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Im Jahr 1742 fallen die Panduren im bayerischen Niederwessen ein, plündern und morden. Am abgelegenen Puchberger-Hof werden sechs Leichen gefunden. Die einzige Überlebende ist die 11-jährige Amrei, die fortan stumm bleibt. Sie wächst bei einem Bauern im Dorf zu einer hübschen, freundlichen Frau heran. Der junge, lebensfrohe Schulmeister Korbinian kommt aus München in das Dorf. Dank ihm beginnt Amrei sich mitzuteilen. Kurz darauf wird Amrei mehrmals bedroht. In Korbinian wächst der Verdacht, dass der Anschlag auf den Puchberger-Hof einst nicht von den Panduren begangen wurde. Eine spannende Verfolgung inmitten von Intrigen, Gewalt und dem ersten Aufkeimen junger Liebe beginnt.
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Angeline Bauer
Im dunklen Tal
Niederwessen
11. Februar 1742
Der Pandurenüberfall
Durch Todesnacht
bricht ew’ges Morgenrot.
Weinend klammerte sich das Mädchen an die Mutter. »Und den Streichenwirt ham’s auch angezündet!«, schluchzte es.
Anna Greimbl bekreuzigte sich. »Jesus, Maria und Joseph!« Sie strich ihrer Tochter über’s blonde Haar. Maria war erst vierzehn Jahre alt, diente als Magd in der Wirtschaft auf dem Achberg. »Und du?«, fragte die Mutter. »Haben sie dir auch was angetan?«
»Ich bin ja gar nicht droben gewesen! War von der Hausmutter nach Schleching geschickt worden, um den Zimmermann für eine Reparatur am Dachstuhl zu bestellen. Als ich dann auf dem Waldpfad zurückging und nicht mehr weit nach Hause hatte, hörte ich das Geschrei der Soldaten und wie das Vieh gebrüllt hat und die Leute um Gnade flehten. Wir haben nicht mehr Geld, wir können euch nicht mehr geben, hat die Hausmutter gerufen. Und dann wieder Schüsse, und plötzlich die Flammen und das Prasseln von Feuer. Durchs Geäst hindurch hab ich zugesehen, wie einer die Zenzi niederstach.« Maria presste das Gesicht an die Schulter der Mutter, wimmerte: »Gelacht hat er dabei und der Toten noch die Hände und Füße abgeschlagen, mit denen sie zuvor nach ihm getreten hatte. Da hast, was dir gebührt, hat er geschrien. Von einem Weiberleut lässt sich ein Pandur nicht prügeln!«
»Und du?«, fragte die Mutter wieder.
»Losgerannt bin ich da, so schnell wie ich konnte.« Maria deutete auf ihr zerschundenes Gesicht und die zerschundenen Hände. »Bin hingefallen, hab mich überschlagen und bin auf dem eisigen Schnee Kopf voran den Berg hinuntergerutscht. Bin wieder aufgestanden und weitergerannt bis zum Flussufer, weil ich mich im Wald so gefürchtet hab.«
Inzwischen waren auch die Nachbarn auf die Straße gelaufen, umringten die Greimbl-Bäuerin und ihre Tochter, hörten was die Maria unter Tränen erzählte und starrten zum Achberg hinüber. Dicke schwarze Rauchwolken stiegen dort auf und verdunkelten den Himmel, Schüsse hallten zwischen den Schlechinger Bergen hin und her.
»War grad am Staffen vorbei«, berichtete das Mädchen weiter, »da hab ich gesehen, wie der Toni vom Chronlachner und der Knecht, der Otto, aus dem Wald gerannt kamen. Der Toni vorneweg, der Otto hinterher, als wollte er ihn einfangen. Und der Toni hat gebrüllt wie am Spieß und war ganz von Blut besudelt. Und dann kam auch sein Bruder, der Alois noch, und sein Vater ist vom Hof zum Wald hinaufgelaufen und hat auch geschrien. Saubande, hat er geschrien, verreckte Saubande.«
Hufgetrappel war plötzlich zu hören. Die Menschen auf der Straße fuhren herum und blickten hinter sich, dachten schon, es wären die Panduren, die ihnen jetzt an den Kragen wollten, aber es waren zwei von Oberwessen. In gestrecktem Galopp kamen sie angeritten.
»Habt ihr’s mitbekommen«, schrie der Ältere schon von weitem, »die Österreicher mit den Kroaten sind eingefallen, in aller Herrgottsfrüh! Konnten die Grenzpatrouillen an der Achen umgehen und sind im Schutz der Wälder und des Schneegestöbers ins Land vorgedrungen.«
Sie parierten vor der Gruppe Menschen durch und sprangen von den Pferden. Der Ältere war ein Rossknecht, der jüngere der Sohn des Bauern, bei dem der Rossknecht arbeitete.
»Oberwessen haben s’ eingenommen, die Höfe geplündert und in Brand gesteckt, die Frauen geschändet, die Männer erschossen, das Vieh niedergemetzelt!«, rief der Ältere. »Bei uns im Dorf und droben am Achberg und beim Peterer und auf der Petereralm. Zwei Soldaten haben die Unseren dabei aber auch erwischt.«
Der Jüngere fing an zu weinen. »Sogar an meiner achtjährigen Schwester haben sie sich vergangen! Und ich war so feige und bin geflohen statt ihr zu helfen.«
Die Frau vom Mesner nahm ihn in die Arme. »Recht hast getan, Bub, sonst hätten sie dich auch noch umgebracht.«
Die Männer auf der Dorfstraße von Niederwessen drohten mit Fäusten zum Achberg hinauf und gaben ihre Flüche dem scharfen Wind mit, der von Österreich herüber fegte.
»Saubande, elendige!«
»Tollpatschengschwerl!«
»Da hilft das Fluchen auch nichts«, sagte der Schafferer-Wirt, »es wäre gescheiter, wir würden alle nach Hause gehen und unsere Türen verrammeln.«
»Was soll das bringen? Wenn die hierherkommen, dann zünden sie uns das Dach überm Kopf an und wir verbrennen in unseren Häusern!«
»Dann eben in die Kirche!«
»Die brennt genauso gut!«
Wolf Greimbl – zusammen mit dem Schafferer-Wirt, Peter Brandstetter und Nepomuck Schmidthauser war er einer der Vierer vom Dorf – sah den Jungbauern vom Hörterer an. »Bei deinem Schwager droben, beim Schweitzer, da haben s’ doch einen Erdkeller, da wären wir sicher.«
Der nickte. »Und seine Nachbarn und die beim Gatterer haben auch einen.«
»Dann hopp und los!« Greimbl deutete auf den Entfellner. »Ihr geht’s so rum, und wir gehen so rum und warnen die anderen auch.«
Sie brachten die Rösser in den Stall vom Greimbl und machten sich auf den Weg.
Bis zum Einbruch der Nacht hatte sich ein Großteil der Niederwessener in drei Erdkellern zusammengepfercht, ehe sich die Vierer hinaus trauten, um nach dem Rechten zu sehen. Im Dunklen schlichen sie durchs Dorf, jeder einen Prügel in der Hand. Als sie am Seidenfadengütel vorbeikamen, schlugen die Hunde an, die anderen Hunde des Dorfes fielen mit ein. Doch weiter war alles still, kein Angstgeschrei und Kriegsgetümmel mehr, auch keine Feuersbrunst irgendwo auf den Bergen ringsumher, einfach nur kohlrabenschwarze Nacht. Es schien, die Panduren waren weitergezogen und hatten die Niederwessener verschont.
Doch der nächste Morgen brachte Grausamkeiten ans Licht, die selbst den hartgesottensten Männern des Dorfes Tränen in die Augen trieben.
Weil Maria Greimbl erzählt hatte, dass sie den Buben vom Chronlachner draußen am Waldrand schreiend und blutbesudelt herumlaufen sah, spannte ihr Vater seinen Braunen vor den Leiterwagen und holte den Brandstetter und den Schmidthauser ab, um bei den beiden Einödhöfen nach dem Rechten zu schauen.
Vom Schlechinger Tal her fegte ihnen ein eisiger Wind entgegen, peitschte ihnen Schneenadeln in die Gesichter. Geduckt, ihre Hüte tief in die Stirn gezogen, saßen die drei Männer auf dem Wagen; vorne auf dem Bock der Greimbl, hinter ihm, auf der Ladefläche, die beiden anderen.
Schon von Weitem hörten sie das Vieh im Stall vom Puchberger brüllen und tauschten unheilvolle Blicke. ImNäherkommen sahen sie, dass kein Rauch aus dem Schornstein kam, kein Hund herumlief, keine Menschenseele ums Haus unterwegs war. Ein Fensterladen hatte sich aus dem Anker gelöst und schlug im Wind gegen die Mauer.
Sie hielten an, stiegen ab und warfen dem Ross eine Decke über. »Geh du vor«, sagte Peter Branstetter zum Schmidthauser, der schüttelte den Kopf, und sah Wolf Greimbl an.
»Jetzt macht euch nicht in die Hosen!«, schimpfte der. Er griff nach einer Mistgabel, die hinter ihm auf dem Wagen lag, ging zur Haustür und drückte die Klinke herunter. Doch die Tür war verschlossen. Wie um sich Mut zu machen riefen sie:
»Puchberger!«
»Puchberger, bist daheim?«
»Mach auf, Puchberger!«
Nichts rührte sich, nicht einmal der Hund bellte.
Sie versuchten durchs Fenster zu schauen, doch drinnen war’s zu dunkel, um viel erkennen zu können.
»Dann eben durch den Stall!«
Sie schlichen ums Haus, Wolf Greimbl mit der Mistgabel voraus. »Puchberger!«, schrie er wieder. »Bist’ da? Maria! Michel!«
Am Eingang zum Stall lehnte eine Schaufel. Brandstetter bewaffnete sich damit. Sie gingen hinein. Drinnen, ganz vorne, stand der Zugochse. Sein Hals war blutig vom Reißen an der Kette, vom Versuch, sich zu befreien. Als er die Männer sah, warf er den Kopf hoch, riss dabei die Augen auf, dass das Weiße zu sehen war und brüllte. Die Kühe brüllten mit ihm, die Rösser wieherten.
Brandstetter stieß den Finger nach vorne in Richtung auf eine der Kühe, deren Flanken ganz eingefallen waren. »Ja Sakra, die haben wer weiß wie lange nichts zum Saufen und zum Fressen gehabt!«
Ein paar Schritte weiter entdeckten sie den Hofhund, der mit blutigem Kopf und heraushängender Zunge hinter einer Kuh lag. Erschlagen! Zu dritt starrten sie den Kadaver an.
Wolf Greimbl gab sich als erster einen Ruck und ging weiter zur Tür, durch die man vom Stall in die Tenne und von dort ins Haus kam. In der Tenne war nichts Ungewöhnliches zu sehen. Ein Wagen stand da, eine Egge, der Hahn und seine Hühner pickten im Staub nach Körnern, die beim Dreschen abgefallen sein mochten.
Noch einmal wurden Blicke getauscht, dann zog Greimbl entschlossen die Tür zum Haus auf und stieß im nächsten Moment einen Schrei aus. Vor ihm im Fletz lag der Altbauer in seinem Sonntagsg’wand, halb auf der Seite in einer Blutlache.
»Jesus-Maria!« Die Männer bekreuzigten sich. »Der Schorsch!« Sie starrten auf seinen zertrümmerten Schädel. »Den hams erschlagen!«
Greimbl fühlte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Seine Hände zitterten, er griff sich an die Brust. »Maria!«, rief er nach der Hausmutter, »Michel!«, nach dem Sohn.
Es blieb still, keine Antwort.
Sie stiegen über den Toten hinweg und gingen weiter. Links war die Kuchel, die Tür stand halb auf. Er blickte hinein, fuhr zurück und lehnte sich mit aufgerissenen Augen gegen den Türstock. Drinnen lag die Maria vornübergefallen neben einem Schemel, sie hatte man erstochen. Eine tiefe Wunde klaffte in ihrem Rücken, zwei Schnitte gingen quer über den rechten Arm.
Nepomuk Schmidthauser fing an zu würgen. Wie vom Teufel getrieben stürzte er hinaus in den Stall, wo er sich übergab.
Brandstetter wollte ihm folgen, aber Greimbl hielt ihn zurück. »Bleib da! Wir müssen das jetzt hinter uns bringen!«
Zu zweit gingen sie weiter, stießen die Stubentür auf und fanden halb unterm Tisch den zwölfjährigen Johann, auch er erschlagen. Im Eck hinterm Ofen lagen der Jungbauer und seine schwangere Frau, beide erstochen.
Peter Brandstetter schüttelte den Kopf, er schüttelte ihn wieder und wieder. »Die sowas machen, das sind doch keine Menschen, das sind Bestien!«
»Pandurenschweine, elendes Pack!«
Wolf Greimbl ließ die Mistgabel fallen und taumelte zur vorderen Haustür. Der Schlüssel steckte. Er drehte ihn um, riss die Tür auf, trat hinaus, stützte sich vornüber auf den Brunnentrog und fing an zu weinen. Das war zu viel, selbst für ein gestandenes Mannsbild! Der Johann war sein Patensohn, mit seinem Vater ist er gut Freund gewesen.
Brandstetter folgte ihm, setzte sich auf den Rand des Brunnentrogs, tauchte seine Hände ins eisige Wasser und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. »Da fehlt noch das Mädel, die Amrei«, sagte er nach einer Weile.
Schmidthauser kam mit zwei Holzkübeln ums Hauseck auf sie zu. Seine Hände zitterten, als er einen der Eimer ins Wasser tauchte und dabei sagte: »Ich geb dem Vieh zum Saufen«, und mit Blick auf Brandstetter, »könntest mir helfen und Futter hinwerfen.«
Brandstetter folgte ihm. Wolf Greimbl stand langsam auf, nahm den Hut ab und fuhr sich durchs Haar. Dann ging er ins Haus zurück und die Treppe hinauf in den Oberstock. Unter seinen Tritten knarzten die Stufen, sonst war es so still, dass er glaubte, sein Herz schlagen zu hören.
Er sah in die erste Kammer, hier schienen die jungen Leute geschlafen zu haben. Er sah in die zweite Kammer, offensichtlich die der Altbauern, denn am Haken hing das Stallg’wand von Maria. Gegenüber die Mädchenstube, eine Tür weiter die Bubenkammer.
Doch von Amrei keine Spur!
Greimbl wollte schon wieder gehen, als er etwas wimmern hörte. »Amrei?« Er lauschte auf Antwort.
Für einen Moment verstummte das Wimmern. Greimbl sah sich um. Vorne, bei der Tür die auf den Balkon führte, stand ein großer Kasten, hinter ihm beim Treppenaufgang eine Truhe. Greimbl ging zum Kasten und sah hinein. Leinen und Wäsche wurde darin aufbewahrt, so viel, dass keine Hand mehr dazwischen gepasst hätte. Er schloss die Türen wieder, ging zur Truhe zurück und hob den Deckel an. Sie war bis zur Hälfte mit Weizen gefüllt, und oben auf dem Weizen lag das Mädchen, die Arme über dem Kopf verschränkt, als rechnete es damit, geschlagen zu werden.
»Jesus, Amrei!« Greimbl öffnete den Deckel ganz und griff nach dem Kind, das anfing zu schreien.
»Nur ruhig«, sagte er. »Ich bin’s, der Greimbl, der Pate vom Johann.«
Amrei schrie nur noch lauter.
»Schau, ich tu dir doch nichts! Du musst aus der Truhe heraus. Ich nehm dich mit zu mir nach Hause, die Anna, meine Bäuerin, die kümmert sich dann um dich.«
Er nahm das Mädchen auf die Arme und trug es die Treppe hinunter, dabei presste es die Handballen gegen die Ohren und das Gesicht an Greimbls Brust, um nichts sehen und nichts hören zu müssen.
Brandstetter und Schmidthauser warteten beim Wagen. »Gott sei’s gedankt, die lebt noch!« Sie schlugen ein Kreuz.
»Holt einer eine Decke aus dem Haus«, sagte Greimbl.
Schmidthauser ging hinein und kam bald darauf mit einem Schafsfell und einem Wolltuch zurück. Er setzte sich mit Brandstetter hinten auf den Wagen. Sie legten das Fell zwischen sich und Amrei darauf und deckten sie zu. Dann kletterte Greimbl auf den Bock und gab den Rössern die Peitsche.
Nach einer Weile sagte Brandstetter: »Das ist noch nicht alles, zum Chronlachner müssen wir auch. Aber ich mach das nicht mehr, da nehmt ihr den Schafferer mit. Außerdem sollten wir nach dem Geld suchen, damit es nicht in die falschen Hände gerät.«
»Welches Geld?«
»Das Gesparte vom Puchberger und das Brautgeld von seiner Schwiegertochter. Das kann nicht wenig sein. Sie wollten sich davon freikaufen, das hat mir der Georg selbst erzählt.«
»Das Geld«, sagte Schmidthauser, »werden wir nicht finden, das haben bestimmt die Pandurenschweine mitgenommen. Die wissen schon, wie sie es anstellen müssen, dass man ihnen ein Versteckt verrät.«
»Trotzdem suchen wir danach.«
Zu Hause übergaben sie das Mädchen Anna Greimbl. Brandstetter ritt nach Marquartstein, um den Burgsassen zu informieren, Schmidthauser holte mit vier anderen die Toten, um sie in der Kirche aufzubahren, und Wolf Greimbl machte sich mit dem Wirt wieder auf, diesmal zum Chronlachner hinaus.
Der Weg führte noch einmal am Puchberger-Hof vorbei, dort zogen sie zu Ehren der Toten den Hut, dann drei-, vierhundert Pferdelängen über eine Wiese, in den Wald hinein und gleich wieder heraus, und da sah man auch schon den Hof vom Chronlachner. Er war in einen Hang hinein gebaut. Man konnte von hier aus zur Achen hinunter sehen, aber nicht zum Puchberger hinüber.
Der Schornstein rauchte kräftig, Katharina, die neunzehnjährige Tochter, schöpfte mit einem Eimer Wasser aus dem Brunnentrog. Erleichtert blickten sich die beiden Männer an. Also lebten die Chronlachners noch!
Als sie vom Wagen abstiegen, nickte ihnen Katharina flüchtig zu und verschwand mit dem Wasserkübel eilig im Haus. Kurz darauf trat ihr Vater vor die Tür.
Greimbl begrüßte den Bauern. »Da bist ja, Chronlachner, und zum Glück lebst noch!«
Xani Chronlachner nickte. »Ich schon, unser Knecht, der Otto, aber nimmer. Und mein Jüngster, der Toni, der liegt im Fieber, wir fürchten um sein Leben. Aber jetzt kommt’s erst einmal herein.«
Die beiden Männer folgten dem Bauern in die Stube. Die Tür zur angrenzenden Kuchel stand offen, man konnte Katharina am Feuer hantieren sehen. Sie hatte den Eimer an der Herdstelle abgesetzt und schöpfte daraus Wasser in den Kessel, der über dem Feuer hing.
Xani öffnete den Wandschrank, holte Stamperl und eine Flasche Schnaps heraus, goss ein, sagte »Prost« und kippte den Schnaps.
»Prost!« Die beiden anderen taten es ihm nach.
Wolf Greimbl wischte sich über den Mund und fragte: »Hast nicht gemerkt, dass drüben beim Puchberger alle tot sind?«
»Was?« Xani riss die Augen auf.
»Das heißt alle, bis auf das Dirndl, die Amrei.«
Seine Augen wurden noch größer. »Bis auf das Dirndl?«
»Die hat sich in der Korntruhe im Oberstock versteckt, als das Pandurenpack die ganze Familie umgebracht hat.«
Xani goss sich und den anderen einen zweiten Schnaps ein. »Und alle anderen sind tot?«
»Dass du das nicht gemerkt hast? Wenigstens heut in der Früh. Das Vieh hat doch gebrüllt vor Hunger und Durst.«
Er schüttelte den Kopf. »Wenn der Wind von Schleching herüber weht, hört man von dort nichts. Und ich hatte weiß Gott andere Sorgen, als auf das Vieh vom Puchberger zu achten. Gestern in der Früh, kaum dass wir mit dem Stall fertig waren, da haben wir plötzlich Schüsse und Geschrei gehört. Uns war gleich klar, dass da etwas nicht stimmt! Das konnten keine Jäger sein, das klang nach Kriegsgetümmel und Angstgeschrei. Es kam von drüben, vom Achberg. Ich hab den Otto losgeschickt, er sollte nachschauen, was da ist. Und was tut der Toni, der dumme Bub? Läuft dem Otto hinterher! Ich habe es nicht gemerkt. Erst als das Schießen und Schreien immer lauter wurde, hab ich nach den Kindern gerufen, wollte sie zu ihrer Mutter und zum Großvater hinaufschicken, die liegen ja beide krank im Bett. Der Großvater fast blind, die Fanny hat ein Geschwür am Hals, das so dick ist wie ein Katzenkopf. Hab mir gedacht, es ist besser, wir bleiben alle zusammen. Die Katharina und der Alois, die waren im Stall und kamen auch gleich, der Kleine, der Thomas, war eh bei seiner Mutter, bloß den Toni fanden wir nicht. Als ich dann raus bin, um nach ihm zu suchen, da kamen sie auch beide schon vom Wald her. Der Bub schreiend, der Otto hintennach. Wir mussten den Toni einfangen wie ein wildes Tier und überwältigen, haben ihn ins Haus gebracht, und dort hat mir dann der Otto erzählt, was sie erlebt haben. Mord und Totschlag haben sie gesehen, es muss furchtbar gewesen sein. Der Toni hat das nicht verkraftet. Er hat geheult in einem fort und um sich geschlagen. Wir mussten ihn schließlich ans Bett fesseln, damit er Ruhe gab. Dann kam das Fieber. Ob er sich erkältet hat oder ob’s die Seele war, die krank wurde, ich weiß es nicht. Heute Nacht stand ’s so schlimm um ihn, dass wir dachten, er stirbt uns.«
Wolf Greimbl nickte. »Unsere Maria war während des Überfalls zum Glück nicht am Streichen sondern in Schleching, und als sie heim wollte, da hat auch sie zuschauen müssen, wie die Saukerle die Leute umbrachten und alles anzündeten. Und dich, den Toni und den Otto hat sie dann auch noch gesehen.«
»Uns?« Chronlachner schaute Wolf Greimbl erstaunt an.
»Ja, am Waldrand, wie ihr den Buben einfangen wolltet. Ganz blutbesudelt war er, hat sie gesagt.«
Chronlachner nickte. »Im Wald, da ist er gestürzt und hat sich an einem scharfen Ast aufgerissen.«
»Aber was ist dann mit deinem Knecht passiert? Warum lebt er nicht mehr?«
Chronlachner kippte den Schnaps, den er zuvor eingegossen hatte, stellte das Stamperl auf den Tisch und starrte auf seine Hände. »Nachdem wir den Toni ins Haus geschafft hatten, ist der Otto wieder weg. Er hat ja seine Schwester noch, die in Dienst beim Peterer-Müller ist, da wollte er unbedingt hin. Ich hab ihm gesagt, bleib da, das bringt nichts, das ist zu gefährlich, aber er wollte nicht hören. Er ist ein erwachsener Mann, hab ich mir gedacht und ließ ihn gehen. Wir selbst haben uns eingeschlossen, alles verrammelt. Haben uns um den kranken Buben gekümmert und um unser Leben gefürchtet. Erst heute früh, als alles wieder still war, haben wir uns raus getraut. Die Katharina und der Alois sind in den Stall, um sich ums Vieh zu kümmern, ich wollte rüber zum Puchberger. Doch weit bin ich nicht gekommen. Da fand ich den Otto tot im Wald. Erschlagen. Ich bin gleich umgekehrt und zurück, hab den Alois geholt, zusammen haben wir ihn heimgebracht. Jetzt liegt er draußen in der Tenne aufgebahrt, die Katharina wollte ihn gerade waschen, als ihr gekommen seid. Möchtet ihr ihn anschauen?«
Die beiden Männer tauschten Blicke. Greimbl hätte lieber Nein gesagt, für heute hatte er genug Leichen gesehen, aber der Schafferer nickte.
Mit gefalteten Händen lag Otto auf einem aufgebockten Brett, Katharina stand neben ihm und wusch ihm das Blut aus dem Gesicht. Greimbl und der Wirt zogen die Hüte, bekreuzigten sich und murmelten ein Gebet.
»Also, dann sind es jetzt sechs von uns, die es erwischt hat.« Greimbl setzte den Hut wieder auf und fragte Katharina: »Hast du mitbekommen, dass die vom Puchberger drüben alle umgebracht worden sind? Alle, außer der kleinen Amrei?«
»Ja, ich hab’s gehört.« Katharina warf den Lappen in den Eimer und lief heulend davon.
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Anna und Wolf Greimbl
– mit Kindern und Enkeln – Niederwessener Bauernfamilie, Wolf Greimbl ist einer der Vierer
Puchberger
– Bauernfamilie die ermordet wurde.Georg – der Vater, Maria – die Mutter, Michel – der Jungbauer, Elisabeth – seine Frau, Maria – die Tochter, Johann – der jüngste Sohn
Amrei Puchberger
– einzig Überlebende nach dem Überfall
Joseph Fux, Schafferer-Wirt
– einer der Vierer
Peter Brandstetter vom Jagerhof
– einer der Vierer
Nepomuk Schmidthauser
– einer der Vierer
Xani Chronlachner
– und seine Söhne Alois, Toni und Thomas – Nachbarn vom Puchberger
Katharina Chronlachner
– Xanis Tochter
Otto
– Knecht vom Chronlachner
Agathe und Michel Rexauer
– Amreis Zieheltern
Korbinian Hecht
– Musikus aus München
Ignaz Hecht
– Korbinians Bruder
Balthasar Winterholler
– Vikar am Ort
Vitus Schmidthauser
– Schüler
Andreas Färbinger
– Kirchsänger
von Törring
– Kämmerer und Pfleger zu Marquartstein (Burgsasse)