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Spitzenhöschen, Strampler und winzige Babyschuhe - für Marion und ihre beiden fast erwachsenen Töchter - fünfzehn und siebzehn - ist es ein ungeheurer Spaß, auf dem Speicher in der Vergangenheit zu wühlen. Und was dabei alles für Schätze zutage treten!
Doch Marion findet, dass es jetzt an der Zeit ist, sich von den Babysachen zu trennen und sie im Secondhandladen »Esposa« zu veräußern. Hier braucht sie ja doch keiner mehr. Der Storch wird ja wohl kaum mehr eine »vierzigjährige Mumie«, wie ihre Töchter sie gern bezeichnen, ins Bein beißen - oder?
Doch das Unglaubliche geschieht: Kaum sind die winzigen Sachen aus dem Haus, meldet sich Nachwuchs an ... und das gleich bei Mutter und Tochter!
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Seitenzahl: 105
Cover
Gemeinsam im Babyglück
Vorschau
Impressum
Gemeinsam im Babyglück
Wenn Mutter und Tochter zur selben Zeit schwanger werden
Von Sabine Stephan
Spitzenhöschen, Strampler und winzige Babyschuhe – für Marion und ihre beiden fast erwachsenen Töchter – fünfzehn und siebzehn – ist es ein ungeheurer Spaß, auf dem Speicher in der Vergangenheit zu wühlen. Und was dabei für Schätze zutage treten!
Doch Marion findet, dass es jetzt an der Zeit ist, sich von den Babysachen zu trennen und sie im Secondhandladen »Esposa« zu veräußern. Hier braucht sie ja doch keiner mehr. Der Storch wird ja wohl kaum mehr eine »vierzigjährige Mumie«, wie ihre Töchter sie gern bezeichnen, ins Bein beißen – oder?
Doch das Unglaubliche geschieht: Kaum sind die winzigen Sachen aus dem Haus, meldet sich Nachwuchs an ... und das gleich bei Mutter und Tochter!
»Liebes, du bist so unruhig.«
Die ältere Dame führte ein Tässchen Mokka an die Lippen und blies wohlig über den Rand. Dabei musterte sie ihre Schwiegertochter, die mit einem feuchten Küchentuch den Tisch wienerte, als hieße es, tiefe Löcher in die Platte zu scheuern.
»Wir haben uns viel vorgenommen«, erwiderte Marion Menzel ungeduldig und wischte die geblümten Sets ab. »Ich brauche den Esstisch.«
Luise Menzel überhörte die indirekte Aufforderung, den Platz zu räumen, und nippte am Tässchen. Sie schloss genießerisch die Augen und lächelte das Lächeln, das ihre Schwiegertochter schon so manches Mal fast in den Wahnsinn getrieben hatte.
»Heute hatten wir auch gar keinen Nachtisch, Liebes«, meinte sie nun in aller Seelenruhe und schüttelte leicht den Kopf. »Du hast es wohl ganz vergessen, nicht?«
Oma Luise lebte seit zehn Jahren im Haus ihres einzigen Sohnes. Sie hatte seinerzeit ihren fünfzigsten Geburtstag zum Anlass genommen, ein neues Leben zu beginnen. Dieses Leben hatte sich grundlegend von ihrem früheren unterscheiden sollen. Im früheren hatte Luise Menzel hart arbeiten müssen. Ihr Mann war früh gestorben, und so hatte sie allein den Lebensunterhalt für sich und ihren kleinen Sohn bestreiten müssen.
Heute erinnerte nichts mehr an die Zeit, in der es für Luise geheißen hatte, sich abzurackern und doch zu entbehren, um ihrem Sohn Thomas alles bieten zu können, was anderen Kindern selbstverständlich gewesen war. Sie hatte ihm eine ausgezeichnete Schulbildung ermöglicht und dafür gesorgt, dass das hoch talentierte, stille Kind ein erfolgreicher Student geworden war.
Seine Liebe zu den Griechen und Römern hatte ihn zum Genie der alten Sprachen werden lassen. Die Universitätslaufbahn schien vorbestimmt – wenn da nicht die junge Marion gewesen wäre, der es gelungen war, ganz andere Seiten in Thomas zum Klingen zu bringen. Sie hatte ihren Mann niemals vom Studium abbringen wollen, aber das Leben hatte für sie beide einfach einen anderen Weg vorgesehen.
Luise Menzel war es gewesen, die ihrem »Jungen« eine pädagogische Laufbahn nahegelegt hatte.
»Kind, bedenke«, hatte sie Thomas geraten, »als Lehrer wird dir neben der Wissenschaft Zeit für eine eigene Familie bleiben.«
So war es gekommen, dass Thomas Gymnasiallehrer für Griechisch und Latein geworden war. Immerhin die Kollegen nannten ihn, den Ernsthaftesten aus ihrem Kreis, den »Professor«.
Und dieser Mann war seiner Mutter dankbar, solang er zurückdenken konnte. Was er war, das war er durch sie. Was er hatte, das hatte sie für ihn erreicht. Und was ihn freute, das wollte er deshalb auch uneingeschränkt mit seiner Mutter teilen.
Diese hatte nun vor eben jenen zehn Jahren, als sie beschlossen hatte, ihr Leben zu ändern und das Arbeiten anderen zu überlassen, nicht lange überlegen müssen, als Thomas ihr einen Vorschlag gemacht hatte.
»Natürlich ziehe ich zu dir!«, hatte sie erfreut zugestimmt.
»Und lass dich von uns mal so richtig verwöhnen«, hatte Marion, die Schwiegertochter, leichthin hinzugefügt.
Doch indem Luise zu Thomas gezogen war, zog sie natürlich in erster Linie zu seiner Familie. Und wer hatte die Arbeit – wenn es denn welche gab? Marion, natürlich. Dumm nur, dass ihr das damals nicht so ganz bewusst gewesen war.
Sie hatten Oma Luise freudig in ihre Mitte genommen, die Eltern und die Töchter. Seitdem genoss Oma Luise das Verwöhntwerden – sie genoss es bereits zehn Jahre lang und rührte immer noch keinen Finger. Sie lebte das Leben einer Grande Dame, ging gesellschaftlichen Verpflichtungen nach, bastelte für den Adventsbasar der Kirche, wanderte mit ehemaligen Klassenkameradinnen, saß einem Stammtisch vor und spielte einmal in der Woche Bridge.
Für das leibliche Wohl, einen sauberen Haushalt, frische Wäsche, einen vollen Kühlschrank und all den Rest sorgte Marion – ausschließlich Marion!
Dafür unterstützte Oma Luise die Jüngere bei der Erziehung der inzwischen siebzehnjährigen Philippa und der fünfzehnjährigen Flora. Und das gab Anlass für allerhand Probleme und Streitgespräche. Es war ein ständiger Reibungspunkt zwischen Mutter und Oma ...
Eben stellte die alte Dame ihr Mokkatässchen mit einem leisen Klirren auf der Untertasse ab.
Sie mochte es gar nicht, wenn Marion einen Einwand überhörte. Deshalb kam sie noch einmal auf den fehlenden Nachtisch zurück.
»Du hättest doch schnell noch etwas von diesem Pudding anrühren können, diesem Pulver, das man nur in kalte Milch geben muss. Und wenn das noch zu viel Arbeit gemacht hätte, denn ich will dich natürlich nicht überfordern, Liebes, dann hättest du schnell eines der Mädels in den Keller schicken können, damit wenigstens eingemachtes Obst auf den Tisch kommt.« Und mit einem Seufzer fügte sie noch hinzu: »Thomas ist von zu Hause her ein komplettes Mittagsmahl gewohnt. Ich selbst habe seinerzeit nie versäumt ...«
»Thomas hasst Süßes«, unterbrach Marion die Schwiegermutter mit einem säuerlichen Blick.
»Musst du auch immer so viel Zucker verwenden!«
»Du warst es, die mit dem Nachtisch angefangen hat«, verteidigte sich Marion verärgert und räumte einfach das Mokkageschirr ihrer Schwiegermutter vom Tisch.
»Diesmal bitte mit einem winzigen Tröpfchen Milch, ja?«, flötete die Sechzigjährige hinter der Hausfrau her.
Marion drehte sich um, atmete tief durch und sagte: »Es tut mir leid, Luise. Ich bekomme Ärger mit Thomas, wenn er erfährt, dass du so viel Kaffee trinkst.«
Wenn Thomas auf den Plan gerufen wurde, gab Luise immer sofort nach. Sie erhob sich sogar, zwar aufreizend langsam, aber immerhin machte sie deutliche Anstalten, Marion das Esszimmer zu überlassen.
»Ich störe ja doch nur«, klagte sie leidend.
»Im Gegenteil!«, rief Marion aus der Küche heraus. »Wenn wir alle in die Hände spucken, sind wir heute Abend fertig.«
»Was hast du eigentlich vor?«
»Frühjahrsputz. Großreinigung. Entrümpelung!«
Marion breitete in einem Anflug von Begeisterung und Tatendrang die Arme aus und strahlte.
Luise schüttelte den Kopf.
»Ach, ihr jungen Hühner! Kaum blinzelt die Sonne ein bisschen hinter den Winterwolken hervor, und es fängt an, ein wenig wärmer zu werden, kommt ihr mit solchen Vorschlägen.«
»Winterwolken? Schau mal raus! Sieh, was schon alles blüht. Die Vögel singen. Die Menschen beginnen, sich wieder zu freuen und ...«
»Und Marion muss putzen«, beendete Luise ihren Satz mit einer hochgezogenen Augenbraue. Dann legte sie die Hand auf den Türgriff, um die übergeschnappte Schwiegertochter mit ihrer Putzwut allein zu lassen. »Bei so einem Quatsch wirst du auf mich verzichten müssen.«
In dem Moment öffnete sich die Esszimmertür, und allein die Geistesgegenwart der Großmutter verhinderte, dass sie mit ihrer jüngsten Enkelin zusammenstieß.
Ein schmales Mädchen mit fein geschnittenen Gesichtszügen, großen rehbraunen Augen und langem seidigem kastanienbraunem Haar schob sich durch die Tür. Die Fünfzehnjährige lächelte und ließ entzückende Grübchen in den Wangen erkennen.
»Flora, dich schickt der Himmel!« Marion trat auf ihre Kleine zu, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und meinte lachend: »Früher musste ich mich bücken, um dich zu küssen. Heute muss ich schon den Kopf in den Nacken legen.«
»Und es dauert noch ein paar Jahre, bis sie ausgewachsen sind«, unkte Luise, immer noch im Gehen.
»Wo willst du denn schon hin, Oma?«
»Deine Mutter macht mich nervös. Sie nennt es Frühjahrsputz und will, dass ich alte Frau dabei bin.«
Flora grinste spitzbübisch. »Oma soll helfen?«
Marion zwinkerte belustigt, aber Luise zog die Brauen hoch und drohte spielerisch mit dem Zeigefinger.
»Ich kann dir leider auch nicht helfen, Mami«, stellte das Mädchen schnell klar. »Wirklich schade, wenn ich bedenke, wie sehr du dich gefreut hast, als ich gekommen bin. Aber ich habe unglaublich viele Hausaufgaben auf. Ziemlich komplizierte außerdem.« Schnell wollte sie sich hinter ihrer Großmutter aus dem Zimmer stehlen, da fiel ihr noch etwas ein. »Philippa hat heute in den letzten beiden Stunden Sport. Danach ist sie immer so fertig, dass sie unmöglich Geistiges vollbringen kann. Frag sie doch, ob sie dir beim – Frühjahrsputz hilft.«
Marion war es auch recht, wenn sie allein schalten und walten konnte. Manchmal ging es dann sogar schneller. Flora war ihr Sonnenschein. Das Mädchen konnte alles mit ihr machen. Die Mutter sah ihr jede Schandtat nach. Thomas ging es ebenso, und selbst Philippa sprach von der Fünfzehnjährigen als von ihrer allerliebsten kleinen Schwester. Dass sie nur diese eine Schwester hatte, war egal. Für Philippa, die äußerst sparsam lobte, war es ein unbedingt ernst gemeinter Liebesbeweis.
♥♥♥
Marion hatte die untere Etage bereits durchgeputzt, als ihre älteste Tochter die Haustür aufschloss.
»Du musst dir das Essen heute selbst warm machen!«, rief Marion ihr zu.
Da keine Antwort kam, eilte sie in die Küche.
Philippa sah nur kurz auf. Sie hatte bereits die Platten unter den Töpfen angemacht und rührte in einer Kasserolle mit Gulasch.
»Hoffentlich ist es nicht zu scharf gewürzt«, sagte Marion und wartete wieder vergeblich auf Antwort. »Die Zwiebeln kannst du ja auf den Tellerrand schieben. Weißt du, ich hatte nicht mehr daran gedacht, dass du sie nicht magst, weil die anderen mir die Hölle heißmachen, wenn ich sie weglasse.«
Philippa nahm den bereitstehenden Teller zur Hand und füllte sich auf. Sie behandelte Marion weiterhin konsequent, als wäre sie Luft.
»Ist irgendetwas passiert, Phili?«
Marion hätte die Frage am liebsten im selben Moment zurückgenommen. Sie sollte doch endlich daran gewohnt sein, dass ihre Älteste nur sprach, wenn sie Lust dazu hatte. Marion gelang es nur noch selten, zu ihr durchzudringen. Und sie liebte die Momente, da Philippa sich wieder in ihre fröhliche, anschmiegsame Große zurückverwandelte.
»Sie ist jetzt in diesem schwierigen Alter«, erklärten ihr Marions Freunde. »Lass sie von selbst zu dir kommen.« Und dann versuchten sie, die zweifache Mutter zu trösten: »Das wächst sich aus, wenn die Pubertät vorüber ist.«
Marion kam es so vor, als warte sie seit Jahren auf diesen Zeitpunkt. Sogar die Großmutter spekulierte an Tagen, da sich Marion mit Philippa nicht mehr auskannte: »Vielleicht machst du etwas falsch, Liebes.«
Philippa sah auf und ihrer Mutter in die Augen.
»Nichts ist los«, sagte sie, setzte sich mit ihrem Mittagessen an den Küchentisch und angelte nach Zwiebelstücken.
Natürlich, nichts war los. Marion musterte das hübsche Mädchen. Es glich seiner jüngeren Schwester, war ebenso zierlich und feingliedrig und wirkte doch schon sehr fraulich. Die reizenden Grübchen ließ Philippa im Gegensatz zu ihrer Schwester nur ganz, ganz selten sehen, weil sie ihre Grübchen eben bei sich hässlich fand, und es bestand auch einfach kein Grund zum Lachen.
»Sag mir kurz Bescheid, wenn du wieder gehst«, bat Marion, weil sie aufgegeben hatte, noch an diesem Tag mit ihrer Phili eine Sinn bringende Unterhaltung zu beginnen.
»Wo soll ich denn hingehen?«
»Willst du denn gar nicht mehr weg?«, fragte Marion überrascht, weil Philippa immer irgendetwas vorhatte.
Das Mädchen schüttelte den Kopf und sah seine Mutter ganz unerwartet freundlich an.
»Du wolltest doch diesen großen Hausputz machen.«
»Ja?«
»Na, und ich werde dir helfen.«
Da waren die Grübchen!
Marion jubelte innerlich, ließ sich aber ihre Freude über Philippas plötzliche Zugänglichkeit nicht anmerken, sondern schlug froh gelaunt vor: »Dann machen wir zusammen den Speicher, wenn du fertig gegessen hast.«
»Gerne.«
Es gab wirklich Wunder! Ach, was war das Leben schön!
♥♥♥
»Aber Mami, hier ist doch alles schon ganz ordentlich.«
Philippa war ihrer Mutter die schmale, wacklige Speicherstiege hinauf gefolgt, hatte den Kopf eingezogen und war auf Knien durch die quadratische Luke gekrochen. Die nackte Glühbirne im Gebälk brannte und ließ den Blick auf gelbe Isoliermatten an den Wänden und zwischen den Dachsparren zu. Philippa kam von der Hocke in den Stand, musste aber immer noch höllisch aufpassen, dass sie sich nicht stieß.
Kopfschüttelnd beobachtete sie ihre Mutter, die mit beiden Händen an einem riesigen Umzugskarton zerrte.
Marion drehte sich um.
»Da bist du ja!«, rief sie erfreut. »Du musst vorsichtig sein, ich bin gerade schon über Floras alte Rollschuhe gestolpert, du siehst sie kaum neben dem Kamin.«
Philippa bückte sich und nahm gedankenverloren einen Rollschuh in die Hand. Fast zärtlich strich sie über die abgewetzte grüne Bremsnoppe.
»Weißt du noch, Mami«, meinte sie, »ich hatte welche mit roten Bremsen.«
Marion lachte. »Ja, die fliegen hier auch irgendwo rum.«
»Was ist denn in all diesen Kisten?«
»Auf den meisten steht's ja drauf.«
Marion schob eine vorwitzige Strähne unter das geblümte Haarband und versuchte jetzt, mit dem Fuß den verkeilten Karton zu bewegen.
»Nein, so was, das Christkind holt sich die Dekoration immer vom Speicher!«, stellte Philippa in gespieltem Entsetzen fest.