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Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Obwohl der große Saal im Grandhotel von Maibach voll besetzt war, vernahm man kaum einen Laut des Publikums, nur ab und zu erklang ein leises Hüsteln, das aber sofort wieder unterdrückt wurde. Wie verzaubert lauschten die meisten der Menschen in dem weiten Raum dem Vortrag der Sängerin, die ganz oben auf dem Podium stand. In der Tat, Maria Cervas, die sich auf einer Tournee durch Deutschland befand, war eine gottbegnadete Künstlerin. Sie hatte eine schmelzende Stimme, die mal weich, mal leidenschaftlich aufklang. »Ich bin froh, daß wir trotz des kalten Wetters hierhergekommen sind«, sagte Denise von Schoenecker leise zu ihrem Mann Alexander. Ihre Plätze lagen in einer der vordersten Reihen. Neben Alexander von Schoenecker saß Sascha, sein einundzwanzigjähriger Sohn aus erster Ehe, der zum Wochenende aus Heidelberg gekommen war, wo er studierte. Neben Denise saß die dreizehnjährige Angelina Domin und neben ihr Dominik von Wellentin-Schoenecker, Denises Sohn aus ihrer ersten Ehe. Obwohl nur drei Jahre älter als Angelina, war er der eigentliche Besitzer des Kinderheims Sophienlust. Alexander von Schoenecker warf seiner Frau einen zärtlichen Blick zu. Er liebte sie noch genauso wie am ersten Tag. Er nahm ihre Hand, drückte sie zärtlich und ließ sie dann nicht mehr los. Auch Angelina hatte Dominiks Hand gefaßt. Der Gesang der Künstlerin und die begleitende Musik hatte sie ins Träumen gebracht. Sie sah sich wieder nach dem Zirkusbrand, bei dem ihre Eltern umgekommen waren, verschreckt herumirren, bis Dominik sie fand und zum Kinderheim Sophienlust brachte. Maria Cervas sang gerade das Lied »Erinnerungen« aus dem Musical »Cats«. Ergriffen von der hervorragenden Wiedergabe des Liedes lauschte das Publikum. Es war so still im Saal, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
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Seitenzahl: 156
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Obwohl der große Saal im Grandhotel von Maibach voll besetzt war, vernahm man kaum einen Laut des Publikums, nur ab und zu erklang ein leises Hüsteln, das aber sofort wieder unterdrückt wurde. Wie verzaubert lauschten die meisten der Menschen in dem weiten Raum dem Vortrag der Sängerin, die ganz oben auf dem Podium stand.
In der Tat, Maria Cervas, die sich auf einer Tournee durch Deutschland befand, war eine gottbegnadete Künstlerin. Sie hatte eine schmelzende Stimme, die mal weich, mal leidenschaftlich aufklang.
»Ich bin froh, daß wir trotz des kalten Wetters hierhergekommen sind«, sagte Denise von Schoenecker leise zu ihrem Mann Alexander.
Ihre Plätze lagen in einer der vordersten Reihen. Neben Alexander von Schoenecker saß Sascha, sein einundzwanzigjähriger Sohn aus erster Ehe, der zum Wochenende aus Heidelberg gekommen war, wo er studierte. Neben Denise saß die dreizehnjährige Angelina Domin und neben ihr Dominik von Wellentin-Schoenecker, Denises Sohn aus ihrer ersten Ehe. Obwohl nur drei Jahre älter als Angelina, war er der eigentliche Besitzer des Kinderheims Sophienlust.
Alexander von Schoenecker warf seiner Frau einen zärtlichen Blick zu. Er liebte sie noch genauso wie am ersten Tag. Er nahm ihre Hand, drückte sie zärtlich und ließ sie dann nicht mehr los.
Auch Angelina hatte Dominiks Hand gefaßt. Der Gesang der Künstlerin und die begleitende Musik hatte sie ins Träumen gebracht. Sie sah sich wieder nach dem Zirkusbrand, bei dem ihre Eltern umgekommen waren, verschreckt herumirren, bis Dominik sie fand und zum Kinderheim Sophienlust brachte.
Maria Cervas sang gerade das Lied »Erinnerungen« aus dem Musical »Cats«. Ergriffen von der hervorragenden Wiedergabe des Liedes lauschte das Publikum. Es war so still im Saal, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Doch plötzlich wurde die Stille von der Stimme einer Frau unterbrochen, die sich zwar bemühte, leise zu sein, aber sich doch störend bemerkbar machte. Ein Mann antwortete.
»Ruhe!« zischten einige Zuhörer.
»Auch noch!« meinte der weibliche Störenfried jetzt lauter. »Ich lasse mir doch das Sprechen nicht verbieten! Ich kann nun einmal so ein Gesäusel nicht ausstehen! Aber nein, Jürgen«, wandte sie sich an ihren Begleiter, »du mußtest mich ja unbedingt hierherschleppen, obwohl ich in die Disko gehen wollte.«
»Ruhe!« riefen nun mehrere Besucher. Die Sängerin vorn auf dem Podium hatte erschrocken ihren Gesang unterbrochen und starrte konsterniert zu den Zuschauern hinunter.
Denise von Schoenecker und ihre Begleiter hatten sich umgedreht und blickten zu der Frau und dem Mann hin, die zwei Reihen hinter ihnen saßen. Die Frau hätte man schön nennen können mit ihren schwarzen langen Locken, den dunklen Augen und der schlanken Figur, wenn sie nicht so stark geschminkt und zu auffallend gekleidet gewesen wäre. Aber sie schien gern aufzufallen, denn sie genoß offensichtlich das Aufsehen, das sie erregte. Ihrem Begleiter dagegen schien es mehr als peinlich zu sein, und er sprach gedämpft auf sie ein, als wollte er sie beruhigen, aber sie lachte nur laut auf.
An der Bankreihe war ein Saaldiener erschienen. Er rief zu den Leuten hinüber: »Meine Dame, mein Herr, wenn Sie nicht sofort Ruhe geben, muß ich Sie bitten, den Saal zu verlassen!«
»Nichts lieber als das!« erwiderte die junge Frau schnippisch und stand auf. »Da hast du’s, Jürgen, wir sind hier unerwünscht! Ich hab’s dir ja gleich gesagt, daß wir in einem solchen Trauerverein nichts zu suchen haben. Nun komm endlich!«
Ihr Begleiter hatte sich auch erhoben. Man sah, es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen. »Das war Absicht!« stieß er hervor. »Du wolltest, daß man auf uns aufmerksam wird und…« Die weiteren Worte verstand Denise nicht mehr, weil er sich inzwischen durch die Bankreihe hindurchgeschoben hatte. Sie hörte nur noch, wie die Frau schrill auflachte und sagte: »Ich habe schließlich lange genug gewartet«, dann hatte sie ihren Begleiter eingeholt.
Durch den Saal hallten dem Pärchen noch einige entrüstete Rufe nach, dann schloß sich hinter den beiden die Tür. Der Manager der Sängerin erschien auf der Bühne und entschuldigte sich für den Vorfall, obwohl es nicht seine Schuld gewesen war. Dann setzte Maria Cervas ihren Vortrag fort, als wenn nichts geschehen wäre. Als sie das letzte Lied ihres Repertoires gesungen hatte, bedankte sich das Publikum mit rauschendem Beifall.
»Ich habe schon lange nicht mehr ein Konzert so genossen, wie dieses«, gestand Denise, als sie mit ihren Begleitern auf die Straße trat.
»Nur schade, daß die junge Frau, die Herrn Melber begleitet hat, so stören mußte«, meinte Alexander und eilte voran zum Parkplatz, dicht gefolgt von Sascha.
Es war Anfang März und noch empfindlich kalt. Denise schlug fröstelnd den Kragen ihres Mantels hoch und folgte ihrem Mann mit Angelina und Dominik. Kurz darauf befanden sie sich auf der Heimfahrt.
Im Wagen war es angenehm warm, nachdem die Heizung eingeschaltet worden war. Die Nacht war klar und mondhell, so daß Alexander im gewohnten Tagestempo fahren konnte.
»Du kennst das Pärchen, das so unangenehm aufgefallen ist?« fragte Denise nach einer Weile. Vor ihnen waren schon die Lichter des Marktfleckens Bachenau aufgetaucht.
»Kennen ist zuviel gesagt«, erwiderte Alexander. »Ich hatte nur einige Male geschäftlich mit Herrn Melber zu tun. Er ist Geschäftsführer der Bachenauer Landmaschinenfabrik. Bei einer dieser Gelegenheiten habe ich auch seine Frau kennengelernt, eine sehr attraktive Frau mit hellblonden Haaren und blauen Augen, die sehr dezent gekleidet war.«
»Ach so!« bemerkte Denise. »Also war diese Person auf keinen Fall seine Frau.«
»Genau!« erwiderte Alexander.
»Das ist mir unbegreiflich«, meinte Denise. »Nach deiner Beschreibung muß seine Frau doch viel reizender sein, als diese…« Ihr fehlten die richtigen Worte, und so fuhr sie fort: »Sie wirkte einfach vulgär!«
»Wo die Liebe hinfällt«, erwiderte Alexander lachend.
Auch Denise mußte lachen. »Ich hatte den Eindruck, daß sie nach Höherem strebt«, bemerkte sie, »denn als er ihr vorwarf, daß sie den Skandal mit Absicht provoziert hätte, erwiderte sie, sie hätte ja auch schon lange genug warten müssen! Höchstwahrscheinlich wollte sie, daß seine Frau von dem Skandal erfährt und sich dann scheiden läßt. Aber was gehen uns diese fremden Leute an!«
Angelina, die mit Sascha und Dominik auf dem Rücksitz saß, hatte nicht an die Störenfriede, sondern an die Sängerin gedacht. Schade, daß ich nicht so singen kann, dachte sie. Zu gern wäre sie auch Sängerin geworden. Und das Kleid, das die Cervas angehabt hatte! Aus ihren Gedanken heraus sagte sie: »Ich glaube, Nick, du hast noch nicht einmal mein neues Kleid bemerkt. Wir haben alle zum Frühjahr neue Kleider bekommen.«
»Nicht bemerkt? Das ist gut!« erwiderte Dominik lachend. »Ich war doch selbst bei den Einkäufen meiner Mutter dabei, und ich kann dir versichern, daß ich sogar selbst dein Kleid ausgesucht habe, Pünktchen!«
Angelina, die ihrer vielen Sommersprossen wegen meist Pünktchen genannt wrude, errötete. »Ist das wirklich wahr?« fragte sie. »Dann muß ich mich ja auch bei dir bedanken.«
Jetzt wurde Dominik verlegen. »Ach, Unsinn!« wehrte er ab.
»Mein Bruder macht sich«, sagte Sascha mit gutmütigem Spott. »Du willst wohl jetzt in die Modebranche gehen, Nick?«
»Vielleicht, wer weiß!« gab Nick zurück.
Alexander bremste den Wagen ab. »Aussteigen, mein Fräulein«, kommandierte er, »wir sind angekommen!«
Gleich darauf stand Pünktchen vor dem Sophienluster Kinderheim, das selbst im fahlen Mondlicht sehr imposant aussah. Sie blickte dem Wagen nach, der nach Gut Schoeneich weiterfuhr, wo die Familie von Schoenecker wohnte. Dann eilte sie die Freitreppe hoch zum Portal.
*
Gabriele hatte in dieser Nacht wieder einmal nicht schlafen können. Angespannt lauschte sie auf jedes Geräusch, das von der Straße kam, bis sie den Wagen hörte, der vor dem Haus hielt. Deutlich hörte sie, wie das Garagentor hochgezogen wurde, dann wieder den Motor des Wagens, das Herunterlassen des Garagentors. Schritte erklangen unten im Flur, dann auf der Treppe. Leise wurde die Schlafzimmertür geöffnet. Sofort schloß Gabriele die Augen und tat, als wenn sie fest schlafen würde, um ja nicht wieder seine verlogenen Entschuldigungen anhören zu müssen.
Sie öffnete die Augen auch nicht, als Jürgen seine Nachttischlampe einschaltete. Bald darauf lag er neben ihr im Bett und zeigte durch Schnarchen an, daß er sofort fest eingeschlafen war.
Als hätte er ein reines Gewissen, dachte die junge Frau. Aber er muß eine Geliebte haben, denn wo verbringt er sonst seine Nächte bis zu den Morgenstunden? Sie stöhnte leise auf. Wieder verspürte sie Schmerzen in der Gallengegend. Erst allmählich ließen sie nach. Ich müßte endlich einen Arzt aufsuchen, dachte sie noch, bevor auch sie schließlich einschlief.
*
Erschrocken fuhr Gabriele hoch. Sie wußte nicht, was sie geweckt hatte. Sie sah auf die Uhr, die Zeiger standen auf fünf Minuten vor acht. Sie hätte schon vor einer Stunde aufstehen sollen. Sie lauschte zum nebenan liegenden Kinderzimmer, dessen Tür angelehnt war. Von dort kam vergnügtes Gebrabbel. Ein liebevolles Lächeln erhellte das Gesicht der jungen Frau; ihr kleines Töchterchen schien sich gut selbst zu unterhalten.
Gabriele schlüpfte aus dem Bett und zog sich ihren Morgenmantel über. Das Nebenbett war leer, und sie wunderte sich wieder einmal darüber, wie ihr Mann es fertigbrachte, nach seinen nächtlichen Eskapaden noch pünktlich an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen. Sie ging ins Kinderzimmer hinüber.
»Mami! Mami!« jubelte die zweijährige Doris, als sie ihre Mutter erblickte. Sie stand in ihrem Gitterbettchen und hielt Gabriele einen kleinen Teddybären entgegen. »Da guck! Papi so lieb!«
Ja, zu dir, dachte die junge Frau bitter. Anscheinend war Jürgen nach dem Aufstehen zu seiner Tochter gegangen und hatte ihr den Teddy gegeben. Unwillkürlich schossen ihr Tränen in die Augen. Sie hob das kleine Mädchen aus dem Bett und drückte es fest an sich, damit es ihre Tränen nicht sah. »Wir müssen uns jetzt erst waschen«, sagte sie und wollte der Kleinen den Teddy wegnehmen, doch Doris hielt ihn fest an ihre Brust gedrückt.
»Teddy auch waschen«, verlangte sie.
Unwillkürlich mußte Gabriele lächeln. »Teddys sind alle wasserscheu«, behauptete sie.
»Ich auch scheu!« erklärte Doris hoffnungsvoll.
»Nichts da, du bist ein ganz kleines Menschlein, und das muß sauber sein«, meinte Gabriele und trug die Kleine ins Badezimmer. Durch die Beschäftigung mit ihrem geliebten Töchterchen vergaß sie sogar die Sorgen um ihren Mann.
Erst als Gabriele nach dem Frühstück beim Saubermachen war, während ihre kleine Tochter im Kinderzimmer mit Bauklötzen spielte, dachte sie wieder an ihren Mann, der sich in der letzten Zeit so verändert hatte. Sie hatte schon oft darüber nachgedacht, ob sie nicht selbst die Schuld daran trug, aber immer wieder mußte sie es verneinen, denn sie liebte ihren Mann nach wie vor. Sie hatte mehrmals versucht, mit Jürgen darüber zu sprechen, doch stets hatte er sie ausgelacht und gemeint, sie leide nur an Hirngespinsten. Es ließe sich nun einmal nicht vermeiden, daß er als Geschäftsführer auch oft abends mit Kunden ausgehen müßte.
Die junge Frau lachte bitter auf, als sie sein Oberhemd aufhob, das er zerknüllt auf dem Boden des Badezimmers liegengelassen hatte, und das auf dem Hemdkragen den deutlichen Abdruck eines Lippenstiftes aufwies. Seit wann verhandelt der Geschäftsführer einer Landmaschinenfabrik mit weiblichen Kunden, und das noch in so naher Tuchfühlung, dachte sie verzweifelt. Angeekelt warf sie das Hemd in die Truhe für Schmutzwäsche.
Sie ging in das Kinderzimmer, um nach ihrer kleinen Tochter zu sehen. Doris kniete auf einem Schemel am Fenster und starrte durch die Scheiben hinaus. »Mami, Sonne, so helle Sonne«, sagte sie bewundernd.
Gabriele blickte auch nach draußen. Es schien wärmer geworden zu sein. »Wir werden nachher einen schönen Spaziergang machen«, versprach sie. Sie schaute auf die Straße; ein rotlackierter Kleinwagen hielt vor ihrer Gartentür. Eine junge Frau stieg aus dem Wagen und musterte – wie es Gabriele vorkam – sehr kritisch das hübsche Einfamilienhaus.
Wer ist denn das? dachte Gabriele. Die tut ja gerade so, als wenn sie unser Haus kaufen wollte! Sie zog die Stirn kraus; sie kannte diese Frau nicht, doch die Unbekannte wollte offensichtlich zu ihr, denn jetzt öffnete sie das Gartentor und klingelte gleich darauf an der Haustür.
*
Mit der kleinen Doris auf dem Arm öffnete Gabriele die Tür. Die junge Person – Gabriele schätzte sie auf höchstens neunzehn – machte keinen guten Eindruck auf sie. Sie war zwar hübsch mit ihren pechschwarzen Locken, die unter einem schreiend bunten Kopftuch hervorschauten, aber sie wirkte doch auf Gabriele etwas ordinär mit ihren hellblau gefärbten Augenlidern und dem rosa geschminkten Mund. Zudem trug die Unbekannte einen eleganten Pelzmantel, der so gar nicht zu dem grellen Kopftuch paßte.
Als der Blick der Fremden auf Gabriele mit dem Kind im Arm fiel, zuckte sie erst wie unangenehm berührt zurück, doch dann lachte sie spöttisch auf und sagte: »Ach, ich hatte gar nicht daran gedacht, daß Sie ja ein Kind haben, Frau Melber! Sie sind doch Frau Melber? Ich muß Sie dringend sprechen!« Sie drängte sich einfach an Gabriele vorbei mit der Bemerkung: »Höflich sind Sie gerade nicht! Soll ich etwa draußen stehenbleiben?«
Empört rief Gabriele: »Was erlauben Sie sich? Ich kenne Sie doch gar nicht!«
»Deshalb komme ich ja, damit Sie mich kennenlernen«, erwiderte die andere ungerührt. Sie sah sich im Flur um, dann betrat sie durch die offenstehende Tür das Wohnzimmer. »Ah, hier ist es schön warm«, stellte sie fest. »Setzen wir uns, dann können wir uns gemütlicher unterhalten!« Ohne eine Aufforderung abzuwarten, zog sie ihren Pelzmantel aus, schleuderte ihn auf die Couch, ließ sich in einen Sessel fallen und schlug die Beine übereinande, so daß der an der Seite geschlitzte Rock ihren Oberschenkel freigab.
Fassungslos war Gabriele an der Tür stehengeblieben. Doris klammerte sich angstvoll an ihre Mutter und sagte kläglich: »Die Frau soll weggehen, ich mag sie nicht!«
Gabriele hatte sich wieder gefaßt. »Ich mag sie auch nicht!« erklärte sie laut. »Sie scheint sich verirrt zu haben, dieser bunte Paradiesvogel!« Verächtlich betrachtete sie den weiten Ausschnitt des rotseidenen Kleides ihrer Besucherin.
Diese lachte amüsiert auf. »Besser ein Paradiesvogel, als eine unscheinbare Taube wie Sie!« konterte sie. »Und wenn Sie denken, Sie sind mir durch das Kind überlegen, so irren Sie sich gewaltig! Das Kind ist Ihr Problem, es hindert meinen Jürgen bestimmt nicht daran, mich nach seiner Scheidung zu heiraten.«
Erschrocken setzte Gabriele das kleine Mädchen in einen Sessel. Ihr Gesicht war blaß geworden. »Wer sind Sie?« stieß sie hervor.
»Sehen Sie, jetzt kommen Sie von ihrem hohen Roß herunter!« stellte die junge Frau triumphierend fest. »Das ist auch nötig, denn wenn Jürgen und ich heiraten, ziehe ich hier ein! Ich habe mich genau erkundigt, das Haus gehört Jürgen, und als seine zweite Frau gehöre ich dann hierher. Ich bin Meline Neuhagen, und ich liebe nun einmal Ihren Mann sehr, und er liebt mich auch!«
Es war Gabriele, als hätte ein Schwert ihr Herz durchbohrt. Sie sank in den nächsten Sessel.
»Sehen Sie, ich habe Ihnen doch gleich gesagt, Sie sollen sich setzen«, meinte die Neunzehnjährige zufrieden.
Gabriele dachte, ihr Kopf würde bersten. Daß Jürgen eine Geliebte hatte, hatte sie geahnt, aber daß diese eine so ordinäre, freche Person war, das empfand sie noch als eine besondere Beleidigung. Stets hatte er abgestritten, eine Geliebte zu haben, und von Scheidung hatte er auch nie gesprochen, und nun kam diese Person daher und…
»Wann hat er Ihnen erzählt, daß er sich scheiden lassen will?« fragte sie mit heiserer Stimme.
»Oh, eigentlich schon gleich am Anfang unserer Bekanntschaft«, meinte Meline leichthin. »Er erzählte mir von seiner unglücklichen Ehe mit Ihnen – Sie würden ihn überhaupt nicht verstehen. Er tat mir so leid! Ich weiß, wie Frauen sind, wenn sie ein Kind haben, dann vergessen sie den Mann.«
Gabriele hatte sich wieder gefaßt. Sie lehnte sich im Sessel zurück. »Wie gut, daß es dann Frauen gibt, die so einen armen, mißverstandenen Mann zu trösten wissen«, erwiderte sie sarkastisch. »Seit wann sind Sie seine Geliebte?«
»Was geht das Sie an?« fragte Meline spöttisch. »Die Sache liegt doch so, daß Jürgen bisher nicht den Mut hatte, Ihnen die Wahrheit zu sagen. Deshalb bin ich gekommen, um Ihnen zu sagen, wie der Hase läuft, damit Sie ohne Scherereien in die Scheidung einwilligen. Sie hätten das doch schon längst selbst merken müssen, denn wie mir Jürgen sagte, hat es zwischen ihm und Ihnen seit einem halben Jahr nichts mehr gegeben, also seit ich für ihn da bin! Nehmen Sie es nicht tragisch, wenn Sie das gewisse Etwas nicht haben, um auf einen Mann auch in der Ehe noch anziehend zu wirken.«
Wütend sprang Gabriele auf. »Sie scheinen noch mehr auf Jürgen hereingefallen zu sein als ich!« schrie sie aufgebracht. »Denn abgesehen von seinen nächtlichen Eskapaden, hat er sich bis zuletzt als mein Mann benommen und mir gegenüber auch nie von Scheidung gesprochen. Aber von mir aus kann er Sie jetzt allein beglücken, ich schenke ihn Ihnen!« Sie ergriff Meline am Arm und zerrte sie aus dem Sessel. »Raus mit Ihnen! Raus!« wiederholte sie und stieß sie aus dem Zimmer.
»Was fällt Ihnen ein!« zeterte Meline. »Ich werd’s Jürgen sagen, wie Sie mich behandelt haben! Und mein Mantel?«
Gabriele eilte ins Zimmer zurück, ergriff den Pelzmantel und warf ihn Meline nach, die zitternd an der Haustür stand, bereit, auch ohne Pelzmantel die Flucht zu ergreifen.
Hastig hob Meline den Mantel vom Boden auf, dann schleuderte sie der Gegnerin ihren letzten Triumpf entgegen: »Den habe ich von Jürgen!« Sie riß die Haustür auf und lief zu ihrem Wagen.
Schmetternd schlug Gabriele die Tür hinter Meline zu und lehnte sich dann aufschluchzend dagegen. Den Mantel hat sie also von Jürgen, dachte sie und erinnerte sich an ihren Pelzmantel, den sie von ihm zu Weihnachten bekommen hatte.
»Mami, nicht weinen«, sagte eine Kinderstimme neben ihr. »Ich hab’ viel Angst gehabt.«
»Das glaub ich dir, Liebes«, erwiderte Gabriele und wischte sich die Tränen mit dem Handrücken ab. »Aber die böse Tante ist ja jetzt fort, und wir werden sie nie wieder hereinlassen!« Sie wollte sich zu ihrem Kind herunterbücken, da durchfuhr sie wieder der heftige Schmerz in der rechten Seite, fuhr den Rücken hinauf bis zur Schulter, und sie krümmte sich.
»Mami, Mami!« schrie Doris erschrocken. Sie wußte nicht, warum sich ihre Mutter plötzlich so zusammenkrümmte, aber es machte ihr noch mehr Angst als die böse Tante vorhin.
Gabriele richtete sich mühsam auf und versuchte zu lächeln. »Es ist nichts, Kleines«, behauptete sie. »Ich bin nur auf einmal so müde geworden. Weißt du, müde zum Umfallen«, versuchte sie zu scherzen. »Ich leg mich ein bißchen auf die Couch, ja?«
»Ich auch, ich auch«, sagte das Kind. Bald darauf lagen sie beide eng umschlungen auf der Couch und Gabriele bemühte sich, ihrem kleinen Mädchen nicht zu zeigen, daß sie starke Schmerzen hatte.
Endlich ließen die Schmerzen nach. Doris war inzwischen eingeschlafen, obwohl es nicht ihre Schlafenszeit war. Ich müßte nach dem Essen endlich zum Arzt gehen, dachte Gabriele, aber wie kann ich nach dem Besuch und der Forderung dieses Mädchens ruhig beim Arzt sitzen? Nein, erst muß mir Jürgen Rede und Antwort stehen.
*