Der Widersacher - Torsten Weitze - E-Book

Der Widersacher E-Book

Torsten Weitze

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Beschreibung

Ahrens gewaltige Aufgabe, die dreizehn Paladine zu vereinen, ist nach einer jahrelangen, hindernisreichen Reise endlich beendet. Nun bleibt ihm und seinen Gefährten nur noch eins zu tun: die Streiter der Götter und die Armeen der freien Völker Joraths bei ihrem Sturm auf die Obsidianfeste anzuführen. Doch der Widersacher hat eigene Pläne, um seine Erzfeinde zu Fall zu bringen, bevor sie ihn hinter dem hohen Mauern der Feste und inmitten seiner Horden erreichen können, und einer dieser Pläne ist eine Falle, die seit Jahrhunderten darauf wartet, zuzuschnappen…

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Seitenzahl: 813

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Torsten Weitze

Der Widersacher

Der 13. PaladinFinaler Band

Impressum

© Torsten Weitze, Krefeld, 2023Bild: Petra Rudolf / www.dracoliche.deLektorat/Korrektorat: Janina Klinck | www.lectoreena.de

Torsten Weitze c/o LAUSCH medien

Bramfelder Str. 102a

22305 Hamburg

Alle Rechte vorbehalten

www.tweitze.de | Facebook: t.weitze | Instagram: torsten_weitze

Für alle, die es wagen, zu träumen.

Und denkt daran:

Es gibt nichts Schöneres für eine Geschichte, als zum ersten Mal erlebt zu werden …

Inhalt

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

Epilog

Vorwort

Vorwort

Als ich vor sieben Jahren meinen Debütroman »Ahren« schrieb, konnte ich noch nicht ahnen, dass meine eigene Reise als Schriftsteller so sehr der des jungen Lehrlings ähneln würde, der sich mittlerweile in die Herzen Zehntausender Leser geschlichen hat. So wie Ahren heranwuchs und lernte, so entwickelte auch ich mich weiter. Ahren und ich meisterten unsere Dämonen, lernten treue Gefährten kennen, die uns mit Rat und Tat zur Seite standen, und waren doch bis zum Ende unserer Saga angewiesen auf jene Frauen, Männer und Kinder, die wir nie persönlich kennenlernten, die uns aber trotzdem unterstützten (ja, ich meine euch, meine treuen Leser).

Ein Epos wie den Dreizehnten Paladin zu erschaffen, war für mich, der noch nie zuvor eine Zeile geschrieben hatte, eine Herausforderung, die ich nur mittels jener Naivität in Angriff nehmen konnte, die wir alle an Ahren zu schätzen gelernt haben. Umso mehr erfüllt es mich mit Glück und Stolz, dass ich im Laufe der Jahre aus meiner Berufung meinen Beruf machen konnte.

Danke.

Danke euch allen, die ihr mir helft, diesen und weitere Träume niederzuschreiben, auf dass sie euch dabei helfen, eure eigenen Träume zu finden.

Euer Torsten

Prolog

Der Ring und die von ihm umschlossene Obsidianfeste lagen so still da, dass man hätte glauben können, die letzte Schlacht wäre bereits geschlagen und beide Seiten hätten gleichermaßen den Krieg und all ihre Soldaten verloren.

Schwerer Herbstnebel hüllte die Szenerie des grauenden Morgens ein und Quin-Wa wickelte sich enger in den dicken Wollmantel, der sie vor der Kälte schützte. Das rotgoldene Kleidungsstück spannte über ihrem kugelrunden Bauch, den ihre Hände gedankenverloren mit einer schützenden Geste umklammerten.

»Halte noch etwas durch«, flüsterte sie in die scheidene Nacht hinaus und meinte damit sowohl sich selbst als auch das Kind in ihrem Leib. »Deine Mutter muss diese Welt für dich erst in Ordnung bringen, bevor du sie begrüßen kannst.«

Sie wusste, dass diese Worte ein flüchtiger Wunschtraum waren, fast ebenso substanzlos wie jene Nebelschwaden, die ihr Atem in der kalten Luft erzeugte. Ihr Kind sollte das Licht der Welt erblicken, bevor sie selbst sich den Paladinen beim Sturm auf das Ungetüm aus schwarzen Mauern anschließen würde, um den ewigen Feind zu bezwingen, welcher im Inneren der Obsidianfeste lauerte. Der Kampf gegen den Widersacher würde schwer genug werden, auch ohne die Angst um ein unschuldiges Leben, das unter ihrem Herzen wuchs.

Quin-Wa blinzelte ungewollte Tränen fort, als sie daran dachte, wie sehr sie ihrem Kind ein gewöhnliches, unbeschwertes Leben wünschte, abseits der Bürden, die sie selbst, die anderen Paladine und ihre Vorgänger im Laufe der Jahrtausende zu tragen hatten.

Durch das Blinzeln verschwamm der Wahrnehmungszauber, der es ihr erlaubt hatte, bis zum Ring zu blicken. Quin-Wa atmete tief ein und lehnte sich gegen eine der kalten, massiven Zinnen der Burg Hochstein, auf deren Ostturm sie in Richtung Front starrte, die seit vielen Monden zugleich Hoffnung und Fluch der Völker Joraths geworden war. Hoffnung, weil seit Wochen kein Dunkelwesen den Ring durchbrochen hatte. Fluch, weil mit jedem vergehenden Tag die Obsidianfeste uneinnehmbarer erschien, wo doch mehr und mehr bewaffnete und gerüstete Niederfänge auf den Mauern des Verstecks gesichtet worden waren, welches der Dunkle Gott mittels der gestohlenen Magie der Bannsäule dort für sich und seine Armeen erschaffen hatte. Selbst jetzt loderte das unheilige Feuer der Schmieden innerhalb der Festung gen Himmel und verlieh ihm einen unwirklichen Schein. Jede neue Rüstung und jede neue Waffe, die der Gegner schuf, würde die Zahl der Opfer unter den Armeen der freien Völker Joraths erhöhen. Quin-Wa fröstelte erneut, als ihre Vorstellung von einer leblosen Szenerie in der morgendlichen Stille geradezu greifbar wurde. Der Dunkle Gott würde bereitwillig all seine Diener opfern, um die Verteidiger auf den Mauern des Rings auszulöschen. Er wollte einfach nur herrschen. Selbst wenn es eine tote Welt war, die er erbte, würde ihn das nicht kümmern.

Sie drehte den Kopf, als sich ein Schemen, einem lebendig werdenden Schatten gleich, neben ihr bewegte.

»Herrin, Ihr solltet Euch nicht draußen aufhalten. Die Kälte tut keinem von euch beiden gut.«

Quin-Was Lächeln war so dünn wie ein Blatt Papyrus. »Danke, Ro-kani, aber ich kenne meine Grenzen«, rügte sie die Nachtsoldatin.

»Mein Dienst ist mein Leben«, kam die erwartbare Antwort und die dunkel gekleidete Frau sank auf ein Knie hinab. »Wenn ich Euch erzürnen muss, um Euch zu schützen, nehme ich jedwede Strafe durch Eure Hand dankbar an.«

Quin-Wa seufzte und wandte ihren Blick wieder dem Ring zu. »Nur noch ein paar Augenblicke, dann gehe ich hinein …«, begann sie ihre Leibwächterin zu beruhigen, doch da wurden Quin-Was Augen groß und ihr Atem stockte.

Dort, auf einer der fernen Mauern der Obsidianfeste, regte sich etwas. Ein Umriss, der sich schon seit Jahrhunderten immer wieder in ihre ärgsten Träume stahl.

Quin-Wa. Spähst du noch immer in dunklen Ecken herum, in denen du nichts verloren hast?

Die Gestalt hob eine ihrer dürren Arme, und Quin-Wa spürte, wie sich der Wille des Dunklen Gottes sammelte. Sogleich bedeckte die Ewige Kaiserin mit ihren Händen die Augen der überrascht aufkeuchenden Ro-kani und kniff die ihren fest zusammen. Sie spürte etwas Dunkles, Kaltes über sich hinweggleiten, das hungrig nach suchenden Augen tastete, um deren Licht auf ewig zu verschlingen.

»Hinab«, sagte Quin-Wa, die Augenlider noch immer geschlossen. »Schnell, bevor er einen weiteren Zauber schleudert.«

Dankbar klammerte sie sich an der Nachtsoldatin fest, die auch ohne Sicht behände und mühelos den Eingang zum Abstieg in die Burg fand. Noch während die beiden Frauen die Treppe hinabhasteten, zurück in das Licht und die Wärme der Festung, hörte Quin-Wa das hämische Lachen des Widersachers in ihrem Verstand verblassen.

Voller Zorn riss sie im Schutz des Gemäuers die Augen auf und erschuf mit jener Willenskraft, die eine ganze Nation geformt hatte, einen glimmenden Ball aus Licht in ihrer Hand. Die folgenden Worte ihrer magischen Nachricht würde sie nicht per elfischer Lyrik verschlüsseln müssen. Sie enthielten kein Geheimnis, das der Dunkle Gott nicht selbst gelüftet hätte.

»Der Widersacher: Er ist zurück!«

1. Kapitel

»Geschafft.«

Dieses eine Wort, kaum mehr als ein Flüstern, hallte in Ahrens Inneren wider wie ein tosender Donnersturm. Zwei Silben, die, in die laue Abendluft des Eathinian hinausgehaucht, jene Vollendung einer gefahrvollen Reise verkündeten, die Ahren als Jüngling, ohne rechte Ahnung von der Welt, einst im verschlafenen Tiefstein begonnen hatte.

Die dreizehn Paladine waren gefunden. Und alle dreizehn standen vereint.

Zumindest hoffe ich das, dachte er sarkastisch, während er behutsam sein Körpergewicht verlagerte, damit sein Arm nicht unter dem Gewicht der schlafenden Khara taub wurde, die sich dicht an ihn schmiegte. Wir waren viele Monde lang fort vom Kontinent. Wer weiß, was die anderen Paladine in der Zeit alles angestellt haben.

Ein bitterliches Seufzen drang in seine Gedanken.

Kann ein hart arbeitender Eiswolf nicht mal einen Abend für eigene Belange einfordern, ohne sich um seinen anstrengenden Paladin kümmern zu müssen?

Ahren lächelte selig. Du hast doch ohnehin nichts weiter zu tun, als Yoka anzuhimmeln, während sie schläft.

Ist das nicht ein schöner Name?, fragte Culhen sicherlich zum achtzigsten Mal, seit Lyssin ihrer Wölfin einen Namen gegeben hatte. Und ist sie nicht perfekt?

Wo ist die Würde eines Alphas, wenn man sie braucht?, erwiderte Ahren schelmisch. Du benimmst dich wie ein betörter Göttertagsschüler, dabei hast du noch nicht ein Wort mit ihr gewechselt, seit Yoka zum Vertrautentier erwählt wurde.

Unruhe brandete in Culhens Geist auf wie eine Fontäne erhitzten Wassers, welche aus einem Geysir emporschoss.

Du … du glaubst doch, dass sie mich auch jetzt noch mögen wird, oder? Wo sie doch keine gewöhnliche Wölfin mehr ist.

Ahren unterdrückte den Ärger auf sich selbst, der ihn überkam, als er spürte, wie sehr er seinen Wolf verunsichert hatte. Sie war in den Eisfeldern sehr von dir angetan, sagte er voller Wärme. Ich sehe keinen Grund, warum sich das geändert haben sollte.

Du hast recht, ertönte Culhens Antwort im Geist des Paladins. Ich bin perfekt. Wer könnte mich nicht lieben? Danke, dass du mich daran erinnert hast.

Nun, wo Culhen beruhigt in seinen eigenen Gedanken schwelgte, hatte Ahren Zeit für seinen persönlichen Seelenfrieden. Er zog das leise Rauschen der sich im sanften Wind wiegenden Bäume des Eathinian in sich auf und beobachtete, wie die Sterne hier und da vorwitzig ihr Funkeln zwischen dem dichten Blätterdach des Elfenwaldes zu ihm hinab aufs weiche Moos sandten, auf dem er und seine Gefährten die Nacht verbrachten. In der vorherigen Nacht hatten sie noch Vierklaue in einem Labyrinth aus Dampf, Eis und Feuer bekämpft und nun lagen sie hier, wohlbehalten und sicher.

Und vereint, schoss es Ahren durch den Kopf und er musste wieder grinsen.

Die Reise auf den Schwingen der Göttin hatte ihn und seine Gefährten schwer erschüttert, bis ins Mark mit Ehrfurcht erfüllt und sie zugleich von allen körperlichen Gebrechen befreit.

Mirilan hatte noch immer die Reste jener unglaublichen Magie in sich getragen, die sie alle einmal längs über die gesamte bekannte Welt hatte reisen lassen, von den Eisfeldern im tiefsten Süden bis in den Norden jenseits des Eathinian.

Sie hatten nur das Nötigste gesprochen, als sie, beflügelt von Jelninolans neu erschaffener Sturmfiedel, binnen eines Tages in die lebensspendende Umarmung der nördlichsten Ausläufer des Eathinian geeilt waren.

Ahren drehte den Kopf und spähte nach der Elfe, konnte sie aber nirgendwo entdecken. Jelninolan und Trogadon waren am frühen Abend wortlos zwischen den Bäumen verschwunden, eine Hand fest mit der des anderen verschränkt. Die restlichen Gefährten lagen immer noch schlafend da, nachdem sie sich der intensiven reinigenden Erschöpfung des Immergrüns ergeben hatten, die seiner sanften Umarmung stets folgte. Selbst aus dem Baum über ihm drangen tiefe, wenn auch laute Schlafgeräusche. Schläft-im-Wipfel machte ihrem Namen alle Ehre, denn sie hatte sich in die Zweige einer Eiche zurückgezogen, wo sie nun auf einer Astgabel ruhte und mit ihrem derben Schnarchen die Eichhörnchen verstörte. Nur seiner Euphorie über den Erfolg, alle Paladine aufgespürt und zum Kampf gegen den Dunklen Gott vereint zu haben, hatte Ahren es zu verdanken, dass er noch immer klar denken konnte, obwohl er schon so lange wach war.

Alle dreizehn Paladine sind bereit. Jetzt bleibt nur noch eines zu tun: den Widersacher zu töten.

Allein diesen Gedanken flüchtig mit seinem Verstand zu berühren, wie man einen schmerzenden Zahn mit der Zunge prüfte, sandte Schauer durch seinen Körper und ließ sein Herz rasen wie nach einem schweißtreibenden Waldlauf. Plötzlich kam ihm die Reise der letzten Jahre wie ein erbaulicher Spaziergang vor. Nun aber schickten sie sich an, einen selbst ernannten Gott zu bezwingen. Etwas, das noch keinem Wesen der Schöpfung je zuvor gelungen war.

Hab keine Angst. Ich bin ja die ganze Zeit bei dir. Culhens reflexhaft vorgetragene und von jedwedem Zaudern verschonte Worte zertrümmerten die Woge des Zweifels, die sich in Ahrens Geist auftürmte.

Der Paladin starrte noch lange in den Himmel hinaus und flehte die Drei inständig an, ihm auch etwas von jenem überbordenden Selbstvertrauen zu schenken, das sie seinem Wolf zu Genüge hatten angedeihen lassen. Doch bevor sie ihn erhören konnten, war Ahren schließlich eingeschlafen.

Lautes Vogelgezwitscher, das Wispern der Blätter im Wind und der betörende Duft unzähliger Pflanzen ließ Ahren erwachen – ebenso wie die kleine feuchte Nase, die sich schnüffelnd in sein rechtes Ohr bohrte und nur einem gewissen vorwitzigen Fuchs gehören konnte.

»Aufstehen, Meister«, hörte Ahren die frohgemute Stimme seines Lehrlings, die die letzten Spinnweben des Schlafes zerriss. »Die Sonne steht bereits am Himmel und Uldini möchte, dass wir aufbrechen.«

»Es sei denn, ihr alle wollt, dass wir am Ring ankommen, nur um festzustellen, dass der Widersacher seine Feste längst verlassen und die Belagerung durchbrochen hat, weil wir hier vor uns hin getrödelt haben«, erklang die kindliche Stimme des Erzmagus, die trotz ihres Timbres jedwede vermeintliche Unschuld des Sprechers in Sarkasmus und Missmut ersäufte. »Der Erste, Schläft-im-Wipfel und Bergen sind bereits bei Sonnenaufgang losgezogen, um unser Kommen bei den Elfen anzukünden.

»Wir hatten lediglich eine Nacht voll Schlaf. Das kann man wohl kaum als Trödelei bezeichnen«, murmelte Khara neben Ahren, und der Paladin schlug blinzelnd die Augen auf, um sie anzusehen.

Seine Liebste wirkte ausgeschlafen, aber die Unordnung ihres schwarzen, seidigen Haares zeigte ihm, dass sie wohl ebenfalls erst kürzlich erwacht war. Ihre Augen zuckten zu Ahren hinüber und Wärme sowie Belustigung gleichermaßen sickerte in ihren Blick.

»Heb besser den Kopf, bevor Kamaluq dir ein Ohr abbeißt. Dein frecher Lehrling hat ein Stück Wurst unter deinem Hinterkopf versteckt und sein Fuchs versucht es zu erbeuten.«

Ahren richtete sich auf, und sofort war ein erfreutes Fiepen zu hören, gefolgt von einem kurzen, aber lauten Schmatzen.

»Und fort ist der Leckerbissen«, sagte Lanlion lachend, der auf dem Stamm eines riesigen umgestürzten Baumes saß und die Beine baumeln ließ. »Ich sehe, Culhen war ein guter Lehrmeister für den Kleinen.«

Ahren entging die ungewöhnliche Gelassenheit des blutleeren Paladins nicht, aber als er einen Blick mit Lanlion austauschte, schüttelte dieser auf Ahrens unausgesprochene Frage hin den Kopf. Details über die mysteriöse Reise Lanlions, die ihn offensichtlich zum Besseren verändert hatte, würden also noch warten müssen.

»Mein Wolf hat Kamaluq alles Unwichtige beigebracht«, sagte Ahren und stieg damit in die Frotzelei seines bleichen Freundes ein. »Nur hat er die wichtigen Dinge darüber vergessen.« Ahrens Augen hefteten sich auf den feixenden Hakanu und er ließ so viel Eis in seinen Blick fließen, wie es ihm möglich war. »Ebenso wie ich dies anscheinend bei meinem Lehrling versäumt habe.«

Verwirrung und deutliches Unbehagen verscheuchte die Heiterkeit aus der Miene Hakanus.

»Meister …?«, fragte er beunruhigt.

»Denk nur nicht, dass ich deinen kleinen Rückfall in die Untiefen sinnfreien Mutes vergessen habe«, grollte Ahren. »Hakanu … Drachentöter.«

Hätte der Lehrling eine schallende Ohrfeige erhalten, seine Reaktion hätte nicht schamvoller ausfallen können. Sein Kopf wurde puterrot und er scharrte mit den Füßen im weichen Moos des Immergrüns.

»Mein Speer hätte eigentlich treffen müssen …«, begann er sich zu entschuldigen, aber Ahren schnitt ihm mit einer herrischen Geste das Wort ab.

»Da du dich wie ein blutiger Anfänger verhalten hast, werde ich dich auch wie einen behandeln«, sagte er. »Das hier ist mein Kräuterbeutel«, fuhr er fort und knotete dabei das lederne Behältnis von seinem Gürtel. »Er ist leer. Bis wir den Eathinian verlassen haben, erwarte ich, dass du dir selbst einen eigenen Beutel fertigst und diesen sowie meinen mit allen heilkräftigen Pflanzen befüllst, an denen wir vorbeikommen.« Sein Blick bohrte sich regelrecht durch die Augen des jungen Mannes bis direkt in dessen Hirn. »Du wirst mir jeden Abend berichten, welche Pflanzen du wann in welcher Reihenfolge hinzugefügt hast und welche Heilkräfte ihnen innewohnen.«

»Aber …«, begehrte Hakanu auf.

»Ich will von dir am Tage nichts weiter hören als ›Ja, Meister‹, bis ich entscheide, dass du deine Lektion gelernt hast«, schnarrte Ahren. »Ist das klar?«

Hakanu schluckte. »Ja, Meister.«

»Gut«, brummte Ahren zufrieden. »Ich sehe acht Heilpflanzen auf dieser Lichtung. Warum sammelst du die nicht ein, während sich die Erwachsenen unterhalten?«

Hakanus Kiefer mahlten in stummem Protest, dann zog der Lehrling davon, den Beutel seines Meisters zwischen den geballten Fäusten haltend.

»Wenn mich mein Alter nicht eingeholt hat, sehe ich nur sechs nutzbringende Gewächse um ihn herum«, murmelte Falk, als Hakanu außer Hörweite war.

Ahren zuckte gleichmütig mit den Achseln. »Mein Lehrling darf ruhig ein bisschen schwitzen.«

»Ist das nicht zutiefst ungerecht?«, fragte Khara verschmitzt lächelnd. »Sein Speerwurf gegen Vierklaue war meisterlich. Der Drache war eben schneller. Diese Art Wagemut hätte auch von deinem jungen Selbst stammen können.«

Ahren nickte. »Und wenn ich dabei gescheitert wäre, hätte Falk mich dafür ebenfalls zur Rechenschaft gezogen.«

Der alte Paladin nickte geradezu enthusiastisch. »Und ob. Ahren wäre einen Mond lang den gemeinsten Bänderbaum hinauf- und hinuntergeklettert, den ich hätte ersinnen können.«

»Seid ihr fertig mit euren belanglosen Gesprächen?«, giftete Uldini dazwischen. »Können wir dann endlich losgehen?«

»Trogadon und Jelninolan sind nirgends zu sehen, ebenso wenig wie Lyssin, Schläft-im-Wipfel, der Erste und die beiden Eiswölfe. Auch Muai fehlt«, warf Lanlion von seinem Baumstamm her ein. »Ohne unsere Gefährten ziehen wir bestimmt nicht los. Warum also die Eile?«

Uldini deutete auf Flammenstern. Die Kristallkugel schwebte dicht über seiner rechten Hand und in ihrem Kern erkannte Ahren ein kaum wahrnehmbares Flackern. »Quin-Wa hat mich am frühen Morgen kontaktiert.« Der Blick des Magus wanderte zu Ahren hinüber. »Der Widersacher ward gesichtet.«

Der Mund des Paladins wurde trocken und das Schlucken fiel ihm plötzlich unendlich schwer. »Du meinst … der Dunkle Gott wurde leibhaftig gesehen?«

Uldini nickte grimmig. »Keine undeutliche Traumvision, kein Wolkengebilde am Himmel oder ein Schemen in der Nacht – der Widersacher zeigte sich offen auf einer der inneren Mauern seiner Festung.«

»Wann?«, fragte Falk tonlos. Die Haut des alten Paladins war totenbleich.

»Gestern. Als wir auf den Schwingen der Göttin gen Norden flogen.«

»Das ging schnell«, kommentierte Lanlion die Neuigkeit in ruhigem Ton. Die Gelassenheit des Blutleeren war Ahren ein willkommener Fels in der Brandung.

»Zu schnell«, sagte Uldini. »Wenn Er, der zwingt, seinen Körper bereits manifestieren kann, dann hat er seine Macht zur Gänze zurückerlangt oder steht zumindest kurz davor.«

»Ist es denn so schlecht, dass er einen Körper besitzt?«, fragte Khara verblüfft. »Macht ihn das nicht verwundbarer für einen Angriff?«

Uldini rollte ungeduldig mit den Augen. »Du vergisst, dass wir hier nicht von einem sterblichen Wesen reden. Solange der Dunkle Gott nur ein flüchtiges Phantom aus Willenskraft und Magie war, musste er große Teile seiner Macht darauf verwenden, … sich beisammenzuhalten, könnte man sagen. Sein wiedererschaffener Körper hingegen ist wie ein Anker, in welchem sich sein Dasein mühelos manifestiert. Und der Widersacher hat jahrtausendelange Erfahrung darin, seine Hülle zu schützen, zu heilen oder neu zu erschaffen, wenn es sein muss.«

»Dieses Gespräch wird von Wort zu Wort unerfreulicher«, bemerkte Ahren angespannt. »Bitte sag mir, dass wir Paladine den Dunklen Gott durchbohren können, ohne dass er danach einfach in einem wiedererschaffenen Körper aufersteht und fröhlich pfeifend weiterzieht.«

»Eure Göttersegen sind wie Wasser, das die Feuer seines Lebens erlöschen lässt«, sagte Uldini, ohne Ahren anzusehen. »Zumindest, wenn dieses Wasser mächtiger als seine Glut ist.«

Ahren seufzte. Er konnte Uldinis Zweifel aus dessen Worten heraushören, ebenso wie den Wunsch des Alten, dies nicht hier und jetzt zu diskutieren.

»Also hast du Angst, dass der Widersacher flüchtet und ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Paladinen treibt, wie er es schon während der Dunklen Tage getan hat?«

Uldini nickte stumm.

»Aber warum hat er seinen Körper nicht einfach auf … sagen wir, einer der Inseln der Klingensee manifestiert?«, hakte Ahren nach. »Irgendwo weit weg vom Ring.«

»Der Widersacher ist kein echter Gott«, sagte Falk mit harter Stimme. »Egal, was er anderen auch weismachen will, sein Körper konnte nur dort entstehen, wo er zu Boden gerungen wurde.«

»An dem Punkt, wo die Bannsäule entstand«, fügte Lanlion hinzu. »Im Herzen der Obsidianfeste.«

»Außerdem bleibt Er, der zwingt, ein Feigling«, sagte Falk voller Verachtung. »Er versteckt sich lieber hinter seinen Armeen, solange er kann.«

»Oder er bricht in ihrem Schutz durch den Ring«, fügte Uldini hinzu. »Deswegen hätte ich lieber früher als später alle Paladine an einem Ort vereint, um endlich loszuschlagen.«

»Solch düstere Worte an einem hellen Morgen?«, ertönte die sanfte Stimme Jelninolans, noch bevor sie an der Seite Trogadons zwischen dem Unterholz in Sicht kam. »Das kann nur bedeuten, dass Uldini das Zepter unserer Gemeinschaft bereits wieder fest im Griff hat.«

Ahren erschauderte beim Klang ihrer Worte. Wenn die Elfe sprach, schwang seit der Reise auf den Schwingen der Göttin etwas unterschwellig Machtvolles in ihrer Stimme mit, als würde ein Hauch von Ihr, die fühlt, jede Silbe der Priesterin umwehen.

»Ich erörterte nur die Fakten«, sagte Uldini spröde. »Und mahne dabei zur Eile.«

»Unser Kampf mit Vierklaue ist gerade einen Tag her«, sagte die Elfe in jenem warmen Ton, mit dem sie Verwundete zu trösten pflegte. »Lass uns Atem schöpfen. Der schwerste aller Kämpfe liegt vor uns. Sollten wir da nicht in der bestmöglichen Verfassung sein?«

Uldini kratzte sich am Kopf, und Ahren konnte erkennen, wie der Alte die bedächtig vorgetragenen Worte der Elfe in seinem scharfen Verstand drehte und wendete.

»Sechs Tage«, sagte er mit einem schroffen Nicken. »So lange benötige ich, um einen möglichst schnellen Transport zum Ring für uns zu arrangieren. Aber dann brechen wir auf.«

Ahren wunderte sich darüber, wie sehr er sich trotz aller gebotenen Eile über die Atempause freute, die Jelninolan Uldini abgerungen hatte. Es gab so viele Ereignisse, die ihnen in den Eisfeldern widerfahren waren, über die er nachdenken und mit den anderen reden wollte. Es würde ihm guttun, dieses Chaos in seinem Inneren zu ordnen, bevor er sich der monumentalen Aufgabe stellte, einen Gott zu töten.

Selbst ernannten Gott, korrigierte ihn Culhen, der zusammen mit Lyssin, Yoka und Muai auf die Lichtung trat. Die Mäuler der drei Tiere waren blutverschmiert und die junge Waldläuferin atmete schwer, die Augen weit aufgerissen.

»So viele Bäume«, sagte sie keuchend. »Vater hat mir mal ein Bild von einem Baum gemalt, als ich ihn fragte, was ein Wald ist«, sie lachte hilflos. »Ich bin wahrscheinlich die erste Waldläuferin, die den Namen ihrer Zunft anfangs nicht richtig verstanden hat.«

»Mein übermütiger Lehrling kommt in den Genuss einer vollständigen Auffrischung seiner Ausbildung«, sagte Ahren laut genug, dass der junge Krieger unter den scharf gesprochenen Worten zusammenzuckte. »Du, Lyssin, bist herzlich eingeladen zuzuhören, was ich ihm alles über den Wald zu sagen habe.«

Ah, bitte sag ja, bettelte Culhen die Waldläuferin an, ohne dass sie seine Worte hören konnte. Doch der Blick des Wolfes sprach ohnehin Bände, wie er sich auf allen vieren niederließ und Lyssin von unten herauf ansah. Dann kann ich besonders viel Zeit mit Yoka verbringen, während ihr euren Menschenkram besprecht, und dann wird sie merken, was für ein toller Wolf ich bin.

Muai grollte indes mit einem kurzen Kopfschütteln angesichts des Gebarens des Wolfes.

Ahren bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Hakanu ebenfalls hoffnungsvoll zu Lyssin hinübersah, und ihm entging auch der treudoofe Blick in dessen Augen nicht, der Ahren regelrecht Angst machte.

Zwei liebestolle Idioten auf einen Schlag, dachte er stöhnend. Das kann ja heiter werden.

Der Teich war tief, klar und gerade kühl genug, um im ewig frühsommerlichen Klima des Eathinian noch erfrischend zu sein. Ahren und Khara waren allein, und der Paladin bewunderte das Gespür seiner Liebsten, die jedes noch so winzige Gewässer scheinbar mühelos aufzuspüren vermochte. Nach dem Gespräch mit Uldini und den anderen hatten sich die Gefährten weitläufig aufgeteilt, und so waren Ahren und Khara seit vielen Monden endlich das erste Mal wieder unter sich. Die Zeit verflog nur so und die Sonne stand bereits tief am Himmel, als Ahren sich träge im Wasser des Teiches treiben ließ, während Khara auf einem nahen Felsen lag und sich vom Licht des herrlichen Tages trocknen ließ.

»Was denkst du, ist mit jenen passiert, die wir in den Eisfeldern zurückgelassen haben?«, fragte die Schwertmeisterin verträumt.

Ahren spielte im Wasser toter Mann und sah ebenfalls zum Himmel empor. »Als uns Jelninolans Lied zurück in den Norden brachte, habe ich das Eis um uns herum schmelzen sehen«, sagte er. »Ich schätze, dass die Armee aus Dunkelwesen, die uns umzingelte, ertrunken ist und daher keine Gefahr mehr für Yollock und Caldria darstellt.«

Khara brummte zustimmend, ein Laut voller Zufriedenheit. »Und Vierklaue wird die paar Dunkelwesen, die übrig geblieben sind, zur Strecke bringen«, sagte sie zuversichtlich. Dann entrang sich ihren Lippen ein Seufzer. »Kannst du dir vorstellen, was passiert wäre, wenn er mit uns gekommen wäre? Der mächtigste aller Drachen kämpft plötzlich an unserer Seite gegen den Widersacher?« Noch ein Seufzen. »Das hätte ich gerne gesehen.«

Ahren antwortete nicht sofort, sondern genoss das Gefühl des Wassers, das ihn umgab. Ihn trug. Ihn sicher und geborgen hielt. »Vierklaue hat in seinem Leben schon zu viel Leid gesehen und zu viele Kämpfe erlebt. Yollock wusste das. Nicht umsonst hat er ihn von der Welt abgeschirmt. Ich glaube, es ist richtig, dass er in den Eisfeldern geblieben ist.«

»Wer?«, fragte Khara neugierig. »Yollock oder Vierklaue.«

»Ja.«

»Verstehe.«

Ahren konnte Kharas breites Schmunzeln aus dem einen Wort heraushören. »Wenigstens ist Yollock nicht ganz allein in seiner Höhle zurückgeblieben«, sagte der Waldläufer und schwamm ans Ufer. »Der Gedanke, dass Caldria bei ihm ist und ihm Gesellschaft leistet, stimmt mich zuversichtlich.«

Khara legte den Kopf schief. »Ob sie je wieder reden wird?«

»Schwer zu sagen«, antwortete Ahren und zog sich aus dem Wasser. »Der Verlust ihrer Magie war ein schwerer Schock für sie.« Er rang sich ein schwaches Lächeln ab. »Aber selbst wenn sie stumm bleibt, wird es Yollock nicht stören. Wenn dieser Mann an einem normalen Tag zehn Wörter über die Lippen bringt, wird das für ihn noch immer viel sein.«

»Caldria musste auf diesem Flammenbauchschiff ständig schwitzen«, sagte Khara und sah Ahren lächelnd an. »Hoffentlich wird sie die Kälte des eisigen Südens zu schätzen wissen.«

Ahren ließ sich neben Khara nieder und strich ihr mit einer Hand das Haar aus der Stirn. »In den Nebelfeldern war es durchaus erträglich«, murmelte er. »Und ich denke, unsere ausgebrannte Feuermagierin wird dank ihres Wissens um kontrollierte Hitze schon bald mundane Mittel und Wege finden, einige der brodelnden Teiche dort nutzbar zu machen.«

»Zwei schweigende Menschen, die ihren Lebensabend in aller Abgeschiedenheit genießen«, sagte Khara träumerisch. »Das klingt himmlisch. Lass uns das auch ausprobieren.«

»Versprochen«, sagte Ahren lächelnd. Dann funkelte er Khara schelmisch an. »Hakanu ist noch bis zum Sonnenuntergang mit Kräutersammeln beschäftigt. Falls dir etwas einfällt, wie wir uns die Zeit vertreiben könnten, bin ich ganz Ohr.«

Die Schwertmeisterin antwortete ihm nicht, doch ihr Lächeln sprach Bände.

»… stillt dieses Kraut, wenn man es in Wasser auflöst, Blutungen im Magen«, hörte Ahren die eilfertige Stimme seines Lehrlings, noch bevor er ihn sah.

»Was für ein Überfluss«, sagte Lyssin staunend, als Ahren zwischen den Bäumen hindurch auf die vom Abendlicht geküsste Lichtung trat, wo die Gefährten ihr Lager aufgeschlagen hatten. »In den Eisfeldern gab es nur einige wenige Moose und Flechten, die bei Verletzungen hilfreich waren, an diesem Ort jedoch scheint es für jedwedes Gebrechen eine nutzbringende Pflanze zu geben.«

»Wenn du eine gegen Übermut findest, dann sag mir umgehend Bescheid«, erwiderte Ahren mit einem strengen Blick auf Hakanu.

Der Lehrling zog den Kopf ein und ordnete die Vielzahl präparierter Salben, Aufgüsse, Kräuter, Blüten und Stängel, die er vor sich auf dem Waldboden ausgebreitet hatte.

»Also ich fand seinen Angriff auf den Drachen ausgesprochen tapfer«, sagte Lyssin und zauste Hakanu dabei kräftig das Haar. »Fast hätte seine Taktik auch funktioniert.«

»Ein einzelner Speerwurf ist bestimmt keine Taktik«, sagte Ahren schmallippig. Doch da Hakanu die Waldläuferin mit hohlem Gesichtsausdruck anschmachtete, weil sie für ihn Partei ergriffen hatte, bekam der junge Krieger nach Ahrens Dafürhalten ohnehin nichts mit von dem, was sein Meister sagte. »Außerdem ist fast ein Wort, das häufig zwischen Sieg und Niederlage unterscheidet.«

»Sei nicht so streng mit ihm«, sagte Lyssin und wuschelte Hakanu ein weiteres Mal durch die Haare. »Er ist praktisch noch ein Kind.«

Wäre dem Lehrling ein äußerst schwerer Stein auf den Fuß gefallen, er hätte nicht schmerzerfüllter dreinschauen können. Mitleid durchfuhr Ahren und er deutete auf die Ausbeute Hakanus.

»Dann erkläre mir mal, was du Schönes gefunden hast«, sagte er versöhnlich. »Wenn du mich beeindruckst, können wir vielleicht über ein morgiges Speertraining reden.«

Ahren beobachtete, wie der junge Krieger seine Enttäuschung mit einem schweren Schlucken tief in dessen Innersten vergrub, bevor er anfing zu sprechen.

»Das ist Nebelwurz …«, begann er, jedoch ohne jene Lebhaftigkeit, mit der er eben noch zu Lyssin gesprochen hatte.

Ahren seufzte leise. Offensichtlich ahnte sein Lehrling, dass es einige Kämpfe im Leben gab, die man nicht gewinnen konnte.

Als Hakanu seine Litanei pflichtschuldig heruntergebetet hatte, lobte ihn Ahren überschwänglich und schickte ihn dann für einige Runden auf einen nahegelegenen Baum, den der Lehrling hinauf- und hinunterklettern sollte.

»War ich zu direkt?«, fragte Lyssin, kaum dass Hakanu außer Hörweite war.

»Wenn man bedenkt, dass du all die Jahre mit niemandem als deinem Vater in einer Eiswüste gelebt hast, warst du sehr taktvoll«, sagte Ahren leise. »Ich wundere mich, dass du die Anzeichen seiner … Vernarrtheit überhaupt bemerkst.«

Lyssins Ohren nahmen die gleiche Farbe wie ihre Lockenpracht an. »Jelninolan und Khara haben mich gewarnt«, sagte sie und schüttelte dann den Kopf. »Das ist eigentlich das falsche Wort, aber so viele Nuancen kenne ich noch nicht. Vater war kein großer Redner, wie du weißt.«

Ahren nickte. »Besser, Hakanu wird dieser spezielle Zahn direkt gezogen, als dass er vor lauter Torheit etwas Dummes anstellt.«

Lyssin sah ihn befremdlich an. »Du willst Hakanu einen Zahn ziehen? Ist das eine Art Strafe bei euch auf dem Festland?«

»Nein«, sagte Ahren lachend und legte einen Arm um die junge Waldläuferin. »Aber ich merke schon, dass wir dir besser noch ein paar andere Dinge außer der Kunde über den Wald beibringen. Jorath kann ein furchtbar komplizierter Ort sein – vor allem für einen Paladin.«

Lyssin rümpfte die Nase. »Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen«, sagte sie spröde.

»Mit dem Bogen und dem Kurzschwert, ja«, sagte Ahren schmunzelnd. »Aber wenn ich dir sage, dass es Städte gibt, in denen Worte wie Waffen geschwungen werden?«

Lyssins Augen blitzten voller Vorfreude auf. »Erzähl mir mehr!«, forderte sie.

Ahren lachte warmherzig auf und wackelte verneinend mit einem Finger. »Das überlasse ich anderen«, sagte er grinsend. »Es gibt da einen Zwerg, der es liebt, Geschichten über unsere Abenteuer zum Besten zu geben.«

»Da waren wir nun, gefangen in der Ehernen Stadt, die kurz davor stand, von Tausenden Dunkelwesen überrannt zu werden …«, proklamierte Trogadon mit unheilvoller Stimme, während er einen Stiefel ins Feuer stieß, damit die Funken aufloderten und in die tiefe Nacht davonflogen.

»Lass das!«, fauchte Jelninolan. »Die Wipfelläufer sind wegen der Flammen nervös genug.«

Ahren grinste vor sich hin, während er in der Umarmung der Nacht verschwand und seine Gefährten, die fröhlich am Lagerfeuer den übertriebenen Anekdoten Trogadons lauschten, hinter sich ließ. Sein Ziel war die einsame Gestalt auf jenem umgestürzten Baum, der wohl so etwas wie Lanlions bevorzugter Rückzugsort geworden war.

»Warum setzt du dich nicht zu uns?«, fragte er leise, als er bei dem blutleeren Paladin angekommen war.

»Ich finde es schön hier«, sagte Lanlion lakonisch und zuckte mit den Achseln, eine Geste, die Ahren in der Düsternis des Waldes mehr erahnte, als dass er sie sah. »Und du weißt, wie sehr Feuer mich blendet, wenn meine Augen die Geheimnisse der Nacht durchdringen.«

Ahren seufzte. »Lanlion, der ewig schwermütige Poet.«

Ein selbstironisches Kichern ertönte von dem Stamm hinab. »Wenn, dann ein sehr schlechter Poet.«

»Ich kenne einige der Bardenlieder, die über uns Paladine geschrieben wurden«, sagte Ahren trocken. »Solange du nicht Herz auf Schmerz reimst, bist du besser als die meisten Minnesänger, die den Kontinent unsicher machen.«

Lanlion kicherte erneut, diesmal klang der Laut viel gelöster. »Du bist ja heute in einer richtig leutseligen, wenn auch etwas raubeinigen Stimmung. Wie kommt das?«

Ahren schmunzelte. Eigentlich hatte er mit seinem Freund über dessen Erfahrungen auf seiner Pilgerreise reden wollen, aber nun kehrte der gewitzte Paladin den Spieß um. »Ein Teil von mir will nichts weiter tun, als sich im Erfolg unserer Suche nach den Paladinen zu suhlen«, sagte er schließlich. »Während der andere Teil mir panisch ins Ohr schreit, dass uns das Schwierigste noch bevorsteht.« Er deutete zum Lagerfeuer, wo Jelninolan liebevoll summend die Haare Trogadons flocht und ihn in regelmäßigen Abständen mit einem Ruck an dessen Mähne zur Räson brachte, wann immer die Übertreibungen in der Erzählung des Zwerges überhandnahmen. »Und zusätzlich gibt es jene unter uns, die ganz außerordentliche Erfahrungen gemacht haben und von denen ich nicht weiß, wie sie sie verkraftet haben.«

»So wie Jelninolan?«, fragte Lanlion neckend.

»Ja. So wie Jelninolan – und andere Anwesende.«

Der Blutleere schüttelte den Kopf. »Manchmal bist du so subtil wie ein betrunkener Trogadon. Also, was willst du wissen?«

»Alles?«

Lanlion schnaubte belustigt. »Kein Wesen auf dieser Welt kann alles wissen. Jedenfalls tröste ich mich mit diesem Gedanken, wann immer ich an die Grenzen meiner eigenen Bildung stoße.«

»Lanlion«, sagte Ahren streng. »Es ist wichtig, dass ich weiß, wie es um dich steht.«

»Um einen der Paladine, die gegen den Widersacher gebraucht werden, meinst du?«

»Um einen Freund«, sagte Ahren bestimmt.

»Also gut«, gab der Blutleere nach. »Aber ich mache es kurz.«

»Das wäre nach Trogadons epischen Ausschweifungen des heutigen Abends eine nette Abwechslung«, scherzte Ahren, als der Zwerg begann, lautstark den Finsterbären zu imitieren, der damals vor den Toren der Ehernen Stadt beinahe Ahrens Untergang bedeutet hätte. »Warum muss er immer mit meinen Fehlschlägen anfangen«, murrte der Waldläufer vor sich hin.

»Irrtümer und Fehler machen uns menschlich«, sagte Lanlion leise. »Es ist wichtig, sie nicht zu vergessen. Nur durch sie entwickeln wir uns wirklich weiter.«

»Jetzt reden wir also endlich über dich«, sagte Ahren zufrieden und kraxelte zu Lanlion auf den mehr als mannshohen Baumstamm hinauf. »Ich bin ganz Ohr.«

Der bleiche Paladin zuckte mit den Achseln. »Eigentlich war meine Reise kein großes Ereignis«, begann er nachdenklich. »Es war wie ein Ziehen in meiner Brust, das mich kreuz und quer durch Jorath lenkte.«

Ahren runzelte die Stirn. »Das klingt sehr willkürlich und so gar nicht nach einer von den Göttern auferlegten Pilgerreise.«

»Du vergisst immer wieder, dass sie sehr tief schlafen«, sagte Lanlion mit einer Spur Schärfe in der Stimme. »Vieles von dem, was sie tun, ist konfus.« Er stockte einen Moment. »Aber nach kurzer Zeit fand ich heraus, wohin sie mich leiteten: Ob nun Schlachtfelder, auf denen ich gekämpft und gesiegt, Männer und Frauen, die ich gerettet, oder simple, aber schöne Erinnerungen, die ich vergessen hatte – all das wurde mir nach und nach wieder bewusst, als mich das Ziehen in meiner Brust zu Nachfahren überlebender Soldaten leitete, die noch immer wussten, dass Lanlion, der Paladin, ihren Urahnen das Leben gerettet hatte. Oder zu geschäftigen kleinen Ortschaften, die dort erblüht waren, wo in den Dunklen Zeiten blutiges Chaos geherrscht hatte.« Lanlion atmete hörbar aus. »Die Drei zeigten mir, dass meine Taten Gewicht hatten. Dass das Leben weitergeht, selbst dort, wo vormals nur der Tod herrschte.« Seine Stimme sank auf ein Flüstern hinab. »Und dass die Art meiner Existenz nichts damit zu tun hat, ob ich für Jorath von Nutzen bin. Was kümmert es ein kleines Kind, von wem es vor einem Dunkelwesen gerettet wird – ob von einem Menschen oder einem …«

»Ja?«, bohrte Ahren nach.

»… ungewöhnlichen Paladin«, beendete Lanlion seinen Satz mit einem Grinsen. »Du hast gedacht, ich sage jetzt Monster, oder nicht?«

»Der alte Lanlion hätte dieses Wort verwendet.«

»Oh, ich bin noch immer der alte«, widersprach Lanlion. »Nur ein bisschen weiser und weniger fixiert auf einen Umstand, den ich nicht ändern kann. Das können nur die Götter. Vielleicht.«

Ahren legte dem bleichen Paladin eine Hand auf die Schulter. Das Metall seiner Rüstung fühlte sich so kalt an, als hätte es jahrelang in einer tiefen Gruft gelegen. »Wenn es eine Pilgerreise brauchte, damit du erkennst, was ich schon lange weiß, dann bin ich froh, dass du sie angetreten hast. Für mich bist du ein Paladin wie jeder andere auch.«

Lanlion grinste. »Nur, dass ich besser allein esse.«

Ahren zog eine Augenbraue hoch. »War das etwa ein Scherz über deinen Zustand als Blutleerer?«

»Ja.«

»Hm. Bleib lieber bei der Poesie.«

Voller Sehnsucht dachte Ahren an die feuchte Fuchsnase in seinem Ohr zurück, die ihn am Vortag geweckt hatte, jetzt, da zorniges Geschrei ihn aus dem Schlaf riss. Blinzelnd richtete Ahren sich auf und neben ihm fuhr auch Khara aus ihrer Decke hoch.

Die Nacht war bereits auf dem Rückzug, schon kündigte der Hauch einer Morgenröte den neuen Tag an. Uldini und der Erste lieferten sich mitten im Lager eine Art Brüllwettbewerb, bei dem es offensichtlich um die Tatsache ging, dass sie sich nicht vom Fleck bewegt hatten, sondern noch immer in diesem entlegenen Teil des Elfenwaldes verharrten.

»Ich habe die totale Mobilmachung des Eathinian angeordnet und euer baldiges Eintreffen angekündigt, dabei sitzt ihr hier herum und veranstaltet ein Picknick nach dem anderen!«, tobte der uralte Streiter der Götter. »Ich dachte, ihr seid mir dicht auf den Fersen, da Uldini, der weise und große Anführer der Alten schließlich weiß, was seit Lyssins Erscheinen auf dem Spiel steht. Aber da habe ich mich wohl gründlich getäuscht!«

»Der Transport nach Süden ist längst organisiert«, keifte Uldini zurück. »Eine Eskorte mit genug Titejunanwas, um uns alle tragen zu können, erscheint in wenigen Tagen, und dann holen wir die verlorene Zeit wieder auf, du rostkopfiger, schlachtenhungriger …«

Jelninolan strich einen Ton auf Mirilan an und das Geschrei verstummte. Ahren sah zwar noch, wie die beiden Streithähne sich gegenseitig angingen, aber ihre Worte drangen nicht mehr zu ihm vor.

»Sollen die zwei sich aneinander abreagieren«, sagte die Elfe resigniert. »Doch das ist kein Grund, warum wir darunter leiden müssen.«

»Diesen kleinen Trick hättest du schon vor Jahren auf Uldini anwenden sollen«, sagte Falk grinsend. »Permanent.«

Ahren lächelte seinen Meister an, der in seiner Waldläuferkluft dastand, eine Hand auf dem Nacken der zufrieden schnaufenden Selsena. »Ihr beide wart auf einem Ausritt?«

Falk nickte. »Ein früher Morgen allein mit meinem alten Mädchen reicht fürs Erste«, sagte er. »Ihre Freude, mich zu sehen, ist bereits der Befriedigung gewichen, alles, was ich sage, zu kritisieren.«

Das Titejunanwa schnaubte, und Ahren spürte die Mischung aus Missbilligung und Zuneigung, die von dem elfischen Streitross ausging. Falk rieb ihr liebevoll über die Nüstern.

»Du hast wenigstens etwas von deinem Vertrautentier«, sagte Khara schmallippig. »Muai ist die ganze Zeit mit Culhen und Yoka im Immergrün unterwegs. Ich denke, sie ist eifersüchtig auf all die Aufmerksamkeit, die Culhen der jungen Eiswölfin schenkt.«

»Yoka mag ihn sehr«, warf Lyssin wenig taktvoll ein, und Khara verzog gereizt das Gesicht. »Sie sagt, sie findet ihn drollig.«

»Drollig?«, echote Ahren und rieb sich die Stirn. »Das darf mein eitler Wolf niemals erfahren oder sein Ego fällt in sich zusammen wie Trogadons gute Vorsätze, einen Abend lang nüchtern zu bleiben.«

»Heh«, beschwerte sich der Zwerg. »Halte mich gefälligst da raus.«

Indessen hatte sowohl Uldini als auch der Erste anscheinend mitbekommen, dass keiner außer ihnen ein Wort von dem hörte, was sie besprachen, und beide sahen Jelninolan mit einem Blick an, der nur als mörderisch bezeichnet werden konnte.

»Ich glaube, die zwei wollen entzaubert werden«, sagte Ahren grinsend.

»Müssen wir sie wirklich schon erlösen?«, fragte Falk und legte sich eine Hand über den Mund, um so sein Lachen zu kaschieren.

»Warten wir damit bis nach dem Frühstück«, entschied Jelninolan. »So können wir sicher sein, dass sie sich in Ruhe die Seele aus dem Leib geschrien haben.«

2. Kapitel

Bis Jelninolan ihren Zauber schließlich aufhob, waren Uldini und der Erste in einen Zustand feindseligen Starrens übergegangen. Auch als die Elfe die beiden Streithähne mit einer Geste darüber informierte, dass sie wieder gehört wurden, schwiegen sie verbissen weiter.

»Wo sind eigentlich Schläft-im-Wipfel und Bergen?«, durchbrach Lanlion die Stille, während Ahren, Khara und Hakanu die Überreste ihres kalten Frühstücks in den Rucksäcken der Gruppe verstauten. »Sie waren doch gemeinsam mit dem Ersten aufgebrochen, um den Elfen Bescheid zu geben, dass wir wieder zurück sind.«

Die Köpfe der Gefährten drehten sich dem Veteranen zu, der mit eisiger Miene vor sich hin brütete.

»Willst du wirklich wie ein bockiger Dreijähriger schweigen, weil du keine Zuschauer für deinen Wutanfall hattest?«, fragte Ahren gereizt.

»Ihr wolltet nicht hören, was ich zu sagen habe«, kam die Antwort des Ersten zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Also halte ich einfach den Mund.« Nach einigen Herzschlägen fügte er hinzu: »Die beiden wollten bei den Elfen bleiben und dort auf euch warten.«

Ahren wusste, dass der Erste eine solche Behandlung nicht gewohnt war. Bis zum Konklave in Hjalgar war dem uralten Paladin mit einer Ehrfurcht begegnet worden, die beinahe an Anbetung gegrenzt hatte. Erst durch Ahrens Widerstand war der Erste regelrecht entthront worden, sodass er nun als einer der Dreizehn galt, statt als deren unangefochtener Anführer. Durch Jelninolans Zauber hatte diese Gleichbehandlung einen neuen Höhepunkt erreicht.

Und er schämt sich sicher auch dafür, wie er in den Eisfeldern seine geliebte Beherrschung verloren hat, warf Culhen ein, der sich dicht neben der an einem Knochen kauenden Yoka hielt – ein Knochen, den der Wolf ihr bereitwillig überlassen hatte.

Ahren sandte seinem Freund eine stumme Zustimmung. Der Erste musste momentan äußerst dünnhäutig sein. Viele alte Wunden waren beim Zusammentreffen mit Vierklaue aufgerissen und der Kampf mit dem Drachen hatte eine vollkommen andere Wendung genommen, als der Veteran im Vorfeld hätte erwarten können. Und wieder war Ahren der Hauptgrund gewesen, warum der Erste seinen Willen nicht bekommen hatte. Vielleicht war es an der Zeit, ein paar jener Verletzungen zu heilen.

»Was denkst du, was wir tun sollten?«, fragte er daher in möglichst zugänglichem Ton und setzte sich dem Mann in der altertümlichen Panzerrüstung gegenüber.

»Das ist einfach«, sagte der Erste. »Wir müssen so schnell wie möglich zum Ring, bevor der Widersacher durchbricht und wir weitere tausend Jahre des Krieges benötigen, um ihn erneut einzukesseln.«

»Uldini arbeitet daran«, sagte Khara und setzte sich neben den uralten Paladin. »Während wir anderen versuchen, so gut es geht zu Kräften zu kommen.« Sie legte ihm eine Hand auf den gepanzerten Unterarm. »Es ist viel passiert im ewigen Eis des Südens.«

Halb erwartete Ahren, dass der Erste seinen Arm wegzog, aber zu seiner Überraschung nickte der Veteran nur. »Ich vermisse Sie«, sagte er, und Ahren wusste sofort, dass der Mann sein verstorbenes Vertrautentier meinte. »In Vierklaue war so viel von Ihr zu finden. Ihr Mut. Ihr Stolz. Ihre Sturheit.«

»Dann ist es doch gut, dass ein Teil von ihr noch immer lebt, oder nicht?«, fragte Falk, während Selsena eine Welle der Zuneigung aussandte und ihren Kopf von hinten an dem des Ersten rieb.

Hölzern mutete seine Bewegung an, als der uralte Paladin hinauflangte und das elfische Streitross mit jahrtausendelanger Erfahrung unter dem Kinn kraulte. »Meine Wut … mein Hass«, begann er stockend. »Beides gab mir Halt.« Er runzelte die Stirn. »Der Verlust eines Zieles für diese Art von Gefühlen ist schwer zu beschreiben.«

»Es gibt da einen selbst ernannten Gott«, sagte Lanlion vom Rand der Lichtung her, wo er an einem Baum lehnte. »Konzentriere deine Wut und deinen Hass auf ihn. Dann bleibt von beidem weniger für Uldini über.«

»Guter Gedanke«, sagte der Magus trocken. »Zumal ich wirklich Vorkehrungen getroffen habe, die bei der Reise Richtung Süden helfen werden. Wie schon gesagt, eine Eskorte aus Elfen wird uns in wenigen Tagen hier abholen.«

»Ich denke, wir brauchen alle ein wenig Ruhe«, sagte Trogadon mit einem Funkeln in den Augen.

»Was heckst du jetzt schon wieder aus, mein Lieber?«, fragte Jelninolan misstrauisch.

Der Zwerg grinste und fischte ein kleines Stahlfässchen aus einem der Rucksäcke, die Lanlion dank Haminul und Selsena in den Norden geschafft hatte. »Ich hätte hier ein wenig flüssige Abhilfe, mit derer sich aufgewühlte Gedanken beruhigen lassen – zumindest, wenn man dabei mit guten Freunden lacht und würfelt.«

Jelninolan sah streng und äußerst enttäuscht zu Lanlion hinüber. »Gehört ein Alkoholfass wirklich zu den Dingen, die du unbedingt mitbringen musstest?«

Der blutleere Paladin deutete auf Trogadon. »Schläft-im-Wipfel sagte, ich solle alles herschaffen, was Geist, Körper und Seele stärkt und kräftigt. Für unseren bärtigen Freund musste also ein Fass her.«

»Du kennst mich so gut«, sagte der Schmied und leckte sich genussvoll die Lippen. »Dafür verzeihe ich dir glatt deine schwülstige Art.«

Während Jelninolan ergeben seufzte, sammelten sich die Gefährten um Trogadons Fund.

»Denkt aber daran, etwas für Bergen übrig zu lassen«, riet Ahren ihnen. »Wenn er leer ausgeht, wird er euch das nie verzeihen.«

Pflichtschuldiges Nicken war die Antwort und Ahren erkannte in den lebenshungrigen Augen seiner Freunde, dass dieses Fass nicht lange voll bleiben würde. Als Trogadon auch noch seine sorgsam polierten Würfel hervorkramte, wusste der Paladin, dass dieser Tag vollends dem Müßiggang anheimfallen würde.

»Hakanu, du bist für heute von deinen Pflichten entbunden«, sagte er unter den Hochrufen der anderen.

Danach versank seine Welt in einem Mahlstrom aus herzhaftem Lachen, gutem Schnaps und noch besseren Freunden.

Fröhlich summend taumelte Ahren durch den Immergrün, dem drängenden Ruf einer vollen Blase folgend. Die Bäume drehten sich beständig um ihn, während das Unterholz sich tückischerweise immer dort vor ihm auftat, wo er gerade seinen Fuß hinsetzen wollte.

»Blöder Wald«, nuschelte er und hielt sich mit einer Hand an einem mächtigen Stamm fest, während er mit der anderen an den Schnüren seiner Hose herumnestelte.

Ein kleiner Teil von ihm wusste, dass er sehr betrunken war – und der Rest seines Verstandes war darüber ausgesprochen froh. Die Bedrohung durch den Widersacher wirkte, dank seines Rausches, angenehm fern und das viele Lachen mit seinen Freunden hatte seiner Seele gutgetan.

»Wenigstens kann ich noch stehen«, brummte er und kämpfte weiter mit seinem Beinkleid. »Nicht so wie der Erste.« Ein unkontrollierbares Kichern brach sich in seiner Kehle Bahn.

Der Veteran hatte sehr schnell und grimmig getrunken, bis er wie ein gefällter Baum zu Boden gegangen war, um fortan zu schnarchen. Jelninolan hatte irgendetwas Kluges gesagt, dass der Veteran wohl hatte verhindern wollen, dass er in seiner Verletzlichkeit noch mehr von sich preisgab, aber Ahren hatte ihren Ausführungen nicht folgen können.

»Lag aber nich am Alkohol«, versicherte er sich selbst und schaffte es endlich, seine Hose zu öffnen. Eulenhaft blinzelnd starrte er ins Nichts, während ein leises Plätschern die Geräusche des Immergrüns untermalte. Seufzend legte der schwer betrunkene Paladin den Kopf in den Nacken – und erstarrte.

Über ihm, auf einem tiefhängenden Zweig, saß ein Streifenhörnchen mit silbernem Rückenfell, das ihn auf eine Art musterte, die Jelninolan oder Khara sich für Gelegenheiten aufhoben, bei denen sich jemand auf eine besonders dämliche Weise zum Narren machte.

»Hallo, mein Kleiner«, lallte Ahren und streckte die Hand nach der Stimme des Waldes aus. »Wolltest du mich im Immergrün willkommen heißen?«

Das Streifenhörnchen wich vor seinen Fingern zurück, und Ahren bewunderte benommen, wie indigniert das kleine Tierchen aussehen konnte. Jener Bereich seines Verstandes, der noch weiter als bis zum nächsten Becher Schnaps denken konnte, wisperte auf Ahren ein, dass er gerade das spirituelle Oberhaupt der Elfen mit heruntergelassener Hose hatte streicheln wollen.

»Wollen …«, begann Ahren und unterbrach sich mit einem Schluckauf. »Wollen wir vielleicht morgen reden?«, fragte er mit einem breiten Lächeln, von dem er hoffte, dass es angemessen freundlich wirkte und nicht wie von einem schnapsgetränkten Vollidioten.

Die Stimme des Waldes sah ihn einen Moment lang an und verschwand dann zwischen den Blättern des Baumes.

Ahren nickte schwerfällig. »Das hast du gut hinbekommen«, lobte er sich selbst. »Echt diplomo– … dilpomei– … taktvoll.« Er band die Schnüre seiner Hose wieder zu und torkelte in Richtung Gelächter zurück. Kaum war er wieder auf der Lichtung, auf der ihre kleine Feier in vollem Gange war, als er losgrölte: »Ihr glaubt nicht, wen ich gerade getroffen habe …!«

Die langsam ihrem Ende entgegenstrebende Nacht war still und angenehm, ganz im Gegensatz zu dem Chor aus Niederfängen, der in Ahrens Kopf eine zwergische Arie anstimmte, während zwei Dutzend Finsterbären über schlecht gestimmte Kriegstrommeln liefen.

»Was für ein tückisches Gebräu hat Lanlion da nur herangeschafft?«, stöhnte der Paladin, als er sich von seinem Lager erhob und zwischen den schnarchenden Gefährten hindurch zu der einzigen Gestalt hinüberschlurfte, die außer ihm noch wach war.

Jelninolan saß am heruntergebrannten Lagerfeuer und hielt Trogadons Kopf in ihrem Schoß. Sie streichelte dem schnarchenden Zwerg über den Nasenrücken, worauf dieser stets mit einem Zucken seines Gesichtes reagierte, ohne zu erwachen.

»Ich hatte einen abstrusen Traum«, sagte Ahren und setzte sich neben die Priesterin. »Ich war im Unterholz und traf die Stimme des Waldes, aber ich hatte keine Hose an und …« Er unterbrach sich, als Jelninolan den Kopf drehte und ihn ansah, als stände sie kurz vor einer Entfesselung. »Oje«, fügte er kleinlaut hinzu.

»Die Göttin hat ihren höchsten Diener ausgesandt, um dir zu deiner erfolgreichen Suche nach den übrigen Paladinen zu gratulieren«, sagte die Elfe, jede Silbe wie ein Hammerschlag, der Ahrens Schuldgefühle tiefer und tiefer, einem glühenden Nagel gleich, in sein gemartertes Hirn rammte. »Und du bist so betrunken, dass du die Stimme des Waldes beinahe vollp–«

Ahren hob eine Hand. »So weit ist es nicht gekommen«, sagte er hastig.

»Wie schön, dass du das sagst. Ich bin ja so froh, das zu hören.« Jelninolans Antwort triefte vor Eis, sie hätte damit einen ganzen Gletscher erschaffen können.

Ahren stöhnte erneut. »Wir haben gefeiert«, sagte er gequält. »Wenn heute ein König in unser Lager spaziert wäre, dann hätte ihn sicherlich auch kein zeremonieller Empfang erwartet.«

Jelninolan nickte spröde. »Schon gut«, sagte sie schließlich. »Ich weiß, dass der Besuch der Stimme überraschend für uns alle war. Aber das macht es nicht weniger peinlich, weder für dich noch für mich.«

»Gut, dass es nur ein Fässchen gab«, sagte Ahren und verbarg das Gesicht in seinen Händen. »Einen Tag wie heute sollte man so schnell nicht wiederholen.«

Trogadons lautes Schnarchen schien Ahren widersprechen zu wollen, und Jelninolan strich ihm wieder über den Nasenrücken.

»Er sieht so niedlich aus, wenn seine Nase zuckt«, sagte sie lächelnd.

Halb um sich von seinen Kopfschmerzen abzulenken, halb weil er diese Frage schon seit Tagen stellen wollte, wandte sich Ahren der Elfe zu und flüsterte: »Wie geht es dir?«

Jelninolan lächelte. »Gut.« Der Hall in ihrer Stimme war selbst bei diesem einen Wort nicht zu überhören.

Ahren zögerte kurz. »Mehr hast du nicht zu sagen?«, bohrte er vorsichtig nach.

Die Priesterin zuckte mit den Achseln. »Ich bin immer noch ich«, sagte sie leise. »Falls es das ist, was du fragen wolltest.«

Ahren knetete unruhig seine Hände. »Was wir auf unserer Reise von den Eisfeldern in den hohen Norden gesehen haben … Waren das wirklich die Erinnerungen der Göttin?«

Jetzt sah Jelninolan ihm direkt in die Augen und Ahren glaubte, ein kaum wahrnehmbares Schimmern in den fernsten Tiefen ihres Blickes zu erkennen. »Es war jener Teil ihrer Sinneseindrücke, den unser Verstand verarbeiten konnte«, sagte sie. »Ein Geschenk, das vor ungeheuer langer Zeit von der Göttin für jene Person hinterlegt wurde, die als Erstes ihre Reise nachempfinden würde.« Sie lächelte. »Ich bezweifle, dass Sie, die fühlt, dabei an eine bunte Kohorte aus Paladinen, Alten, Vertrautentieren, einem Zwerg und einer Prinzessin gedacht hat, aber wenn ich eines verstanden habe auf meiner langen Reise in den Fußspuren der Göttin, dann, dass die Drei zwar Pläne für die Lebewesen ihrer geliebten Schöpfung hatten, aber viele davon unerwartete Resultate hervorbrachten.«

»So wie der Wächter, der zum Widersacher wurde«, sagte Ahren ernst.

Jelninolan seufzte. »Ja. Und wie jene Elfe, die erst Jahrtausende nach der Entstehung Joraths als Erste aus ihrem Volk alle Teiche der Göttin besucht hat.« Ihr Blick bekam einen gequälten Ausdruck. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass schon vor langer Zeit ein Mitglied meines Volkes dieses spezielle Geheimnis hätte lüften sollen.« Sie hob eine Hand vors Gesicht und betrachtete sie, als würde sie sie das erste Mal sehen. »Man stelle sich vor, wie viel Gutes die Elfen in der Welt hätten bewirken können, wenn sie die Transformation durchlaufen hätten, die mir widerfahren ist.«

Der Gedanke ließ Ahren einen Schauer über den Rücken laufen. »Nicht jedem Elf, den ich kennenlernte, würde ich die gleiche Macht anvertrauen, die du in dir trägst«, sagte er eindringlich. »Ist dir der Gedanke gekommen, dass du als Erste die Teiche entdeckt hast, weil du ihrer Macht würdig bist?«

Jelninolan runzelte nachdenklich die Stirn. »Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte sie unschlüssig. »Die Götter schlafen. Wer weiß schon, was genau sie sich für uns ausgemalt haben. Vielleicht sollten wir anerkennen, dass sie allmächtig, aber nicht allwissend sind.«

Ahren stellten sich die Nackenhaare auf. »Was meinst du?«

»Dass die Drei zwar die Werkzeuge ersannen, um die Schöpfung wieder ins Lot zu rücken, aber der Weg, wie diese eingesetzt werden, allein unserer Einschätzung obliegt.« Sie fuhr sich mit beiden Händen übers Haar, als ob sie aus einem tiefen Gewässer auftauchen und die Reste des kühlen Nasses von sich streichen wollte. »Vielleicht hörst du besser nicht auf mich«, sagte sie mit einem gequälten Lächeln. »Das Echo der Göttin lastet schwerer auf meinem Verstand, als ich zugeben möchte. Vielleicht sehe ich einen dichten Dschungel voller verschlungener Wege, wo es nichts weiter als einen einzigen geradlinigen Pfad gibt mit einem festen Anfang und einem unvermeidbaren Ende – wie auch immer das aussehen mag.«

Ahren war erleichtert, als drei Tage nach seinem nächtlichen Gespräch mit Jelninolan mehr als zwei Dutzend Elfen aus dem Dickicht des Immergrüns traten. Sie wurden begleitet von einer Herde in elegante Lederrüstungen gehüllte Titejunanwas sowie einer Vielzahl anderer ebenfalls gerüsteter Tiere des Waldes. Der ungewöhnliche Anblick und einsetzende Trubel des bevorstehenden Aufbruchs der Gefährten löschte zumindest kurzfristig jene nagenden Grübeleien aus, die Jelninolans Worte in ihm geweckt hatten. Konnte es etwa sein, dass die Götter viel planloser waren, als ihnen allseits zugestanden wurde? Waren sie wie drei Erwachsene, die ihren Kindern komplizierte Werkzeuge in die Stube legten und hofften, dass ihre Zöglinge schon alleine dahinterkamen, wie man die Gerätschaften benutzte?

Ahren hatte sich mehrfach dabei ertappt, wie er gedanklich durchspielte, was passiert wäre, wenn die Elfen der altvorderen Zeit vor dem Beginn der Dunklen Tage auf ihren weiten Reisen durch die Welt die Eisfelder erreicht und das Geheimnis der Teiche der Göttin gelüftet hätten. Wären sie imstande gewesen, mit dem Echo dieser Macht den Hüter zu bezwingen, bevor er vollends zum Dunklen Gott hatte werden können? Hätten sie die Geheimnisse der Magie viel früher nach Jorath gebracht? Und wäre die Entstehung der Paladine vielleicht nie notwendig geworden?

Ahren konnte nicht umhin, sich und seine Brüder und Schwestern in einem neuen Licht zu sehen. Vielleicht waren sie nur ein Provisorium in einer Reihe von vielen, mit denen die Götter den Widersacher verzweifelt zu bezwingen versuchten.

Vielleicht sind wir nicht einmal das letzte, schoss es ihm durch den Kopf.

Papperlapapp. Culhens Widerspruch krachte in Ahrens Gedanken wie ein Felsbrocken durch eine dünne Eisschicht. Ich bin sicherlich kein Provisorium, und dann kannst du auch keines sein. Und jetzt hilf mir lieber, diesen elfischen Wolfshund von Yoka fernzuhalten, der schon die ganze Zeit um sie herumscharwenzelt.

Im Gegensatz zu dir?, fragte Ahren schmunzelnd.

Ich scharwenzele nicht, erwiderte Culhen hochmütig. Ich bin nur höflich und zuvorkommend. Das ist ein großer Unterschied.

Ahren folgte seinem Freund lachend und stürzte sich in all die kleinen Handreichungen rund um ihren bevorstehenden Aufbruch, wobei die Zweifel in seinem Inneren zumindest kurzfristig verstummten.

»Muss das wirklich sein?«, fragte Khara und nahm Ahren damit die Worte aus dem Mund.

Sie waren vier Tage gen Süden geritten und soeben hatte der Erste beim Abendmahl verkündet, dass sich die Gruppe aufteilen sollte.

»Es handelt sich lediglich um eine Vorsichtsmaßnahme«, erklärte Uldini anstelle des Veteranen. »Der Dunkle Gott weiß, dass die Dreizehn zurück sind und gen Ring streben. Indem wir die Paladine in möglichst kleine Gruppen aufteilen, verhindern wir, dass er in Versuchung gerät, mehrere von ihnen mit einem Schlag zu erledigen.«

»Und wenn er versucht, einen von uns umzubringen, gerade weil dieser den Schutz der anderen verlassen hat?«, fragte Ahren skeptisch.

»Sieben Paladine auf einem Haufen sind für den Dunklen Gott um ein Vielfaches leichter aufzuspüren als zwei oder höchstens drei«, sagte Lanlion. »Unsere Gruppe muss dem Widersacher wie ein Leuchtfeuer erscheinen. Sobald wir den Immergrün verlassen, sind wir eine willkommene Einladung für einen Durchbruch seiner Armeen in unsere Richtung.«

»Generell gilt ab jetzt: Je mehr Paladine beieinander sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs durch die stärksten Dunkelwesen, die der Dunkle Gott aufbieten kann«, sagte der Erste. »Wir kennen dieses Muster aus den letzten Wochen der Dunklen Tage.«

»Und sobald wir alle zusammentreffen«, sagte Falk düster, »wird es eine neue Nacht des Blutes geben.«

»Das wissen wir nicht genau«, warf Bergen in beinahe flehendem Ton ein. Der Paladin wirkte unruhig und fahrig. Ahren konnte sich denken, dass er zurück zu seiner Blauen Kohorte und vor allem zu seiner Seelenverwandten wollte, die in der Burg Hochstein vielleicht bereits ihr gemeinsames Kind geboren hatte.

»Es gibt kaum etwas, bei dem ich mir sicherer bin«, sagte Uldini in hartem Ton. »Der Widersacher war schon einmal erfolgreich damit, die Chance auf einen endgültigen Sieg in einer Nacht des Blutes um Jahrhunderte hinauszuzögern. Er wird diese Strategie also erneut anwenden.«

Der Erste zeigte auf sich, Bergen und Schläft-im-Wipfel. »Wir drei reisen mit einer Eskorte von zweihundert Elfen aus dem Nordwesten gen Ring. Lanlion und Lyssin kommen direkt von Norden, begleitet von der Hauptstreitmacht der Elfen. Ahren, Hakanu und Falk reisen von Nordosten an, ihr habt mit Jelninolan und Uldini genug magischen Schutz, dass ihr ohne reguläre Truppen auskommen könnt. Seid ihr damit einverstanden?«

»Unsere Gruppe wird klein genug sein, dass ich sie effektiv vor dem tastenden Geist des Widersachers verbergen kann«, erklärte Jelninolan selbstsicher.

»Ähm«, ließ Hakanu sich vernehmen. »Vielleicht können Lyssin, Meister Ahren und ich zusammen reisen? Wir könnten ihr helfen, sich auf dem Kontinent zurechtzufinden, und …«

»Mein Wissen über Jorath sollte ausreichen«, fuhr Lanlion schmunzelnd dazwischen, als sich die Miene des Ersten wie eine Gewitterwolke zusammenballte. »Ich denke, für die wenigen Wochen, die die Reise dauert, werde ich Lyssin wohl zu unterhalten wissen.« Er nickte ihr höflich zu, und sie grinste ihn daraufhin unbefangen an.

Aber … aber Yoka …, begann Culhen weinerlich.

Ahren seufzte. Du siehst sie am Ring wieder. Bitte verhalte dich jetzt nicht genauso unreif wie Hakanu.

Das darauffolgende Schmollen des Wolfes hallte im Schädel des Paladins wider wie ein Fanfarenstoß.

»Nachdem nun endlich geklärt ist, wer mit wem reisen darf, könnten wir uns ja vielleicht auf den Weg machen?«, fragte Uldini in jenem zuckersüßen Ton, der vor Ungeduld geradezu troff.

»Wir werden also die Route durch die Rittermarschen und Hjalgar nehmen?«, fragte Trogadon, der selbstverständlich an Jelninolans Seite bleiben würde, und strich sich über den Bart. »Das klingt nach einem gemütlichen Spaziergang.«

»Den letzten Berichten nach, die ich kürzlich noch erhalten habe, hat unser bärtiger Freund ausnahmsweise recht«, erläuterte Uldini. »In beiden Ländern gibt es kaum Sichtungen von Dunkelwesen diesseits des Rings, geschweige denn von Hoch- oder Niederfängen.«

»Das könnte sich ändern, sobald uns der Widersacher auf die Schliche kommt«, warnte Falk. »Wie du schon sagtest, sieben Streiter der Götter auf einem Haufen kann er womöglich spüren, indem er nur die Augen schließt und an Paladine denkt. Sobald er merkt, dass wir uns getrennt haben, wird er wissen, dass wir uns von verschiedenen Richtungen an den Ring heranpirschen wollen.«

Uldini zuckte mit den Achseln. »Was willst du von mir hören?«, grantelte er. »Alles, was wir von jetzt an tun, ist ein Hochseilakt. Der Widersacher scheint große Angst vor einem möglichen Hinterhalt der dreizehn Paladine zu haben. Die Götter wissen, wir haben diese Taktik in den Dunklen Tagen mehr als einmal recht erfolgreich angewandt. Aber gleichzeitig darf er nicht so sehr beunruhigt werden, dass er im Schutz seiner Truppen einen Ausbruch aus dem Ring wagt. Solange er glaubt, uns in der Wildnis mittels seiner versprengten Diener abpassen zu können, wird er sich nicht vom Fleck bewegen.«

»Bah, wie ich schon damals dieses blinde Abwägen verabscheut habe«, sagte Bergen in zutiefst frustriertem Ton. »Was haben wir uns abgemüht, um ihn einzukesseln, nur damit er …« Seine Stimme brach und Ahren spürte, dass im darauffolgenden Schweigen die Nacht des Blutes wie ein mutsaugender Geist zwischen ihnen schwebte.

»Diesmal wird es anders«, sagte Jelninolan mit einem aufmunternden Lächeln in die Runde, von dem Ahren sah, dass es nicht bis zu ihren Augen reichte. Stattdessen las er dort eine tiefe Sorge, die die seine noch verstärkte.

»Also gut«, sagte der Erste befehlsgewohnt. »Jeder kennt seine Reiseroute. Viel Glück. Wir sehen uns alle am Ring.« Dann flüsterte er dem Titejunanwa, das ihn trug, etwas auf Elfisch ins Ohr und es trottete schnaubend los.

»Bald sind alle Lieder gesungen, alle Pläne vollendet«, sagte Schläft-im-Wipfel, die dem Ersten nachritt. »Was bleibt, ist ein sich schließender Kreis aus Sieg und Niederlage.«

»Na, wenn das nicht hilfreich war«, murrte Bergen mit einem missmutigen Blick auf den Rücken der Alten. Er winkte den restlichen Gefährten zu und klopfte seinem Titejunanwa auf die Flanke. »Wir reiten besser ebenfalls los, mein Guter. Wir wollen doch nicht den Anschluss an die Herde verlieren.«

Das Tier schnaubte und setzte sich in Bewegung. Selsena wieherte einmal laut und ein leiser Abschiedsschmerz ging von ihr aus.