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Emma Winters verliert unerwartet ihren Job und wenig später auch noch die Wohnung. Als zur selben Zeit ein Brief aus dem Hochadel eintrifft, traut sie ihren Augen nicht. Sie soll eine Erbin des kürzlich verstorbenen Alfred Fürst von Almen sein.
Emma hält das Ganze zunächst für einen Scherz. Als es für sie jedoch tatsächlich zur Testamentseröffnung geht, wird daraus bitterer Ernst. Sie trifft auf intrigante Verwandte, eine gutmütige Witwe und einen smarten Anwalt. Ausgerechnet mit Alfreds giftsprühenden Cousinen und einem hinterhältigen Onkel soll sie nun eine Woche auf dem Schloss in den Bergen verbringen, sonst verfällt ihr Anteil. Da Emma das Geld dringend braucht, nimmt sie notgedrungen an. Doch auf Schloss Almen passieren merkwürdige Dinge ...
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Seitenzahl: 132
Cover
Emma Winters und das Schloss der Geheimnisse
Vorschau
Impressum
Emma Winters und das Schloss der Geheimnisse
Roman um eine junge Frau und ihr schweres Erbe
Von Marlene von Mainau
Emma Winters verliert unerwartet ihren Job und wenig später auch noch die Wohnung. Als zur selben Zeit ein Brief aus dem Hochadel eintrifft, traut sie ihren Augen nicht. Sie soll eine Erbin des kürzlich verstorbenen Alfred Fürst von Almen sein.
Emma hält das Ganze zunächst für einen Scherz. Als es für sie jedoch tatsächlich zur Testamentseröffnung geht, wird daraus bitterer Ernst. Sie trifft auf intrigante Verwandte, eine gutmütige Witwe und einen smarten Anwalt. Ausgerechnet mit Alfreds giftsprühenden Cousinen und einem hinterhältigen Onkel soll sie nun eine Woche auf dem Schloss in den Bergen verbringen, sonst verfällt ihr Anteil. Da Emma das Geld dringend braucht, nimmt sie notgedrungen an. Doch auf Schloss Almen passieren merkwürdige Dinge ...
Emma gähnte ausgiebig und streckte sich, während sie an der Supermarktkasse auf ihren nächsten Kunden wartete. So spät war nicht mehr viel los. Parkplatz und Geschäft leerten sich, und draußen verdunkelte sich der Himmel. Es sollte heute noch regnen, hatte der Wetterbericht vorausgesagt. Und Emma war natürlich mit dem Fahrrad und ohne Regenjacke zur Arbeit gekommen!
Emma wurde ungeduldig. Sie sehnte den Feierabend heute ganz besonders herbei, weil es im Fernsehen einen Gruselfilmmarathon auf ihrem Lieblingssender geben sollte. Wäre ihre Freundin Nathalie nicht gerade in Paris, würde sie sie dazu einladen. Sich gemeinsam zu gruseln, machte so viel mehr Spaß!
Bis auf Jürgen im Lager und Kilian irgendwo in den Gängen des Marktes war sie allein. Sie beschloss, selbst ein paar Lebensmittel einzukaufen, die sie später abkassierte. Auf diese Weise erledigte sie ihren Einkauf noch vor dem Feierabend und sparte Zeit.
Sie sah sich um. Da bei diesen schlechten Wetteraussichten wahrscheinlich niemand mehr kommen würde, ließ sie die Kasse unbeaufsichtigt.
Während Emma immer wieder einen Blick zum Kassenbereich warf, suchte sie nach frischen Tomaten, einer Dose Mais, zwei Packungen Spaghetti und frischem Basilikum. Sie würde sich nach ihrer Schicht eine köstliche Tomatensauce zubereiten und den Abend mit Schwarz-Weiß-Filmen und leckerer Pasta ausklingen lassen. Vielleicht gönnte sie sich zum Wochenende noch ein schönes Glas Wein dazu – oder kippte ihn gleich mit in die Sauce. So genau plante Emma noch nicht.
Ein Räuspern hinter ihr ließ sie herumfahren. Sie hatte den alten Mann vorher gar nicht bemerkt. Er musste sich leise wie eine Katze durch den Supermarkt bewegt haben.
Ein flüchtiger Blick glitt zum Kassenbereich, doch dort war alles ruhig – niemand stand an und wartete auf sie.
»Verzeihung, junge Dame«, sagte er mit krächzender Stimme. »Wo finde ich denn die Konserven?«
Emma setzte ein Lächeln auf und deutete ihm den Weg.
»Gleich hier vorne rechts ist das Regal.«
Der Alte schaute etwas verwirrt drein.
Emma begleitete ihn kurzerhand persönlich zum Ziel.
»Vielen Dank. Dass ich das nicht gesehen habe!« Er lachte und schlug sich mit der sehnigen Hand gegen die Stirn. »Sie sind Gold wert, meine Liebe.«
»Sagen Sie das mal meinem Vorgesetzten«, erwiderte sie zwinkernd.
Emmas Miene erstarrte, als sie den Alarm am Ausgang hörte. Jemand machte sich mit unbezahlter Ware aus dem Staub! Sie rannte zurück an ihren Platz, aber die Kasse war zum Glück unberührt. Durch mehrfache Sicherung würde ohnehin niemand so schnell an das Geld kommen. Dennoch tastete Emma automatisch nach dem Schlüssel und ihrem Barcode, den sie immer bei sich trug. Beides noch da.
Jürgen aus dem Lager und Kilian, der heute die Regale ein- und ausräumte, abgelaufene Lebensmittel entfernte und neue Werbung aufstellte, kamen sofort angelaufen.
»Was ist hier los? Was hast du getan?«, brüllte Jürgen, als wäre er der Chef des Ladens.
Emma gefiel sein harscher Tonfall keineswegs. Sie störte sich an seinem Auftreten. Fast könnte man meinen, dass sie selbst gestohlen hatte.
»Wieso ich? Da hinten läuft jemand mit Ware davon!«, rief sie verzweifelt und zeigte auf eine dunkle Gestalt im Hoodie, die soeben über den Parkplatz rannte und aus ihrem Sichtfeld verschwand. Noch immer schrillte der Alarm. »Was hätte ich denn bitte tun sollen?«
»Ihn aufhalten, wäre ein guter Anfang gewesen! Wieso warst du nicht an deinem Platz oder hast nach uns gerufen? Dann hätte er sich gar nicht erst getraut, hinauszurennen!«
»Dafür gibt es normalerweise Security. Wir sollen den Kunden niemals selbst nachlaufen, wie du weißt«, widersprach sie. »Michael möchte das nicht. Außerdem habe ich die Klingel vorher mehrmals betätigt. Ihr wurdet beide ausgerufen, wart aber nicht da.« Sie deutete auf Kilians Kopfhörer, die um seinen Hals hingen. »Bei ihm kann ich mir erklären, wieso er nichts hört, aber was ist mit dir? Hast du etwa wieder geschlafen?«
»Lenk nicht von deinem Fehler ab, Emma. Ich war sehr ... beschäftigt.« Jürgen wich ihrem Blick aus.
Ja, mit Schnarchen, dachte sie wütend. Und nun macht ihr mich zum Sündenbock. Das ist unfair!
Emma sammelte ihren Einkauf vom Boden, den sie vor Schreck hatte fallen lassen. Erst dann bemerkte sie, dass der alte Mann fehlte. Auch er hatte sich verkrümelt, als es brenzlig wurde, ob vor Angst oder aus anderen Gründen, wusste sie nicht.
Jürgen funkelte sie nun wieder an, als hätte sie ihn persönlich bestohlen. Er fühlte sich erhaben, wenn er andere – insbesondere Emma – in die Schranken weisen konnte.
Kilian kaute gelangweilt auf seinem Kaugummi und betrachtete die Szene teilnahmslos. Der Teenager mit den krausen Haaren schien sich kaum für den Disput zwischen Jürgen und Emma zu interessieren. Auf ihn würde ihr Fehler ohnehin nicht zurückfallen, weil er kein vollwertiger Angestellter war und nur aushalf.
»Ich habe nichts falsch gemacht«, sagte sie etwas kleinlauter, als Jürgen bereits das Handy zückte und ihren Vorgesetzten informierte. Alte Petze, dachte sie wütend und ballte die Hände zu Fäusten. »Als hättest du noch nie etwas falsch gemacht. Ich weiß alles über dich und deine heimliche Arbeitsbeschäftigung.« Das Letzte hatte sie eigentlich nicht laut aussprechen wollen, aber nun war es ihr bereits über die Lippen gekommen. Mist!
Jürgens lange Finger verharrten über dem Display.
»Was hast du gerade gesagt?« Er kniff seine Adleraugen argwöhnisch zusammen. »Ich glaube, du arbeitest noch nicht lange genug hier, um mich zu kritisieren.«
Sie schluckte fest und verlor für einen Moment die Stimme. Ihr Chef setzte große Stücke auf ›seinen besten Angestellten‹. Dass Jürgen genau das ausnutzte und seine Arbeit auf alle anderen abwälzte, schien niemanden zu interessieren.
Kilian verdrückte sich derweil.
Emma sammelte ihren Mut. Sie hatte genug.
»Du bist ständig am Handy und verzockst dein Geld lieber im Internet, als dich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sicher hast du im Lager kein Stück gearbeitet, während ich vorne war. Du hättest ruhig für ein, zwei Stunden mit mir tauschen können.«
»Und das Lager unbeaufsichtigt lassen?« Er schüttelte den Kopf, als hätte sie einen irrwitzigen Vorschlag gemacht. »Du hast ja Vorstellungen! Ich glaube, du weißt nicht, mit wem du hier redest. Michael wird das alles brennend interessieren.« Der ältere Kollege zeigte kein Erbarmen und drückte auf ›Senden‹.
Emma warf die Hände in die Luft. »Was wurde denn schon gestohlen? Ein Kaugummi vielleicht? Passiert das nicht andauernd? Jetzt mach mal halblang, Jürgen! Du spielst dich wie Gott persönlich auf.«
Er beugte sich vor und raunte: »Dass du die Kasse verlassen hast, war nicht abgesprochen. Michael wird sich nun weiter um dich kümmern. Ich habe ihm den Fall bereits geschildert. Er ist in einer Viertelstunde hier. Du kannst dir denken, dass er sich wahnsinnig freut, dass wir ihn aus dem Feierabend holen.« Jedes Wort triefte vor Hohn.
Emma glaubte fest an einen positiven Ausgang. Außerdem war sie nicht gut im Streiten. Erst versagte ihr die Stimme, danach wurde sie impulsiv und später sogar verzweifelt und brach vielleicht in Tränen aus. Sie biss sich lieber fest in die Wange, bis sie Blut schmeckte, als sich noch länger von Jürgen provozieren zu lassen und auf seine Gemeinheiten einzugehen. Außerdem bewirkte sie sonst das Gegenteil von dem, was sie wollte.
Jürgen erwiderte ihre versteinerte Miene mit einem süffisanten Grinsen, ehe sie an die Kasse zurückkehrte.
Wie angekündigt, wurde der Fall keine Viertelstunde später in Michaels Büro aufgerollt. Sie werteten die Bilder der Kameras gemeinsam aus, aber aus keiner Perspektive konnte man das Gesicht des Diebes erkennen. Er hatte durch Emmas Abwesenheit alle Zeit der Welt gehabt, den Laden auszukundschaften und teure Elektronikware, die aktuell als Sonderedition angeboten wurde, in seinen Hoodie zu stopfen. Zu guter Letzt hatte er zwei große Einkaufstaschen gefüllt und war unbehelligt mit seinem Diebesgut davongerannt. Erst der Sensor an der Tür hatte ihn als Räuber entlarvt.
Kurz danach konnten sie beobachten, wie sich auch der alte Mann entfernte, noch etwas aus dem Regal nahm und durch die bereits schrillende Tür rannte, als wäre er keine fünfzig Jahre alt. Er war Emma gebrechlich vorgekommen, doch nun wurde ihr siedend heiß bewusst, dass man sie hereingelegt und absichtlich abgelenkt hatte. Die beiden steckten unter einer Decke.
Michael Martens, Inhaber der deutschlandweit bekannten ›Martens-Kette‹, beäugte Emma skeptisch über seine Brille hinweg, als sie nur noch zu zweit im Büro waren.
»Haben Sie etwas dazu zu sagen?«
»Dass das Protokoll besagt, dass ich ihm sowieso nicht hätte hinterherlaufen dürfen«, antwortete sie etwas zu schnell, aber Emma fühlte sich schrecklich schuldbewusst und erniedrigt zugleich. Sie wollte nicht klein beigeben, nur weil Jürgen von seinen eigenen Fehlern ablenkte und sie ans Messer lieferte.
»Dennoch haben Sie den Kassenbereich verlassen. Und das, obwohl Sie die einzige Mitarbeiterin dort waren. Sie hätten nach Herrn Forchner oder Herrn Karlsen rufen können, der Sie sofort abgelöst hätte, wie er selbst betont hat.«
»Ich habe die Klingel mehrmals betätigt, aber niemand hat reagiert. Das hören und sehen Sie im Video leider nicht. Es tut mir leid, dass ich nicht auf Kilian oder Jürgen gewartet habe. Der Laden sah so menschenleer aus, dass ich dachte, niemand sei mehr dort.«
»Aber es waren noch Kunden im Laden, gleich mehrere.«
»Der alte Mann hat mich überrascht.« Sie senkte das Haupt und hoffte, dass Michael Mitleid hatte. »Ich hätte ihm nicht trauen dürfen, aber machen wir nicht alle mal Fehler?«
»Sie wurden mit dem billigsten Trick aufs Kreuz gelegt. Darüber kann ich nicht einfach hinwegsehen. Wenn ich mich nicht auf mein Personal verlassen kann, darf es auch nicht an die Kasse, sondern nur die Regale einräumen.« Michael schnaufte und rieb sich über die Augen. »Wir können das hier nicht rückgängig machen. Es kamen längst Gerüchte auf, dass Sie Ihre Arbeit nicht ernst nehmen und nicht das erste Mal den Kassenbereich unerlaubt verlassen haben.«
»Wie bitte?«, rief sie entsetzt. »Wer behauptet denn so etwas? Ich habe sonst immer vorbildlich gearbeitet! Das war bestimmt Jürgen, um von sich abzulenken. Wenn Sie wüssten, was er alles ...«
Michael hob die Hand, damit sie verstummte. »Sie haben mich außerdem nicht über Ihre Vergangenheit aufgeklärt.«
Emmas Gesicht wurde bleich, und ihre Finger zitterten.
»Was meinen Sie?« Kann es sein, dass ... Nein! Das ist Jahre her! Er kann es nicht wissen! Emma atmete nur noch stoßweise und wurde beinahe panisch. Sollte ihr der einzige Fehler, den sie im Leben gemacht hatte, ausgerechnet jetzt die Beine wegziehen?
»Frau Winters, mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie früher schon gestohlen haben. In einem Bekleidungsgeschäft, und das nicht zu knapp. Die Waren hatten einen Wert von über tausend Euro. Man hat Sie daraufhin angezeigt. Da Sie bereits volljährig waren, mussten Sie eine Strafe absitzen und Sozialstunden leisten. Als ich das gehört habe, bin ich vom Glauben abgefallen. Wieso haben Sie mir nichts davon gesagt, als ich Sie eingestellt habe? Ich hätte Ihnen doch niemals die Kasse überlassen!«
»Das ... war fast noch eine Jugendstrafe«, hauchte sie bestürzt.
»Sie waren sechsundzwanzig, also mehr als erwachsen. Die Straftat ist gerade einmal vier Jahre her«, sprach er dagegen. »Ob sich jemand in so kurzer Zeit um hundertachtzig Grad dreht, bezweifle ich stark.«
»Aber ich habe meine Stunden bereitwillig abgeleistet. Und im Gefängnis saß ich nur für ein paar Tage, weil ich die Geldstrafe nicht voll zahlen konnte.« Ihre Stimme wurde immer leiser. »Es war ein einmaliger Fehler, der nie wieder vorkommt. Hat nicht jeder eine zweite Chance verdient? Es war eine schlimme Zeit für mich, weil meine Eltern gestorben sind und ich den Boden unter den Füßen verloren habe. Ich schwöre, dass es danach nie wieder zu Betrugsfällen kam. Das war einmalig, und ich habe etwas daraus gelernt.«
Michael seufzte und konnte ihrem herzzerreißenden Blick nicht länger standhalten.
»Ich muss mich dennoch fragen, ob Sie nicht sogar mit dieser Diebesbande unter einer Decke stecken.«
»Ich kenne diese Leute nicht, weder den Alten noch den Mann im Hoodie!«, rief sie sofort, als würde ihre Lautstärke Michael von ihrer Unschuld überzeugen. »Wieso verurteilen Sie mich so einfach? Meine Vergangenheit ist vergangen. Das, was war, habe ich hinter mir gelassen. Bitte geben Sie mir noch eine Chance, Herr Martens. Ich flehe Sie an! Wenn ich diesen Job verliere, verliere ich auch meine Wohnung. Ich habe doch immer gut gearbeitet.«
Emma jammerte und flehte. Sie kam sich klein und unbedeutend vor, weil sie an sein Mitgefühl appellierte. Erbärmlicher könnte es nur noch werden, indem sie sich an seinen Hals warf, aber so weit würde Emma es nicht kommen lassen.
Der Chef kämpfte sichtlich mit sich. »Ich mochte Sie vom ersten Tag an, Frau Winters, aber Sie müssen verstehen, dass mir die Hände gebunden sind. Ich trage auch die Verantwortung für weitere Filialen und Angestellte. Wie sieht es denn aus, wenn ich eine Diebin bei uns arbeiten lasse?«
»Ich bin keine Diebin ... Nicht mehr«, sagte sie beschämt. Dann sah sie auf und weitete ihre Augen erschrocken. »Woher wussten Sie überhaupt davon? Wie haben Sie es erfahren? Ich dachte, die Akten würden unter Verschluss gehalten werden. Sie haben mich nie nach einem Führungszeugnis gefragt.« Zu ihrer Angst gesellte sich nun auch noch Wut. Keine gute Kombination. Emma presste ihre Lippen fest aufeinander.
Ihre beste Freundin Nathalie hätte ihre Beine lässig übereinandergeschlagen, ihren Chef mit einer abfälligen Miene bedacht und wäre die Selbstsicherheit in Person gewesen. Nicht so Emma, die innerlich zusammenbrach, wenn man nur seine Lautstärke in ihrer Gegenwart erhöhte. Sie konnte und wollte sich nicht streiten. Etwas war seit dem frühen Tod ihrer Eltern mit ihr passiert. Als hätte sich ein Schalter umgelegt. Manchmal erkannte sie sich selbst kaum wieder, so verletzlich und dünnhäutig, wie sie war.
»Ich habe privaten Kontakt zum Strafvollzug. Ihr Name fiel zufällig in einer Unterhaltung mit einer Bekannten, die dort arbeitet und sich an Sie erinnert hat. Sie hat mich dazu angehalten, Ihnen besser nicht zu vertrauen«, musste als Erklärung offenbar genügen. »Leider kommen, seit Sie bei uns arbeiten, immer wieder Waren weg. Sie verstehen, dass ich eins und eins zusammenzähle, seit ich Ihre Vergangenheit kenne. Ich wollte Ihnen eine Chance geben, aber der Vorfall heute hat mir gezeigt, dass ich wohl besser kritischer bei der Auswahl meiner Angestellten sein muss.« Ein Stich mitten ins Herz! Michael vertraute Emma nicht mehr.
Sie verschränkte die Arme wie ein beleidigtes Mädchen, wollte sich damit aber nur selbst festhalten, weil ihr ganzer Körper bebte.
»Fragen Sie Jürgen wegen der verschwundenen Sachen. Ich habe damit nichts zu tun.«
Michael hörte ihr gar nicht weiter zu.
»Ich mache das hier wirklich nicht gern, aber Sie haben sich inzwischen zu viele Fehler geleistet, Frau Winters. Herr Karlsen hat mich seit einer Weile darüber informiert.«
»Er lügt!«, schrie Emma und drosselte ihre Lautstärke sofort. »Jürgen will nur seinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen. So etwas hat er schon mit anderen Angestellten gemacht. Wieso sehen Sie nicht, dass er das eigentliche Problem ist?«
»Ich werde nicht damit anfangen, mit Ihnen über das Personal zu diskutieren«, antwortete er streng und zog seine Brauen zusammen, bis eine tiefe Falte zwischen ihnen entstand.
»Ach, aber mit Jürgen ist es möglich? Ist er denn ein besserer Mensch als ich? Hier geht es immerhin um meine Zukunft und eine Ungerechtigkeit, die ich so nicht stehen lassen will.« Endlich hatte sie ausgesprochen, was ihr auf dem Herzen lag.