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Wenige Jahrzehnte nach Echnatons Tod geht der junge Historiker Merimun auf die Suche nach der Wahrheit um Echnaton und Nofretete, das rätselhafte Pharaonenpaar. Als Erster entdeckte Echnaton das menschliche Gewissen, wollte die Gleichheit der Menschen vor dem einen Gott durchsetzen und ein Reich von Harmonie, Frieden und Zärtlichkeit schaffen. Der Historiker befragt Zeitzeugen nach ihren Erlebnissen: Generäle, Priester, Künstler, enge Vertraute, Familienmitglieder erzählen ihm ihre Geschichte. Nach Echnatons Sturz und der Niederlage der Utopie stehen in ihren Berichten Hass und stille Bewunderung dicht nebeneinander. Zuletzt dringt Merimun auch zu Nofretete vor. Von den neuen Machthabern in einem zerfallenden Palast eingesperrt, wird sie sich des Verrats an ihrer großen Liebe bewusst.
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Seitenzahl: 282
Veröffentlichungsjahr: 2020
Wenige Jahrzehnte nach Echnatons Tod geht der junge Historiker Merimun auf die Suche nach der Wahrheit um Echnaton und Nofretete, das rätselhafte Pharaonenpaar. Ein Schleier von Verleumdung und Vergessen verbirgt die Epoche dieses revolutionären Pharaos. Nagib Machfus wendet sich mit diesem Roman dem Alten Ägypten zu.
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Nagib Machfus (1911–2006) gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur.
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Doris Kilias (1942–2008) arbeitete als Redakteurin beim arabischen Programm des Rundfunks Berlin (DDR). Nach der Promotion war sie als freie Übersetzerin tätig.
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Nagib Machfus
Echnaton
Der in der Wahrheit lebt
Roman
Aus dem Arabischen von Doris Kilias
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Die Originalausgabe erschien 1985 unter dem Titel Al-A’isch fi l-Haqiqa in Kairo.
Originaltitel: Al-A’isch fi l-Haqiqa (1985)
© by Nagib Machfus 1985
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30581-6
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
ECHNATON
Wie alles begannDer Hohe Priester AmonsEjeHaremhabBekTaduchipaTotoTijMutnadjmetMerireMajMahoNachetBantoNofreteteWorterklärungenMehr über dieses Buch
Über Nagib Machfus
Nagib Machfus: Das Leben als höchstes Gut
Nagib Machfus: Rede zur Verleihung des Nobelpreises 1988
Tahar Ben Jelloun: Der Nobelpreis hat Nagib Machfus nicht verändert
Erdmute Heller: Nagib Machfus: Vater des ägyptischen Romans
Gamal al-Ghitani: Hommage für Nagib Machfus
Hartmut Fähndrich: Die Beunruhigung des Nobelpreisträgers
Über Doris Kilias
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Ein begehrlicher Blick, und der Wunsch war geboren. Die Zeit der jährlichen Überschwemmung des Nils ging zu Ende, und gleichmäßig steuerte das Schiff gegen die starke, ruhige Strömung an. Begonnen hatte die Fahrt in unserer Stadt Sais, und nun ging es in Richtung Süden weiter, nach Banu Bulis, wo meine Schwester seit ihrer Heirat wohnte. Eines Nachmittags führte uns unsere Route an einer seltsamen Stadt vorbei, die – westlich vom Nil und östlich von einem hohen Bergmassiv begrenzt – den Eindruck erweckte, dass der Verfall gierig sein Werk tat. Die Straßen waren verödet, die Bäume nackt, Türen und Fenster geschlossen – wie Lider über Augen gesenkt. Es gab kein Zeichen von Leben, keinerlei Bewegung. Stille lastete über der Stadt, düsteres Schweigen, der Hauch von Tod. Ich schaute und schaute, und mein Herz krampfte sich zusammen. Schließlich riss ich mich von dem Anblick los und lief zu meinem Vater, den man, um seinem hohen Alter Ehre zu erweisen, auf einer erhöhten Polsterbank ruhen ließ.
»Vater, was hat es mit dieser Stadt auf sich?«, rief ich.
Gelassen erwiderte er: »Es ist die Stadt des Ketzers, eine ungläubige, verfluchte Stadt, Merimun.«
Erneut schaute ich hinüber, erregter als zuvor. »Wohnt dort denn niemand mehr?«
Fast unwillig kam die Antwort. »Das Ketzerweib lebt noch in ihrem Palast, oder richtiger gesagt, in ihrem Gefängnis. Deshalb wirds wahrscheinlich auch noch eine Leibwache geben.«
Plötzlich erinnerte ich mich. »Nofretete!«, murmelte ich. Wie konnte sie die Einsamkeit ertragen? Wie kam sie mit ihren Erinnerungen zurecht? Im gleichen Moment erstanden Szenen aus meiner Kindheit auf – die hitzigen Gespräche der Erwachsenen im Palast meines Vaters über den Sturm, der über Ägypten und das Imperium hinwegfegte und den man »Krieg der Götter« nannte. Sie handelten vom jungen Pharao. Erbe und Traditionen hätte er über den Haufen geworfen und nicht nur die Priesterschaft, sondern auch das Schicksal herausgefordert. O ja, plötzlich erinnerte ich mich wieder, dass es um eine neue Religion gegangen war und die Erwachsenen geklagt hatten, wie die Menschen zwischen Glaube und Treue zerrissen wurden. Es hatte heftige Diskussionen über rätselhafte Vorkommnisse gegeben, über bittere Niederlagen und einen Sieg, der von Trauer begleitet war.
Das also war die Stadt der Wunder, die sich nun dem Tod hingab. Dort saß die große alte Frau, eine einsame Gefangene, die den Kelch des Schmerzes bis zum bittern Ende leeren musste. Oh, wie mein Herz klopfte! Es packte mich das unbändige Verlangen, alles, aber auch alles zu erfahren. Ich sah meinen Vater an. »Von heute an wirst du mir nie wieder Trägheit vorwerfen müssen«, sagte ich. »Heftig wie der Nordwind hat mich der heilige Wunsch gepackt, die Wahrheit herauszufinden und sie festzuhalten, so wie du es in jungen Jahren getan hast, Vater.«
Mit müden Augen schaute er mich an. »Was willst du tun, Merimun?«
»Ich will alles über diese Stadt und ihre Herrin wissen, ich will alles über die Tragödie herausfinden, die das Land zerrissen und das Reich zugrunde gerichtet hat.«
»Alles, was man darüber wissen muss, hast du bereits im Tempel gehört.«
»Aber Vater«, redete ich begeistert weiter, »der weise Kakimna hat uns erklärt, dass man erst dann ein Urteil fällen soll, wenn man beide Seiten gehört hat.«
»Was diese Stadt betrifft, liegt die Wahrheit offen zutage, ganz abgesehen davon, dass der Ketzer längst tot ist.«
Ich war nicht mehr aufzuhalten. »Die meisten seiner Zeitgenossen leben noch, und fast alle sind deine Gefährten und Freunde. Ein Wort von dir, und die Türen stehen mir offen, ich könnte den Dingen auf den Grund gehen. Auf diese Weise würde ich die Wahrheit in ihrer ganzen Vielfalt erfassen, bevor sie wie diese Stadt von der Zeit zerstört wird.«
Ich drängte so lange in ihn ein, bis mein Vater meinem Wunsch nachkam. Vielleicht war er insgeheim sogar angetan von meiner Idee, hatte doch auch er immer begeistert Erkenntnisse festgehalten und sein Wissen stetig erweitert. Seine Befähigung auf diesem Gebiet hatte unseren Palast zu einem Treffpunkt von religiösen und weltlichen Persönlichkeiten werden lassen und ihm den Ruf eingebracht, nicht nur reich an gutem Boden, sondern auch außergewöhnlich weise zu sein. Der Palast war bekannt für diese Zusammenkünfte, bei denen Geschichten erzählt, Gedichte rezitiert und köstliche Gerichte, Ente zum Beispiel, und Weine gereicht wurden.
Mein Vater setzte also mehrere Empfehlungsschreiben auf, mit denen ich mich bei all denen, die diese Zeit noch miterlebt hatten, vorstellen konnte. Manch einer hatte aus nächster Nähe, manch einer nur aus der Ferne die Ereignisse verfolgt; für manch einen war jene Zeit zunächst höchst angenehm verlaufen, dann aber bitter geworden, und manch anderer hatte erst leiden müssen, bevor es mit ihm wieder aufwärts ging.
»Du hast deinen Weg selbst gewählt, Merimun, so zieh hinaus mit dem Schutz der Götter. Deine Vorfahren haben ihr Glück im Krieg, in der Politik, im Handel gesucht, du aber bist auf der Suche nach der Wahrheit. Soll jeder das tun, wonach er strebt. Aber hüte dich, die Mächtigen herauszufordern oder deine Häme an einem Menschen auszulassen, der dem Vergessen anheimgefallen ist. Sei wie die Geschichte – offen für alles und unparteiisch, damit du dem Betrachter die reine Wahrheit als Geschenk übergeben kannst.«
Wie froh war ich, der Untätigkeit zu entrinnen und mich in den Strom der Geschichte werfen zu können, der weder Anfang noch Ende kennt. Denn wer der ewigen Wahrheit dient, füllt den Strom mit frischem Wasser auf.
Nach der bitteren Ödnis während der Zeit des »Ketzers« war Theben endlich wieder erblüht. Erneut zur Hauptstadt geworden, zierte der junge Pharao Tutenchamon den Thron. Die Männer des Kriegs und des Friedens gingen wieder ihren Pflichten nach, und die Priesterschaft versah ihren Dienst in den Tempeln. Die Paläste strahlten in neuem Glanz, die Gärten grünten und blühten, und stolz ragte der Tempel Amons mit seinen riesigen Säulen gen Himmel empor, gesäumt von einem prächtigen Garten. Auf den Märkten riss der Strom von Händlern, Käufern und Waren nicht ab, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Der Glanz, der über dieser Stadt lag, sprach von ihrer Größe und Stetigkeit.
Es war mein erster Besuch in Theben. Die Pracht der Gebäude und die Masse der Menschen überwältigten mich. Um mich herum rief es und schrie es, es dröhnten Räder und trappelten Füße. Meine Heimatstadt Sais kam mir auf einmal wie ein träges, stummes Dorf vor.
Meine erste Verabredung sollte im Amon-Tempel stattfinden. Ein Diener erwartete mich. Wir schritten durch die riesige Säulenhalle, dann bog er in einen Seitengang ein und brachte mich in einen Raum, wo der Hohe Priester mich empfing. Er thronte auf einem Sessel, dessen Ebenholz das Gold der Armlehnen besonders strahlen ließ. Der Priester war ein Greis mit kahlem Schädel. Er trug ein langes, weites Gewand, Nacken und Schultern bedeckte eine weiße Schärpe. Trotz des hohen Alters machte er einen äußerst lebendigen Eindruck auf mich. Ich fasste Vertrauen.
Zuerst fand er lobende Worte für meinen Vater. »Im Unglück lernt man die Getreuen kennen«, sagte er. Mit leiser Stimme, fast murmelnd, kam er auf den Grund meines Aufenthalts in Theben zu sprechen. »Was sich an Lügen an den Wänden fand, haben wir entfernt, aber die Wahrheit muss erhalten bleiben und aufgezeichnet werden.« Als müsste er Dank sagen, neigte er den Kopf. »Heute nimmt Amon wieder seinen Thron ein und lenkt als Herr der Götter das Schiff des Allerheiligsten. Er ist es, der Ägypten beschützt und die Feinde fernhält. Seine Priester sind wieder zu Amt und Würden gekommen. Amon ist der Gott, der durch die Hand Ahmoses unser Tal befreit hat. Er ist es, der durch Thutmosis den Dritten unsere Grenzen nach Norden, Süden, Osten, Westen erweitert hat. Amon ist der Gott, der den Sieg verleiht und den Verräter erniedrigt.«
Ehrfürchtig kniete ich nieder, und erst als der Hohe Priester mir bedeutete, mich zu erheben, setzte ich mich auf den Hocker, der vor ihm stand. Mit allen meinen Sinnen lauschte ich den Worten des Hohen Priesters.
»Es ist eine traurige Geschichte, Merimun, auch wenn ihr Beginn eher unschuldigem Flüstern ähnelt. Am Anfang stand die Große Königin Teje, die Gemahlin des Großen Pharao Amenophis des Dritten und die Mutter des Ketzers. Sie, die aus einer nubischen Familie stammte, war eine einfache Frau aus dem Volk, kein Tropfen königlichen Blutes floss in ihren Adern. Aber sie war stark und so klug, dass man glaubte, sie hätte vier Augen und könnte damit gleichzeitig in alle vier Himmelsrichtungen spähen. Wie es schien, war sie auf unser Wohlwollen bedacht. Nie werde ich vergessen, was sie mir am Tag des Fests des Nils sagte: ›Ihr Priester Amons seid Ägyptens Wohl und Segen.‹ Sie hatte die Angewohnheit, mit ihren großen, schwarzen Augen die kräftigen Männer so lange anzustarren, bis sie völlig verwirrt die Köpfe senkten. Wir, die Priester, empfanden keine Furcht vor ihr, wussten wir doch, mit welcher Liebe die ruhmreiche Pharaonenfamilie den Priestern Amons zugetan war. Doch eines Tags mussten wir entdecken, dass sich die Königin plötzlich für religiöse Angelegenheiten interessierte. Sie hielt es für richtig, die Lehre zu erweitern und den Glauben an die anderen Götter, insbesondere an den des Aton, mit einzubeziehen. Zunächst hielten wir diesen Vorschlag nur für eine Bereicherung des Wissens über Götter, die wir alle durchaus verehrten. Also gab es keinen Grund, dagegen anzugehen. Es berührte uns nur unangenehm, dass ausgerechnet hier, in Amons Heimat Theben, die anderen Götter eine solche Auszeichnung erfahren sollten. Da half auch nicht, dass Königin Teje immer wieder versicherte, Amon bliebe der Gott aller Götter und wir, seine Priester, würden den Vorrang vor allen anderen Priestern Ägyptens haben. Eines Tags bat mich Toto, unser Sänger, um ein Gespräch. Er vermute, sagte er, daß der Vorschlag der Großen Königin nicht wirklich mit Religion zu tun habe, sondern auf eine neue Politik hinauslaufe. Ich bat ihn, mir das genauer zu erläutern. ›Die Königin‹, erklärte er, ›buhlt um die Freundschaft der Priester in den Provinzen. Offenbar will sie zwischen uns und ihnen ein Gleichgewicht herstellen und damit die Macht der Priesterschaft abbauen und die des Throns stärken.‹
Nun war ich zwar nicht frei von Argwohn, dennoch entgegnete ich ihm: ›Wir sind die Diener Amons und des Volkes. Wir sind die Lehrer, Ärzte und geistigen Führer in dieser und der anderen Welt. Die Große Königin ist eine kluge Frau, deshalb wird sie uns auch nicht ihre Gunst entziehen.‹
Toto wehrte verärgert ab. ›Es herrscht ein Kampf um die Macht. Die Königin ist ehrgeizig, meiner Meinung nach ist sie stärker als der König.‹
Als müsste ich gegen meine eigenen Ängste ankämpfen, beharrte ich: ›Wir sind die Söhne des mächtigsten Gottes. Hinter uns steht ein Erbe, das stärker als das Schicksal ist.‹
Vielleicht ist es ratsam, Merimun, dir etwas über König Amenophis den Dritten zu erzählen. Sein Großvater Thutmosis der Dritte hatte bereits ein nie da gewesenes Reich von gewaltigem Ausmaß und einer großen Vielfalt an Völkerschaften errichtet. Auch Amenophis der Dritte war ein starker König, beim geringsten Anzeichen von Gefahr stürzte er los, um seine Macht zu verteidigen. Er errang so entscheidende Siege, dass das gesamte Reich ihm absolute Gefolgschaft leistete. Während der langen Jahre seiner Herrschaft herrschten Frieden und Wohlstand. Er konnte auf das aufbauen, was seine Vorfahren begründet hatten, und reiche Ernte einbringen. Alles gab es im Überfluss – Getreide, Stoffe, Erze. Er ließ Paläste, Tempel und Statuen errichten. Er schwelgte in gutem Essen und Trinken, ihm standen die schönsten Frauen zur Verfügung. Teje, diese listige Frau, kannte seine Stärken ebenso wie seine Schwächen und wusste dies zu nutzen. War Krieg notwendig, ermutigte sie ihn zu kämpfen. Über seine Weibergeschichten sah sie hinweg und opferte ihr liebendes Gefühl um der Beteiligung an der Macht und ihres grenzenlosen Ehrgeizes willen. Ich streite nicht ab, dass sie über eine ungeheure Kenntnis in allen Dingen verfügte, sie wusste in allem Bescheid, im Großen wie im Kleinen, ob nun in Ägypten oder im Reich. Ich leugne auch nicht, dass sie der Macht treu diente, einen erstaunlichen Weitblick besaß und auf Ruhm und Größe des Imperiums bedacht war. Aber was ich ihr vorwerfe, ist ihr Machthunger. Es war eben ihre Gier, die sie dazu verführte, mit List und Tücke die Religion auszunutzen, um die Macht allein und ohne die Priesterschaft auszuüben. Mit der Zeit wurde mir klar, dass ihr noch anderes durch den Kopf ging. Eines Tages kam sie in den Tempel, um ihre Opfergaben zu bringen. Anschließend eilte sie mir mit festem Schritt in den Ruheraum voraus, und als wir uns gesetzt hatten, fragte sie: ›Was ist es, das Euch betrübt?‹
Ich suchte nach einer passenden Antwort, aber sie ließ mir keine Zeit, sondern erklärte: ›Wie Ihr Priester kann auch ich in den Herzen lesen. Ihr denkt, dass ich auf Kosten von Amons Priestern den anderen Priestern mehr Bedeutung zumesse?‹
Um sie zu besänftigen, entgegnete ich: ›Die Priester Amons sind die getreuen Gefährten Eurer ruhmreichen Familie.‹
Ihre Augen glitzerten. ›Ich werde Euch sagen, was ich denke, Hoher Priester. In Ägypten ist Amon der Gott aller Götter. Für die Untertanen im Reich ist er das Symbol der Macht, vielleicht auch das ihrer Niederlage. Aton hingegen ist der Gott der Sonne, und sie scheint überall. Jedes Geschöpf kann sich, ohne daran auch nur im Geringsten Anstoß zu nehmen, dem Gott der Sonne zugehörig fühlen.‹
Dachte sie das wirklich, oder war es nur ein neues Argument, hinter dem sie ihre wahre Absicht, nämlich uns in unseren Rechten zu beschneiden, versteckte? Wie auch immer, die Erklärung überzeugte mich nicht. Also sagte ich: ›Gebieterin, diese Wilden da draußen im Reich müssen mit Stärke und nicht mit Freundlichkeit regiert werden.‹
Sie lächelte. ›Mit Freundlichkeit auch. Ein gezähmtes Tier muss anders als ein wildes Tier behandelt werden.‹
Ich hielt das für eine ausgesprochen unnütze weibliche Sichtweise, die verhängnisvolle Folgen haben könnte. Und genau das haben die späteren schmerzlichen Ereignisse ja auch bestätigt.«
Der Hohe Priester schwieg, als wollte er nachdenken oder sich erinnern. Nach einer Weile fuhr er fort: »Was ich vielleicht erwähnen sollte, ist, dass diese Frau zu Beginn ihrer Ehe erhebliche Schwierigkeiten hatte. Sie blieb für eine ziemlich lange Zeit ohne Kinder. Die Angst, unfruchtbar zu sein, setzte ihr zu, was umso schlimmer war, als sie aus einer einfachen Familie kam. Aber Dank Amons Gnade und der frommen Gebete und magischen Kräfte der Priester wurde die Königin schwanger, doch leider gebar sie ein Mädchen. Wann immer ich ihr im Palast oder im Tempel begegnete, bedachte sie mich fortan mit einem missgünstigen, warnenden Blick, ganz so, als trüge ich die Schuld an ihrem Unglück. Dabei hatten weder ich noch irgendein anderer Priester jemals daran gedacht, die Lauterkeit des Throns zu trüben. Aber die verdorbene Denkart dieser Frau ließ sie kein Vertrauen zu den Menschen hegen.«
Wieder verstummte er, aber dieses Mal schien er zögerlich zu sein. Schließlich stieß er hervor: »Auf seltsame Weise gebar sie dann zwei Söhne.« Er machte eine Pause, ich konnte meine Neugier kaum noch zügeln.
»Der ältere, liebenswerte Sohn starb, erhalten blieb uns der andere, damit er seine Abartigkeit bei der Zerstörung Ägyptens ausleben konnte.«
Fragend sah ich ihn an.
»O ja«, sprach er energisch weiter, »wir wissen, wie man die Wahrheit herausfindet, mag sie den anderen auch noch so unergründlich scheinen. Wir schöpfen Kraft aus der Magie, unsere Augen sind überall. Sehen wir ihn uns an, diesen Ketzer – Vater zweifelhaft, er selbst bar aller Männlichkeit, weibisch im Aussehen, abstoßend. Nach dem Vorbild seines Vaters heiratete er ein Mädchen aus dem Volk, die mit seiner Mutter nicht nur die einfache Herkunft gemein hatte, sondern auch den krankhaften Ehrgeiz und die Lasterhaftigkeit. Sie war schön, halsstarrig und aufsässig, unterstützte blindlings die zerstörerische Politik ihres Mannes. Sie brachte sechs Mädchen zur Welt, jedes von einem anderen Mann. Auch wenn es den Anschein hatte, als wäre der Ketzer ihr zugetan, liebte er in Wirklichkeit nur seine Mutter. Sie hatte ihm nicht nur das Leben geschenkt, sondern auch seine Denkart. Innig verbunden mit der Mutter, empfand er ihre Einsamkeit und ihren Schmerz als Qual, und das hatte zur Folge, dass er seinen Vater verabscheute. Aus diesem Hass entstand das Gelüst nach Rache, und kaum war der Vater tot, ließ er seinen Namen aus allen Denkmälern herausmeißeln. Angeblich wäre des Vaters Name zu sehr mit dem von Amon verknüpft, lautete der lächerliche Vorwand. Aber die Wahrheit ist, dass er den Vater nach dessen Tod hinrichten wollte, weil er unfähig war, ihn zu Lebzeiten zu töten. Die Mutter hatte Aton lediglich aus politischen Gründen verehrt, ihr Sohn aber, der von ihr im neuen Glauben unterwiesen worden war, glaubte tatsächlich an ihn. Politik war nichts für sein weibisches Wesen. Und dann geschah, womit selbst seine Mutter nicht gerechnet hatte – er wurde zum Ketzer.
Zu meinem Leidwesen kann ich mich noch immer gut an sein abstoßendes Aussehen erinnern. Er war weder Mann noch Frau. Und da er so schwach war, hasste er alles, was stark war, ob das nun gewöhnliche Männer oder Priester oder Götter waren. Deshalb erfand er sich einen Gott, der genauso schwach und weibisch war wie er selbst. Er sollte alles auf einmal sein, Vater und Mutter, und für eines stehen – die Liebe. Kein Wunder, dass da der Dienst an Gott aus Tanzen, Singen und Trinken bestand! Er wälzte sich im Morast der Narretei, kümmerte sich um keine seiner königlichen Pflichten, und das alles zu einer Zeit, da die aufrichtigsten Männer Ägyptens und unsere getreuen Verbündeten reihenweise bei feindlichen Angriffen fielen. Sie schrien um Hilfe, aber niemand half. Das Reich verloren, Ägypten zerstört, die Tempel verwüstet, die Menschen verhungert – das war das Werk des Ketzers, der sich den Namen Echnaton gegeben hatte.«
Vor lauter Erregung hielt der Hohe Priester inne, zu schwer wog die Last der Erinnerung. Er ballte die Hände zur Faust.
»Er war noch ein Junge, da wurden mir bereits Berichte über ihn aus dem Palast hinterbracht. Es gab genügend Männer am Hof, die sich dem Dienst an Amon und dem Vaterland geweiht hatten. Von ihnen erfuhr ich, dass sich der Thronfolger weniger zu Amon als zu Aton hingezogen fühlte. Trotz seines jugendlichen Alters ging er ganz allein frühmorgens ans Nilufer, um die ersten Sonnenstrahlen mit Liedern zu begrüßen. Dies gab mir bereits genügend Anlass, um festzustellen, dass dieser Junge merkwürdig war und wir uns auf Schwierigkeiten einzustellen hatten. Ich bat um ein Gespräch im Palast und vertraute dem König und der Königin meine Befürchtungen an. Aber Amenophis der Dritte lächelte nur und sagte: ›Ach was, er ist doch noch ein Kind.‹
›Aber das Kind wird älter‹, erwiderte ich, ›und später baut es dann vielleicht auf den Gedanken aus den Tagen der Kindheit auf.‹
Königin Teje mischte sich ein. ›Er strebt in aller Unschuld nach Weisheit und sucht nach ihr, wo immer er sie vermutet.‹
›Außerdem beginnt schon bald seine militärische Ausbildung, und da wird er seine wahren Ziele kennenlernen‹, fügte der Pharao hinzu.
Die Königin ließ sich nicht beirren. ›Wir brauchen keine neuen Territorien mehr, wir brauchen Weisheit, um das, was wir regieren, zu bewahren.‹
Mit aller Schärfe entgegnete ich: ›Das Erworbene bewahren kann man nur, wenn man auf Amon vertraut und Stärke zeigt.‹
Spöttisch sah sie mich an. ›Ich habe noch keinen Weisen erlebt, der die Weisheit so gering schätzt wie Ihr.‹
›Das tue ich keineswegs, nur ist Weisheit, wenn man sich nicht auf Stärke stützt, töricht.‹
Besänftigend meinte Amenophis: ›In diesem Palast bestreitet niemand, dass Amon der Gott aller Götter ist.‹
›Aber Euer Sohn geht schon nicht mehr in den Tempel!‹
›Nur Geduld, nicht lange, und er wird als Thronfolger wieder allen seinen Pflichten nachkommen.‹
Ich kehrte von dieser Begegnung nicht sonderlich beruhigt zurück. Wir, die Priester, wurden bald darauf in unseren Ängsten bestärkt. Ich erhielt Kunde von einem Gespräch zwischen den königlichen Eltern und ihrem Sohn, und aus der Art, wie der Thronfolger auftrat, schlossen wir, dass in diesem kümmerlichen Körper eine ungeheure Kraft, gepaart mit bösartiger Widerspenstigkeit, schlummerte. Das verhieß nichts Gutes.
Eines Tages suchte mich einer meiner Priester auf. ›Jetzt ist nicht einmal die Sonne mehr ein Gott!‹, erklärte er.
›Wie das? Warum?‹
›Es geht das Gerücht um, dass sich dem Kronprinzen ein neuer Gott offenbart und von ihm gefordert habe, nur ihn als einzig wahren Gott zu verehren. Was immer sonst angebetet werde, sei nichtiger Spuk.‹
Die Nachricht traf mich wie ein harter Schlag. Mein erster Gedanke war, dass der Tod des älteren Bruders gnädiger gewesen war als der Wahnsinn, der den Thronfolger befallen hatte. Ich sah die Katastrophe auf uns zukommen, und zwar schlimmer, als wir es uns je hätten ausmalen können. Ich konnte und wollte es nicht glauben. ›Bist du sicher, dass das stimmt, was du da sagst?‹
›Ich gebe nur weiter, was die Leute erzählen.‹
›Wie soll sich denn dieser angebliche Gott ihm gezeigt haben?‹
›Er soll seine Stimme gehört haben.‹
›Keine Sonne, kein Stern, kein Abbild?‹
›Nichts von alldem.‹
›Und wie will er etwas anbeten, was er nicht sieht?‹
›Er glaubt, dass dieser Gott die einzige schöpferische Macht ist.‹
›Dieser Wahnsinnige verschwendet sich ans Nichts!‹
›Wenn er so verrückt ist‹, tönte Toto, der Sänger, ›ist er auf keinen Fall geeignet, den Thron zu besteigen.‹
›Langsam, Toto, keine Sorge. Soll er abfallen vom Glauben, so viel er will, Millionen von Menschen beten trotzdem unsere Götter an.‹
Empört sah er mich an. ›Soll etwa ein Ungläubiger, ein Ketzer, auf den Thron steigen?‹
›Warten wirs ab‹, erklärte ich bedrückt. ›Sobald Tatsachen auf dem Tisch liegen, werden wir sie dem König vorlegen und mit ihm darüber sprechen. Zum ersten Mal in unserer langen Geschichte stehen wir vor einer solchen Auseinandersetzung.‹
Dann heiratete der Thronfolger Nofretete, die älteste Tochter des Weisen Eje, mit dem ich befreundet war. Sie war zwar von einfacher Herkunft, aber mich ließ diese Heirat hoffen, dass der Kronprinz wieder zu mehr Ausgeglichenheit finden würde. Ich bat Eje zu mir. Schon nach wenigen Worten war mir klar, dass der Mann außerordentlich vorsichtig sprach. Offenbar empfand er seine Situation als schwierig, und deshalb ging ich meinerseits mit keinem Wort auf die neuesten Gerüchte ein. Immerhin war er bereit, mir zu einer heimlichen Begegnung mit seiner Tochter zu verhelfen.
Als sie kam, sah ich sie mit der Schärfe des Geistes an, der mir von Gott Amon verliehen worden ist. O ja, eine hübsche Frau, aber hinter ihrer Schönheit erkannte ich die gleiche Stärke, die von der Großen Königin ausging. Inbrünstig betete ich im Innern, dass von dieser Stärke nur Gutes über uns kommen möge.
›Mein Segen über Euch, meine Tochter.‹ Sie dankte kurz, und ohne lange Pause sprach ich weiter: ›Ich sehe es als meine Pflicht an, obwohl es sicher nicht notwendig ist, Euch daran zu erinnern, dass sich der Thron auf drei Säulen stützt – Amon, den Gott aller Götter, den Pharao und die Königin.‹
›Glücklich darf sich schätzen, wer Eurer Weisheit lauschen darf.‹
›Eine kluge Königin unterstützt den König darin, die Heimat zu schützen und das Reich zu erhalten.‹
›O Hoher Priester, mein Herz ist voller Liebe und Treue‹, tönte sie mit fester Stimme.
Trotzdem hielt ich es für richtig, ihr in aller Offenheit zu erklären: ›Ägypten ist der Hort ewiger Traditionen, und die Frau ist deren gesegnete Hüterin.‹
Wieder tönte sie: ›Mein Herz schlägt voller Gefühl für die Pflicht.‹
Wie vorsichtig sie war, wie wachsam! Eine Statue, die sich durch keine Inschrift verriet. Sie sprach, ohne auch nur das Geringste zu sagen. Es war unmöglich, etwas von ihr zu erfahren. Andererseits verriet ihre Zurückhaltung mehr als erwartet, denn sie konnte nur bedeuten, dass diese Frau genau wusste, was sie wollte. Sie würde nicht auf unserer Seite stehen. Ein glücklicher Umstand hatte sie zur Anwärterin auf den Thron gemacht, und das hätte dem Stärksten den Kopf verdreht. Folglich würde ihre erste und letzte Sorge der Thron sein, und nicht Amon oder sonstwelche Götter.
Ich scharte im Allerheiligsten die Priester um mich und sprach das Gebet der Klage. Danach berichtete ich ihnen vom Treffen mit Nofretete und vertraute ihnen meine Besorgnis an.
›Eine lange Nacht mit großer Finsternis steht uns bevor‹, murmelte Toto. Er sah mich fragend an. ›Könnt Ihr nicht mit dem Führer des königlichen Heers Maj sprechen?‹
Mir war klar, worauf er abzielte, und deshalb erklärte ich sehr entschieden: ›Auf keinen Fall werden wir Amenophis den Dritten und die Große Königin Teje herausfordern.‹
Mittlerweile gestaltete sich das Verhältnis zwischen dem verrückten Kronprinzen und seinen Eltern immer schwieriger. Aus diesem Grund erteilte der König seinem Sohn den Befehl, auf einer Reise die verschiedenen Gebiete des Reichs kennenzulernen. Für mich stand fest, dass sich der König davon erhoffte, der Thronfolger möge wieder auf den rechten Weg finden, wenn er seine Untertanen und deren Leben kennenlernt. Ich lobte den König für diesen weisen Beschluss, trotzdem blieb meine Sorge. Während der Kronprinz also auf Reisen war, ereigneten sich zu Hause wichtige Dinge. Die Königin gebar die Zwillinge Semenchra und Tutenchamon, aber wenig später ging es mit der Gesundheit des Königs bergab, und er verstarb. Es wurden Gesandte ausgeschickt, die den Kronprinzen zur Heimreise bewegen sollten, damit er die Macht übernimmt. Ich rief die Priester zu einer Beratung zusammen, und wir gelangten zu einer einheitlichen Meinung über die Zukunft des Landes. Daraufhin bat ich Königin Teje trotz Trauerzeit und Vorbereitung der Balsamierung um ein Gespräch. Bei allem Schmerz um den verstorbenen Pharao machte sie einen tatkräftigen und entschlossenen Eindruck auf mich. Umso schwerer fiel es mir, mein Anliegen offen vorzutragen. ›Ich bin gekommen, verehrte Gebieterin, um Euch als rechtmäßige Herrscherin über das Reich meine Meinung vorzutragen.‹
Scharfsinnig wie sie war und so wie sie mich ansah, ahnte ich, was nun kommen würde. ›Verehrte Gebieterin, es hat sich herumgesprochen, dass der Kronprinz von all unseren Göttern abgefallen ist.‹
Ihr Gesicht verfinsterte sich. ›Ihr solltet nicht alles glauben, was erzählt wird.‹
›So ist es, verehrte Königin, und deshalb bin ich nur allzu gern bereit, Eurem Wort zu vertrauen.‹
Ihre Antwort fiel knapp aus. ›Er ist ein Dichter, Hoher Priester.‹ Aus meinem Schweigen zog sie wohl den Schluss, dass ich mich damit nicht zufriedengab, denn sie fuhr fort: ›Er wird seiner Pflicht nachkommen.‹
Ich nahm all meinen Mut zusammen. ›Meine Gebieterin weiß um die Gefahren, die dem Thron beim Abfall von den Göttern drohen.‹
›Es besteht kein Anlass zur Sorge‹, entgegnete sie gereizt.
Ich nahm erneut einen Anlauf. ›Falls eine andere Lösung notwendig ist, könnten wir einen Eurer beiden kleinen Söhne inthronisieren und Ihr übt die Regentschaft aus.‹
›Es gibt einen Thronfolger, also wird er auch regieren – Amenophis der Vierte.‹
Die liebende Mutter hatte über die weise Königin obsiegt. Sie verschenkte die Möglichkeit, das Reich zu retten, und überließ es dem Schicksal, den tödlichen Hieb zu versetzen. Der verrückte, weibische Kronprinz kehrte zurück, und gleich nach der Bestattung des Vaters bat ich ihn um eine Unterredung. Ich hatte zum ersten Mal die Gelegenheit, ihn mir aus der Nähe anzusehen, und tat es gründlich. Ein in die Höhe geschossener, magerer Körper, dunkelbraune Haut, träumerische Augen – der Hang zum Weiblichen war nicht zu übersehen. Sein Gesicht hatte nichts Harmonisches, versetzte einen geradezu in Unruhe. Was für eine erbärmliche Kreatur, unwürdig des Throns! Der war doch nicht fähig, dem geringsten Wesen etwas anzutun, geschweige denn Amon, dem Gott aller Götter! Ich verbarg meinen Abscheu und bewahrte Haltung, indem ich mich weiser Worte von Weisen und kluger Empfindungen von Dichtern erinnerte. Er starrte mich an, und in seinem Blick lag Unschlüssigkeit, jedenfalls ließen sich weder Hass noch Unverschämtheit, noch Freundschaft erkennen. Irgendwie verwirrte mich sein Anblick so sehr, dass ich kein Wort herausbrachte. Schließlich war er es, der als Erster das Wort ergriff.
›Ihr habt mir reichlich oft unangenehme Gespräche mit meinen Eltern beschert.‹
Ich beherrschte mich. ›Mir ging und geht es immer nur um Amon, den Thron, Ägypten und das Reich.‹
›Ihr wollt mir doch sicher etwas sagen?‹
Mir war klar, dass die Schlacht nun beginnen würde. ›Ich habe beunruhigende Nachrichten gehört, kann sie aber nicht glauben.‹
Gelassen erwiderte er: ›Sie stimmen.‹ Ich erschrak, meine Zunge war wie gelähmt. Da hörte ich ihn sagen: ›In diesem Land der Irregeführten bin ich der einzige Gläubige.‹
›Ich traue meinen Ohren nicht.‹
›Traut ihnen ruhig. Es gibt keinen Gott außer dem einen Gott.‹
Mich übermannte der Zorn, ich dachte nur noch an Amon und die anderen Götter und daran, dass ich sie verteidigen musste. Um die Folgen kümmerte ich mich nicht. Mit schneidender Stimme erklärte ich: ›Niemandem verzeiht Amon eine solche Lästerung.‹
Er blieb ruhig, lächelte. ›Die Gnade des Verzeihens ist nur dem einzigen und alleinigen Gott eigen.‹
Vor Erregung bebend rief ich: ›Ein Nichts ist er!‹
Er breitete die Arme aus und lallte fast zärtlich: ›Er ist alles – Schöpfung, Kraft, Liebe, Frieden, Freude.‹ Mit einem durchdringenden Blick, der so gar nicht zu seiner eher schwächlichen Konstitution passen wollte, starrte er mich an. ›Ich rate Euch, an ihn zu glauben.‹
›Ich warne Euch vor dem Zorn Amons‹, drohte ich. ›Er gibt nicht nur, er nimmt auch. Er hilft, aber er lässt einen auch im Stich. Er verleiht Sicherheit, aber er zerstört auch. Fürchtet ihn um Eures Wohlergehens, Eurer Nachkommenschaft, Eures Throns, Eures Reiches willen.‹
Er blieb ruhig. ›Was bin ich anderes als ein Kind, das in den Weiten des Einen weilen darf, eine Knospe, die in seinem Garten erblüht. Was er verhängt, des bin ich zufrieden, und willig bin ich sein Diener. Gnädig nahm er sich meiner an, und kaum dass er sich meinem Geist offenbarte, kam ein großes Leuchten über mich, und die Gesänge strömten. Mich ficht nichts mehr an.‹
Oh, welchen Zorn ich fühlte! ›Pharao ist nur der, der im Tempel Amons gekrönt wird.‹
Verächtlich stieß er hervor: ›Ach was! In der Obhut des einzigen Schöpfers, unter den Strahlen der Sonne wird die Krönung stattfinden.‹