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Drei REgio-Krimis von Peter Haberl, bekannt als Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 327 Taschenbuchseiten.
Dieses Buch enthält folgende drei Krimis:
Peter Haberl: Geburtstag – Sterbetag
Peter Haberl: Die Tote im Unterholz
Peter Haberl: Der Satan hat noch einen Trumpf im Ärmel
Die Kommissare Degenhart und Kutzer beschäftigt diesmal der Tod einer älteren Frau, die an ihrem Geburtstag ermordet aufgefunden wurde. Den Täter vermuten die Ermittler im engen Familienumfeld, denn in dieser Familie spielen sich Dramen ab. Aber laufen die Ermittlungen wirklich in die richtige Richtung?
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von Peter Haberl, bekannt als Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 327 Taschenbuchseiten.
Dieses Buch enthält folgende drei Krimis:
Peter Haberl: Geburtstag – Sterbetag
Peter Haberl: Die Tote im Unterholz
Peter Haberl: Der Satan hat noch einen Trumpf im Ärmel
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Regionalkrimi aus der Oberpfalz
von Peter Haberl
Die Kommissare Degenhart und Kutzer beschäftigt diesmal der Tod einer älteren Frau, die an ihrem Geburtstag ermordet aufgefunden wurde. Den Täter vermuten die Ermittler im engen Familienumfeld, denn in dieser Familie spielen sich Dramen ab. Aber laufen die Ermittlungen wirklich in die richtige Richtung?
Am Montag, dem 9. November, war die verwitwete Anna Scholz von ihrem Sohn Bruno gegen 9:00 Uhr morgens tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Sehr schnell war klar, dass sie keines natürlichen Todes gestorben, sondern dass ihrem Ableben nachgeholfen worden war. Jemand hatte sie mit einer schweren Vase aus Bleikristall niedergeschlagen und dann erwürgt. Klarheit bestand auch dahingehend, dass es sich nicht um einen Raubmord handelte.
Makaber an der ganzen Sache war, dass Anna Scholz an diesem Tag ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag feierte. Ihr Geburtstag war also auch ihr Sterbetag.
Hauptkommissar Walter Degenhart und Oberkommissar Karl Kutzer aus dem Kommissariat 1 bei der Kriminalpolizei Weiden wurden mit den Ermittlungen beauftragt. Zunächst einmal machten sich die beiden Beamten daran, die Ergebnisse der Spurensicherung in der Wohnung der Getöteten auszuwerten. Es gab natürlich eine Reihe von Fingerabdrücken sowie DNA-Resultate, aber keine dieser Spuren ließ einen Hinweis auf den Täter zu, denn sie stammten von der Getöteten selbst oder ihren nächsten Angehörigen, die regelmäßig in der Wohnung verkehrt waren.
Die Kommissare hatten auch mit einigen Nachbarn der Getöteten gesprochen, aber auch aus diesen Aussagen ergaben sich keine verwertbaren Hinweise. Fakt war, dass laut Gerichtsmedizin der Tod gegen 8:00 Uhr morgens eingetreten und dass Anna Scholz erwürgt worden war.
Degenhart und Kutzer standen im Moment also noch vor einem Rätsel. Sie befanden sich in Degenharts Büro, es war Freitag früh und gegen das Fenster prasselte Regen. Es war viel zu warm für die Jahreszeit, und wenn man den Meteorologen glauben durfte, dann war der Winter noch lange nicht in Sicht. Für die kommende Woche waren schon wieder Temperaturen im zweistelligen Bereich angesagt, der 20-Grad-Marke näher als der 10-Grad-Marke.
„Was wir wissen, ist gar nichts“, gab Hauptkommissar Degenhart zu verstehen und schaute etwas frustriert drein, vielleicht war es auch nur Ratlosigkeit, die seinen Blick beherrschte.
„Außer, dass die Getötete bei ihren Mitmenschen nicht gerade beliebt war“, wandte Oberkommissar Kutzer ein. „Den Bekundungen einiger Hausbewohner entsprechend war sie ziemlich rechthaberisch und unduldsam, aber auch missgünstig und neidisch. Sie hat sich selbst und ihre Familie für weitaus besser als den Rest der Welt gehalten.“
„Von dieser Spezies gibt es eine ganze Menge“, knurrte Degenhart. „Wenn man die alle wegen ihres Charakters umbringen würde, dann wären wir von der Polizei ganz schön gefordert. Aber es ist wohl so, dass das Motiv für die Gewalttat, der Anna Scholz zum Opfer fiel, in ihrem Verhalten ihren Mitmenschen gegenüber gesucht werden muss. Zu ihren Kindern scheint sie ja ein ganz passables Verhältnis gehabt zu haben. Ich schlage vor, dass wir uns mit ihrem Sohn Bruno unterhalten, der sie tot aufgefunden hat. Was meinst du?“
„Warum nicht? Irgendwo müssen wir ja versuchen, einen Ansatz zu finden. Also sprechen wir mit Bruno Scholz. Ich ruf ihn an, um zu sehen, ob wir ihn in seiner Wohnung erreichen.“
Karl Kutzer holte einen kleinformatigen Notizblock aus der Innentasche seiner Jacke, klappte ihn auf, fand die Telefonnummer von Bruno Scholz und griff nach Degenharts Telefon. Nachdem er die Nummer getippt hatte, musste er kurze Zeit warten, dann erklang eine Frauenstimme: „Hier bei Scholz. Sie sprechen mit Waltraud Scholz.“
„Oberkommissar Kutzer, Kripo Weiden“, stellte sich Karl Kutzer vor, hörte seine Gesprächspartnerin scharf die Luft durch die Nase ausstoßen und fügte hinzu: „Ist Ihr Mann zu Hause, Frau Scholz? Wir hätten gerne noch einmal mit ihm gesprochen.“
„Bruno ist noch nicht in der Lage, arbeiten zu gehen“, erklärte Waltraud Scholz. „Der Mord an seiner Mutter hat ihn ziemlich mitgenommen, er ist regelrecht traumatisiert. Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn Sie mit ihm über das Verbrechen sprechen.“
„Ihr Mann ist also zu Hause“, konstatierte Oberkommissar Kutzer, ohne zunächst ihren hintergründigen Einwand zu beachten. „Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass wir ihm noch einige Fragen stellen, Frau Scholz. Natürlich werden wir dabei den schlechten Gesundheitszustand Ihres Gatten berücksichtigen. – Wir sind in ungefähr zwanzig Minuten bei Ihnen.“
Tatsächlich standen die beiden Kriminalbeamten nach einer guten Viertelstunde vor der Tür des Ehepaares Bruno und Waltraud Scholz. Bruno Scholz war ein mittelgroßer Mann von einundvierzig Jahren, etwas übergewichtig und mit lichten Haaren. Seine Frau war mindestens zehn Jahre älter, ihr Gesicht war bleich und sah ungesund teigig aus, ihre blassblauen Augen waren wässrig und der erste Eindruck Degenharts war der, dass diese Frau wahrscheinlich zu sehr dem Alkohol zusprach.
Während sich Bruno Scholz als die Unruhe in Person zeigte, schien seine Gattin den Besuch der beiden Kriminalpolizisten mit aller Gelassenheit hinzunehmen. Sie nahmen in dem etwas heruntergekommen wirkenden Wohnzimmer Platz und Degenhart heftete seinen Blick auf Bruno Scholz, der neben seiner Frau auf der Couch saß und nervös seine Hände knetete. „Sie haben Ihre Mutter tot in ihrer Wohnung aufgefunden, Herr Scholz“, begann Bruno Scholz. Er war Lagerarbeiter in einem hiesigen Baumarkt.
„Ja, ja, das ist richtig.“ Scholz schluckte würgend und wich dem Blick des Hauptkommissars aus. „Aber ich hab das doch alles schon Ihren Kollegen erzählt.“
„Das stimmt. Aber da mein Kollege Kutzer und ich mit den Ermittlungen beauftragt wurden, müssen wir sozusagen noch einmal bei Null beginnen. Darum bitte ich Sie, unsere Fragen umfassend zu beantworten.“
„Das sehe ich ein. Glauben Sie mir, es fällt mir schwer, darüber zu sprechen. Aber gut - ich hab meine Mutter gegen 8:00 Uhr angerufen, weil ich ihr zum Geburtstag gratulieren wollte, aber sie ging nicht ans Telefon. Mir war sofort klar, dass irgendetwas nicht stimmte, dachte aber gewiss nicht an Mord und Totschlag, mehr an einen Schwächeanfall oder eine Herzattacke. Wegen ihres Geburtstags hatte ich an diesem Tag Urlaub genommen, denn ich wollte den Nachmittag meiner Mutter widmen. Beunruhigt fuhr ich zu ihrer Wohnung. Auf mein Läuten hin öffnet niemand, sodass ich mich entschloss, in die Wohnung zu gehen. Sie müssen wissen, dass ich einen Schlüssel besitze. – Meine Mutter lag in der Küche auf dem Fußboden, unter ihrem Kopf hatte sich eine Blutlache gebildet. Ich verständigte sofort den Rettungsdienst und die Polizei, und dann versuchte ich, erste Hilfe zu leisten. Leider war meiner Mutter nicht mehr zu helfen. Sie war tot.“
Bruno Scholz hatte den Kopf gesenkt und starrte wie geistesabwesend auf die Tischplatte. Seine Mundwinkel zuckten, es war deutlich, dass ihn die Erinnerung zu übermannen drohte und dass er gegen die Tränen ankämpfte. Seine Frau saß mit unbewegtem Gesicht daneben und musterte ihn von der Seite. Degenhart konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine Art Geringschätzung, vielleicht sogar Verachtung in ihrem Blick zum Ausdruck kam.
„Ich kann verstehen, dass Sie der gewaltsame Tod Ihrer Mutter sehr getroffen hat“, murmelte der Hauptkommissar. „Ihr Verhältnis zu Ihrer Mutter war nicht schlecht. Das wissen wir von den Nachbarn Ihrer Mutter.“ Nun richtete Degenhart seinen Blick auf Waltraud Scholz, die ihn trotzig erwiderte. „Bei Ihnen sah das schon etwas anders aus, Frau Scholz“, gab der Hauptkommissar wider, was die bisherigen Ermittlungen ergeben hatten. „Ihre Schwiegermutter und Sie sollen sich nicht gerade geliebt haben.“
Jetzt verschloss sich das Gesicht von Waltraud Scholz geradezu, und in ihre Augen trat ein Glitzern, das der Hauptkommissar als gehässig einstufte. Sie stieß hervor: „Ich bin die zweite Frau von Bruno. Mit seiner ersten hat er drei Kinder, die meiner Schwiegermutter ziemlich ans Herz gewachsen waren. Seine geschiedene Frau verließ mit den Kindern Weiden und meine Schwiegermutter bekam ihre Enkel nur noch ganz selten zu sehen. Sie hat mir die Schuld daran gegeben. Auch hat sie es nie akzeptiert, dass Bruno mich, die ich elf Jahre älter bin als er, geheiratet hat. Aber als er damals aus dem Gefängnis entlassen wurde …“
Geradezu erschreckt brach Waltraud Scholz ab, schaute ihren Mann an und zog den Kopf zwischen die Schultern, als duckte sie sich vor seinem wütenden Blick.
Hauptkommissar Degenhart entging keine dieser Reaktionen, und ihm blieb auch nicht verborgen, dass sich Bruno Scholz‘ Gesicht verfinstert hatte und er seine Frau mit einem Blick bedachte, der geradezu vernichtend war.
„Weswegen waren Sie inhaftiert?“, fragte Degenhardt an Bruno Scholz gewandt.
„Eine Dummheit, die ich zutiefst bereue, die meiner Jugend und meinem Leichtsinn aber auch dem schlechten Umgang, den ich pflegte, zuzuschreiben war. Wir haben einen Mann in seiner Wohnung überfallen, ihn niedergeschlagen und beraubt. Ich hab dafür fünf Jahre gesessen. Gleich nach meiner Verhaftung verließ mich meine erste Frau, Waltraud hingegen hielt in all den Jahren zu mir.“
„Sie beide kannten sich also schon vor Ihrer Inhaftierung“, mischte sich nun Oberkommissar Kutzer in die Befragung ein, und es war keine Frage sondern eine Feststellung.
„Ja“, antwortete Bruno Scholz. „Ihr damaliger Mann und ihr Bruder haben zusammen mit mir den Raubüberfall begangen. Ihr Mann, der noch unter Bewährung stand, wurde zu einer Gesamtstrafe von zehn Jahren verurteilt. Waltraud hat sich von ihm scheiden lassen. In der Zwischenzeit ist er an Lungenkrebs gestorben.“
„Wann wurden Sie aus dem Gefängnis entlassen?“, fragte Kutzer.
„Das ist über fünf Jahre her. Wie ich schon sagte, es war eine große Dummheit, ich bin vorher nie straffällig geworden und auch hinterher nicht mehr. - Es ist richtig, dass meine Mutter die Waltraud nie als ihre Schwiegertochter akzeptiert hat. Die beiden sprachen kein Wort miteinander, zu irgendwelchen familiären Festivitäten wurde Waltraud nie eingeladen.“
„Das heißt, dass Sie gewissermaßen zwischen zwei Feuern standen, Herr Scholz“, resümierte der Hauptkommissar. „Hat Ihre Mutter versucht, Sie gegen Ihre Frau einzunehmen?“
„Ich verstehe nicht …“
„Ich meine, ob Ihre Mutter gegen Ihre Frau gehetzt hat“, präzisierte Degenhart seine Frage.
„Sie hat sich schon des Öfteren darüber ausgelassen, dass Waltraud nicht die richtige Frau für mich sei“, gab Bruno Schulz nach anfänglichem Zögern zu. „Ich habe derartige Gespräche immer versucht abzuwürgen, denn sie endeten meistens mit Streit und meine Mutter warf mich entweder aus der Wohnung oder ich verließ diese wutentbrannt von mir aus.“
„Ihre Mutter starb am Montag gegen 8:00 Uhr morgens. Waren Sie um diese Zeit zu Hause?“
„Natürlich! Das kann meine Frau bezeugen. Ich rief meine Mutter gegen 8:30 Uhr an, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Als sie nicht abnahm, entschloss ich mich, zu ihr zu fahren.“
„Das heißt im Umkehrschluss, dass auch Sie sich am Montagmorgen um 8:00 Uhr hier in ihrer Wohnung befanden, Frau Scholz“, schloss Degenhart.
„Falls Sie mich oder meinen Mann in Verdacht haben, etwas mit dem Tod meiner Schwiegermutter zu tun zu haben, dann können Sie dies jetzt knicken, Herr Kommissar“, kam es mit ironischem Unterton über die Lippen von Waltraud Scholz. „Ich mochte meine Schwiegermutter nicht. Aber sie deswegen umzubringen – auf eine solche Idee wäre ich nie im Leben gekommen.“
Degenhart konzentrierte sich wieder auf Bruno Scholz und sagte: „Ihre Mutter war allgemein nicht recht beliebt. Zumindest ihre unmittelbaren Nachbarn wollten mir ihr nichts zu tun haben – weder im Guten noch im Bösen. Man hat uns erzählt, dass sie der Meinung war, über diesen Leuten zu stehen, außerdem soll sie missgünstig und neidisch gewesen sein.“
Es gab für den Hauptkommissar keinen Grund, damit hinter dem Berg zu halten. Er hatte einen Job zu erledigen und auf die Gefühle Einzelner konnte er nicht allzu viel Rücksicht nehmen. Immerhin galt es, ein Tötungsdelikt aufzuklären, wobei Degenhart auf keinen Fall von Mord sprechen wollte. Das Gesetz kannte im Hinblick darauf eine Reihe von Unterscheidungen.
Bruno Scholz ließ kurze Zeit verstreichen, in der er scheinbar seine Antwort formulierte. „Der gängige Spruch meiner Mutter war: ‚Wo ich scho hing’schiss’n hab, da hat der oder die noch niad amal hing’schmeckt‘“, murmelte er dann und fügte sogleich versonnen hinzu: „Es stimmt schon: Leicht war der Umgang mit meiner Mutter nicht. Die hat den anderen Leuten nix gegönnt, alles was andere gehabt haben hat sie schlecht g‘macht. Sie hat immer nur gedacht, wir sind wer. Vor allem auf den Erich war sie so stolz, weil es der zum Finanzobersekretär g‘bracht hat. Wenn ich bloß dran denk, wie meine Mutter über den Matheis her’zog’n ist. An dem hat’s ja kein gutes Haar g’lass’n.“
„Wer ist das?“, hakte Degenhart sofort nach.
„Martin Matheis. Der ist früher – da war er sechzehn oder siebzehn – mit meiner Schwester rumgezogen. Der Martin ist aufs Gymnasium gegangen und meiner Mutter wär er als Schwiegersohn schon recht gewesen. Als der Martin meine Schwester sausen ließ, war er bei meiner Mutter unten durch.“
„Es gibt einen Dr. Martin Matheis in Weiden“, warf Oberkommissar Kutzer ein. „Urologe …“
„Ja, dös is er. Meine Schwester hat Jahre nach der Sache mit Martin den Ringer Franz g’heiratet, einen g‘lernten Schlosser, der als Handwerker natürlich nicht dem Niveau entsprach, das meine Mutter von ihrem Schwiegersohn erwartet hat. Der Martin wär’s aus ihrer Sicht schon gewesen – aber der hat ihr was gepfiffen. Sie hat einen regelrechten Hass auf ihn entwickelt, und wo’s a Möglichkeit g’funden hat, hat’s ihn schlecht g’macht.“
„Hat das der Doktor Matheis gewusst?“, erkundigte sich Degenhart.
„Ja, freilich, soweit ich weiß, hat der Martin meine Mutter sogar vor drei oder vier Wochen angerufen und sie aufgefordert, es zu unterlassen, seinen Ruf zu schädigen.“
„War das alles?“, fragte der Hauptkommissar.
„Wie meinen Sie denn das?“
„Hat Doktor Matheis Ihrer Mutter irgendwelche Konsequenzen angedroht?“
„Konsequenzen – nicht direkt. Meine Schwester hat mir lediglich erzählt, dass der Martin g‘sagt hat, dass er sich das nicht länger g‘fallen lässt und dass es gewaltig raucht, wenn sie damit nicht aufhört.“
„Wie hat Ihre Mutter darauf reagiert?“
„Sie soll getobt haben. Und da meine Mutter über ein ziemliches Repertoire an Kraftausdrücken verfügte, kann ich mir schon vorstellen, dass der Martin von ihr alle Namen erhielt nur nicht seinen eigenen.“
„Wenn Ihre Mutter sich für jemand Besseren hielt“, stieß Oberkommissar Kutzer hervor, „dann passt aber das Vokabular, das sie sich zugelegt zu haben schien, nicht – ganz und gar nicht zu dieser Selbsteinschätzung.“
„Meine Schwiegermutter war früher Arbeiterin in einer Porzellanfabrik hier in Weiden“, mischte sich Waltraud Scholz ein. „In dieser Umgebung ist der Umgangston oft nicht gerade gepflegt. Meine Schwiegermutter konnte ausgesprochen unverschämt und ordinär werden.“
„Ihr Vater ist vor über dreißig Jahren gestorben“, brachte sich wieder der Hauptkommissar ins Gespräch ein, und er hatte sich dabei Bruno Scholz zugewandt. „Wir wissen, dass Ihre Mutter die Wohnung in der Humboldtstraße gekauft und längst abbezahlt hat. Hat Ihr Vater ihr so viel Geld hinterlassen, oder wie sonst konnte sie sich eine Dreizimmer-Eigentumswohnung leisten?“
„Meine Mutter hatte einen Hausfreund. Der ist dreizehn Jahre jünger als sie, war aber Berufssoldat, und zwar Offizier, und – ich weiß das zwar nicht genau –, er hat wahrscheinlich meiner Mutter Geld zugesteckt.“
Die Kommissare wechselten einen schnellen, vielsagenden Blick, und Degenhart sagte: „Ach, wie interessant. Von diesem Hausfreund hatten wir bisher nicht die Spur einer Ahnung.“
„Aus diesem Verhältnis sind wir nie so richtig schlau geworden“, gab Waltraud Scholz zu verstehen. „Keiner in der ganzen Familie kann sich vorstellen, dass da auf sexuellem Gebiet irgendetwas lief. Jeder war davon überzeugt, dass der Trummer einen Mutterersatz suchte. Vielleicht leidet er auch an einem Ödipuskomplex. Wer weiß …“
„Trummer ist wohl sein Name?“, hakte Degenhardt nach.
„Ja, Jakob Trummer. Er ist zweiundsechzig Jahre alt und war Major bei der Bundeswehr. Ich glaube, der hat vor meiner Schwiegermutter nie eine Frau gehabt. Irgendetwas stimmt mit dem nicht.“
„Mach jetzt den Jakob nicht schlecht!“, fuhr Bruno Scholz seine Frau an, und in seinen Augen blitzte es ärgerlich.
„Darf man die Anschrift von Herrn Trummer erfahren?“, fragte der Hauptkommissar.
Erich Scholz nannte sie ihm. Jakob Trummer wohnte nicht weit von der ermordeten Anna Scholz entfernt.
Für den Moment hatten die beiden Kommissare keine weiteren Fragen, sodass sie sich verabschiedeten. Sie beschlossen, zuerst Jakob Trummer und danach Dr. Martin Matheis einen Besuch abzustatten.
„Was hältst du davon?“, fragte Hauptkommissar Degenhart seinen Kollegen, als sie zu Jakob Trummer fuhren.
„Nun ja“, antwortete der Oberkommissar und wiegte nachdenklich den Kopf. „Wenn alles stimmt, was wir über die Tote erfahren haben, dann war sie keine erfreuliche Zeitgenossin. Sie wollte nach außen hin mehr scheinen, als sie tatsächlich war – also mehr Schein als Sein. Was ihre Schwiegertochter anbetrifft, so scheint die Antipathie auf Gegenseitigkeit beruht zu haben. Ich glaube aber nicht, dass Waltraud Scholz in der Lage ist, zu der alten Frau zu fahren, ihr eine Vase über den Schädel zu ziehen und sie dann zu erwürgen. Im Übrigen hat sie ein Alibi.“
„Das ihr ihr Mann bescheinigt hat. Was ist, wenn die beiden unter einer Decke stecken?“
Kutzer schoss dem Hauptkommissar einen schnellen Seitenblick zu, konzentrierte sich sodann aber wieder auf den Verkehr und erwiderte: „Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn soll nicht schlecht gewesen sein“, verlieh er seiner Skepsis Ausdruck.
„Anna Scholz wird nicht gerade darüber glücklich gewesen sein, als man ihren Sohn vor zehn Jahren wegen des Raubüberfalls für fünf Jahre hinter Gitter schickte“, gab der Hauptkommissar zu verstehen. „Gemessen an dem, was wir über Anna Scholz in Erfahrung gebracht haben, dürfte sie ihrem Sohn den Fehltritt von damals kaum verziehen haben, denn er hat dem Image, das sie sich für ihre Familie aufgebaut hat, ziemlich geschadet. Und er hatte möglicherweise irgendwann ihre ständigen Vorwürfe satt.“
„Das ist natürlich ein Aspekt, den man nicht vernachlässigen sollte“, musste Karl Kutzer zugeben. „Im Zuge unserer Ermittlungen werden wir dahingehend sicherlich den einen oder anderen Hinweis erhalten und entsprechende Schlüsse ziehen.“
Das Gespräch zwischen den beiden Kommissaren schlief ein, und schon drei Minuten später rangierte der Oberkommissar den Dienstwagen vor dem Gebäude, in dem Jakob Trummer eine Wohnung besaß, in eine Parklücke.
Trummer war zu Hause. Fragend fixierte er die beiden Beamten, die vor seiner Korridortür standen. Er war zweiundsechzig Jahre alt, mittelgroß und untersetzt und verfügte über eine Halbglatze.
„Ich vermute, dass Sie Herr Jakob Trummer sind“, sagte Hauptkommissar Degenhart.
„Bin ich. Darf ich fragen, wer Sie sind?“
„Ich bin Hauptkommissar Degenhart von der Kriminalpolizei Weiden, das ist mein Kollege Oberkommissar Kutzer. Wir hätten in der Sache Anna Scholz einige Fragen an Sie, Herr Trummer.“
Ein Schatten schien über Trummers Gesicht zu huschen, sein Blick wurde abweisend, er schnarrte: „Ich hab Frau Scholz gut gekannt, mit ihrem tragischen Ableben habe ich jedoch nichts zu tun. Ich wüsste auch nicht, was Sie mich in diesem Zusammenhang fragen möchten.“
„Es reicht, wenn wir es wissen!“, versetzte Oberkommissar Kutzer etwas harsch. „Wir wollen auch keine Diskussion über den Sinn oder Unsinn unserer Arbeitsweise mit Ihnen beginnen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sprechen jetzt mit uns – oder Sie erscheinen am Montagmorgen um 8:00 Uhr bei uns in der Dienststelle.“
„Ihr Ton gefällt mir nicht!“, blaffte der ehemalige Major.
„Nun, mir gefällt Ihr Kasernenhofton ebenso wenig“, versetzte der Oberkommissar kühl. „Haben Sie sich entschieden?“
„In meiner Wohnung haben Sie nichts verloren“, stieß Jakob Trummer mit einem hohen Aggressionspotential in der Stimme hervor. „Einen Durchsuchungsbefehl haben Sie ja gewiss nicht. Also werde ich Montagmorgen früh um 8:00 Uhr bei Ihnen in der Polizeiinspektion erscheinen. Es gäbe aber sicherlich andere Möglichkeiten für Sie, Ihre Zeit sinnvoll zu nutzen, als ein unnötiges Verhör durchzuführen.“
„Seien Sie pünktlich“, knurrte Hauptkommissar Degenhart, ohne auf den letzten Satz Trummers einzugehen, und wandte sich ab. Oberkommissar Kutzer und Jakob Trummer maßen sich noch einmal mit einem eisigen Blick, dann schwang auch Kutzer herum und folgte seinem Kollegen zur Treppe.
Als sie unten waren, sagte der Oberkommissar zornig: „Wahrscheinlich hat er zu der Getöteten gepasst wie die Faust aufs Auge. Er ist nur arrogant, sonst nichts, und lebt in der irrigen Meinung, dass aufgrund seines Berufes jeder vor ihm strammstehen müsste.“
„Du hast ihn auch nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst“, erwiderte Degenhart. „Gehe ich richtig in der Annahme, dass er dir vom ersten Moment an unsympathisch war?“
„Bis in die Seele“, versetzte Oberkommissar Kutzer. „Diese Sorte ist für mich wie ein Brechmittel. Je mehr ich von diesen Zeitgenossen kennenlerne, umso mehr liebe ich Hunde und Katzen.“
Wenig später waren sie auf dem Weg in die Innenstadt, wo Dr. Matheis seine urologische Praxis betrieb. Der Hauptkommissar hatte die Telefonnummer der Praxis per Internet festgestellt und nun rief er dort an. Eine weibliche Stimme meldete sich: „Urologische Praxis Doktor Matheis, was kann ich für Sie tun?“
„Hier spricht Hauptkommissar Degenhart von der Kriminalpolizei Weiden. Ist Herr Doktor Matheis zu sprechen? Wir sind gerade auf dem Weg zu ihm.“
„Worum geht es denn? Um ein gesundheitliches Problem oder …?“
„Nein, es geht nicht um ein gesundheitliches Problem sondern um Ermittlungen, die wir betreiben.“
„Ich verbinde Sie mit dem Herrn Doktor, einen Augenblick bitte.“ Es dauerte gerade mal die Spanne dreier Atemzüge, als eine sonore männliche Stimme erklang: „Doktor Matheis. Wenn mich die Kripo sprechen will, dann geht es gewiss um Anna Scholz.“
„Richtig, Herr Doktor Matheis. Wir sind auf dem Weg zu Ihrer Praxis, und ich wollte nur sichergehen, dass Sie anwesend sind. Ein paar Minuten haben Sie sicherlich Zeit für uns.“
„Es ist terminlich zwar ziemlich eng bei mir, aber ein paar Minuten werde ich sicher herausholen können. Ich erwarte Sie.“
„Vielen Dank. Wir werden in etwa zehn Minuten bei Ihnen sein.“
Oberkommissar Kutzer parkte wenig später den Dienstwagen auf dem Großparkplatz beim Busbahnhof, opferte einen Euro für den Parkschein, dann machten sie sich zu Fuß auf den Weg in die Dr. Pfleger Straße, wo sie nach weiteren drei Minuten die Praxisräume des Dr. Matheis betraten. „Sie sind sicherlich die Herren von der Kripo“, empfing sie eine dunkelhaarige Frau mittleren Alters.
„Ja, Hauptkommissar Degenhart, das ist mein Kollege Oberkommissar Kutzer. Doktor Matheis hat sich bereit erklärt, mit uns zu sprechen.“
„Ich weiß Bescheid“, sagte die Sprechstundenhilfe und lächelte freundlich. „Allerdings hat er gerade einen Patienten drinnen. Wenn Sie sich also ein paar Minuten gedulden. Sie können sich ins Wartezimmer setzen.“
Degenhart bedankte sich und die beiden Beamten begaben sich ins Wartezimmer, in dem zwei Männer darauf warteten, behandelt zu werden. Sie grüßten und setzten sich. Ihre Geduld wurde auf keine allzu lange Probe gestellt, dann kam die Sprechstundenhilfe und forderte sie auf, ihr zu folgen. Im Arztzimmer wartete Doktor Matheis, ein mittelgroßer Mann Ende der vierzig, der noch seine vollen Haare besaß, die allerdings ziemlich grau waren. Er reichte den beiden Beamten die Hand, bat sie, Platz zu nehmen und schaute schließlich fragend von einem zum anderen. „Ich ahnte, dass Sie irgendwann bei mir auftauchen würden.“
„Gibt es einen Grund für diese Annahme?“, erkundigte sich Degenhart.
„Nun ja, ich kenne Frau Scholz seit über dreißig Jahren, und sie war nicht gerade eine gute Freundin von mir.“
„Deswegen sind wir hier“, erklärte der Hauptkommissar. „Wir haben mit Bruno Scholz und dessen Ehegattin gesprochen und erfahren, dass Sie die Getötete vor einiger Zeit angerufen haben, weil sie Sie schlecht gemacht haben soll.“
„Es gibt für mich keinen Grund, es abzustreiten“, versetzte der Arzt. „Frau Scholz hat kein gutes Haar an mir gelassen, nachdem ich als Jugendlicher kurze Zeit mit ihrer Tochter gegangen bin und das Verhältnis – das eigentlich gar kein richtiges war, sondern eher nur eine Freundschaft zwischen Heranwachsenden – beendet habe.“
„Was erzählte Frau Scholz über Sie, das man unter dem Oberbegriff Negativkennzeichnung einordnen kann?“
„Es betrifft sowohl meine berufliche Tätigkeit als auch mein Privatleben. Obwohl weder sie noch irgendeiner aus ihrer Verwandtschaft jemals bei mir in Behandlung war, verbreitete sie das Gerücht, dass ich mehr Patienten verpfuscht als geheilt habe. Was meine Privatsphäre anbetrifft, hat sie überall herumerzählt, dass meine Frau und ich meinen Vater, der bis zu seinem Tod bei uns im Haus lebte und den meine Frau pflegte, finanziell ausgebeutet hätten. Mir wurden einige dieser Gerüchte zugetragen, und darum hab ich Frau Scholz angerufen und sie aufgefordert, derlei Rufschädigungen und Verleumdungen zu unterlassen.“
„Sie sollen ihr gedroht haben“, sagte Kutzer.
„Gedroht – nein. Ich sagte ihr lediglich, dass sie sich mit ihren Äußerungen meine Person betreffend zurückhalten solle, da es ansonsten irgendwann mal ganz gewaltig raucht.“ Dr. Matheis zuckte mit den Achseln und fügte hinzu: „Wenn man es eng sieht, kann man diese Äußerung vielleicht als Drohung auffassen.“
„Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Doktor Matheis, wenn ich Sie jetzt nach Ihrem Alibi für Montagmorgen frage“, gab Degenhart zu verstehen.
„Natürlich nicht, schließlich haben Sie ja einen Job zu erledigen. Okay, okay, ich bin am Montag um 8:00 Uhr in der Praxis gewesen. Bis 7:45 Uhr war ich zu Hause und habe mit meiner Frau gefrühstückt. Eine Viertelstunde benötige ich von meiner Wohnung in Schirmitz bis zu meiner Praxis hier in der Dr. Pfleger Straße.“
„Ich nehme an, dass dies zum einen Ihre Sprechstundenhilfe, zum anderen Ihre Ehegattin bestätigen können“, sagte Degenhart.
„Natürlich.“
„Wir werden sie befragen“, erklärte der Hauptkommissar, dann beugte er sich ein wenig vor und schaute dem Arzt fest in die Augen. „Wenn Sie Frau Scholz so viele Jahre gekannt haben, dann können Sie uns sicher einiges über sie und ihr familiäres Umfeld erzählen.“
„Meine Eltern und das Ehepaar Scholz waren miteinander befreundet. Allerdings starb Herr Scholz schon sehr früh und Anna Scholz zog sich ziemlich zurück. Das war zu der Zeit, als ich mit Carmen gegangen bin. Sie hat drei jüngere Brüder, und zwar Erich, Bruno und Wilhelm. Erich ist der älteste, Wilhelm der jüngste von den dreien. Ganz besonders stolz war Frau Scholz auf ihren Ältesten, weil der es zum Beamten gebracht hat. Weniger Freude hat ihr Bruno bereitet, der vor ungefähr zehn Jahren straffällig geworden ist und einige Jahre inhaftiert war. Danach hat er eine Frau geheiratet, die viel älter ist als er und die Frau Scholz nie akzeptiert hat.“
„Und wie war das Verhältnis der Getöteten zu ihrem jüngsten Sohn?“, fragte Oberkommissar Kutzer.
„Der hat Bäcker gelernt und arbeitet bei einer hiesigen Großbäckerei. Wilhelm ist verheiratet, hat aber keine Kinder. Das Verhältnis zwischen ihm und seiner Mutter soll – soweit ich das weiß –, gut gewesen sein.“
„Kann man das auch von Frau Scholz und ihrer Tochter respektive ihrem Schwiegersohn behaupten?“, hakte Kutzer nach.
„Ich habe jedenfalls nichts Gegenteiliges gehört“, versetzte Dr. Matheis. „Mit Sicherheit weiß ich, dass Frau Scholz mit Bruno viele Jahre kein einziges Wort gesprochen hat und dass sie ihn auch nie im Gefängnis besuchte. Damals tönte sie, dass er für sie gestorben sei. Inwieweit sich dieses Verhältnis verbessert hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich hab mich für die Familie Scholz nämlich nicht im Geringsten interessiert. Was ich weiß, hat man mir zugetragen, denn es gibt noch lose Kontakte zu ehemaligen Jugendfreunden, die das eine oder andere erfahren und mir dann, wenn wir uns mal zufällig treffen, erzählen.“
„Wenn Frau Scholz Sie überall schlecht gemacht hat, Herr Doktor Matheis, dann waren Sie sicherlich auch nicht allzu gut auf sie zu sprechen“, konstatierte Hauptkommissar Degenhart und beobachtete dabei den Arzt.
Dr. Matheis verzog etwas den Mund, dann antwortete er: „Eigentlich war es mir egal, was an verbalen Ergüssen über mich aus dem Mund von Frau Scholz kam. Im Grunde war sie, was ihre Persönlichkeit betraf, recht einfach gestrickt. Irgendwann aber musste ich mich einmal wehren, das war ich mir selber schuldig. Wobei jeder wusste, dass ihre Attacken nur ihrem Neid und ihrer Missgunst zuzuordnen waren.“
„Können Sie uns etwas zu dem Verhältnis der Frau Scholz zu Jakob Trummer sagen?“
„Er soll Major bei der Bundeswehr gewesen sein. Ich kenne den Mann nicht persönlich, hab lediglich gehört, dass er ziemlich überheblich sein soll.“
„Bezüglich seines Verhältnisses zu Frau Scholz wissen Sie nichts, wie?“
„Gar nichts.“
„Tja, das wär‘s von meiner Seite“, erklärte Degenhart. „Hast du noch Fragen, Karl?“
Oberkommissar Kutzer schüttelte den Kopf. „Nein.“
Degenhart erhob sich. „Vielen Dank Herr Doktor Matheis, dass Sie uns etwas von Ihrer kostbaren Zeit zur Verfügung gestellt haben. Sollten sich noch Fragen ergeben, werden wir noch einmal auf Sie zukommen.“
„Jederzeit“, versetzte der Arzt.
Als die beiden Kommissare in Richtung Großparkplatz marschierten, meinte Degenhart: „Die Sprechstundenhilfe hat sein Alibi für Montagmorgen bestätigt. Und wenn ich auf meine Menschenkenntnis vertrauen kann, glaube ich nicht, dass der Arzt etwas mit dem gewaltsamen Ableben der Anna Scholz zu tun hat.“
„Ich gebe dir recht“, pflichtete Oberkommissar Kutzer bei, „doch sollten wir ihn nicht völlig aus dem Spiel nehmen. Immerhin hatte er ein Motiv, den negativen Äußerungen der Anna Scholz über ihn entgegenzutreten. Darum sollten wir ihn noch auf unserer Liste der Verdächtigen belassen.“
„Wir müssen uns noch mit Wilhelm Scholz und Carmen Ringer unterhalten“, erklärte Degenhart. „Und dann werde ich mal mit Nürnberg Verbindung aufnehmen, um zu erfahren, inwieweit Erich Scholz vernommen worden ist und was die Vernehmung gegebenenfalls ergeben hat.“
„Die Befragung von Wilhelm Scholz und Carmen Ringer könnten wir heute noch erledigen“, meinte Oberkommissar Kutzer.
„Carmen Ringer wohnt mit ihrem Mann ganz in der Nähe“, sagte Degenhart. „Darum sollten wir sie zuerst aufsuchen.“
Die Adresse war bekannt, Kutzer fand unmittelbar vor dem Gebäude, in dem Carmen Ringer mit ihrem Mann und zwei Kindern zur Miete wohnte, einen Parkplatz und manövrierte den Wagen gekonnt hinein.
Carmen Ringer war eine kleine, zierliche, vielleicht sogar untergewichtige Frau von siebenundvierzig Jahren, die um mindestens fünf Jahre älter aussah und die die beiden Beamten aus wässrigen, leicht geröteten Augen anschaute. „Frau Carmen Ringer?“, kam es fragend von Degenhart.
Sie nickte, dann antwortete sie mit etwas schwerer Zunge: „Ich denke, Sie kommen von der Polizei. Bruno hat mich angerufen und mir erzählt, dass Sie bei ihm waren. Ich hab mir schon gedacht, dass Sie auch mir einen Besuch abstatten.“
Eine ziemliche Alkoholfahne schlug den Kommissaren entgegen. Carmen Ringer war ziemlich angetrunken. Einige Strähnen ihrer blonden Haare hingen ihr wirr in die Stirn. Und obwohl sie sich mit einer Hand gegen den Türrahmen stützte, schwankte sie leicht. Degenhart warf seinem Kollegen einen vielsagenden und gleichzeitig fragenden Blick zu, und als Karl Kutzer nickte, sagte er: „Ich bin Hauptkommissar Degenhart von der Kripo Weiden, das ist mein Kollege, Oberkommissar Kutzer. Dürfen wir einen Augenblick reinkommen?“
„Denken Sie etwa, dass ich meine Mutter umgebracht habe?“, lallte die Frau.
„Wir ermitteln lediglich, Frau Ringer“, entgegnete Hauptkommissar Degenhart. „Das heißt, wir verdächtigen im Moment gar niemand.“
„Wer immer es war, der meine Mutter umgebracht hat!“, giftete die angetrunkene Frau. „Ich wünsche ihm, dass er in der Hölle schmort. Meine Mutter war doch eine herzensgute Frau, die keinem Menschen etwas zuleide getan hat. Der Mörder muss bis an sein Lebensende eingesperrt werden.“
„Es spricht sich nicht gut zwischen Tür und Angel, Frau Ringer“, sagte der Hauptkommissar.
Sie begriff. „Bitte, treten Sie ein.“
Carmen Ringer ließ die beiden Polizisten an sich vorbei in die Wohnung gehen.
Sie nahmen im Esszimmer Platz. Auf dem Tisch standen eine Flasche Sekt und ein halb gefülltes Glas. „Verstehen Sie das nicht falsch“, sagte Carmen Ringer mit unsicherer Stimme, „normalerweise trinke ich nicht. Aber der Tod meiner Mutter – dieser sinnlose, gewaltsame Tod, ausgerechnet an ihrem 75. Geburtstag – lässt mich nicht mehr los. Ich gehe mit dem Gedanken daran abends ins Bett und stehe am Morgen wieder mit ihm auf. Ich – ich versuche meine Empfindungen zu betäuben. Doch es will mir nicht gelingen.“
„Ich glaube nicht, dass Alkohol das richtige Mittel ist, um Emotionen – egal welcher Art – unter Kontrolle zu bringen“, gab Hauptkommissar Degenhart zu bedenken. „Was sagt Ihr Mann dazu?“
„Ich sagte es doch bereits: Normalerweise trinke ich nicht. Mein Mann hat sehr viel Verständnis für meine derzeitige Gefühlslage und lässt den Dingen ihren Lauf.“
„Er ist in der Arbeit, wie?“, erkundigte sich Oberkommissar Kutzer.
„Ja.“
„Gehen Sie auch einer Arbeit nach?“
„Manchmal übe ich einen Aushilfsjob bei einem Friseur aus. Ich habe den Beruf mal erlernt, war aber, nachdem ich unser erstes Kind bekam, nicht mehr als Friseuse – abgesehen von den Aushilfsjobs – tätig.“
„Ihre Mutter kam auf gewaltsame Weise ums Leben. Darüber hat man Sie ja in der Zwischenzeit informiert. Hatte Ihre Mutter Feinde? Ich meine, gab es jemand, der ihr nicht freundlich gesinnt war?“
„Meine Mutter! Feinde? Nein – o nein! Sie war bei allen Menschen, die sie konnten, angesehen und beliebt. Warum sollte sie Feinde haben? Sie hat keinem Menschen etwas getan, sie war eine herzensgute Frau.“
„Sie sind die erste, die uns Ihre Mutter so beschreibt“, versetzte Degenhart unbeeindruckt. „Ihre Nachbarn haben sie als missgünstig und neidisch beschrieben, Ihre Schwägerin sogar als ordinär und unverschämt.“
Carmen Ringers Gesicht veränderte sich zu einer Maske der Wut, sie griff nach dem Sektglas, trank es mit einem Zug leer, setzte es hart auf den Tisch zurück und fauchte: „Sie reden sicherlich von Waltraud, dieser falschen Kuh! Natürlich!“ Carmen Ringer schlug sich mit der flachen Hand leicht gegen die Stirn. „Waltraud war meiner Mutter alles andere als freundlich gesinnt, der traue ich sogar den Mord zu. Die ist doch asozial bis in die Knochen, und ich bin davon überzeugt, dass sie damals, als mein Bruder zusammen mit ihrem Mann und ihrem Bruder den Raubüberfall ausführte, ihre schmutzigen Hände im Spiel hatte.“
Die Brauen Degenhart schoben sich zusammen, er sagte: „Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung? Ich muss Ihnen ja sicherlich nicht sagen, dass es gefährlich sein kann, solche Behauptungen aufzustellen.“
„Gegen sie wurde doch damals ermittelt. Man vermutete, dass sie Schmiere gestanden hat, während mein Bruder und seine beiden Kumpane in das Haus des Mannes eindrangen. Allerdings wurde sie von keinem der drei belastet und so hat der Staatsanwalt die Ermittlungen gegen sie eingestellt.“
„Es war nicht nur Ihre Schwägerin, die Ihrer Mutter kein besonders gutes Zeugnis ausgestellt hat. Auch die Nachbarn Ihrer Mutter äußerten sich nicht gerade freundlich über sie.“
„Das sind alles Proleten, die meine Mutter aus Neid schlecht machen.“
„Worauf sollten diese Leute Ihrer Mutter neidisch sein?“, klinkte sich wieder Oberkommissar Kutzer ins Gespräch ein.
„Nun ja, meine Mutter besaß eine schuldenfreie Eigentumswohnung, ein neues Auto und sie fuhr einmal im Jahr zwei Wochen lang ans Mittelmeer. Das können sich viele ihrer Nachbarn nicht leisten, und darum hat keiner von ihnen meiner Mutter das schöne Leben gegönnt. Diese Bande ist nur aus Missgunst und Neid zusammengesetzt.“
„Woher hatte Ihre Mutter das Geld für ein derart sorgenfreies Leben?“, mischte sich wieder Degenhart ein. „Sie war Hilfsarbeiterinnen in der Porzellanindustrie, ihre Rente wird also nicht allzu hoch gewesen sein, und was die Witwenrente anbetrifft, so dürfte diese auch nur ziemlich gering ausgefallen sein, ist Ihr Vater doch ziemlich jung gestorben, und auch er war nicht gerade ein Großverdiener.“
Das Gesicht von Carmen Ringer hatte sich wieder etwas entkrampft, allerdings schien der letzte Schluck Sekt ihren Zustand gehörig verschlechtert zu haben, denn ihr Kinn sank immer wieder auf die Brust, als wäre der Kopf plötzlich zu schwer geworden und der Hals zu schwach, um ihn erhoben zu halten.
„Meine Mutter war halt ihr Leben lang sparsam“, lallte sie und bekam plötzlich Schluckauf. „Im Übrigen frage ich mich, was die finanziellen Verhältnisse meiner Mutter mit ihrer Ermordung zu tun haben.“
Carmen Ringer gab sich Mühe, ihrem Blick ein hohes Maß an Trotz zu verleihen, doch es gelang ihr nicht, dem Blick des Hauptkommissars länger als zwei – drei Sekunden standzuhalten. Und wieder musste sie hicksen.
„Ihre Schwägerin und Ihr Bruder meinen, dass Ihre Mutter möglicherweise Geld von Herrn Jakob Trummer erhielt.“
Carmen Ringer kicherte. „Das mit dem Trummer ist so eine Sache“, stieß sie dann hervor. „Er ist dreizehn Jahre jünger als meine Mutter und kein Mitglied der Familie kann sich vorstellen, dass er irgendein sexuelles Interesse an ihr hatte. Meine Mutter war stark übergewichtig und gehbehindert. Soviel ich weiß, hat der Trummer auch nie in der Wohnung meiner Mutter übernachtet. Weiß der Teufel, warum er sich so an meine Mutter gehängt hat.“
„Kann es sein, dass er Ihre Mutter finanziell unterstützte?“, fragte Kutzer.
„Ich weiß es nicht.“ Carmen Ringer hickste.
„Wie war das Verhältnis Ihres Mannes zu seiner Schwiegermutter?“
„Gut, wie soll es sonst gewesen sein? Meine Mutter hat Franz sehr gemocht.“
„Das mag sein“, versetzte Degenhart, „allerdings hat man uns erzählt, dass er als gelernter Schlosser nicht dem Niveau entsprach, das sich Ihre Mutter von ihrem Schwiegersohn erwartete.“
„Von wem stammt diese gemeine Lüge?“, giftete die angetrunkene Frau. „Wahrscheinlich auch von Waltraud. Die soll bloß vorsichtig sein! Sonst lernt sie mich mal kennen!“
„Diese Aussage stammt von Ihrem Bruder Bruno. Er hat uns auch erzählt, dass Ihre Mutter ziemlich rüde über einen früheren Freund von Ihnen, nämlich Doktor Martin Matheis, hergezogen ist. Grund dafür war, dass Herr Matheis damals die Freundschaft mit Ihnen beendete und sich damit die Feindschaft Ihrer Mutter zuzog.“
Carmen Ringer verzog den Mund, was wohl ihre Geringschätzung zum Ausdruck bringen sollte, was aber im Endeffekt nur ein klägliches Verrutschen ihrer Gesichtszüge war. Dann stieß sie hervor: „Meine Mutter hat den Martin nie leiden können. Und als die Sache zwischen uns damals auseinanderging, war sie alles andere als böse. Dass der Martin keinen Charakter hat, hat sie damals nämlich sehr schnell erkannt.“
„Gibt es einen Grund Ihrerseits, Herrn Doktor Matheis Charakterlosigkeit zu unterstellen?“
„Na ja, er soll aufs Geld sein wie der Teufel auf die arme Seele, der soll sogar seinen eigenen Vater, der bei ihm im Haus gelebt hat und ein Pflegefall war, bis zu dessen Tod ausgenommen haben wie eine Weihnachtsgans.“
„Sie sagen, er soll … Konkret wissen Sie also nichts.“
„Ich kann Ihnen nur sagen, was meine …“ Carmen Ringer brach ab, räusperte sich, schluckte würgend und wich dem Blick des Hauptkommissars betreten aus.
„Sie geben genau das wider, was Ihnen Ihre Mutter vorgesagt hat, wie?“, knurrte Degenhart.
„Er hat meiner Mutter gedroht!“, keifte Carmen Ringer und schaute den Hauptkommissar bedeutungsvoll an.
„Er hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass es mal raucht, wenn Ihre Mutter nicht aufhört, ihn vor Gott und der Welt schlecht zu machen. Solche – hm, Drohungen werden allein in Weiden wohl am Tag tausendmal ausgesprochen. Ein Indiz dafür, dass Doktor Matheis in die Wohnung Ihrer Mutter eingedrungen ist und sie getötet hat sehe ich in dieser Aussage nicht. Auch wenn Sie das vielleicht jetzt gerne hören wollen.“
„Unterstellen Sie mir nur nichts!“, schnappte Carmen Ringer, legte den Kopf in den Nacken und griff sich mit der rechten Hand an die Stirn. „Mir ist nicht gut, ich glaub, ich muss mich hinlegen. Wenn ich Sie also bitten dürfte, mich alleine zu lassen. - Mein Gott, ist mir plötzlich übel.“ Mit dem letzten Wort stemmte sie sich am Tisch in die Höhe, wankte bedenklich und ließ ein leises, aber langgezogenes Stöhnen vernehmen.
Sie war keine gute Schauspielerin.
Die beiden Kommissare erhoben sich, Degenhart sagte: „Wir kommen in den nächsten Tagen sicher noch einmal bei Ihnen vorbei, Frau Ringer. Legen Sie sich jetzt hin und versuchen Sie zu schlafen, und – es wäre für Sie vielleicht besser, nicht mehr zum Alkohol zu greifen, wenn Sie die Trauer um Ihre Mutter übermannt. Alkohol ist nämlich kein adäquates Mittel, um Probleme zu lösen.“
„Normalerweise trinke ich nicht …“
Als Degenhart und Kutzer auf der Straße standen, knurrte der Oberkommissar: „Wer‘s glaubt, wird selig.“
„Wovon redest du?“
„Von ihrer Behauptung, dass sie normalerweise nicht trinkt.“
„Ich nehme ihr das auch nicht ab. Etwas übertrieben kam mir auch ihre Aussage vor, dass ihre Mutter eine Seele von Mensch gewesen sei. Ich glaube nicht, dass ihr Charakter von den Mitmenschen ausgesprochen negativ eingestuft wird, nur weil man ihr aus nicht nachvollziehbaren Gründen irgendetwas neidet oder weil man ihr gegenüber missgünstig eingestellt ist.“
Scholz Wilhelm, der jüngste Sohn der getöteten Anna Scholz, wohnte auch nicht weit entfernt, nämlich in der Kantstraße, ebenfalls im Ortsteil Hammerweg. Als Bäcker begann sein Tag ausgesprochen früh, dafür aber war er jetzt, es war noch nicht einmal ein Uhr, schon zu Hause. „Mein Mann schläft“, sagte seine Gattin, die die Korridortür gerade so weit geöffnet hatte, dass von ihrem Gesicht lediglich ein drei Zentimeter breiter, senkrechter Ausschnitt zu sehen war. „Er war seit halb 3 Uhr auf den Beinen …“
„Darauf können wir leider keine Rücksicht nehmen, Frau Scholz“, versetzte Hauptkommissar Degenhart. „Ihnen ist sicher bekannt, dass Ihre Schwiegermutter gewaltsam zu Tode kam. Unsere Aufgabe ist es, denjenigen, der sie tötete, zu entlarven. Den Täter zu überführen dürfte auch im Interesse Ihres Mannes, der ja ein Sohn der Getöteten ist, liegen.“
Einen Augenblick lang hatte es den Anschein, dass die Frau von Wilhelm Scholz aggressiv reagieren wollte. Doch dann seufzte sie nur ergeben, zog die Tür auf und trat zur Seite. „Kommen Sie herein, ich wecke Wilhelm auf. Erfreut wird er nicht gerade sein. Aber er wird es wohl akzeptieren müssen.“
Sie geleitete die beiden Beamten ins Wohnzimmer und bot ihnen Plätze zum Sitzen an. Ehe sie sich abwandte, um ihren Mann zu holen, fragte sie: „Waren Sie denn schon bei Bruno und bei Carmen? Falls nicht, sollten Sie …“
Degenhart unterbrach sie, indem er hervorstieß: „Wir waren sowohl beim Bruder als auch bei der Schwester Ihres Mannes. Und jetzt sind wir hier, weil wir auch Ihrem Gatten ein paar Fragen zu stellen haben. Also bitte …“
Es hatte ziemlich ungeduldig geklungen. Mit zwingendem Blick musterte er die etwa fünfunddreißigjährige Frau, die das blonde Haar kurz geschnitten trug und mit einer engen Jeans bekleidet war, die ihre ziemlich üppigen Proportionen von der Hüfte abwärts betonte. Auch die enge, weiße Bluse spannte sich bedenklich über ihrer Brust und hätte nach Meinung des Hauptkommissars leicht ein oder zwei Nummern größer ausfallen sollen.
Ihr ganzes Verhalten mutete trotzig und in gewisser Weise respektlos an und war nicht dazu angetan, die Stimmung des Hauptkommissars zu heben. Da er das Gefühl hatte, in der Sache Anna Scholz auf der Stelle zu treten, tendierte diese nämlich gegen Null, und ein derartiges emotionales Tief machte Degenhart leicht reizbar.
„Schon gut, schon gut!“, entfuhr es der Frau, sie schwang auf dem Absatz herum und verließ das Wohnzimmer. Es dauerte keine zwei Minuten, dann erschien Wilhelm Scholz. Hauptkommissar Degenhart registrierte, dass er weder seinem Bruder Bruno noch seiner Schwester Carmen in irgendeiner Weise ähnlich sah. Wilhelm Scholz war eher klein, dafür aber ziemlich übergewichtig. Obwohl er noch keine vierzig war, verfügte er nur noch über einen dunklen Haarkranz, und selbst der präsentierte sich schon ausgesprochen licht. Sein rundliches Gesicht wies eine gesunde Färbung auf. Er hatte sich einen etwas mitgenommen wirkenden Trainingsanzug angezogen.
Fast feindselig fixierte er abwechselnd die Polizisten. „Ich wüsste nicht, was ich Ihnen zum Tod meiner Mutter sagen könnte. Ich hatte mir an diesem Tag freigeben lassen, weil wir am Nachmittag zu ihr zum Kaffeetrinken eingeladen waren, feierte sie doch am Montag ihren 75. Geburtstag. Meine Frau und ich schliefen an diesem Tag etwas länger, doch dann, irgendwann zwischen neun und halb zehn rief mich mein Bruder an und eröffnete mir, dass meine Mutter tot in einer Blutlache in ihrer Wohnung gelegen hat. Ich hab nicht den geringsten Schimmer, wer ihr das angetan haben könnte. Darum kann ich mir auch nicht vorstellen, was Sie von mir wollen.“