MORD IST MEINE SCHWÄCHE - EIN FALL FÜR SOLO MALCOLM - John Cassells - E-Book

MORD IST MEINE SCHWÄCHE - EIN FALL FÜR SOLO MALCOLM E-Book

John Cassells

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Wäldchen lag jetzt gerade vor mir. Wenn sein Baumbestand am Tag auch licht und spärlich war, jetzt in der Dunkelheit bot es reichliche Möglichkeiten, sich zu verstecken. Ich ging den Fußpfad entlang, der in einem Bogen vom Feldweg fort und mitten hineinführte. Ich mochte mich zwanzig bis dreißig Meter vorgetastet haben, als ich plötzlich ganz in der Nähe einen Wagen starten hörte. Ich blieb stehen und lauschte. Ich vernahm das leichte Knacken, mit dem der Gang eingeschaltet wurde, dann fuhr der Wagen an. Es war kein Lichtschein zu sehen und keinerlei Anzeichen dafür, dass sich dort etwas bewegte, und doch wusste ich, dass der Wagen auf der Straße hinter mir sein musste. Ich lehnte mich an einen Baum, verwirrt wie nie zuvor, und spähte in die Finsternis. Ich mochte etwa eine Minute so gewartet haben, dann vernahm ich weiter vorn Schritte. Das half mir, zu einem Entschluss zu kommen...

 

Der Roman Mord ist meine Schwäche um den Privatdetektiv Solo Malcolm aus der Feder des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr (unter dem Titel Fünftausend Pfund Belohnung).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

 

JOHN CASSELLS

 

 

Mord ist meine Schwäche

Ein Fall für Solo Malcolm

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

MORD IST MEINE SCHWÄCHE 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Das Wäldchen lag jetzt gerade vor mir. Wenn sein Baumbestand am Tag auch licht und spärlich war, jetzt in der Dunkelheit bot es reichliche Möglichkeiten, sich zu verstecken. Ich ging den Fußpfad entlang, der in einem Bogen vom Feldweg fort und mitten hineinführte. Ich mochte mich zwanzig bis dreißig Meter vorgetastet haben, als ich plötzlich ganz in der Nähe einen Wagen starten hörte. Ich blieb stehen und lauschte. Ich vernahm das leichte Knacken, mit dem der Gang eingeschaltet wurde, dann fuhr der Wagen an. Es war kein Lichtschein zu sehen und keinerlei Anzeichen dafür, dass sich dort etwas bewegte, und doch wusste ich, dass der Wagen auf der Straße hinter mir sein musste. Ich lehnte mich an einen Baum, verwirrt wie nie zuvor, und spähte in die Finsternis. Ich mochte etwa eine Minute so gewertet haben, dann vernahm ich weiter vorn Schritte. Das half mir, zu einem Entschluss zu kommen...

 

Der Roman Mord ist meine Schwäche um den Privatdetektiv Solo Malcolm aus der Feder des schottischen Schriftstellers John Cassells (ein Pseudonym von Bestseller-Autor William Murdoch Duncan - * 18. November 1909; † 19. April 1975) erschien erstmals im Jahr 1961; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr (unter dem Titel Fünftausend Pfund Belohnung).

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  MORD IST MEINE SCHWÄCHE

 

 

 

 

 

  

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war am einundzwanzigsten August und selbst jetzt am Abend noch unerträglich heiß. Wir hatten eine Hitzewelle, wie sie höchstens alle zwanzig Jahre einmal vorkommt, bei der das Quecksilber im Thermometer zu sieden scheint und die Luft glüht, als ob sie aus einem Hochofen ausbräche. Ich hatte die Schwüle die letzten Tage gründlich zu spüren bekommen, während ich einen Auftrag für Erny Kapel, einem guten Bekannten von mir, abwickelte. Ich hatte mich mit meiner Arbeit mächtig gesputet und war nun damit fertig. Jetzt brauchte ich nur noch das Resümee zu verfassen und schließlich dann meinen Scheck zu kassieren. Ich schätzte, dass er beachtlich ausfallen würde, und ich müsste lügen, wollte ich behaupten, dass er mir ungelegen käme. Joe Kitman, einer unserer vielversprechendsten jungen Schwergewichtler, sollte in der zweiten Septemberwoche in New York gegen Frank Capello kämpfen. Und ich spielte mit der Idee, eine Spritztour nach den USA zu unternehmen, um dort ein bisschen Stimmung für ihn zu machen. Manchmal hängt man solchen Wunschträumen nach.

Ich saß im hinteren Clubraum von Charlies Bar und ließ mir meinen Plan noch einmal durch den Kopf gehen. Dabei beobachtete ich träge, wie eine dicke blauschillernde Fliege unermüdlich gegen das Fenster summte, heruntertaumelte, zappelnd wieder auf die Beine kam und laut brummend von neuem gegen die Scheibe anflog. Plötzlich rutschte sie in eine Ecke und verfing sich dort in einem Spinnengewebe. Das auf- und abschwellende Summen brach jäh ab; einen Augenblick herrschte Stille. Dann, als die kleine schwarze Spinne behände hinter der Gardine hervorgeschossen kam, steigerte sich das Summen, bis es in meinen Ohren schwirrte wie eine Kreissäge, Ich erhob mich und streifte die Fliege mit dem Metallverschluss meiner Bierflasche aus dem Netz.

Ich kehrte an meinen Platz zurück. »Das war meine gute Tat des Tages, Charlie. Ich habe einer Fliege das Leben gerettet, als die Spinne sie gerade verspeisen wollte.«

Charlie schimpfte wütend. »Einer Schmeißfliege. Hat man so was schon mal gehört? Sie sind verdammt zart besaitet, Solo.« Er holte mit seinem Taschenbuch aus und zerquetschte die Fliege damit. »Eine einzige von ihnen genügt, um über Nacht einen ganzen Schinken zu ruinieren. Der Teufel soll mich holen, wenn ich weiß, wie sie hier hereingekommen ist.« Er ging zurück in die Bar und kam mit einem Arm voller Flaschen wieder. »Hier, Solo, kühlen Sie sich etwas ab.« Dann ließ er sich in einen Sessel sinken und streckte seine kurzen Beine weit von sich. Er trug ein Tennishemd, das an seinem Körper klebte, als ob er damit unter der Dusche gewesen wäre. »Ist das eine Hitze! Ich fühle mich so matt und müde wie ein alter Mann.«

»Dafür blüht das Geschäft.«

Charlie nickte. »Mag sein – aber was, verdammt noch mal, hat man schon davon? Geschäfte sind nicht das einzige im Leben. Es gibt auch noch andere Dinge, Solo. Füße, zum Beispiel. Meine machen mich eines Tages noch mal verrückt.«

»Wann nehmen Sie einmal Vernunft an, Charlie? Überlassen Sie doch den Laden hier bei diesem Wetter einmal Ihren Leuten, Nehmen Sie Bella und die Kinder und reisen Sie für ein paar Wochen nach Margate.«

Er meinte nachdenklich: »Das ist vielleicht ein guter Gedanke. Ich bin seit Jahren nicht mehr in Margate gewesen. Aber es bringt auch wieder eine Menge Verdruss. Zum Beispiel würde ich in den Hotels, die Bella heute aussuchen würde, bestimmt nicht ohne Schlips und Kragen herumlaufen können.«

»Was ist schon dabei, Sie alter Rowdy?«

Er schlürfte voll Genuss sein Bier.

»Es nimmt der Sache zumindest viel von ihrem Reiz, In meinem Alter, mein Junge, hängt man an seiner Bequemlichkeit. So wie man alles gern hat und gewohnt ist, bekommt man es nun einmal nur zu Hause. – Aber wie steht es denn mit Ihnen? Wenn ich so jung wäre wie Sie, säße ich bei dieser Affenhitze nicht in London.«

»Das habe ich auch keineswegs vor.« Ich erzählte ihm von der kleinen Reise, die ich mir ausgeknobelt hatte.

Er dachte eine Weile darüber nach.

»Das hört sich nicht schlecht an, Solo. Ich hätte direkt selber Lust zu solch einem Ausflug.«

»Und was hindert Sie daran? Kommen Sie doch mit.«

Charlie wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn und trocknete sie dann sorgfältig an seinem Hosenbein ab.

»Wie schmeckt das Bier in New York?«

»Nicht schlecht, sie halten es auf Eis.«

»Auf Eis? Zum Teufel damit. Das ist ja ekelhaft. Da bleibe ich schon lieber, wo ich bin.«

In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Charlie erhob sich fluchend und nahm den Hörer ab.

»Hallo, hier ist Charlie Bendall.« Er wandte sich zu mir um. »Für Sie, Solo. Kommen Sie.«

Es war Mike Cross. Mike ist Kriminalbeamter im Revier Hammersmith. Wir kommen blendend miteinander aus. Hin und wieder höre ich Dinge, die für ihn nützlich sind, und manchmal erfährt er etwas, das mir weiterhilft. Zurzeit achtete er darauf, Tubby Blane irgendwo zu entdecken, weil ich den Burschen dringend einmal sprechen musste.

»Hallo, Mike«, meldete ich mich. »Haben Sie etwas für mich?«

»Den Teufel habe ich. Ich rief Charlie nur an, weil er Ihnen ausrichten sollte, dass ich in den nächsten Tagen in den Norden hinauffahren muss. Ich werde acht bis zehn Tage fortbleiben.«

»Was gibt’s denn im Norden?«

»In Newcastle beginnt die Billington-Verhandlung. Ich habe den Fall bearbeitet, darum fahre ich rauf. Ich wollte nur nicht abreisen, ohne Sie zu verständigen, falls Sie inzwischen irgendetwas von mir wollten.«

»Nett von Ihnen. Machen Sie sich eine gute Zeit in Newcastle.«

»Da können Sie ganz unbesorgt sein!« Dann veränderte sich seine Stimme. »Übrigens, noch etwas. Ich habe vor ungefähr einer Stunde bei Ihnen am Büro vorbeigeschaut.«

»Und es war niemand da.«

»Irrtum, es war jemand dort. Und zwar ein Klient. Eine unerhört attraktive Blondine. Ich muss sagen, ich mache mir zwar sonst nicht viel aus ihnen, aber an dieser war wirklich alles dran.«

»Was soll dieser Unsinn?«

Mike lachte. »Ich hatte angenommen, es würde Sie vielleicht interessieren. Sie saß draußen im Flur und wartete – und zwar auf Sie. Als ich heraufkam, fragte sie mich, ob ich Mr. Malcolm sei. Sie erklärte, sie warte nun schon eine halbe Stunde. Ich gab ihr den Rat, besser einen Zettel mit einer Nachricht durch die Briefklappe zu werfen, weil Sie während der Bürostunden äußerst schwer zu erreichen wären.«

»Was wollte sie denn von mir?«

»Keine Ahnung. Ich habe nicht danach gefragt. Als ich ging, saß sie noch dort. Sie sollten lieber ins Büro zurückgehen, statt bei Charlie herumzulungern und Bier zu trinken.« Damit beendete er das Gespräch.

Ich legte auch auf. Dann schob ich mir den Hut ins Genick und tupfte mir die feuchte Stirn mit dem Taschentuch ab.

»Tut mir leid, Charlie, ich muss gehen.«

»Geschäfte?«

»Es sieht so aus. Ich könnte gut darauf verzichten. Im Moment ist mir bestimmt nicht nach Arbeit zumute. Aber es ist nun einmal nicht höflich, eine Dame warten zu lassen. Vielleicht komme ich später hoch einmal zurück, und wir trinken dann noch eine halbe Flasche.«

Ich ging hinaus und fuhr zum Büro. Obwohl ich mir nicht allzu viel von der Angelegenheit versprach, war ich doch neugierig. Weil man in meinem Beruf zu wenige Klienten hat, beginnt man unwillkürlich zu überlegen, wer es wohl sein könnte, wenn plötzlich jemand bei einem auf kreuzt.

Als ich aus dem Wagen stieg, dachte ich noch immer über das Mädchen nach. Ich hatte mein Jackett bisher noch nicht angezogen, jetzt nahm ich es vom Rücksitz, hing es mir um und begann die Treppe hinaufzusteigen.

Es war glühend heiß. Die Luft war drückend und schwül, wie man es bei uns kaum kennt, und es kündigte sich noch immer kein Gewitter an. Vor mich hin fluchend erklomm ich die Stufen und wünschte mir wenigstens einen kleinen Luftzug.

Als ich oben ankam, war weit und breit niemand im Flur zu entdecken. Anscheinend hatte sie das Warten aufgegeben und war gegangen. Sonderlich enttäuscht war ich nicht darüber. Ich zog mein Schlüsselbund aus der Tasche und hatte gerade den Schlüssel ins Schloss gesteckt, als Marty Friedmann die. Treppe herunterkam.

Marty ist ein netter Junge, der für eine Schifffahrtsversicherung arbeitet. Sein Büro liegt ein Stück weiter den Flur hinunter. Aber sein Schwager, Ike Kobold, hat seins in der Etage über uns. Ich vermutete, dass Marty auf einen Sprung oben bei Ike hereingeschaut hatte. Er winkte mir fröhlich und kam langsam auf mich zu geschlendert.

»Wie geht’s, Solo? Ist das ein Wetter heute! Ich schwimme fast davon.«

»Hallo, Marty. Ich habe gehört, dass vor etwa einer Stunde ein Klient für mich hier gewesen ist. Ist Ihnen irgendjemand hier auf dem Flur aufgefallen?«

Er überlegte. »War es ein Mann oder eine Frau?«

»Ein junges Mädchen. Man hat mir erzählt, dass sie hier auf mich gewartet haben soll.«

»Nein, ich habe kein Mädchen bemerkt. Ein Mann ist mir begegnet, aber eine Frau bestimmt nicht. Da bin ich meiner Sadie vollkommen sicher.«

»Wann war das ungefähr?«

»Es muss ungefähr eine Stunde her sein – oder etwas weniger. Die meisten Leute waren schon fortgegangen. Ich war auch nur noch im Haus, weil ich eine Verabredung hatte.«

»Na schön, Marty. Dann also auf Wiedersehen.«

Ich betrat mein Büro und sah mich suchend um. Es lag kein Zettel unter dem Briefschlitz. Na schön, es musste ja nicht unbedingt sein. Es war möglich, dass sie nichts zum Schreiben bei sich gehabt hatte, obgleich sie dann Mike Cross oder Marty um Bleistift und Papier hätte bitten können. Vielleicht hatte sie es auch einfach satt bekommen. Ich schlug die Flurtür hinter mir zu und ging den Gang hinunter zu meinem Zimmer. Ich stieß die Tür auf – und da saß sie.

Sie saß vor meinem Schreibtisch und wartete auf mich.

Ein, zwei Sekunden sprach niemand. Dann schleuderte ich mein Jackett quer durch das Zimmer auf den Schreibtisch und sah fragend zu ihr hinüber.

»Würden Sie mir freundlicherweise verraten, wer Sie sind?«

»Ich schlage vor, dass Sie mich Miss Tracy nennen. Ich heiße zwar in Wirklichkeit nicht so, aber das ist für uns nicht wichtig.«

»So, so. Nun, ich bin Solo Malcolm.«

»Sind Sie erstaunt, mich hier vorzufinden?«

»Nicht besonders. Es ist mir schon öfter passiert, dass Leute hier auf mich gewartet haben.«

»Sind Sie verärgert?«

»Bisher noch nicht. Es würde mich immerhin interessieren, wie Sie hier hereingekommen sind.«

Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie antwortete. »Ich hatte Schlüssel.«

Sie öffnete ihre Handtasche und hielt sie so, dass ich hineinblicken konnte. Zwischen dem üblichen Krimskrams lag ein Ring mit mindestens einem Dutzend Schlüsseln daran. Sie blickte lächelnd zu mir auf.

»Sie sehen, ich habe mich gut vorbereitet.«

Ich ließ mich in meinem Schreibtischsessel nieder, und so saßen wir uns gegenüber und musterten uns schweigend, Mike Cross hatte nicht übertrieben. Sie musste fünf- oder sechsundzwanzig Jahre alt sein, und sie kam mir, bildhübsch wie sie war, mit ihren blauen Augen und dem langen blonden Haar wie ein Reklamefoto vor. Sie trug ein hellblaues Kleid mit einem weißen gestärkten Kragen und an den Händen lange weiße Handschuhe. Die schlanken Arme oberhalb der Handschuhe leuchteten goldbraun. Sie sah aus wie jemand, der sich viel im Freien aufhält – sonnenverbrannt, frischt und blühend.

Während ich sie so betrachtete, hatte sie mich kritisch abgeschätzt und schien zu einem Resultat gekommen zu sein. Sie nickte mir zu und meinte: »Ich denke, dass Sie der Richtige sind, Mr. Malcolm.«

»Der Richtige, wofür?«

Nachdenklich murmelte sie: »Sie sind groß und stattlich.«

»Und wieso ist das von Bedeutung?«

Sie überlegte kurz, dann fragte sie: »Ist Ihnen ein Mann namens Clayton bekannt?«

»Nein, ich habe den Namen nie zuvor gehört.«

»Es ist natürlich möglich, dass dies ein falscher Name ist.«

Ich stopfte mir meine Pfeife und zündete sie an. Meine Hemdsärmel waren vollkommen durchgeweicht, und auf meiner Stirn begannen sich kleine Tropfen zu bilden. Ich dachte gerade sehnsuchtsvoll an ein langes, kühles Bad, als mich ihre Stimme aus meinen Träumen riss.

»Sie wundern sich vermutlich über mich?«

»Oh, ja! Es ist mir unbegreiflich, wie Sie es anstellen, bei dieser Hitze so frisch und kühl auszusehen.«

Sie lachte hell auf. »Sie sind ein erstaunlicher Mensch. Aber das hatte man mir schon erzählt, ehe ich zu Ihnen kam. Nun gut, ich will Sie nicht länger hinhalten. Ich habe einen Auftrag für Sie, und zwar handelt es sich nur um heute Nacht. Es wird nicht viel von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen. Ich denke, ungefähr zwei Stunden, kaum viel mehr. Drei dürften das Äußerste sein. Ich biete Ihnen zehn Pfund pro Stunde.«

»Das ist eine Menge Geld.«

»Ich weiß. Aber Geld spielt keine Rolle.«

Ich zog an meiner Pfeife und dachte über ihr Angebot nach. Selbst wenn der Scheck von Erny Kapel so erfreulich ausfallen würde, wie ich hoffte, waren doch zwanzig grüne Scheinehen zusätzlich für zwei, drei Stunden Arbeit keineswegs zu verachten.

»Dann wäre es jetzt wohl an der Zeit, dass Sie mir erzählen würden, worum es sich handelt.«

»Dann nehmen Sie also an?«

»Warten wir erst einmal ab. Ich bin zwar teuer, aber immerhin erschwinglich. Allerdings weiß ich gern Genaueres über einen Auftrag, ehe ich mich entschließe, ihn zu akzeptieren. In meinem Beruf bekommt man eine Menge sonderbarer Vorschläge zu hören – und sie sind keineswegs alle sauber.«

»Das bedeutet, dass Sie alle Einzelheiten von mir hören wollen und erst hinterher Ihre Entscheidung treffen? Ich fürchte, dass ich darauf nicht eingehen kann. Falls Sie sich entschließen, nicht für mich zu arbeiten, möchte ich nicht, dass Sie irgendetwas über diese Angelegenheit wissen.«

»Tja, dann werden Sie sich wohl einen anderen Mann suchen müssen.«

Ihre Augen flackerten. »Angenommen, ich würde Ihnen fünfzig Pfund zahlen für das – für das, was Sie für mich erledigen sollen? Fünfzig Pfund, wenn Sie keine Fragen stellen?«

»Vergebliche Liebesmüh!« Ich nahm meine Pfeife aus dem Mund und deutete mit dem Stiel auf sie. »Es kommt mir vor, Miss, als ob Sie ihre Vorstellung über Privatdetektive aus Magazinen bezogen hätten. Ich nehme keineswegs jeden Auftrag an, der mir angeboten wird, denn ich habe keine Lust, meinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen. Und der kommt einem rascher abhanden, als man denkt. Es genügt schon ein misstrauischer Polizeibeamter, um auf die schwarze Liste zu kommen – man kann gar nicht vorsichtig genug sein.«

Sie dachte über meine Worte nach. »Also gut, ich werde Ihnen so viel erzählen, wie Sie wissen müssen. Aber ich erwarte, dass Sie es streng vertraulich behandeln. Ob Sie nun nachher für mich arbeiten oder nicht – es bleibt absolut unter uns?«

»Das ist doch selbstverständlich.«

Sie holte ein silbernes Zigarettenetui aus ihrer Handtasche, entnahm ihm eine Zigarette und zündete sie mit ihrem Feuerzeug an. Für einen Augenblick saß sie ruhig da und blies den Rauch gedankenverloren von sich. Dann begann sie zu sprechen. »Sind Sie jemals zum Narren gehalten worden?«

»Oh, ja, aber das ist schon eine Weile her.«

»Aber Sie können sich noch erinnern, wie Ihnen danach zumute war?«

»Ich kann es mir noch ungefähr vorstellen. Worum geht es denn, um Briefe?«

»Ja, um Briefe. Um genau vierundzwanzig.«

Ich sah sie prüfend an. »Sie erwähnten vorhin einen Mann namens Clayton.«

»Genau, das ist der Mann, der die Briefe jetzt besitzt. Er nannte sich zumindest so.«

»Haben Sie ihn einmal gesehen?«

»Nein. Er rief mich an. Er sagte, er hieße Clayton. Ich hätte mir gleich denken können, dass es nicht stimmt. Er verlangte zweitausend Pfund für die Briefe.«

»So was nennt man Erpressung. Und Erpressung ist Sache der Polizei.«

Sie schüttelte den Kopf. »Polizei kommt nicht in Frage. Ich wünsche keine Polizei.«

Ich hob beschwichtigend die Hand. »Also gut, dann nicht. Ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass Sie die Wahl haben. Aber nun erzählen Sie mir endlich, wie Sie in, diese Angelegenheit hineingeraten sind.«

Sie zauderte abermals einen kleinen Augenblick. »Müssen Sie wirklich alles wissen?«

»Es ist doch nun einmal nicht zu umgehen. Betrachten Sie es doch einmal von meiner Warte aus. Ich bin ein Mann, der seinen Beruf ausübt. Es ist ein schwieriger Beruf, der besondere Kenntnisse erfordert. Und falls Sie sich vor mir genieren, dann glauben Sie mir, dass ich so ziemlich alles im Leben kennengelernt habe. Ich werde kaum über Ihre Geschichte erröten. Ich höre solche Dinge jede Woche mindestens ein- bis zweimal. Aber seltsamerweise haben alle diese Frauen, die hierherkommen und wollen, dass ich ihnen helfe, die Überzeugung, dass sie mir eine ganz außergewöhnliche Affäre zu berichten haben.«

Plötzlich lächelte sie. »Also gut, ich sehe ein, dass ich nicht darum herumkomme, Sie ins Bild zu setzen. Aber zunächst möchte ich einmal klarstellen, dass es sich nicht um meine eigenen Briefe handelt. Ich erledige diese Angelegenheit für jemand anders. Verstehen Sie mich?«

»Diese Tour hat man auch schon mit mir versucht.«

»Aber diesmal ist es die Wahrheit.«

»Vielleicht. Ob Wahrheit oder Lüge, mir liegen diese Art Geschichten nicht. Sie versuchen besser, sie jemand anders aufzuhängen.«

»Bitte, lassen Sie mich doch erst einmal aussprechen.« Sie drückte ihre Zigarette in einem Aschenbecher aus. »Sehen Sie, ich suche Ihre Hilfe, und ich brauche Ihr Verständnis. Ich werde Ihnen alles erzählen, was Sie wissen möchten – bis auf den Namen der Person, die es eigentlich angeht. Ich habe ihr versprochen, mit niemandem über sie zu reden, und darum kann ich es wirklich nicht tun. Aber Sie dürfen mir glauben, dass sie eine meiner besten Freundinnen ist und das liebenswerteste und charmanteste Mädchen, das ich kenne.«

»Und sie hat einen Ehemann, der das alles gar nicht zu schätzen weiß, wette ich.«

Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Er ist ebenfalls ein wundervoller Mensch. Ich weiß auch nicht, was vorgefallen ist und wieso es so weit kommen konnte. Aber diese Dinge kommen doch immer wieder einmal irgendwo vor. Jedenfalls war er ständig für seine Firma im Ausland, sonst wäre wahrscheinlich überhaupt nichts von alledem passiert.«

»Es ist aber etwas passiert.«

»Ja, es ist schon länger als drei Jahre her, und sie hatte die ganze Angelegenheit schon vollkommen vergessen, als Clayton plötzlich anrief.«

»Sie scheint ein reichlich kurzes Gedächtnis zu haben.«

»Seien Sie doch nicht so gemein. Sie war vollkommen darüber hinweggekommen. Sie ist jetzt wieder sehr verliebt in ihren eigenen Mann.« Miss Tracy zündete sich eine frische Zigarette an. »Sie haben inzwischen einen kleinen Sohn. Wenn die ganze Affäre herauskommt, ist das Leben von allen dreien vollkommen zerstört.«

»Woher wissen Sie das so genau? Könnte er ihr nicht auch verzeihen und mit der Zeit vergessen?«

»Das sagt sich so leicht dahin. Sie sollten es selbst einmal versuchen.«

»Das habe ich bereits – es ist lange her.«

Sie hob rasch den Kopf und sah mich an. »Es tut mir leid. Das ahnte ich nicht.«

»Schwamm drüber. Ich habe es ja selbst herausgefordert. Es hat auch gar nicht so gut geklappt. Man kann irgendwie verzeihen. Ich habe es auf dem Umweg über einen Streit getan. Vergessen fällt schon sehr viel schwerer.«

»Das würde bei dem Mann meiner Freundin genau das gleiche sein. Er ist kein Mann, der so etwas vergessen kann. Obwohl mir von vornherein klar war, dass es keinen Sinn haben würde, habe ich versucht, meine Freundin zu überreden, mit ihm zu sprechen. Genau wie Sie es eben vorgeschlagen haben. Aber sie hat mir nicht einmal zugehört.« Es dauerte eine kleine Weile, bis sie weitersprach. »Als ich sie einige Tage später besuchen wollte, fand ich sie in ihrem Bett vor. Sie hatte eine ganze Röhre Veronaltabletten geschluckt.«

Allmählich begann mich die Sache zu interessieren. »Und?«

Sie zuckte die Achseln. »Meine Freundin hat einen Bruder, der Arzt ist. Ich hatte Glück und konnte ihn gleich erreichen. Er kam sofort und pumpte ihr den Magen aus. Jetzt ist sie wieder ganz in Ordnung. Wir haben es als Unfall hingestellt. Ihr Mann weiß bis heute nichts davon.« Sie beugte sich zu mir herüber. »Damals hat sie mir die Geschichte erzählt.«

»Was geschah dann?«

»Ich versprach ihr, dass ich ihr helfen würde, so gut ich kann. Ich wusste nun alles – oder doch das meiste, aber ich sah ein, dass ich allein damit nicht zu Rande kommen würde. Darum kam ich hierher – zu Ihnen.«

»Wieso kommen Sie ausgerechnet zu mir?«

Sie zuckte wieder die Schultern. »Ich könnte Ihnen jetzt erzählen, dass ich irgendeinen Privatdetektiv suchte und dass Sie der erste sind, den ich zufällig gefunden habe. Aber das stimmt nicht. Eine Freundin von mir hat Ihren Namen einmal erwähnt. Ich habe ihn im Gedächtnis behalten.«

»Wer hat von mir gesprochen?«

»Das möchte ich nicht verraten. Es hat ohnehin mit unserer Angelegenheit nichts zu tun. Aber kommen wir wieder zur Sache. Es handelt sich um ein Päckchen Briefe – es sind vierundzwanzig Stück. Clayton verlangt zweitausend Pfund dafür, und wir haben uns entschlossen zu bezahlen.«

»Das bedeutet, dass Sie sich erpressen lassen?«

»Ja. Ich habe bereits alles vorbereitet. Das Geld soll heute Nacht übergeben werden.«

Ich brauchte einen Augenblick, um es zu verarbeiten. »Und welche Rolle haben Sie mir dabei zugedacht?«

»Ich möchte, dass Sie mich begleiten, wenn ich ihm das Geld aushändige.«

»Als Ihre Leibwache sozusagen? Haben Sie die Befürchtung, dass Sie das nötig haben werden?«

Sie nickte. »Ich habe einfach ein wenig Angst, Mr. Malcolm. Ich habe noch nie etwas mit solchen Dingen zu tun gehabt. Nun bin ich heute Nacht mit Clayton verabredet und habe zweitausend Pfund in barem Geld bei mir. Ich traue ihm nicht über den Weg.«

»Glauben Sie, dass er Sie überfallen wird?«

»Nein, aber dass er mir die Briefe nicht aushändigt, wenn er das Geld erst einmal in Händen hat. Oder dass er ein bis zwei von ihnen zurückbehält. Es war für meine Freundin nicht einfach, die zweitausend Pfund flüssig zu machen. Wenn das Geld verlorengeht, wenn irgendetwas schiefgeht, könnte sie eine solche Summe nicht noch einmal auftreiben. Es muss endgültig in Ordnung gebracht werden. Wir können uns keine Fehler leisten. Begreifen Sie jetzt, worum es geht?«

»Ich verstehe, Sie möchten mich bei sich haben, damit alles klar geht.«

»Ja, Sie sollen lediglich in meiner Nähe sein. Ich glaube nicht, dass irgendetwas passieren wird, aber ich kann keinerlei Risiko eingehen. Schließlich ist dieser Kerl Clayton ein Verbrecher, und ich bin nicht gewillt, mich auf sein Wort zu verlassen. Nicht, wenn es sich um eine derartige Summe handelt.«

Ich klopfte meine Pfeife aus und begann sie neu zu stopfen. »So, ist das nun alles?«

»Ja, ich erwarte keine Schwierigkeiten. Ich glaube, dass Clayton auch kein Risiko eingehen will. Aber wenn er sieht, dass ein Mann bei dieser Sache mitspielt, nun, ich nehme an, dass er dann gar nicht erst versuchen wird, krumme Sachen zu machen. Das ist meine Ansicht. Wie denken Sie darüber?«

»Sie mögen recht haben. Ich würde mich allerdings nie auf das Wort eines Erpressers verlassen. Sie wollen die Briefe nachzählen. Aber wer sagt Ihnen, dass er keine Photokopien davon gemacht hat?«

»Trauen Sie ihm so etwas zu?«

»Ganz bestimmt sogar. Wer nicht vor Erpressung zurückschreckt, schreckt vor nichts zurück.« Ich dachte einen Augenblick nach. »Was wissen Sie übrigens über den Schreiber dieser Briefe?«

»Nichts, meine Freundin hat mir nicht einmal seinen Namen verraten.«

»Könnte es Clayton selber sein?«

Sie blickte mich verblüfft an. »Nein, das halte ich nicht für möglich!«

»Wie hat er die Briefe denn in die Hand bekommen können?«

»Dieser – dieser andere Mann...«

»Nennen wir ihn Smith. Damit ich nicht vollkommen durcheinander komme.«

»Also gut. Smith hatte ihre Briefe aufgehoben. Als er geschäftlich ins Ausland reisen musste, nahm er sie mit. Er war zunächst einige Zeit in Südafrika und anschließend in Australien. In Perth hatte er einen Unfall und kam für drei Monate ins Krankenhaus. Als er entlassen wurde, stellte er fest, dass zwischendurch in seiner Wohnung eingebrochen worden war. Es waren ihm eine ganze Menge Sachen gestohlen worden – und die Briefe waren mit verschwunden. Er schrieb an meine Freundin und berichtete es ihr – und dann meldete sich einige Monate später plötzlich Clayton an.«

»So, das ist also Ihre Geschichte.«

»Ja. Ich bin ganz offen zu Ihnen gewesen. Ich habe alles für meine Freundin in die Hand genommen, und ich hätte diesen Teil der Angelegenheit auch allein erledigt, wenn ich ein Mann wäre. Aber so kann ich es nicht riskieren, oder?«

»Besser nicht. Haben Sie schon einmal daran gedacht, den Fall der Polizei zu übergeben?«

»Sie möchte das nicht, unter gar keinen Umständen.«

»Ihr Name würde nicht hineingezogen werden. Solche Fälle werden anonym behandelt.«

»Aber ihr Marin würde es doch erfahren?«

»Das dürfte kaum zu vermeiden sein.«

Sie entgegnete ganz ruhig: »Also kommt das nicht in Frage. Ich habe ausführlich mit ihr darüber gesprochen. Sie möchte nicht, dass die Polizei etwas erfährt. Sie wäre nicht einmal einverstanden, wenn sie wüsste, dass ich Sie hinzuziehe. Es war meine eigene Idee, zu Ihnen zu kommen. Und es ist ein Geschäft, das nur uns beide etwas angeht. Ich zahle auch Ihr Honorar, nicht meine Freundin.« Sie öffnete die Handtasche und nahm eine flache Geldbörse heraus, in der ich ein Bündel Fünfpfundnoten sehen konnte. Es waren ganz neue Scheine, die knisterten, als sie sie abzählte. Sie zog zehn heraus und legte sie vor mich auf den Schreibtisch. »Bitte, dies sind fünfzig Pfund.«

Ich rührte die Scheine nicht an.

»Sie haben für heute Nacht genaue Abmachungen mit Clayton getroffen?«

»Ja, ich übergebe ihm das Geld, und er händigt mir die Briefe aus.«

»Und was sagt er dazu, dass Sie mich mitbringen?«

»Er weiß noch nichts davon.«

»Das habe ich mir genauso vorgestellt, mein Fräulein. Gerade so. Es ist doch immer überall ein Haken dabei. Wie soll es nun also weitergeben?«

Sie fuhr bedachtsam fort. »Ich habe das schon genau überlegt, Mr. Malcolm, Es ist gar nicht so schwierig. Kennen Sie Rosedale Lawn?«

»Nein, es ist mir vollkommen unbekannt.«

»Es liegt in der Grafschaft Kent. Rosedale Lawn ist einer dieser neuentdeckten Plätze. Kleine Landhäuser sprießen jetzt dort nur so aus dem Boden. Ganze Straßen neuer Häuser. Sie wissen, wie so ein Ort in Mode kommt und dann plötzlich wächst.«

Sie nahm ein Blatt Papier aus ihrer Tasche und betrachtete es aufmerksam. »Ich soll Clayton um elf Uhr in D’Aubigny Court treffen. Ich bin heute Nachmittag schon einmal kurz dort gewesen, um mir die Gegend anzusehen. Der Ort, den er vorgeschlagen hat, liegt am äußersten Rand des Baulandes. Es führt eine Landstraße dort hin – eher eine Art Feldweg, auf der einen Seite von einer Hecke gesäumt, auf der anderen liegen Felder. An einem Ende des Weges haben sie mit dem Bauen von Häusern begonnen, am anderen, dem südlichen, gibt es nur Felder, Wiesen und Gebüsch.«

»Und was soll dort geschehen?«

»Nicht weit entfernt steht eine kleine Baumgruppe. Dort treffen wir uns. Wenn Sie nun schon etwas früher hinfahren würden – eine Stunde vorher –, vielleicht könnten Sie sich dort irgendwo verstecken und wären in der Nähe, wenn ich Sie brauchen sollte.«

»Ich bin groß und nicht leicht zu verbergen.«

»Es sind eine ganze Menge Bäume dort«, meinte sie ängstlich. »So spiele ich nicht mit, mein Fräulein. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit. Und zwar gehen wir beide zusammen dort hin. Wenn Clayton dann kommt, können Sie mit ihm sprechen.«

»Aber er wird Sie doch sehen!«

»Zweifellos. Er wird nicht erstaunt sein. Sie werden ihm sagen, wer ich bin, und warum ich mitgekommen bin. Dass ich nur da bin, um mich zu überzeugen, dass das Geschäft in Ordnung geht. Es mag schon sein, dass er über meine Anwesenheit nicht besonders erfreut sein wird, aber er wird es schon einsehen. Sich im Wald verstecken und ähnliche Kindereien bringen einen nur in Schwierigkeiten. Dies wird kaum Claytons erste Erpressung sein. Und selbst wenn, er wird in jedem Fall misstrauisch sein. Einem Mann wie ihm können Sie keinen Bären aufbinden. Damit kommen Sie bei ihm nicht weit.« Sie sah mich mit großen, fragenden Augen an. »Wenn er nun aber denkt, Sie wären ein Kriminalbeamter?«

»Es liegt bei Ihnen, ihn zu überzeugen, dass es nicht so ist.«

Sie erschauderte. »Wahrscheinlich haben Sie recht. Ich weiß nicht. Ich muss doch jemand bei mir haben, aber ich habe solche Angst, ihn zu verärgern. Es könnte alles verderben...«

»Sehen Sie«, versuchte ich sie zu beruhigen, »Clayton wird immer argwöhnisch sein, was Sie auch tun. Er weiß, dass er sieben Jahre Zuchthaus bekommt, wenn Sie zur Polizei gehen. Trotzdem muss er es darauf ankommen lassen. Wenn er Sie in meiner Begleitung kommen sieht, wird er überlegen, was er machen soll. Sie sind es, die ihm überzeugend erklären muss, warum Sie mich mitgenommen haben.«

»Wenn er die Briefe nun aber nicht in Gegenwart eines Zeugen übergeben will?«

»Vergessen Sie nicht, dass er zweitausend Pfund dafür bekommt. Sie können unbesorgt sein, er wird sie Ihnen aushändigen, auch in meiner Anwesenheit. Für ihn ist alles ein Geschäft. Er ist Geschäftsmann, und als solcher weiß er, dass er die Sache glatt abwickeln muss, aber auch keine Winkelzüge auf unserer Seite. Kein Versteckspiel.«

Sie saß regungslos und starrte an mir vorbei ins Leere.

Ich sagte: »Bitte, Sie kennen meine Ansicht. Ich habe keineswegs etwas dagegen, mir Ihr nettes, sauberes Geld zu verdienen, vorausgesetzt, dass Sie sich nach meinen Vorschlägen richten. Allerdings werden Sie bald zu einem Entschluss kommen müssen, denn wenn Sie sich einen neuen Mann für Ihre Aufträge suchen wollen, wird es langsam Zeit.«

»Also gut«, erwiderte sie mürbe geworden. »Es wird gemacht, wie Sie es haben wollen.«

 

Es war angenehm, spazieren zu fahren. Ich kurbelte alle Fenster herunter und ließ den Wagen ganz langsam laufen, um die Zeit totzuschlagen. Der Fahrtwind wehte mir kühl ins Gesicht. Im Auto kann man die Hitze immer noch am besten ertragen. Wir waren kurz vor zehn von meinem Büro aus gestartet und wussten gar nicht, wohin mit unserer Zeit. Als wir die Siedlung erreichten, hatten wir immer noch eine halbe Stunde Zeit. Langsam begann es dunkel zu werden.

Es war jedoch noch so hell, dass ich ein riesiges Plakat entziffern konnte:

 

Rosedale Lawn Villensiedlung Häuser für glückliche Menschen

Nehmen Sie Einsicht in unsere Pläne und lassen Sie sich unsere Vorschläge unterbreiten, wie auch Sie sich in dieser reizvollen Gegend ansiedeln können.

Grimes & Kirby

 

Ich plagte mich nicht weiter damit ab. Das Mädchen an meiner Seite beschäftigte mich viel mehr. Sie hatte kaum ein Wort gesprochen, seit wir abgefahren waren, und ich Fragte mich, ob sie ihren Entschluss wohl inzwischen bereute. Ich blickte zu ihr hinüber. »Haben Sie Angst?«

»Ein wenig, glaube ich. Schließlich habe ich so etwas doch noch nie in meinem Leben gemacht.«

»Sie sollten es besser auch heute unterlassen.«

»Finden Sie es denn nicht gut, was ich vorhabe?«

»Nein, weil es eine Angelegenheit für die Polizei ist. Ich habe Ihnen das vorhin ja schon mehrfach gesagt.«

Sie schüttelte ungeduldig den Kopf. »Nun fangen Sie doch bloß nicht immer wieder von der Polizei an.«

»Ich erwähne es nur, weil es jetzt noch zeitig genug wäre, ihr den Fall zu überlassen.«

Es kam keine Antwort mehr. Sie saß in ihren Sitz zurückgelehnt und blickte in die einbrechende Nacht hinaus. Wir zuckelten eine Straße entlang, die beiderseits von kleinen Landhäusern eingerahmt wurde. Die Villen mussten erst während des Frühjahrs oder Sommers fertig geworden sein, denn in den meisten Gärten sah man junge Leute arbeiten, die versuchten, die üppig wuchernde Wildnis in gepflegte Anlagen umzuwandeln. Vereinzelt gab es schon einen satten grünen Rasen, aber die meisten hatten noch nicht einmal das erreicht. Vor einem Haus legte ein junger Bursche sogar schon einen künstlichen Steingarten an. Dann, es mochte eine Viertelstunde vergangen sein, schaute sie plötzlich zu mir herüber.

»Ich finde, wir sollten uns jetzt auf den Weg nach D’Aubigny Court machen. Wir haben noch einen Kilometer bis dorthin.«