen über seinen messerscharfen Verstand und sein verflucht gutes Aussehen. Da konnte er ruhig dankbar und respektvoll sein, vor allem einer der mächtigsten Dienerinnen seiner Göttin gegenüber. Außerdem kraulte niemand seinen Bauch so gekonnt wie Jelninolan.
Falk erhob sich vom Lagerfeuer und schritt den kleinen Hügel hinunter, auf dem sie die Nacht verbringen wollten. Culhen konnte seine Frustration verstehen, denn er teilte sie mit jedem verstreichenden Tag mehr. Wenn Ahrens kleine Tricks sie nicht aufhielten, dann tat es ein berittener Bote mit Neuigkeiten von der Bannwolke, ein Rillan, das eine magische Nachricht überbrachte, oder Dunkelwesen, die das Land zunehmend unsicherer machten. Ahren und Khara liefen nämlich nicht in direkter Linie auf das Ewige Reich zu, sondern schlugen nach einem anfänglichen Gewaltmarsch Richtung Süden nun einen merkwürdigen Bogen, der sie nahe an die Front um die Bannwolke und an den Wutwald heranführte, sodass die Paladine und Alten durch ihre Nähe zur Verteidigungslinie ständig mit Nachrichten der Armeen des Ostens malträtiert wurden.
»Hast du das gelesen?«, ertönte eine tiefe Stimme vom Feuer her, die ausnahmsweise einmal kein Lachen ausstieß. Trogadon wedelte mit einem Pergament, das ihnen ein Bote vor ihrer Rast in die Hand gedrückt hatte. Das Gesicht des lebenslustigen Zwerges war ernst, und der Feuerschein schien die Linien in seinem Gesicht noch zu verstärken, welches größtenteils unter dem steinfarbenen, kunstvoll geflochtenen Bart verborgen lag. Sein Kettenhemd schimmerte bläulich, als er sich herüberbeugte und dem kopfschüttelnden Uldini den Bericht reichte, der von den neuesten Entwicklungen an der Front rund um die Bannwolke kündete.
Culhen legte wieder den Kopf schief. Trogadon war unverrückbar präsent und verlässlich, wann immer man ihn brauchte. Culhen verglich ihn gern mit einem wandelnden Wolfsbau. Egal, wo Trogadon war, in seiner Nähe war man sicher und geborgen. Dass der Zwerg zusätzlich sein Herz auf der Zunge trug, war ein weiterer Grund, die gedrungene Gestalt zu mögen. Und Culhen musste zugeben, dass der Krieger fast so gut kämpfen konnte wie der Wolf selbst.
»Zeig mal her«, sagte Uldini und nahm Trogadon das Pergament ab. Der Magus fluchte leise, während er die Zeilen überflog. Er sah den Zwerg an, der grimmig den Kopf schüttelte, und starrte dann intensiv auf den Kriegsreport hinab.
»Die Zahlen werden auch nicht besser, wenn du sie zweimal liest, glaube mir«, sagte Trogadon und blickte in die Flammen, die auf einmal nur noch halb so hoch in den sich langsam verdunkelnden Nachthimmel emporzüngelten.
»Uldini, lass das Feuer endlich in Ruhe«, rügte Jelninolan den Alten, ohne von der Pflege ihres Zauberinstruments aufzusehen. »Ich kann kaum noch etwas erkennen. Du bist ja schlimmer als jeder Zauberlehrling.«
Uldini blinzelte und schlagartig brannte das Lagerfeuer wieder so hell wie zuvor. »Entschuldige«, sagte er zerknirscht. »Die Verbindung zu Flammenstern wird mit jedem Tag stärker, und irgendwie sickert meine Magie aus der Kugel hinaus, ohne dass ich es mitbekomme.«
Er reichte ihr den Report. »Lies das besser«, fügte er kurz angebunden hinzu.
Jelninolan schüttelte den Kopf. »Solch üble Nachrichten von Tod und Zerstörung sollten von Angesicht zu Angesicht weitergegeben werden«, sagte sie andächtig. »Sie aufzuschreiben lässt die Tatsachen so … kalt erscheinen.«
Culhen brummte zustimmend. Elfen waren der Natur und der Tierwelt viel näher verbunden und hatten sich damit jene Intelligenz bewahrt, die seiner Meinung nach den meisten »zivilisierten« Völkern Joraths verloren gegangen war.
Uldini räusperte sich unbehaglich und deutete auf das Pergament in seiner Hand. »Die Verluste sind erheblich. Wir konnten den Ring um die Bannwolke im Süden, Osten und Norden schließen, aber bei der Menge an Dunkelwesen, die immer wieder versuchen, die Linien zu durchbrechen, fallen einfach zu viele Soldaten.« Er blickte Jelninolan fest in die Augen. »Außerdem wird davon berichtet, dass verwundete Dunkelwesen, die sich in den Rauch der Bannwolke zurückziehen, erheblich schneller heilen.«
Jelninolan sog scharf die Luft ein. »Der Widersacher heilt seine Schöpfungen? Das gab es noch nie.«
Culhen konnte die Angst wittern, die auf einmal in der Luft lag, und er rutschte unbehaglich auf dem Gras herum, während er weiter dem Gespräch lauschte.
»Alles an seiner Taktik ist neu«, sagte Uldini und stopfte den Bericht grob in seine nachtschwarze Robe. Culhen wusste, der Magus versuchte mit dem Kleidungsstück respektvoller auszusehen, als es seine kindliche Erscheinung zuließ, aber der Wolf war sich sicher, dass ein strahlendes Weiß besser funktioniert hätte. Schließlich war Culhens Fell auch weiß. Aber andererseits war er auch ein zwei Schritt großer Eiswolf. Selbstzufrieden schmatzte Culhen leise vor sich hin, den Kopf zwischen den Vorderpfoten auf das Gras gelegt.
»Wir wissen noch immer nicht, wie die Bannwolke genau funktioniert und wie Er, der zwingt, es schafft, dass sie sich beständig weiter ausbreitet. Schläft-im-Wipfel und die anderen Alten koordinieren ihre Versuche, der Wolke Einhalt zu gebieten – bisher jedoch ohne Erfolg. Wir wissen nur, dass jeder, der den Rauch der Wolke berührt, sofort unter den Willen des Dunklen Gottes fällt, ob Mensch oder Tier. Elfen und Zwerge sterben binnen eines Herzschlags, und nun scheint die Wolke auch noch die Heilung der Dunkelwesen zu beschleunigen.« Uldini schüttelte abermals den Kopf. »Der Widersacher hatte jahrhundertelang Zeit, sich eine Strategie für seine Rückkehr zu überlegen, und anscheinend war er damit äußerst erfolgreich. Er wusste, dass wir ihn einkesseln würden, da die Bannsäule im Zentrum Joraths steht. Aber nun hat er mit der Bannwolke eine Todeszone geschaffen, die beständig wächst wie ein frischer Tintenfleck auf einem Leinentuch und uns vielleicht schon übernächsten Sommer vom Rand der Grenzlande fortdrängen wird.«
»Könnten du oder Jelninolan nicht dabei helfen, die Bannwolke aufzuhalten?«, fragte Trogadon hoffnungsvoll.
Die beiden Alten starrten sich an und zuckten dann mit den Achseln. »Vielleicht«, warf die Elfe schließlich ein. »Aber dafür müssten wir wochen- oder mondelang die Wolke studieren. Hältst du das zum jetzigen Zeitpunkt für eine gute Idee?«
Culhen hob den Kopf und blickte angespannt zum Feuer hinüber. Wenn die beiden Alten ihre Aufmerksamkeit auf die Bannwolke richteten, würden ihre Chancen, Ahren im Ewigen Reich aufzufinden, schneller schwinden als ein Braten, der in Culhens Fängen landete. Ihm gefiel die Wendung des Gespräches überhaupt nicht.
Dann schüttelte Trogadon energisch den Kopf, sodass die Zöpfe des Kriegers leise über dessen Kettenhemd schabten. Culhen bezweifelte, dass die anderen diesen Laut überhaupt wahrnahmen, aber es hatte ja auch keiner von ihnen ein solch herausragendes Gehör wie der Eiswolf.
»Wir werden Ahren nicht mit dem Schlamassel allein lassen, in den er sich hineinmanövriert hat«, sagte der Zwerg und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Dann sind wir uns ja einig«, sagte Jelninolan fest. »Wir folgen Ahren zur Grenze und versuchen uns irgendwie durch Quin-Was Zaubernetz zu mogeln. Und wenn uns das nicht gelingt, machen wir dort so viel Lärm, dass wir die Aufmerksamkeit der Ewigen Kaiserin ganz auf uns lenken.«
»Wir sollten Falk zurück ans Feuer holen, um ihm gemeinsam von der Bannwolke zu berichten. Er ist deutlich dünnhäutiger als sonst«, sagte Uldini.
»Wir alle machen uns Sorgen um die beiden«, brummte Trogadon. »Er sollte endlich begreifen, dass er damit nicht allein ist.«
Culhen erhob sich und streckte seine Glieder. Dann wuffte er leise in Richtung des Lagerfeuers und lief den Hügel hinunter zu Falk, der mit Selsena auf einer Wiese im stummen Zwiegespräch dastand und gen Westen starrte.
»Anscheinend erledigt Culhen das für uns«, hörte er Uldini am Lagerfeuer flüstern. »Der arme Kerl leidet wohl am meisten darunter, dass Ahren und Khara uns zurückgelassen haben.«
Culhen schnaubte. Ahren hatte ihn nicht zurückgelassen. Culhen hatte zugelassen, dass sein Freund ohne ihn fortging. Das war ein gewaltiger Unterschied. Auch wenn eine kleine Stimme im Inneren des Wolfes ihm zurief, dass Ahren nichts davon gewusst hatte und glaubte, ihn zurückgelassen zu haben.
Er erreichte Falk und Selsena und stellte sich neben dem Titejunanwa auf, das kaum mehr einen Fingerbreit größer war als Culhen. Der Wolf hatte sich so sehr darauf gefreut, irgendwann das elfische Streitross zu überragen, aber eine üble Wendung des Schicksals hatte im letzten Augenblick sein Wachstum beendet. Er wuffte Selsena an und deutete mit dem Kopf in Richtung Lagerfeuer. Auch wenn eine echte Verständigung zwischen den Vertrautentieren nur möglich war, wenn der Rukh Sonnenschimmer oder zumindest der Affe Cassobo mit seinen wilden Gesten anwesend war, verstanden sich der Wolf und das Einhorn gut genug, sodass sie direkt wusste, was er von ihr wollte.
»Ich soll zurückgehen?«, fragte Falk in Culhens Richtung.
Culhen senkte den Kopf in einem knappen Nicken und Falk trottete stirnrunzelnd den Hang hinauf. Culhen blieb neben Selsena stehen, die mit ihm zusammen Richtung Westen starrte, hinaus in das fortscheidende Zwielicht des Abends. Die Luft war voll der Verlockungen des Frühlings, und Culhen hörte unzählige Mäuse und Kaninchen in dem hohen Gras vor ihnen, während er versuchte, durch das kleine Wäldchen am Horizont zu spähen. Die ersten Sterne waren am Himmel zu sehen und spielten hinter den sich auflösenden Federwolken des Tages Verstecken. Selsena wieherte sanft, und eine Welle des Trostes ging von ihr aus, die sie mit ihrer angeborenen Gabe, Gefühle zu empfangen und zu versenden, an ihn übermittelte. Culhen stieß ein leises Winseln aus und rieb seinen Kopf dankbar an ihrem Hals, während sie die Geste erwiderte. Er vermisste Ahren ganz schrecklich und tröstete sich mit dem Gedanken, dass sein Freund nicht völlig allein war.
***
»Weißt du noch, wo wir sind?«, fragte Khara müde. »Ich habe nämlich komplett die Orientierung verloren.«
Ahren blickte sich unnötigerweise um, während er sie durch einen weiteren Fluss führte und dann am Ufer seinen letzten Vorrat Nieswurz verstreute. Hier in diesem Wäldchen konnte er nur Bäume sehen, wohin er auch blickte, und keinerlei Landmarken, die ihm den Weg hätten weisen können. »Wir sind knapp fünfzig Längen südlich der Bannwolke, zumindest wenn sie nicht schneller wächst als vor unserem Aufbruch«, sagte er und deutete nach Norden. Dabei war er froh, dass die Umgebung den Anblick des dunklen Gebildes verbarg, das einem Fluch gleich einen Teil des Horizonts verdunkelte, jetzt, da sie so nah daran vorbei reisten.
»Also noch ein paar Tage bis zum Wutwald«, sagte Khara.
Ahren nickte nur und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Ihr Plan sah vor, dem Wutwald an seinen südlichsten Ausläufern entlang zu folgen und so die Front zwischen den Sonnenebenen und dem Ewigen Reich zu umgehen. Das Gebiet am Rande des Wutwaldes war fest in der Hand der Wutelfen, die bereits vor Jahrhunderten mittels roher Gewalt verdeutlicht hatten, dass sich niemand dem Wald auf Sichtweite nähern durfte, wenn er nicht als Feind betrachtet werden wollte. Auf dem letzten Konklave war Ahren jedoch zu einem Freund der eigenbrötlerischen Elfen erklärt worden, die in jenem lebensfeindlichen Wald ihr Zuhause gefunden hatten, und so hoffte er, dass sie ihn und Khara passieren ließen.
Es war ein Wagnis, diese Route zu nehmen, und das nicht nur aus den offensichtlichen Gründen. So nahe an der Bannwolke streunten viele Dunkelwesen umher, die dem Ring der Soldaten um die Bannwolke entkommen waren oder dem Ruf des Dunklen Gottes folgten und von überall in Jorath in dessen Zentrum strebten, um den Verteidigern in den Rücken zu fallen. Ahren und Khara hatten Gerüchte aus dem Süden von einem Kriegsschwarm aus Sichelschrecken gehört, der sich trotz größter Bemühungen der Sonnenlegionen gebildet hatte und nun langsam gen Norden zog. Ahren ballte die Faust, als er darüber nachdachte. Wenn der Sonnenkaiser Justinian III. nicht die Hälfte seiner Truppen im Westen stationieren müsste, um einen sinnlosen Krieg gegen das Ewige Reich zu führen, hätten die Sichelschrecken bestimmt aufgehalten werden können, bevor sie sich zu einem Kriegsschwarm vereinigten. Er fluchte leise. Genau deswegen waren er und Khara unterwegs zu Quin-Wa: um das Blutvergießen zwischen den beiden Menschenreichen zu beenden und endlich eine gemeinsame Front gegen den erwachenden Gott aufzustellen, der sie alle aus dem Herzen Joraths heraus bedrohte.
Ahren rutschte am Ufer auf einem nassen Stein aus und wäre beinahe ins Wasser gestürzt, aber Kharas blitzschnelle Reflexe fingen ihn rechtzeitig ab. Er hing halb liegend in ihren Armen, und für einen Moment blitzte der Schalk in ihren Augen auf.
»Wenn du willst, dass ich dich umarme, musst du dich nicht direkt wie ein betrunkener Affe aufführen«, sagte sie mit einem müden Lächeln.
Ahren freute sich über diesen kurzen Moment, in dem die alte Khara hervorblitzte wie die Sonne hinter vorbeiziehenden Sturmwolken. Während ihrer Reise häuften sich diese Augenblicke zusehends, und Ahrens Hoffnung, dass Kharas Krise bald der Vergangenheit angehören würde, wuchs mit jedem Tag.
Sie wurde wieder ernst, als Ahren sich aufrichtete und aus ihrer Umarmung löste. »Wie lange werden wir am Wutwald vorbei brauchen, bis wir die Grenze erreichen?« Die Nervosität kroch wie eine lauernde Spinne in ihre Stimme und stahl jegliche Freude mit sich fort.
»Eine Woche bis zum Wald und eine weitere daran vorbei, schätze ich«, sagte Ahren zögerlich. »Kommt darauf an, wie vielen Dunkelwesen wir unterwegs ausweichen müssen, und natürlich darauf, ob die Wutelfen uns unbehelligt am Wald entlangwandern lassen.« Er hatte während des Kriegsrats auf der Königsinsel so viel Zeit mit dem Studium der Karte Joraths verbracht, dass er glaubte, die Entfernungen der Orte rund um Hjalgar recht gut einschätzen zu können. Bisher hatte jedenfalls jeder Streckenabschnitt in etwa seinen Erwartungen entsprochen.
»Also von heute an noch knapp zwei Wochen bis zur Grenze«, flüsterte Khara mehr zu sich selbst als zu ihm.
Ahren verzog ungeduldig das Gesicht. Während seine Liebste Angst vor dem Betreten ihrer ehemaligen Heimat hatte, konnte es ihm nicht schnell genug gehen. Er hatte in Hjalgar miterlebt, was ein einzelner Kriegstag bedeutete, und es brannte ihm unter den Fingernägeln, so schnell wie möglich zu Quin-Wa zu gelangen, um sie davon zu überzeugen, endlich von dem Krieg gegen die Sonnenebenen abzulassen und stattdessen den Ring um die Bannwolke zu verstärken. Mit jedem Tag, den sie länger brauchten, um den weiblichen Paladin auf dem Thron des Ewigen Reiches zu erreichen, würden umso mehr Soldaten ihr Leben verlieren.
Nicht zum ersten Mal stieg eine blinde Wut in Ahren hoch, wenn er an die Ewige Kaiserin dachte. Quin-Wa war wirklich einzigartig: Die erste Alte, die gleichzeitig ein Paladin war. Für Ahren stand die Frau damit doppelt so sehr in der Verantwortung, alles nur Erdenkliche zu tun, um Jorath vor dem Dunklen Gott zu schützen, aber was er bisher über sie in Erfahrung gebracht hatte, ließ vielmehr auf eine machthungrige Herrscherin schließen, die ihrem Expansions- und Kontrolldrang alles andere unterordnete. Aus den Erzählungen Kharas wusste Ahren, dass die Bewohner des Ewigen Reiches in ihrer Kaiserin so etwas wie eine Gottheit oder zumindest eine allgegenwärtige Schutzpatronin sahen. Selbst das Wetter wurde ihren Launen zugeschrieben. Ahren schüttelte sich. Wie er so einem Menschen Vernunft beibringen sollte, war ihm noch immer nicht ganz klar, aber der Erste hatte in einem recht gehabt: Wenn sie es jetzt nicht versuchten, wann dann?
Quin-Wa hatte ganze Heerscharen an Boten und Rillans ignoriert und auch den Besuch des Konklaves auf der Königsinsel ausgeschlagen. Sollte die Diplomatie noch eine Chance haben, Quin-Wa von ihrem Kurs abzubringen, so war jetzt der richtige Zeitpunkt. Die Sonnenebenen würden sonst nach und nach immer mehr Soldaten bei der Befestigung des Rings um die Bannwolke verlieren, und es stand zu befürchten, dass Quin-Wa daraufhin das Festungsband im Süden überrollte und die Sonnenebenen empfindlich schwächte.
Außerdem wusste niemand, wie es um die westliche Abschirmung der Bannwolke stand. Blockierte Quin-Wa jeden Versuch der Invasion durch Dunkelwesen? Oder leitete sie diese mit ihrer Magie nach Norden und Süden um, damit sich die Elfen und Wutelfen darum kümmern mussten?
Das Grüne Meer lag noch immer still, es gab nun schon seit Jahren keine Kommunikation mit den Clans mehr. Hatte Quin-Wa vielleicht auch dort ihre Hände mit ihm Spiel? Ahren rieb sich stöhnend über das Gesicht, was ihm einen sorgenvollen Blick Kharas einbrachte.
»Ich grüble zu viel«, sagte er schlicht und sie nickte verständnisvoll. Generell sprachen sie unterwegs recht wenig, seit sie aufgebrochen waren. Nicht weil sie sich nichts zu erzählen gehabt hätten, sondern weil sie unentdeckt, schnell und ohne in einen Hinterhalt durch Dunkelwesen oder Briganten zu geraten, die Grenze erreichen wollten. Ahrens äußerliche Beschreibung war mittlerweile von jedem Barden aufgegriffen worden, der mit dem Gesang über den wiedergekehrten dreizehnten Paladin eine schnelle Münze verdienen wollte, und bei jeder Begegnung bestand die Gefahr, dass er erkannt wurde. Also hielten sie sich, so gut es ging, abseits der Dörfer und Höfe, um nicht entdeckt zu werden. Denn Ahren war sich über eines vollkommen im Klaren: Sollten ihre Freunde sie einholen, bevor sie über die Grenze waren, würde er es nicht übers Herz bringen, sie noch einmal zurückzulassen.
Bei dem Gedanken, an Culhen gekuschelt aufzuwachen, lächelte er wehmütig, und Khara warf ihm einen wissenden Blick zu. »Du denkst wieder an deinen Wolf«, sagte sie mit einer Spur Eifersucht in der Stimme. Nicht weil sie sich zwischen Culhen und Ahren stellen wollte, wie er sehr wohl wusste, sondern weil sie die beiden um ihr besonderes Band beneidete, das die Götter zwischen den Paladinen und ihren Vertrautentieren geknüpft hatten.
Statt auf Kharas Frage zu antworten, stellte Ahren eine Gegenfrage, während er sie auf die Waldgrenze zuführte. »Was für ein Vertrautentier hat eigentlich Quin-Wa? Oder ist ihres auch gestorben wie das des Ersten oder Sunjus?« Ein Paladin, der sein Vertrautentier verlor, war emotional verkrüppelt und erholte sich nie ganz von dem Verlust. Wäre Quin-Wa ein solches Unglück zugestoßen, hätte dies die teils unmenschlichen Strafen erklärt, die im Ewigen Reich galten.
Khara zog sich die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht, als ein Regentropfen auf ihre Nase fiel. Ahren rechnete schon seit einer ganzen Weile mit einem Frühlingsgewitter, und ein leichtes Donnern in der Ferne bestätige seine Vermutung, dass es gleich richtig ungemütlich werden würde. Er deutete mit dem Kinn zu einer Königseiche hinüber, die wie ein hölzerner Monarch aus dem übrigen Wald herausstach und deren dichtes Blätterdach ihnen einen guten Unterschlupf gewähren würde.
Sie liefen los, während um sie herum der Wald in ein lautes Flüstern ausbrach, als sich die schweren Regentropfen des Gewitters einen Weg durch die windumtosten Blätter bahnten.
»Quin-Was Gefährtin ist die silberne Tigerin Muai. Ein gemeingefährliches Vieh, das auch als ihre persönliche Leibwächterin fungiert«, rief Khara in den Regenguss hinein. Es schien ihr zu gefallen, einen Wettlauf mit dem Wetter zu veranstalten, um möglichst schnell und trocken zum Stamm der Königseiche zu gelangen. Dies gerade war so unverwechselbar die alte Khara, dass Ahren wild grinsen musste.
»Wer als Erster am Baumstamm ist«, sagte er und sprintete los. Er hörte einen Protestschrei, gefolgt von schnellen Schritten und einem hellen Lachen, als Khara die Herausforderung annahm und sich dem Wettrennen anschloss. Es waren nur wenige Dutzend Schritte bis zu der Königseiche, und Ahren konnte seinen Vorsprung mit Müh und Not halten, sodass er zwei Schritte vor Khara seine Hand auf die raue Borke des Stammes legte.
»Du hast gemogelt«, rief sie lachend und rannte von hinten in ihn hinein. Ihre Hände glitten um ihn herum, und er dachte, sie wollte ihn umarmen, aber dann erkannte er seinen Fehler, als sie ihn packte und mit einem sauberen Wurf zu Boden schleuderte. Ahren stieß im letzten Moment die Luft aus, um den Sturz abzufedern, als Khara bereits rittlings auf ihm hockte und ihm mit dem Finger drohte. Ihr seidig-schwarzes Haar glänzte vom Regen und ihr feingeschnittenes Gesicht mit der kleinen Nase war zu einem selbstgefälligen Triumph verzogen.
»Hab dich, du ehrloser Mogler«, verkündete sie und gab ihm einen langen Kuss.
Ahren wusste nicht, wie ihm geschah, aber er war klug genug, keine Fragen zu stellen und diesen harmonischen Moment zu genießen. Es schien, als versuchte Khara aus ihrem Gefängnis der Trübsal auszubrechen, und wer war er, dass er sich den Wünschen seiner Liebsten in den Weg stellte?
Kurz vermisste er die spöttische Bemerkung, die Culhen jetzt in seinen Gedanken gemacht hätte, aber der Moment der Trauer war schnell vorbei, während Kharas Kuss weiter anhielt.
Das Moos am Waldboden um den Stamm der Königseiche herum war dicht und weich und die dicken Blätter über ihnen schirmten sie hervorragend vor dem Regen ab. Falk hatte Ahren gelehrt, einen solchen Baum aufzusuchen, wenn man auf Reisen trocken bleiben wollte, und nicht umsonst nannten die Elfen diese Bäume »die Freunde des Reisenden«. Hier und jetzt schien die Eiche sie nicht nur vor dem Wetter, sondern auch vor den Sorgen der Welt zu beschützen. Die Frühlingsluft wurde durch den Regen gereinigt und der Duft ungebändigten Wachstums stieg Ahren geradezu betörend in die Nase.
Schließlich löste Khara sich weit genug von ihm, um Ahren tief in die Augen sehen zu können. »Weißt du eigentlich, dass wir schon Frühjahr haben?«, fragte sie leise und mit einem seltsamen Unterton.
»Ja, sicher«, sagte Ahren perplex. »Falls es dir nicht aufgefallen ist, wir sind gerade vor einem Frühlingsgewitter geflüchtet.«
»Das meine ich nicht, du hochnäsiger Waldläuferjunge«, sagte sie unzufrieden. »Weißt du, wie lange es her ist, seit wir aus den südlichen Dschungeln heraus sind?«
Ahren runzelte die Stirn. »Das muss beinahe über ein Jahr her sein«, sagte er verwirrt. »Das war direkt nach dem improvisierten Frühlingsfest, das wir damals mit der Besatzung der Königin der Wellen am Strand abgehalten haben.«
»Genau«, sagte Khara noch immer geheimnisvoll lächelnd. »Und …?«
Sie wollte offensichtlich etwas Bestimmtes von ihm hören und er mühte seinen Verstand nach der richtigen Antwort ab, aber ihre Nähe brachte ihn aus dem Konzept. Es war lange her, dass sie derart romantisch beieinander gewesen waren. Vor Kharas Leere. In den ersten Wochen nachdem sie zueinandergefunden hatten. Kurz nachdem … Ahren fiel es wie Schuppen von den Augen.
»Das Menug-Anan«, hauchte er leise. Das Jahr, das ein Paar im Ewigen Reich wartete, bevor es das Bett miteinander teilte.
Khara nickte mit einem beinahe schon hungrigen Ausdruck in den Augen. »In drei Wochen ist das Frühlingsfest«, sagte sie verschwörerisch. »Wenn wir bis dahin warten, ist auf jeden Fall ein Jahr vergangen.«
Ahren schwindelte. Nur noch drei Wochen? Er hatte den Gedanken, seine Beziehung zu Khara auf körperliche Weise zu vertiefen durch den Krieg und die Sorgen der letzten Monde so weit vergraben, dass er einen Moment brauchte, um sich wieder daran zu gewöhnen. Sein Körper dagegen nicht.
Khara sprang lachend von ihm herunter. »Oh nein, bestimmt nicht hier und im strömenden Regen, während Dunkelwesen hinter jedem Busch lauern könnten«, sagte sie mit einem bemüht strengen Gesichtsausdruck.
»Du hast mit dem Thema angefangen«, murrte Ahren und rappelte sich auf.
»Und ich beende es … für den Moment«, sagte sie entschieden.
Noch drei Wochen.
Ahren ertappte sich bei einem breiten Grinsen, für das Khara ihm das linke Ohr verdrehte, bis er seine Miene wieder unter Kontrolle hatte.
»Ich bereue jetzt schon, das Menug-Anan erwähnt zu haben«, sagte sie kopfschüttelnd und wechselte das Thema. »Du hattest doch vorhin nach Muai gefragt. Lass mich dir ein paar Legenden über diese Tigerin erzählen …«
Während der Regen um sie herum niederging, kuschelte sich Khara an Ahren und berichtete im Schutz der Königseiche von den unglaublichen Fähigkeiten und bestrittenen Kämpfen, die Quin-Was Vertrautentier nachgesagt wurden. Ahren versuchte wirklich, sich zu konzentrieren, aber seine Gedanken glitten immer wieder zum kommenden Frühlingsfest.
Hatschi!
Ein weiterer Nieser durchfuhr Culhen, dessen Augen tränten, während er im Kopf eine ganze Reihe hässlicher Spitznamen für Ahren durchging.
Hatschi!
Er würde ihm ins Bein beißen, und dann …
Hatschi!
… dann auch noch in die linke Hand, damit er …
Hatschi!
… künftig von Culhen gerettet werden müsste, wenn Dunkelwesen angriffen.
Hatschi!
»Stell dich nicht so an«, kam der herzlose Kommentar Falks, der sich gerade mit den anderen beriet und Culhen mit seiner Niesattacke alleinließ. Sie standen in einer kleinen Schlucht, kaum mehr als ein Pfad zwischen zwei hohen Hügeln, welche harmlos gen Himmel ragten. Auf der linken Erhebung graste eine Schafherde, die von dem Geräusch des niesenden Wolfes immer nervöser wurde. Der Schäfer warf ihrer kleinen Gruppe finstere Blicke zu und wedelte aufgebracht mit dem Stab, um sie zu verscheuchen.
»Wir hätten um die Hügel herumgehen sollen«, sagte Jelninolan mit einem mitfühlenden Blick auf Culhen, der sein Leid endlich einmal gewürdigt sah. »Es war doch klar, dass Ahren weitere Überraschungen für etwaige Verfolger vorbereiten würde, wenn er mit Khara die einzige Schlucht in einem Umkreis von fünfzig Längen durchschreitet.«
»Hinterher ist man immer schlauer«, knurrte Falk unwillig. »Ebenso gut hätten sie in der Schlucht umkehren können, um einen völlig anderen Weg einzuschlagen. Er nutzt jeden Trick, den er je von mir gelernt hat.«
»Ach, deswegen klingst du so stolz«, sagte Uldini spöttisch. »Du hättest ihm besser eintrichtern sollen, dass man so nicht mit seinen Gefährten umgeht.«
Falk schob kampfeslustig sein Kinn vor, und Culhen erkannte zwischen zwei Niesern, dass ein weiterer Streit zwischen dem Paladin und dem Magus unvermeidlich war. Dankbar winselnd nahm er zur Kenntnis, wie Trogadon seinen Wasserschlauch entkorkte und zu ihm trat, um ihm die juckende Nase abzuspülen. Erwartungsvoll senkte Culhen den Kopf.
»Warte einen Moment. Nieswurz entfaltet seinen juckenden Effekt in Verbindung mit Wasser. Deswegen ist es ja so tückisch, sobald es in die Nase kommt«, sagte Jelninolan und legte ihre Hände kurz auf den Beutel, der daraufhin für einen Moment von einem magischen, grünen Schimmer umgeben wurde. Dabei umfasste sie auch die Hände des Zwerges, der ihr einen durchdringenden Blick aus seinen steingrauen Augen zuwarf, den sie jedoch nicht bemerkte, da sie sich auf ihren Zauber konzentrierte. Culhen wäre gerührt gewesen, wenn es sich nicht gerade so angefühlt hätte, als tanzten tausend Ameisen im Inneren seiner Nasenspitze. Er nieste erneut und schob seine Schnauze, sobald das grüne Schimmern verschwand, unter den Wasserschlauch.
»Jetzt sollte das Wasser helfen, anstatt es noch schlimmer zu machen«, sagte Jelninolan lächelnd. »Ich habe eine winzige Menge Heilmagie hineingemischt.«
Die Flüssigkeit ergoss sich kühlend über Culhens Nase, als Trogadon den Wasserschlauch endlich kippte, und tatsächlich hörte das Brennen schlagartig auf! Er winselte dankbar und rieb seinen Kopf an Jelninolans Brust, die unter dem Ansturm rückwärts stolperte.
»Immer langsam«, lachte sie. »Du bist kein knuddeliger Welpe mehr, sondern wiegst so viel wie vier ausgewachsene Männer!«
Behutsamer setzte Culhen seine Liebkosung fort, unterbrochen von dem einen oder anderen Schlecker mit seiner schlabberigen Zunge über Jelninolans Gesicht.
»Uäh«, sagte sie und drehte sich weg. »Jetzt weiß ich erst, was unser armer Ahren all die Jahre erdulden musste. Kein Wunder, dass er weggelaufen ist.«
Beleidigt zog Culhen den Kopf zurück und wuffte indigniert. Dass der Rest der Gruppe über den Scherz der Elfe lachte und die beiden Streithähne dafür sogar ihr Wortgeplänkel unterbrachen, machte die Sache auch nicht besser.
»Oh nein«, sagte Trogadon dann plötzlich und abrupt brach sein Lachen ab. Er deutete in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und Culhen blickte ebenso wie die anderen die kleine Schlucht entlang, um zu erkennen, was der Zwerg erspäht hatte.
Ein hager wirkender Mann in der Rüstung der Sonnenebenen ritt auf einem erschöpft wirkenden Pferd auf sie zu, eine Botentasche war am Sattelknauf des Soldaten befestigt.
»Baron Falkenstein! Meister Uldini! Lady Jelninolan!«, rief der Mann schon aus einiger Entfernung. »Ich bringe dringende Botschaft vom Verteidigungsring!«
»Warum habe ich das Gefühl, dass er keine Siegesnachricht bei sich trägt«, murmelte Uldini und erntete dafür beklommene Blicke vom Rest der Gruppe.
Culhen schwante ebenfalls Übles und er überlegte ernsthaft, ob er den Boten fortjagen sollte, bevor der seine Nachricht überbringen konnte. Der Wolf war enger mit Ahren verbunden als irgendwer sonst und daher mit dessen Denkweise genauestens vertraut. Als Einziger ihrer Gruppe kannte er Ahrens Taktik, und noch bevor der Soldat abgestiegen war und den Mund aufgemacht hatte, wusste Culhen, dass nun auch dem Letzten seiner Gefährten klar werden musste, warum Ahren so nah an der Front gegen die Bannwolke entlanggezogen war.
Der Bote salutierte zackig und blickte sie reihum an. Dabei sah Culhen, dass der Kerl eigentlich noch ein halber Welpe war, bestimmt ein Jahr jünger als Ahren, und dabei doch erschreckend alt und abgehärmt wirkte. Tiefe Erschöpfungslinien durchzogen das junge Gesicht, und als er zu sprechen begann, hörte Culhen eine harte Reife aus der Stimme des Boten, die nur durch großes Leid und Schrecken hervorgebracht werden konnte.
»Die 37. nordöstliche Stellung steht schwer unter Druck durch eine ganze Rotte Finsterbären! Generalin Ambossar bittet um Unterstützung durch den Paladin Dorian Falkenstein sowie die beiden Alten Uldini Getobo und Jelninolan Sturmweberin!« Er zögerte kurz, dann wurde seine Stimme weniger förmlich und klang plötzlich deutlich jünger und furchtsamer. »Bitte, Ihr müsst uns helfen. Das Leben von zweihundert Männern und Frauen steht auf dem Spiel und der Verteidigungsring wird ohne Eure Hilfe nicht länger zu halten sein.«
Falk fluchte leise, und auch Jelninolan und Uldini wirkten unglücklich, während Selsena eine Welle purer Frustration ausstrahlte, die Culhen ebenfalls empfand. Ein Teil von ihm war stolz auf sich, weil er Ahrens Strategie erraten hatte, bevor die anderen darauf gekommen waren, aber das war nur ein kleiner Trost für die Erkenntnis, dass Ahren und Khara sie ausgetrickst hatten.
»Zumindest bleibt Ahren sich treu«, sagte Trogadon schließlich mit einem bitter klingenden Lachen. »Er lenkt uns ab, indem er uns so nahe an die Front führt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis wir von der Armee um Hilfe gebeten werden.«
»Sogar bei seiner Flucht vor seinen Freunden versucht er noch, so viele Leben wie möglich zu retten«, sagte Uldini, der zu gleichen Teilen bewundernd und gereizt klang.
Falk fluchte einfach nur leise vor sich hin.
Der Bote starrte verständnislos von einem zum nächsten, bis Jelninolan ihm eine Hand auf die Schulter legte. »Natürlich eilen wir Euren Kameraden zu Hilfe. Bringt uns zum nächsten Stall und wir reiten sofort los.«
Culhens Laune war am Boden, als sie zusammen mit dem Boten umkehrten, um am Verteidigungsring zu kämpfen. Sogar die Aussicht auf ein Kräftemessen mit Finsterbären vermochte Culhens Laune nicht zu heben. Als der Wolf aus den Augenwinkeln sah, wie der Schäfer auf dem Hügel sie mit wilden Gesten und einem selbstgefälligen Grinsen fortscheuchte, konnte er sich ein durchdringendes Heulen nicht verkneifen, das die Schafsherde in Panik versetzte und den Hügel hinuntertrieb, sodass die Tiere sich im Grasland verteilten. Der Schäfer hastete ihnen nach, laut über Wölfe im Allgemeinen und einen großen, weißen im Besonderen schimpfend. Culhen schmatzte zufrieden. Wenigstens würde er nicht allein einen miesen Tag haben.
***
Ahrens Nervosität wuchs. Sie waren nun höchstens noch einen Tag von den Ausläufern des Wutwaldes entfernt, und als die Dämmerung hereinbrach, konnte er am Horizont schon schwach das dunkelgrüne Band des Waldrandes erblicken. Ihr Lager hatten sie in einer Baumgruppe aufgeschlagen, die ihren Namen kaum verdiente. Vier karg gewachsene Buchen boten einen spärlichen Schutz, und wenn es nicht windstill gewesen wäre, hätten sie an diesem kühlen Frühlingsabend jämmerlich gefroren. Ahren starrte weiter auf die schwache Silhouette des Wutwaldes. Wenn sie nicht schon heute Nacht Besuch bekommen würden, so wäre spätestens am morgigen Tag der entscheidende Moment gekommen, an dem sich entschied, ob die Wutelfen sie passieren lassen würden oder nicht.
Khara drückte ihm einen Kuss in den Nacken, während sie ihre Hände von hinten um seine Hüften legte. »Denkst du wirklich, sie lassen uns durch die verbotene Zone um den Wald herumreisen?«, fragte sie leise, während sie sich an ihn drückte.
Ahren umfasste ihre Hände und genoss das Gefühl der Wärme in seinem Rücken, während er die Augen schloss. Es schien, als hätte Khara während des Regengusses unter der Königseiche beschlossen, in die Zukunft statt in die Vergangenheit zu blicken. Ihre nächtlichen Weinattacken waren deutlich abgeklungen, ihr Schlaf ruhiger und weniger albgeplagt und ihre Stimmung deutlich ausgeglichener. Die alte Khara kämpfte sich mit jedem Tag mehr und mehr an die Oberfläche zurück, anscheinend fest entschlossen, den Kampf gegen ihre Erinnerungen endgültig zu gewinnen.
»Wir werden es bald erfahren«, sagte Ahren mit warmer Stimme. Dann kam ihm eine Idee. »Wollen wir zusammen trainieren? Auch wenn wir nur ein paar minderwertige Waffen dabeihaben, wird uns ein wenig Übung sicher nicht schaden.«
Khara löste sich mit einem kleinen Freudenschrei von ihm und ging zu ihrem Bündel hinüber, an dem sie eine schartige Windklinge festgeschnürt hatte.
»Das werte ich als ein Ja«, sagte er grinsend und holte seine eigene Waffe hervor, ein schmuckloses Langschwert, welches ihn mit jedem Herzschlag die Eleganz seiner Windklinge vermissen ließ. Seit ihrem Aufbruch hatten sie nicht mehr zusammen geübt, zum einen wegen Kharas Gemütsverfassung, zum anderen weil sie auf ihre gewohnte Ausrüstung verzichten mussten. Erst bei Ahrens heimlichem Aufbruch aus Tiefstein hatte er gemerkt, wie viel Tiefenstahl und Magie er mittlerweile mit sich geführt hatte. Seine Windklinge Sonne, sein Elfenbogen Fisiniell, der schützende Umhang, den Trogadon ihm angefertigt und Akkad verzaubert hatte … all diese Dinge musste er zurücklassen. Das Einzige, was nicht magischen Ursprungs gewesen wäre, war sein alter Bänderpanzer, aber der hatte während des Feldzugs in Hjalgar sein Ende gefunden. Also trug Ahren nun eine schlecht sitzende, schäbig aussehende Lederrüstung und ein schlichtes Langschwert sowie einen Kurzbogen, der sich in seinen starken Armen wie ein Kinderspielzeug anfühlte.
»Ihr Götter, was bin ich verwöhnt«, sagte Ahren stöhnend, als er sich Khara gegenüber aufstellte.
»Dem kann ich nicht widersprechen«, sagte sie grinsend. Aber Ahren sah in ihren Augen, dass sie ebenfalls ihre treue Wind- und Wisperklinge vermisste, und auch sie trug statt ihrer Rüstung aus Leder und Kettengeflecht einen ebenso schmucklosen Lederpanzer wie Ahren. Dann eröffnete Khara den Kampf mit einer ihrer Lieblingsschlagfolgen, die Ahren mühsam parierte.
»Nicht schlecht«, kommentierte seine Liebste und trat einen Schritt zurück. »Du hältst deine Waffe zwar so, wie ein gichtkranker Pavian eine verfaulte Banane greifen würde, aber ich konnte keinen Treffer landen.«
Ahren schüttelte unzufrieden den Kopf. »Die Klinge ist viel zu kopflastig. Ich habe dich nur parieren können, weil ich die Eröffnung vorhergesehen habe. Die nutzt du ständig.«
Khara schürzte die Lippen und hob ihre Windklinge. »Dann sollte ich besser variieren«, sagte sie und drang wieder mit der Waffe auf ihn ein.
Ahren war Khara mit seinem Langschwert hoffnungslos unterlegen und gewann keinen einzigen Zweikampf. Schließlich legte Khara eine weitere Pause ein und neigte den Kopf. »Du hast praktisch nur mit deiner Lieblingswaffe geübt, oder?«
Ahren nickte. »Du warst stets dabei«, gab er mit einem schiefen Lächeln zurück. »Schließlich hast du mir fast alles beigebracht, was ich über den Schwertkampf weiß.«
Khara runzelte selbstkritisch die Stirn. »Mein Fehler. Wir hätten auch üben müssen, was du tun kannst, wenn du deine Windklinge mal nicht zur Hand hast.«
Ahren zog seinen treuen Dolch aus seiner Brustscheide. »Ich habe dann ja immer noch den hier«, erwiderte er schwach scherzend.
»Du solltest nicht zu einem Messer greifen müssen, wenn du eine längere Waffe in der Hand hast«, tadelte Khara ihn gedankenverloren. »Ich bringe dir besser ein paar Grundregeln bei, wie du aus einer unbekannten Waffe das Beste herausholst.«
Den Rest des Abends lernte Ahren, wie er sein Körpergewicht, seine Fähigkeiten im unbewaffneten Nahkampf und seine taktischen Kenntnisse einsetzte, um eine schlechte oder ungewohnte Waffe zumindest ansatzweise auszugleichen. Khara bläute ihm ein, das Langschwert nur einzusetzen, wenn es unumgänglich oder der Einsatz der Klinge todsicher war. Sie lehrte Ahren stattdessen zu treten, zu schlagen, den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen und auszuweichen, wo immer es ging, bis er sich in einer Position befand, in der er gefahrlos mit der Waffe zuschlagen konnte.
»Eine schlechte Waffe ist wie ein zusätzlicher Gegner in deiner Hand, der nur darauf wartet, dass du einen Fehler machst«, sagte Khara zwischendurch. »Du musst vor ihr ebenso viel Respekt haben wie vor deinem Gegenüber im Kampf.«
Als die Nacht hereinbrach, kuschelten sie sich schließlich in ihren Decken eng aneinander, da sie auf ein Lagerfeuer verzichteten. In der vergangenen Nacht hatten sie das Geheul von Blutwölfen vernommen und ihnen war nicht danach, ohne ihre Freunde und vernünftige Ausrüstung gegen die gefährlichen Dunkelwesen zu kämpfen. Während Ahren Khara eng umschlungen hielt und in die Nacht hinauslauschte, wurde ihm mit einem Mal klar, dass er nur so lange überlebt hatte, weil er stets von mächtigen Freunden und hervorragender Ausrüstung geschützt worden war. Er versuchte das Gefühl der Verletzlichkeit abzuschütteln und fiel schließlich in einen leichten, unruhigen Schlaf.
***
»Was für eine Sauerei!«, schimpfte Falk, und Culhen sah, wie der alte Paladin seinen blutbefleckten Helm auf den Boden warf. Der Wolf hockte auf den Hinterbeinen und leckte sich selbst über einen üblen Riss in seiner Flanke. Um sie herum lagen die Leichen von Finsterbären und Soldaten der Sonnenebenen gleichermaßen umher, die provisorischen Befestigungen aus angespitzten Pfählen ragten zerbrochen aus dem festgestampften Erdboden. Kleine Feuer brannten überall, wo Laternen aus ihren Halterungen gerissen worden waren, und schufen somit ein wild flackerndes Licht. Jelninolan beschwor gerade einen magischen Regen herauf, der die gröbsten Blessuren aller Überlebenden heilen würde, nachdem Uldini die Leichen der Finsterbären mithilfe von Flammenstern verbrannt hatte. Trogadon wies alle Verwundeten an, sich die Rüstungen auszuziehen, damit das heilende Nass sie möglichst effektiv erreichen konnte, und Selsena galoppierte um die zerstörte Befestigung herum und überprüfte die Umgebung darauf, ob im Chaos des Kampfes einzelne Finsterbären durchgebrochen oder neue Dunkelwesen im Anmarsch waren.
»Wären wir nur etwas später hier angekommen, hätte es ein klaffendes Loch im Verteidigungsring gegeben«, schimpfte Falk weiter. »Es kann doch nicht sein, dass unsere Truppen derart dünn aufgestellt sind.«
»Die Dunkelwesen heilen in der Wolke schneller als die verletzten Soldaten«, sagte Uldini schlicht. »Die Waagschale neigt sich mit jedem Tag stärker zu unseren Ungunsten.«
Mit einem mürrischen Gesicht bettete Trogadon den Leichnam des Boten, der sie hierhergeführt hatte, in ein hastig ausgehobenes Grab. »Ist euch auch aufgefallen, dass die Viecher viel schneller aus einem Kampf fliehen als sonst? Ganz so, als hätten sie den Befehl, um jeden Preis am Leben zu bleiben, damit die Wolke sie wieder zusammenflicken kann.«
Culhen schaute auf das brodelnde Gebilde in gut zwanzig Längen Entfernung, das wie eine wildwirbelnde Rauchwolke aussah, die sich nie verflüchtigte. Selbst gegen die Dämmerung der Nacht wirkte die magische Festung des Dunklen Gottes noch pechschwarz. Wie eine Manifestation roher Gewalt spuckte die wallende Masse unentwegt Dunkelwesen aus, die den Verteidigungsring angriffen. Culhens scharfe Augen erspähten in diesem Moment eine große Anzahl Schwarmkrallen, die aus dem Dunkel der Wolke hervorbrachen, aber glücklicherweise gen Norden flogen. Er drehte seine verletzte Seite in den einsetzenden Heilregen, den Jelninolans Fiedelspiel hervorbrachte. Auf einen Kampf mit Schwarmkrallen hatte der Wolf wirklich keine Lust. Um sie zu töten, musste er sie mit seinen Fängen aus der Luft holen und sofort zerbeißen, damit sie ihm nicht das Maul zerfetzten – und dabei schmeckten die korrumpierten Vögel einfach nur widerlich.
»Wir müssen bleiben, bis Verstärkung eintrifft«, sagte Falk sauertöpfisch. »Wenn wir jetzt abziehen, überrollt der nächste Angriff die übrigen Soldaten, und unsere Mühen waren umsonst.«
Trogadon reckte seine Hände in den Himmel, damit der Heilregen das Blut fortwusch, von dem Culhen nicht wusste, ob es das des Zwergs oder eines seiner Gegner war. Die Pose des Zwerges hatte etwas seltsam Flehendes an sich, und dem Wolf wurde für einen Moment bitterkalt. Er fragte sich, wie es Ahren ging, und trottete zu Uldini hinüber, um ihn mit der Schnauze anzustupsen.
»Schon wieder?«, fragte Uldini genervt, warf aber einen kurzen Blick in die lodernden Tiefen Flammensterns, der über der Hand des Magus schwebte und sich langsam um die eigene Achse drehte, ein mystischer Mahlstrom aus Flammen loderte in seinem kristallenen Kern. »Beide sind am Leben«, sagte Uldini knapp und Culhen stieß ein beruhigtes Wuffen aus. Der Magus warf neuerdings kein Zaubernetz mehr aus, um die beiden zu finden, sondern hatte stattdessen einen winzigen Bann ersonnen, mit dem er das grobe Wohlbefinden ihrer flüchtigen Freunde überprüfen konnte.
Culhen wollte zu Jelninolan hinübergehen, als er plötzlich in der Ferne das Hufgetrappel von Dutzenden Pferden hörte, das sich beständig näherte. Selsena stieß ein warnendes Wiehern aus, das jedoch in demselben Augenblick in eine Gefühlswelle der Freude umschwang, als das Einhorn erkannte, wer sich da näherte.
»Bergen kommt«, brummte Falk erleichtert. »Mitsamt seiner Blauen Kohorte.« Dann erhob er die Stimme, als die ersten Reiter im Licht der langsam verlöschenden Feuer erschienen. »Und wie immer ist er zu spät.«
Der breitschultrige, blonde Paladin ritt an der Spitze seiner bewaffneten Männer und Frauen und starrte zerknirscht auf die Zerstörung ringsum und dann auf Falk. »Wir sind sofort losgeritten, als uns die Nachricht ereilte. Letzte Nacht haben wir weiter im Westen allein drei Durchbrüche aufgehalten.« Die Stimme des Paladins klang derart erschöpft, dass Falk offenbar darauf verzichtete, das Wortgefecht fortzuführen, sondern nur mit grimmigem Blick nickte.
Culhen schlenderte zu Bergen hinüber und legte ihm seine Schnauze vor den Sattel, damit der Paladin ihn zwischen den Ohren kraulen konnte.
»Na, mein Hübscher?«, sagte Bergen voller Zuneigung und wuschelte durch Culhens Fell. »Hast du deinen entlaufenen Paladin noch nicht wiedergefunden?«
Culhen brummte nur und genoss die Liebkosungen des großen Mannes. Die Blaue Kohorte schwärmte aus und sicherte routiniert die zerstörten Stellungen.
»Mein ehemaliger Schüler hat uns ausgetrickst«, sagte Falk beinahe stolz. »Hat uns an die Front herangeführt, damit wir von einem Hilfegesuch zum nächsten stolpern.«
»Hast du Neuigkeiten von den anderen Paladinen?«, fragte Jelninolan, die soeben ihr Spiel auf Mirilan beendete und damit auch den Regen, der inzwischen die Wunden aller Verletzten notdürftig geschlossen hatte.
Bergen nickte, die Hände noch immer in Culhens Nackenfell vergraben. »Sunju eilt von Notfall zu Notfall, überall dorthin, wo jede andere Hilfe zu spät kommen würde. Sonnenschimmer frisst mittlerweile während des Flugs, um Zeit zu sparen.« Bergen schauderte. »Ich hatte vergessen, was für ein Anblick es ist, wenn ein Rukh ein Schaf im Flug zerreißt. Es kursieren schon die ersten Schauergeschichten über sie.«
Culhen stieß ein leises Knurren aus. Sonnenschimmer war die ungekrönte Königin der Vertrautentiere, auch wenn er das Selsena gegenüber niemals zugegeben hätte. Dass dumme Menschen sich vor ihr zu fürchten begannen, zeigte ihm wieder nur, wie eingeschränkt ihre Sichtweise doch meist war. Anwesende ausgeschlossen.
»Fisker spielt den Leibwächter für ein paar der Alten, die versuchen, aus der Bannwolke schlau zu werden und gerade irgendwo am Rand des Grünen Meers unterwegs sind«, zählte Bergen weiter die Standorte der Paladine auf. »Aluna beschützt die Transportschiffe im östlichen Meer, und der Erste wurde dabei gesichtet, wie er ein paar Legionen um sich versammelt hat, um den Kriegsschwarm aufzuhalten, der durch die Sonnenebenen gen Norden zieht. Wenn der uns hier in den Rücken fällt, bricht die Verteidigung des Rings auseinander wie alter Mürbeteig.«
Falk verzog müde das Gesicht. »Klug von ihm, sich abzusetzen, nachdem er Ahren einen derart großen Floh ins Ohr gesetzt hat. Wir alle hätten ihm dazu sicher etwas zu sagen gehabt und das nicht gerade leise. Irgendeine Nachricht, ob noch weitere unserer Brüder und Schwestern aufgetaucht sind?«
Bergen schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht, dass noch ein Paladin so mir nichts, dir nichts an diesem Krieg teilnimmt. Wer sich bis jetzt nicht gemeldet hat, wird bis zum Hals in eigenen Problemen stecken oder die Kämpfe so lange wie möglich aussitzen wollen.«
Uldini schnaubte. »Schöne Streiter der Götter sind das.«
Falk blickte beschämt zu Boden, aber Bergen richtete sich hoch im Sattel auf, die Augen voller Zorn. »Zahl du erst mal den Preis, den wir alle in der Nacht des Blutes zahlen mussten, dann reden wir weiter.«
Ein unbehagliches Schweigen setzte ein, als der blonde Krieger an das Massaker erinnerte, welches der Widersacher am Vorabend des Endes der Dunklen Tage vor fast achthundert Jahren unter den Nachkommen und Seelenverwandten der Paladine angerichtet hatte. Viele von ihnen hatten in einer Nacht all jene verloren, die sie geliebt hatten. Bergen hatte es besonders schwer getroffen, und Culhen drückte ihm seinen Kopf gegen den Schoß und winselte leise, während er mit treuen Wolfsaugen zu ihm aufsah. Das funktionierte immer.
Bergens Zorn zerfiel unter diesem Anblick und er streichelte Culhen weiter. »Wie auch immer«, sagte er nach einem Räuspern. »Wir können hier die Stellung halten, damit ihr hinter unserem entlaufenen Paladin herjagt.« Er blickte Falk ernst in die Augen. »Wir alle wissen, wie unerbittlich Quin-Wa sein kann. Ich denke nicht, dass unser Ahren allein mit seinen Idealen bei ihr besonders weit kommt.«
Culhen sah, wie mulmige Blicke zwischen den Paladinen und den Alten ausgetauscht wurden, und plötzlich wurde er wieder unruhig. Wie sollte Ahren nur ohne ihn und seinen brillanten Wolfsverstand klarkommen?
***
Ahren erwachte in der Nacht von dem Gefühl einer kalten, seltsam glatt wirkenden Hand, die sich wie eine Stahlklammer über seinen Mund legte, und einer gebogenen Klinge an seinem Hals, die sich fest in seine Haut drückte. Er erstarrte umgehend zur Salzsäule, trotzdem reichte dieses erste Versteifen schon, um zu spüren, wie ein dünnes Rinnsal aus Blut seinen Hals herabrann, als die feine Schneide mühelos seine Haut zerteilte. Fieberhaft versuchte er aus den Augenwinkeln Khara zu erblicken, ohne den Kopf zu drehen, aber er hörte sie nur schwer durch die Nase atmen und fürchtete, dass sie in einer ähnlichen Klemme steckte wie er. Ahren hoffte, dass sie nichts Unüberlegtes tat, und entspannte sich, so gut er konnte, indem er seine Angst weit genug unterdrückte, um rational über ihre Situation nachzudenken. Wer auch immer sie gefangen hielt, bedrohte sie bisher nur, also wollten sie Khara und ihn nicht zwangsläufig umbringen. Er wartete einige Herzschläge ab, wobei er versuchte, möglichst gelassen und souverän zu wirken, während er im Stillen Culhen und Selsena vermisste. Mit den beiden im Nachtlager wäre ein solcher Hinterhalt niemals gelungen.
»Wir sind die Stimme in der Dunkelheit, der Dolch aus den Schatten, der finale Atemzug des ruchlosen Wanderers«, hörte Ahren plötzlich eine rau klingende Stimme an seinem Ohr. »Dieses Land ist unseres, unsere Gesetze sind euch Menschen seit Jahrhunderten bekannt. Warum sollen wir euch nicht einfach töten?«
Ein einzelner Finger hob sich gerade genug von seinem Mund, dass er zwischen der entstehenden Lücke ein: »IchbineinPaladin«, hervornuscheln konnte. Natürlich erntete er für diese Aussage erst mal einen Lacher, und auch von irgendwo hinter Kharas schwerem Atmen kamen belustigte Laute.
»Du siehst aber gar nicht wie ein Paladin aus«, höhnte die Stimme hinter ihm. »Eher wie ein Söldner. Oder sogar ein Deserteur.« Der Tonfall wurde schärfer, aggressiver, während sich die Klinge tiefer in Ahrens Haut bohrte, sodass er nicht mehr zu schlucken wagte. »Seid ihr beiden Deserteure, kleiner Mensch?«
Jetzt wurde Ahren richtig angst und bange. Er war sicher, dass er es hier mit den Elfen des Wutwaldes zu tun hatte, und die waren durch und durch emotional. Und Deserteure standen bei einem Volk, das seit Jahrhunderten in einem der lebensfeindlichsten Gebiete der Welt lebte, um die Grenzlande zu patrouillieren, sicher nicht besonders hoch im Ansehen.
Er schüttelte hastig den Kopf und versuchte, einen Namen auszustoßen. Wieder hob sich der Finger und Ahren konnte: »Tartak«, hervorbringen, bevor ihm wieder der Mund verschlossen wurde. Hinter ihm versteifte sich sein Häscher und die Hand rutschte von seinem Mund zu seiner Stirn, während er ein Knie in seinem Rücken spürte, das ihn vorwärts drückte. Die Klinge jedoch blieb unverrückbar an seinem Hals. Ahren konnte jetzt zwar sprechen, war aber trotzdem nur einen Fingerbreit Stahl vom Tod entfernt.
»Woher kennst du diesen Namen?«, herrschte ihn die Stimme aus dem Dunkel an.
»Wir haben uns beim Konklave auf der Königsinsel kennengelernt«, sagte Ahren hastig. »Ich bin Ahren, der dreizehnte Paladin, und das ist meine Gefährtin Khara. Ich habe dem Wutwald eine Atempause verschafft, indem ich die Elfen aus Eathinian in den Feldzug um Hjalgar verwickelt habe.« Das war zwar eine stark verkürzte Darstellung der damaligen Geschehnisse, aber in Anbetracht der Umstände entschied Ahren, alle unnötigen Details wegzulassen. »Er nannte mich einen Freund Eures Volkes«, schob er sicherheitshalber hinterher.
Hinter ihm ertönte die Stimme seines Häschers in einer überraschend melodisch klingenden, weichen Sprache, in der sich die beiden Wutelfen kurz miteinander unterhielten. Noch immer konnte Ahren den Kopf nicht drehen, um Khara anzusehen, aber er hörte sie nun ruhig und kontrolliert atmen. Ahren erkannte diesen Rhythmus: Die Schwertkämpferin bereitete sich darauf vor, die Wutelfen anzugreifen, sollten sie entscheiden, ihnen nicht zu glauben.
Ahren hoffte inständig, dass er nicht einen Kampf beginnen musste, während er auf den Knien lag und von hinten mit einem Messer an der Kehle bedroht wurde.
Plötzlich verschwand der Dolch von seinem Hals und Ahren atmete tief und erleichtert durch. Noch immer wurde ihm der Kopf in den Nacken gedrückt, während der Wutelf ihm mit dem Knie im Rücken und der Hand an der Stirn fixierte, aber nun konnte der Waldläufer zumindest zu Khara hinübersehen, ohne sich selbst die Kehle aufzuschneiden.
Er sah im fahlen Mondlicht, dass auch sie keine Waffe mehr am Hals hatte, und warf ihr einen eindringlichen Blick zu, noch ein wenig mit den Kampfhandlungen zu warten. Ein wütendes Feuer loderte in ihren Augen, und Ahren konnte sich gut vorstellen, wie erbost seine Liebste darüber sein musste, mitten in der Nacht derart überrumpelt worden zu sein.
Dann glomm ein schwaches, lilafarbenes Licht auf, das seltsam unstet wirkte. Ein kleiner Glasbehälter in der fahlen, schlanken Hand seines Häschers schob sich in Ahrens Blickfeld, in dem kleine Glühwürmchen umherflogen, die das unheimliche Licht in pulsierenden Wellen von sich gaben. Zu seinem Entsetzen sah er winzige Mäuler voller Zähne mit Widerhaken an den kleinen Wesen, die Ahren nur als harmlose Insekten kannte. Waren das etwa Dunkelwesen aus dem Wutwald?