Die Inseln der Klingensee - Torsten Weitze - E-Book

Die Inseln der Klingensee E-Book

Torsten Weitze

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Beschreibung

Ahren kann sein Glück kaum fassen: Seine Lehrzeit geht endlich zu Ende und Kharas Zuneigung zu ihm scheint mit jeder Minute zu wachsen. Von den südlichen Dschungeln aus segeln die Gefährten westwärts und sind dabei gleich zwei Paladinen auf der Spur, die auf einer der Inseln der Klingensee ein friedliches Leben führen sollen. Doch die Suche erweist sich als schwierig, denn ein Krieg unter Piraten verwandelt die Klingensee in einen Hexenkessel, der ein tragisches Drama verbirgt. Während Ahren und seine Freunde alles daran setzen, die zwei Paladine für ihr Vorhaben zu gewinnen, gegen IHN, DER ZWINGT, in den Kampf zu ziehen, kommt der Hochfang Sven der Vollendung seines teuflischen Plans immer näher.

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Torsten Weitze

Die Inseln der Klingensee

Der 13. PaladinBand V

Impressum

© Torsten Weitze, Krefeld, 2018Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.deKorrektorat:Daniela Sechtig

Torsten Weitze c/o LAUSCH medien

Bramfelder Str. 102a

22305 Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze

Für all jene, die mich inspirieren.

Es gibt mehr von euch, als ihr denkt.

Und denkt daran:

Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte, als zum ersten Mal erlebt zu werden …

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Epilog

1. Kapitel

Ahren war glücklich. Diese Erkenntnis traf ihn an diesem verregneten Morgen im Dschungel wie ein Blitzschlag und ließ ihn laut auflachen. Sein treuer Wolf, sein Seelentier Culhen, reagierte auf den plötzlichen Ausbruch an Fröhlichkeit mit einem müden Seitenblick auf den Lehrling, bevor die gelben Augen des Tieres betont langsam über die sie umgebende Szenerie strichen.

Ich habe es verstanden: Du bist verliebt. Kein Grund, jedes Lebewesen in einer Länge Umkreis auf unsere Anwesenheit hinzuweisen, übermittelte sein Freund ihm gereizt über ihre gedankliche Verbindung.

Ahren verstummte. Noch immer grinsend tat er es dem riesigen Wolf gleich und sah sich aufmerksam um. Sie folgten seit drei Tagen dem kleinen Fluss, auf dem seine Gefährten hinab zur Küste gereist waren und in den ihn Khara, die Frau seines Herzens, auf Geheiß seines Meisters bei ihrem Abschied gestoßen hatte, damit der Lehrling den Rest des Weges allein und zu Fuß bewältigte.

Klingt nach echter Zuneigung, sagte Culhen mit beißendem Spott, aber Ahren ignorierte ihn und schob sich weiter durch das dichte Grün, das sie beide umgab. Die südlichen Dschungel zu durchschreiten war eine Qual, da man sich mit jedem Schritt durch Ranken und dichtes, wild wucherndes Unterholz kämpfen musste. Zusätzlich gab es in diesen Dschungeln unglaublich viele Raubtiere, giftige Schlangen, blutsaugende Insekten und eine nicht zu unterschätzende Zahl an Dunkelwesen, die der Widersacher unter seinen Bann gezwungen hatte. Alles in allem also keine Umgebung, in der ein Meister seinen Schützling allein lassen sollte.

Wieder stieg in Ahren ein Lachen auf, das er unter Culhens strengem Blick herunterschluckte. Der Grund, warum Falk ihn den Weg zur Küste laufen ließ, war, dass Ahren endlich das Ende seiner Ausbildung zum Waldläufer erreicht hatte! Er befand sich mitten in seiner Langen Woche, jene Abschlussprüfung, bei der ein Waldläufer nur mit einem Dolch, drei Pfeilen und einem Bogen bewaffnet eine Woche in der Wildnis überleben musste. Normalerweise wurde die Prüfung in einer deutlich weniger feindseligen Umgebung durchgeführt, aber an Ahrens Werdegang war nichts normal. Er war ein Paladin, ein Streiter der Drei, auserkoren, die Welt Jorath gegen Ihn, der zwingt, zu verteidigen. Diese Aufgabe kam mit gewissen Vorteilen einher, die ihm gerade gute Dienste leisteten. Einer davon war der beinahe zwei Schritt aufragende weiße Wolf neben ihm, der Ahren ein unverbrüchlicher Freund war und ihm bereits mehrmals das Leben gerettet hatte.

Ein weiterer Vorteil war der Segen der Elfengöttin Sie, die fühlt, der dafür sorgte, dass Ahren ohne Schaden durch die Wildnis eilen konnte, unangetastet von Pflanzen und Tieren, solange er ihnen kein Leid zufügte. Also war diese Prüfung eigentlich ein mühsamer Spaziergang und nichts weiter. Falk hatte ihm nach Ahrens unfreiwilligem Sturz aus dem Kanu versichert, dass die Elfe Jelninolan keine Dunkelwesen in der Region erspürt hatte, sodass die Abschlussprüfung des Lehrlings lediglich eine bessere Formalität war. Zusätzlich war Culhen ein geschickter Jäger und Ahren auf dem Weg zu einem Meisterschützen.

Am ersten Tag hatten sie ein fettes Wildschwein erlegt, und so besaß Ahren genug Nahrung für den gesamten Weg bis zur Küste. Der Fluss, dem sie folgten, versorgte sie mit Trinkwasser und Culhens feine Nase und Ohren sorgten dafür, dass niemand sich unbemerkt an sie heranschlich. Deswegen hatte sein vierpfotiger Freund auch solch schlechte Laune: Er musste die Hauptarbeit leisten und bei voller Konzentration ihre Umgebung im Auge behalten, während es Ahrens alleinige Aufgabe war, einen gangbaren Weg am Ufer entlang zu finden. Dort, wo ihm Schlingpflanzen oder dornige Büsche in die Quere kamen, schwamm er kurzerhand ein Stück den Fluss hinunter, bis das Unterholz wieder passierbar war.

»Danke, dass du so gut auf mich aufpasst«, sagte Ahren leise und kraulte Culhen zwischen den Ohren. Culhen senkte den Kopf, damit der Lehrling leichter herankam, und wieder musste der junge Mann schmunzeln. »Ich bin wirklich froh, dass du endlich aufgehört hast, größer zu werden. Sonst könnten wir dich nicht mal mehr in einer Pferdebox unterbringen«, murmelte Ahren voller Zuneigung. Der Wolf war während ihrer gesamten Reise quer durch Jorath langsam, aber stetig weitergewachsen, und sie hatten ihn mittels einer Illusion als Pony tarnen müssen, um unauffällig zu bleiben. Jetzt würde der Tarnzauber wohl ein Streitross darstellen müssen, um Culhens endgültiger Größe gerecht zu werden.

Culhen schnaubte abfällig. In einem widerlichen Stall habe ich eh nichts verloren, sagte er brüsk. Der Wolf hasste es, als Pony zu reisen, und seine Eitelkeit ließ ihn jede Übernachtung in Heu und Stroh als Affront auffassen.

»Was Selsena wohl dazu sagt, wie du über Ställe denkst?«, fragte sich Ahren laut und zwinkerte seinem Freund verschmitzt zu.

Culhen zuckte zusammen. Er hatte einen tiefen Respekt vor Falks Seelentier entwickelt, und es verband den Wolf mittlerweile eine lockere Freundschaft mit dem Titejunanwa. Das kann ruhig unter uns bleiben, erwiderte das Tier in defensivem Ton. Wir wollen Selsi doch nicht aufregen, oder?

Ahren lächelte wieder und kraulte das Fell des Wolfes. »Keine Sorge, das bleibt unser Geheimnis«, sagte er verschwörerisch. Culhen nieste plötzlich. Ahren verzog angeekelt das Gesicht, das nun voller Wolfsschnodder war.

Entschuldige, sagte sein Freund hastig. Du hast irgendwas an der Hand, das mich in der Nase kitzelt. Wieder musste Culhen niesen, und schnell machte der Lehrling einen Schritt zurück.

»Ich habe vorhin einen Strauch mit scharf riechenden Früchten beiseitegeschoben«, sagte er und schüttelte seinen linken Arm, der ebenfalls besudelt war. »Anscheinend eine südliche Abart von Niesfarn.«

Anscheinend, erwiderte Culhen und nieste noch einmal, so sehr, dass es ihn durchschüttelte.

Ahren trat an den Fluss und begann, sich schnell und gründlich das Gesicht und den Arm zu waschen. Dabei fiel sein Blick unwillkürlich auf eine seichte Stelle am Ufer, wo das Wasser des Flusses glatt und ruhig dahinglitt. Das Spiegelbild, das ihm dort entgegenblickte, schien zu einem Fremden zu gehören. Fransige, nussbraune Haare bedeckten Stirn und Nacken eines jungen Mannes, der ihn aus ernsten grünen Augen anblickte. Seit mehreren Monden schon schnitt Ahren sich mit seinem Messer die Haare immer ab, sobald sie ihm im Weg waren, ohne dabei groß auf Ästhetik zu achten. Ein dichter, kurzer Vollbart, der einen rotbraunen Schimmer aufwies, erinnerte ihn daran, dass er sich wieder rasieren musste, etwas, das mittlerweile immer öfter vorkam und das er als äußerst lästig empfand. Seine breiten Schultern und sein muskulöser Rumpf steckten in einem elfischen Bänderpanzer, dessen namensgebende Lederschnüre er mehrfach hatte justieren müssen, damit ihm die Rüstung weiterhin passte. Einmal mehr bewunderte er Jelninolans Voraussicht, ihm vor zwei Jahren eine Panzerung geschenkt zu haben, die sich an Ahrens Wuchs anpassen ließ. Nachdenklich zog Ahren seine großen, schwieligen Hände durch das Wasser des Flusses, um sein Spiegelbild auszulöschen.

Scheint, als wären wir jetzt beide ausgewachsen, sagte Culhen einfühlsam.

Der angehende Waldläufer nickte stumm und erhob sich, ohne den Wolf anzublicken. »Genug getrödelt«, sagte er laut. »Wir sollten weitergehen. Die anderen warten schließlich auf uns.«

Vor allem eine gewisse Schwertkämpferin, fügte Culhen neckend hinzu.

Ahrens Gedanken flogen sofort wieder zu dem Moment, als Khara ihn – kurz bevor sie ihn über Bord stieß – geküsst hatte, und er seufzte glücklich.

Oh je, jetzt geht das wieder los, sagte Culhen und zog sich aus dem Kopf des tagträumenden Lehrlings zurück. Also für mich ist diese Woche auf jeden Fall sehr, sehr lang, sagte das Tier brummig und nahm seine Wacht des umliegenden Dschungels wieder auf.

Zwei weitere Tage vergingen, die für das ungleiche Duo nur aus Laufen und Schwitzen bestanden. Immer häufiger ging Ahren dazu über, den Fluss als Abkürzung zu benutzen, anstatt sich einen Weg an Land zu suchen, denn mit jedem Atemzug wuchs seine Sehnsucht, Khara wiederzusehen, und damit seine Ungeduld. Abends taten ihm die Arme und die Brustmuskeln weh vom vielen Schwimmen, und er musste seine lederne Ausrüstung immer wieder einfetten, damit das Material nicht brüchig und spröde wurde oder gar verrottete.

Culhen schnupperte an dem Tiegel mit Lederfett, den Ahren gerade wieder verstaute. Ist nicht mehr viel da. Du solltest deine Schwimmeinlagen einschränken, bis wir bei den anderen sind.

Ahren nickte nachdenklich. »Du hast recht. Auch wenn wir dadurch langsamer vorankommen.«

Du bist dadurch langsamer. Ich zügele schon die ganze Zeit mein Tempo, sagte Culhen hochmütig.

Ahren löschte sein winziges Lagerfeuer und kuschelte sich statt einer Antwort in das weiche Fell des Wolfes. Zwar wurde es auch nachts nicht wirklich kühler, und er schwitzte im Schlaf aus allen Poren, aber so hatte er es wenigstens bequem. Der eitle Culhen würde sich sowieso am Morgen waschen, also konnte der Lehrling ihn auch vollschwitzen.

Welch nette Gedanken, danke dafür, maulte Culhen als Reaktion, drehte seinen großen Körper aber ein wenig zur Seite, damit Ahren sich besser an ihn schmiegen konnte. Ahren blickte stumm in die Nacht des Dschungels hinaus und beobachtete das sanfte Mondlicht, das scheinbar träge über den Fluss glitt und durch das Blätterdach des Urwalds hindurch spielerische Muster auf das Unterholz malte. In der Entfernung schrien Affen, schnatterten Vögel und brüllten Raubtiere wie in einem wilden Wettstreit durcheinander, und der Lehrling konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, ohne nächtliche Geräuschkulisse einzuschlafen. Er empfand die Überschwänglichkeit des Lebens um ihn herum schon lange nicht mehr als lästig, sondern schöpfte eine tiefe Zufriedenheit aus ihr. Als Paladin war es seine Aufgabe, diese Welt und ihre Wesen zu beschützen; sie dort draußen zu hören, wie sie ungestört ihre Leben lebten, erschien ihm stets wie eine kleine Belohnung.

Ahren, wach auf!

Die Stimme Culhens in seinem Kopf hatte so gar nichts der spielerischen oder bissigen Art an sich, derer sich sein Freund so gerne bediente. Sofort war Ahren hellwach, als sein Puls in die Höhe schoss und seine Hand automatisch nach seiner Windklinge griff – die natürlich nicht da war, sondern sicher verstaut bei seinen Gefährten auf ihn wartete. Er unterdrückte ein Fluchen und sah sich angestrengt in der Dunkelheit um. Der Mond stand tief und sein Licht reichte kaum mehr aus, um etwas anderes als grobe Konturen zu erkennen.

Was ist los?, fragte er den Wolf stumm, während er seinen Dolch zog. Wenn sie nicht gerade etwas von der Größe eines Finsterbären angriff, wäre sein Bogen in dieser Dunkelheit vollkommen nutzlos.

Da draußen ist irgendetwas. Die Tiere sind verstummt, berichtete Culhen angespannt. Die Ohren des Wolfes zuckten nervös. Angestrengt reckte das Tier seine Nase in die Luft. Was es auch ist, noch ist es zu weit weg, um es wittern zu können.

Das war ein Trost, den Ahren gerne hörte. Culhens Nase war hochempfindlich. Wenn er das Wesen noch nicht roch, konnte es nicht zu nahe sein. Der Lehrling biss sich nachdenklich auf die Lippe. Im Dunkeln zu marschieren wäre gefährlich, schon im Licht des Tages war es schwer genug, einen Weg zu finden, ohne sich in Schlingpflanzen zu verheddern oder im Unterholz zu stürzen. Und der Fluss schied des Nachts auch aus, da Ahren ohne Licht nicht erkennen konnte, ob eventuell etwas unter Wasser auf ihn zutauchte. Die Fahlkrokodile waren ihm noch immer lebhaft im Gedächtnis und einem dieser riesigen nachtaktiven Ungetüme wollte er im Wasser bestimmt nicht begegnen. Selbst Schutz auf einem Baum zu suchen, erschien ihm nutzlos oder gar gefährlich. Ein Nebelpanther würde ihm dort oben in den Ästen ohne Mühe die Kehle aufreißen können.

Ahren konnte sich einen weiteren leisen Fluch nicht verkneifen. Vorschläge?, fragte er Culhen, der seine Gedankengänge kommentarlos mitverfolgt hatte.

Der Wolf starrte angestrengt in die Nacht. Flucht ist sinnlos, also warten wir auf den Sonnenaufgang und verhalten uns leise und unauffällig. Zur Not kämpfe ich allein, mit was auch immer da durch den Dschungel streift, und du wartest auf deinen Moment, mit dem Dolch einzugreifen, sagte das Tier stoisch.

Ahren nickte zögerlich und unzufrieden, während er seinen Dolch in der linken Hand bereithielt, die Klinge abwärtsgerichtet. Er hockte sich auf den Boden, um möglichst wenig aufzufallen, und Culhen tat es ihm nach wenigen Augenblicken gleich. Ahren schätzte, dass noch zwei Stundengläser verstreichen würden, bevor die Sonne aufging, und er bereitete sich auf eine Zeit voll bangen Wartens vor. Wie er da so angespannt in der Dunkelheit kauerte und hoffte, dass die ihm unbekannte Gefahr sie nicht aufspürte, wünschte er sich seine Freunde noch sehnlicher herbei, und diesmal nicht nur die Anwesenheit Kharas, die er schmerzlich vermisste. Ein Lichtzauber des Magiers Uldini oder die beruhigenden Worte seines Meisters Falk wären in diesem Moment äußerst hilfreich. Ebenso Selsenas Gabe, die Emotionen anderer Wesen zu spüren, oder der mächtige Hammer des Zwergs Trogadon.

Mit einer Hand auf Culhens Nacken, der nun auf allen vieren neben ihm lag, spähte Ahren in den still und unheimlich daliegenden Dschungel und hoffte aus tiefstem Herzen darauf, dass die Tiere ihr nächtliches Gebrüll wieder aufnahmen, um ihnen so mitzuteilen, dass die Bedrohung vorbeigezogen war.

Als der Morgen kam, waren Ahrens Nerven aufs Äußerste strapaziert. Nur seine Erfahrung im Umgang mit gefährlichen Situationen hatte ihn einigermaßen ruhig bleiben lassen. Die Tiere des Dschungels waren noch immer stumm und dieser Umstand bereitete dem angehenden Waldläufer immer größere Sorgen. Was konnte so gefährlich sein, dass seine Anwesenheit einen ganzen Landstrich verstummen ließ? Und warum hatte es sich noch nicht gezeigt?

Müssen wir das unbedingt herausfinden?, fragte Culhen unruhig und hob demonstrativ seinen Kopf in Richtung der aufgehenden Sonne, die ihre ersten Strahlen den Fluss entlangschickte. Ahren reagierte darauf, indem er sich aufrichtete und damit begann, sich möglichst leise durch das Unterholz flussabwärts zu schieben, mit jedem Schritt seinen Freunden und der Sicherheit der Gruppe ein Stück näherkommend.

Kannst du eingrenzen, von wo aus sich die Gefahr nähert?, fragte er Culhen angespannt und bestimmt zum achten Mal, seitdem der Wolf ihn geweckt hatte. Ahren spürte die Verneinung des Tiers in seinem Kopf und unterdrückte ein missmutiges Knurren. Noch immer keine Witterung und kein weiterer Anhaltspunkt. Sie sahen und hörten nichts, und so blieb Ahren nichts anderes übrig, als den Fluss entlangzuschleichen, während ihm ein unsichtbarer Feind auf den Fersen war, der dem Lehrling gegenüber jeden Vorteil in der Hand hielt.

Der Tag schien sich auf unnatürliche Weise in die Länge zu ziehen, während Ahren sämtliche Tricks ausnutzte, die Falk ihm beigebracht hatte, um ein Dunkelwesen abzuschütteln. Er verwischte seine Spuren, hinterließ Niesfarn auf seiner Fährte, bewegte sich so lautlos, wie er nur konnte, und legte keinerlei Ruhepausen ein, um so viel Strecke wie nur möglich hinter sich zu bringen, bevor die Sonne wieder unterging. Der Schweiß rann ihm in Bächen den Körper hinab, und immer wieder blickte er sehnsüchtig zu dem einladend dahinfließenden Fluss hinüber, aber er wagte es nicht hineinzusteigen. Zu gut wäre er im Wasser auf eine weite Strecke für jedes Wesen sichtbar, das sich in der Nähe des Ufers befand. Außerdem war ihm der Gedanke gekommen, dass sich die unbekannte Wesenheit im Fluss aufhalten konnte und nur darauf wartete, dass er den Fehler beging, ins kühlende Nass zu gleiten. Also biss er die Zähne zusammen und marschierte immer weiter, Culhen an seiner Seite, der sich ebenso lautlos gab wie sein menschlicher Freund. Mit einer Mischung aus angespannter Konzentration und mühsam unterdrückter Furcht schlich Ahren grimmigen Blicks voran. Ein Teil seines Verstandes sagte ihm, dass Falk in diesem Moment mächtig stolz auf ihn gewesen wäre, dass er sich von seiner Angst nicht übermannen ließ.

Die Sonne stand schon tief am Himmel, als Ahren endlich die ersten Geräusche des Dschungels wahrnahm. Die Tiere trauten sich endlich, ihre Schutzhaltung aufzugeben, und für einen Moment war Ahren erleichtert, bis ihm auffiel, aus welcher Richtung die Geräusche kamen. Er blieb angespannt stehen und tauschte einen flehenden Blick mit Culhen aus. Der antwortete, noch bevor der Lehrling seine Frage gedacht hatte.

Du täuschst dich nicht. Der Dschungel hinter uns ist wieder erwacht. Vor uns liegt nur Stille. Was auch immer uns jagt, hat sich vor uns geschoben, sagte der Wolf düster.

Ahren biss die Zähne zusammen und beherrschte sich, ruhig zu bleiben, während er die Sonne betrachtete, die sich unaufhaltsam dem Horizont entgegensenkte. Wir rasten hier, sagte er schließlich entschieden. Sollte heute Nacht ein Angriff erfolgen, müssen wir ausgeruht sein, und wenn unser Feind auf uns wartet, dann will ich ihm lieber im Licht des neuen Tages gegenübertreten.

Culhen sandte ihm seine Zustimmung, und Ahren rollte sich mit dem Rücken gegen einen großen Stein gelehnt ein, die Beine so angewinkelt, dass er sich jederzeit von dem Felsen abstoßen konnte. Mit gezogenem Dolch in der Hand schloss er die Augen und zwang den notwendigen Schlaf herbei, während Culhen neben ihm die erste Wache übernahm.

Die Nacht war lang und voller Ungewissheit vorbeigezogen, jedoch war ein Angriff durch das unbekannte Wesen ausgeblieben. Etwas ratlos stand Ahren nun am Ufer des Flusses und starrte dessen Verlauf hinab, so als könnte er mit schierer Willenskraft erkennen, was dort vor ihnen lauern mochte und ihm den Weg zu seinen Freunden abschnitt. Ahren war sich recht sicher, dass die gewählte Route des Wesens kein Zufall war. Irgendetwas hatte sich absichtlich zwischen ihn und die Küste bewegt und schien in stiller Herausforderung auf ihn zu warten.

»Was meinst du, mein Großer?«, fragte Ahren nachdenklich. »Sollen wir versuchen, das Wesen zu umgehen, oder stellen wir uns ihm?«

Ich denke, wir haben keine Wahl, sagte Culhen stoisch. Es scheint schneller voranzukommen als wir, wenn es uns gestern überholt hat.

Ahren runzelte die Stirn. »Ich bin ja auch geschlichen. Wir könnten versuchen, so schnell wie möglich voranzukommen, und sehen, ob wir dann schneller sind als das, was dort vor uns lauert.«

Culhen knurrte leise und sah Ahren in die Augen. Das hätte gestern funktionieren können. Jetzt ist der Feind vor uns, widersprach er.

Ahren schaute noch einmal seufzend den Fluss entlang. »Wie hoch ist wohl die Chance, dass da nur ein paar freundliche Dschungelbewohner ein Abschiedsfest für den jungen Paladin planen, der ihre Gottheit gerettet hat?« Der Lehrling spielte auf die jüngsten Ereignisse an, in denen er und seine Freunde den schlafenden Paladin Sunju aus einem magischen Schlaf erweckt hatten, mit dessen Hilfe sie ein Rukh-Ei ausgebrütet hatte. Natürlich war ihr Unterfangen alles andere als leicht gewesen, aber am Ende hatten sie der Frau aus Kelkor dann doch helfen können – sehr zur Freude des Stammes, der sie all die Jahre als Gottheit angebetet hatte.

Ich würde nicht mit einem Festbankett zu deinen Ehren rechnen, antwortete Culhen trocken auf Ahrens Wunschtraum. Eher mit einem grausigen Bankett – mit dir als Vorspeise.

»Wenigstens werde ich im Tageslicht meinen Bogen nutzen können«, tröstete sich Ahren und begann, sich am Fluss entlang einen passenden Weg durch den Dschungel zu suchen, stets dieser ominösen Präsenz entgegen, die den Tieren des Landes ihre Stimme raubte.

Du hast genau drei Pfeile, ermahnte ihn der Wolf.

»Dann müssen die eben reichen.«

Es war Mittag, als Culhen die Nase in den Wind hob und Ahren daraufhin sofort stehen blieb, noch bevor der Wolf verkündete: Ich rieche etwas. Es ist riesig und direkt vor uns.

Ahren wurde mulmig, aber er riss sich sofort zusammen. Sie waren hier allein, niemand konnte ihm zur Hilfe eilen. Wenn er keinen kühlen Kopf bewahrte, war der Kampf verloren, bevor er begonnen hatte.

Er ließ sich auf den Bauch nieder und robbte zum Ufer des Flusses, um am Wasser entlang flussabwärts zu spähen. Wie weit entfernt?, fragte Ahren, der nichts erkennen konnte. Die Luft schien im grellen Licht der Sonne zu flimmern, die im Zenit über ihnen stand, und der ganze Dschungel wirkte, als wäre er in einer Myriade gegensätzlicher Bewegungen gefangen. Ahren kannte dieses Phänomen aus der Namenlosen Wüste, wo die Hitze häufiger optische Täuschungen am Horizont hervorgerufen hatte, aber hier, umgeben von dichtem Buschwerk, war es ihm neu.

Es ist ganz in der Nähe, sagte Culhen beunruhigt. Überall vor uns. Dabei schwenkte der Wolf den Kopf in einem schmalen Halbkreis von links nach rechts.

Ahren stutzte. Bisher waren sie von einem einzigen Wesen ausgegangen, aber das klang nach einer Gruppe, wie einem Rudel. Er spähte erneut den Fluss hinab, nun nicht mehr nach einem einzelnen Geschöpf Ausschau haltend, sondern nach mehreren kleineren Wesen.

Könnte es eine Rotte Niederfänge sein?, fragte er nachdenklich. Die missgestalteten Diener des Dunklen Gottes waren überall auf Jorath anzutreffen, da sie ursprünglich einmal Menschen gewesen waren, die dann unter den eisernen Willen des Widersachers geraten waren.

Nein, sagte Culhen entschieden. Ich weiß doch, wie die riechen. Der Wolf zögerte. Der Geruch, der hier in der Luft liegt, kommt mir zwar bekannt vor, aber er ist zu intensiv, als dass ich ihn zuordnen könnte.

Ahren wiegte unentschlossen den Kopf hin und her. Schleichen wir uns noch etwas näher. Vielleicht erkenne ich etwas, sobald die Sonne aufhört, meine Sinne zu verschleiern, entschied er schließlich. Ganz vorsichtig bahnten sie sich ihren Weg am Ufer entlang, wobei Ahren die Umgebung nicht aus den Augen ließ. Aber auch als sie näherkamen, hielt das Flimmern durch die Sonne an und schien das Bild des grünen Dschungels regelrecht tanzen zu lassen. Der Lehrling verstand einfach nicht, was er da sah, bis sie auf knapp hundert Schritt an das Phänomen herangepirscht waren. Da sah der junge Paladin, wie etwas von einem der Bäume am Ufer ins Wasser stürzte und davongetrieben wurde. Ahren erkannte den Umriss des Wesens sofort.

»Nadelspinnen!«, entfuhr es ihm. »Tausende von Nadelspinnen! Sie sind überall. Auf den Bäumen, in den Sträuchern, ich glaube, selbst der Boden ist vollständig von ihnen bedeckt.« Ahren unterdrückte ein Würgen bei dem Gedanken an eine solche Masse der aggressiven handtellergroßen Spinnen mit dem riesigen Stachel auf ihrem Rücken und dem kreisrunden Maul in ihrem Bauch. Ihr Gift war tödlich, und Ahren hatte zwei Konfrontationen mit je einer dieser Kreaturen nur knapp überlebt. Vor ihm befand sich jedoch eine wahre Armee dieser Horrorwesen!

Ahren ging in die Hocke und schüttelte fassungslos den Kopf. Wie sollte er sich da nur durchkämpfen? Er hatte nur drei Pfeile, doch selbst drei Dutzend Köcher voller Geschosse hätten ihm hier nicht weitergeholfen. Er rang das Zittern in seinen Händen nieder und schaute hilflos in die mitfühlend dreinblickenden Augen Culhens.

Ich fürchte, ich bin dir da keine Hilfe, sagte der Wolf traurig. Mein Tiersegen schützt mich gegen das Gift, aber ich weiß nicht, ob der Zauber auch hilft, wenn ich von Hunderten von Spinnen auf einmal gestochen werde.

Ahren atmete tief durch und versuchte, zu einem Mindestmaß innerer Ruhe zu finden. In Momenten wie diesen bedauerte er den Verlust seiner Fähigkeit, in die Leere zu gelangen, jenen meditativen Zustand, der es ihm ermöglichte, seinen Geist von jeglichen Ängsten und Zweifeln zu befreien. Aber die mentale Verbindung zu Culhen war viel zu tief und zu stark, als dass der Wolf ihn nicht ablenkte, bevor Ahren diese Geisteshaltung erreichen konnte. Erst vor einigen Wochen hatte er gelernt, zumindest die sensorischen Eindrücke des Wolfs vollständig zu verarbeiten.

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, ließ er Culhens Sinne die seinen ergänzen. Sofort erschien vor seinen Augen eine zweihundert Schritt breite, beide Uferseiten des Flusses abriegelnde Wolke. Sein menschlicher Verstand setzte den Geruchssinn des Tieres auf diese Art und Weise bildlich um, und Ahren erkannte nun das gesamte Ausmaß der Spinnenarmee. Wie eine Blockade aus wimmelnden Leibern schienen sie eine lebende Grenze zu ziehen, die Ahren davon abhielt, die Küste der Klingensee und damit seine Freunde zu erreichen, die an der Flussmündung auf ihn warteten. Wieder lief ein Schauer über Ahrens Rücken, als er daran dachte, sich den Nadelspinnen mit ihren haarigen, dicken Beinen und den kopflosen Körpern stellen zu müssen. Kaum ein Dunkelwesen rief mehr Ekel in Ahren hervor als diese tückischen kleinen Biester. Es war, als hätte jemand eine Mauer aus seiner schlimmsten Angst errichtet, um ihn aufzuhalten.

Vielleicht hat jemand genau das getan, warf Culhen ein, und Ahren riss sich für einen Moment von dem Anblick der Spinnen los und konzentrierte sich stattdessen auf die goldenen Augen des Wolfes.

»Uldini sagte, dass Nadelspinnen vom Widersacher kaum verändert wurden und nicht direkt kontrolliert werden können«, widersprach Ahren. »Deswegen hat Jelninolan sie mit ihrem Zauber gegen Dunkelwesen auch nicht wahrnehmen können.«

Culhen wuffte leise, seine Art, ein Achselzucken auszudrücken. Es scheint, als wären sie gezielt an diesen Ort gerufen worden. Wie nannte Uldini es, als du damals im Immergrün auf Geheiß eines Dopplers eine der Spinnen in deinem Stiefel hattest?

»Eine Einflüsterung«, sagte Ahren nachdenklich. Eine Einflüsterung war ein magischer, subtiler Impuls, der ein Wesen dazu bringen konnte, sich bei einer Entscheidung im Sinne des Einflüsternden zu verhalten. Wenn man an einer Wegkreuzung links statt rechts ging, weil der Zaubernde es so wollte, unterlag man einer Einflüsterung. Allerdings hatte Ahren bisher nicht den Eindruck gehabt, dass dieser Zauber derart stark sein konnte.

Das kommt bestimmt darauf an, wer – oder besser was – sie ausspricht, sagte Culhen, und in Ahrens Geist tauchte der Umriss einer hageren, in unscheinbare Lumpen gehüllten Gestalt auf, die Erscheinung, in der Er, der zwingt, ihn damals bei seiner Ernennung heimgesucht hatte. Nur das Opfer des Kobolds Tlik hatte Ahren davor bewahrt, sich in einem Akt der Verzweiflung das Leben zu nehmen, um nicht unter den Willen des Dunklen Gottes zu fallen, der nach wie vor in seinem erzwungenen Schlaf in der Bannsäule lag. Wenn wirklich der Widersacher den Impuls an die Spinnen gesandt hatte, sich ihm in den Weg zu stellen, dann mussten Tausende seinem Zauber gefolgt sein. Und es würden noch mehr werden.

»Wir müssen da durch und zwar jetzt«, sagte Ahren entschieden und zwang sich, die wimmelnde Masse aus insektoiden Leibern genauer zu beobachten. Sie schienen sich nicht auf ihn und Culhen zu konzentrieren, sondern verhielten sich ganz natürlich – von der Wahl ihres Aufenthaltsortes einmal abgesehen. »Meinst du, du kannst sie umlaufen?«, fragte er Culhen zweifelnd.

Wenn ich keine Rücksicht auf dich nehme, bin ich natürlich schneller als diese kleinen springenden Teufel, sagte Culhen verächtlich. Ahren spürte eine gewisse Nervosität hinter den großspurigen Worten des Wolfes und streichelte seinem treuen Freund das weiße Fell.

»Dann halten wir den Plan kurz und unkompliziert: Du rennst außen herum, ich tauche durch den Fluss«, sagte Ahren entschieden. »Die Strömung wird mir helfen, unter Wasser schnell an dieser lebenden Blockade vorbeizugelangen. Wenn alles gut geht, ist der Spuk nach dreißig Herzschlägen vorbei.«

Ahren war sich darüber im Klaren, dass er mit seinen Worten eher versuchte, sich selbst als den Wolf zu überzeugen.

Klingt sinnvoll, kommentierte Culhen die Idee des Lehrlings und leckte ihm dann mit seiner schlabberigen Zunge über die Wange. Pass auf dich auf.

Ahren wischte sich kurz das Gesicht mit dem Ärmel ab und als er damit fertig war, hatte Culhen bereits begonnen, sich in einem atemberaubenden Tempo durch den Dschungel zu bewegen. Der Wolf sprang mit spielerischen Sätzen über schritthohe Hindernisse hinweg und nutzte jede Lücke im Unterholz zu seinem Vorteil. Erst jetzt erkannte Ahren, wie sehr sich sein Gefährte in den letzten Wochen an die neue Umgebung angepasst hatte, und es erstaunte ihn immer wieder, wie instinktiv und mühelos Culhen dazulernte.

Weniger bewundern, mehr schwimmen, rügte ihn das Tier mit einem humorigen Unterton, und Ahren musste selbst dann noch grinsen, als er sich bereits ins Wasser gleiten ließ. Das Selbstvertrauen des Wolfes war ansteckend, und der Lehrling war überrascht, wie wenig Angst er bei dem Gedanken verspürte, unter einem Haufen hochgiftiger Nadelspinnen hindurchzutauchen. Anscheinend stumpfte er lebensgefährlichen Situationen gegenüber immer mehr ab. Entweder das, oder er verlor den Verstand.

Ahren ließ sich in die Mitte des an dieser Stelle acht Schritt breiten Flusses treiben und tauchte probeweise den Kopf unter Wasser. Die Sicht war erstaunlich klar, da das Wasser schnell, aber ohne große Turbulenzen im ebenen Flussbett dahinglitt. Die kräftigen Sonnenstrahlen taten ihr Übriges, sodass Ahren einige Schritt in jede Richtung sehen konnte. Die Wassertiefe schätzte der Lehrling auf gut anderthalb Schritt. Nicht so viel Abstand zu den Spinnen, wie er gerne gehabt hätte, aber ausreichend, um seinen Plan umzusetzen. Er richtete sich wieder auf und ließ sich vom Fluss zwei Dutzend Schritt in Richtung der Nadelspinnen treiben, indem er sich nicht länger gegen die Strömung stemmte, sondern die Füße vom Flussbett löste. Er wollte so nahe wie möglich an die Armee aus kleinen umherkrabbelnden Leibern heran, bevor er Luft holte und untertauchte, da er nicht wusste, wie weit sich das spinnenverseuchte Gebiet flussabwärts erstreckte. Das Letzte, was er wollte, war, mitten zwischen den giftigen Tieren mit ihren langen Stacheln und gierigen Mäulern an die Oberfläche kommen zu müssen, um Luft zu holen.

Er schüttelte den Kopf und riss sich zusammen, um diese Horrorvision zu verscheuchen.

Danke für dieses detaillierte Bild in meinem Kopf, sagte Culhen, der schon so weit entfernt war, dass ihre Verbindung schwächer wurde. Das ist immer sehr hilfreich, wenn man sich konzentrieren will.

Ahren erweiterte kurz seine Wahrnehmung und sah durch die Augen des Wolfes, dass dieser in einem weitläufigen Bogen um die Spinnen herum hetzte. Dabei bemerkte er jedoch subtile Veränderungen in dem Band aus wimmelnden Leibern.

Versuchen sie etwa, dir den Weg abzuschneiden?, fragte Ahren ungläubig.

Nicht direkt, antwortete Culhen. Aber es scheint, als wären sie aggressiver als sonst und als reagierten sie auf jedes Lebewesen in ihrer Umgebung. Ich bin an einem Haufen toter Tiere vorbeigekommen. Kein schöner Anblick.

Kurz sah Ahren in Culhens Erinnerung aufgedunsene, grotesk verrenkte Wildschweine, Tiger und Affen, die alle dem grausamen Spinnengift zum Opfer gefallen waren, und er zuckte schnell aus dem Verstand des Wolfes zurück. Ich denke, damit sind wir quitt, sagte Ahren angeekelt, und eine neue Welle der Nervosität übermannte ihn.

Culhen übermittelte eine Entschuldigung, und dann unterdrückten die beiden stillschweigend ihre Verbindung, um sich jeder für sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.

Ahren ließ sich weiter auf die Dunkelwesen zutreiben und beobachtete kritisch die kleinen haarigen Leiber. Sobald er eine Veränderung in ihrem Verhalten bemerkte, wollte er mit seinem Tauchmanöver beginnen. Er atmete tief und langsam ein, um seinen Körper auf eine längere Kraftanstrengung vorzubereiten, und hoffte, dass seine Schwimmkünste und Ausdauer ausreichen würden. Er dachte an den Dschungelstamm und seine exzellenten Schwimmer zurück, die tagaus tagein die kostbaren Algen in ihrem Fluss kultivierten. Jetzt wünschte Ahren sich, er und Khara hätten sich nicht mit einigen von ihnen angelegt, sondern lieber an einem gemütlichen Lagerfeuer bei Essen und Gesang Tauchtipps ausgetauscht.

Während er noch seinem Tagtraum nachhing, in dem sie alle als gute Freunde auseinandergingen, kam Bewegung in den Spinnenschwarm. Obwohl die knolligen Leiber keine Köpfe hatten, schien es Ahren plötzlich, als würden sich die Spinnen alle in seine Richtung drehen und ihn aufmerksam beobachten. Als die Ersten begannen, sich näher ans Ufer zu schieben und die tief hängenden Äste, die aufs Wasser hinausragten, entlangzukrabbeln, entschied Ahren, dass es höchste Zeit war, dem Grund des Flusses einen schönen, langen Besuch abzustatten.

Er holte ein letztes Mal tief Luft und tauchte dann unter, um mit kräftigen Zügen dicht über den Boden des Flussbettes zu gleiten. Hochkonzentriert bemühte er sich um gleichmäßige, kontrollierte Schwimmzüge, die ihm nicht zu schnell die Atemluft rauben würden, und ließ die Strömung des Wassers ihren Teil dazu beitragen, ihn unter den tausenden giftigen Stacheln und Mündern hinwegzutragen, die über ihm lauerten. Er warf immer wieder einen Blick zur Oberfläche, aber außer den verschwommenen Bewegungen kleiner brauner Leiber konnte er nicht viel gegen den gleißenden Himmel erkennen. Er schätzte, dass er bereits fünfzig Schritt zurückgelegt hatte, und bis jetzt war nur ein leichtes Brennen in seinen Lungen zu spüren. Ahren hoffte, dass er noch einmal dieselbe Strecke zurücklegen konnte, bevor ihm die Luft ausging, und entspannte sich ein wenig.

Zug um Zug glitt er vorwärts, sicher, den Spinnen entkommen zu sein, denn es wären schon Abertausende nötig, um ein eine Länge breites und zugleich mehr als hundert Schritt tiefes Band aus Nadelspinnen zu erschaffen. Er stellte sich gerade vor, wie er den anderen von seinem Abenteuer berichten würde, als neben ihm etwas ins Wasser fiel. Ahren dachte zuerst an einen kleinen Ast oder ein großes Blatt, aber dann erkannte er entsetzt, dass es eine Nadelspinne war!

Das kleine Wesen wurde von der Strömung fortgerissen, aber der Lehrling war sich sicher, dass sich der Stachel der Spinne für den Bruchteil einer Sekunde in seine Richtung gereckt hatte. War das Tier unfreiwillig in den Fluss gefallen oder hatte es sich etwa in die Fluten gestürzt, in dem tödlichen Versuch, ihn zu stechen? Ahrens Puls schoss in die Höhe, und sofort wurde der Sauerstoff in seinen Lungen knapper. Er wusste, er musste ruhig bleiben, aber da plumpsten schon drei weitere der Dunkelwesen ins Wasser, eines direkt vor seiner Nase. Ahren sah verschwommen das reflexartig auf- und zuschnappende Maul der Kreatur vor sich, bevor sie davongetrieben wurde, und hielt für einen Moment am Fuße des Flussbettes inne, ein Würgen und Schaudern unterdrückend. Dann fielen rund um ihn ein gutes Dutzend der giftigen Dunkelwesen in den Fluss, und der Lehrling ließ alle Selbstkontrolle zugunsten maximaler Geschwindigkeit fahren.

So schnell er nur konnte, schwamm er mit rudernden Armen vorwärts. Sein Kopf zuckte wie wild von links nach rechts, als er versuchte, den immer häufiger in die Fluten stürzenden Nadelspinnen auszuweichen, die zwar in Windeseile ertranken, aber für den Zeitraum einiger Herzschläge lebendig genug waren, um ihn stechen oder beißen zu können. Scharenweise ließen sich seine Angreifer von den Bäumen in den Fluss fallen, wie von Sinnen schienen sie sein ungeschütztes Fleisch zu suchen. Ebenso wild kämpfte Ahren um jeden Schwimmzug, der ihn aus diesem Wahnsinn befreien würde, während ihm die Atemluft immer knapper wurde. Das Blut pochte in seinem Kopf, die Ränder seines Blickfeldes engten sich zusehends ein, und ihm war klar, dass er nicht mehr lange durchhalten würde. Wie ein giftiger Hagel prasselten rings um ihn Nadelspinnen ins Wasser, und der Fluss trieb bereits über hundert ertrunkene Exemplare vor ihm her. Die Anspannung in seinem Inneren wollte sich in einem Schrei lösen, aber ein Teil von Ahrens Verstand machte ihm klar, dass dies sein Ende sein würde. Schon jetzt war der Gedanke an einen Zug Atemluft ein verführerischer Sirenengesang in seinem Kopf und bald würde er dem Ruf der Oberfläche nicht mehr widerstehen können. Umgeben von sterbenden Nadelspinnen, die ihre letzten Momente dem Bemühen widmeten, auch sein Ende zu besiegeln, fasste er einen Entschluss: Bevor er unkontrolliert auftauchte, würde er es lieber gleich und zu seinen Bedingungen tun.

Wild und mit aller Kraft stieß er sich vom Grund ab und durchbrach in einem Hechtsprung die Wasseroberfläche. Er tat einen gierigen Atemzug und sah sich dabei hastig um. Überall in den Wipfeln hüpften und sprangen die Nadelspinnen in einer Welle wuselnder Leiber von Baum zu Baum, um mit ihm Schritt zu halten und sich nach und nach in den Fluss zu stürzen. Ahren traute seinen Augen nicht und tauchte blitzschnell wieder unter Wasser, obwohl sein Köper nach viel mehr Luft lechzte. Ihm war klar, dass er nicht lange in der halbwegs sicheren Umarmung des Flusses verweilen konnte, bevor er erneut Atem holen musste. Verwirrt und verzweifelt versuchte er zu verstehen, was hier vor sich ging. Dies war keine Einflüsterung: Hier wurde direkte, todbringende Kontrolle über einen riesigen Schwarm Nadelspinnen ausgeübt! Ahrens Gedanken kreisten durcheinander wie die Körper der widerlichen Kreaturen um ihn herum, die sich lebensverachtend in das reißende Nass warfen, um ihn zu Tode zu bringen. Er presste sich förmlich auf den Grund des Stroms, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die noch lebenden Dunkelwesen zu bringen, die wieder und wieder in die Fluten des Wassers eintauchten. Panisch dachte er an das nächste Auftauchen und daran, dass jedes Luftholen ein Spiel mit dem Tod bedeutete. Schon schrien seine Lungen wieder nach Sauerstoff, und Ahren blieb nichts anderes übrig, als sein Manöver zu wiederholen.

Er wartete, bis weniger Nadelspinnen an der Oberfläche trieben, und stieß sich ab, um ein weiteres Mal zu Atem zu kommen. Als er mit dem Kopf durch das Wasser brach, spürte er, wie etwas auf seinem Kopf landete. Wild um sich schlagend versuchte er, die Spinne abzuschütteln, bevor sie ihn stechen oder beißen konnte. Gleichzeitig hörte er, wie Spinnen auf das Leder seiner Rückenpanzerung prasselten, und gleich darauf das Geräusch von Zähnen und Stacheln, die sich in das nasse Material bohrten. Das Flussufer schien zu beiden Seiten regelrecht vor Nadelspinnen zu brodeln, und vor lauter Furcht vergaß Ahren beinahe das Atmen. Schnell nahm er eine weitere Lunge voll Luft auf und sank schnellstens wieder in die rettenden Fluten. Kurz bevor das Wasser sich über seinem Gesicht schloss, erblickte der Lehrling in der Ferne eine schattenhafte Gestalt, die aus der wimmelnden Masse der Dunkelwesen herausstach: eine Nadelspinne, so groß wie Ahrens Unterarm!

Er ließ sich schnell wieder auf das Flussbett sinken und bewegungslos von der Strömung flussabwärts treiben, um die Zeit unter Wasser zu maximieren, indem er seine Kraftanstrengungen auf das Nötigste reduzierte. Die Nadelspinnen wurden von seinem Rückenpanzer gespült, und nachdem sich die erste Angst gelegt hatte, begriff Ahren nun, dass er hier unten sicher sein würde. Keine der Spinnen tauchte tief genug ein, um ihn auf dem Grund des Flussbetts zu erwischen, da sie zuvor aufgrund ihres geringen Gewichtes davongetrieben wurden. Allerdings war ihm klar, dass sie ihn früher oder später während des Auftauchens erwischen würden. Und ebenso glaubte er, nun den Grund für ihr selbstzerstörerisches Verhalten zu erkennen. Die große Nadelspinne hatte in ihrem wuchtigen, haarigen Körper zwei rot glühende Augen besessen. Was für ein Wesen dies auch war, der junge Paladin war sich sicher, dass von diesem Ding die Kontrolle über den Schwarm ausging.

Mit diesem Wissen schlug die Hilflosigkeit des Lehrlings in Tatendrang um. Dies hier war seine Lange Woche, die finale Prüfung, um endlich als Waldläufer anerkannt zu werden. Und Waldläufer töteten Dunkelwesen. Tausenden von Nadelspinnen hatte er nichts entgegenzusetzen, aber dieser einen, der konnte er den Garaus machen – denn schließlich hatte er drei Pfeile. Er zog seinen Bogen von der Schulter und legte einen Pfeil auf. Diese sonst so gewohnte Handlung ging ihm unter Wasser umständlich und langsam von der Hand, wodurch er kostbare Zeit verlor. Die Luft wurde ihm wieder knapp, aber wenn er schon auftauchen musste, wollte er dabei zumindest versuchen, diesem Ding, das ihm seine kleineren Artgenossen auf den Hals hetzte, einen Pfeil zu verpassen.

Er zog seine Beine fest unter sich an den Körper, suchte mit den Augen nach dem verräterischen großen braunen Fleck am Ufer und stieß sich dann mit aller Kraft vom Boden ab, um diesmal nicht nur den Kopf aus dem Wasser zu strecken, sondern um dem Griff des Flusses so weit wie möglich zu entkommen und so besser zielen zu können. In einer Fontäne aus in der Sonne funkelnden Wassertropfen löste sich Ahren aus den dahinströmenden Fluten, spannte dabei seinen Bogen und ließ einen Pfeil in die Richtung des anführerhaften Wesens fliegen. Das nasse Gefieder des Geschosses ließ die Flugbahn ungenau werden, aber die Strecke war nur kurz und so traf der Pfeil mitten in den knolligen Körper der Bestie. Ein wütendes Zischen war die Antwort, als die Spinne sich reflexhaft zusammenkrümmte. Alle anderen Nadelspinnen des Schwarms verharrten unter dem Schmerzenslaut des Dunkelwesens regungslos in den Bäumen; es schien, als halte der Schwarm für einen geschockten Herzschlag inne. Ahren ergriff diese Chance, noch bevor sein Verstand sie vollständig erfasst hatte. Mehr aus Instinkt als aus reiflicher Überlegung zog Ahren schwer nach Luft schnappend einen weiteren Pfeil und jagte ihn wassertretend in die übergroße Nadelspinne, die sich nun wild zuckend zusammenballte. Der Lehrling erkannte einen Todeskampf, wenn er ihn sah, und mit einem wilden Grinsen auf den Lippen ließ er sich ins Wasser zurücksinken, gerade als die ersten Mitglieder des Schwarms sich wieder in Bewegung setzten.

Zufrieden ließ Ahren sich zum Grund absinken und wartete dort im trägen Griff der Strömung ab. Das große Vieh war weidwund getroffen, er musste nur noch abwarten, bis es verendete, dann sollte sich der Schwarm auflösen. Zumindest hoffte er das. Gerade dachte er noch darüber nach, was passieren mochte, wenn die große Spinne nicht für das Verhalten ihrer kleinen Artgenossen verantwortlich war, als er über sich einen Schatten auftauchen sah. Ahren drehte sich am Grund des Flusses auf den Rücken, um besser sehen zu können, und konnte einen kurzen Schrei nicht verhindern, der ihn umgehend Wasser schlucken ließ. Die riesige Nadelspinne hatte sich bis ans Ufer gekämpft und schien bereit, es ihren Artgenossen gleichzutun. Schon kämpfte sich der einen halben Schritt durchmessende Rumpf der Kreatur mit wild um sich schlagenden, haarigen Beinen bis zum ihm vor, der armlange Stachel auf dem Rücken zum Zustechen bereit. Ahren blieb keine Zeit für eine zielgerichtete Handlung und so drosch er das Wesen mit seinem Bogen zur Seite, den er noch immer in der Hand hielt. Die Spinne trudelte davon, das große Maul an ihrem Bauch noch immer in seine Richtung schnappend. Mit einem Knurren in der Kehle riss Ahren seinen letzten Pfeil aus dem Gürtel und rammte ihn in die kreisrunde Öffnung voller Zähne. Dort, wo sein Dolch ihn zu nahe an die Beißwerkzeuge herangeführt hätte, leistete das lange Holz mit der eisernen Spitze ganze Arbeit. Von Ahrens muskulösem Arm bis tief in das Innere der Kreatur getrieben, beendete der Pfeil das unheilige Leben der todbringenden Spinne, die nun leblos davontrieb. Ein Blick zur Wasseroberfläche gab Ahren Grund zur Hoffnung, denn es schien, als würden sich keine weiteren Dunkelwesen mehr ins Wasser stürzen. Seinen Atemreflex unterdrückend schnellte er nach oben und hustete und keuchte sich dort die Seele aus dem Leib, während er sich sorgenvoll umsah. Noch immer war die Umgebung voller wimmelnder Leiber, aber diese schienen nun ziellos und weniger aggressiv zu sein und eher darauf erpicht, schnell der Gegenwart der anderen Spinnen zu entkommen. Nadelspinnen waren Einzelgänger, und was Ahren hier unter schmerzhaften Atemzügen sah, bestätigte seine Vermutung, dass diese Königsspinne die Kontrolle auf die kleineren Vertreter ihrer Art ausgeübt hatte.

Ahren ließ sich erschöpft und ausgelaugt auf dem kühlen Wasser treiben, wobei er die Wärme der kräftigen Sonne in seinem Gesicht genoss. Der Dschungel schien ihm mit einem Mal farbenfroher und lebendiger zu sein als je zuvor, und sein Herz schien ihm überzugehen, als seine Nase die mannigfaltigen Gerüche wahrnahm, die die exotische Pflanzen- und Tierwelt um ihn herum verströmte. Der Lehrling wusste, dass da die Todesangst aus ihm sprach, aber es kümmerte ihn nicht. Er hatte sich einer fürchterlichen Bedrohung ganz allein und ohne jedwede fremde Hilfe gestellt und sie überlebt. Wieder musste er grinsen, aber diesmal gab er sich keine Mühe, es zu unterdrücken.

So trieb er den Fluss hinab, zufrieden mit sich und der Welt, und wenn jemand ihn hätte hören können, wäre demjenigen ein zufriedenes Summen aufgefallen, das von dem jungen Paladin aufstieg und sich unter die wiedererwachenden Laute des Dschungels mischte.

Als Culhen wieder zu seinem Freund stieß, schwamm der noch immer den Fluss hinab. Ahrens Zufriedenheit war nach und nach verblasst, als ihm klar geworden war, dass viele der Nadelspinnen am Ufer entlang das Weite suchen würden und eine Rückkehr an Land für ihn damit hochgefährlich wäre. Zwar nahm die Anzahl der Kreaturen mit jeder Länge deutlich ab, da sich immer wieder Dutzende von ihnen ins Innere des Dschungels aufmachten, aber solange Ahren auch nur eines der Wesen sehen konnte, blieb er lieber, wo er war. Er hätte nicht gedacht, dass er im Dschungel einmal frieren würde, aber nachdem er den Großteil des Tages im Wasser verbracht hatte, war er mittlerweile deutlich ausgekühlt. Außerdem wurden ihm die Arme und Beine schwer vor Anstrengung, doch die Strömung allein hätte ihn zu langsam vorangebracht, sodass er sich trotz seiner Müdigkeit dazu zwang weiterzuschwimmen, um spätestens zur Nacht aus dem Fluss heraus zu sein. Er besaß nun keine Pfeile mehr, sondern nur noch einen lädierten Bogen und einen Dolch. So spärlich bewaffnet wollte er nicht in den südlichen Dschungeln durch einen nächtlichen Fluss planschen.

Du siehst irgendwie ramponiert aus, kommentierte der Wolf seine Erscheinung.

»Sei vorsichtig, da sind überall noch Spinnen«, sagte Ahren missmutig.

Das geht schon. Ich passe auf, wo ich hintrete, und mein Tiersegen ist ja auch noch da, tat Culhen die Bedenken des jungen Paladins ab.

»Hoffentlich hauen die letzten Viecher bald ab«, maulte Ahren ungeduldig. »Ich will endlich aus dem Wasser raus.«

Wenn du vom Wasser genug hast, muss ich dich enttäuschen, sagte Culhen mit einem neckenden Unterton. Ich rieche bereits das Salz des Meeres in der Luft. Dabei reckte der weißbefellte Wolf seine Nase demonstrativ in die Luft und schnüffelte ein paar Mal.

Ahren wurde sofort lebhafter, als er das hörte, und versuchte seinerseits, etwas zu riechen. Aber erst, als er sich Culhens Nase bediente, konnte er einen Hauch des charakteristischen Salzgeruchs wahrnehmen, der die Nähe der Küste ankündigte.

»Wie weit ist es noch? Was denkst du?«, fragte er aufgekratzt und begann schneller zu schwimmen, obwohl er eigentlich viel zu müde dafür war. Aber die Aussicht, Khara und die anderen wiederzusehen, mobilisierte neue Kräfte in ihm.

Ein oder zwei Längen würde ich sagen. Ich habe eine sehr gute Nase, weißt du?, kam die Antwort.

Ahren rollte die Augen und schwamm stumm weiter. Culhens Eitelkeit war weiterhin ungezähmt und wurde mittlerweile von einer schier unerschütterlichen Selbstsicherheit unterfüttert, sodass Ahren sich sicher war, sein Wolf würde diesen Wesenszug niemals ablegen.

Das Tier schnaubte. Und ich dachte, du liebst mich so, wie ich bin, schmollte er spielerisch.

»Dich schon, aber dein Ego bisweilen nicht«, konterte Ahren prustend. Dann ging er dazu über, lautlos mit dem Wolf zu kommunizieren, um nicht aus Versehen Wasser zu schlucken. Ich konzentriere mich aufs Schwimmen. Sag mir Bescheid, sobald die restlichen Spinnen weg sind.

Culhen übermittelte ihm seine Zustimmung, und Ahren erlaubte sich das erste Mal seit Stunden, die Ufer links und rechts auszublenden. Die Sonne senkte sich im Westen langsam gen Horizont und stand damit schräg in seinem Rücken, sodass ihre Strahlen ihn nicht blenden konnten. Der Dschungel selbst ertönte in einer Symphonie des Lebens, und der Fluss schien ihm dabei helfen zu wollen, seine Freunde schneller zu erreichen, denn nach einer Weile wurde die Strömung deutlich stärker.

Culhen rannte bellend voraus, auch der Wolf schien sich sichtlich zu freuen, die anderen wiederzusehen. Es ist nicht mehr weit, sandte er Ahren zu, wobei der Lehrling bemerkte, dass das Tier seinen Geist vor ihm abschottete. Irgendetwas sollte der junge Paladin nicht sehen, aber was?

Bevor er weiter in Culhens Gedanken nachforschen konnte, begann ein immer lauter werdendes Tosen einzusetzen, das Ahren viel zu spät als das Geräusch eines Wasserfalls erkannte. Die rasant stärker werdende Strömung hatte den ermüdeten Lehrling bereits fest im Griff und da tauchte auch schon die Klippe auf, über die sich die Wassermassen abwärts stürzten.

Culhen saß am rechten Ufer auf seinen Hinterpfoten und hechelte Ahren schelmisch entgegen. Jetzt tief Luft holen, sagte der Wolf, und Ahren spürte noch die tiefe Belustigung des Tieres, als er auch schon über die Kante der Felswand gespült wurde.

»CUUULHEEEEN!«, schrie der Lehrling, während er, umgeben von einer Wolke aus Gischt und Wassertropfen, zwanzig Schritt in die Tiefe fiel. Undeutlich konnte er unter sich einen kleinen See ausmachen und … erblickte er da etwa seine Freunde?

Bevor er genauer hinsehen konnte, schlug er auf der Wasseroberfläche auf und wurde von den mit ihm in die Tiefe fallenden Fluten bis zum Grund hinabgedrückt, wo er kräftig umhergewirbelt wurde. Schnell stieß er sich mit seinen Füßen vom Boden ab und mobilisierte seine letzten Kräfte, um außerhalb des auftreffenden Wassers an die Oberfläche zu gelangen. Er blinzelte sich die Tropfen aus den Augen und tat dabei ein paar kräftige Schwimmzüge, während er in Gedanken auf seinen treulosen Wolf einschimpfte, der sich förmlich kugelte vor Vergnügen. Der Lehrling starrte an der Felswand mit dem Wasserfall empor und sah, wie Culhen seitlich des donnernd herabstürzenden Flusses geschickt über Vorsprünge im Stein abwärtssprang und im Nu am Ufer des Sees ankam. Der junge Paladin ließ ein Donnerwetter aus Flüchen auf den Wolf niedergehen, als hinter ihm eine Stimme ertönte, die er überall wiedererkannt hätte.

»Erst fällst du mir beinahe auf den Kopf und dann ignorierst du mich?«, hörte er Khara sagen.

Er wirbelte herum und starrte in das amüsierte Gesicht der Schwertkämpferin, die keine zwei Schritt von ihm entfernt Wasser trat und ihn spöttisch tadelnd ansah. Ahren wurde für einen Moment schwindelig und er war sich sicher, dass dieses dümmliche Grinsen, das ihn wie einen Trottel aussehen ließ, auf seinem Gesicht zurück war, aber das war ihm egal. Er hatte den Eindruck, dass Khara in der letzten Woche noch schöner geworden war, und er näherte sich ihr stürmisch, während er die Augen nicht von ihr nahm. Ihr nasses schwarzes Haar schien wie ein seidiger Vorhang in ihren Nacken hinabzufließen und die niedliche Stupsnase war herausfordernd emporgereckt. Echte Freude über seinen Anblick lag in ihren dunklen Augen, die geheimnisvoll dreinblickten. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, und als er sie in die Arme nehmen wollte, legte sie ihre Hände auf seine Schultern.

Erwartungsvoll öffnete er die Lippen und beugte sich vor, um sie zu küssen, als Kharas Augen groß wurden und sie ihn mit einem Schrei voller Ekel unter Wasser drückte und sich von ihm abstieß. Prustend und mit einem verletzten Gesichtsausdruck kam Ahren wieder an die Oberfläche, aber Khara deutete bereits auf seine linke Schulter.

»Da hängt eine tote Nadelspinne in deinem Haar!«, rief sie angewidert, und Ahren versteifte sich vor Grauen. Schnell zog er seinen Dolch aus dem Gürtel, und während Khara an Land schwamm, stocherte er so lange in seiner wilden Mähne herum, bis er auf Widerstand stieß. Schnell schnitt er den Kadaver aus seinen Haaren und folgte Khara ans Ufer, wo seine Freunde bereits zusammen mit Culhen auf ihn warteten.

Danke für die Warnung, fauchte Ahren über ihre Verbindung. Sowohl wegen des Wasserfalls als auch wegen der Spinne.

Culhen zeigte sein hechelndes Wolfslächeln. Der Wasserfall war für dich schneller und sicherer, als die steile Felswand hinabzuklettern, antwortete das Tier souverän. Und die tote Spinne habe ich nicht gesehen. Du wolltest ja unbedingt die ganze Zeit im Fluss bleiben.

Während Ahren an Land schwamm, blickte er sich genauer um. Der kleine See, der durch den Wasserfall gespeist wurde, hatte einen breiten Ablauf, der keine hundert Schritt entfernt ins Meer mündete. Ahren konnte jetzt ohne Probleme das Salz des Meeres in der Luft riechen, in der Ferne die Brandung hören und hier und da das strahlende Gelb des Strandes erkennen. Direkt um den See herum war jedoch ein lichter, freundlicher Dschungel zu sehen, der so nahe an der Küste deutlich weniger intensiv zu wuchern schien und das Licht der Abendsonne großzügig zwischen seinen Blättern hindurchscheinen ließ. Eine Feuerstelle, Schlafrollen und ein kleiner Berg Ausrüstung kündeten von dem Lager, das seine Freunde errichtet hatten, die ihn nun erwartungsvoll ansahen, als er näherschwamm.

Sein Meister Falk reichte ihm die Hand, um ihm aus dem Wasser zu helfen. Der breitschultrige, grauhaarige Mann mit dem kurzen Vollbart und den ernsten grauen Augen musterte seinen Lehrling kritisch, während der zum ersten Mal seit Stunden an Land trat. »Bist du fauler Nichtsnutz etwa den ganzen Weg hierher geschwommen?«, brummte er gutmütig. »Dies sollte deine Lange Woche werden, kein Badeausflug.«

Ahren winkte ab und nahm seinen Bogen von der Schulter, dessen Holz verzogen und aufgequollen war. »Das ist eine wirklich lange Geschichte, die ich euch allen gerne an einem Lagerfeuer bei einer anständigen Mahlzeit berichten werde«, sagte er fest.

»Hört, hört«, erklang eine sarkastische Stimme hinter Falk. »Er ist noch immer ein Lehrling, hat aber schon die Ansprüche eines Meisters.« Die kleine Gestalt Uldinis schob sich an Falk vorbei und grinste ihn herausfordernd an. Niemand, der den schmächtigen, scheinbar zehn Winter alten Jungen mit der dunklen Haut und dem kahlrasierten Kopf sah, konnte auch nur ahnen, dass Uldini Getobo, Oberster der Alten und somit ein legendenumwobener, uralter Meistermagier vor ihm stand. Das magische Genie des Zauberers war so herausragend, dass er bereits als Kind das Geheimnis der Unsterblichkeit entdeckt hatte, und so steckte der alterslose Magier unwiderruflich in seiner jungenhaften Gestalt fest.

»Lasst ihn in Ruhe. Er braucht ein Feuer und etwas Nahrung«, sagte eine hochgewachsene Elfe von schlanker Gestalt und mit roten Haaren, die in einer faszinierenden grünsilbernen Robe steckte, deren Farben wie miteinander verschmolzen wirkten. Jelninolan, Priesterin von Ihr, die fühlt, eine der Alten und erste Sturmweberin seit Jahrhunderten, lächelte ihm freundlich zu und bedeutete ihm, ihr zu folgen.

Ahren wollte ihr nachgehen, als er plötzlich von hinten mit mächtigen Pranken umklammert und in einer unfreiwilligen Umarmung hochgehoben wurde. Er wusste, wem die starken Arme gehörten, die ihn da durchschüttelten, und dann erklang auch schon das schallende, lebhafte Lachen Trogadons. »Da ist man einmal Feuerholz holen und schon verpasst man die Ankunft unseres tapferen Helden«, röhrte dieser ausgelassen, während er den kräftigen jungen Mann, der einen guten halben Schritt größer war, so leicht hin und her schüttelte wie eine strohgefüllte Stoffpuppe. »Ist das schön, dich zu sehen«, freute sich der Zwerg.

»Das Kompliment würde ich gerne erwidern«, sagte Ahren angestrengt über seine Schultern hinab.

Trogadon ließ ihn los, wirbelte ihn herum und nahm Ahrens Unterarm in den Kriegergruß. »Ich habe dich vermisst«, sagte der Zwerg herzlich.

»Das glaube ich gerne«, sagte Uldini beißend. »Da unser Lehrling fort war, haben sich alle mit ihren Witzen auf dich eingeschossen.«

»In deinen Träumen, du eingelaufener Magier. Solange ich dir noch auf den Kopf spucken kann, hältst du besser die Klappe«, lachte Trogadon.

Uldini erhob sich einen halben Schritt über den Boden – sein Lieblingszauber, wenn es darum ging, sich fortzubewegen. Dann starrte er demonstrativ und hochmütig auf den Zwerg hinab. »Versuche es und du verbringst deine Tage als Kaulquappe in diesem See«, drohte er dem muskelbepackten, untersetzten Krieger.

Der lachte jedoch nur und schlug Ahren eine schwielige Hand auf den Rücken. »Komm, lass uns zum Lagerfeuer gehen. Ich denke, Khara wird dich noch einmal richtig begrüßen wollen.« Dabei zwinkerte der Zwerg anzüglich und wackelte mit den buschigen steingrauen Augenbrauen, die über seinen lebhaft glitzernden Augen hervorquollen. Der kompliziert geflochtene Vollbart des Zwergenkriegers fiel in mächtigen Zöpfen auf seine fassförmige Brust und zusammen mit seinem anzüglichen Grinsen wirkte Trogadon in diesem Moment eher wie der zotige Onkel auf einer Familienfeier als der Träger eines zwergischen Ahnennamens.

Ahren folgte dem Blick des Kriegers, und dann blieb ihm beinahe das Herz stehen. Khara hatte Ahrens Begrüßung durch seine Gefährten dazu genutzt, ihre Kleidung zusammenzusammeln, trug aber noch immer nicht mehr als einige eng um den Körper geschlungene Bahnen weißen Elfenstoffs, in denen sie baden gegangen war. Sie lächelte ihn von dem kleinen prasselnden Lagerfeuer aus an, an dem die Habseligkeiten und Bettrollen der Gruppe lagerten.

Mit einigen schnellen Schritten ließ er die anderen hinter sich und stand in Windeseile vor der sich erhebenden Khara. Sie streichelte ihm liebevoll über die bärtige Wange und musterte ihn eindringlich.

»Bist ja ganz schön zugewachsen«, neckte sie ihn mit einem leichten Zittern in der Stimme.

Ahren schlug das Herz bis zum Hals, und seltsamerweise war er nun nervöser als bei seinem Kampf gegen die große Nadelspinne. Er legte Khara sanft seine linke Hand in den Nacken und beugte sich langsam zu ihr hinunter, bereit, auf das kleinste Anzeichen von Ablehnung sofort zu reagieren. Nicht nur dass Khara eine Meisterin des unbewaffneten Nahkampfes war, Ahren wollte auch auf Nummer sicher gehen, dass die sonst so verschlossene junge Frau seine Nähe begrüßte. Khara blickte ihm intensiv in die Augen, und es schien Ahren, als würde er in einen tiefen wohligen Strudel gerissen, der ihn nie wieder hergeben würde.

»Ich habe dich vermisst«, flüsterte Khara leise und dann küsste sie ihn eindringlich und voller Leidenschaft, die der junge Paladin feurig erwiderte. Sterne explodierten in seinem Geist, und auch wenn sein Leben davon abgehangen hätte, Ahren hätte später keinen der spöttischen Kommentare wiedergeben können, die in den folgenden Herzschlägen von seinen Freunden auf sie einprasselten. Selbst Culhens Stimme ertönte nur weit entfernt und undeutlich in seinem Kopf, und Ahren spürte, wie sich der Wolf überrascht und schmollend zurückzog, als er nicht zu seinem Freund durchdrang.

Schließlich lösten sich die beiden voneinander, wobei Ahren einen Arm um Kharas Taille geschlungen ließ, ganz so, als wäre sie nur ein flüchtiger Traum, der vergehen würde, sobald er seine Hand fortnahm. Sie lächelte ihn schüchtern an und wurde knallrot, als sie die feixenden Gesichter von Uldini, Falk und Trogadon sah. Geschickt glitt sie aus Ahrens Umarmung und verschwand mit ihrer Rüstung in der Hand im umliegenden Unterholz. Ahren wollte ihr instinktiv folgen, aber Trogadon hielt ihn mit einer schwieligen Pranke zurück, die er auf Ahrens Brust legte.

»Das Mädchen hat dich gerade geküsst, aber das heißt noch lange nicht, dass du ihr beim Umziehen zusehen darfst«, kicherte der Zwerg.

Ahren nickte betreten, noch immer durcheinander von dem Gefühlssturm in seinem Inneren, und setzte sich unter Jelninolans eisernem Blick wieder hin. »Ja, natürlich«, stammelte er. »Ich war nur …«

»Wir alle wissen, was du warst und was du noch bist«, sagte die Elfe streng. »Aber ein Kuss bedeutet nicht, dass du dich nicht länger wie ein Ehrenmann verhältst, oder ich werde einen Sturmwind auf dich herabbeschwören, der dir wochenlang um die Ohren pfeift.«

Ahren nickte heftig, dann drückte ihm Falk eine Schüssel mit einem würzig duftenden Eintopf aus Wildschweinbraten in die Hand. In einem Anflug tiefer Weisheit beschloss Ahren, sich einfach nur auf das Essen zu konzentrieren, in der Hoffnung, irgendwann wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Falk setzte sich neben ihn, und zwar so, dass er den Blick in die Richtung versperrte, in die Khara entschwunden war, und hielt dabei vorwurfsvoll den Lehrlingsbogen seines Schützlings in den Händen. Er deutete auf das lädierte und aufgequollene Holz und fragte düster: »So behandelst du das Geschenk deines Meisters? Ist diese Art von Umgang mit deinem Bogen das, was ich dich in den letzten Jahren gelehrt habe?«

Jeder Gedanke an Kharas weiche Lippen auf den seinen floh aus Ahrens Verstand, als er in das zusammengekniffene Gesicht des alten Waldläufers starrte. »Dafür gibt es eine wirklich gute Erklärung …«, begann Ahren, und unter den aufmerksamen Blicken seiner Gefährten begann er, von seiner Begegnung mit dem Spinnenschwarm und der rätselhaften Riesenspinne zu berichten. Nur das Knistern des Lagerfeuers war neben seinen Worten zu hören. Keiner der anderen unterbrach ihn oder gab gar einen spöttischen Kommentar ab. Die Mienen seiner Freunde wandelten sich nach und nach zu besorgten und tief betroffenen Gesichtern, als der Lehrling von der riesigen Spinnenhorde berichtete, die ihm den Weg zur Küste abgeschnitten hatte. Nach einer Weile stahl sich Khara hinzu, die sich neben Ahren setzte und verstohlen seine Hand in die ihre nahm.

Ahren unterdrückte ein dümmliches Lächeln und fuhr damit fort, die Gefahren des zurückliegenden Tages, die er im Fluss hatte durchleben müssen, detailliert zu beschreiben. Als er zu der Stelle mit der monströsen Nadelspinne kam, hauchte Jelninolan ein »Nicht möglich« in die Runde, ohne jedoch näher darauf einzugehen. Ahren schilderte seinen verzweifelten Versuch, das Wesen mit Pfeil und Bogen niederzustrecken, und wie er die Kreatur unter Wasser erst mit dem Bogen abgewehrt und dann mit seinem letzten Pfeil durchbohrt hatte. Kaum hatte er geendet, als Falk impulsiv aufsprang und den verdutzten Lehrling in eine kurze Umarmung nahm.

»Das ist mein Junge«, brummte der alte Mann leise und ließ seinen Schützling blitzartig wieder los, fast so, als wäre Ahren mit einem Schlag glühend heiß geworden. »Ich meine natürlich: Das hast du recht gut gemacht«, brummte er unwirsch.

Aber Ahren sah an den grinsenden Gesichtern ringsum, dass Falk seine Chance, dass ihm irgendwer die Rolle des brummigen Meisters abnahm, verwirkt hatte – zumindest für den Moment. Khara drückte aufmunternd Ahrens Hand, und er warf ihr ein scheues Lächeln zu, während er die junge Frau eingehend betrachtete. Sie hatte sich komplett eingekleidet, bis hin zu ihrer Rüstung und ihren beiden Klingen. Ihre schwarzen Haare hatte sie mit ihrer Kriegernadel auf dem Kopf hochgesteckt, und alles an ihrer Erscheinung schrie Ahren entgegen, dass er nicht mit irgendwem, sondern mit einer anerkannten Schwertkämpferin aus dem Ewigen Reich Händchen hielt. Ihre Augen funkelten voller Wärme, aber auch kriegerischem Stolz, und der junge Mann war sich zu seinem Bedauern sicher, dass er von Glück reden konnte, wenn er Khara heute noch einen weiteren Kuss geben durfte.

»Es tut mir leid, dass ich die Nadelspinnen nicht bemerkt habe …«, begann Jelninolan, aber Ahren unterbrach sie mit einem Achselzucken.