Dr. Stefan Frank 2782 - Stefan Frank - E-Book

Dr. Stefan Frank 2782 E-Book

Stefan Frank

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Beschreibung

Ellen Falke hat Grünwald vor vielen Jahren verlassen und sich in Lüneburg ein Leben aufgebaut. Hauptsache weit weg von ihrem strengen und unterkühlten Elternhaus und einem bösartigen Vater. Nun kehrt sie nach vielen Jahren vorübergehend zurück, denn der treue Assistent ihres Vaters, Tom Hoffmann, hat sie über die prekäre gesundheitliche Lage von Eberhard Falke informiert. Trotz ihres Grolls und der schmerzhaften Erinnerungen, die das Haus in ihr wachruft, erkennt Ellen, dass ihr Vater dringend Hilfe benötigt. Eberhard, einst ein stolzer und mächtiger Mann, ist verwirrt und gesundheitlich sehr angeschlagen. Sie begleitet ihn zu mehreren Arztterminen, und als schließlich Alzheimer-Demenz diagnostiziert wird, muss sich Ellen nicht nur der Krankheit ihres Vaters stellen, sondern auch den Geistern ihrer Vergangenheit ...

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Inhalt

Cover

Diagnose: Alzheimer

Vorschau

Impressum

Diagnose: Alzheimer

Ellen gibt ihr Leben auf, um ihren Vater zu pflegen

Ellen Falke hat Grünwald vor vielen Jahren verlassen und sich in Lüneburg ein Leben aufgebaut. Hauptsache weit weg von ihrem strengen und unterkühlten Elternhaus und einem bösartigen Vater. Nun kehrt sie nach vielen Jahren vorübergehend zurück, denn der treue Assistent ihres Vaters, Tom Hoffmann, hat sie über die prekäre gesundheitliche Lage von Eberhard Falke informiert. Trotz ihres Grolls und der schmerzhaften Erinnerungen, die das Haus in ihr wachruft, erkennt Ellen, dass ihr Vater dringend Hilfe benötigt. Eberhard, einst ein stolzer und mächtiger Mann, ist verwirrt und gesundheitlich sehr angeschlagen. Sie begleitet ihn zu mehreren Arztterminen, und als schließlich Alzheimer-Demenz diagnostiziert wird, muss sich Ellen nicht nur der Krankheit ihres Vaters stellen, sondern auch den Geistern ihrer Vergangenheit ...

Staub segelte in winzigen Flocken auf den Boden. Blind. Nur im Strahl der hereinbrechenden Sonne wurde er sichtbar gemacht. Dabei ließen die dicken Vorhänge nur wenig Licht in das Büro. Hier herrschte weitestgehend Dunkelheit.

Tom Hoffmann hatte seine Stirn in die Hände gestützt. Mit den ineinander verschränkten Fingern sah er aus wie ein Betender. Und kurz war er auch versucht, seine Stimme gen Himmel zu richten, so tief saß die Verzweiflung.

Bevor er in Selbstmitleid zerfloss, richtete er sich auf und wandte sich wieder seiner Aufgabe zu. Wobei seine Aufgabe seit einiger Zeit ausgedehnt war. Ursprünglich als Verwalter eingestellt, war er mittlerweile ... persönlicher Assistent und den Rest konnte er nicht definieren.

Er wollte nicht verbittert klingen, nicht einmal in seinen eigenen Gedanken. Aber nun war ein Punkt erreicht, an dem er einsehen musste, dass er nicht mehr allein zurechtkam.

Der Vierunddreißigjährige mit den hellbraunen kurzen Haaren und dem jungenhaften Gesicht klappte seinen Laptop auf. Eigentlich war es Eberhard Falkes Laptop. So wie fast alles hier seinem Chef gehörte. Tom gönnte es ihm. Der Senior war ihm stets ein guter Arbeitgeber und ein noch besserer Freund gewesen.

Seit seiner Anstellung vor zehn Jahren hatte es dem Assistenten an nichts gemangelt. Er bewohnte ein Apartment in der geräumigen Villa, war großzügig bezahlt worden und hatte kostspielige Geschenke zu Geburts- und Feiertagen erhalten, obwohl er nie den Wunsch geäußert hatte. Manchmal war es ihm sogar unangenehm gewesen, da er nicht wollte, dass sein Chef dachte, er würde auf Zuwendungen hoffen. Denn das tat er nicht.

Seine Aufgabe war es, Eberhard Falke als persönlicher Assistent zur Seite zu stehen. Und nie hatte er bereut, sich für diesen Job entschieden zu haben. Nur war die Assistentenstelle seit einiger Zeit immer persönlicher geworden, fast schon intim, sodass er sich überfordert fühlte.

Es widerstrebte ihm, Hilfe anzufordern. Die Verbindung zwischen dem jungen und dem älteren Mann war von so viel Vertrauen geprägt, dass er lange mit sich gehadert hatte, ob er diesen Schritt gehen sollte. Doch er sah keine andere Möglichkeit. Was, wenn er eines Tages aufstand und fand Eberhard ... Aber so weit durfte er nicht denken.

Tom sah dem Laptop dabei zu, wie er hochfuhr. Als das kleine Kreisen auf dem Bildschirm aufgehört hatte, klickte er das Feld für die elektronische Post an. Dann tippte er auf Schreiben.

Vor ihm öffnete sich eine leere Seite. Ein Feld, das auf seine Eingabe wartete. Auf das Eingestehen seiner Niederlage. Kurz fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, dann begann er zu tippen.

Liebe Frau Falke,

obwohl es mir widerstrebt, Sie behelligen zu müssen, sehe ich mich leider gezwungen, Sie über die aktuellen Umstände Ihres Vaters zu informieren.

Schon vor Monaten ist mir aufgefallen, dass Ihr Vater ein wenig verwirrt (bitte verzeihen Sie mir diesen Ausdruck!) wirkt. Es ist nichts Dramatisches. Insofern kann ich Sie beruhigen. Jedoch wirkt sich sein Zustand auf die Haushaltsführung aus.

Aufgrund meiner Verantwortung in Hinblick auf die Finanzen muss ich Sie daher darüber in Kenntnis setzen, dass die wirtschaftliche Situation prekär ist. Aktuell bedeutet das, dass das Personal nach und nach gekündigt hat, da die Löhne nicht mehr beglichen wurden. Zudem treten Rechnungen zutage, die Ihr Vater scheinbar vor mir versteckt hat, da sie mir bis dato unbekannt waren. Die Beträge sind enorm und übersteigen das Guthaben erheblich.

Es tut mir sehr leid, Ihnen diese Information aufzubürden. Leider ließ der geistige und finanzielle Umstand Ihres Vaters keine Alternative offen, als die, Sie als seine Tochter und einzige Angehörige zu bitten, Ihrem Vater einen persönlichen Besuch abzustatten, um sich ein Bild über die Lage zu machen.

Bitte verzeihen Sie mir diese Freiheit.

Ihr Tom Hoffmann

Tom überflog den Text. Mit der Information über den geistigen Zustand seines Arbeitgebers hatte er untertrieben. Obwohl es ihm bewusst war, hatte er sich trotzdem dafür entschieden, um die Frau, die er bislang nur von einem Telefonat kannte, nicht noch mehr in Schrecken zu versetzen.

Er kannte Ellen Falke nicht persönlich. Jedoch hatte Eberhard einige Geschichten über sie erzählt. Darin hatte immer der Stolz mitgeschwungen, den er für seine Tochter empfand.

Tom hatte wohlwollend zugehört und Fragen gestellt, ohne zu sehr ins Privatleben der Frau zu gleiten. Gleichzeitig war ihm aufgefallen, dass Vater und Tochter schon sehr lange keinen Kontakt pflegten. Wenn er daran dachte, dass sie nicht einmal nach München gekommen war, als ihr Vater ein gebrochenes Bein gehabt hatte, glaubte er, dass sich etwas Schlimmes zwischen ihnen zugetragen haben musste. Doch das behielt er allweil für sich.

Tom klickte auf Senden. Das Einzige, worauf er nun hoffen konnte, war, dass Ellen Falke seiner Bitte nachkam. Andernfalls wusste er nicht, was er tun sollte.

Ein Poltern schreckte ihn auf. Tom blickte zu Tür, lauschte in die Stille hinein. Schritte ertönten auf der Treppe.

»Hallo?«, rief Eberhard.

Tom klappte den Laptop zu und eilte zur Tür. Als er in der Eingangshalle angekommen war, sah er seinen Arbeitgeber auf der Treppe stehen. In seinen Augen lag Hilflosigkeit, die Augäpfel wässrig und blutunterlaufen.

»Warten Sie, ich helfe Ihnen«, sagte Tom und erglomm die Stufen, bis er den alten Mann erreichte.

Eberhard sah ihn mit geneigtem Kopf an. Hinter der runzligen Stirn arbeitete es.

Dann sagte er: »Ich kannte mal einen Jungen, der Ihnen sehr ähnlich sah.«

***

Frische Oktoberluft wehte durch den Spalt des gekippten Fensters. Sie trug das würzige Aroma gefallenen Herbstlaubs mit sich. Ein fröhliches Rascheln vermeldete, dass die Bäume mehr als bereit waren, auch ihre restlichen Blätter der neuen Jahreszeit zu opfern.

Ellen Falke saß hinter ihrem Schreibtisch und nahm einen tiefen Atemzug. Mit geschlossenen Augen nahm sie wahr, wie der Sauerstoff ihren Geist beflügelte. Als sie ihre Lider wieder öffnete, war der Zauber des Moments vorbei.

Mit einem gemischten Gefühl aus Befriedigung und Melancholie widmete sie sich wieder dem Bildschirm vor sich. Die Exceltabelle war vollständig ausgefüllt. Jetzt musste sie die Zahlen nur noch ausdrucken, um sie später ihrem Chef, dem Betreiber einer psychiatrischen Privatklinik, zu überreichen. Der Professor war ein Mann, der Traditionen wahrte, wie er selbst zu betonen pflegte. Ellen hingegen vermutete, dass der Mann, der bereits die siebzig überschritten hatte, keine Lust mehr hatte, sich mit den technischen Neuerungen der Postmoderne auseinanderzusetzen. Auf seinem Schreibtisch stapelten sich bis heute Akten aus Papier. Ein Computer hatte es dagegen noch nie in sein Büro geschafft.

Ellen strich sich mit der rechten Hand ihr blondes glattes Haar aus dem Gesicht. Dabei fiel ihr die weiße Hautstelle an ihrem Finger auf. Da, wo vor Kurzem noch der Ehering gesteckt hatte. Mit ernstem Blick bedachte sie die kreisrunde Stelle, die sich nun leer anfühlte. Immer wieder fingerte sie mit ihrem Daumen an dem Ringfinger und stellte jedes Mal aufs Neue fest, dass nun etwas fehlte. Dabei war sie schon länger geschieden. Nur den Ring, den hatte sie länger anbehalten.

Um den Gedanken schnellstmöglich zu vertreiben, klickte sie mit der Maus auf das kleine Feld mit dem Drucker auf dem Bildschirm. Sofort begann ein stures Brummen aus der Ecke neben der Bürotür.

Um sicherzugehen, dass der Drucker auch alles ausdruckte, was sie von ihm verlangt hatte, verließ sie ihren Drehstuhl, ging hinüber und zog alle Blätter aus dem Fach. Sie waren noch warm.

Ellen überflog die Tabellen. Alles war korrekt und vollständig. Mit einem erleichterten Ausatmen ging sie zurück zum Schreibtisch und beugte sich über die Tastatur, um den PC auszuschalten. Dann schob sie ihren Stuhl unter die Tischplatte.

Ein Vibrieren auf dem Tisch ließ sie innehalten, als sie gerade zur Garderobe gehen und ihren Mantel anziehen wollte. Es störte sie, genau in diesem Moment aufgehalten zu werden. Ellen gehörte zu den Menschen, die es geordnet mochten. Wenn sie gerade mit einer Sache beschäftigt war, wollte sie nicht von einer anderen gestört werden. Und wenn sie gerade im Begriff stand, ihren Feierabend diesmal pünktlich einzuläuten, war sie zurecht mürrisch, dass sie aufgehalten wurde. Allerdings siegte ihre Neugier, sodass sie noch mal zurückging und ihr Smartphone aufnahm.

Eine E-Mail war eingegangen. Ein Tom Hoffmann hatte ihr geschrieben. Der Absender kam ihr vage bekannt vor. Sie legte den Kopf schief, während sie in ihrem Hinterkopf nach Eckpunkten suchte, die ihr halfen, sich diesen Herrn Hoffmann in Erinnerung zu rufen. Es musste schon Jahre her sein, seit sie ihn zuletzt gehört hatte.

Ellen klickte die E-Mail an. Und noch bevor sie die Nachricht las, die er ihr gesendet hatte, fiel es ihr wieder ein. Tom Hoffmann war der Assistent ihres Vaters.

Starr blickte sie auf das Display, ohne zu lesen. Stattdessen fügten sich Bilder vor ihrem inneren Auge zusammen. Bilder ihres Vaters. Bilder einer schmerzhaften Kindheit. Bilder von einem Mann, der, nur im Bademantel bekleidet, seiner einzigen Tochter ins Gesicht lachte, weil sie behauptet hatte, er wäre der Teufel persönlich. Bilder von einer verwüsteten Bibliothek, nachdem derselbe Mann darin eine kleine Herren-Feier veranstaltet hatte, zu der nur Männer in Anzügen geladen gewesen waren, die sich an dem Anblick leicht bekleideter, bezahlter Frauen geweidet hatten.

Ellen war damals acht gewesen, als sie den Lärm aus dem Erdgeschoss der Villa vernommen hatte. Da sie sich nicht getraut hatte, die Tür zu dem Raum zu öffnen, aus dem der Lärm gekommen war, hatte sie heimlich durchs Schlüsselloch geguckt. Den Anblick würde sie nie vergessen. Wie der ergraute Geschäftspartner ihres Vaters einer tanzenden, viel zu jungen Frau etwas ins Höschen gesteckt hatte.

Bei der Erinnerung stieg immer noch Übelkeit in ihr auf. Zum Glück hatte ihre Mutter irgendwann einen Schlussstrich gezogen. Wer weiß, was sonst aus ihr geworden wäre.

Ellen war es gelungen, sich von ihrem reichen, aber verdorbenen Vater zu emanzipieren. Hier, in der Lüneburger Heide, hatte sie sich ein eigenes Leben aufgebaut. Ohne Vermögen, aber dafür mit Werten, die ihr kostbarer erschienen.

Und nun schrieb ihr ausgerechnet der Verwalter ihres Vaters. Nach so vielen Jahren. Bislang hatten sie nur einmal miteinander telefoniert. Er hatte sie darüber informieren wollen, dass ihr Vater mit einem Beinbruch im Krankenhaus gelegen hatte. Es war ihr egal gewesen. Das Einzige, was ihr damals interessant genug erschienen war, war die Stimme des Anrufers gewesen. Sie hatte sehr jung geklungen.

Ellen ballte ihre freie Hand zur Faust, dann las sie die Nachricht.

***

Das Essen hatte besser geschmeckt, als Tom sich noch nicht selbst darum hatte kümmern müssen. Nachdem Frau Heller, Eberhards Haushaltshilfe seit Jahrzehnten, über acht Monate lang keinen Gehalt mehr erhalten hatte, hatte sie jedoch gekündigt. Tom hatte versucht, ihr wenigstens noch einen Teil ihres üblichen Lohns zu zahlen. Nicht nur, dass der Betrag ihrer Leistung nicht gerecht wurde. Es hatten sich auch immer mehr offene Rechnungen präsentiert, sodass sein Arbeitgeber bald nicht mehr zahlungsfähig gewesen war. Es reichte nicht einmal mehr für Toms Gehalt.

Der Vierunddreißigjährig stocherte in der Spinatroulade herum. Das Rezept hatte er im Internet gefunden. Spinat auftauen, gequirlte Eier darüber gießen, in den Backofen schieben, Frischkäse darauf verteilen, mit Pfeffer, Salz und Parmesan bestreuen und einrollen. Einfach. Nicht einfach genug, denn Tom hatte es geschafft, den Spinat anbrennen zu lassen, als er dem Auftauen hatte nachhelfen wollen und ihn im Kochtopf erhitzt hatte.

»Welcher Wochentag ist heute?«, fragte Eberhard.

Er saß am Ende des Tisches, noch immer ganz der Patriarch.

»Heute ist Dienstag, Herr Falke«, antwortete Tom. »Soll ich Ihnen vielleicht etwas anderes holen?«

Der Alte sah ihn fragend an. Dann deutete der Assistent auf den Teller, auf dem die Spinatroulade unangerührt lag.

»Nein, nein«, winkte der Mann nachdenklich ab. »Das habe ich schon immer gern gegessen.«

Tom hätte am liebsten gesagt, dass es dieses Rezept heute zum ersten Mal auf den Tisch geschafft hatte, verkniff es sich aber. Ihm war bewusst, dass sich etwas verschoben hatte. Also lächelte er nur.

»Möchten Sie einen Nachtisch? Oder einen Kaffee?«, bot er stattdessen an.

»Früher haben wir immer Cognac getrunken«, erinnerte sich Eberhard Falke.

Geduldig lächelte Tom und steckte sich ein Stück der Roulade in den Mund. Er hatte schon besser gegessen. Aber es war in Ordnung. Es machte satt.

»Möchten Sie mir davon erzählen?«, fragte er seinen Arbeitgeber, nachdem er hinuntergeschluckt hatte.

»Ach, das waren noch andere Zeiten«, sinnierte Eberhard.

Und dann erzählte er Tom davon, wie er fast jeden Mittag Besuch von einem Geschäftspartner oder von Freunden bekommen hatte. Und wie er mit Hermann, seinem ältesten Freund, aus Versehen die gesamte Flasche Cognac getrunken hatte.

Tom lachte an den richtigen Stellen. Er wusste, dass Eberhard gleich zu dem Teil kommen würde, an der Frau Heller die beiden Männer zum Abendessen gerufen und während ihres tiefen Alkoholschlafs die Reste der kleinen Eskalation beseitigt hatte. Seine erste Ehefrau hatte es ihm später erzählt. Oder vielmehr wütend um die Ohren geworfen.

»Ich bin müde«, beendete der Senior jedoch seine Geschichte vorzeitig und stand auf.

Tom kannte den verwirrten Gesichtsausdruck. Daher stand er auf, ohne zuvor aufzuessen und eilte seinem Chef entgegen.

»Kommen Sie, ich bringe Sie in Ihr Zimmer«, bot er ihm an und fasste den alten Mann vorsichtig am Ellbogen.

Es war nicht das erste Mal, dass Eberhard darauf reagierte, indem er die Hand des Jüngeren wegschlug. Immer, wenn er das tat, wich Tom einen Schritt nach hinten, um seinem Gegenüber zu demonstrieren, dass er keine Gefahr darstellte.

»Wo...«, sagte Eberhard und sah sich im Esszimmer um.

Es wirkte dunkel und uneinladend. Der Tisch, der einer Tafel für zwölf Personen gleichkam, war so karg gedeckt, dass er von einer traurigen Einsamkeit zeugte.

Tom wartete ab, was Eberhard als Nächstes tat. Ging er die Treppe hinauf zu seinem Schlafzimmer, würde er ihm folgen, um aufzupassen, dass er nicht fiel. Ruhte er lieber in der Bibliothek, würde er eine Decke über den dünnen Körper legen.

Eberhard wandte sich vom Tisch ab. Dann blieb er auf dem Weg zur Tür stehen. Nichts geschah. Erst der hilflose Blick in Richtung seines Assistenten zeigte diesem, dass es schon wieder passiert war.

Tom sah das Malheur und lächelte Eberhard zuversichtlich zu.

»Das macht doch nichts, Eberhard«, redete er beruhigend auf ihn ein. »Ich hole schnell ein Handtuch und frische Kleidung, und dann kriegen wir das im Handumdrehen wieder hin.«

Tom sprach nie aus, wenn es passierte. Und da er schon so oft die eingenässte Kleidung des Alten gewechselt und die Urinpfützen aufgewischt hatte, hatte er sogar seinen anfänglichen Ekel davor überwunden.

Seine eigene Sorge galt lediglich seiner Kraft und seiner Geduld. Beides hatte Risse bekommen.

***

Nichts hatte sich verändert. Die Straßen nicht, die von hohen Bäumen gesäumt waren. Die Anwesen nicht, deren Villen an ihren Stellen thronten, als lebten Könige darin. Und die Stille auf den Straßen nicht, die demonstrierte, dass sich niemand hierher verirrte, der nicht hier lebte.

Ein paar Häuser waren hinzugekommen, einige renoviert, doch Grünwald war im Grunde noch immer derselbe versnobte Ort wie eh und je.

Ellen verließ ihren Wagen und drückte die Klingel, welche an der Säule neben dem hohen Eisentor angebracht war. Sie wartete ab und spürte, wie ihr die Feuchtigkeit in die Glieder zog. Ihre Augen verengten sich ärgerlich, weil die Gegensprechanlage stumm blieb. Das war so typisch für ihren Vater. Andere behandeln, als wären sie Objekte. Rücksichtslos.