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Wie die Lehre Jesu wirklich zu verstehen ist. "Der Botschaft Christi wohnt eine zu große Kraft und Schönheit inne, als dass man nicht den Versuch unternehmen müsste, sie wieder in ihrer ursprünglichen Wahrheit zu begreifen." Daniel Meurois bringt Ihnen auf seinen Reisen in die Akasha-Chronik den wahren Jesus in seinem alltäglichen Umfeld nahe, in der unmittelbaren Begegnung mit seinen Jüngern und engsten Vertrauten, zu denen sowohl Männer als auch Frauen gehören. Anhand einer Fülle von Bildern lässt er uns eintauchen in ganz unterschiedliche Atmosphären – in die Magie jedes einzelnen an der Seite Christi erlebten Augenblicks. So entsteht ein völlig neues Bild von Jesus, das auch die verborgenen Seiten seiner Lehre beleuchtet. Das Buch zeigt, wie die Wunder, die Christus vollbracht hat, zu verstehen sind, wie er alltäglich außerhalb seiner Lehren lebte, wie sich das Leben seiner Mutter Maria gestaltete, was wirklich nach der Auferstehung geschah, wie seine Worte tatsächlich zu verstehen sind. Sie werden überrascht sein von den neuen Einsichten und Erkenntnissen und die Lehre Christi ganz neu erfahren.
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Seitenzahl: 278
Daniel Meurois
Aus dem Französischen von Dr. Gerhild Schulz
Alle Rechte vorbehalten.
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Copyright der Originalausgabe © by Daniel Meurois, 2006
Titel der Originalausgabe: »Les Enseignements premiers du Christ … à la recherche de Celui qui a tout changé«
Veröffentlicht in Partnerschaft mit Maurice Baldensperger und Francis Hoffmann GbR
»Publish Vision«; [email protected], www.publishvision.de
Copyright der deutschen Ausgabe © 2017 Verlag »Die Silberschnur« GmbH
ISBN: 978-3-89845-555-8eISBN: 978-3-89845-838-2
1. Auflage 2018
Übersetzung: Dr. Gerhild Schulz
Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim
Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstraße 1 · D-56593 Güllesheim
www.silberschnur.de · E-Mail: [email protected]
Widmung
Gewidmet sei dieses Buch insbesondere Marie,aber auch den Unterschieden, die uns zu dem machen, was wirsind und natürlich Dem, Der mich den wesentlichenUnterschied gelehrt hat
Bemerkung
Dieses Werk ist auf Bitten vieler Leser von Daniel Meurois entstanden, die nicht an seinen Seminaren zu diesem Thema teilnehmen konnten. Es entspricht keineswegs der limitierten Auflage der 8 CDs, die in französischer Sprache erschienen und inzwischen vergriffen sind. Es ist ein völlig eigenständiges Werk, das zahlreiche neue Informationen und bisher unveröffentlichte Geschichten enthält.
Ich erinnere mich …
Erster Teil: Das irdische Theater
Kapitel I: Die Bühne
Die Sadduzäer
Die Pharisäer
Die Essener
Nazarener und Essener
Das Volk
Die Römer
Die Zeloten
Kapitel II: Die Hauptrolle
Der Rabbi Jeshua
Jeshua, der Christus
Kapitel III: Die Nebenrollen
Die Jünger
Der Kreis der Zwölf
Simon-Petrus
Die Hundertacht und die Hundertvierundvierzig
Maria
Die weiblichen Apostel
Sarah
Miriam von Magdala
Maria-Salome
Zweiter Teil: Das kosmische Spiel
Kapitel IV: Der Kern der Lehre
Jenseits des offiziellen Wissens
Die Gleichnisse
Zerrbild und Wahrheit
Eine Vision von der Reinheit der Seele
Der Bewusstseinszustand
Der rechte Zeitpunkt
Der Aufstieg des menschlichen Wesens
Befreiung und Aufstieg
Die Wunder
Die Freiheit des Meisters
Ein Pakt mit dem Schatten?
Das wahre Gesicht des Satans
Ein gewisser Lazarus
Das Gedächtnis, das man Seele nennt
Von der Seele und vom Urteilen
Die Nacht der Seele
Der Fall Judas
Das Gesetz der Fülle
Unsere Mutter …
Jeshua als tantrischer Meister
Über Lüge und Heuchelei
Jesus und Maria-Magdalena als Paar
Jesus in Kaschmir?
Das Schicksal Christi
Warum die Kreuzigung stattfinden musste
Das ‘Karma’ des Meisters
Von der Ablehnung der Meister
Die Verbreitung der Nachricht
Anhang
Zwei Meditationsübungen, die Christus uns gelehrt hat
1. Übung: Die Aktivierung des achten Chakras
2. Übung: Die Tauben-Meditation
Über den Autor
Ich erinnere mich … könnte das vorliegende Buch anders beginnen, als mit diesen ganz einfachen Worten? Ja, ich erinnere mich … es war doch erst gestern, oder fast. Zweitausend Jahre sind im Grunde nicht viel in der Menschheitsgeschichte: Kaum mehr als 66 Generationen von Männern und Frauen, die recht und schlecht versucht haben zu verstehen …
Verstehen wir es denn heute? Verstehe ich es wenigstens selbst, nun, da ich beschlossen habe, euch die folgenden Seiten vorzulegen?
Verstehen – das ist viel, wisst ihr. Es ist etwas Bedeutsames!
Verstehen heißt, die gesamte Wirklichkeit einer Sache zu überblicken, ihr ‘Wie’ und ‘Was’ zu begreifen.
Insofern wäre es bei einem so großen und geheimnisvollen Thema zweifellos vermessen zu behaupten, dass ‘ich es verstehe’.
Darum erzähle ich einfach nur, woran ich mich erinnere … und weiter nichts. Wie gewohnt werde ich dafür mein Gedächtnis als ‘Werkzeug’ benutzen. Dabei kommt mir eine Reife zugute, die nur im Laufe der Zeit entstehen konnte.
So wende ich mich als Zeitzeuge an euch, nicht als Historiker oder Theologe und schon gar nicht als Gelehrter. Ich bin mir vollauf bewusst, dass einiges, was ich in diesem Buch darlegen werde, dem offiziellen Wissen entgegensteht und sogar manchen religiösen und spirituellen Denkrichtungen widerspricht.
Ich nehme dieses Risiko gerne auf mich, weil ich weiß, dass immer mehr Menschen versuchen, Zwänge abzuschütteln und frei zu denken, ohne sich der Gesinnung bestimmter Gruppen zu unterwerfen.
Damit möchte ich jedoch keineswegs Konflikte schüren. Abgesehen von der Lehre, die es zu vermitteln hofft, soll das Buch, das ihr in Händen haltet, vor allem ein Buch des vertraulichen Mitteilens sein. Es will gelesen werden, wie ein Gespräch, in dem man anderen seine Erinnerungen eröffnet.
Es gibt natürlich ebenso viele Gedächtnisse, wie lebende Wesen. Jeder von uns ist in gewisser Hinsicht mit einer Kamera vergleichbar, die das Leben aus ihrem Blickwinkel und in der Qualität ihres Objektivs aufnimmt.
So gesehen ist der Begriff ‘Wahrheit’ höchst relativ: Was man als absolute Wahrheit bezeichnet, ist dem menschlichen Bewusstsein schon deshalb nicht zugänglich, weil Wahrheit aus einer Vielzahl verschiedener Sichtweisen und damit aus lauter Teilwahrheiten besteht.
Ihr könnt also bei der Lektüre der folgenden Seiten davon ausgehen, dass sie nur die Ausgangsbasis für weitere Überlegungen sind. Ihre Wahrheit ist die Wahrheit eines sensiblen Augenzeugen, der bis in die heutige Zeit hereinwirkt, zugleich aber jeden einladen möchte, in aller Freiheit weiter nach der grundlegenden Wahrheit seiner eigenen Seele zu suchen.
An diesem Punkt stellt sich meines Erachtens eine wichtige Frage:
Warum ist es mir gegeben, mich so genau daran zu erinnern, was ich im Umkreis Christi vor zweitausend Jahren erlebt habe? Ich möchte diese Frage mit ein paar weiteren Fragen beantworten: Warum kommen manche Menschen mit der Fähigkeit auf die Welt, ganz spontan Melodien zu erfassen und Symphonien daraus zu machen? Warum ist anderen eine unglaubliche Leichtigkeit im Umgang mit höchster mathematischer Abstraktion gegeben? Warum sind wieder andere von einer Kraft und einer Vision besessen, die sie befähigt, aus einem Marmorblock einen vollendeten Körper herauszuarbeiten? Und warum ist schließlich die Festplatte eines Computers in der Lage, Milliarden von Informationen zu speichern und sie ein paar Sekunden später wiederzugeben?
Warum, ja, warum? Das Universum ist voll von diesen Fragen, die unser Verstand, der alles genau einteilen möchte, doch nicht fassen kann.
Wenn man etwas wahrgenommen und ihm einen Namen gegeben hat, so hat man es deshalb noch lange nicht verstanden.
Es lebt ein Geheimnis im Herzen von allem was ‘ist’. Dieses unendlich schöne und große Geheimnis, das uns einen ebenso großen Respekt abnötigt, möchte ich euch ein wenig näher bringen, indem ich erneut etwas aus meinem Gedächtnis weitergebe.
Dieses Geheimnis wirkt immer neu anregend auf das Mysterium, das in dieser Lehre keimhaft lebt, auf den Diamant, der in ihr enthalten ist – auf ihre Essenz. Das gilt für alle Menschen, die ihre Fähigkeit sich geistig zu erheben, wiederentdecken möchten.
Ihnen möchte ich diese Erinnerungen vor allem überreichen, doch auch jenen, die noch nicht wissen, dass sie mitgemeint sind …
Ich werde mich dabei von einem Gespräch leiten lassen, das dem Takt meines – und wie ich hoffe auch eures – Herzens folgt, wie bei einer Begegnung unter Freunden. Könnte man sich Dem, wovon Christus beseelt war denn anders nähern? Aus eigenem Erleben bin ich davon überzeugt, dass das Göttliche in echte, innige Seelenbegegnungen einfließt und sich darin mitteilt.
Und so seid ihr herzlich eingeladen, euch darauf einzulassen, was spontan aus dem Füllhorn meiner lebendigen Erinnerungen quillt, als säßen wir zusammen auf dem Boden an einem Feuer aus aufgeworfenen Ästen, irgendwo am Ufer des Sees Genezareth oder in der Wüste, in Judäa.
Sollen wir uns erst einmal in diese Zeit hineinversetzen? Ich schlage vor, dass wir uns nach und nach der Bevölkerung dieser Epoche nähern, um uns dann in aller Ruhe dem Meister und seinem tiefsten Wort zuzuwenden … So werden wir die Menschen kennenlernen, die ihm nahe standen und Geschichte geschrieben haben … aber auch jene, die nichts weiterzugeben hatten, als ihre Liebe.
Versucht es euch einmal vorzustellen … Wir lebten in einem besetzten Land … Die Römer hielten sich seit über fünfzig Jahren darin auf. Mit “Römern” meine ich nicht nur die Streitkräfte, sondern auch die Familien, die sie gegründet hatten, ihre Geschäfte, ja ihre ganze Kultur, die sich nach und nach mit unserer vermischte. All das ging so unterschwellig und raffiniert vor sich, dass wir zuweilen gar nicht mehr den Eindruck hatten, einer ‘Besatzungsmacht’ ausgesetzt zu sein.
Unsere Eltern und Großeltern aber wussten noch, wie es war, als die Soldaten kamen und im Namen eines Kaisers, den nie jemand zu Gesicht bekam, alles unter Kontrolle brachten.
Unter den jungen Leuten gab es jedoch viele, die das gar nicht kümmerte. Wie sollte man sich darüber wundern? Sie waren schon mit dem Purpur der Legionäre zur Welt gekommen. Es gehörte für sie einfach zur vertrauten Kulisse, genau wie die zahllosen Schilder und Speere, die von Zeit zu Zeit die Straßen blockierten, ohne dass irgendjemand wusste, warum. Sie hörten nur ‘kein Durchgang’, schlugen einen anderen Weg ein und vergaßen es gleich wieder. Ich erinnere mich, dass es für sie nicht so schlimm war. Wenn man ihnen am Pashafest Einlass in den großen Tempel von Jerusalem gewährte, gab es für sie und ihre Eltern doch immer eine verbotene Zone. Die Priester untersagten ihnen, eine bestimmte Schwelle zu überschreiten – die zum Allerheiligsten.
Folglich fühlten sie sich auch nicht betroffen, wenn irgendwo Unruhen ausbrachen. Wenn sie sich einmischten, dann nur aus einem gewissen Nachahmungstrieb heraus, aus Wettbewerbsgeist oder weil sie sich den Älteren beugten … Die Ordnung des Vaters zählte, daran gab es nichts zu rütteln. Wenn man sie in den Straßen so miteinander tuscheln hörte, hätten viele von ihnen es gar nicht so schlecht gefunden, römische Staatsbürger zu sein. Sie versprachen sich soziale Vorteile davon und sahen eine Art Schutz darin, eine gewisse Sicherheit für die Zukunft. Da Rom sie ihren Kultus frei ausüben ließ, dachten sie am Ende, … warum eigentlich nicht?
Wären da nicht die bewaffneten Banden der Zeloten gewesen, die immer wieder Splittergruppen der Legionäre angriffen, hätte die Frage sich für sie überhaupt nicht gestellt.
Auf der anderen Seite gab es natürlich die Priester, also Rabbis, die versuchten, ihnen noch etwas von ihrem Glauben beizubringen und sie immer wieder anherrschten, der feindlichen Belagerung gegenüber Haltung zu zeigen. Wie hätten sie da auf der Suche nach sich selbst nicht enger zusammenrücken sollen? Ich erinnere mich, dass sie häufig in kleinen Gruppen etwas ratlos und untätig herumstanden. Sie lebten im Spannungsfeld zwischen dogmatischen Predigten, Eltern, die halb zum Widerstand, halb zur Nostalgie neigten und Anführern blutiger Aufstände. Außerdem waren da noch die Römer, die mit beruhigender Entschlossenheit alles eroberten … und Mädchen hatten, die auf den Märkten Blicke auf sich zogen.
Im Grunde lebte die ganze Gesellschaft in Palästina im Ungewissen, in einer Art Grauzone. Unterschwellig war sie auf der Suche nach neuen Werten.
Viele hatten den Widerstand längst aufgegeben und kollaborierten mehr oder weniger offen mit dem Besatzer. Damit forderten sie die Zeloten ungewollt immer wieder zu extremen Reaktionen heraus und wurden mitunter kurzerhand von ihnen liquidiert.
Vor allem in Jerusalem war zu spüren, dass etwas zu Ende ging, eine Welt an ihre Grenze kam und man nun eine Wahl treffen musste: Entweder man gab auf und unterwarf sich endgültig der römischen Herrschaft oder aber man verweigerte sich auf radikale Weise und lehnte sich auf. Doch wer würde diese Wahl treffen? Wer würde das entscheiden?
Die Rabbis und Schriftgelehrten hatten als Theoretiker und Garanten der kollektiven Identität unleugbar großen Einfluss auf das Volk. Zugleich wurde immer deutlicher, dass viele von ihnen ein doppeltes Spiel spielten. Ich erlebte es Tag für Tag selbst. Die Römer bestachen sie mit Geschenken, ließen ihnen stets neue Ehren zuteilwerden und verstanden es, ihnen gute Argumente in den Mund zu legen, um sie dazu zu bewegen, im entscheidenden Moment wegzusehen.
Im Grunde schlug sich jeder eben durch, wie er konnte, wenn es besser ankam, idealistisch, notfalls aber auch rein opportunistisch.
Überdies wurde ‘unser Land’ – das Land in dem ich ja auch lebte – von existentiellen Problemen erschüttert. Wenn man nicht gerade einer gehobenen sozialen Schicht oder gesellschaftlichen Klasse angehörte, war man zwangsläufig arm und dazu verdammt, es auch zu bleiben … vor allem weil Rom Jahr für Jahr alles, was es in die Finger bekam, an sich raffte.
Inzwischen bin ich überzeugt davon, dass Armut und Desillusionierung angesichts der Korruption der Ankunft eines gewissen Rabbis Gewicht verliehen und seine Wirkung verstärkten …
Es profitierten natürlich auch viele Sadduzäer von der Anwesenheit der Römer. Sie waren leicht zu erkennen. Stets schritten sie erhobenen Hauptes einher, ganz gleich ob in Jerusalem oder auf dem Dorf. Außerdem trugen sie die feinsten Kleider. Viele von ihnen lebten ganz ungeniert auf großem Fuß. Reichtum war in ihren Augen eine Belohnung des Allerhöchsten für ihre seelischen Verdienste.
Ihrem Glauben zufolge hatte jemand, der arm war, beim Ewigen eine Schuld zu begleichen, musste sich also nicht darüber beschweren.
Freilich galt das nur im Allgemeinen. Es war einfach ein typischer Wesenszug ihrer Philosophie. Wenn meine Seelenaugen die Gassen und Häuser dieser Zeit besuchen, so finden sie auch unter den Sadduzäern gute Menschen, die großzügig und voller Mitgefühl waren.
Allerdings erinnere ich mich, dass sie leidenschaftlich gerne diskutierten. Ja, sie polemisierten oft aus reinem Vergnügen, wie Intellektuelle es heute gern tun, um sich dann aber eher im Spiel ihrer Argumente zu verlieren oder sich in der Falle ihres rationalen Denkens zu verfangen, als wirklich weiterkommen zu wollen. Das heißt jedoch keineswegs, dass die Sadduzäer nicht an etwas Heiliges glaubten. Allerdings erweckten sie stets den Eindruck, ihr Glaube sei etwas recht Diffuses und diene vor allem dazu, ihr Verhalten zu rechtfertigen. Im Unterschied zu anderen Gruppen habe ich sie nie konkrete Glaubensinhalte oder eine klar umrissene Doktrin verkünden hören. So waren wir im Grunde davon überzeugt, dass sie vor allem an Macht interessiert waren.
Man kann wohl wirklich sagen, dass ihr hauptsächlicher Aktionsradius sich irgendwo zwischen der politischen Bühne und klerikalen Privilegien abspielte. Heute würde man sie als regelrechte “Partei” bezeichnen, die mit der römischen Besatzung auf bestem Fuße stand.
Als ein gewisser Rabbi Jeshua – der Meister Jesus – anfing, die öffentliche Meinung mit seinen Reden und seinem Handeln in Unruhe zu versetzen, waren die Sadduzäer die Ersten, die sich Ihm meist offen entgegenstellten.
Unzählige Male habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie sie Ihn in aller Öffentlichkeit auf Märkten oder den Vorplätzen der Synagogen angingen und ironisch auf die Schippe nahmen. Der Grund war wohl weniger, dass sie ihn als Mensch nicht mochten. Sie stießen sich vielmehr an seiner offenen Art und an der Tatsache, dass Er ebenfalls gut argumentieren und diskutieren konnte, wenn es sein musste.
Allerdings bin ich mir sicher, dass sie die Gefahr, die der Rabbi für ihre Art zu sein darstellte, zunächst noch nicht wahrnahmen.
Ich erinnere mich lebhaft an ein paar Gespräche, die ich bei meinen morgendlichen Spaziergängen durch die Gassen von Kapernaum aufgeschnappt habe. Demzufolge war ‘dieser Mann’ nicht viel mehr als einer von diesen recht originellen und charismatischen Gebildet-en – und letztlich nicht gefährlich … außer vielleicht für sich selbst.
Dennoch begriff ich bald, dass seine ‘magische’ Ausstrahlung ihnen zutiefst missfiel. Die Sadduzäer neigten dazu, allem was mit übernatürlichen Fähigkeiten zu tun haben könnte, aus dem Wege zu gehen. Auch als ihnen Wunderheilungen zu Ohren kamen, sprachen sie von Heuchelei und hielten mit ihrem Sarkasmus nicht zurück, obwohl sie bei einer sogar dabei gewesen waren.
In Genezareth gingen ein paar Sadduzäer so weit, dem Rabbi Jeshua eine Falle zu stellen. Ich war selbst nicht dabei, doch die Szene hatte sich rasch in der Gegend herumgesprochen.
Man erzählte sich, ein alter Sadduzäer habe seinen Sohn zu Ihm gebracht. Es war ein Mann von etwa dreißig Jahren, der angeblich von Geburt an blind war. Der Meister schaute ihn eine Weile an und holte dann plötzlich aus, als wolle Er dem Behinderten eine kräftige Ohrfeige geben. Einem Schutzreflex folgend schreckte der Mann blitzartig zurück, obwohl er nicht einmal gestreift worden war. So kam sein Betrug ans Licht. Es hieß, der Rabbi habe nur traurig gelächelt und den alten Mann gefragt: “Sag mir, wer leidet an der schlimmeren Krankheit, der betrügt oder der sich betrügen lässt? Ich sage euch, wenn eure Seele erst einmal verstanden hat, dass sie wirklich leidet, werdet ihr zu mir kommen. So steht es um euer ganzes Volk. Es muss erst lernen, seine eigene Blindheit zu erkennen.”
Diese Anekdote zeigt meines Erachtens sehr schön, dass der Meister keine Gelegenheit ausließ, um uns ganz unvermittelt etwas zu lehren. Dafür konnte alles zum Anlass werden.
Meinte Er hier ausdrücklich das “Volk der Sadduzäer”? Ich glaube nicht. Wenn Ihm bestimmte soziale Gruppen oder Individuen zuweilen auch als leuchtendes Beispiel dienten, so war es doch eindeutig sein Ziel, die ganze Menschheit etwas zu lehren. Aus Seiner Sicht war sie eine große, leidende Familie.
Es fällt mir schwer, zu sagen, ob das Wort des Meisters Jeshua bis zu vielen Sadduzäern vorgedrungen ist. Materieller Wohlstand in Verbindung mit einem ganz selbstverständlichen intellektuellen Dünkel, machte sie zu einem sozialen Mikrokosmos, der sich von anderen abhob. Wenn man einmal in diesem Umfeld steckte, war es nicht leicht, sich davon abzugrenzen, weil jeder den anderen genau im Blick hatte. Überhaupt herrschte im damaligen Palästina mehr oder weniger eine Art gegenseitiger Überwachung.
Man könnte nun meinen, die Sadduzäer hätten als Repräsentanten einer Elite mit den Pharisäern gemeinsame Sache gemacht. So war es aber nicht. An den vertraulichen Mitteilungen und indiskret weitergegebenen Informationen, die im Umkreis des Meisters die Runde machten, ließ sich leicht ablesen, wer gerade wieder auf raffiniertere Weise mit den Römern paktierte – die Sadduzäer oder die Pharisäer.
Theoretisch hatten die Pharisäer mit den ‘schmutzigen Geschäften dieser Welt’ nichts zu schaffen. Ohne zu zögern würde ich sagen, dass sie sich tendenziell für regelrechte Heilige hielten. Sie sahen sich als rein, als unbefleckt und verkündeten stets voller Stolz, dass ihr Leben von über sechshundert Vorschriften – Pflichten oder Verboten – geregelt wurde. Das machte sie angeblich von Haus aus eindeutig zu Erwählten des Ewigen.
Unterm Strich würde man heute sagen, sie führten sich auf wie Fundamentalisten. Entsprechend gaben sie sich so intolerant und unberührbar wie möglich. Es waren nicht viele, doch sie waren sehr aktiv und beanspruchten die höchsten geistlichen Ämter für sich.
Natürlich wurden sie von niemandem besonders geschätzt. Aber sie waren gefürchtet, denn ein Urteil oder Dekret von ihrer Seite konnte ein moralisches oder reales Todesurteil bedeuten – was fast auf das Gleiche hinauslief. Von den Schriftgelehrten auf die Ersatzbank der Gesellschaft gesetzt zu werden, hieß nichts anderes, als sein restliches Leben als Elender zu fristen, wenn man nicht ohnehin auf der Stelle gesteinigt wurde.
Das wurde im ganzen Land als normal angesehen. Es war die logische, unabänderliche Ordnung der Dinge. Man hatte die Pharisäer zu respektieren und Angst vor ihnen zu haben, schließlich kannten sie Adonaïs Willen1 … Ganz abgesehen davon, dass man nicht mehr so recht wusste, was Adonaï eigentlich von uns erwartete! Wollte Er die römische Herrschaft? Wollte Er uns damit für unsere Verirrungen bestrafen? Den Pharisäern war das, was wir Sünde nennen, unbekannt. Sie hatten nie gefehlt! Das wusste doch jeder. Schließlich folgten sie Wort für Wort Moses selbst, also der ursprünglichen Tradition!
In meiner Erinnerung sehe ich sie oft in kleinen Gruppen dicht an den Wänden entlanggehen. Trubel und Marktgeschrei mieden sie, wo sie nur konnten.
Sobald sie sich jedoch der Synagoge oder einem anderen heiligen Ort näherten, schritten sie hoch erhobenen Hauptes einher und führten mit doktrinären Reden in all ihrer Unnachgiebigkeit das große Wort.
Es war allgemein bekannt, dass auch sie sich längst an die Besatzung durch die römischen Legionäre gewöhnt hatten, zumal die Beamten des Kaisers klug genug gewesen waren, ihnen ihren Machtbereich zu überlassen – die Kontrolle des Bewusstseins.
Doch der Schein trügte. Nach einigen Gesprächen mit dem Meister und mit einer Reihe von Menschen, die ihm nahestanden, musste ich einsehen: Die Pharisäer taten nur so, als würden sie mit der Besatzungsmacht gemeinsame Sache machen. In Wirklichkeit verachteten sie die Römer zutiefst. Sie waren ihnen viel zu ‘unrein’. So wandten sie ständig irgendwelche Tricks und Strategien an, um sie hinters Licht zu führen. Man musste schon sehr naiv sein, wenn man glaubte zu wissen, was sie wirklich dachten.
Mein ganzes, von Essener Kultur und Sensibilität geprägtes Wesen lehnte sich dagegen auf, wie die Pharisäer in Palästina auftraten und handelten … und ich war gewiss nicht der Einzige, der mit Ablehnung auf sie reagierte.
Auch die Gemeinde, aus der ich kam, ignorierte sie lieber, als sich mit ihnen anzulegen … Diese Haltung wurde uns freilich vielfach heimgezahlt.
Wir Essener waren in Sachen Toleranz weiß Gott nicht immer ein Vorbild, obwohl das von uns oft angenommen wurde. Um ehrlich zu sein, war unsere Gemeinschaft gespalten und zwar so sehr, dass der Ausdruck ‘Bruderschaft’ zuweilen kaum noch zutraf. Zunächst einmal waren da die Ältesten, von denen die meisten in der Umgebung des Toten Meeres hinter sandfarbenen Mauern ein sehr raues Leben führten.
In ihrer Askese, die fast ebenso dogmatisch war, wie die der Pharisäer, empfand ich auch sie als beängstigend. Ich muss zugeben, dass ich ihre Sitten und Gebräuche, die unmittelbar von den Leviten2 inspiriert waren, nie mochte. Ja, die Alten waren schnell mit Strafen bei der Hand!
Jedes Mal wenn ich zu einem Besuch bei ihnen mitgenommen wurde, fiel mir auf, dass sich bei ihnen leichter und schneller eine Liste von erlaubten als von verbotenen Dingen erstellen ließ.
Inzwischen leuchtet mir ein, was für einen echten, hartnäckigen Willen sie hatten, den Weg des Guten und Wahren zu gehen.
Sie wollten zu dem gelangen, was sie ‘das Angelische Licht des Allerhöchsten’ nannten. Im Gegensatz zu den Pharisäern war ihre extreme Art nicht berechnend. Sie waren ehrlich.
Ihr größtes Problem war wohl dieser grauenhafte, uneingestandene Stolz. Sie sahen sich in einer elitären Sonderrolle, die ihnen kaum je erlaubte, ihre Refugien aus Stein und Sand zu verlassen.
Ich selbst bin nicht in diesem Umfeld aufgewachsen. Ich gehörte zu “denen vom Dorf”, die das Volk wegen ihrer langen, reinen Gewänder einfach “die Brüder in Weiß” nannte. Auch wir, die Essener aus den Dörfern, waren nicht sehr zahlreich. Es gab nur ein paar zerstreute Gemeinschaften, die sich niedergelassen hatten, wo man etwas anbauen und in Familienverbänden leben konnte.
Genau wie die Alten hatten auch wir Schwierigkeiten, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten, das muss man durchaus zugeben. Auch wir waren von jener ‘Krankheit’ befallen, die uns das Gefühl gab, zu einer ‘anderen Gattung Mensch’ zu gehören.
Doch anders als die Asketen von Qumran, legten wir den Akzent unserer täglichen Glaubenspraxis ganz bewusst auf die Tugenden der Sanftmut und Gefälligkeit im Umgang. In gewisser Weise war das auch ein Schutz.
Wir gaben uns also Mühe, Toleranz zu predigen … selbst wenn auch wir immer wieder von einer gewissen Rigidität und Strenge erfasst wurden.
Es ist klar, dass wir aus den Dörfern uns mit den Menschen, die sich in ihren Klöstern einsperrten, nicht sonderlich gut verstanden. Ich erinnere mich lebhaft, dass wir bei ihnen als Abtrünnige und Schwächlinge galten. In den Augen des palästinensischen Volkes genossen wir ‘Abtrünnigen’ jedoch ein höheres Ansehen, das muss man schon sagen … Wir wurden sogar geschätzt. Warum? Oh, ich denke, da standen ganz praktische Interessen im Vordergrund. Viele von uns waren ja Therapeuten!
Wir kannten uns mit Kräutern besser aus, als alle anderen und hielten auch mit unserem Wissen über die unsichtbare Verbindung zwischen Körper und Seele nicht hinterm Berg. Es gab bei uns sogar eine geheime Ausbildung dazu, in deren Zentrum Rituale standen, die dazu dienten, uns mit den himmlischen Hierarchien, insbesondere mit der Welt der Elohim in Verbindung zu setzen.
Freilich hatte bei Weitem nicht jeder von uns Zugang zu diesen Dingen. Es war jedoch bekannt, dass wir damit umzugehen wussten. Das verlieh uns gleichsam eine mysteriöse, magische Aura.
Mir persönlich gefiel es, dass man uns so sah. Unser Ruf als Heiler hat uns wohl auch oft geholfen, ungeschoren davonzukommen, wenn das Leben gerade nicht einfach war. Das heißt jedoch nicht, dass wir besonders beliebt waren – überhaupt war unklar, wer wen mochte. Doch wir wurden fast überall respektiert. Wir wurden gebraucht, so viel war klar!
Die Betsaids3, die wir überall eingerichtet hatten, waren sichere, unentgeltliche Schutzräume für schwangere Frauen, Kranke, Verletzte und Sterbende, aber auch Bedürftige auf der Durchreise.
Der aufrechte, schlichte Sinn für das Gastrecht war vermutlich unsere wichtigste Eigenheit und Tugend.
Im Kloster Karmel4, wo ich einen großen Teil meiner Kindheit damit zugebracht habe, die Verbindung von Sichtbarem und Unsichtbarem zu studieren, nahmen unsere Lehrer eine mittlere Position zwischen den Dorfgemeinschaften und den Ältesten der Wüste ein.
Mir ist heute mehr denn je bewusst, welch ein Privileg es war, an diesen Studien teilnehmen zu dürfen. Zugleich ist mir aber auch klar, dass unsere Lebensweise dermaßen anspruchsvoll war, dass ich hätte daran zerbrechen können. Da ich viele Jahre gezwungen war, mich zwischen Sanftmut und Strenge zu bewegen, hatte ich noch lange das Gefühl, auf einem Seil zu gehen, das über einen Abgrund gespannt war.
Alle aus meinem Volk, welche Ausbildung und Prüfungen des Karmel durchlaufen hatten, erkannten sich überall im Land gegenseitig.
Es lag ein anderes Leuchten in ihrem Blick, sie hatten einen anderen Gang und eine andere Art zu sprechen. Diese Zeichen genügten. Und so fühlte man sich, wenn man aus dem Karmel kam, wiederum nicht ganz dazugehörig, man stand ein wenig ‘abseits’ … selbst unter denen, die ohnehin schon ‘abseits standen’.
Wie leicht aber konnte man in die Falle tappen und an dieser Außenseiterrolle auch noch Gefallen finden! Das war eine der ersten Warnungen, die der Meister mir gegenüber aussprach, als Er leibhaftig in mein damaliges Leben trat.
Jeder im ganzen Land wusste, dass auch Er von den ‘Brüdern in Weiß’ abstammte, auch wenn Er es meist vermied, so auszusehen. So versuchte Er zum Beispiel in seiner Kleidung darüber hinauszugehen. Er trug ein langes Leinengewand, wie wir alle, krempelte es aber, wenn es heiß war, und Er weite Strecken zu Fuß zurücklegte oder mit den Fischern zusammen war, manchmal bis zum Knie hoch. Davon waren viele schockiert … So etwas tat ein Rabbi doch nicht! Jedenfalls kein Rabbi seines Formats. Ich erinnere mich, dass ich selbst einmal höchst befremdet darüber war, dass Er ganz ungeniert eine Tasche aus irgendeinem Raubtierfell bei sich trug. Ich hatte so etwas noch nie gesehen und fand es mit unserem Glauben unvereinbar.
“Na, Simon!”, sagte Er zu mir, “stört dich diese Tasche? Ein Zenturio hat sie mir gestern geschenkt, nachdem ich ihn behandelt hatte … Das ist meine Art ihm zu danken, dass er die Anwesenheit des Ewigen ermöglicht hat. Hast du etwas gegen eine Regung des Herzens einzuwenden?“
An diesem Tag habe ich meine Lektion erhalten, auch wenn sie schwer zu verdauen war …
Und im Übrigen, wenn ich mich so in den Straßen von Samarien, Galiläa oder Judäa mit den anderen umherziehen sehe, muss ich feststellen, dass alle, die wie ich, in den Dorfgemeinschaften aufgewachsen waren, schon längst mit bestimmten Tabus der Ältesten aus der Wüste gebrochen hatten.
So trug ich zum Beispiel manchmal einen Wollmantel. Das war in den Augen der Puristen unserer Bruderschaft ein Vergehen. Wollsachen waren untersagt, weil dem Fell etwas Tierisches anhaftete, das sich auf uns übertragen konnte. Angeblich haftete ihm – genau wie Blut oder Haut – die Triebhaftigkeit der tierischen Gattung an. Wir lebten ja auch ziemlich streng vegetarisch …
Und dann die Haare! Ich wäre nie auf die Idee gekommen, meine schneiden zu lassen. Sie lang und offen zu tragen, war ein wesentlicher Bestandteil meiner Persönlichkeit, aber auch ein traditionelles Zeichen meiner Herkunft.
Auch der Rabbi Jeshua trug meist langes Haar. Wenn es windig war, hielt Er es auf ganz eigene Weise mit einem metallischen Band zusammen, das mit einem Leder- oder Stoffbändchen geschmückt war. Das wunderte uns … Manchmal band Er sein Haar auch im Nacken zu einem Knoten zusammen. Zwei oder drei Mal sah ich auch, wie seine Haare recht kurz geschnitten waren. Man könnte einwenden, das sei doch in diesem Zusammenhang ganz unwichtig. Ich bin mir da nicht so sicher, kommt darin doch ein wesentlicher Charakterzug des Meisters – zumindest in Hinblick auf die Essener – zum Ausdruck.
Er wollte scheinbar unverrückbare Prinzipien und erstarrte Vorstellungsbilder zerstören und tat das sogar mit einem gewissen Vergnügen.
Im Grunde spielte Er einfach gerne. Heute weiß das kaum noch jemand und auch damals war es kaum einem bewusst. Es schien unvorstellbar.
Die verspielte Seite des Lebens wurde von uns Essenern ohnehin kaum beachtet. Man sprach vielleicht von unserer Sanftmut, unserem Wissen oder unserer ganz selbstverständlichen Neigung zur Diskretion. Doch man hätte nie von uns gesagt, wir seien fröhlich oder würden gerne scherzen. Das stimmte auch … Wir waren sicher viel zu ernst! Auch die Nazarener, mit denen wir ständig verwechselt wurden, trugen nicht dazu bei, unseren Ruf in dieser Hinsicht zu bessern.
Die Nazarener lebten, wie die meisten unserer ‘Alten’, in der Nähe des Toten Meeres in Grotten oder winzigen Klöstern. Zu allem Überfluss hatten sie auch untereinander kaum Kontakt. Unserer Geschichte zufolge waren wir ursprünglich ein und dasselbe Volk, das jedoch etwa hundert Jahre zuvor durch eine zunächst kaum merkliche Spaltung geteilt worden war.
So gab es Anhänger einer ‘harten’ und einer ‘etwas weniger harten Linie’. Nazarener wurden die Strengsten und Härtesten genannt. Soweit ich mich erinnere, hatten sie etwas Rechthaberisches an sich. Ständig wollten sie die anderen von etwas überzeugen. Das ging so weit, dass wir sie tendenziell als kriegerische Seelen wahrnahmen.
Ihrer äußeren Erscheinung und Kleidung nach, sahen sie uns ähnlich. Doch sie streuten oft Asche auf ihr Haar und trugen mehrere Lagen rot gefärbter Kornketten um den Hals. Da sie nicht so diskret waren wie wir, übertönte ihr Name oft den unseren. Auch vom Meister hörte ich oft als von ‘dem Nazarener’ oder auch “Nazariten” sprechen, was auf dasselbe hinausläuft.
Die echten Nazarener verwehrten sich jedoch dagegen, dass man den Rabbi Jeshua für einen von ihnen hielt. Ich habe oft gehört, wie sie sich darüber aufregten und dagegen protestierten. Da Er die meisten ihrer Verbote übertrat, war Er für sie ein gottloser Aufrührer. Obwohl Er eigentlich kein Fleisch aß, hatte Er doch mehrmals bei den Beduinen in der Nähe von Jericho etwas Lamm gegessen. Sie wussten davon und es war für sie unvorstellbar!
So blieben alle in ihrer eigenen Welt eingeschlossen. Das einzige Verbindungsglied der Gesellschaft war das gemeine Volk, also jene, die sich weder Sadduzäer, Pharisäer noch Essener oder Nazarener nennen konnten. Es bestand vor allem aus Fischern, Bauern, Handwerkern, kleinen Händlern sowie Armen und Elenden.
Sie alle waren natürlich ungebildet und infolgedessen unterwürfig … Sie dachten nicht groß nach und hatten keine eigene Meinung.
Wenn ich sie so beobachtete, während der Meister ihre Aufmerksamkeit auf sich zog und sie begannen, sich Fragen zu stellen, spürte ich jedoch, dass sie einen soliden, gesunden Menschenverstand besaßen. Darauf stützte Er sich, wenn Er seine zahllosen, symbolträchtigen oder allegorischen Geschichten erzählte.
Jeshuas Gabe zu Reden begeisterte uns alle. Das Volk war dermaßen an kalte, leblose Vorträge und anklagende Predigten gewöhnt, dass bereits der neue Ton, den der Meister im Vergleich zu den Würdenträgern der religiösen Autorität anschlug, einen Teil seiner Faszination ausmachte. Das Volk brauchte Bilder und Fakten. Es waren einfache Menschen, sie wollte die Dinge vor sich sehen …
Der Rabbi fesselte sie völlig, das muss ich schon sagen. Die Erzählungen von seinen Heilungen und Wundern gingen stets im ganzen Land herum. Manche waren allerdings frei erfunden oder stark ausgeschmückt, als sei das, was wirklich geschah, noch nicht außergewöhnlich genug.
Diese ‘frommen Lügen’ schadeten freilich dem Ansehen und der Lehre des Rabbis Jeshua. Es muss wohl nicht eigens erwähnt werden, dass die Pharisäer sie sich zunutze machten, um seinen Ruf zu zerstören. Sie machten einen Schwärmer und Unruhestifter aus Ihm. Im besten Fall stellten sie Ihn den Zauberern gleich, die andauernd in unmittelbarer Umgebung von Sinai unterwegs waren.
Man muss nämlich wissen, dass viele im Lande an Magie glaubten, also an die Fähigkeit, die manche Menschen haben, mit unsichtbaren Kräften umzugehen. Nur die Sadduzäer zuckten einfach die Schultern und machten sich, wie gesagt, darüber lustig.
Den Rabbi Jeshua selbst kümmerte es anscheinend kaum, was über Ihn und seine wunderbaren Handlungen geredet wurde.
Er wollte eindeutig die Massen ansprechen und begriff von Anfang an, dass sie von großen Reden nichts verstanden und man sie mit etwas Einfachem und Greifbarem aufrütteln musste.
“Ihr wisst nicht einmal, an was ihr glaubt und auch nicht warum ihr glaubt!“ Das wiederholte Er unermüdlich, überall, wo Er hinging.
Ich habe oft beobachtet, dass die Leute das schockierte und wütend machte … Aber Er erreichte damit sein Ziel, denn das einfache Volk hörte Ihm letztlich wohl oder übel immer zu. So kam dessen eingerostetes Bewusstsein doch etwas in Bewegung.
Er verkündete überall, dass Er gekommen sei, um uns aufzurütteln und unser Gedächtnis aufzufrischen. Er wolle uns nichts anderes beibringen, als uns selbst wiederzufinden, so wie wir in Wahrheit in der Tiefe unseres Wesens sind.
“Bist du gekommen, um das Gesetz neu zu erfinden?” wurde Er selbst in den demütigsten Kreisen oft gefragt. Er gab darauf immer dieselbe Antwort: “Das Gesetz ist das Gesetz. Da es göttlich ist, kann man es weder erfinden noch verändern oder zerstören. Mein Vater hat mich nur gebeten, die schönsten Seiten dieses Gesetzes von dem Vergessen zu befreien, von dem es überschattet wird …”
Ich erinnere mich, dass es einfachen Menschen leider sehr schwerfiel, die Tragweite dieser Worte zu verstehen. Nun sollte das Volk, dessen Verhalten von Priestern diktiert und reglementiert wurde, und das an Rituale gewöhnt war, deren tieferen Sinn es nicht verstand, auf einmal selbstständig denken!