1,99 €
Lara und Michael sind das erfolgreichste Betrügerpärchen ihrer Zeit. Mit Geschick und Durchhaltevermögen erschleichen sie sich das Vertrauen der Reichen und Schönen, um sie im Anschluss auszunehmen. Gleich danach geht es unter anderen Namen in die nächste Stadt.
Durch ihr großspuriges Verhalten blenden sie nicht nur die oberen Zehntausend, sondern auch Fürst Adrian, in dessen Luxushotel sie sich einquartieren.
Tatsächlich lässt auch er sich anfangs von den charmanten "Millionären" täuschen und wird Opfer der betrügerischen Machenschaften. Doch dann beschließt er, ebenfalls in die Trickkiste zu greifen, um das Pärchen zu enttarnen ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 131
Cover
Die Kunst der Täuschung
Vorschau
Impressum
Die Kunst der Täuschung
Wie ein Betrügerpärchen die Adelswelt reinlegte
Von Marlene von Mainau
Lara und Michael sind das erfolgreichste Betrügerpärchen ihrer Zeit. Mit Geschick und Durchhaltevermögen erschleichen sie sich das Vertrauen der Reichen und Schönen, um sie im Anschluss auszunehmen. Gleich danach geht es unter anderen Namen in die nächste Stadt.
Durch ihr großspuriges Verhalten blenden sie nicht nur die oberen Zehntausend, sondern auch Fürst Adrian, in dessen Luxushotel sie sich einquartieren.
Tatsächlich lässt auch er sich anfangs von den charmanten »Millionären« täuschen und wird Opfer der betrügerischen Machenschaften. Doch dann beschließt er, ebenfalls in die Trickkiste zu greifen, um das Pärchen zu enttarnen ...
»Haben Sie die Gräfin gesehen? Sie kommt aus Österreich und macht hier Urlaub mit ihrem Mann, dem Grafen von Werlingen«, flüsterte die Stimme einer alten Dame.
Ihre Gesprächspartnerin hob die bemalten Augenbrauen beeindruckt und winkte dem Kellner mit ihrer leeren Champagnerflöte.
»Eine echte Gräfin hier bei uns? Was Sie nicht sagen!«
Das Getuschel wurde noch lauter, als das vergleichsweise junge Paar durch die Menge schritt und den Ball mit einem schwungvollen Tanz eröffnete, dem sich bald darauf zahlreiche weitere Pärchen anschlossen.
»Die Gräfin soll erst Anfang dreißig sein. Kann man das glauben? So jung und schon so erfolgreich. Wie alt er wohl dagegen sein mag? Aber viel älter würde ich nicht schätzen«, zischte die Dritte im Bunde und fixierte mit ihren Adleraugen die beiden Tanzenden. »Der Graf ist wirklich eine Augenweide!«, schwärmte sie übertrieben. »Ob er sich auch mit älteren Damen abgibt?«
Die drei Frauen kicherten wie kleine Kinder.
»Machen Sie sich keine Hoffnungen, Gerlinde. Sie sehen doch, wie verliebt er in seine Gräfin ist. Lassen Sie uns lieber über das Angebot der beiden nachdenken.«
Sofort wurde es wieder geschäftlich. Sie stellten fleißig Schecks mit vielen Nullen aus, um nicht als geizig zu gelten. Zudem halfen sie damit Kindern in Not. Es war also für den guten Zweck und die einfachste Art, Hilfe zu leisten, ohne sich dafür die Finger schmutzig zu machen.
Gemeinsam beobachteten sie, wie das schöne Paar über das Tanzparkett schwebte. Die Gräfin von Werlingen trug teuren Saphirschmuck und ein nachtblaues Kleid. Ihre schmalen Schultern lagen frei, doch an diesem herrlichen Sommertag strahlte die Mittagssonne so stark, dass niemandem kalt wurde. Am Ende des Tanzes küsste ihr Mann sie aufs Schlüsselbein und entlockte seiner Liebsten ein zartes Lächeln.
»Hach, einmal wieder jung sein«, seufzte die erste der Damen wehmütig. »Wenn ich da an meine Anfangsjahre denke ...«
»Nun seien Sie bloß nicht neidisch, Daniela, und gönnen Sie den beiden ihren stürmischen Erfolg und ihre Liebe. Ich freue mich jedenfalls für sie. Der deutsche Adel kann froh sein, von solchen Menschen in Zukunft vertreten zu werden. Sie sind charmant, wortgewandt und warmherzig. Der Graf hat einen wunderbaren Humor und einen guten Geschmack.«
Wieder lachten sie leise und tranken ihre Gläser leer. Sofort versuchten die drei, das erfolgreiche Grafenpaar in ein Gespräch zu verwickeln, aber mehr als ihre Schecks wurden die Frauen nicht los. Viel zu viele Menschen drängten sich um sie. Die Menge benahm sich beinahe, als seien die Grafen Superstars aus Hollywood. Allerdings hielten sie sich dafür erstaunlich auffällig von den Fotografen fern. Selbst der Adel war eben manchmal scheu. Noch ein Punkt, der für die zwei sprach, die sich ihrem Herzensprojekt, einer Hilfsorganisation für Kinder in Armut, gewidmet hatten. Sie lebten dafür und wollten nicht selbst im Mittelpunkt stehen. Bescheidenheit war eine Tugend, und das Grafenpaar wusste es geschickt, das Spendenprojekt zu vermarkten, ohne selbst vor die Kamera zu treten.
Tabea richtete ihren Hut vor dem Spiegel und schminkte die roten Lippen nach, während ihre Bekannten noch immer um die Gunst des Paares buhlten. Sie wollte sich nicht wie ein verrückter Groupie aufführen, denn dafür hatte sie zu viel Klasse. Gerlinde und Daniela waren von einem anderen Schlag. Sie würden sich zur Not auch an den Hals des galanten Grafen werfen. Dabei war er viel zu jung für sie beide, höchstens Mitte dreißig.
Als sich das Paar von allen verabschiedet hatte, um auf sein Zimmer zu gehen und den restlichen Tag anders zu nutzen, wurde es deutlich stiller im Festsaal des exklusiven Hotels. Das Büfett wurde gleich darauf gestürmt. Die Hotelgäste und Eingeladenen verfingen sich in Konversationen rund ums Geschäft, was Tabea zunehmend langweilte. Sie hatte heute genug über Geld gesprochen.
Sie holte ihr Handy aus der Tasche. Ihr Enkel hatte ihr vorige Woche noch die letzten paar Kniffe auf diesem Teufelsding gezeigt.
Schnell fiel ihr Blick auf die Spendenquittung, die mit schwungvoller Unterschrift unterzeichnet worden war. Sie zog den Zettel heraus und betrachtete ihn nachdenklich.
»Was tun Sie da?«, wollte Daniela wissen und rückte ihr ausladendes Dekolleté vor dem Spiegel im Foyer zurecht. »Ärgern Sie sich, dass Sie die letzte Null doch nicht mehr rangesetzt haben?«
Tabea erwiderte Gerlindes süffisantes Lächeln mindestens so überheblich. Sie konnte diese alte Kuh nicht ausstehen, genauso wenig wie ihre Busenfreundin Daniela. Trotzdem verbrachten die drei die meiste Zeit zusammen und trafen auf nahezu jedem Event aufeinander. Tabea würde diese zwei Hexen wahrscheinlich sogar vermissen, wenn sie einmal nicht kämen.
»Solange es immer genau eine Null mehr bleibt als bei Ihnen beiden, ist es mir recht«, erwiderte sie mit einem neckischen Zwinkern. »Ich suche nur nach dem Namen der Organisation. Mich interessiert das Projekt. Vielleicht könnte eine dauerhafte Zusammenarbeit daraus entstehen. Mein Sohn würde sich dafür interessieren.«
Sie fand, was sie brauchte, und gab den Namen in ihr Suchfeld auf dem Handy ein. Leider wurde sie nicht fündig. Mit gerunzelter Stirn scrollte Tabea weiter durch die Zeilen, doch keine stimmte mit der Spendenaktion überein.
»Das ist seltsam«, murmelte sie.
»Was meinen Sie?«, fragte Daniela und beugte sich nun ebenfalls über Tabeas leuchtendes Display. Ihr spitzer Hut stach ihrer Bekannten beinahe das Auge aus.
»Moment«, meinte diese und wählte die Nummer ihres Anwalts. »Ich lasse das überprüfen. Irgendetwas stimmt hier nicht. Nicht einmal die Grafen von Werlingen gibt es im Netz. Weder in Österreich noch in Deutschland.«
Gerlinde sog die Luft zischartig ein, während sich Daniela die Hand entsetzt vor den Mund schlug.
»Sie meinen ... wir sind Betrügern aufgesessen?«
Tabea sprach eine Weile ruhig mit dem Herrn am anderen Ende der Leitung. Als sie auflegte, verfinsterte sich ihr Gesicht.
»Ich meine es nicht nur, ich weiß es. Es gibt kein Spendenprojekt mit diesem Namen. Lassen Sie uns die Polizei rufen und diese Verbrecher verhaften.«
Die beiden Frauen nickten zustimmend. Ihre Gesichtsfarbe wechselte von Grau zu Rot und zurück. Es ging ihnen nicht nur um das verlorene Geld, sondern vielmehr um ihren Ruf. Was würde die Gesellschaft von ihnen halten, wenn sich herausstellte, dass sie auf Betrüger hereingefallen waren?
»So eine Unverfrorenheit!«, grollte Gerlinde wütend. »Ich lasse meinen Scheck sofort ungültig machen.«
Sie stürmten aus dem Hotel und hinüber in die Bank. Ein junger Angestellter musterte die drei aufgebrezelten Damen mit Hut, die ihn an die drei bunten Feen von Dornröschen erinnern mussten.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Das können Sie, werter Herr ... Meyer«, antwortete Tabea mit Blick auf sein Namensschild. »Wir wollen ein paar Schecks sperren lassen, die vielleicht hier eingelöst werden. Das muss unbedingt verhindert werden.«
Nach langem Hin und Her und ihrer Eigenschaft, nicht nachzugeben und so lange nachzusetzen, bis sie ihren Willen bekamen, stellte sich heraus, dass all ihre Schecks keine zehn Minuten zuvor bereits eingelöst worden waren.
»Zu spät«, murmelte Gerlinde auf dem Weg nach draußen und schüttelte resigniert den Kopf. »Das Geld ist fort. Und was machen wir nun?«
»Wir stellen die Verbrecher persönlich. Wenn sie unser Geld nicht rausrücken wollen, rufen wir die Polizei.«
Die drei alten Damen erfragten die Zimmernummer der Grafen und stürmten daraufhin den Fahrstuhl.
»Warten Sie«, meinte Daniela, ehe Tabea gegen die Tür hämmerte. Ihren Arm hatte sie bereits erhoben. »Was, wenn sie bewaffnet sind? Wollten wir nicht erst auf die Beamten warten?«
Gerlinde rief bereits die Polizei an und bat sie in den dritten Stock des Nobelhotels.
»Sie haben recht. Wir müssen mit allem rechnen. Am besten, wir bewahren Ruhe und warten ab.«
Und so hielten die Frauen Stellung, ohne zu ahnen, dass sich im Inneren des Zimmers niemand zur Ruhe begeben hatte. Stattdessen wütete ein Orkan darin.
Lara Hagedorn schmiss den Deckel des Koffers zu und presste all ihr Gewicht darauf, damit er nicht wieder aufsprang. Sie hatte Kleidung, Perücken und Schmuck wie wild hineingeworfen, als ihr Freund Michael Peters verkündet hatte, dass sie sich beeilen mussten. Da unten braute sich bald etwas zusammen, sobald die Gäste bemerkten, dass es ihre Organisation nie gegeben hatte. Kaum war er von der Bank wiedergekommen, rannten sie quer durchs Zimmer, sammelten ihre wenigen Utensilien ein und würden sich gleich darauf in Luft auflösen, wie sie es immer taten.
Jedes Mal die gleiche Prozedur, dachte sie genervt.
Im Moment funktionierte Lara bloß. Sie lebte schon lange nicht mehr richtig, kannte das Wort ›Entspannung‹ kaum und hetzte gemeinsam mit Michael von Stadt zu Stadt. Immer auf der Flucht vor dem Unausweichlichen, denn die junge Frau war sich sicher, dass man sie eines Tages stellen würde. Es war nur eine Frage der Zeit, bis man das Betrügerpärchen fasste.
Sie hatte nicht umsonst Angst, dass Michael irgendwann nicht mehr von der Bank ins Zimmer zurückkehrte, sondern stattdessen zwei Polizeibeamte davor auf sie warteten und sie schließlich mit Handschellen abführten.
»Wird das jemals ein Ende finden?«, fragte sie.
Michael sah auf und Lara direkt in die großen braungrünen Augen. Sein fein frisiertes, blondgetöntes Haar lag durch das Herumrennen im Zimmer kreuz und quer auf dem Kopf. Ein feiner Schweißfilm ließ seine Stirn glänzen, und manchmal beschlug seine große Brille, die ihn geschäftsmäßig aussehen ließ. Auch er war in größter Eile. Zeit für eine Haarwäsche blieb ihm dieses Mal nicht. Das würde er außerhalb der Stadt oder im nächsten Hotel erledigen, um zum Naturbraun zurückzukehren. Er hatte sich dieses Mal gegen eine Perücke entschieden, wie sie Lara meistens trug, um ihre echte Haarfarbe und Frisur zu verschleiern.
»Du weißt, wofür wir all dies hier auf uns nehmen. Denk an das Versprechen, das wir uns gegeben haben.« Er spielte auf ihre gemeinsame Kindheit in ärmlichen Verhältnissen an. Laras Eltern waren arbeitslos gewesen, Michaels alleinerziehender Vater pleite. Er hatte sich mit schlechtbezahlten Jobs über Wasser gehalten. Kaum hatte das Glück an die Tür geklopft, war der Traum vom großen Gewinn auch schon ausgeträumt gewesen. »Kleiner Fingerschwur?«
Er streckte ihr seine Hand entgegen, und Lara hakte sich mit ihrem kleinen Finger bei seinem ein. Ihr kleines Ritual erinnerte sie an früher.
Die beiden Nachbarskinder hatten sich damals geschworen, für den anderen da zu sein und ihn bei seinen Plänen zu unterstützen, erst recht, wenn es schwierig wurde. Lara konnte nicht anders, als Michaels Plan zu verwirklichen. Wenn sie in diesem Tempo weiterarbeiteten, rückte ihr Ziel umso schneller näher. Noch ein, zwei große Coups, und sie hätten das nötige Geld beisammen, um ihre Restaurantkette in den USA hochzuziehen. Lara konnte es kaum erwarten, Deutschland den Rücken zu kehren und ein neues Leben ohne Angst zu beginnen. Wenn man ihre kleine Theaterkarriere nicht einberechnete, wären die Restaurants ihre erste ehrliche Arbeit. Lara freute sich darauf, obwohl sie im Hinterkopf behielt, dass all das nicht ohne das ergaunerte Geld der High Society möglich wäre.
»Hast du an das Konto gedacht?«, fragte sie ihn in der Hektik und band sich ihr seidiges brünettes Haar zu einem praktischen Pferdeschwanz.
Endlich hatte sich Lara in bequeme Kleidung geworfen. Ein Pony fiel ihr frech in die Stirn. Die Gräfin von Werlingen war einem sommersprossigen Countrygirl von nebenan gewichen. Ohne den Push-up-BH fühlte sie sich beinahe flach auf der Brust. Inzwischen trug Lara nicht mehr das hautenge Abendkleid mit den Glitzerpalletten, das sündhaft teuer gewesen war, sondern Holzfällerhemd, Jeans und braune Stiefel. Man hätte sie kaum wiedererkannt – und genau das war ihre Absicht.
»Natürlich. Das ist bereits geschlossen und unser Geld auf die Cayman Islands verlagert. Ich habe es im Griff. Kennst du mich anders?«, erwiderte Michael mit einem smarten Lächeln. Er griff Laras Arm und zog sie näher. Gleich darauf landeten seine Lippen auf ihren. Ein kurzer Moment der Ruhe. Lara hörte ihren polternden Herzschlag im Kopf. »Ich kriege nie genug von dir, Bonnie.«
Seine Freundin lächelte mit ihm und strich dem attraktiven Gauner durch das dichte Haar. Für diese kleinen Momente hatten sie immer Zeit, auch wenn ihnen die Polizei auf den Fersen war.
»Wenn du noch mehr von mir haben möchtest, sollten wir uns beeilen.« Sie griff sich ihren Rollkoffer, warf einen prüfenden Blick durch den Spion und wankte zurück. »Da ... stehen diese drei Damen von vorhin.«
»Was? Zeig mal her«, flüsterte er gepresst und tat es ihr gleich. Ein stiller Fluch glitt über Michaels Lippen. Sein Blick wanderte sofort zum Fenster. »Wir können über den Balkon auf den des Nachbarn. Dort gibt es eine Feuerleiter. Bis zum Wagen ist es nicht weit.«
»Und du meinst nicht, dass du in deinem feinen Anzug neben einem Farmgirl wie mir auffällst?«
Ihr Freund hatte keine Zeit mehr gefunden, sich auch noch umzuziehen. Wieder fluchte er und ging ein paarmal auf und ab. Dann zuckte er mit den Schultern, setzte ein Lächeln auf und packte seinen Koffer.
»Hilft ja nichts. Lass uns verschwinden. Diese Kratzbürsten haben sicher schon die Polizei alarmiert.«
Lara folgte Michael auf den Balkon. Sie spähten vorsichtig von der Empore in den Hof, doch niemand beachtete die beiden. Michael half ihr über das Geländer zum Vorbau des Nachbarzimmers und hinüber zur rettenden Feuerleiter. Reibungslos entkamen sie und saßen schließlich in ihrer schwarzen Limousine, die noch immer auf dem überdachten Hotelparkplatz stand.
Sie hatten die Aufmerksamkeit einiger reicher Gäste auf sich gezogen, die dem wegfahrenden Auto neugierig hinterher starrten.
»Ob sie uns wiedererkennen?«
»Das hast du schon die letzten beiden Male gedacht. Und was ist passiert? Nichts«, gab Michael augenverdrehend zur Antwort. »Mach dir nicht immer solche Sorgen, Liebes. Sie werden sich nur noch an meine große Brille und deinen prallen Hintern in dieser sündhaft engen Jeans erinnern. Du weißt, dass Menschen später immer nur an die Auffälligkeiten denken. Die Details gehen ihnen verloren.«
Ein Umstand, der ihnen nicht das erste Mal half. Endlich setzte Michael seine Brille mit den Fenstergläsern ab und verstaute sie im Handschuhfach. Er brauchte sie ohnehin nicht.
Lara nickte angespannt. Sie atmete erst auf, als sie außerhalb der Stadt an einem Feld hielten, um heimlich das Nummernschild auszutauschen. Michael streifte sich daraufhin endlich den einengenden Anzug ab und schlüpfte in Jeans und T-Shirt.
Grillen zirpten und untermalten die sommerliche Jahreszeit am vollstehenden Rapsfeld. Es war Mitte Mai und angenehm warm. Lara schloss die Augen für einen Moment und genoss die Sonne auf ihren Wangen, bis ihr Freund die lauschige Atmosphäre durchbrach: »Wir müssen weiter. Komm jetzt.«
»Denkst du manchmal auch an früher?«, fragte sie ihn, während sie einstiegen.
Michael runzelte die Stirn. Sein schmales Gesicht zeigte einen skeptischen Ausdruck.
»An unsere Anfänge? Wie wir unsere Ausweise gefälscht haben, um in die angesagtesten Clubs zu kommen, oder schwarz gefahren sind?«
»Nein, ich meine noch früher. Denkst du manchmal an unsere Kindheit zurück?«
Ihr Freund nahm Laras Hand in seine und küsste ihre schlanken Finger nacheinander.
»Ich denke jeden Tag daran, wie ich dich zum ersten Mal im Hinterhof gesehen habe. Deine Mitschüler haben dich nach Hause verfolgt und dich geärgert.«
»Das haben sie schnell bleiben lassen, kaum dass du auf der Bildfläche erschienen bist«, erwiderte sie stolz und reckte das Kinn. »Einen Kopf kleiner als alle anderen und doppelt so mutig. Ich habe dich immer bewundert.«
Michael schmunzelte und startete den Motor der Limousine. Ihre Outfits wirkten unpassend zu ihrem Fahrzeug, würden ihren Zweck aber erfüllen, bis sie sich etwas Passendes beschafften, einen Van vielleicht.