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Felicia Prinzessin von Rosenhof zeigt sich seit einem Angriff ihres eifersüchtigen Ex-Freundes nicht mehr in der Öffentlichkeit. Zu schwer ist sie von Narben durch eine heftige Verbrennung gekennzeichnet. Doch die Narben auf ihrer Haut sind nichts im Vergleich zu denen, die das Feuer in ihrer Seele hinterlassen hat. Selbst das traditionelle Osterfeuer, das sie einst mit Stolz entzündete, meidet sie nun. Felicia möchte, dass man sie so in Erinnerung behält, wie sie war, doch die neugierige Klatschpresse macht ihr das zurückgezogene Leben nicht leicht. Gerüchte um die verschwundene Prinzessin verbreiten sich, und der ehrgeizige Journalist Aaron Rath lässt nicht locker und schafft es schließlich, ins Schloss zu gelangen. Als er zufällig auf Felicia trifft und sie nicht erkennt, beginnt ein Spiel aus Wahrheit und Täuschung ¬...
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Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Verloren hinter Schlossmauern
Vorschau
Impressum
Verloren hinter Schlossmauern
Von Feuer gezeichnet, durch Liebe erlöst
Von Marlene von Mainau
Felicia Prinzessin von Rosenhof zeigt sich seit einem Angriff ihres eifersüchtigen Ex-Freundes nicht mehr in der Öffentlichkeit. Zu schwer ist sie von Narben durch eine heftige Verbrennung gekennzeichnet. Doch die Narben auf ihrer Haut sind nichts im Vergleich zu denen, die das Feuer in ihrer Seele hinterlassen hat. Selbst das traditionelle Osterfeuer, das sie einst mit Stolz entzündete, meidet sie nun. Felicia möchte, dass man sie so in Erinnerung behält, wie sie war, doch die neugierige Klatschpresse macht ihr das zurückgezogene Leben nicht leicht.
Gerüchte um die verschwundene Prinzessin verbreiten sich, und der ehrgeizige Journalist Aaron Rath lässt nicht locker und schafft es schließlich, ins Schloss zu gelangen. Als er zufällig auf Felicia trifft und sie nicht erkennt, beginnt ein Spiel aus Wahrheit und Täuschung ...
»Kommst du mit, Felicia?«, fragte ihre jüngere Schwester Juliana Prinzessin von Rosenhof.
Ihre blonden Brauen schoben sich bis unter den dichten Pony.
»Wohin?«, fragte die Angesprochene missmutig und fuhr weiter mit ihrem Finger auf der glatten Tischplatte des Speisezimmers entlang.
Felicia saß gelangweilt da und hatte den Kopf auf ihren Arm gelegt.
»Camelot und ich machen einen Ausritt. Früher bist du mitgekommen, hast dir den Wind durchs Haar wehen lassen und es im Sattel genossen wie keine andere.«
»Ja, früher, als mich noch niemand angestarrt hat«, murrte sie leise.
Dass Juliana sie verstanden hatte, war ein Wunder, doch sie setzte sich neben Felicia und legte ihrer Schwester sanft die Hand auf den Oberarm. Ihre Haut war warm.
»Wenn du niemals über deinen Schatten springst, wird sich das auch nicht ändern. Du kennst doch die Menschen, Feli. Sie starren alles an, was ihnen anders oder fremd vorkommt. Haben sie sich erst an dein neues Ich gewöhnt, werden sie nicht mehr darauf achten. Außerdem bist du doch immer noch dieselbe Person.«
Felicia setzte sich aufrecht hin und sortierte das lange gewellte Haar schnell wieder vor ihre linke Gesichtshälfte, wie sie es seit einem halben Jahr selbst vor dem Personal und ihrer Familie tat.
Juliana griff nach ihrer Hand und zog sie weg. Danach strich sie ihrer älteren Schwester liebevoll das Haar hinters Ohr.
»Du bist wunderschön, ob mit oder ohne Narbe. Trau dich endlich wieder raus, um den Menschen zu zeigen, wie stark du bist. Eine Rosenhof wird sich auch von einem kranken Mann wie Peter nicht einschüchtern lassen.«
Bei der Erwähnung seines Namens spannte sich Felicias Körper automatisch an. Ihre Brandnarben am linken Arm, der Schulter und ihrem Hals zogen unangenehm, und ihr Kiefer schmerzte, weil sie die Zähne zu fest aufeinanderbiss.
»Er soll in der Hölle schmoren«, zischte sie hasserfüllt. »Da, wo ihn die Flammen bis zum jüngsten Tag verschlingen.«
»Und das wird passieren. Bald ist sein Prozess, und dann bestraft man ihn für das, was er dir angetan hat.«
Das hoffte sie mehr als alles andere. Felicia lehnte ihre Stirn an Julianas Schulter und schniefte leise.
»Wann hat dieser Albtraum ein Ende?«
»Bald, Schwesterherz, bald.« Sie streichelte ihr deutlich behutsamer als früher über den Rücken, weil sie wusste, dass Felicia Schmerzen hatte.
Selbst das Ankleiden war eine Qual, obwohl die Wunden soweit verheilt waren. Doch sowohl ihre Seele als auch die hinterlassenen Narben brannten höllisch.
Nachts wusste die Prinzessin nicht, wie sie liegen sollte. Letztlich drehte sie sich jedes Mal auf die rechte, unverletzte Seite, aber manchmal hatte sie das Gefühl, ihr gesamter Körper stünde in Flammen.
Gedankenverloren sah sie auf ihre Hand, die aus dem langen Ärmel herausragte und das Grauen andeutete, das sich unter dem dünnen, luftigen Stoff befand. Längliches, weißes Narbengewebe war auf ihrem Handrücken bis zu den schlanken Fingern zu sehen.
»Zu dumm, dass unsere Kamine so groß sind«, murmelte sie und war froh, dass wenigstens ihre Beine verschont geblieben waren.
»Was hast du gesagt?«
»Ach, nichts.« Felicia zwang sich zu einem Lächeln und winkte ab. Schon diese kleine Bewegung tat weh, doch sie hielt tapfer durch.
Seit Peters Angriff fühlte sich ihre Haut vom Gesicht bis zur Hüfte an, als würde sie nicht mehr zu ihr gehören. Wie ein tauber und gleichzeitig viel zu empfindlicher Fremdkörper, der sie bedeckte und den sie am liebsten abstreifen würde. Schlange müsste man sein!, dachte sie in solchen Momenten. Dann würde ich mich häuten und wieder wie neu aussehen.
Manches Mal war es dann, als hätte sie plötzlich viel zu wenig Haut, was wohl eher der Wahrheit entsprach, seit man sie wieder zusammengeflickt und die verbrannten Teile schmerzhaft entfernt hatte. Ihre Haut fühlte sich seit ihrer Entlassung aus der Klinik stramm und gezogen an, immer wenn sie sich nach einem Buch in der Bibliothek streckte oder die Rosen im Schlossgarten schnitt.
»Gib dir einen Ruck, Feli. Die Pferde warten. Johann hat sie für uns gesattelt.«
Juliana würde keine Widerrede zulassen, und ein wenig hatte Felicia auch Lust, auf dem Pferderücken alles zu vergessen und sich wieder lebendig zu fühlen, doch etwas hielt sie zurück.
»Ich kann nicht. Frag mich bitte nicht wieder. Du weißt, was beim letzten Mal passiert ist, als du mich ins Dorf gebracht hast. Ich bin davongelaufen, weil ich dachte, dass mich jeder anstarrt.«
Prinzessin Juliana seufzte langgezogen.
»Es tut mir leid. Wie oft muss ich das noch sagen? Ich weiß, dass es ein Fehler und viel zu früh gewesen ist, doch nun ist ein halbes Jahr seit deinem Unfall vergangen.«
»Unfall!« Felicia prustete. »Dass ich nicht lache!«
»Du weißt, was ich meine. Die Leute reden schon und fragen sich, wann du endlich von deinem Aufenthalt im Ausland zurückkehrst, den du nie angetreten hast. Es gehen Gerüchte um, weil du dich so kurz vor dem Osterfeuer sonst immer gezeigt hast.«
Jene Ausrede war ein Einfall ihrer Mutter, Fürstin Theodora, gewesen. Wenigstens sie fragte nicht ständig nach, ob und wann ihr ältestes Kind die Schlossmauern verließ, sondern war bloß heilfroh, dass Felicia noch lebte.
»Mir ist egal, welcher Tratsch im Dorf umgeht. Wir können es doch sowieso niemandem recht machen. Meinetwegen sollen sie mich für eine überhebliche Ziege halten, die sich nicht um sie schert.«
»Aber das ist nicht wahr. Das Wohl der Menschen lag dir immer sehr am Herzen, und das wissen sie auch. Umso verwunderlicher, dass du auf einmal abtauchst. Die Presse steht fast täglich vor unserem Schloss und will eingelassen werden oder bittet wenigstens um ein Interview mit dir.«
»Mir gleich. Sollen sie sich die Füße in den Bauch stehen. Eigentlich müssten sie denken, ich bin im Ausland.«
Juliana rieb sich über die Wangen.
»Nicht jeder fällt auf Mutters List herein. Wenn du dich einmal an die Presse wendest, hast du es doch geschafft. Dann wird nie wieder jemand nach deinen Narben fragen.«
Felicia wirbelte herum und verengte ihre Augen zu Schlitzen.
»Aber sie werden Fotos noch und nöcher schießen, die dann die ganze Welt auf der Titelseite sehen wird. Darauf verzichte ich lieber. Sie sollen mich so in Erinnerung behalten, wie ich war.«
»Dann kannst du dich erst recht raustrauen. Die Prinzessin, die sie kannten, war stark und furchtlos, hat für das Gute eingestanden und sich nicht von anderen kleinreden lassen.«
Felicia sprang auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie verzog das Gesicht schmerzvoll, weil sie wieder einmal vergessen hatte, welche Bewegungen ab sofort tabu waren.
»Keine Chance. Richte Johann bitte meinen Dank aus, aber er darf und soll weiterhin auf Lady ausreiten und ihr etwas Galopp gönnen. Ich werde sie höchstens auf der Koppel reiten.«
Das Seufzen ihrer Schwester klang dieses Mal nicht genervt, sondern traurig. Ein Zeichen dafür, dass sie verstanden hatte und Felicia nicht weiter stören würde.
»Na schön, wie du meinst. Aber eines Tages werde ich dich noch dazu kriegen, mit erhobenem Kopf durchs Tor zu schreiten und dein Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen. Ich lasse nicht zu, dass du dich hier verkriechst und vereinsamst wie unsere entfernte Großtante, die diesen Buckel hatte.«
»Ein Buckel wäre mir bedeutend lieber, das kannst du mir glauben. Außerdem bin ich nicht einsam, ich habe doch euch.« Felicia lächelte traurig.
Juliana pustete sich in den blonden Pony, stand ebenfalls auf und drückte ihre Schulter ein letztes Mal so zart, als würde sie glauben, ihre Schwester zerbrach, wenn sie fester zupackte. Danach verschwand sie mit wehendem Seidenschal und dem Reithelm unter ihren Arm geklemmt aus dem Speisesaal.
Stille kehrte ein, die Felicia aufs Gemüt schlug. Wie gern sie doch mitgeritten wäre! Aber das ging nun nicht mehr.
Früher waren sie viel grober miteinander umgegangen, hatten sich an den Haaren gezogen, herumgeschubst und feste Umarmungen oder Küsse verteilt. Diese unbeschwerten, kindlichen Zeiten waren seit einem halben Jahr endgültig vorbei.
Die meisten behandelten sie wie ein rohes Ei, wollten sie dann aber aus der Ferne steuern und über sie bestimmen. Dabei hatte Felicia entschieden, nie wieder aus diesem Schloss zu kommen und ihr Studium der Anglistik stattdessen als Fernstudium zu beenden.
Ihr Traum, einmal Englischlehrerin zu werden oder Touristen in London herumzuführen, war geplatzt. Sie würde stattdessen eine Arbeit wählen, die man vom Computer aus erledigen konnte, ohne je sein Gesicht zu zeigen. So war es besser.
Felicia würde es hassen, Fragen zu ihrem neuen Aussehen zu beantworten und sich dafür zu rechtfertigen, was mit ihr passiert war. Dass sie nun keine Modeljobs mehr annahm, schoben die Auftraggeber auf ihr Studium, welches die Prinzessin angeblich im Ausland weiterführte, um Praxiserfahrung zu sammeln.
Ihr Blick streifte den Kamin, der seit dem Vorfall vor einem halben Jahr nicht mehr entzündet wurde, obwohl es ein klirrend kalter Winter gewesen war. Vor jedem hatte man ein Gitter zum Aufklappen angebracht, damit sich das, was ihr widerfahren war, nicht wiederholte.
Zu spät, dachte Felicia niedergeschlagen, war aber froh, dass es anderen im Schloss nicht genauso ergehen würde.
Allerdings brachte auch niemand einen toxischen, eifersüchtigen Freund mit und stritt direkt neben dem prasselnden Feuer mit ihm. Sie hatte ihren Fehler zu spät bemerkt und Peters Wut eindeutig unterschätzt. Felicia hätte sein wahres Gesicht längst erkennen können, doch die Liebe machte gemeinhin blind.
Nun war sie es, die in die Stille des hohen Zimmers seufzte und sich vor ihrer eigenen brüchigen Stimme erschreckte.
An den Wänden hingen hübsche, handbemalte Zierteller und Geweihe von Jagden vor langer Zeit, bevor man lieber auf Tontaubenschießen und Tennis als Sport umgestiegen war. Dass es nach einem Jahrhundert ohne Bluttat nun doch wieder zu Gewalt im Schloss gekommen war, hätte niemand für möglich gehalten. Sie machte niemandem einen Vorwurf – na ja, höchstens ihrem Ex-Freund.
Ihre Stimme klang verloren, als wäre sie bloß ein Geist ihrer selbst. Und irgendwie war das bei Felicia ja auch der Fall. Ihr altes Leben war lange vorbei. Nun gab es nur noch Schloss Rosenhof und sie.
Aaron Rath hielt die Kamera im Anschlag. Jetzt gleich!, dachte er nicht zum ersten Mal an diesem Morgen. Er hatte sich bereits die gesamte letzte Nacht um die Ohren geschlagen, nur um einen Blick auf die neue Affäre des Gemeindevorstehers zu werfen und die beiden in flagranti zu erwischen. Was wohl dessen Frau dazu sagen würde?
Sofort bekam Aaron Gewissensbisse. Er hatte nach seinem Studium nie an ein Klatschblatt geraten, sondern ernsthafte Artikel schreiben wollen, aber der Weg eines Journalisten war manchmal steinig.
Nun lauerte er irgendwelchen drittklassigen Schauspielern und Politikern auf. Es gab Schlimmeres, aber auch Besseres als das.
Es klopfte am Fenster der Fahrertür.
Aaron zuckte zusammen und hätte beinahe die Kamera fallenlassen. Glücklicherweise hing sie immer um seinen Hals.
Seine Kollegin Melanie streckte ihren Kopf hinein und winkte mit einer Tüte seines liebsten Burgerladens.
»Ich dachte mir, du hast vielleicht Hunger.«
Erst wollte er der hübschen Blondine böse sein, da sie ihn bei der Arbeit störte, aber ihr süßes Lächeln und die Mühe, die sie sich für ihn gemacht hatte, ließen den Zorn in Rauch aufgehen.
»Danke, ich habe wirklich noch nichts gegessen«, sagte er und wollte durchs Fenster nach der Tüte greifen, aber sie war wie immer schneller, umrundete den Wagen und setzte sich ungefragt auf den Beifahrersitz.
»Du glaubst doch nicht, dass ich dich allein essen lasse. Zu zweit ist das viel schöner.«
Skeptisch beäugte er die dünne Tüte. »Und wo ist dein Burger?«
»Ich bediene mich an den Pommes, das reicht mir. Vorhin war ich noch im Restaurant meiner Schwester, die mir immer etwas von den Resten abgibt, wenn ich mir ihre Sorgen rund um ihre verpfuschte Ehe anhöre.«
Sie verdrehte die grauen Augen, die im Schein der Morgensonne silbern funkelten.
Eigentlich wollte ich davon auch nichts hören, dachte er sich seinen Teil und zuckte mit den Schultern.
»So ist das. Aber du weißt, dass ich normalerweise allein arbeite. Erst recht, wenn es um eine Story geht. Wir sind zwar Kollegen, aber auch Konkurrenten. Man könnte meinen, dass du mich absichtlich ablenkst, um dir die besten Fotomomente unter den Nagel zu reißen.«
Melanie beugte sich zu ihm und lächelte siegesgewiss.
»Ich schreibe ohnehin bessere Artikel, was hätte ich also davon?«
Ihm gefiel ihre Kampfhaltung. Bei der Presse brauchte man Biss. Aber in diesem Moment wäre er lieber allein gewesen. Melanie drängte sich ihm ständig auf, nur weil sie vor einem Jahr nach der Weihnachtsfeier stark angetrunken eine leidenschaftliche Liebesnacht verbracht hatten.
»Melanie, was wird das hier?«
Sie seufzte und stellte die fettige Tüte auf seinen Schoß.
»Mach dir nicht gleich ins Hemd, nur weil eine Frau in dein Auto steigt. Ich wollte nur nett sein. Außerdem lohnt sich deine Warterei nicht.«
»Wieso nicht?« Er runzelte die Stirn.
Sie zwinkerte verschmitzt.
»Weil die zwei längst durch den Hinterausgang raus sind. Sie müssen was geahnt haben.«
Sie klopfte vielsagend auf ihre eigene Kamera, in der dann wohl die besten Bilder des frühen Morgens schlummerten. Tja, Chance vertan!
Aaron ließ seinen Kopf gegen die Stütze fallen und schloss die Augen.
»Und dafür habe ich nicht geschlafen!« Verärgert schlug er einmal aufs Lenkrad.
»Stimmt, die Nacht hättest du schöner verbringen können.« Sie küsste ihn auf die raue Wange und öffnete die Tür wieder. »Du solltest dich rasieren und hier mal lüften. Dein Auto müffelt.«
Melanie rümpfte die Nase und wedelte vor ihrem Gesicht.
Mit einer einzigen Kopfbewegung warf sie das schulterlange Haar zurück, das so glatt war wie die Perücke einer Puppe. Allgemein sah sie wie eine Frau aus dem Katalog aus. Sie war immer modern und bürotauglich gekleidet und perfekt gestylt von Kopf bis Fuß. Keine Strähne ihres Bobs war zu lang oder stand schief, wenn sie sich trafen. Und sie ging mindestens dreimal die Woche ins Fitnessstudio, ernährte sich ausgewogen und hielt ihren Teint absichtlich bleich, weil das in Asien wohl ein Schönheitsideal war und sie eines Tages auswandern wollte, wie sie ihm erst vorige Woche erzählt hatte. Dafür lernte sie nun sogar Japanisch.
Jeder Mann wäre verrückt nach ihr gewesen – nur nicht Aaron. Nicht, weil sie schon einmal miteinander geschlafen hatten und der Zauber dadurch verflogen war, sondern weil er mehr nach Frauen mit Ecken und Kanten Ausschau hielt, die weniger auf ihr Äußeres und mehr auf die inneren Werte achteten. Melanie war ihm einfach zu ... perfekt.
»Hast du mich gehört?« Sie riss ihn aus seiner Trance und lächelte leicht. »Du solltest schlafen gehen, Aaron. Deine Augenringe habe ich schon von da hinten gesehen.« Sie nickte in Richtung ihrer A-Klasse und warf die Tür anschließend zu.
Auf hohen Schuhen schritt sie wie eine elegante Königin zurück zu ihrem Wagen und winkte ihm aus der Ferne, nicht ohne Aaron noch einmal auf ihre Kamera aufmerksam zu machen, in der die wichtigen Bilder für den neuen Artikel schlummerten.
Melanie eins, Aaron null.
Das erinnerte ihn an seine verschwendete Nacht. Früher wäre ihm so ein Fehler nie untergekommen. Die Hintertür! So ein Mist aber auch! Er rollte mit den Augen und betrachtete sich im Rückspiegel.
Melanie hatte recht. Sein Gesicht war heute blass und eingefallen, und die dunklen Ringe waren nicht zu übersehen. Außerdem lag ein Bartschatten auf seinen Wangen.
»Du gehörst dringend ins Bett, Junge«, sagte er leise, riss sich von seinem schaurigen Abbild los, warf die unangerührte Burgertüte, von der Melanie nun doch nicht mehr genascht hatte, auf den Sitz daneben und startete den Motor.
Nach etwas Schlaf und einer Dusche wäre er wieder der Alte. Und dann würde er sich ein besseres Thema für die nächste Artikelreihe suchen, welche die von Melanie in den Schatten stellte und ihm wieder ein paar Extrapunkte beim Chef einbrachte.
Sie hatte diesen Satz zwar für sich entschieden, aber das Turnier war noch lange nicht zu Ende gespielt.
Den gesamten Tag wuselten Fremde durchs Schloss. Zuerst waren es Bauarbeiter und Aushilfen, um das große Fest zu Ostern vorzubereiten, später dann auch noch Touristen, die von ihrem Butler durch das Anwesen aus dem 17. Jahrhundert geführt wurden.
Felicia huschte von einem Gang in den nächsten. Sie hätte sich zwar in ihrem Zimmer verbarrikadieren können, aber das langweilte sie zunehmend. Ein wenig wollte sie schon wissen, was da draußen vor sich ging.
Die kleine Gruppe bestand heute aus einer dreiköpfigen Familie mit kleinem Kind und vier Erwachsenen, zwei davon ein Pärchen, wie ihr schien. Immer wenn sie die Hälse reckten und Fotos vom Foyer, ihrem behaglichen Salon, den verzierten Fenstern und Stuckelementen oder der imposanten Ahnengalerie schossen, zog sich Felicia schnell zurück und vermied es, aus Versehen auf einem Bild zu erscheinen.
Sie war wie ein Schlossgespenst, das sich vor den Augen der Lebenden versteckte und lieber im Schatten wandelte.
»Was machst du hier?«, zischte jemand hinter ihr und erschreckte sie fast zu Tode.
Es war Juliana, die neugierig über ihre Schulter hinweg ins Erdgeschoss sah.
Felicia hielt die Hand am Herzen, das wild pochte.
»Nichts. Musst du mich so erschrecken?«
»Benimm dich doch nicht wie ein verschüchtertes kleines Kind, das mit anderen fremdelt. Geh runter und sag Hallo, wie du es sonst getan hast. Du wohnst schließlich hier.«
»Den Teufel werde ich tun!«, fauchte sie etwas zu laut.