Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 608 - Sabine Stephan - E-Book

Die Welt der Hedwig Courths-Mahler 608 E-Book

Sabine Stephan

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Beschreibung

Sie will sich nicht in ihn verlieben! Schließlich ist Dr. Ulrich Philipi der Mann einer anderen. Als die junge Sekretärin Julia Menges dann aber merkt, wie sehr der sensible Wissenschaftler unter seiner reichen, hysterischen Frau leidet, hat sie Mitleid mit ihm. Und schließlich geschieht es doch, und sie verliebt sich in ihren Chef!
Mit der Eifersucht und dem unerbittlichen Hass seiner schönen Frau hat sie allerdings nicht gerechnet. Was Carla einmal besitzt, gibt sie nicht wieder her, und ihren Mann will die mächtige Konzernchefin ganz bestimmt nicht an eine kleine Sekretärin verlieren ...


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Inhalt

Cover

Spiel mit hohem Einsatz

Vorschau

Impressum

Spiel mit hohem Einsatz

Der Mann, den Julia liebt, gehört einer anderen

Sie will sich nicht in ihn verlieben! Schließlich ist Dr. Ulrich Philipi der Mann einer anderen. Als die junge Sekretärin Julia Menges dann aber merkt, wie sehr der sensible Wissenschaftler unter seiner reichen, hysterischen Frau leidet, hat sie Mitleid mit ihm. Und schließlich geschieht es doch, und sie verliebt sich in ihren Chef!

Mit der Eifersucht und dem unerbittlichen Hass seiner schönen Frau hat sie allerdings nicht gerechnet. Was Carla einmal besitzt, gibt sie nicht wieder her, und ihren Mann will die mächtige Konzernchefin ganz bestimmt nicht an eine kleine, bedeutungslose Sekretärin verlieren ...

Im Vorzimmer von Dr. Ulrich Philipi herrschte an diesem Vormittag hektische Betriebsamkeit. Julia Menges, die junge Aushilfssekretärin, lief mit hochrotem Kopf nervös zwischen dem kleinen Konferenzraum und dem Vorzimmer hin und her. Es war das erste Mal, dass sie die Sitzung des Aufsichtsgremiums der Firma »Ceresi-Chemie« vorbereiten musste. Sie arbeitete erst seit drei Wochen für Dr. Philipi, dessen Sekretärin krank geworden war.

»Ausgerechnet jetzt«, hatte Dr. Philipi gestern zu ihr gesagt, »musste meine Frau eine Sitzung anberaumen. Meinen Sie, dass Sie es schaffen werden? Ich kann Ihnen da keine rechte Hilfe sein. Das hat Frau Stein immer ganz allein gemacht.«

»Fräulein Dober hilft mir sehr«, hatte Julia geantwortet, »sie hat das ja mit Frau Stein immer zusammen gemacht.«

Dennoch hatte Julia in der vergangenen Nacht schlecht geschlafen. Immer wieder hatte sie sich die Einzelheiten ins Gedächtnis gerufen, ab und zu ihre Nachttischlampe angeschaltet und sich auf einem Zettel Notizen gemacht.

Jetzt schaute sie auf die Uhr. Schon neun durch, in einer Stunde begann die Sitzung.

»Haben Sie an die Notizblöcke gedacht?«, fragte Lilo Dober, die in der Tür zwischen Konferenzraum und Vorzimmer stand.

»Natürlich nicht.« Julia eilte hinaus.

»Aber ich«, sagte Lilo lächelnd, »nur nicht aufregen, Fräulein Menges, wir packen das schon.«

Lilo hatte eine unbekümmerte, burschikose Art und war stets hilfsbereit und freundlich. Julia wusste jedoch auch, dass die erst achtzehnjährige Kollegin ein bisschen nachlässig war. Hundertprozentig verlassen konnte sie sich nicht auf sie.

»Na, die Damen, alles vorbereitet?« Der Chef stand in der Tür, ohne dass die beiden Mädchen ihn hatten kommen hören.

Dr. Ulrich Philipi füllte mit seinen eins fünfundachtzig fast den ganzen Türrahmen aus. Wie immer trug er einen Nadelstreifenanzug mit Weste und eine dunkelgraue Fliege. Sein schwarzes Haar war streng gescheitelt, lediglich der sorgfältig gestutzte Kinnbart gab seinem überkorrekten Aussehen einen etwas kecken Anstrich.

»Guten Morgen, Herr Doktor«, sagte Julia etwas erschrocken. »Mir fehlen nur noch die Mappen mit den Unterlagen. Ich sollte sie doch den Teilnehmern an ihren Plätzen zurechtlegen.«

»Hat Nevermann die denn noch nicht gebracht?«, fragte Dr. Philipi leicht irritiert.

Wie aufs Stichwort erschein ein kleines älteres Männchen mit Zwicker auf der Nase in der Tür. Nevermann war kurz vor der Pensionsgrenze und so etwas wie ein Inventarstück der Firma Ceresi. Er war schon unter Philipis Schwiegervater, Konsul Ceresi, Prokurist geworden und sowohl der Firma als auch der Familie Ceresi treu ergeben.

Unter dem Arm hatte Nevermann fünf Akten. Er trug einen schwarzen Anzug und wirkte heute noch mehr als sonst wie der Inhaber eines Bestattungsunternehmens.

»Herr Doktor, die Unterlagen«, sagte er eilfertig, »ich habe sie eben aus dem Tresor genommen.«

»Geben Sie sie Fräulein Menges«, erwiderte Dr. Philipi und wollte sich abwenden.

»Oh nein.« Nevermann verbeugte sich zwar devot, als Dr. Philipi ihn erstaunt ansah, aber irgendetwas in seiner ganzen Haltung drückte Widerstand, ja Aufsässigkeit aus.

»Die gnädige Frau hat mir ausdrücklich aufgetragen, dass ich die Unterlagen auf gar keinen Fall vor Beginn der Sitzung aus der Hand geben darf.«

»Na schön.« Ulrich Philipi wurde bereits etwas ungeduldig. »Die Sitzung beginnt in zehn Minuten. Und nun haben Sie sie mir übergeben. Damit wäre alles in Ordnung.«

Doch Nevermann blieb ungerührt stehen, die Akten fest unter dem Arm.

»Entschuldigen Sie, Herr Doktor.« Der kleine alte Mann wand sich vor Verlegenheit. »Ich habe einmal eine Anordnung der gnädigen Frau nicht genau befolgt, und sie hat mir mit Entlassung gedroht, falls es sich wiederholt.«

Mit diesen Worten schlich er sich an Julia vorbei ins Konferenzzimmer und drückte sich an die Wand, als wollte er unsichtbar werden.

»Ich warte hier auf die gnädige Frau«, sagte er dann leise.

Erstaunt hatte Julia das Ganze verfolgt. Zwar war ihr in den drei Wochen ihrer Tätigkeit für Dr. Philipi aufgefallen, dass ziemlich häufig die Aufforderung an sie erging: »Das muss meine Frau in Kopie bekommen«, aber gesehen hatte sie die Frau des Chefs noch nie.

»Vor der müssen Sie sich in Acht nehmen«, hatte Lilo einmal gesagt, als die Sprache auf Frau Philipi gekommen war. »Die hat hier das Sagen, nicht er.« Und dabei hatte sie vielsagend Richtung Chefzimmer gedeutet.

Auf dem Flur vor der Chefsuite wurde das schrille Lachen einer Frau hörbar, und ehe Dr. Philipi seiner Empörung über Nevermanns Verhalten Ausdruck verleihen konnte, wurde die Tür geöffnet. Ein Herr etwa Mitte dreißig gab den Eingang frei für eine ungewöhnlich schöne, elegante Dame. Sie rauschte förmlich ins Büro, gefolgt von einer Gruppe von vier Herren.

Carla Philipi trug ein kesses Hütchen mit einer langen Feder, lachsfarben, mit einem angedeuteten schwarzen Schleier. Ihr sommerliches Kostüm hatte die gleiche Farbe wie der Hut, und unter der Jacke trug sie eine durchsichtige schwarze Bluse. Trotz ihrer Größe trug sie hochhackige Pumps, die die Wirkung ihrer unglaublich langen, schlanken Beine noch erhöhten.

Ohne einen Blick auf Julia oder Lilo zu werfen, ging sie raschen Schrittes in den Konferenzraum. Schon in der Tür drehte sie sich halb zu ihrem Mann um, der stehen geblieben.

»Nun, Uli, mein Bester, wie sieht es aus?«, sagte sie. »Ich hoffe, wir können sofort anfangen. Ich habe um elf einen Termin beim Masseur.«

Träge löste sich Dr. Philipi aus seiner Stellung in der Tür und begrüßte die Begleiter Carlas, den Rechtsberater der Firma, Dr. Jaroselski, den Rechtsberater der Familie Ceresi, Dr. Erlenbusch, den Wirtschaftsprüfer Dr. Fabri und seinen Schwiegervater, den Konsul Ceresi.

Im Konferenzraum war Carla sofort zu ihrem Platz an der Stirnseite des langen Konferenztisches geeilt.

»Ich vermisse die Unterlagen«, sagte sie herrisch. Da löste sich Nevermann aus seiner Erstarrung, ging auf Carla zu und machte eine devote Verbeugung.

»Hier sind sie, gnädige Frau. Ich habe sie nicht aus der Hand gegeben.«

»Bravo, Nevermann. Geben Sie her!« Carla Philipi sprach zu dem alten Mann, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.

Julia, die das Ganze von der Tür des Vorzimmers aus beobachtete, dachte, so etwas habe ich auch noch nicht erlebt. Sie kann tatsächlich durch einen Menschen hindurchsehen.

»Nun, meine Herren, wo bleiben Sie denn?«, fragte Carla ungeduldig.

Eilfertig, bis auf ihren Vater und Ulrich Philipi, kamen die Herren an den Tisch.

»Wo bleibt denn Frau Stein?«, fragte Carla, und diesmal sah sie ihren Mann an.

»Frau Stein ist krank.« Ulrich Philipi sagte das ganz gelassen. Er war sich wohl kaum der Wirkung bewusst, die diese Mitteilung auf seine Frau hatte.

»Was heißt denn krank? Frau Stein war noch nie krank, seit ich sie kenne.«

»Dann ist sie eben jetzt das erste Mal krank. Ich kann es nicht ändern.«

»Wieso erfahre ich das erst jetzt? Ich brauche jemanden, der Protokoll führt, das weißt du doch ganz genau.«

»Fräulein Menges, bitte, kommen Sie.« Dr. Philipi hatte sich ungerührt den Ausbruch seiner Frau anhört. »Das ist Fräulein Menges. Sie kommt von einer Arbeitsvermittlung. Sie arbeitet seit drei Wochen bei uns und ist sehr tüchtig.«

Etwas unbehaglich stand Julia Menges neben Dr. Philipi, der, weit weg von seiner Frau, am unteren Ende des Tisches Platz genommen hatte.

»Guten Tag, gnädige Frau«, sagte Julia höflich, doch Carla musterte sie nur mit einem kurzen Blick.

»Was soll das heißen?«, fuhr sie dann mit sich überschlagender, schriller Stimme ihren Mann an. »Willst du damit sagen, dass du es nicht für nötig hältst, mit mir über eine so wichtige Personalentscheidung zu sprechen? Wer ist denn dieses junge Ding, dass sie in einer für das Werk entscheidenden Sitzung Protokoll führt, dass sie Dinge erfährt, die nicht nach draußen dringen dürfen? Hast du dir eigentlich die Konsequenzen überlegt?«

»Carla, bitte!« Das war Konsul Ceresi, bis vor drei Jahren Inhaber der Firma. Wegen seines labilen Gesundheitszustandes hatte er die Geschäftsleitung seinem Schwiegersohn übertragen, allerdings ohne Vollmachten. Die lagen allein bei seinem einzigen Kind, seiner Tochter Carla. Der Konsul atmete geräuschvoll, er litt unter schwerem Asthma und lebte seit seinem Austritt aus der Firma größtenteils in der Schweiz. »Kind, können wir das nicht in Ruhe besprechen?«

»Entschuldige, Papa, aber ich kann das nicht tolerieren. Ulrich kennt genau die Bedingungen, aber er hält sich nicht daran. Er ist eine lebende chemische Formel, aber er ist eine Niete, was das Kaufmännische betrifft.«

Bei dieser Bemerkung war Ulrich Philipi rot geworden, ob vor Verlegenheit oder Zorn, das ließ sich zunächst nicht erkennen. Verlegen jedenfalls waren die beiden Juristen und der Wirtschaftsprüfer. Sie blickten je nach Temperament vor sich hin, kritzelten auf den bereitliegenden Notizblöcken oder blätterten in den Akten.

Warum wehrt er sich nicht? Warum sagt er nichts? Julia wusste nicht, ob ihr dieser sonst so sympathische Mann leidtun oder ob sie ihn verachten sollte.

»Also, mit dieser Dame arbeite ich nicht zusammen. Nevermann ...« Der kleine Prokurist hatte sich gerade in Bewegung gesetzt und wollte den Raum verlassen. »... sind Sie in der Lage, ein Protokoll mitzuschreiben?«

Der vom vielen Sitzen am Schreibtisch – und vielleicht auch von den zahlreichen Verbeugungen – gekrümmte Rücken des alten Mannes straffte sich.

»Selbstverständlich, gnädige Frau!«, versicherte er.

»Dann setzen Sie sich hier neben mich.« Und damit wollte Carla zur Tagesordnung übergehen.

»Wenn du meinst, dass du meine Entscheidungen so übergehen kannst, und wenn du außerdem der Meinung bist, dass ich auf kaufmännischem Sektor eine Niete bin, dann musst du auf meine Gegenwart verzichten.«

Niemand der Anwesenden hatte jetzt mehr mit einer Reaktion Dr. Philipis gerechnet. Erstaunte Blicke folgten ihm daher, als er ruhig und gelassen aufstand und den Raum verlassen wollte.

»Das kommt nicht infrage. Du bleibst hier!«, fuhr Carla ihn an. »In diesem Fall bist du mein Angestellter, und ich wünsche, dass du der Sitzung beiwohnst.«

Ulrich Philipi lächelte verhalten.

»Du solltest deine Ausbrüche einmal auf Tonband aufnehmen, Liebling.« Damit wandte er sich ab und verließ den Konferenzraum.

♥♥♥

Julia war schon vor Dr. Philipi ins Vorzimmer gegangen, als Carla Nevermann zum Protokollführer bestimmt hatte. Sie sah, wie ihr Chef lächelnd das Konferenzzimmer verließ und sanft die Tür hinter sich schloss.

»Entschuldigen Sie bitte das Verhalten meiner Frau«, bat er Julia. »Und schauen Sie nicht so entsetzt.« Er wollte in sein Zimmer gehen.

»Herr Doktor, ist mein Vertrag damit beendet?«, fragte Julia.

In der Tür wandte sich der große Mann um. Er sah jetzt aus wie ein verletztes Tier; seine großen dunklen Augen waren voller Trauer. Noch nie hatte Julia einen solchen Ausdruck von fast fühlbarer Resignation im Gesicht eines Menschen gesehen.

»Wo denken Sie hin«, sagte er dennoch in munterem Ton. »Ich habe Sie für sechs Wochen eingestellt, und dabei bleibt es.« Damit verschwand er in seinem Büro.

»Das war mal wieder ein bühnenreifer Auftritt«, sagte Lilo.

»Der Chef tut mir leid«, gestand Julia, und als sie es aussprach, da wurde ihr bewusst, dass sie plötzlich an dem Menschen Ulrich Philipi interessiert war, in dem sie bisher nur den Chef gesehen hatte.

Dieser gescheite Mann, dem in der Fachwelt Lob und Anerkennung für seine Fähigkeiten als Chemiker und Physiker zuerkannt wurden, musste sich von seiner Frau in dieser Weise bloßstellen lassen. Was bewog ihn nur, das alles so gelassen hinzunehmen? Das Geld? Schließlich gehörte die Firma seiner Frau, und es war ein Unternehmen, das in der Branche nicht nur Weltruf genoss, sondern auch Millionen Umsätze machte.

Und da beneidet man immer Leute, die Geld haben, dachte Julia. Wieso eigentlich?

Die Sitzung schien tatsächlich ohne Dr. Philipi ihren Gang zu nehmen. Kein Laut drang durch die schwere, gepolsterte Doppeltür des Konferenzraumes hinaus ins Vorzimmer. Julia arbeitete Akten auf, und Lilo hockte hinter ihrer Schreibmaschine.

»Sie haben es gut, Julia, noch drei Wochen, dann können Sie gehen«, sagte sie unvermittelt. »Und ich bin dann wieder diesem alten Drachen ausgeliefert.«

»Frau Stein?«, fragte Julia. »Ist sie so schlimm?«

»Schlimm ist gar kein Ausdruck. Sie ist mit der Firma Ceresi verheiratet. Na ja, ich habe meine Fühler schon ausgestreckt. Lange halte ich das hier nicht mehr aus«, sagte sie und wandte sich wieder ihren Schreibarbeiten zu.

»Und Doktor Philipi? Er mag sie?«, fragte Julia.

»Danach wird hier doch nicht gefragt«, erwiderte Lilo. »Nein, ich glaube, er mag sie nicht. Und sie? Sie hasst ihn, weil sie seine Frau vergöttert. Sie kannte diese herrschsüchtige Zicke bereits als kleines Mädchen. Wie die die Chefin anhimmelt, das ist kaum zu glauben. Dass sie nicht vor ihr auf die Knie fällt, ist alles. Und den Chef, na, den behandelt sie so von oben herab und lässt ihn immer spüren, dass sie seine Anweisungen erst von dieser Carla absegnen lässt.«

»Irgendwie verstehe ich das nicht. Der Chef ist doch nicht dumm, warum lässt er sich das gefallen?«

»Nicht dumm?« Lilo schnaubte vor Entrüstung. »Der ist viel zu gescheit für diesen Laden. Ich sage Ihnen, was der da oben hat«, erklärte sie und tippte sich an die Stirn, »das ist normalerweise auf mindestens sechs Gehirnkästen verteilt.«

Julia wusste, dass Dr. Philipi ein gefragter Wissenschaftler an der Berliner Universität gewesen war, ehe er die Ceresi-Erbin geheiratet und die Karriere als Professor aufgegeben hatte. In seinem Büro hingen etliche Diplome und gerahmte Zeitungsausschnitte über internationale Ehrungen. Wie alt mochte er sein? Höchstens achtunddreißig, dachte Julia, obwohl er durch sein distinguiertes Auftreten älter wirkte. Ein Mann also, der offenbar sehr früh Karriere gemacht hatte.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sich die Tür des Konferenzraumes öffnete und Nevermann erschien. Der kleine Mann schien an seiner Aufgabe gewachsen zu sein; jedenfalls wirkte er plötzlich selbstsicher und sogar eine Spur arrogant.

»Wo bleibt der Kaffee, meine Damen? Haben Sie nicht vorgesorgt?«, fragte er knapp.

»Ich brauche nur in der Kantine anzurufen. Es ist alles vorbereitet«, antwortete Julia.

»Dann tun Sie das«, befahl Nevermann, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder.

Julia rief sofort in der Kantine an. Wenig später stand Dr. Philipi in Mantel und Hut im Vorzimmer.

»Meine Damen, ich gehe dann. Und von mir aus können Sie auch Schluss machen. Wir werden ja wohl nicht gebraucht.«

»Aber es ist doch erst halb elf, Herr Doktor«, gab Julia verwundert zurück.

»Na und? Ich gebe Ihnen frei, weil ich mir freinehme. Morgen tun wir dann ein bisschen mehr.« Er lächelte, hob die Hand leicht zum Gruß an den Hut und verschwand.

»Das machen wir besser nicht«, meinte Lilo. »Sein Wort in Gottes Ohr, aber es gilt hier nicht viel.«

Kurz vor elf Uhr wurde die Tür des Konferenzraumes geöffnet, Nevermann betätigte sich als Türsteher und ließ die Teilnehmer einzeln an sich vorbeiziehen. An der Spitze ging Carla Philipi, ihr folgten die drei Doktoren, und wenig später waren alle auf dem Gang verschwunden.

Konsul Ceresi war noch im Konferenzraum. Er nahm gerade eine Medizin, als Julia eintrat. Nevermann war hinter der Vierergruppe hergeeilt, ohne auf den Konsul zu warten.

»Nun, mein Kind.« Der Konsul erhob sich schwer atmend von seinem Platz. »Sie haben das Ganze vorhin hoffentlich nicht tragisch genommen. Meine Tochter ist verzogen, müssen Sie wissen. Ja, ich habe wohl versäumt, ihr als Kind mal ordentlich den Hintern zu verhauen. Aber das ließ meine Frau nicht zu. Leider.« Er lächelte Julia aufmunternd zu, und als er in der Tür zum Flur stand, fragte er: »Wo ist eigentlich mein Schwiegersohn?«

»Er ist gegangen, vor einer halben Stunde«, erwiderte Julia.

»So, so. Das war ja wohl das Gescheiteste.« Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, da wurde die Tür unsanft aufgestoßen. Als Nevermann den Konsul so unmittelbar vor sich stehen sah, da schrumpfte er wieder auf seine Lakaienstatur zurück.

»Oh, Verzeihung, Herr Konsul«, murmelte er. »Aber die gnädige Frau vermisst Sie.«

»So, tut sie das?« Der Konsul lächelte maliziös. »Na, dann bestellen Sie ihr mal, dass Sie mich wiedergefunden haben.« Er wandte sich Julia und Lilo zu, deutete eine leichte Verbeugung an und verabschiedete sich mit einem: »Meine Damen, einen schönen Tag noch.«

Lilo kicherte, als sich die Tür endgültig geschlossen hatte.

»Lauter Spinner, Spinner, die Geld haben«, sagte sie lachend. »Mit keinem von denen möchte ich privat ein Wörtchen reden. Die können von mir aus in Champagner baden, trotzdem stinken sie nach Geld.« Mit diesen Worten ging sie in den Konferenzraum, um aufzuräumen.

♥♥♥