Der Teufel und seine Knechte - Walter Nigg - E-Book

Der Teufel und seine Knechte E-Book

Walter Nigg

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Beschreibung

Walter Nigg verfolgt das personifizierte Böse durch die Jahrhunderte und zeigt eindrücklich, welche Auswirkungen der Teufelsglauben in frühen Jahrhunderten auf die kollektive Psyche hatte. Eingehend stellt er sowohl den Kampf der Heiligen mit den dunklen Mächten als auch die dichterischen Anstrengungen moderner Schriftsteller dar, dem Bösen zu begegnen. Baudelaires scharfsichtige Beobachtung, wonach es »die vollkommene List des Teufels« sei, den Menschen zu überreden, daß er gar nicht existiere, sieht Nigg in neuerer Zeit erfüllt. Dieser Täuschung, der Verleugnung und Verdrängung des Bösen als fester Größe, ist auch die Gegenwart zum Opfer gefallen, ohne zu merken, daß sie ihm gerade dadurch nahezu unbeschränkte Macht verleiht.
Ein engagiertes, anregendes Buch."

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Walter Nigg

Der Teufel und seine Knechte

Diogenes

Will unsere Zeit mich bestreiten

Ich laß es ruhig geschehen.

Ich komme aus andern Zeiten

Und hoffe in andre zu gehen.

Grillparzer

Einleitung: Die moderne Vielmeinerei

«Teufel fahr’ in alle weichlichen Pfühle

Schmeißt an die Tür alle Stühle,

Schlagt alles klein und krumm!

Werft dort die Baßgeig um.

Satan ist heut hier im Saal»,

singt der schwedische Dichter Carl Michael Bellmann in seinem Schauspiel «Ulla Winblad», in dem ein Anakreontiker mit seiner Laute durch die Hafenkneipen geht. Das Publikum lauscht den übermütigen Liedern über Bacchus- und Liebesfreuden mit einem kaum verhaltenen Kichern, entsprechen sie doch seiner Vorstellung vom leichtlebigen Dasein. Vergnügt hört es dem lustigen, selbst den Tod überspielenden Gesang zu – auf der Bühne darf alles in Stücke gehen. Satan, der im Saal die Stühle umschmeißt, ist nur eine mit Wasserfarben gemalte Theaterfigur; jede Szene vergeht gleich Rauch und Schall.

Hat der heutige Mensch das Teufelsproblem mit derartigen munteren Sprüchen für alle Zeiten von sich gestoßen? Fast scheint es so. Er empfindet sich selbst aufgeklärt und gebildet, neuzeitlich und fortschrittlich, skeptisch und ungläubig, weshalb solche «mittelalterlichen Überreste» ihn nicht mehr anfechten. Er denkt an alles andere, nur nicht an den Teufel, und kennt die Teufelsvorstellung nur noch vom Hörensagen, nicht aber aus eigener Erfahrung. Für ihn sind das längst überwundene Ideen, Rudimente eines primitiven Bewußtseins, die im neuzeitlichen Lebensgefühl keinen Platz mehr haben. Er ist von diesem Thema so unendlich weit entfernt, daß ihn nicht einmal die kaltblütige Streichung des Teufelsglaubens aus seiner Gleichgültigkeit reißt. Er nimmt die Frage gar nicht ernst, geschweige denn, daß er ihre tiefere Bedeutung erfaßt. Die Teufelsfrage ist höchstens noch ein Thema für die volkskundliche Forschung und kann auch da nicht genau definiert werden. Woher kommt diese Ignorierung des Teufels, während er doch frühere Generationen intensiv beschäftigte? Sind die allzu populären Bilder daran schuld, die früher die Menschen erschreckten?

Eine erste Frage meldet sich: Gehört die Teufelsvorstellung in das Gebiet des Aberglaubens? Die Wahrnehmung ist nicht zu bestreiten, daß viele Menschen, auch viele fromme Leute, überaus abergläubisch sind, und nicht minder achten zahlreiche Freigeister auf allerlei abergläubisches Brauchtum. Der Aberglaube nimmt in den Religionen einen breiten Raum ein, auch da «sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten». Glaube und Aberglaube sind oft miteinander verwoben, gehen ineinander über und sind manchmal kaum zu unterscheiden. Der Aberglaube ist auch ein Glaube, aber ein entarteter. Pascal hat mehrfach vor ihm gewarnt. Auch Jeremias Gotthelf schilderte in seinen bäuerlichen Erzählungen die Verkettung von Glaube und Aberglaube. Er tat es erstaunlich unvoreingenommen, ohne Korrektur und ohne Polemik. Jeremias Gotthelf traute dem Leser die Unterscheidung selbst zu. Tatsächlich hat sich mit dem Teufelsglauben oft abergläubischer Unfug verbunden. Leider hat auch die Kirche den Aberglauben vielfach geduldet. Deswegen klagte die dem Evangelium nahestehende Simone Weil: «Die philosophische Reinigung der katholischen Religion hat niemals stattgefunden.»1 Diese Feststellung besteht durchaus zu Recht. Der Aberglaube muß ausgeschieden werden, weil er sich immer wieder in den Glauben einschleicht und ihn verunstaltet. Einer seelischen Fessel gleich wirkt er sich aus. Der Christ muß sich des Aberglaubens erwehren, muß erkennen, daß Glaube und Aberglaube unvereinbar sind.

Obschon sich der heutige Mensch rühmt, über die mittelalterlichen Teufelsvorstellungen weit hinausgewachsen zu sein und vermeint, sich von allem Aberglauben befreit zu haben, vermag er den Blick in diese Richtung nicht zu unterlassen. Spukgeschichten werden selbst in unserer aufgeklärten Zeit mit größtem Interesse gelesen. Warum? Wohl nur deshalb, weil das Problem des Aberglaubens nicht bewältigt, sondern einfach verschoben und überspielt wird. Anstelle des Teufelsglaubens ist der Okkultismus getreten, der sich eines großen Zulaufes erfreut. Was immer mit unheimlichen Geschichten zusammenhängt, wird begierig eingesogen und ganz unkritisch für bare Münze genommen. Ein beschämend primitiver Okkultismus ist zur Ersatzreligion vieler Gebildeter und Halbgebildeter geworden. Je obskurer die Dinge sind, um so interessanter sind sie. Die Verbreitung des Okkultismus verrät ein unabweisbares, wenn auch verkümmertes Bedürfnis, an der übersinnlichen Welt des Teuflischen teilzunehmen. Zahlreiche Menschen der Gegenwart spotten über den mittelalterlichen Teufelsglauben und befinden sich dafür im Banne des Spukes, der sie an der Nase herumfuhrt.

Es ist eine kurzschlüssige Überlegung, das Böse gelten zu lassen und die Teufelsvorstellung abzulehnen. Für den einfachen Menschen sind die beiden Begriffe identisch, weil er in konkreten Bildern, nicht in abstrakten Gedanken denkt. Für ihn personifiziert sich das Böse im Teufel, und wird ihm diese Verbindungslinie gestrichen, kommt er zur Leugnung des Bösen oder sieht in ihm nur das umgekehrte Gute.

Von jeher hat sich das philosophische Interesse mit dem Problem des Bösen beschäftigt. Freilich reden die Philosophen entsprechend ihrer abstrakten Denkweise vom Bösen und nicht vom Teufel; es klingt akademischer. Nicht der Böse, sondern das Böse ist Gegenstand der philosophischen Denkbemühungen, obschon Goethe seinen Mephisto spotten läßt: «Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.»2 Ob man nun «der Böse» oder «das Böse» sagt, ist natürlich ein Unterschied, aber man kann sich fragen, ob Mephistos Feststellung dem Menschen auch nur den kleinsten Vorteil gebracht hat? Problem bleibt Problem – man mag es so oder so umschreiben. Die Menschen leben in einer Welt, in der es Böses gibt und in der das Böse die Macht eines Zaubertrankes hat. Die Philosophen unterscheiden das Böse vom Übel und suchen den Grund des Bösen im menschlichen Egoismus. Das Böse ist nach Paul Häberlin das egoistische Verhalten des Menschen; es kann individueller oder gesellschaftlicher Natur sein. Zahlreich sind die philosophischen Abhandlungen über das Böse. Kant hat sich nicht gescheut, vom «Radikal-Bösen» zu schreiben, was ihm den Tadel Goethes eingetragen hat. Ist das Böse eine natürliche Unzulänglichkeit, oder ist es eine unheimliche Kraft, fragen sie. Die philosophischen Bücher über das Böse sind mit sichtlichem Ernst geschrieben und verdienen Beachtung. Das Rätsel des Bösen hat unübersehbare Auswirkungen, jedenfalls erträgt es weder Ironie noch Spott. Nur Unkenntnis kann die philosophischen Ausführungen über diese Thematik kurzerhand ablehnen. Jede ernsthafte Geistesarbeit hat Anspruch auf Respekt. Martin Bubers Schrift «Bilder von Gut und Böse» enthält tiefsinnige Folgerungen. Der böse Trieb wird «die Hefe im Teig» genannt und die Aufgabe des Menschen darin gesehen, «den bösen Trieb» nicht «zu vernichten, sondern ihn wieder mit dem guten zu vereinigen»3. Noch gewaltiger redet Leopold Ziegler in seinem Alterswerk «Menschwerdung» vom Bösen, und zwar dort, wo er auf die Bitte «erlöse uns vom Bösen» zu sprechen kommt. Als geistiger Einzeldenker stößt Ziegler folgerichtig auf Jakob Böhme, der nach ihm der einzige ist, der der Frage nach dem Ursprung des Bösen standhält. Er schreibt über ihn: «Er setzt an diese Frage nicht allein sein von außen wie von innen gleich bestürmtes Leben, sondern geradezu sein Seelenheil, das er irgendwie gefeit glaubt und wohl auch glauben darf gegen die Gefahren einer vordringlichen Beschäftigung mit dem Bösen.»4 Böhme, Ziegler und Buber unterscheiden sich von vielen Philosophen darin, daß sie nicht in abstrakten Überlegungen stecken bleiben. Ebenso wenig gehören sie zu den Gelehrten, die ruhig am Schreibtisch sitzen und von der Wirklichkeit des Teufels keine Ahnung haben. Sie beschreiben keine rein gehirnliche Angelegenheit, weil sie die Nähe des Bösen erkannt haben. Das Böse hatte es mit ihrer Existenz zu tun. Wenn sie auch zunächst das Problem rational angehen, ist bei ihnen das Böse in seiner Versuchung doch eine ganz und gar irrationale Macht. Der Teufel taucht mitten im Dasein auf und hält die Menschen in Schach. Dies spüren die Religionsphilosophen deutlich selbst durch alle intellektuellen Ausführungen hindurch.

Neben den Philosophen hat sich auch die religionsgeschichtliche Forschung ernsthaft damit beschäftigt. Die religionsgeschichtliche Arbeit schließt ein unumgängliches Anliegen in sich, das eine Zeitlang durch die Frage nach der Absolutheit des Christentums überschattet wurde. Dann hat sie erkannt, daß die verschiedenen Religionen auf verschiedenen Wegen nach Gott suchen. Diese Einsicht verdankt die Religionsgeschichte namentlich einigen hervorragenden Forschern, wie Richard Wilhelm, der die chinesischen Religionsphilosophen ins Deutsche und das christliche Schrifttum ins Chinesische übersetzte, wodurch sich ein neues, gegenseitiges Verstehen anbahnte. Auch Rudolf Ottos «West-Östliche Mystik» ist in diesem Zusammenhang zu nennen, ein Werk, das den Untertitel «Vergleich und Unterscheidung zur Wesensdeutung» trägt und damit einer unsauberen Vermengung vorbeugte. Im Hinblick auf den Teufel nahmen die Religionsforscher wahr, daß vor allem die altpersische Religion vom Bösen redet, indem sie den Dualismus zwischen dem Reich des Lichtes und dem Reich der Finsternis zum Prinzip erhob. Von Persien kommend drang der Satan in Israel ein. Der biblische Teufelsglaube ist somit eine persische Entlehnung. Mit dieser Wahrnehmung der religionsgeschichtlichen Forschung ist das Problem keineswegs gelöst. Es hat eine bloße Verschiebung stattgefunden. In Israel erfuhr die Teufelsauffassung eine tiefgreifende Umgestaltung, von der im nächsten Kapitel die Rede sein wird. Die Feststellung, daß der Teufel auch außerhalb der Bibel vorkomme, muß anders interpretiert und bewertet werden, als es bis anhin in der Forschung geschehen ist. Nicht die Abhängigkeit des Alten Testamentes vom Parsismus ist bedeutsam, sondern das in dieser Entdekkung erscheinende Urwissen des Menschen. Auch Buddha wurde, nachdem ihm unter dem Baum die entscheidende Erleuchtung widerfuhr, vom Versucher Mara verlockt, sofort in das Nirwana einzugehen, damit sein erlösungsbringendes Wissen dem Menschen unbekannt bliebe. Neben den Religionen weisen ebenfalls die Märchen auf das Urwissen des Menschen vom Bösen hin, denn in ihnen erscheint sehr oft der Teufel. Die Bedeutung des Problems wird durch das Urwissen des Menschen unterstrichen, deshalb darf man die Religionsgeschichte nicht übergehen.

In den letzten Jahren zeigte die moderne Psychologie ein steigendes Interesse an der Teufelsfrage. Die Psychologie betonte einen anderen Aspekt, indem sie das Böse zum «Schatten» erklärte, unter dem sie das Dunkle und Negative, das Verdrängte und Nichtgelebte im Unterbewußtsein versteht. Der «Schatten» begleitet den Menschen durchs Leben; die Psychologie vermag ihn bis zu einem gewissen Grad zu erhellen, nicht aber völlig aufzulösen. Sie will dies auch gar nicht, weil nach ihrer Meinung der «Schatten» zum Menschen gehört, den sie als eine rein innermenschliche Angelegenheit ohne ethische Bewertung betrachtet. Die psychologische Auffassung hat ihre Berechtigung, da in ihr die Möglichkeit liegt, sich an die Problematik heranzutasten. Freilich ist ein Vorbehalt anzubringen, indem sie die Gefahr in sich schließt, das Religiöse aufzulösen, versteht sie doch darunter subjektivistisch einen seelischen Vorgang, dem keine objektive Wirklichkeit entspricht. Die Psychologie redet von teuflischen Gefühlen im Menschen, nicht aber vom Teufel. Man kann psychologisch eifrig über das Problem des Satans diskutieren, ohne von seinem Abgrunde nur etwas zu ahnen. Es ist der Psychologie eine seltsame Unverbindlichkeit eigen. Sie löst den Teufel in den trüben Wassern des Unterbewußtseins auf, was mit ihrer irreführenden Rangerhöhung von einer Hilfswissenschaft zu einer Normwissenschaft zusammenhängt. Deswegen ist es angebracht, an einen so unvoreingenommenen Zeugen wie Franz Kafka zu erinnern, der sich in psychologischen Fragen überaus gut auskannte und einmal in sein Tagebuch notierte: «Psychologie ist Lesen einer Spiegelschrift, also mühevoll, und was das immer stimmende Resultat betrifft, ergebnisreich, aber wirklich geschehen ist nichts … Zum letztenmal Psychologie!»5

C.G. Jung ging einen Schritt weiter auf der Bahn der Tiefenpsychologie. Er beschäftigte sich unter anderem mit dem Trinitätsproblem, dem er ein eigenes Kapitel «Das Problem des Vierten» widmete. Jung ging von der Frage des Timaios aus: «Eins, zwei, drei – aber der Vierte … wo bleibt er uns denn?» Er wollte die Trinität in eine Quaternität umschaffen, indem als Vierter der Teufel hinzukommt! Er bezeichnete die Dreiheit als kein natürliches, sondern als ein künstliches Ordnungsschema. Es seien immer vier Elemente, vier Qualitäten, vier Farben, vier Kasten in Indien. Er schrieb: «Die logische Folge wäre die Aufhebung der Trinitätsformel und ihre Ersetzung durch eine Quaternität.»6 Die Ausführungen beweisen, daß auch die Tiefenpsychologie das Teufelsproblem in ihr Denken einbezog. C.G. Jung war ein genial begabter Mensch, der eine ebenso wertvolle als notwendige Ergänzung zu Freuds Verständnis der Tiefenpsychologie herausgearbeitet hat. Doch ist er mit seinem Quaternitäts-Vorschlag einem klügelnden Einfall zum Opfer gefallen, mit dem er selbst nur spielte und den er nicht ernsthaft zu Ende gedacht hat. Kein einziger Theologe hat ihm sein vermeintliches Fündlein abgenommen. Die christliche Geistesgeschichte ist über Jungs konstruierte Quaternität diskussionslos hinweggegangen, zumal es sich bei der Dimension des Teufels nicht um «eine logische Folgerung» handelt. Bei der Trinität war kein künstliches Modell an der Arbeit, vielmehr gelangte – was in jeder Dogmengeschichte nachzulesen ist – das christliche Denken in einem langsamen, ernsthaften Prozeß zur trinitarischen Erkenntnis, die in ihrer paradoxen Formulierung ein Geheimnis ist. Die Frage darf nicht geistreichen Reflexionen ausgeliefert oder mit einem Verblüffungsgedanken verwirrt werden. Auch widerspricht es der religiösen Verantwortung und dem hierarchischen Denken, den Teufel mit Gott, Christus und dem Heiligen Geist in eine Formel zusammenzufassen.

Überdenkt man die philosophischen, religionsgeschichtlichen und psychologischen Ausführungen, steht man vor dem modernen Pluralismus, der auch in den kirchlichen Raum eingedrungen ist. Der Pluralismus spricht zunächst eine Selbstverständlichkeit aus: Zu allen Zeiten gab es verschiedene Meinungen über ein Problem – das ist wahrlich keine Neuigkeit. Das Modewort «Pluralismus» ist ein Fremdwort. Friedolin Stier reflektierte in seinen aufwühlenden Aufzeichnungen «Vielleicht ist irgendwo Tag», wie dieser vielbeschworene Ausdruck am besten zu übersetzen sei. Dabei kam er zu dem treffsicheren Resultat «Vielmeinerei» und hat damit das Schlagwort entlarvt7. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: der ideologische Dogmatismus ist entschieden abzulehnen, weil er sich keiner Selbstprüfung unterzieht und nur seine eigene Meinung gelten läßt. Die christliche Universalität schließt viele Ausblicke in sich, und jeder kann von mehr als einem Gesichtspunkt aus betrachtet werden. In der modernen Vielmeinerei aber meint jeder Mensch sich über jedes Problem zu jeder Zeit äußern zu können, ohne länger darüber nachgedacht zu haben. Man glaubt, dies einem allerdings falschen Demokratieverständnis schuldig zu sein, das ohnehin kein Gewissen mehr kennt. Die gegenwärtige Vielmeinerei entspricht der so beliebten uferlosen Diskussionssucht, bei der man ganz selten zu einem klaren Ergebnis gelangt. Die Vielmeinerei schafft nur unnötiges Gerede, das ohne Resultat bleibt, Zerwürfnis bewirkt und keine aufbauenden Kräfte entbindet. Sie ist eine moderne Krankheit, für deren Heilung und nicht für deren Verbreitung durch Umfragen man bedacht sein sollte.

Will man sich nicht an der modernen Vielmeinerei beteiligen, muß man das Teufelsproblem nochmals gründlich überdenken. Hat sich nicht ein Fehler in eine allzu schnelle «Überlegung» eingeschlichen? War es überhaupt ein ernsthaftes Nachdenken? War man damit nicht zu Ende, bevor man wirklich begonnen hatte? Geht die Rechnung überhaupt auf? Der moderne Mensch hat es sich viel zu leicht gemacht; er hat wegen den allzu volkstümlichen Teufelsbildern das wirkliche Problem mit einer Handbewegung auf die Seite geschoben und hat behauptet, eine solche Frage sei dem heutigen Denken nicht mehr zumutbar. Fragt uns das Leben, was uns zugemutet werden dürfe und was nicht? Der leichtfüßige «Abschied vom Teufel» verrät eine opportunistische Anpassung an den Zeitgeist. Allezeit sind die Christen aufgefordert, die «Fragen vom anderen Ufer» neu zu überdenken. Die Teufelsfrage ist nicht annähernd beantwortet, wenn man sich einfach dem Zeitgeist anpaßt, der heute so und morgen anders urteilt. Mindestens müßte man mit Ricarda Huch den Satan zu den Urphänomenen zählen8.

Urphänomene haben Gewicht, wie das Urwissen überdauern sie der Zeiten Wechsel; sie sind für jede Generation neu, und nie sind sie überholt. Bei den Urphänomenen mag man sich fragen, wie sie sich in unserem Leben bekunden. Auf welche Art haben wir mit ihnen zu tun? Wenn man das Teufelsproblem zum voraus verneint, wie erklärt sich dann all die Verdorbenheit und Gemeinheit, alle Verbrechen und alles Dunkle im menschlichen Dasein? Sind alle diese Erscheinungen beantwortet, wenn man statt «Teufel» «das Böse» sagt? Ist das nicht nur ein anderer Name für die gleiche Sache? Gehört der Teufel zu den antwortlosen Fragen, die den Menschen quälen und auf die er doch nie verzichten kann?

Für die Existenz des Teufels ist man nicht nur in den vergangenen Jahrhunderten eingetreten. In der heutigen Zeit schrieb Alois Winklhofer einen «Traktat über den Teufel», der alle Argumente der Kirchenlehre über Satan rekapituliert und ihn als einen abgefallenen Engel versteht. Der gelehrte Theologe ist mit einem verantwortungsbewußten Gewissen an seine Aufgabe herangetreten. Die kirchliche Orthodoxie entwickelte im Laufe der Jahrhunderte ein überaus imposantes System, an dem sich viel Scharfsinn beteiligte und dem man die Anerkennung für die vielhundertjährige Bemühung unmöglich versagen kann. Bei allem Respekt vor dem sichtlichen Ernst der Ausführungen muß man sich doch fragen: Woher wissen die Theologen dies alles so genau? Beruhen ihre Aussagen wirklich auf Offenbarungen, oder haben sich hier Spekulationen eingeschlichen? Wo hört die göttliche Offenbarung auf, und wo beginnt die theologische Vermutung? Werden hier nicht zwei Auffassungen vermengt, die zu unterscheiden sind? Ist auch wirklich alles wahr, was da ausgesagt wird, oder liegt eine bloß dinglich verstandene Metaphysik vor, die allzu massiv mit übernatürlichen Vorstellungen umgeht? Ist echte Metaphysik nicht ein Denken, das sich wirklich jenseits der Physik bewegt und von dem man alle primitiven Vorstellungen strikte fernhalten sollte? Diesen Fragen darf man bei aller Ehrfurcht vor der kirchlichen Überlieferung nicht ausweichen, wenn man ehrlich bleiben will. Zuallerletzt dürfen wir die Frage nach der übersinnlichen Welt in uns selbst nicht unterdrücken oder uns tänzerisch über sie hinwegsetzen. Darin mögen sich geistreiche Literaten gefallen, niemals darf sich die christliche Redlichkeit dessen schuldig machen.

Die dogmatische Gläubigkeit nimmt zuweilen geradezu lächerliche Formen an, wenn sie in plumpe Hände gerät. Dies zeigt Dostojewski anschaulich beim stupiden Pater Ferapont in «Die Brüder Karamasoff». In tolpatschiger Art fabuliert Pater Ferapont, daß «das Ende des dicken, dunkelbraunen Schwanzes des Teufels zwischen die Türspalte geraten sei – da war ich nicht dumm und knallte die Tür zu und klemmte seinen Schwanz ein. Wie er quiekte, wie er um sich schlug! Ich aber machte das Zeichen des Kreuzes dreimal nacheinander und kreuzte ihn einfach tot. Er krepierte denn auch auf der Stelle!»9 Mit diesem törichten Geschwätz prangerte der Dichter die beschämende Beschränktheit der Vertreter des schwarzen Christentums an. Innerhalb des Romanes gehört Pater Ferapont zu den Gegenspielern des lichtvollen Staretz Sossima. Dostojewski, der wahrhaft um den Teufel wußte, wollte mit Pater Ferapont jenen grobklotzigen Unfug brandmarken, den jene anrichten, die vom Leibhaftigen nur den Schwanz sehen und sich damit die wahre Sicht verstellen. Als Reaktion auf diesen undiskutierbaren Aberglauben kam es zur aufklärerischen Meinung, nach der der Teufelsglaube mit der wissenschaftlichen Einstellung unvereinbar sei. Der Dualismus von Gott und Teufel sei durch die Geschichte widerlegt. Durch die fortschreitende Zivilisation habe sich der Mensch von der Teufelsfurcht befreit, und der Teufel habe sich, wie der Nebel vor der aufsteigenden Sonne, verflüchtigt. Wirklich? Kennen die heutigen Menschen tatsächlich keine verteufelten Ängste mehr? Die Argumentation der Aufklärung war rein rationalistisch. Mit dem Verstand aber kommt man dem Teufel gerade nicht bei, zumal er sich selbst in der Vernunft verbirgt. Es fehlt den vielen aufklärerischen Schriften jedes Gespür für das Abgründige und das Dunkle des Lebens. Wenn man glaubt, der Teufel habe gar nie existiert, wie kann man dann so viele Seiten gegen etwas schreiben, das es zu keiner Zeit gegeben hat? Das ist doch eine bizarre Zeitverschwendung. Auch die rationalistischen Argumente haben eine gewisse Berechtigung, trotzdem vermögen sie nicht zu überzeugen und fallen, aufs Ganze gesehen, unter das Urteil: «Gewogen und zu leicht befunden.» Ebenso wenig darf man die Frage nach dem Teufel als eine nur interessante Angelegenheit betrachten, die sich gegen eine Verteufelung des Teufels wehrt und sich auf eine neutrale Einstellung ohne Ja oder Nein zurückziehen will. Der geistige Neutralismus hat viel zum Niedergang des Abendlandes beigetragen. Er vertritt den Standpunkt des Agnostizismus, hinter dem sich die Skepsis verbirgt, die im Relativismus endigt und dem geistigen Selbstmord gleichkommt.

Selbstverständlich kann man über den Teufel keine wissenschaftliche Abhandlung schreiben. Damit kein Mißverständnis entsteht: Ich bin kein Verächter der Wissenschaft. Im Gegenteil. Ich habe mich überaus gerne mit der Geschichte der Wissenschaft beschäftigt und empfinde große Hochachtung vor ihr. Hier aber ist die Wissenschaft nicht am Platze, und darum handelt es sich bewußt um eine unwissenschaftliche Abhandlung, die auch ihre Berechtigung hat. Es läßt sich da nichts beweisen und nichts bestreiten. Die nachfolgenden Ausführungen bewegen sich auf einer anderen Ebene. Auch nützt es nichts, wenn man ein erdrückendes Material zusammenträgt, sei es nun pro oder contra. Behauptung steht da gegen Behauptung. Die Wissenschaft ist eine rationale Sache, und der Teufel ist eine irrationale Erscheinung. Gerade deswegen ist die Wissenschaft nicht zuständig und bewegt sich die Frage außerhalb ihrer Forschung. Bei unserem Problem aber muß man auf das Geheimnis achten, und nie darf man das Unerklärliche doch erklären wollen. Bei aller Wissenschaftsfreudigkeit müssen wir hier stillestehen und die Grenzen des Wissens einsehen.

Oder spricht man am besten nicht über den Teufel, weil er nicht mehr salonfähig ist? Das kommt einer Bankrotterklärung der letzten Fragen gleich. Unabhängig von dem, was die moderne Vielmeinerei vom Teufelsglauben hält, bekenne ich mich ausdrücklich zur Unpopularität und gehe die Frage anders an. Ich bin mir bewußt, daß es sich um einen fragmentarischen Versuch handelt. Es wird keine ausführliche Satanologie entwickelt, die es nicht gibt und nicht geben soll. Eine «Geschichte des Teufels» zu verfassen kann so wenig gelingen wie eine «Geschichte des Gottesreiches». Höchstens wäre es möglich, eine «Geschichte der Teufelsvorstellungen» zu schreiben, doch würde sie von einer monotonen Langweiligkeit sein, weil sich die Auffassungen nicht allzu stark gewandelt haben. Das Wesen der Geschichte ist jedoch gerade die Veränderung, die dem Historiker allein zugänglich ist. Der fragmentarische Versuch macht einige wenige Aspekte geltend, Bruchstücke nur. Jede Vollständigkeit und noch mehr jedes System ist zum voraus ausgeschlossen. Die Unvollkommenheit der Ausführungen ist evident. Die skizzenhafte Zeichnung möchte auf eine oft übersehene Blickrichtung hinweisen. Das Thema beschäftigt uns immer wieder, obschon wir damit nie fertig werden. Wir sollen uns vom intellektuellen Wust befreien und dürfen auch keine theologischen Heufuder vor uns her schieben.

Die Abhandlung geht davon aus, daß es zwei Wirklichkeiten gibt, eine sichtbare und eine unsichtbare. Gewöhnlich lebt der Mensch ganz in der sichtbaren Wirklichkeit; sie beschäftigt sein Denken und sein Tun, sie bestimmt den Tagesablauf und sie füllt den Alltag aus. Ist aber die sichtbare Wirklichkeit die einzig mögliche Realität? Befriedigt sie die unendliche Sehnsucht des Menschen? Darf man die Frauen und Männer, die über die Alltagswirklichkeit hinaussehen, sofort des Obskurantismus verdächtigen? Gibt es nicht Menschen, die etwas sehen und auch solche, die nichts sehen? In ein lebendiges Leben fallen immer wieder seltene Stunden, in denen unerwartet eine andere, unsichtbare Realität durch die vordergründige Wirklichkeit hindurchschimmert. Die sichtbare Welt ist nicht so beschaffen, wie sie dem Menschen gewöhnlich erscheint; er sieht sie zu vordergründig und beachtet nicht die sie überlagernde zweite Wirklichkeit. Paulus schrieb die wie Hammerschläge dröhnenden Worte: «Wir, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare.»10 Diese viel zu wenig beachtete, bedeutungsschwere Aussage kehrt die übliche Sicht der Dinge mit einem Schlag völlig um. Eine radikalere Umdrehung ist gar nicht möglich. Man mag sich fragen, ob das Wort des Apostels «wir, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare» für den heutigen Christen auch noch gilt? Bemühen wir uns noch um das Sehen auf das Unsichtbare? Des Menschen Denken ist doch gegenwärtig nur auf das Sichtbare gerichtet, und das Unsichtbare läßt er unsichtbar bleiben, ohne die Folgen dieser Nichtbeachtung zu bedenken. Das Sichtbare hat es mit der Zeit zu tun, die unaufhörlich zerrinnt und den Eindruck der Sinnlosigkeit erweckt. Das Unsichtbare kennt keine Zeit. Das haben die Mystiker stets gewußt, sie, die von der Christenheit ungebührlich vernachlässigt worden sind und doch zu ihren tiefsten Vertretern zählen.

Nun gibt es Momente im Leben, in denen sich die unsichtbare Welt plötzlich bemerkbar macht. Sie gehören zu den merkwürdigsten Erlebnissen, die im ersten Augenblick erschreckend und unglaubwürdig zu sein scheinen und die, näher betrachtet, doch nicht zu bestreiten sind. Der atheistische Nietzsche schrieb einmal «von einer schrecklichen Gestalt hinter seinem Stuhl, die schauderhafte, unartikulierte und unmenschliche Töne von sich gab»11. Niemand wird den Philosophen von Sils Maria zu den Hinterwäldlern zählen wollen, ihn, der die Fähigkeit des Um-die-Ecke-Sehens besaß und wie ein Prophet kommende Dinge wahrnahm. Man kennt Nietzsche nur oberflächlich, wenn man einzig sein lautstarkes Getöse von der «Philosophie mit dem Hammer» anfuhrt und nicht auf seine verborgenen Erlebnisse achtet, von denen er selten zu sprechen pflegte. Noch unheimlicher war Solowjews Vision am Ostersonntag 1898. Dieser russische Religionsphilosoph befand sich auf einer Seereise nach Ägypten, als er plötzlich den Teufel erblickte, der auf dem Kissen in seiner Kajüte in der Gestalt eines zottigen Tieres saß. Solowjew fragte ihn: «Und du, weißt du, daß Christus auferstanden ist?» Als Antwort stürzte sich der Teufel auf Solowjew, den man später bewußtlos auf dem Boden liegend fand. Solowjew zählt zu den großen Denkern der Ostkirche, dem eine visionäre Schau der Dinge eigen war. Ähnliche Erlebnisse widerfuhren auch andern Menschen; die Beispiele ließen sich unschwer vermehren. Will man sie alle einfach als Halluzinationen wegschieben? Dermaßen leichtfertig darf man nicht an den Einbrüchen aus der unsichtbaren in die sichtbare Welt vorbeieilen.

Die erwähnten Vorkommnisse deuten an, daß man über den Teufel, um eine gewagte Formulierung zu gebrauchen, nur «visionär» schreiben sollte. Das geht natürlich nicht, weil für das Visionäre die entsprechenden Worte und Begriffe fehlen. Visionäre Erlebnisse können höchstens in Chiffren angedeutet werden; die gewöhnliche Sprache reicht dazu nicht aus, so daß Mißverständnisse beinahe unvermeidlich sind. Für den Menschen, der die zwei Wirklichkeiten anerkennt, ist der Teufel kein bloßes Wort, sondern ein realitätsgesättigtes Zeichen, das nie restlos zu umschreiben ist und dessen dunkle Existenz oft wie ein Blitz am nächtlichen Himmel in das menschliche Dasein hineinleuchtet. Wie soll man die unheimliche Macht adäquat formulieren? Bedarf es dazu eines ahnungsvollen Gespüres, einer Art sechsten Sinnes, der verborgene Dinge wittert? Müßte es in der Weise geschehen, wie Julien Greens «Geisterseher» Vorkommnisse erzählt, bei denen der Leser nie weiß, sind ihm seine Erlebnisse auch widerfahren oder hat er sie nur geträumt? Der Dichter läßt diese Frage absichtlich in einem ungewissen Schwebezustand. Allen modernen Vorurteilen zum Trotz, ist für uns der Visionär eine gewichtige Gestalt, selbst wenn er auch nur notdürftig umschrieben werden kann. In der «visionären» Schreibweise sind die Dinge wirklich und zugleich unwirklich, beinahe einer Phantasterei ähnlich. Stets muß man Realität und Unrealität zugleich betonen. Das menschliche Leben schillert zwischen den beiden Polen. Es ist alles klar, und zugleich ist alles unklar. Auch diese widerspruchsvolle Spannung hielten die Mystiker aus. Der jetzige Mensch aber hat in seiner einlinigen Vielmeinerei eine verhängnisvolle Einbuße erlitten, indem er die Kraft des Glaubens verloren hat und an einem metaphysischen Unvermögen leidet, das durch kein technisches Können wettzumachen ist.

Darnach spielt sich das Teufelsproblem in einem geistigen Dämmerlicht ab. Satan bewegt sich in einer schwer zugänglichen Sphäre. Er befindet sich in einer unwirklichen Wirklichkeit, auf die der Mensch immer wieder stößt und der er doch nie habhaft wird. Es geht cum grano salis um eine surrealistische Sicht. Auf die Schau kann nur in Bildern hingewiesen werden. Das Bild darf nicht mit der Wirklichkeit identifiziert werden. Die Bildersprache ist ein Hilfsmittel, und es ist falsch, wegen der Unvollkommenheit ihres Ausdruckes an der Realität der Teufel zu zweifeln. Mit dem Wort «Teufel» ist ein Zeichen gesetzt, das den bloßen Symbolcharakter weit überschreitet.

Niemals darf die Sicht dinglich verstanden werden. Der Teufel ist nie und unter keinen Umständen stofflich zu begreifen. Dagegen hat sich schon Thomas von Aquin ganz entschieden verwahrt. Die zu entfaltende Sicht verfugt über den Teufel nicht wie ein Naturwissenschaftler über das Objekt seiner Forschung. Weder Agnostizismus noch Skepsis sind am Platze, wohl aber die kreatürliche Bescheidenheit. Man darf in dieser Frage auch der Phantasie keinen freien Lauf lassen. Es gilt, das Problem des Bösen zu sehen, mit ihm zu rechnen und es doch nicht zu überziehen. Das Ahnungsvermögen ist beachtenswert, nicht aber eine Vorliebe für nebelhafte oder schwammige Vorstellungen, die niemandem helfen. Deshalb sind Vorsicht und Besonnenheit gegenüber dem Mysterium des Bösen geboten. Es ist ein Erinnern an das, was die Menschen einst erlebt haben, das sich aber im mechanistischen Zeitalter verhüllt hat, trotzdem jedoch noch da ist und immer da bleiben wird, weil es nun einmal zum Dasein gehört.

Viel diskutiert wurde die Frage, ob der Teufel eine Person oder eine unpersönliche Macht ist. Die Vorstellung vom personifizierten Bösen hat sich die Kunst zu eigen gemacht und zu eigen machen müssen, denn sonst hätte sie es nicht darstellen können. Nach der Kirchenlehre ist der Teufel eine Person, ein gefallener Engel, wofür wesentliche Argumente sprechen. Näher besehen ist jedoch das Wort «Person» in diesem Bereich ein unvollkommener Begriff, denn jede Person ist begrenzt und des Teufels Wesen ist unbegrenzt. An sich ist der Teufel eher eine Unperson, da er doch die von Gott geschaffene menschliche Persönlichkeit zerstört. Der Teufel als Unperson verstanden, sagt wiederum nicht das Richtige aus. Er kann sich personifizieren, hat er sich doch im Verlauf der Geschichte mehrfach in gewissenlosen, verbrecherischen Naturen verkörpert. Er ist auch in unzähligen anderen Wesen und Dingen gegenwärtig und ist beinahe immer im Spiel.

Die mannigfachsten Möglichkeiten stehen ihm offen: er ist sowohl im Rationalismus als auch im Irrationalismus wirksam. Die Frage, ob er nun eine Person oder eine Nichtperson sei, übersteigt die menschliche Aussagemöglichkeit genau so, wie der Mensch sich die Ewigkeit nicht konkret vorstellen kann. Das Problem spielt sich auf einer transpersonalen Ebene ab, was man keinen Augenblick vergessen darf. In aller Unheimlichkeit ist es eine uns überragende Grenzfrage. Grenzprobleme sind Fragen, die über das menschliche Denkvermögen hinausgehen und bei denen ein sinnvolles Gespräch aufhört. Grenzfragen überschreiten die menschliche Kompetenz und bleiben, wie viele andere Probleme, dahingestellt. Diese Haltung gebietet uns die Demut, die sich über das Kreaturgefühl des Menschen Rechenschaft gibt. Man darf sich keinerlei Grenzüberschreitungen schuldig machen, sonst gerät man auf schwindelerregende Abwege.

Ebensowenig vermögen Menschen die Frage nach dem Ursprung des Bösen lösen. Woher kommt das Böse in die Welt? Die beliebte Antwort, «Gott hat es zugelassen», ist, näher besehen, keine Antwort. Es wäre doch angebracht, offen einzugestehen, daß das Problem der Herkunft des Bösen unbeantwortbar ist. Es gibt höchstens eine Überwindung und eine Erlösung vom Bösen, nicht aber eine Erklärung über seinen Ursprung. Auch diese Frage übersteigt unser Denkvermögen, eine Frage, die wir niemals bewältigen, uns ihr aber nur stellen können. Es ist mir wohl bewußt, daß in diesem Fragment nur die Anfangsgründe umschrieben werden können.

Der Teufel ist eine Realität und zugleich eine Unrealität. Nur diese paradoxe Auffassung ist imstande, die Ontologie des Bösen wenigstens anzudeuten. Dabei muß uns klar sein, daß nur Gott allein das Sein zukommt. Alles ist doppelsinnig, magisch und unheimlich; man kommt mit rationalen Überlegungen dem Bösen nie bei, denn die Teufel spotten, versinken und sind am andern Tag wieder da. Natürlich ist es moderner und auch eleganter, vom Dämonischen zu reden. Wohl am modernsten ist es, wenn man den Dämon als Mitarbeiter am schöpferischen Werk bezeichnet, wie dies André Gide getan hat. Dies aber dürfte auf eine Verwirrung der Begriffe hinauslaufen. Derart zweideutige Aussagen über die Beschaffenheit eines Kunstwerkes können nur Falschmünzern gefallen. Das Dämonische ist das Gottwidrige, das nie schöpferisch ist und das den Menschen weit eher ins Verderben reißt. Ohne Einbeziehung des Bösen wird die Weltgeschichte mit ihren zahllosen Katastrophen ganz unverständlich. Wer Geschichte nicht nur pragmatisch betrachtet, wird dem eigenständigen Denker Theodor Häcker zustimmen: «Die Geschichte ist unerklärlich ohne den Teufel und sein Wirken.»12 Auschwitz stellt den Christen nicht vor die Frage, ob man fernerhin noch zu Gott beten könne. Diese Frage wäre reichlich naiv, zumal auch vor Auschwitz die schrecklichsten Dinge in der Geschichte vorgekommen sind, Dinge, bei denen einem beinahe das Herz stille steht. Es läßt sich über Auschwitz gar nicht ernsthaft reden, ohne beim Anblick der unbeschreiblich grauenhaften Stätte mit den Verbrennungsöfen und den vielen Baracken, in denen Berge von Kinderschuhen, Frauenhaaren, Brillen und noch vieles mehr aufgehäuft liegen, an das Tier aus dem Abgrund zu denken, das dort leibhaftig aus der Tiefe heraufgestiegen ist und unmenschlich gewütet hat. Die Wirklichkeit des Bösen ist kein ideologischer Überbau, wie der für diese Probleme blinde Marxismus behauptet. Reden wir weiter bewegt, betroffen und verhalten von der metaphysischen Wirklichkeit, wofür sich nach wie vor am besten die Sprache der Symbole eignet. Die Verkleidungen des Teufels sind vielfältig und unübersehbar. Nach einer mittelalterlichen Legende befindet sich der Teufel unter den Arbeitern, die Steine zum Bau einer Kathedrale tragen. Darnach kann der Teufel auch inmitten des kirchlichen Betriebes tätig sein, der oft so lärmig in Szene gesetzt wird. Der Teufel ist den Menschen immer viel näher, als sie annehmen. Ebenso gewiß hat er all jene Leute beim Frack gepackt, deren ganzes Denken um Macht und Geld kreist. Die Menschen mit ihren technischen Errungenschaften, auf die sie sich so viel einbilden, versklavt er raffiniert. Es ist eine bedeutsame Aufgabe, den Teufel in seinen Verkleidungen und den verschiedenen modernen Erscheinungsformen aufzuspüren.

Geradezu gefährlich ist es, den Teufel zu beschwören oder ihn an die Wand zu malen. Von ihm darf nur mit äußerster Wachsamkeit gesprochen werden. Die Gründe hiefür hat Paul Tillich genannt: «Echtes Erkennen ist immer Lieben, Sich-Einen mit seinem Gegenstand, der dadurch aufhört, nur Gegenstand zu sein. Mit dem Dämonischen aber kann man sich nur einen um den Preis der Selbstzerstörung: Entweder wird der Dämon aufgeweckt, der in jedem wohnt und bereit ist, ihn zu verderben. Oder er wird enthüllt, aus der Tiefe gehoben und dadurch entleert. Es ist eine merkwürdige Erfahrung: Einer Rede über das Dämonische folgt Wildheit oder Leere oder beides: Der Dämon rächt sich dafür, daß er gekennzeichnet ist. Nur der Prophet, der ihn besiegt, kann ihn ohne Schaden nennen.»13 Dieser Vorbehalt ist angebracht, auch wenn er eine gewisse Mutlosigkeit in sich birgt. Denn wir zählen uns nicht zu den Propheten und fühlen uns doch gedrängt, das Teufelsthema nicht länger im Schandenwinkel des Aberglaubens liegen zu lassen. Nochmals sei der erleuchtete Jakob Böhme zitiert, der in seinem Sendschreiben ausführte: «Ich sah und erkannte das ganze Wesen im Bösen und Guten.» Er durfte es sehen, weil er von sich bekannte: «Ich habe in Schwachheit und Kindheit, in der Einfalt Christi, in seinem mir gegebenen Kinderwerke, darinnen habe ich mein Spiel.»14 Wer mit dieser gottverbundenen Einstellung über den Teufel schreibt, nimmt keinen Schaden an seiner Seele.

In den nachfolgenden Ausführungen wird bewußt vom Teufel nicht um des Teufels willen geredet. Das Pikante und Sensationelle, dem die Menschen widerstandslos verfallen, ist eine Verführung. Das Interessante spekuliert nur auf die niedrigen Instinkte der Neugierde, ihm aber jagen im Zeitalter des Pluralismus jung und alt, Mann und Frau, reich und arm hitzig nach. Mit Furcht und Zittern soll gezeigt werden, wie sich der Menschheit in alter und neuer Zeit das Satanische enthüllt und wie sie sich der finsteren Mächte erwehrt hat. Dies soll aber nicht mit kulturgeschichtlicher Unverbindlichkeit geschehen, sondern mit innerer Anteilnahme. Es geht um eine Signalisierung der bösen Kräfte, die viel aktiver und unheimlicher sind, als man es annimmt. Doch soll den Menschen keine neue Teufelsangst eingeflößt werden, wie dies in früheren Jahrhunderten oft geschehen ist. Ein solches Tun wäre unverantwortlich. Die Menschen leiden gegenwärtig genug an Ängsten und Nöten und haben deshalb alles andere notwendiger. Ich bin zutiefst überzeugt von der Überlegenheit des Göttlichen gegenüber allem Teuflischen. Ausführungen, die nicht vom Glauben an den Sieg des Lichtes über die Finsternis getragen werden, sind christlich nicht vertretbar.

Dostojewski hielt sich einmal über «die Tölpel auf, die ihn wegen seinem angeblich ungebildeten und rückständigen Glauben an Gott foppten», ohne dabei «die Beschränktheit ihrer Weltanschauung und die Stumpfheit ihres kleinen Gehirns» zu bemerken15. Dann fügte er hinzu, daß sich seine Gegner nicht einmal träumen ließen, durch welche Verneinungen er hindurchgegangen sei, auf die seine Bücher eine Antwort geben. Tatsächlich hat der Teufel in der modernen Zeit die Gestalt des Nihilismus angenommen, in dessen Nähe sich auch Ironie und Satire angesiedelt haben. Mit tausend Mitteln werden die Völker in Ost und West in die gleichgültige Vielmeinerei hineingelockt, in der Hoffnung, sie bemerken nicht, wie sie mehr und mehr vom Nihilismus verschlungen werden. Ebenso beunruhigend ist die Ohnmacht des Guten in der Gegenwart, das heute nur zaghaft und kraftlos zu Worte kommt, und wenn schon, dann dermaßen schwächlich, daß es nicht den geringsten Eindruck hinterläßt. Ich gestehe offen, dieses Buch aus einer inneren Not heraus geschrieben zu haben. Die Frage bedrängt mich: Wohin steuert die Christenheit? Wird sie erneut von Dämonen überschwemmt?