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Eigentlich soll Privatdetektiv Solo Malcolm den Raubüberfall auf einen Goldtransport nur ein wenig durchleuchten und Spuren sichern, bis sein Freund, der Versicherungsdetektiv Ricky Shane, ihn übernehmen kann. Doch nach einem Mord und einem Doppelmord ist es ein Fall für Solo... Der Roman DER MORD IM DUNKELN um den Privatdetektiv Solo Malcolm aus der Feder des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1973; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1979. Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
JOHN CASSELLS
DER MORD IM DUNKELN
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
DER MORD IM DUNKELN
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Copyright © by William Murdoch Duncan/Signum-Verlag.
Published by arrangement with the Estate of William Duncan Murdoch.
Original-Titel: Murder In A Dark Room.
Übesetzung: Jürgen Saupe.
Lektorat: Dr. Birgit Rehberg
Cover: Copyright © by Christian Dörge.
Verlag:
Signum-Verlag
Winthirstraße 11
80639 München
www.signum-literatur.com
Eigentlich soll Privatdetektiv Solo Malcolm den Raubüberfall auf einen Goldtransport nur ein wenig durchleuchten und Spuren sichern, bis sein Freund, der Versicherungsdetektiv Ricky Shane, ihn übernehmen kann. Doch nach einem Mord und einem Doppelmord ist es ein Fall für Solo...
Der Roman Der Mord im Dunkeln um den Privatdetektiv Solo Malcolm aus der Feder des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1973; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1979.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
Der Tag, an dem mich Ricky Shane im Lokal von Charlie Bendall anrief, um mir von seinem Pech zu erzählen, dass Ling und Wellstead den Firmenwagen zu Schrott gefahren hatten, war der Tag, an dem Charlie es mit Hot Dogs versuchte. Da mir echte Wiener eine Menge bedeuten, wenn es um einen Imbiss geht, werde ich den Tag so schnell nicht vergessen.
Es war der fünfzehnte Januar. Es war ein Montag, und es war so kalt, dass ich wünschte, nie ins Büro gegangen zu sein. Vor allem gab es gar keinen Anlass dazu. Ich hatte gerade eine große Sache zu Ende geführt und war besonders gut bezahlt worden. Nicht nur das, sondern meine geliebte Jane hatte außerdem vorgeschlagen, für eine Woche oder zehn Tage nach Schottland zu fahren, wo sie einen Onkel hat, der die Winter damit verbringt, Enten und Wildgänsen nachzustellen; der alte Mann wollte uns gern sehen, weil in dem Teil der Welt die Winternächte reichlich lang sind.
Zuerst fand ich den Einfall recht gut, weil ich seit meiner Zeit in der Armee nicht mehr gejagt hatte. Ich hätte vielleicht gleich zugestimmt, wenn ich Charlie Bendall im neuen Jahr schon gesehen hätte. Aber ich hatte ihn noch nicht gesehen, und das war noch nie vorgekommen, seit Charlie und ich uns vor langer, langer Zeit kennengelernt hatten.
Als mich Jane an jenem Morgen beim Frühstück angesehen und gefragt hatte: »Was soll ich mit Onkel Donald machen?«, da überlegte ich mir das eine Weile, während sie mich beobachtete. Und während ich nachdachte, meinte sie: »Keine große Lust, Solo?«
»Das hat mit Lust nichts zu tun«, sagte ich ihr. »Ich habe schon zehn Tage nichts getan.«
»Du hast eben einen großen Auftrag erledigt und brauchst kein Geld.«
»Mach mir’s nicht schwer, Jane.« Ich stopfte mir eine Pfeife. »Ich sag’ dir was. Ich gehe heute ins Büro und schaue nach, ob was gekommen ist. Dann gehe ich zu Charlie Bendall und esse vielleicht etwas bei ihm. Vielleicht wartet im Büro etwas auf mich. Wenn ja, möchte ich es mir nicht entgehen lassen.«
Jane seufzte: »Ja, ich weiß.«
Das war also erledigt. So ist es nun einmal. Ich ging in mein Büro. Im Briefkasten war Post. Eine Menge Rechnungen, aber nicht nur. Ein Kerl namens Levine wollte wissen, wieviel ich verlange, wenn ich auf seine Frau ein Auge haben soll. Dann ein Scheck über siebzehn Pfund für eine Sache, bei der ich nie mit Bezahlung gerechnet hatte. Das war alles. Na ja, ich räumte meinen Schreibtisch auf und ging zum Joss House hinüber, wo Charlie Bendall so froh war, mich zu sehen, als würde ich ihm Geldschulden.
Er zog eine Flasche Teacher’s hervor, stellte sie auf die Theke und schraubte sie auf. Er schenkte zwei Gläser voll und sagte: »Ein gutes neues Jahr wünsche ich dir, Solo. Vielleicht schon ein bisschen spät dafür, aber trotzdem.«
Nachdem wir einen Schluck getrunken hatten, erzählte er mir von den Hot Dogs. »Der Junge von meinem Vetter Bert in den Staaten war für ein paar Wochen hier. Bert hat eine Imbissstube in Fall River, und der Junge war überrascht, dass ich hier keine Hot Dogs führe. Er sagte, damit kann man eine Menge Geld machen, wenn man sie richtig zubereitet und wenn man vor allem gute Wiener kriegt.«
»Da ist was dran«, stimmte ich zu. »Und was hast du gemacht?«
»Ich habe den alten Sol Brauman angerufen. Den Schweinemetzger in der Kelman Street, und er sagte, ich soll den jungen Sid rüberschicken, was ich auch tat. Er und der alte Sol haben sich gleich prächtig verstanden, und sie haben dann Rezepte für die Würstchen ausprobiert. Schließlich war Sid zufrieden. Der alte Sol hat also eine Wanne vollgemacht, und wir haben sie hergeschafft, und ich habe sie in den Eisschrank gepackt.«
»Und Sid?«
»Musste nach Fall River zurück, bevor wir seine Idee ausprobieren konnten.«
»Du hast also noch die ganzen Wiener?«
»Die und zwei Töpfe, um sie zu kochen - und eine Ladung Brötchen, französischen Senf, Zwiebeln, Ketchup und sauer eingelegten Mais. Ich wollte gerade anfangen, Geld zu scheffeln, als er zurück musste.«
»Schlimm«, sagte ich, »aber du wirst doch was von dem Zeug verwenden können?«
»Die Brötchen, wenn sie mir nicht hart werden. Die Zwiebeln auch, aber für den Januar liegt eine verdammte Menge Senf, Ketchup und Maiskolben herum.«
»Hol einen großen Topf«, sagte ich. »Sehen wir zu, was wir machen können.«
»Ich habe diese zwei Dampftöpfe«, sagte Charlie. »Ich sage dir, Solo, eine richtig tolle Sache. Man macht die Brötchen in dem einen heiß, in dem anderen die Wiener - und wieso er überhaupt Würstchen Wiener nennt, hat er mir nie erklärt.«
»Hat was mit Wien zu tun«, sagte ich. »Dort hat man sie erfunden.« Ich zog meine Jacke aus. »Ich habe nichts dagegen, ein paar zu verdrücken. Ich mag Wiener öder Hot Dogs oder wie du sie nennen willst.«
»Was stehen wir dann noch rum?«, fragte Charlie.
Wir machten uns an die Arbeit, bereiteten einen Schwung zu, und jeder von uns aß ein halbes Dutzend, um dem ärgsten Hunger zu begegnen. Und dann hatte Charlie seinen großen Einfall.
»Diese verdammten Würstchen sind besser, als ich dachte, Solo. Weißt du was? Ich habe die Idee, ich könnte da was verdienen, so wie Sid sagte, wenn ich einen großen, starken Kerl wie dich hätte, der die Brötchen schneidet und mit Butter und Senf beschmiert und das Ketchup darüber schüttet und so weiter.«
»Ist schon was dran, Charlie«, pflichtete ich ihm bei. »Wir können’« heute ja mal probieren, wenn du magst, solange sie reichen. Was verlangen wir dafür?«
»Mit all diesen Köstlichkeiten wie Maiskolben und so weiter müssen sie teuer genug sein, damit die Leute merken, sie kriegen was Erstklassiges. Ich sage zwanzig Pence für einen Hot Dog und keinen Penny weniger.«
Wir arbeiteten also wie die Pferde, und als es Mittag wurde, waren wir richtig drin. Die Leute, die für gewöhnlich Käse- und Schinkenbrötchen aßen, stellten sich für einen zweiten und dritten Hot Dog an, als Maxie Lewis mitten hineinplatzte.
Maxie ist Kriminalinspektor Lewis, für seine Größe und sein Gewicht einer der gerissensten Bullen, die ich kenne. Er ging gleich nach hinten durch, wo ich Zwiebeln kleinschnitt, und warf mir einen neugierigen Blick zu.
»Hallo, Solo, neuer Beruf?«
»Ja.« Ich wischte mir die Hände an einem Handtuch ab, und wir schüttelten uns die Hände. »Ein gutes neues Jahr, Maxie.«
Maxie sagte: »Gleichfalls.«
Charlie kam zu uns und holte drei Gläser heraus. Er schenkte sie voll und schob sie zu uns hinüber. »Nun, mit den besten Wünschen, meine Herren.« Er kippte seins fast ganz hinter. »Müsst mich entschuldigen, Jungs. Die stehen in Schlangen nach den Wienern an.«
»Halt dich an die Wiener«, sagte ich. »Und dein Glück ist gemacht. Dass dir das aber nicht zu Kopf steigt!«
Charlie rannte hinaus.
»Was zum Teufel ist hier los?«, fragte der verblüffte Maxie.
Ich berichtete ihm.
»Wiener?«, sagte Maxie. »Würstchen? Klingt gut, Solo, da kannst du mir gleich ein oder zwei machen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Hör mal, Maxie, für dich tue ich eine ganze Menge, aber das nicht, und weißt du auch, warum? Weil da die Religion mit ins Spiel kommt, und obwohl ich nicht gerade der religiöseste Mensch in der Gegend bin, habe ich doch meine Grundsätze und muss dir sagen, dass diese Wiener zum größten Teil aus Schweinefleisch bestehen und...«
Maxie zwinkerte mir zu. »Kein Wort weiter, Solo. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ich habe sowieso nichts gegen ein bisschen Schweinefleisch, solange Lil nichts davon erfährt.«
»Du willst also deine Frau hintergehen, Maxie?«
»Für Schweinefleisch tue ich alles«, sagte Maxie. »Du kennst mich, Solo, also heraus mit diesen Wienern, über die so viel geredet wird, und dann sehen wir weiter.«
Ich bereitete ihm die letzten beiden zu, die noch übrig waren, und er machte sich über sie her und erklärte nach ein paar Bissen, dass sie hervorragend seien. »Von jetzt an esse ich meine Wiener im Joss House.«
Und dann klingelte das Telefon in Charlies kleinem Zimmer.
Charlie kam, um das Gespräch entgegenzunehmen. Er machte die Tür hinter sich nicht zu, und ich konnte hören, wie er sagte: »Wer? Solo Malcolm? Komisch, dass Sie heute anrufen. Drei Wochen habe ich nichts von ihm gesehen, und jetzt sitzt er hier in der Küche. Ich hole ihn.«
Ich ging ihm entgegen.
»Heißt Shane, Solo. Will dich sprechen. Ricky Shane. Sagt, er kennt dich.«
Das stimmte. Ricky Shane kannte mich und ich ihn. Shane war der oberste Detektiv der Firma Lee and Schuyster, der Versicherung, und ich hatte schon ein paar Sachen für ihn erledigt.
Ich hatte Shane vor einigen Jahren auf einer Party kennengelernt, ihn ein paarmal getroffen, und er hatte mir ein oder zwei nette Aufträge zugeschanzt. Nett an ihnen war gewesen, dass ich sie zu einer Zeit erhielt, als mein Geschäft sehr lausig ging, und Shane darauf gesehen hatte, dass ich sofort bezahlt wurde.
Ich ging zum Telefon, fragte mich, was er wohl auf dem Herzen hatte, nahm den Hörer und sagte: »Wie geht’s Ihnen, Rick?«
»Gut«, sagte er. »Ich lebe, was man von der Hälfte meiner Mitarbeiter kaum sagen kann. Solo, können Sie mir helfen?«
Ich antwortete nicht gleich.
»Arbeiten Sie an etwas?«, fragte er.
Auf diese Frage konnte ich nur mit Nein antworten.
»Schön, ich habe etwas für Sie. Ich kann Hilfe gebrauchen, kann ich Ihnen sagen. Diese verdammte Grippe hat vier von meinen Jungs lahmgelegt. Und als ob das nicht schon schlimm genug ist, was glauben Sie wohl, was meinen zwei besten Mitarbeitern passieren musste?«
»Keine Ahnung. Sagen Sie’s schon.«
»Ling und Wellstead«, sagte er. Seine Stimme klang angewidert. »Sie sind gestern nach Luton gefahren und haben den Firmenwagen ruiniert. Beide sind im Krankenhaus. Ling hat einen Schädelbruch und wird monatelang liegen müssen. Wellstead hat’s auch schlimm erwischt. Beide Beine gebrochen und eine Rückenverletzung. Sie können sich vorstellen, in was für einer Lage ich bin. Auf der Nase liege ich. Hätte nicht ungelegener kommen können.«
»Schlimm, Ricky.«
Shane fluchte leise. »Das können Sie noch einmal sagen. Können Sie mir helfen?« Ich zögerte, und Shane sagte: »Schön, ich wusste, Sie würden mich nicht sitzenlassen.«
»Worum geht’s?«
»Goldraub. Raphael and Dexter. Sie haben sicher davon gehört.«
Das hatte ich allerdings. Ich sagte: »Zum Teufel, Ricky! Das ist kalter Kaffee. Das muss doch sechs Wochen her sein.«
Shane brummte: »Genau. In der Angelegenheit rührt sich nichts. Sie wissen, was ich meine. Können Sie kommen?«
»Ich sage Ihnen was. Ich rufe meine Frau an und frage mal.«
»Du meine Güte«, sagte er. »Spreche ich mit Solo Malcolm? Müssen Sie erst fragen?«
»Allerdings, verdammt noch mal. Wir hatten vor, nach Schottland zu fahren, wo wir einen alten Onkel Donald besuchen wollten, der uns mit auf die Jagd nehmen wollte. Wildgänse und Enten schießen.«
Shane sagte: »Was ist denn an so einer Gans oder Ente schon dran? Nichts mehr von diesem dummen Hin- und Hergerede. Eine tolle Sache und eine Menge Geld für Sie. Ich kann ein paar Hundert die Woche für Sie herausschinden, solange die Sache läuft. Ja oder nein?«
»Ja«, sagte ich. »Mit der kleinen Frau werde ich es später in Ordnung bringen.«
»Schön. Kommen Sie schnell her.«
»Geben Sie mir eine halbe Stunde«, sagte ich und legte auf.
Als ich an Maxie vorbeikam, aß er eben den allerletzten Hot Dog auf. »Was höre ich denn da, Solo?«, sagte er.
»Ricky Shane. Kennst du ihn?«
»Ich kenne ihn. Hat er etwas für dich?«
»Ja. Die Sache mit Raphael and Dexter.«
Maxie starrte mich an. »Da bist du aber nicht der einzige. Scotland Yard befasst sich mit dem Fall, und so viel ich höre, kommen die auch nicht so recht weiter.«
»Wer ist zuständig?«
»Hacker.«
»Kenne ich nicht. Wie ist er?«
Maxie sah mich nachdenklich an. »Ein harter Brocken.«
»Stört mich nicht. Die Frage ist die: Ist er für Zusammenarbeit?«
»Die Antwort ist nein.«
»Einfach so, was?«
»Ich fürchte schon.« Maxie schüttelte sich eine Zigarette aus einer Packung, zündete sie an und fing an zu husten. »Hör mal...«
»Ich höre, Maxie. Du solltest aufpassen.« Ich zog meinen Mantel an. »Die Dinger sind tödlich. Steck sie lieber weg. Was anderes, dieser Goldraub. Wieviel?«
»Neununddreißigtausend.«
»Ein hübsches Sümmchen«, sagte ich. »Was weiß man offiziell darüber?«
»Kann ich dir nicht sagen, weil ich nie Zeit hatte, mich darum zu kümmern. Habe selbst genug zu tun, mein Junge. Ich weiß nur, dass sich Hacker mit der Sache befasst. Inspektor Hacker. Von ihm wirst du überhaupt keine Unterstützung erhalten. Erwarte also auch keine.«
»Tue ich nicht«, sagte ich.
Da kam Charlie herein. »Die Tour mit den Wienern ist Klasse«, sagte er. »Ausverkauft. Ich werde damit weitermachen. Eine Stelle für dich, Solo, die Brötchen schneiden und das Zeug draufschmieren. Die sind alle ganz verrückt danach. Muss schon was dran sein. Gehst du weg?«
»Ja«, sagte ich. »Ricky Shane hat mich abgeworben. Auf bald.« Ich ging hinaus und machte mich auf den Weg zur U-Bahn, weil ich aus Erfahrung weiß, dass das heutzutage die sicherste und schnellste Art ist, in London weiterzukommen, da einem ein Auto nichts als Magengeschwüre einbringt.
Die Londoner Büros von Lee and Schuyster lagen in der Boucher Lane, und ich war eine halbe Stunde später dort, ohne allzu viel Schweiß vergossen zu haben.
Ricky Shane hatte sein Büro im fünften Stock. Als ich eintrat, saß Ricky mit einer Pfeife im Mund und gerunzelter Stirn hinter seinem Schreibtisch. Dieser Ricky ist ein hart aussehender Bursche aus Montana. So ungefähr einssiebenundsiebzig groß und an die achtzig Kilo schwer. Ein rotes, angenehmes Gesicht, ziemlich scharfe blaue Augen. Er kennt sich in seinem Beruf aus. Er fing seine Laufbahn beim Militär an, ging dann zur Polizei in Chicago. Fünf Jahre blieb er dabei, lernte eine Menge, wurde zweimal wegen Tapferkeit belobigt.
Im Alter von zweiunddreißig Jahren wurde er zum Leutnant befördert - einer der jüngsten Leutnants überhaupt. Drei Jahre tat er harten Dienst, hörte nie auf, dazuzulernen. Gegen Ende der Zeit hatten sich Lee and Schuyster in New York nach einem neuen Mann umgesehen, und Shane hatte alle Erwartungen erfüllt.
Sie boten ihm in New York eine Stelle zu Bedingungen an, denen er nicht widerstehen konnte. Ricky nahm an. Er hatte drei Jahre in New York und ein Jahr in San Francisco hinter sich gebracht, da schickte man ihn nach Europa. Er war gut. Kannte sich in seinem Beruf aus. Er blickte auf, als ich eintrat, nahm die Pfeife aus dem Mund und sagte: »Schön, Sie zu sehen, Solo. Kommen Sie her, setzen Sie sich.«
Shane schob seine Tabakdose zu mir hin. »Stopfen Sie sich eine. Ich erzähle Ihnen alles der Reihe nach.« Er sah mir zu, wie ich meine Pfeife füllte. »Aber zunächst einmal, was wissen Sie über die Sache mit Raphael and Dexter?«
»Verdammt wenig, außer dass es ein Goldraub in Höhe von neununddreißigtausend Pfund war. Wurde gegen Ende November verübt, und die Untersuchungen leitet Inspektor Hacker.«
»Der Dreckskerl!« Shane schloss die Augen. »Na schön. Die nackten Tatsachen kennen Sie. Ihre Zahl stimmt nicht ganz. Es waren genau vierundvierzigtausend. Die Berichtigung ist aber damals nicht mehr in die Zeitungen gekommen.«
»Was sind schon ein paar Tausend mehr oder weniger, Ricky?«
Shane schnaubte: »Eine ganze Menge, kann ich Ihnen sagen. Also, knöpfen wir uns die Sache einmal vor.«
Ich lehnte mich zurück und hörte zu.
Shane sagte mürrisch: »Diese Firma Raphael and Dexter ist seit hundertsechzig Jahren im Handel mit Goldbarren tätig. Eine gute, alte, solide Firma. Sie ist bei uns versichert. Seit neunzehnhundertdreiundzwanzig. In der ganzen Zeit haben wir nicht einen einzigen Penny an sie auszahlen müssen.«
»Eine Sache ohne Risiko?«
»Das dachten wir. Mein Vorgänger meinte, ihre Methoden seien mit heutigen Maßstäben gemessen etwas altmodisch, aber er hat sie sorgfältig überprüft und fand, dass sie in Ordnung sind.«
»Wie haben Sie darüber gedacht?«
Shane runzelte die Stirn. »Mir kam’s so vor, als ob er recht hatte. Seit ich hier bin, habe ich sie zweimal im Jahr überprüft. Sie haben dort ein gutes, modernes, festes Panzergewölbe. Sie verfügen über Alarmanlagen, haben zwei Nachtwächter mit einem Hund und zwei Wachleute für den Tag. Kam mir in Ordnung vor. Ich hatte keine Bedenken. Nun, ich hatte mich geirrt. Am neunundzwanzigsten November ist es passiert. Vierundvierzigtausend in Goldbarren, einfach so weggeschnappt.« Er schnippte mit den Fingern.
»Aus dem Gewölbe?«
Shane schüttelte den Kopf. »Nein, ein Überfall. Auf der Straße.« Er langte in seine Schublade, zog Zeichenpapier hervor und legte es auf die Tischplatte. »Kommen Sie her, da können Sie es besser sehen.«
Ich trat hinter ihn.
Ein Straßenplan, auf dem alle Einzelheiten eingezeichnet waren. Ich blickte auf rote, blaue, schwarze und grüne Linien. Auf gepunktete Linien und Bezeichnungen wie Keine Einfahrt, Einbahnstraße; Parkverbot; Bartrams, Weinhändler; Mill & Copley, Teehandlung; Neeley & Frost, Drogerie. Und so weiter.
Ricky nahm einen Bleistift und klopfte gegen das Papier. »Eine Karte der French Lane«, sagte er, »und des Duckley Court und der Jervis Alley im Süden der French Lane. Hier ist alles drauf, was man wissen muss, um sich ein Bild machen zu können. Kann ich am Schreibtisch besser erklären, als wenn wir hinfahren würden.«
»Klar«, sagte ich.
»Okay.« Er zeigte auf die mittlere Straße, die rot gezeichnet war. »Das ist die French Lane. Hier haben Raphael and Dexter ihre Geschäftsräume.« Er deutete auf ein kleines, grünes Quadrat. »Sie haben die unteren zwei Geschosse eines dreistöckigen Gebäudes. An der Seite haben sie einen Hof. Hier. Da ist ein vier Meter fünfzig breites Stahltor, das auf die Straße hinausgeht. Das Tor ist immer verschlossen, es sei denn, es kommt ein Wagen, der be- oder entladen wird. Das geht so vor sich.« Er zeigte wieder auf das Tor. »Wenn etwas geliefert oder abtransportiert wird, benutzt die Firma ihren eigenen Spezialwagen. Wenn Goldbarren geliefert werden, fahren ein Fahrer, ein Beifahrer und zwei Wachleute mit. Wenn sie hier ankommen, steigen die beiden Wachleute aus. Einer macht das Tor mit einem Schlüssel, den er bei sich trägt, auf, und der Wagen fährt hinein. Das Tor wird zugemacht und sofort verschlossen. Der Wagen fährt an eine Laderampe, die hinter dem Gebäude ist.« Er zeigte mir die Stelle. »Die Goldbarren werden ausgeladen und in das Panzergewölbe geschafft, das dann sofort wieder abgesperrt wird. Das wird immer unter Bewachung gemacht und ist so sicher, wie es nur geht.«
»In diesem Fall hat es aber nicht genügt.«
»Weil es ein Überfall war.« Ricky zeigte auf die Karte. »Die Leute warteten hier mit einem großen Lastwagen. Als der Wagen mit den Goldbarren kam, warteten sie, bis er am Tor anhielt, dann rammten sie ihn. Im Lastwagen waren fünf Männer - bewaffnet. Das Ganze dauerte nicht länger als fünf Minuten. Sie knüppelten die Wachleute und die Fahrer nieder, schnappten sich die Barren, stießen mit ihrem Lastwagen zurück und waren weg wie die Windhunde. Vier Minuten später in der Penfold Street stiegen sie in einen schwarzen Zephyr um. Dann stiegen sie in einen Humber um und ließen den Zephyr am Colling Court stehen, wo ihn die Polizei eine Stunde später fand. Das ist alles. Eine saubere Flucht.«
»Fünf Männer?«
»Ja. Mit Nylonmasken. Drei hatten Stiele von Spitzhacken, zwei Pistolen.« Er warf den Bleistift hin. »Einer der Wachleute, Clayton, starb in der Woche. Der andere, Haney, ist vor ein paar Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Er ist erledigt.«
»Was sagt die Polizei?«
»Das Übliche. Eine Bande. Man dachte, es war vielleicht Farley. Kennen Sie ihn?«
»Ich habe von ihm gehört. War er’s?«
»Nein. Man knöpfte sich die Green-Bande vor. Nichts. Dann die Bande von Brolley. Sie wurden ausgequetscht, aber es kam nichts dabei heraus. Man weiß im Augenblick nicht weiter. Die Polizei bearbeitet den Fall natürlich weiter, aber pro Woche haben sie zwei solche Fälle. Wir können nur abwarten, was die Polizei herausbekommt.«
»Was haben Sie herausbekommen?«
Shane sagte: »Verdammt wenig. Ich habe zu wenige Arbeitskräfte. Ich habe mich selbst darum gekümmert und jeden Mann, den ich entbehren konnte, eingesetzt. Viel haben wir nicht erreicht.«
»Aber etwas doch?«
»Ja. Ich sag’s Ihnen«, und er legte die Spitze seines Stifts auf das Papier. »Schauen Sie hierher. Sieben Geschäfte in einer Reihe, und das letzte war zur Zeit des Überfalls von einem Uhrmacher gemietet. Hieß Scherz, Walther Scherz.«
»Wer ist das?«
Shane runzelte die Stirn.