DIE BASTION DER VERDAMMTEN - John Cassells - E-Book

DIE BASTION DER VERDAMMTEN E-Book

John Cassells

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Beschreibung

Allcott, der Mörder von Battersea, war aus dem Zuchthaus von Dartmoor entflohen. Die Polizei setzte ungewöhnliche Mittel ein, um ihn wieder zu fangen, denn Allcott hatte sechs brutale Morde auf dem Gewissen. Einige Spuren schienen nach London zu weisen, andere deuteten darauf hin, dass Allcott im unwegsamen Dartmoor einen Unterschlupf gefunden hätte, denn das weitausgedehnte Moor ist reich an Verstecken. Neben den Fahndungen in London veranstaltete man systematische Suchen im Dartmoor-Gebiet und hatte außer allen verfügbaren Polizei-Abteilungen auch Militär eingesetzt... Der Roman DIE BASTION DER VERDAMMTEN des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1946; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1953. Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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JOHN CASSELLS

 

 

Die Bastion der Verdammten

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

DIE BASTION DER VERDAMMTEN 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

Neunzehntes Kapitel 

Zwanzigstes Kapitel 

Einundzwanzigstes Kapitel 

Zweiundzwanzigstes Kapitel 

Dreiundzwanzigstes Kapitel 

Vierundzwanzigstes Kapitel 

Fünfundzwanzigstes Kapitel 

Sechsundzwanzigstes Kapitel 

Siebenundzwanzigstes Kapitel 

Achtundzwanzigstes Kapitel 

Neunundzwanzigstes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © by William Murdoch Duncan/Signum-Verlag.

Published by arrangement with the Estate of William Murdoch Duncan.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg.

Übersetzung: Werner Steinberg.

Original-Titel: The Bastion Of The Damned.

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Allcott, der Mörder von Battersea, war aus dem Zuchthaus von Dartmoor entflohen. Die Polizei setzte ungewöhnliche Mittel ein, um ihn wieder zu fangen, denn Allcott hatte sechs brutale Morde auf dem Gewissen.

Einige Spuren schienen nach London zu weisen, andere deuteten darauf hin, dass Allcott im unwegsamen Dartmoor einen Unterschlupf gefunden hätte, denn das weitausgedehnte Moor ist reich an Verstecken. Neben den Fahndungen in London veranstaltete man systematische Suchen im Dartmoor-Gebiet und hatte außer allen verfügbaren Polizei-Abteilungen auch Militär eingesetzt...

 

Der Roman Die Bastion der Verdammten des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym des Bestseller-Autors William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1946; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1953.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

 

  DIE BASTION DER VERDAMMTEN

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Am Rande des finsteren Dartmoors, unweit des Dorfes Queens Lynn, liegt ein einsames Felsschloss – Salust Castle.

Seit König Johanns Tagen zu Beginn des 13. Jahrhunderts hausten die Salusts auf ihrem Felsschloss. Große Männer mit breitausladenden Schultern waren sie seit jeher gewesen, und deswegen sah der hochgewachsene Lord Lester Salust auch nur scheel auf den kleiner geratenen Lawrence, seinen Sohn, der einmal der vierzehnte in der langen Reihe der Earls werden sollte. Obschon Lawrence für normale Begriffe nicht klein war mit seinen einsdreiundsiebzig, und obschon auch viel Kraft und Gewandtheit in seinem gedrungenen Körper steckte, grollte Lester Salust den Göttern wegen des zu kleinen Sohns.

Groll, Abneigung und Argwohn hegte er überhaupt gern und war auch sonst ein schwieriger Mensch. Er hing an der Vergangenheit und lebte ganz in ihr. Seine Augen blickten ernst, und doch konnte er oft recht freundlich sein. An Larry, seinen Sohn, schien er eine so unendliche Geduld zu verschwenden, dass es Miss Seton, seine Sekretärin, manchmal überraschte, weil sie wusste, wie reizbar er sein konnte. Wirklich in Wut hatte sie ihn zwar nur ein einziges Mal gesehen, doch das würde sie nie vergessen. Noch oft sprach sie davon – auch zu Drage, dem Butler.

Der alte Drage war ebenfalls groß. Er hatte die Neigung, alle Schwächen der vornehmen Herren zu entschuldigen. Mary Seton mochte den Butler sehr gern, er war ihr bester Freund auf dem Felsenschloss und der einzige, in dessen Nähe sie sich geborgen fühlte. Er strahlte eine innere Kraft und Gelassenheit aus, die sie in dieser Vollendung auch Lord Salust manchmal wünschte. Auf seine Art war der Butler ein vollkommener Aristokrat – sein Wort galt bei allen anderen im Schloss – den Lord ausgenommen – als Gesetz. Nur einmal hatte sie ihn seinen Gleichmut verlieren sehen, und das war ihretwegen.

Damals war sie noch keine volle Woche auf dem Schloss. Als sie im Rosengarten spazieren ging, folgte Lorden, der Kammerdiener, ihr nach; er hatte eine Schwäche für die Weiblichkeit. Drage aber saß rauchend im Garten und sah das Mädchen erschrocken und mit hochrotem Kopf ins Haus zurückeilen. Schnell erriet er den Zusammenhang und ging hinüber zu Lorden, der noch – halb belustigt, halb verärgert – dastand. Auch Lorden war groß und stämmig und nicht einmal halb so alt wie der greise Butler.

»Du wolltest das Mädchen küssen?«, fragte Drage.

Lorden kicherte. »Na, und wenn...?«

»Versuch’ es nicht noch einmal«, meinte Drage, »sonst fliegst du hier hinaus!«

Lorden lachte boshaft. »Red’ mit mir nicht so, Alter, spar’ dir deine frommen Sprüche. Wenn die Kleine...«

Weiter kam er nicht, denn Drage nahm ihn derart beim Arm, dass Lorden sich hilflos fühlte wie ein Kind.

»Sprichst du noch einmal in solcher Art von Miss Seton, oder wirst du noch einmal zudringlich zu ihr«, äußerte Drage in heiter-gelassenem Ton, »dann breche ich dir den Arm. Ich habe das schon mit anderen Kerlen gemacht!«

Und Lorden, der die Grenzen seiner Kraft kannte, gab sofort nach: »Tut mir leid, Mr. Drage. Ich wollte niemanden beleidigen. Es war alles ein Irrtum.« Da ließ Drage ihn los.

»Verkneif’ dir die Irrtümer«, sagte er warnend. Der Sekretärin, die alles mitangesehen hatte, nickte er lächelnd zu. »Lorden wird Sie nicht mehr belästigen, Miss. Es tut ihm leid.«

Seitdem waren sie gute Freunde, und Miss Seton wurde ein häufiger Gast in Drages kleinem Tagesraum, wo er zu jeder Stunde Tee brühte und gelegentlich auch den Erben des Hauses Salust bewirtete.

Niemand hätte Mary Setons Vorstellung von einem künftigen Lord weniger entsprochen als Larry Salust. Der junge Mann mit den vielen Sommersprossen war nicht hübsch und hatte doch angenehme Züge. Dunkel waren seine Augen und schmal die Stirn. Das lange ungepflegte Haar hatte er einfach nach hinten gekämmt, und auch sonst trug er weder die Eleganz noch die Grazie zur Schau, die man vom Sohn eines Aristokraten erwartete.

Miss Seton sprach gerade mit Drage, als Larry Salust hereinkam. Beim Anblick der Sekretärin leuchteten seine gutmütigen Augen auf.

»Hallo, Mary. Wo haben Sie denn den ganzen Tag gesteckt? Ich habe Sie beim Frühstück vermisst.«

»Rechnungen bezahlen«, sagte sie. »Ich war mit dem Wagen unterwegs!«

Larry Salust schnitt eine Grimasse. »Das möcht’ ich auch mal. Aber mein Vater will nicht, dass ich ausfahre. Komische Gedanken kreisen in seinem Kopf. Haben Sie ihn heute schon gesehen?«

»Lord Salust ist in seinem Arbeitszimmer«, warf Drage ein, und Larry nickte. »Aha – er hat sich also wieder mit all den Büchern und Dokumenten eingeschlossen! Ich verstehe das nicht – aber der alte Herr lässt sein Leben für seine mittelalterlichen Schwarten!«

Mary nickte. »Das glaube ich auch.« Sie trug die drei Tassen auf, wie stets zu dieser gewohnten Teestunde.

Drage goss den Tee ein. »Lord Salust hatte heute Nachmittag schon Besuch, Mr. Martin Boyer.«

»Der Paragraphenreiter?« Larry rümpfte die Nase. Drage lächelte. Er war sehr tolerant. »Einer kann nicht sein wie der andere, Mr. Larry!«

Larry knurrte. Über Martin Boyer hatte er seine eigenen Ansichten, aber jetzt interessierte ihn ganz etwas anderes: »Hat man Allcott schon gefasst?«

Drage schüttelte den Kopf. »Nein, man hat ihn noch nicht. Ich hörte vorhin darüber im Radio. Man glaubt, er wäre vielleicht bis zur Küste durchgekommen. Danach sprach ich mit Bennett, und er sagte mir, in Devonport sei ein Mann verhaftet worden.«

»Das dürfte kaum Allcott sein«, versetzte Larry bestimmt. »Der Kerl ist viel zu schlau, um sich einfach wieder fangen zu lassen. Entweder hält er sich noch im Moor versteckt, oder er sitzt bereits seelenruhig in London.«

»Sie kriegen ihn, denken Sie an meine Worte«, versicherte Drage. »Er ist ein furchtbarer Kerl – ich habe über den Fall gelesen. Auf hängen sollte man ihn.«

»Ja«, sagte Mary, »aber leider gab es irgendwelche Zweifel an seinem Geisteszustand. Deswegen war er ja auch in Dartmoor, dieser Anstalt für geisteskranke Häftlinge.«

Larry Salust zog sein Zigarettenetui.

Mary Seton schüttelte dankend den Kopf: »Danke, nein, Larry. Ich muss aufbrechen, ich habe viel zu tun. Ihr Vater will Rechnungen mit mir durchsehen, und Sie wissen ja, wie ungern er wartet.«

Das war richtig. Von all den vielen Dingen, die Lord Salust nicht leiden konnte, stand Wartenmüssen mit an erster Stelle.

Der Lord saß noch immer in seinem Arbeitszimmer, als das Mädchen nach oben kam. Er hatte hellgraue Augen, und eine weiße Locke fiel ihm in die Stirn.

»Herein! Kommen Sie! Es ist schon fünf Minuten über die Zeit!«

»Ihre Uhr geht fünf Minuten vor«, sagte Mary ruhig. »Ich habe meine eben erst nach der Radiozeit gestellt.«

Lord Salust machte ein finsteres Gesicht. Er hasste es, korrigiert zu werden.

»Noch nie ist diese Uhr falsch gegangen, Miss Seton! Bei Miss Quinton ging sie immer richtig. Sicher hat dann jemand etwas daran gemacht – Drage vielleicht. Dieser Mann hat absolut kein Verständnis für mechanische Dinge.« Bei der Aussicht auf einen möglichen Schuldigen klärte sich seine Miene ein wenig auf.

Mary Seton nickte. Mit monotoner Regelmäßigkeit pflegte Lord Salust den Schatten Dora Quintons, ihrer Vorgängerin, heraufzubeschwören; daran hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Sie öffnete ihre Mappe und sagte: »Ich war bei Harding. Er wird nächste Woche mit der Arbeit beginnen.«

Lord Salust nickte. »Ich will diese alte Mauer bis zum Burgvogttor abreißen lassen. Schon lange ist sie zu einer ständigen Gefahrenquelle geworden. Macey entging neulich nur mit knapper Not dort dem Tode. Hätte Lorden nicht aufgeschrien, dann hätte Macey einen der großen Feldsteine auf den Kopf bekommen!«

Interessiert blickte Mary auf. »Ist er denn die Mauer hinaufgeklettert?«

Salust runzelte die Stirn. »Das habe ich zuerst auch gedacht. Aber nein, Macey ist unten dicht an der Mauer vorübergegangen...« Plötzlich lächelte Lord Salust. Seine schlechte Laune war verflogen.

»Tut mir leid, Mary, ich habe mich wohl wieder wie ein Brummbär benommen. Ich glaube, ich habe heut meinen schlechten Tag. Aber jetzt fühle ich mich besser.« Mary Seton hatte längst bemerkt, dass Lord Salusts schlechte Tage gewöhnlich mit Martin Boyers Besuchen zusammenfielen. An solchen Tagen war er noch reizbarer und fand noch leichter als sonst an geschäftlichen Maßnahmen oder persönlichen Dingen etwas auszusetzen. Vier oder fünf Rechnungen legte Miss Seton ihm vor. »Diese Rechnungen habe ich bezahlt, Lord Salust. Die Quittungen sind angeheftet. Ich möchte sie gleich ablegen. Und dann hätte ich noch einiges zu schreiben...«

Lord Salust nickte, sah sich die Quittungen an und fragte: »Ist der Junge da?«

»Larry? Ja. Er war beim Butler.«

Lord Salust dachte nach. »Steckt ziemlich viel mit Drage zusammen, nicht wahr? Scheint aber mit Lorden nicht gut auszukommen, merke ich. Kennen Sie den Grund?«

»Er hat Lorden irgendwas übelgenommen, glaube ich«, sagte sie.

»Und Macey auch?«, wollte Lord Salust wissen.

Mary nickte. »Ich denke, ja. Weder Macey noch Lorden sind besonders angenehme Menschen. Dauernd fangen sie Streit innerhalb der Dienerschaft an und sind überhaupt sehr schwierig. Sie nehmen sich ziemlich viel heraus, und das verübelt ihnen jeder. Ich glaube, Master Larry teilt die Ansicht der Dienerschaft.«

»Und ich nicht?«, fragte Salust kühl.

Miss Seton schüttelte den Kopf. »Dazu möchte ich mich nicht äußern, Lord Salust. Sie haben mir vorher schon eine ziemlich heikle Frage gestellt, und ich habe darauf nach meiner Ansicht wahrheitsgetreu geantwortet. Drage oder Peters oder sonst irgendjemand von der älteren Dienerschaft würde Ihnen die gleiche Antwort geben.« Ihre Wangen waren leicht gerötet. Lorden und Macey, Salusts Kammerdiener und Fahrer, gehörten noch nicht lange zur Dienerschaft, hatten sich aber bemerkenswert unbeliebt gemacht.

Salust spielte mit dem Papiermesser.

»Sie waren sehr aufrichtig, Mary. Aber die beiden haben auch ihre positiven Seiten. Lorden ist ein erstklassiger Kammerdiener, Macey einer der besten Fahrer und Mechaniker, die ich je gehabt habe. Die Reibereien müssen aufhören. Ich will die Beiden nicht vertreiben lassen!« Schon einmal hatte er so gesprochen, und daher war die Sekretärin nicht sonderlich überrascht. Auf diesem Schloss gab es seltsamere Dinge als die Launen seiner Lordschaft.

Lord Salust hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten. Sein Blick schweifte über den Park, der sich weit bis an die bewaldeten Hügel hinzog. Schlagartig verfinsterten sich seine Mienen.

»Boyer kommt!«, sagte er, und Miss Seton lächelte über den Groll in seiner Stimme. »Einer von denen, die ich nicht ausstehen kann. Er ist kein Gentleman.«

Mary zwinkerte. Sie hatte große graue Augen. Jetzt stellte sie eine Frage, die sie schon lange plagte:

»Wenn Sie Boyer so abscheulich finden, warum beschäftigen Sie ihn dann?« Eine oder zwei Sekunden lang fürchtete sie, zu weit gegangen zu sein, denn Salust machte ein strenges Gesicht und ließ den Rauch in langer Spirale aus seinem Munde aufsteigen. Dann sah er mit seltsamem Blick auf die Sekretärin herab.

»Vielleicht brauche ich ihn. In diesem Leben braucht man manchmal seltsame Leute. Martin Boyer ist willig. Es gibt nichts, was er für Geld nicht täte.« Sie sah seine Blicke in eine Ecke des Zimmers wandern und folgte ihnen.

Ein behaartes Pfötchen schob sich langsam unter den Falten des Vorhangs vor, und Mary Seton musste lachen.

»Da ist ja Tim. Wie kommt der denn nur hier herein?«

Miss Seton stand auf und trug den kleinen Angora-Kater an ihren Schreibtisch.

»Du bist unartig, Tim. Das hier ist das Allerheiligste und nichts für kleine Kätzchen.« Tim hob das Pfötchen, und sie ließ das samtweiche Etwas über ihre Wange streicheln. »Tim gehört eigentlich Mrs. Venne, der Köchin. Er ist ziemlich verwöhnt, bleibt aber sonst hübsch in seinem Revier.«

Salust blickte uninteressiert auf den kleinen Kater. »Bringen Sie ihn hinaus, Miss Seton, ehe noch auf dem Teppich ein Malheur passiert. Und wenn Sie Larry sehen, schicken Sie ihn zu mir.«

Mary nickte und ging zur Tür. Unten traf sie Larry im Gespräch mit Macey. Im Augenblick schien er seine Abneigung gegen den Fahrer seines Vaters überwunden zu haben, denn er sprach eifrig auf ihn ein. Als die Sekretärin auftauchte, sah er sich um.

»Hören Sie mal, Mary, Macey weiß etwas von Allcott. Er hat mir eben eine tolle Geschichte erzählt. Macey war früher nämlich mal bei der Polizei – nicht wahr, Macey?«

Macey war breit und kräftig, hatte einen Mund wie ein Scheunentor und ein ewig mürrisches Gesicht.

Mary sah ihn an. »Stimmt das, Macey?«

Einen Moment zögerte der Fahrer, nickte dann aber und sagte: »Stimmt schon, Miss. Doch es dauerte nicht lange – ich – ich hatte es bald über.«

»Aber doch lange genug, um Allcott kennenzulernen?«

Der dicke Mann nickte. »Ja, Allcott war für seine Einbrüche bekannt. Ein Gewohnheitsverbrecher. Die Sache mit dem Morden muss er sich erst später ausgedacht haben. Aber dann, behauptet man, ist er verrückt geworden.«

»Wie sieht er denn aus?«, fragte Larry.

Macey dachte nach. »War’n breiter Kerl, so etwa meine Größe. Vielleicht noch ’n bisschen dicker. Er hat die größten Pranken, die ich jemals gesehen habe. Damit hat er all seine Morde begangen. Aber das wissen Sie natürlich.«

Larry Salust nickte.

»Ja, er erwürgte seine Opfer, nicht wahr? Fünf oder sechs. Wie grausig!« Dabei schnitt er eine Grimasse. »So einem Kerl möchte ich nicht in die Hände fallen, Macey. Glauben Sie, dass er noch immer hier in der Gegend ist?«

Macey schüttelte den Kopf.

»Allcott? Nein, der nicht. Der dürfte schon lange aus unserem Bezirk raus sein. Allcott ist doch Stadtmensch und könnte nicht eine Nacht auf dem Moor zubringen.«

Mary dachte plötzlich an Lord Salust, und sie richtete dem jungen Mann aus, was sein Vater ihr aufgetragen hatte.

Larry zog ein unwilliges Gesicht. »Ich weiß schon, was er will. Hat wieder etwas mit diesem Gauner Boyer zu tun. Sobald der nur hier auftaucht, gibt’s Ärger.« Grollend verließ Larry Salust die beiden, und Macey blickte ihm nach.

»Meine alte Mutter hat ihre Kinder immer angeguckt und gesagt: Gott sei Dank, ihr passt in die Welt«, meinte er nachdenklich. »Solchen Trost hat Lord Salust nicht.«

»Meinen Sie?«, fragte Mary.

Macey lachte kurz auf. »Ist doch nicht ganz auf der Höhe, der Junge. Sowas hab’ ich schon öfter gesehen. War mal kurze Zeit Wärter in ’ner Heilanstalt, und...«

»Sie scheinen ja schon eine ganze Menge Posten gehabt zu haben«, unterbrach ihn Miss Seton. »Aber das interessiert mich nicht. Es macht mir auch keinen Spaß, wenn Sie erzählen wollten, Larry Salust sei etwas verrückt. Es gibt hier verrücktere Leute als Larry.«

Rasch wandte sie sich um und ging davon.

Macey starrte ihr nach. Sein großes Gesicht straffte sich, und das Grinsen erstarb auf seinen schmalen Lippen. Lange stand er so da. Dann nickte er. »Wie du willst, Schwesterlein.«

In Gedanken versunken schlurfte er davon, und sein Gehirn brütete über einem neuen Problem, das eben aufgetaucht war... Was wusste Mary Seton?

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Lorden, der Kammerdiener, war in seinem Zimmer, als Macey dort ankam. Beide hatten eine gemeinsame mehrräumige Wohnung im Hauptgebäude, ein Umstand, der für die übrige Dienerschaft ein Anlass ständigen Klatsches und Neides war.

Lorden, der jüngere von beiden – groß, mit hartem Blick und hässlichem Benehmen, ließ niemals eine Gelegenheit zur Rauferei ungenutzt vorübergehen; ihn verabscheuten und fürchteten die anderen am meisten. Als Macey ins Zimmer trat, sah er auf.

»Was ist los? Machst so ’n kummervolles Gesicht!«

Macey strich mit dem Handrücken über die Stirn – eine Geste die bei ihm Unsicherheit oder Sorgen ausdrückte. »Boyer war heute Nachmittag da!«

Lord fluchte mit echt britischer Gründlichkeit und knurrte: »Schon wieder? Der Kerl macht sie noch beide verrückt! Vater und Sohn, meine ich. Eines Tages...«

Macey sah ihn wütend an. »Was wolltest du eben sagen? Eines Tages...?«

Lorden verzog das Gesicht. »Weißt schon, was ich

dachte«, knurrte er grob. Langsam rieb er seine bläulich schimmernden Wangen. »Ed, hab’ mir mal die ganze Geschichte überlegt, und ich bin gar nicht mehr so sicher.«

»Hast wohl Angst gekriegt?«, schmunzelte Macey. Wieder verzog Lorden das Gesicht.

»So leicht krieg’ ich’s nicht mit der Angst. Aber er ist ein ganz schöner Brocken. Der Stein neulich ist haarscharf an deinem Kopf vorbeigegangen, und ich möchte sagen, jemand hat ihn geschoben.«

Auch Macey hatte viel über diesen Zwischenfall am Burgvogttor nachgedacht: »Hast du ihn denn gesehen?« Lorden schüttelte den Kopf. »Gesehen habe ich ihn nicht. Aber ich habe gemerkt, wie jemand durch die Bäume davonlief.«

Macey grunzte. »Lord Salust meint, es wäre ein Zufall gewesen und hat auch schon jemanden bestellt, die Mauer zu reparieren.« Er rieb sich die Wange. »Der junge Salust hat mich gerade eben über Allcott ausgefragt. Schätze, er interessiert sich für ihn.«

»Für den Battersea-Mörder?«, fragte Lorden verdrießlich. »Erzähl’ dem lieber keine Mordgeschichten, Ed. Sind nicht das Richtige für einen Burschen wie ihn. Was weiß er denn überhaupt von Allcott?«

»Was er gehört hat«, erwiderte Macey kühl.

Ein Weilchen dachte Lorden nach. »Allcott ist in London, oder ich fresse einen Besen. Hab’ über den ganzen Fall gelesen und weiß, wie die Gehirne solcher Burschen arbeiten. Er ist ein Stadtmensch und ist in die Stadt zurückgegangen. Das Moor wäre sein Tod.«

Macey schüttelte den Kopf. »Weiß nicht recht. Im Moor kann jemand monatelang leben ohne entdeckt zu werden. Da gibt’s so viele Inselchen zwischen Sumpf und Morast. Man muss sich nur auskennen.«

»Aber das Moor wurde genau durchsucht«, sagte Lorden, doch Macey lachte nur.

»Womit denn? 'n paar hundert Soldaten und ’ne Handvoll Polizei. Allcott könnte sich verbergen, und wenn eine ganze Brigade nach ihm suchte. Den Herrschaften sag’ ich’s zwar anders, aber ich bin gar nicht sicher über seine Pläne. Pass nachts lieber ein bisschen auf. Der Bursche wird verdammt hungrig sein, schätze ich. Und verzweifelt genug ist er sicher auch und zu allem bereit!« Er trat hinaus und ging vor der Tür auf und ab. Draußen begann es schon zu dämmern, und die Herbstsonne verschwand langsam hinter dem Horizont. Abendnebel senkten sich auf Wald und Moor; die Luft war rau und kühl.

Drage kam mit der Abendpost den Gang herauf und klopfte dann leise an die Tür zur Bibliothek.

Lord Salust stand am Fenster und starrte hinaus in den Nebel. Er sah sich nicht um, doch als der alte Butler sich zum Gehen wandte, sagte er: »Was sind das alles für Verbrechergeschichten, die ich da von Lawrence höre?« Drage runzelte die Stirn. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Mylord. Heute Nachmittag haben wir zwei über Allcott gesprochen, doch nur ganz kurz.«

»Sprich mit Lawrence nicht über Mörder!«, befahl Salust verstimmt, und Drage nickte. Wieder wandte der Butler sich zum Gehen, als Salust ihn noch einmal ansprach: »Wer ist dieser Bursche Allcott überhaupt? Ich muss in den Staaten gewesen sein, als man ihm den Prozess machte. Kann mich gar nicht an den Fall erinnern.«

»Sechs Menschen hat er ermordet«, sagte Drage. »Alle Zeitungen waren hier damals voll davon, aber wie Sie schon sagten, Sir, waren Sie damals in den Staaten.«

»Sechs Menschen!«, seufzte Salust nachdenklich. »Hört sich schrecklich an. Wie hat er sie denn umgebracht – erschossen?«

Drage schüttelte den Kopf. »Allcott ist sehr stark. Er hat sie erwürgt, glaube ich.«

Salust schauderte. »Hübsches Thema für einen Winterabend, Drage. Aber – in Zukunft wird nicht mehr über ihn gesprochen! Übrigens – Harding kommt in den nächsten Tagen herüber, um die alte Mauer am Burgvogttor niederzureißen. Einer der Steine hat Macey neulich fast zerschmettert.«

Der alte Mann nickte. »Ich hörte davon sprechen. Macey ist nur knapp davongekommen.«

Salust zeigte ein grimmiges Lächeln. »Ja, das stimmt. Macey sagt, der Stein wäre sehr groß und ließe sich nicht leicht bewegen.«

»Das glaube ich auch«, stimmte Drage diplomatisch zu. Dann verbeugte er sich und ging wieder nach unten.

Inzwischen war es dunkel geworden und in der Halle brannten die Lampen. Die Schatten, die bei Nacht das Schloss umspielten, lagen schwer auf den Quadermauern. Geheimnisse und düstere Ahnungen umwitterten dieses große einsame Haus, seine Vergangenheit und seine Zukunft. Die Salusts waren grimmige, harte Menschen. Auf welche Ereignisse hatten diese Mauern nicht schon herabgeblickt, wie viele Zechgelage und Raufereien der alten Haudegen hatten sie gesehen! Hier war Geschichte geschrieben worden, und mehr als einmal mit Blut.

Mary Seton saß in Salusts Arbeitszimmer, als der alte Butler hereinkam und sich an den Wandleuchtern zu schaffen machte. Ein Weilchen sah sie ihm zu, bewunderte seine breiten Schultern und die trotz seiner siebzig Jahre noch untadelig gerade Haltung.

»Es hat mich schon oft beschäftigt, Mr. Drage, waren Sie jemals Soldat?«, fragte sie langsam.

Er drehte sich um und blickte sie gütig an.

»Soldat? Ja – in zwei Kriegen habe ich gekämpft. Zuletzt mit dem jetzigen Lord Salust, als er jung war, im ersten Weltkrieg, und davor mit seinem Vater im Burenkrieg bei Ladysmith während der Belagerung.« Er kam herüber, stand ein Weilchen neben der Sekretärin und sah ihre Finger eilig über die Schreibmaschinentasten gleiten. In Gedanken versunken, seufzte er, und Mary sah zu ihm auf.

»Sie haben an etwas gedacht, Mr. Drage.«

Der alte Mann lächelte. »So? Vielleicht haben Sie recht... Ich habe an jemanden gedacht.«

»An wen?«

Nach kurzem Schweigen sagte er: »An Lady Margaret. Sie war sehr schön. Manchmal erinnern Sie mich an sie. Sie sah Ihnen etwas ähnlich, nur war sie größer.«

Ein Weilchen schwieg Mary Seton. Dann gab sie zu: »Ich habe auch schon oft über sie nachgedacht. Sie starb vor vielen Jahren.«

»Vor fünfzehn Jahren«, sagte Drage, »im Ausland. Wir waren gut befreundet miteinander«, fügte er hinzu, »und haben uns oft unterhalten. Ich selbst war damals schon ein alter Mann.«

»Sie sind nicht einmal heute ein alter Mann!«

»Manchmal fühle ich mich so uralt wie das Schloss, und Sie wissen wie alt es ist... Lady Margaret gefiel es hier übrigens nicht sonderlich. Lord Salust war viel fort – vielleicht zu viel...«

Miss Seton runzelte die Stirn. »Warum hat Lord Salust eigentlich kein einziges Bild von ihr auf bewahrt?«

Drage fuhr zusammen. »Ein Bild? Es waren mehrere hier. Im Speisesaal hing eins, von Rendell gemalt. Darauf sah sie besonders schön aus, doch nach ihrem Tode ließ Lord Salust alle ihre Bilder entfernen. Ich habe ihn nie nach dem Grund gefragt. Lady Margarets Tod ist ihm nähergegangen, als er nach außen hin gezeigt hat. Ich glaube, er konnte den Anblick ihrer Bilder einfach nicht mehr ertragen.«

»Wo ist denn Lady Salust gestorben?«, fragte Mary.

Drage runzelte die Stirn. »In Südamerika. Lord Salust hatte dort beträchtliche Geschäftsinteressen und Lady Margaret hat ihn nach Argentinien begleitet. Dort starb sie dann an Bord seiner Yacht Argus.«

Im Kamin erfasste die Flamme ein neues Holzscheit, züngelte hell empor und fraß sich an der Rinde entlang. Langsam kroch der Widerschein der rötlichen Glut im Zimmer umher.

Drage schüttelte den Kopf. »Ja, ja. Es ist, als wäre es gestern geschehen, Miss Seton. Wenn man älter wird, vergehen die Jahre schneller. Und nun ist unser Mr. Larry schon ein erwachsener Mann...«

Drage nickte vor sich hin und ging hinaus. Die Wärme und Behaglichkeit des Zimmers schien mit ihm zu entschwinden. Nicht zum ersten Mal fühlte Mary, dass dieser alte Butler das einzig Wahrhaftige auf dem Felsschloss wäre. Denn als er ging, kamen die Schatten und die düsteren Gedanken, die alles hier erfüllten.

Mary machte sich wieder an ihre Schreibarbeit, und kurz danach spürte sie etwas lebendig Warmes an ihren Füßen. Es war Tim. Sie nahm den jungen Kater auf den Schoß und streichelte sein weiches Fell.

»Wie bist du denn wieder hier hereingekommen, Tim? Heut bist du aber gar nicht artig. Lord Salust liebt doch keine Tiere im Hause.« Sie setzte das Kätzchen auf den Fußboden und sah zu, wie es mit den Lichtern und Schatten des Kaminfeuers spielte.

Dann klopfte es an die Tür, und Larry Salust schob seinen Kopf herein. »Hallo, Mary – ganz allein? Darf ich eintreten?«

»Natürlich.«

Larry trat ein und machte es sich in dem breiten Sessel am Kamin bequem. Betrübt sah er Mary an und griff nach einer Zigarette. »Eine Stunde lang hat mir der alte Herr heute Vorhaltungen gemacht.«

»Was war denn wieder los?«, fragte sie belustigt.

Larry Salust wollte nicht recht mit der Sprache heraus. »Er soll mich noch kennenlernen... Zum Wochenende war ich in Devonport, und mein Vater dachte, ich. sei in London. Boyer dürfte ihn natürlich darauf gestoßen haben. Eines Tages werde ich diesem Burschen meine Meinung sagen. Ich könnte ihn frikassieren!«

Mary lächelte belustigt. Sie vermochte sich schwer vorzustellen, wie der gutmütige Larry Salust jemanden frikassieren würde.

»Was ist denn so furchtbar Schlimmes in Devonport?« Larry machte ein verdrießliches Gesicht. »Der alte Herr hat es sich in den Kopf gesetzt, ich sei nur wegen Lucy Wragg hingefahren«, sagte er. »Mit solchen Sachen muss ich mich nun noch herumschlagen! Es ist eine Schande!«

»Weshalb sind Sie denn nun aber dahingefahren?«, fragte sie, doch Larry lachte nur verlegen.

»Nun – also ich will nicht gerade sagen, dass mein Vater ganz unrecht hat. Aber ich kann es nun mal nicht leiden, dass man als Erwachsener noch wie ein Kind behandelt wird. Eines Tages werde ich ihm das auch sagen... Außerdem ist Lucy ein süßes Mädchen. Das weiß jeder. Ist eine Schande, wie mein Vater sie behandelt hat, sie und auch ihre Familie!«

Mary spannte einen neuen Bogen in die Schreibmaschine.

»Ihrem Vater dürfen Sie daraus aber keinen Vorwurf machen, Larry«, sagte sie ruhig. »Lord Salust ist es nicht leicht gefallen, die Wraggs vom Schloss zu weisen, doch ich glaube, er war gut beraten, als er es tat. Lucy war schon zu frech – bestimmt. Mit so einer Sorte Mädchen sollten Sie sich lieber nicht einlassen.«

»Warum denn nicht? Sie ist verdammt nett.«

»Aber – sie würde keine verdammt nette Lady Salust abgeben«, äußerte Mary betont langsam, »und alles andere wäre ganz unvorstellbar.«

Schweigend starrte Larry eine Weile in das Kaminfeuer. »Ich weiß nicht«, sagte er gedehnt. »Ich kann nichts Schlimmes an ihr sehen. Sie ist so süß zu mir...« Müde nickte Miss Seton. »Und auch zu Lorden!«

»Was?« Im Moment stand Larry auf den Beinen. »Lorden? Was meinen Sie damit? Hat dieses Schwein ihr nachgestellt? Ich... ich bringe ihn um!« Einen Augenblick lang glomm ein Funke des Hasses in seinen dunklen Augen auf. Dann lachte er übertrieben. »Tut mir leid, Mary. Es war nicht so gemeint. Ich verliere überhaupt in letzter Zeit so leicht die Ruhe – aber das ist nicht meine Schuld. Das kommt einfach, weil man in diesem Teufelsloch eingeschlossen ist wie einer der vielen Gefangenen, die hier schon verschmachtet sind!«

Erstaunt sah sie zu ihm auf. »Gefangene?«

»Ja! Hier gibt es Kerker und geheime Burgverließe. Natürlich haben Sie die noch nicht gesehen. Der alte Herr verwahrt die Schlüssel im Safe, doch einmal bin ich darangekommen und habe mich da unten umgesehen. Es ist wirklich furchtbar. Die Zellen und Verließe erstrechen sich bis unter den Vorhof. Der alte Sir Roger Salust pflegte da unten seine Gefangenen foltern zu lassen, und bestimmt war er nicht der Einzige. Damals konnte ein Schlossherr mehr oder weniger machen, was er wollte. Niemand vermochte ihn zur Verantwortung zu ziehen, und vor allem bei einem Edelmann, der auf solchem Felsschloss wohnt, hätte es niemand gewagt!« Larry schleuderte seine Zigarette ins Kaminfeuer. »Hallo, was mauzt denn da?«

»Ein Kätzchen«, erwiderte Mary.

Larry nahm das Tierchen hoch und streichelte sein weiches Fell. »Wo kommt das denn her? Wenn der alte Herr es sieht, kriegt er Zustände. Er mag keine Tiere im Haus.«

»Warum denn nicht?«

»Das weiß ich auch nicht. Er ist eben komisch mit all seinen eigenartigen Zu- und Abneigungen. Manchmal denke ich, mich kann er auch nicht leiden.«

»Ach, seien Sie doch nicht albern.«

Larry lachte leise. »Nein wirklich. Manchmal wirft er mir einen Blick zu, so böse, dass ich mir ganz klein vorkomme. Immer ist er mir über. Immer beobachtet mich einer – Boyer, Macey oder Lorden. Das kann einen mit der Zeit beinah verrückt machen.« Gedankenvoll streichelte er das Kätzchen. »Das ist aber ein nettes Kerlchen, Mary. Passen Sie nur gut auf ihn auf. Mein Vater kann nämlich überhaupt keine Tiere leiden – wenigstens nicht hier im Hause. Einmal hatte ich einen jungen Spaniel. Ferrell, der Wildhüter, hatte ihn mir geschenkt – und ich habe ihn mit hierher gebracht. Nun...« Plötzlich hielt er inne und erbleichte.

»Und was ist mit ihm passiert?«

Lange schwieg Larry, und dann fiel es ihm schwer, weiterzusprechen: »Ich – ich weiß nicht. Er ist eben gestorben. Steif und kalt fand ich ihn eines Tages auf meinem Zimmer. Das werde ich nie vergessen.«

Mary hatte plötzlich das Gefühl, etwas Kaltes berühre ihr Herz. »Wie ist er denn gestorben?«

Larry schüttelte den Kopf. »Das kann ich gar nicht sagen, und doch hab’ ich schon so oft darüber nachgedacht. Damals habe ich ihn dem Wildhüter gezeigt. Ferrell sagte, der Hund sei erwürgt worden, und...«

»Erwürgt?«, sagte das Mädchen atemlos.

Larry Salust nickte. »Natürlich muss Ferrell sich geirrt haben. Vielleicht ist er erstickt oder sowas. Doch Hunde sterben nicht so schnell und – so still. Hab’ mich schon oft darüber gewundert. Der alte Herr raste vor Wut. Seitdem habe ich nie wieder einen Hund gehabt. Und ich glaube auch kaum, dass mein Vater je wieder einen Hund im Hause dulden würde.«

»Wie sonderbar«, sagte Mary und schauderte ein wenig.

»Irgendetwas muss doch mit dem Tier passiert sein – irgendein Unfall. Haben Sie Drage mal gefragt?«

»Zu der Zeit war Drage gar nicht hier.«

Mary war erstaunt. »Ich dachte, Drage wäre immer hier gewesen?«

Larry Salust schüttelte den Kopf »Nein, ein paar Jahre war er weg – im Ausland, glaube ich.«

Irgendwo läutete ein Telefon, und Miss Seton stand schnell auf. »Entschuldigen Sie mich bitte.«

Sie ging hinaus. Larry saß im Schein des Kaminfeuers und streichelte das Kätzchen. Plötzlich öffnete sich die Tür noch einmal, und Mary eilte herein, um eine Liste vom Schreibtisch zu holen.

Als sie sich in der Tür umwandte, lag Larry immer noch in den Sessel gestreckt und blickte schläfrig in die Glut. Der warme rote Feuerschein gab seinen Wangen eine frische Farbe, und das Kätzchen hockte auf seiner Schulter. Mary eilte ans Telefon zurück und führte ihr Gespräch mit einer Londoner Firma, von der Lord Salust sein Büromaterial bezog. Mary bestellte, machte Bemerkungen über Qualitäten und Preise und hängte ein. Auf dem Rückweg hörte sie plötzlich streitende Stimmen.

An der großen Treppe stand Larry Salust mit Lorden, und die Wangen des Jungen waren hochrot vor Zorn.

»Du stellst Lucy Wragg nach«, hörte sie Larry sagen. »Das will ich nicht haben, Lorden! Ich will es nicht haben! Höre ich noch einmal davon, wirst du es bereuen. Verstehst du mich?«

Lorden starrte ihn an. »Wer hat Ihnen das erzählt?«

»Ist unwichtig«, entgegnete Larry. »Hab’s eben gehört – und nun lass du die Finger von ihr. Wenn nicht, wird’s dir leid tun, Lorden.«

Lorden schien die Sache Spaß zu machen. »Ich fürchte mich nicht sehr, Master Larry. Aber mit einem Gentleman wie Ihnen will ich mich nicht streiten.«

Mary trat dazu. »Was ist los, Larry?«

Im selben Augenblick schien er alles zu bereuen. »Tut mir leid, Mary. Hab’ anscheinend die Geduld verloren. Passiert mir so oft in letzter Zeit. Aber Lorden ist – ein frecher Kerl.« Er warf Lorden einen wütenden Blick zu. »Ich hab’ dich gewarnt, Lorden. Lass die Finger von ihr. Sonst wirst du es nochmal bereuen!«

»Sehr wohl, Sir«, sagte Lorden kühl und wandte sich ab. Doch in seinen Augen saß der Schalk.

Schweigend blickte Miss Seton ihm nach, dann wandte sie sich um und sah Larry Salust fragend an.

»Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen«, meinte er. »Ob es recht ist oder nicht, ich will es eben nicht länger haben. Lucy ist eben ein süßes Mädchen, und Lorden ist – ein Schwein!«

Mary sah ihn fragend an. Sie wusste so wenig von Larry Salusts Leben. Lucy Wragg schien übrigens tatsächlich nicht besser zu sein als ihr Ruf. »Was interessieren Sie die Liebschaften der Dienstboten, Larry?«

Larry Salust errötete. »Tut mir leid«, sagte er, »aber ich hasse diesen Kerl.« Damit wandte er sich um und ging.

Mary seufzte und begab sich in ihr Zimmer zurück. Jetzt wird Larry eine oder zwei Stunden lang schlechte Laune haben und dann ist alles wieder vergessen, dachte sie. Manchmal tat er ihr aufrichtig leid. Lord Salust sorgte wenig oder gar nicht für Larrys Zerstreuung.

Miss Seton setzte sich an den Schreibtisch und streckte ihre Hand nach der Schreibmaschine aus. Da stockte das Blut in ihren Adern – etwas Weiches, Graues lag lang ausgestreckt in dem Sessel, auf dem Larry gesessen hatte.

Sie stand auf und berührte es mit zitternden Händen. Es war Tim, der Kater. Er fühlte sich noch warm an, doch alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass er tot war. Sein Köpfchen hing auf ganz seltsame Weise leblos nach unten, und ein wenig Schaum stand auf seinen Lippen.

Sie hörte sich einen leisen Schrei ausstoßen. Aber dann öffnete sich langsam die Tür hinter ihr – Mary fuhr erschreckt herum.

 

 

 

 

  Drittes Kapitel

 

 

Es war Lord Salust!

Einen Moment lang starrte sie ihn an. Dann sagte er: »Ich glaubte, Sie hätten gerufen, Mary.«

Mary Seton war weiß bis an die Lippen. »Ja... Ich habe geschrien. Das Kätzchen ist tot. Vor kurzem habe ich es hier auf dem Sessel zurückgelassen – und jetzt ist es tot!« Ein merkwürdiger Unterton von Grauen war in ihrer Stimme, der den Lord zu beeindrucken schien.

Er trat näher und nahm ihr den kleinen weichen Körper ab. »Es ist bestimmt tot. Sein Genick scheint gebrochen zu sein. Wie ist das passiert?«

Er versuchte ruhig zu bleiben, doch sie konnte sehen, wie erregt er war. Eine kleine Ader an seiner Schläfe pulsierte heftig. Sie sah seine langen starken Finger das Fell abtasten.

»War Larry hier?«

Sie nickte. »Ja. Als ich hinausging, spielte er hier mit Tim. Ich hatte einen Anruf – und als ich zurückkam, lag das Kätzchen da – so wie es ist.«

Nach langem Schweigen sagte er: »Verstehe.« Sein ernster Blick ruhte auf dem Mädchen. »Ja, ich glaube, ich verstehe. Es tut mir furchtbar leid. Seit vielen Jahren ist so etwas hier nicht vorgekommen. Ich – ich habe stets versucht, Tiere vom Hause fernzuhalten...« Er stammelte ein wenig. »Mary, es wäre mir sehr lieb, wenn Sie diesen Zwischenfall gegenüber niemandem erwähnen würden.«

»Selbstverständlich«, sagte sie.

»Ich danke Ihnen.« Erleichterung spiegelte sich in seinem Gesicht. Zärtlich streichelte er das weiche Fell. »Ich erledige das schon mit diesem – diesem kleinen Kerl.« Sie sah ihn hinausgehen und empfand ein wenig Mitleid für ihn. Was Larry ihr eben erst erzählt hatte, war noch frisch in ihrem Gedächtnis. Sie sann darüber nach und verlor sich in ihre Gedanken. Als Drage eintrat, saß sie noch völlig abwesend an ihrem Schreibtisch.

»Lorden hatte Streit mit Larry«, sagte der Butler. »Ein blaues Auge hat’s dabei gegeben. Lordens Auge. Larry hat ihn ganz schön erwischt.«

Erstaunt erwiderte sie: »Hätte gar nicht gedacht, dass er so viel Kraft hat, wo er doch Lorden gegenüber so klein ist. Wo war denn der Streit?«

»Auf dem Hinterhof«, versetzte Drage. »Larry ist zwar kein Riese, aber doch kräftig genug und vor allem flink wie ein Wiesel. Und doch, glaube ich, hätte Lorden ihn ohne große Anstrengung bezwungen, aber er muss ja an seine Stellung denken. Er kann doch wohl nicht gut den Sohn seines Herrn zusammenschlagen. Das hätte Lord Salust nicht geduldet.«

Es war sechs Uhr, und er schaltete die Radionachrichten ein. Jetzt ertönte die ölige Stimme des Londoner Ansagers, und zunächst hörten sie uninteressiert zu. Doch dann sagte die Stimme: »Polizei und Infanterie haben das Gebiet von Dartmoor heute nach Joe Allcott, dem Mörder von Battersea, abgesucht, doch ohne jeden Erfolg. Scotland Yard vermutet, dass Allcott nach London entkommen ist. Die Polizei beobachtet zur Zeit alle seine früheren Londoner Schlupfwinkel.«

Miss Seton stand auf und schaltete ab. »Furchtbar. Alle Welt scheint sich für diesen Menschen zu interessieren. Selbst Lord Salust hat sich nach ihm erkundigt.«

»So?«, fragte Drage. »Was wollte er denn wissen?« Angestrengt dachte Mary Seton nach – sie musste es sich in die Erinnerung zurückrufen. »Nur eben wer er wäre und was er verbrochen hätte«, meinte sie leise.

Drage war etwas skeptisch. »Seine Lordschaft liest doch selbst die Zeitung und hört die Radionachrichten.

---ENDE DER LESEPROBE---