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Sieben junge Leute wollen Tänzer werden. Doch ein schrecklicher Unfall, Ärger mit den Eltern und Enttäuschungen in der Liebe stehen ihnen dabei im Weg. Kann Laura nach ihrem Unfall je wieder tanzen? Schafft Lilly die Prüfung? Kann Luca sich endlich gegen die Vorurteile seines Vaters durchsetzen? Die Probleme nehmen kein Ende – aber die jungen Leute der Tanztruppe lassen sich nicht unterkriegen!
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Seitenzahl: 185
Angeline Bauer
Impressum
Copyright © 2022 by arp
Herausgeber Verlag by arp
Ledererstraße 12, 83224 Grassau, Deutschland
Ausgabe August 2022
Alle Rechte vorbehalten
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt und darf auch auszugsweise nur mit Genehmigung des Herausgebers wiedergegeben werden
Gestaltung by arp
Coverfoto Alexandr Ivanov
Über die Autorin
Angeline Bauer war Tänzerin und Leiterin einer Ballettschule. Mit 30 Jahren nahm sie Abschied vom Theater und wurde Autorin. Sie schreibt unter ihrem Namen und verschiedenen Pseudonymen wie z.B. Friederike Costa heiter-freche Frauenromane, historische Romane, Reiseliteratur, Sachbücher und Kurzgeschichten für Zeitschriften.
Angeline Bauer
Leonie setzte sich auf den Boden, öffnete die Bänder an ihren Spitzenschuhen, zog den rechten aus und betrachtete ihre Zehen. Sie hatte schon wieder eine blutende Blase! Seufzend zog sie auch den zweiten Schuh aus, dann sah sie Tom an. „Es ist wirklich ganz einfach“, sagte sie. „Wir übermalen die rechte Hälfte des Os, und schon ist aus der Milohstraße die, Milchstraße geworden.“
„Du spinnst“, Tom tippte sich an die Schläfe, „ein Straßenschild zu verändern, ist Beschädigung öffentlichen Eigentums!“
„Und du bist sowieso ein Miesmacher“, gab Leonie zurück. „Milohstraße, drittes Haus rechts - wie langweilig! Aber Milchstraße, dritter Stern rechts ...“
„Schau mal, dort steht er wieder“, rief Nele dazwischen.
Leonie stand auf und trat zu Nele ans Fenster. „Was der wohl andauernd hier will?“
Nele lachte. „Weißt du was: Wenn er später noch da ist, frag' ich ihn einfach.“
„Na dann viel Glück.“ Leonie grinste, griff nach ihrem Handtuch und ging duschen.
Nele flocht schnell die langen, schwarzen Haare zu einem Zopf, zog die Sandalen an und sammelte hastig ihr Trikot, ihre Beinlinge und Schläppchen zusammen. Dann lief sie, immer zwei Stufen nehmend, hinunter und hinaus auf die Straße, wo der fremde Junge auch jetzt noch stand und zum Ballettsaal hinaufstarrte.
Als er Nele aus dem Haus kommen sah, drehte er sich um und schlenderte mit hängendem Kopf die Straße entlang. An der Bushaltestelle blieb er stehen.
Nele war ihm gefolgt. Sie baute sich vor ihm auf. „Ich beobachte dich jetzt schon seit ein paar Wochen“, sprach sie ihn an. „Also, eigentlich sind wir doch alte Bekannte. Erzählst du mir, warum du so oft vor der Ballettschule stehst und zu uns raufsiehst?“ Weil er keine Antwort gab, sondern verlegen zu Boden sah, stupste sie ihn an und sagte: „Ich heiße Nele und du?“
„Luca“, murmelte er und blickte endlich auf und sie an.
„Du siehst ziemlich bedrückt aus“, stellte Nele fest, „was ist los mit dir?“
Luca stieß mit dem weißen Turnschuh missgelaunt eine leere Coladose weg, dann schob er beide Hände in die Jeanstaschen. „Egal“, murrte er.
„Nicht egal“, gab Nele zurück.
„Ich möchte Tänzer werden“, rückte er endlich raus. „Ich wollte das schon als kleiner Junge, aber mein Vater verbietet es, verhindert es mit allen Mitteln. Er behauptet Tänzer seien leichtlebig, schwul, exzentrisch, und das sei absolut kein für Beruf für einen Mann. Außerdem soll ich mal seine Firma übernehmen.“
„Oje“, stöhnte Nele, „das kenne ich! Dein Vater ist leider nicht der Einzige, der so viele Vorurteile hat. Komm, gehen wir was trinken und reden über alles. Da drüben, die Eisdiele, da sind wir von der Ballettschule öfter.“
Luca folgte ihr mit hochgezogenen Schultern. In der Eisdiele stellte Nele ihre Tasche mit dem Trainingszeug auf den freien Stuhl, streifte ihren Cardigan von den Schultern, stützte den Kopf in die Hand und sah Luca aufmerksam an. „Also, jetzt erzähl mal.“ Ihre braunen Augen suchten Lucas verschlossenen Blick.
„Ich heiße Luca Holbein, sagt dir der Name Holbein was?“
„Klar. Hohlbein heißt ein deutscher Fantasie-Autor!“
„Den meine ich nicht. Der wird mit H in der Mitte geschrieben, ich aber ohne. Ich meine das Autohaus Holbein. Genau genommen müsste man ja sagen ‘die Autohäuser‘, es sind drei Filialen. Sie gehören meinem Vater.“
„Und die sollst du mal übernehmen?“
„Genau. Ich hab aber absolut kein Interesse am Autohandel. Wenn es wenigstens ein Musikhaus wäre! Mit fünfzehn bekam ich hundert Euro Taschengeld die Woche. Ich meldete mich heimlich in einer Ballettschule an, denn jetzt konnte ich die Gebühren ja vom Taschengeld bezahlen. Aber diese Ballettlehrerin hatte nichts Eiligeres zu tun, als bei meinem Vater anzurufen und nachzufragen, ob er damit auch einverstanden ist. Von da an bekam ich zehn Euro, und wenn ich mir was kaufen wollte, bekam ich das Geld, musste aber eine Quittung bringen.“
Luca seufzte und fuhr fort zu erzählen: „Wir haben am Gymnasium ziemlich guten Sportunterricht. Unter anderem die Neigungsgruppen Bodenturnen und Jazztanz. Ich habe beides belegt. Als mein Vater davon erfuhr, ging er zum Direktor und meldete mich für Jazztanz ab.“ Jetzt grinste Luca zufrieden. „Dass zu Bodenturnen auch tänzerische Gymnastik gehört, wusste er Gott sei Dank nicht. Mensch“, rief Luca dann plötzlich, „wie ich dich beneide, dass dir keiner einen Knüppel zwischen die Beine wirft!“
Nele hatte sich eine kleine Portion Erdbeereis bestellt. Sie schob nachdenklich den Löffel zwischen die Lippen und sah Luca mit zusammengezwickten Augen an. „Im Grunde geht es also um zwei Dinge“, fasste sie zusammen. „Erstens hast du kein Geld, um den Unterricht zu bezahlen, und zweitens musst du heimlich trainieren können.“
„Und drittens bin ich wahrscheinlich mit siebzehn schon zu alt.“
„Nein“, sagte Nele, „wenn du nicht faul warst und deinen Körper fit gehalten hast, kannst du es immer noch schaffen. Seit wann machst du Bodenturnen?“
„Nun das vierte Jahr.“
„Na siehst du! Natürlich musst du hart arbeiten. Aber Ballett ist so und so kein Zuckerschlecken.“
„Du meinst also, ich könnte noch immer Tänzer werden?“
„Wenn du begabt bist. Hör mal ... komm doch einfach morgen mit zum Training. Mit Katrin, unserer Lehrerin, kann man reden. Wenn du wirklich Talent hast, hilft sie dir sicher weiter.“
„Ach, ich weiß nicht.“ Luca war unschlüssig.
„Also, willst du nun Tänzer werden oder nicht!“, rief Nele, als wäre sie zornig.
„Versteh doch, irgendwie ist mir das peinlich. Ich kenne deine Katrin ja überhaupt nicht.“
„Ach Blödsinn“, wehrte Nele ab. „Wenn einer Verständnis für dich hat, dann sie! Sie ist keine alte, schrullige Dame, sondern eine junge Frau mit einem großen Herzen. Sie hält ein hartes, strenges Training, aber wir lachen auch viel zusammen. Manchmal ist sie mies gelaunt, aber ungerecht ist sie nie. Du, wenn ich Probleme hätte und nicht mehr wüsste, was ich tun soll, dann würde ich zu Katrin gehen! Und die anderen denken auch so.“
„Wer sind die anderen?“
„Na, die Gruppe, mit der ich trainiere. Wir sind nur sechs und wollen alle die Tanzprüfung ablegen. Da ist zum Beispiel Laura. Sie ist die Beste. Wir bewundern sie alle, denn sie tanzt fantastisch, ist unheimlich hübsch und ein echter Kumpel. Oder die Leonie. Immer lustig, fröhlich, gutgelaunt. Wenn einer von uns traurig ist, bringt sie ihn bestimmt wieder zum Lachen. Zurzeit will sie unbedingt aus der Milohstraße die Milchstraße machen, und irgendwann macht sie's auch, garantiert! Und dann ist da Tom, der einzige Junge in unserer Klasse. Er ist übrigens schon neunzehn und Afrikaner. Meistens ist er ziemlich muffig und verschlossen. Doch in Wirklichkeit ist auch er ein lieber Kerl. Ich glaube, er hat Probleme wegen seiner Hautfarbe oder macht sie sich selbst. Lilly und Inga nennen wir die ungleichen Zwillinge. Lilly will unbedingt Tänzerin werden, ist aber überhaupt nicht begabt. Es hat auch keinen Sinn, mit ihr darüber zu reden. Sie hat sich völlig in die Idee verrannt, es durch Fleiß und Ausdauer zu schaffen. Inga ist ganz das Gegenteil. Sehr begabt, aber ohne jedes Interesse. Ihre Mutter zwingt sie zum Ballettunterricht, obwohl Inga viel lieber Tierärztin werden würde. Lilly und Inga sehen sich tatsächlich sehr ähnlich, obwohl sie keine Schwestern und noch nicht einmal verwandt sind. Es sind alles super Leute, und auch dir werden sie gefallen.“ Sie stützte den Kopf in die Hand und grinste ihn an. „Also, kommst du morgen?“
Luca sah lange in Neles große, braune Augen, als könnte er dort die Antwort finden. Dann endlich war er zögernd einverstanden.
Nele sah ihn schon von weitem. „Da bist du ja“, rief sie und lief Luca entgegen.
„Hallo“, gab er kleinlaut zurück. Irgendwie war ihm nicht wohl bei der ganzen Sache. Schließlich kannte er diese Katrin überhaupt nicht, und was konnte er denn schon! Sie würde bestimmt die Augen verdrehen und entsetzlich lachen, wenn es dazu kommen sollte, dass er getestet wurde.
„Na, nun mach nicht ein so abgetörntes Gesicht!“ Nele stieß ihn in die Seite, nahm seine Hand und zog ihn einfach mit sich.
Laura und Leonie waren schon umgezogen. „Tag“, riefen sie und betrachteten Luca neugierig.
Nele warf die Tasche mit dem Trainingszeug auf einen Stuhl, dann schob sie Luca in den Ballettsaal.
„Versuche bloß nicht auszubüxen“, flüsterte sie lachend. Aber es war ohnehin schon zu spät, denn Katrin stoppte das Tonbandgerät und sah die beiden Interessiert an.
„Hallo Katrin, das ist Luca“, stellte Nele ihn vor. „Er hat Probleme ... Also, Ich hab ihn überredet mitzukommen und mit dir darüber zu sprechen. Vielleicht kannst du ihm ja helfen.
„Und worum geht es?“ Katrin lächelte freundlich, gab Luca die Hand.
Als er nichts sagte, stieß Nele ihn an.
„Ich möchte Tänzer werden“, sagte er endlich und erzählte Katrin alles, was er tags zuvor schon Nele berichtet hatte. „Und eigentlich weiß ich gar nicht warum ich mitgekommen bin“, schloss er, „denn ich habe weder das Geld, um den Unterricht zu bezahlen, noch die nötigen Voraussetzungen für diese Schule.“
„Ob du die nötigen Voraussetzungen hast, muss ich beurteilen“, gab ihm Katrin zur Antwort. „Wegen des Geldes können wir uns den Kopf zerbrechen, wenn ich weiß, wie begabt du bist. Jetzt bleib erst einmal hier und sieh dir das Training an. Später arbeite ich ein bisschen mit dir, und dann sag ich dir ganz ehrlich, was ich denke.“
Luca seufzte. Unsicher sah er von Katrin zu Nele. Am liebsten wäre er weggelaufen oder im Boden versunken. Ich werde mich schrecklich blamieren, dachte er.
„Zwei kleine und zwei große Pliés, Relevé - ohne Balance, erste, zweite, vierte und fünfte Position“, erklärte Katrin und schaltete das Tonbandgerät ein. Während Tom und die Mädchen konzertiert ihre Pliés machten, ging Katrin von einem zum anderen, um zu korrigieren. Schon bald achtete keiner mehr auf Luca, der immer kleiner zu werden schien, je schwerer das Training wurde.
„Okay, dann macht jetzt ein paar ganz einfache Drehungen durch die Diagonale“, wies Katrin später an. „Ein Piqué, ein Chainé, immer abwechselnd und sauber abgesetzt. „Bitte Laura, fang an.“
Luca starrte entsetzt auf Laura, die in irrem Tempo, wie ihm schien, durch die Diagonale wirbelte. „Einfache Drehungen sind das“, japste er leise und gab innerlich endgültig auf. „Das lerne ich nie!“
Am Ende des Trainings klatschten alle und zogen sich schweißgebadet aber lachend in die Garderobe zurück.
„Ich warte draußen!“, rief Nele Luca aufmunternd zu. Dann war er plötzlich mit Katrin und seiner Angst allein.
In der Garderobe ließ sich Leonie auf einen Stuhl sinken. „Du hast also gestern Erfolg gehabt?“ Sie grinste frech.
Nele zog ein Schläppchen aus, um es lachend nach ihr zu werfen.
„Findest ihn scheinbar ziemlich cool“, rief Inga vom Waschbecken aus herüber und grinste breit.
„Ist er auch! Und er würde liebend gerne mit dir tauschen!“
„Ich auch mit ihm“, Inga seufzte. „Mir hängt dieses verdammte Training immer mehr zum Halse heraus.“
„Ich verstehe nicht, warum du dann noch kommst“, zischte Lilly, die gerade aus der Dusche kam.
„Mann, du hast ja keine Ahnung! Letztens habe ich meiner Mutter das ganze Trainingszeug vor die Füße geknallt und geschworen, dass ich nie wieder tanzen werde. Wenn du das miterlebt hättest, würdest du mich verstehen. Sie ist hysterisch geworden, schreiend und heulend durchs Haus gelaufen und hat Beruhigungspillen geschluckt. Wenn ich nicht riskieren will, dass sie der Schlag trifft, muss ich nachgeben.“
„Das weiß sie natürlich“, sagte Laura, „damit hat sie dich ganz schön in der Hand! Ich verstehe nur nicht, warum sie so versessen darauf ist, dich auf die Bühne zu bringen.“
„Der ewige Konkurrenzkampf zwischen ihr und ihrer Schwester ist schuld! Meine Tante war immer schöner als meine Mutter, hat ihr immer die Freunde weggeschnappt, den reicheren Mann bekommen, ein größeres Haus gebaut. Meine Tante hat einen Swimmingpool, ein Wochenendhaus, zwei Siamkatzen und eine begabte Tochter, die Musik studiert. Letzteres hat meine Mutter auch. Und diesen einzigen Triumph will ich ihr nun zerstören! Meine Cousine wird Konzertpianistin, da muss ich mindestens Primaballerina an der Staatsoper werden. Koste es, was es wolle! Meine eigenen Wünsche sind unwichtig.“
„Und dein Vater, was sagt er dazu?“, wollte Lilly wissen. „Der mischt sich da nicht ein. Wenn das Thema Ballett angeschnitten wird, geht er in sein Arbeitszimmer.“
„Aber ewig kann das doch nicht so weitergehen“, warf Nele ein. „Gerade so einen harten, schlechtbezahlten Beruf kann man doch nur ausüben, wenn man total dahintersteht!“
„Mir bleibt nichts anderes übrig, als durch die Abschlussprüfung zu rasseln.“ Inga seufzte unglücklich.
„Dass manche Eltern alles tun, um belogen zu werden!“ Laura schüttelte verständnislos den Kopf.
„Kann ich rauskommen?“, fragte Tom.
„Ja, wir sind fertig!“, rief Leonie und knöpfte schnell noch die Bluse zu.
Tom zog mit einem festen Ruck den Vorhang seiner abgeteilten ‚Herrengarderobe‘ zurück, und trat zu den Mädchen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Laura, die Ihr hellblaues Trikot in einer Umhängetasche verstaute. „Kommt ihr noch mit? Ich würde gerne eine Light trinken“, schlug er vor.
„Ich muss nach Hause“, bedauerte Inga.
„Und ich komme später nach. Hab versprochen zu warten.“ Nele deutete mit dem Kopf zum Ballettsaal und fing gerade noch Lauras vielsagenden Blick auf, bevor diese ihre Tasche packte und die Garderobe verließ.
„Bis nachher also!“ Die anderen folgten ihr grinsend.
„Ja“, hörte Nele, als sie leise klopfte. Sie steckte vorsichtig die Nase zur Tür herein und sah zu Luca, der immer noch recht unglücklich dreinsah.
„Komm nur, wir sind gerade fertig“, Katrin lächelte.
„Setzt euch! Also ...“ Sie atmete tief durch, warf sich einen großen Wollschal über die Schultern und sah Luca lange und nachdenklich an. „Ich habe damit gerechnet“, begann sie, „dass dein Traum, Tänzer zu werden, eben nur eine Träumerei ist. Dass du es vielleicht nur deshalb möchtest, um dich deinem Vater zu widersetzen.“
Luca schluckte verlegen und vergrub die zitternden Hände unter seinen Achseln.
„Aber“, fuhr Katrin fort, „ich habe mich getäuscht. Du hast einen gefügigen, biegsamen Körper, du hast Talent und eine rasche Auffassungsgabe. Wenn du hart arbeitest, kannst du es als Tänzer durchaus zu etwas bringen.“
Lucas Mund stand nun weit offen, seine Augen hingen ungläubig an Katrins Lippen.
Nele hingegen lachte und umarmte ihn glücklich. „Krass!“, rief sie. „Gut, dass du hierhergekommen bist.“
Doch Luca konnte sich trotz allem nicht so richtig freuen. „Ich werde meinen Vater nie dazu überreden können, mir den Unterricht zu bezahlen!“
„Lass das Geld jetzt erst mal aus dem Spiel“, sagte Katrin. „Wenn es nach mir ginge, würde ich dich einfach mittrainieren lassen. Ob einer mehr oder weniger da ist, fällt nicht ins Gewicht. Dein Talent zu fördern, ist jetzt viel wichtiger als das Geld. Allerdings haben die anderen auch Talent und müssen trotzdem bezahlen. Ich schlage deshalb eine Art von Vertrag vor: Wenn du einmal verdienst, zahlst du deine Schulden bei mir ab. Ich vertraue dir. Komm, wir halten es wie die Pferdehändler - Handschlag gilt!“
Luca strahlte über das ganze Gesicht und nahm lachend die Hand, die ihm Katrin entgegenstreckte.
„Und jetzt noch ein paar technische Dinge. Da du ein guter Bodenturner bist, hast du anderen Anfängern vieles voraus. Du hast eine großartige Körperbeherrschung, ein super Gleichgewichtsgefühl, hohe Beine und kannst die Zehen strecken. Wenn dir Nele und die anderen helfen, kannst du bald aufholen und in ihre Gruppe kommen. Unser Vertrag gilt nur, solange du täglich zum Training kommst und unermüdlich arbeitest.“
„Das verspreche ich“, rief Luca überglücklich.
„Gut. Dann sieh dir den Unterrichtsplan an. Er hängt in der Garderobe, Nele kann ihn dir zeigen. Du trainierst ab morgen in der Gruppe C. Das sind die Anfänger. Später sehen wir weiter.“
„Vielen Dank, Frau Bachner.“
„Kannst ruhig du sagen“, winkte Katrin ab. „Unser Training ist hart genug. Da habe ich es ganz gerne, wenn es andererseits ein bisschen lockerer zugeht.“
Nach dem Training hatte sich die Truppe im Gasthaus ‘Zum Grauen Hansen‘ verabredet. Im 'Grauen Hasen' trafen sie sich am liebsten. Hier war es ruhiger als in der Eisdiele. Man konnte sich ungestört unterhalten, die Cola war günstiger, und an das altmodische Ambiente und den mürrischen Blick der Bedienung konnte man sich mit der Zeit gewöhnen. Außerdem hatte man vom Fenstertisch aus einen super Ausblick auf die ganze Straße und konnte sehen, wenn Eltern kamen, um einen abzuholen.
„Der Film war wirklich cool“, schwärmte Leonie von dem Streifen, den sie sich gestern Abend zusammen angesehen hatten. Dabei sah sie Tom an. „Ich verstehe nicht, warum du nicht mitgegangen bist.“
„Weil ich absolut keine Lust habe, mich auch noch im Kino mit Rassenproblemen auseinanderzusetzen“, murrte Tom. „Wieso soll ich zehn Euro für etwas bezahlen, das ich jeden Tag umsonst erleben kann.“
„Mag sein, dass du wegen deiner Hautfarbe Probleme hast“, gab Leonie zu, „aber einen großen Teil davon machst du dir auch selbst.“
„Blödsinn“, giftete Tom und sah zur Theke hinüber, wo die Bedienung stand und Gläser spülte.
„Du bist manchmal wirklich überempfindlich“, fand auch Lilly.
„Tom, Vorurteile kannst du nicht abbauen, wenn du so um dich schlägst und böse dreinschaust, dich isolierst und auf alles überempfindlich reagierst“, fügte Laura an. „Wenn dir die Leute auf der Straße nachschauen, dann nicht immer, weil sie etwas gegen Dunkelhäutige haben! Du bist groß, hast eine klasse Figur und siehst super aus. Warum soll man dich nicht anschauen?“
Tom sah verlegen zur Seite. Warum sagte ausgerechnet Laura so etwas? Sie fand also, dass er gut aussah! ‘Wenn ich nur sicher sein könnte, dass sie mich auch mag!‘, dachte er im Stillen. Und dann: ‘Wenn ich nur endlich den Mut hätte, ihre Hand zu nehmen und zu sagen, dass ich sie gernhabe. Sehr gern sogar!‘ Das Wort Liebe traute er sich noch nicht einmal zu denken, wenn es um ihn und Laura ging.
„Und was ist mit uns“, riss Leonie ihn aus seinen Gedanken. „Zählen wir nicht? Wir lieben dich alle und würden dir gerne einen Begrüßungskuss geben. So, wie wir es untereinander auch tun. Aber weißt du, wir haben Angst - du schaust nämlich immer so schrecklich finster!“
Tom wollte Leonie eine noch viel bissigere Bemerkung an den Kopf werfen, doch Laura legte schnell ihre Hand auf seinen Arm und sah ihn durchdringend an. „Siehst du, das meinen wir. Du verstehst keinen Spaß. Du hörst gleich wieder ‚wildes Tier aus dem Urwald‘ und siehst rot. Das Wesentliche entgeht dir. Leonie hat gesagt, dass wir dich sehr gern haben!“
„Er will es scheinbar nicht hören“, brummte Leonie ärgerlich.
Tom sah mit einem schnellen Seitenblick zu Laura hinüber, bemerkte, dass ihr hübscher Mund und die blauen Augen lächelten. Sah, wie sie mit einer raschen Handbewegung ihre blonden, langen Haare aus dem Gesicht streifte. Für ihn gab es kein schöneres Mädchen als sie. Aber nicht nur ihr Aussehen und ihr Können begeisterten ihn so sehr, sondern auch die liebevolle Art, mit der sie auf andere Menschen zuging. Selbst sein ungestümes Wesen bekam sie immer wieder in den Griff.
Tom nickte und betrachtete nachdenklich seine Fußspitzen. „Ich mag euch auch“, sagte er leise. „Ihr dürft mich ruhig zur Begrüßung küssen. Ich verspreche, nicht zu beißen, auch wenn ich finster dreinschaue!“
Laura lächelte, und Leonie biss sich schnell auf die Lippen. Sie hatte schon wieder eine witzige Bemerkung parat, aber jetzt war bestimmt nicht der richtige Augenblick dafür. „Und ich muss in Zukunft nicht immer überlegen, ob ich was Falsches sage?“, fragte sie.
„Okay“, Tom hob beide Hände gen Himmel und ließ sie wieder fallen. „Okay, okay! Kannst in Zukunft alles sagen, was du dir unter deinem roten Kopfmopp so ausdenkst, ¬Karotte!“
„Hey, super!“ Leonie grinste „Du machst dich, Schwarzwurzel! Übrigens habe ich als Kind auch einiges aushalten müssen. Rothaarige Hexe und Rübenkopf haben sie mir nachgerufen und mich ständig wegen meiner Sommersprossen auf den Arm genommen. Heute mag ich mein geflecktes Aussehen. Es macht mich so exo-o-otisch“, hauchte Leonie und posierte sexy.
„O weh, o weh …“ Laura stöhnte und sah kopfschüttelnd aus dem Fenster. „Schaut, dort drüben kommt Nele mit ihrem Freund“, rief sie.
„Die ist ja mächtig verknallt, strahlt übers ganze Gesicht!“
„Er ist aber auch süß“, fand Lilly und sah dabei fast ein bisschen neidisch aus.
Nun steuerten Nele und Luca auf den ’Grauen Hasen‘ zu. Als sie am Fenster vorbei waren, verschwanden sie kurz aus dem Blickfeld der heimlichen Beobachter. Dann öffnete sich die Tür zur Gaststube, und Nele kam mit Luca herein.
„Hallo“, rief sie und machte Luca mit allen bekannt.
„Katrin hat ihn angenommen“, erzählte sie fröhlich. „Natürlich muss er zuerst in die Anfängergruppe. Aber wenn wir ihm ein bisschen helfen, kann er bald aufholen, meint sie.“
„Krass!“, freute sich sogar Tom. „Ein bisschen männliche Unterstützung kann nicht schaden.“
Luca sah verlegen von einem zum anderen. Er konnte es noch immer nicht glauben, dass sein Traum nun doch noch in Erfüllung gehen sollte. Er war Nele sehr dankbar, außerdem fand er sie ziemlich cool. So selbstsicher, fröhlich und unkompliziert. Ihr langer, dunkelbrauner Zopf baumelte bei jedem ihrer Schritte über dem pinkfarbenen T-Shirt, und ihre großen, dunklen Augen zwinkerten ihm aufmunternd zu. Luca fühlte sich einfach super in Neles Nähe, auch die anderen konnte er gut leiden.
„In welcher Ballettschule warst du früher?“, wollte Lilly wissen.
Luca erzählte zum dritten Mal seine Geschichte, „Ich würde viel lieber ehrlich mit meinem Vater reden“, schloss er, „aber ich weiß, er würde mir auch diese Möglichkeit wieder kaputtmachen. Wenn ich jetzt nicht anfange zu tanzen, dann ist es wirklich zu spät für mich. Sonst ist mein Vater ein prima Kerl, nur darüber kann man mit ihm nicht reden.“
„Und deine Mutter, kann sie dir nicht helfen?“
„Meine Mutter ist seit sechzehn Jahren tot.“
Die Gruppe schwieg betreten, bis Lilly sich an Laura wandte. „Zeigst du mir morgen noch einmal die exakte Armführung zu den Drehungen von vorhin?“
„Natürlich, ich komme etwas früher, dann haben wir genügend Zeit zum Üben.“ Sie wandte sich an Luca. „Wenn du Lust hast, komm doch dazu, dann üben wir gemeinsam.“
„Super!“, war er sofort begeistert.
Laura sah auf ihre Armbanduhr. „Ich glaube, es wird Zeit für mich“, sagte sie.