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Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Denise von Schoenecker wollte gerade ein Kinderbekleidungsgeschäft auf der Königsstraße betreten, als sie das kleine Mädchen entdeckte. Es stand in einem dunklen Hauseingang, den Kopf in die Arme vergraben, und schluchzte bitterlich vor sich hin. Kurz entschlossen wandte sich Denise der Kleinen zu. »Was fehlt dir denn?« fragte sie mitleidig und berührte sanft die kurzen blonden Haare des Mädchens. »Mama«, schluchzte das kleine Mädchen. »Ich will zu meiner Mama!« Es hob sein tränenüberströmtes Gesichtchen und blickte Denise aus blauen Augen an. »Kannst du mich zu meiner Mama bringen?« »Ich werde es auf jeden Fall versuchen«, versprach Denise. »Wie heißt du denn?« »Marlene!« Die Kleine wischte sich mit den Fäusten über die Augen. »Meine Oma sagt Lenchen zu mir, aber das mag meine Mama nicht.« »Komm, wir gehen erst einmal ein Eis essen«, schlug Denise vor. Sie wies zur gegenüberliegenden Seite der Fußgängerzone. »Siehst du, dort ist ein Eiscafé!
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Seitenzahl: 145
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Denise von Schoenecker wollte gerade ein Kinderbekleidungsgeschäft auf der Königsstraße betreten, als sie das kleine Mädchen entdeckte. Es stand in einem dunklen Hauseingang, den Kopf in die Arme vergraben, und schluchzte bitterlich vor sich hin.
Kurz entschlossen wandte sich Denise der Kleinen zu. »Was fehlt dir denn?« fragte sie mitleidig und berührte sanft die kurzen blonden Haare des Mädchens.
»Mama«, schluchzte das kleine Mädchen. »Ich will zu meiner Mama!« Es hob sein tränenüberströmtes Gesichtchen und blickte Denise aus blauen Augen an. »Kannst du mich zu meiner Mama bringen?«
»Ich werde es auf jeden Fall versuchen«, versprach Denise. »Wie heißt du denn?«
»Marlene!« Die Kleine wischte sich mit den Fäusten über die Augen. »Meine Oma sagt Lenchen zu mir, aber das mag meine Mama nicht.«
»Komm, wir gehen erst einmal ein Eis essen«, schlug Denise vor. Sie wies zur gegenüberliegenden Seite der Fußgängerzone. »Siehst du, dort ist ein Eiscafé! Du magst doch sicher Eis?«
Marlene nickte, zögerte aber, Denises Hand zu ergreifen. »Meine Mama sagt, ich darf nicht mit fremden Leuten mitgehen.« Sie blickte zur Gutsbesitzerin empor. »Du bist doch nicht böse zu mir?«
»Deine Mama hat ganz recht, daß sie dir verbietet, mit fremden Leuten mitzugehen«, erwiderte Denise und nahm die Hand der Kleinen. »Doch heute darfst du einmal eine Ausnahme machen. Wenn ich dich nach Hause bringen soll, mußt du schon mit mir mitgehen. Ich bin nicht böse zu dir.«
»Das stimmt!« entschied Marlene. »Ich habe Blumen für meine Mama gekauft, damit sie wieder lieb zu mir ist. Ich war schrecklich böse, und sie hat gesagt, daß sie so ein Mädchen wie mich gar nicht gebrauchen könne.«
»Das hat sie sicher nicht so gemeint«, erwiderte Denise, während sie Marlene über die Fußgängerzone führte, beschloß sie aber bei sich, mit Marlenes Mutter ein ernstes Wort zu reden. So etwas durfte man einfach nicht zu einem Kind sagen, egal, was es auch angestellt hatte.
Marlene löste ihre Hand aus Denises Hand und rannte zu einem der freien Tische, die unter bunten Sonnenschirmen standen. »Dort sitze ich!« rief sie und kletterte auf einen Stuhl.
»Gut!« Denise winkte einen Kellner herbei und bestellte zwei Portionen gemischtes Eis. »Wie ist denn dein Nachname, Marlene?« fragte sie, als sie sich setzte.
»Schumann«, antwortete die Kleine. »Mein Papa heißt Robert Schumann und meine Mama Ireen. Und ich habe eine Schwester, die heißt Viktoria. Mama hat sie viel lieber als mich.«
»Das bildest du dir wahrscheinlich nur ein«, meinte Denise beschwichtigend.
Marlene schüttelte heftig den Kopf. »Viktoria ist immer artig«, erwiderte sie. »Und meine Mama hat nur artige Kinder gern. Das hat sie selber gesagt.«
»Weißt du auch, in welcher Straße du wohnst?« fragte Denise, ohne auf Marlenes letzte Worte einzugehen.
»Ich hab’s vergessen!« Das kleine Mädchen starrte dem Kellner entgegen, der mit dem Eis kam. Es leckte sich die Lippen. »Gestern habe ich es noch gewußt«, sprach es weiter, als der Kellner das Eis auf den Tisch stellte und Denise es gleich bezahlte. »Die Telefonnummer von meinem Papa weiß ich!« rief sie.
»Dann rufen wir deinen Papa gleich an«, sagte Denise erleichtert. »Iß dein Eis, bevor es schmilzt!«
»Schmeckt fein«, meinte die Kleine genüßlich. Sie tauchte den Löffel erneut in den Becher. »Wie heißt du denn, Tante?« fragte sie.
»Du darfst Tante Isi zu mir sagen«, erwiderte Denise. »Sagst du mir, wie alt du bist?« Sie schätzte Marlene auf fünf. Das Mädchen trug ein Baumwollkleidchen, das sicherlich aus einem teuren Kindermodengeschäft stammte. Auch die Sandalen verrieten, daß sie nicht billig gewesen waren. Marlenes Eltern schienen also wohlhabend zu sein.
»Sechs«, sagte Marlene. »Ich komme im Herbst zur Schule.« Stolz nickte sie. »Und so fängt auch die Telefonnummer an!« Sie rasselte sie herunter. »Da meldet sich die Sekretärin von meinem Papa«, fuhr sie fort. »Und wenn du ihr sagst, daß du mich nach Hause bringen willst, wird sie dich mit meinem Papa verbinden.« Marlene griff nach ihrem Schultertäschchen und öffnete es. »Da, damit du anrufen kannst!«
Energisch schob sie Geldstücke über den Tisch.
Denise zwang sich, nicht aufzulachen. »Warum hast du denn deinen Papa nicht schon selbst angerufen?« fragte sie.
»Ich komme doch nicht an ein Telefon heran«, erklärte Marlene in einem Ton, der keinen Zweifel daran ließ, wie dumm sie Denises Frage fand.
Denise wartete, bis Marlene ihr Eis aufgegessen hatte, dann legte sie den Arm um das kleine Mädchen und ging mit ihr zur nächsten Telefonzelle. Halb erwartete sie, daß die Telefonnummer falsch war, doch schon nach dem dritten Klingelton meldete sich eine leicht affektierte Stimme: »Schumann & Sohn, Sekretariat!«
Denise sagte ihren Namen. »Könnte ich bitte Herrn Robert Schumann sprechen?« fragte sie. »Es handelt sich um Marlene.«
»Was hat sie denn jetzt schon wieder angestellt?« stöhnte die Sekretärin. »Das Kind...« Sie unterbrach sich. »Herr Schumann ist weggefahren. Ich weiß nicht, wann er zurückkommt. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
»Ja, das können Sie!« Denise sagte ihr, weswegen sie anrief, und keine Minute später wußte sie, wo Marlene wohnte.
Allerdings fragte sie sich, wie das Kind von Stuttgart-Sonnenberg zur Königsstraße im Zentrum der Stadt gekommen war.
»Ich bin einfach in die Straßenbahn gestiegen«, berichtete Marlene, als sie und Denise zur Tiefgarage gingen, in der Denise ihren Wagen abgestellt hatte. »Es war gar nicht schwer. Und eine Fahrkarte habe ich auch!« Sie zog eine Mehrfachfahrkarte aus ihrem Täschchen, steckte sie aber sofort wieder weg. »Richtig gehören tut sie mir nicht«, gestand sie kleinlaut. »Es ist Bertas Fahrkarte. Berta ist die Köchin meiner Oma. Die Karte lag auf dem Küchentisch.«
»Du weißt doch sicherlich, daß man anderen Leuten nichts fortnehmen darf«, meinte Denise und ergriff wieder Marlenes Hand, da sie jetzt mit dem Aufzug in die Tiefgarage hinunterfuhren.
»Ich habe Berta nichts weggenommen. Es ist ja niemand gekommen, der ein Loch in die Karte gemacht hat.«
»Sag mal, Marlene, warum bist du nicht einfach wieder in die Straßenbahn gestiegen und zurückgefahren?« erkundigte sich Denise. Der Aufzug hielt im zweiten Untergeschoß. Die Türen glitten auseinander.
»Ich bin wieder in eine Straßenbahn gestiegen, aber sie ist nicht nach Hause gefahren«, erzählte Marlene. »Ich hatte solche Angst. Und jetzt habe ich Angst, daß meine Mama ganz fürchterlich mit mir schimpft. Die Blumen habe ich auch verloren.«
»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin ja bei dir!« Denise zog Marlene an sich.
*
Eine knappe Dreiviertelstunde später hielt Denises Wagen vor einem schneeweißen Gartenzaun. Marlene sprang auf den Bürgersteig und rannte zum Tor, blieb aber stehen und wartete dort auf Denise. Vertrauensvoll ergriff sie deren Hand.
Das Haus, in dem Marlene mit ihren Eltern und Großeltern wohnte, erwies sich als eine der reizvollen Villen aus der Zeit der Jahrhundertwende. Es hatte einen großen, halbrunden Erker, der bis zum Dach hinaufreichte, mehrere Giebel und im Erdgeschoß bunte, bleigefaßte Fenster. Eine breite Treppe führte zur Haustür empor.
Noch bevor Denise auf den Klingelknopf drücken konnte, wurde die Haustür von innen geöffnet. Eine ältliche Frau in einem dunkelbraunen Kleid und einer weißen Schürze erschien auf der Schwelle. »Marlene, wie konntest du deiner armen Mutter so etwas antun!« fuhr sie das kleine Mädchen an. »Wo sie heute schon solche Kopfschmerzen hat! Am besten, du gehst gleich auf dein Zimmer und läßt dich vorläufig hier unten nicht sehen.«
»Ich werde Marlene zu ihrer Mutter bringen«, sagte Denise von Schoenecker freundlich, aber bestimmt. Sie stellte sich vor.
»Das ist Berta!« rief Marlene, bevor die Köchin ebenfalls ihren Namen nennen konnte. »Ich wollte nicht böse sein«, fügte sie hinzu.
»Kommen Sie bitte!« Berta wies in den breiten Korridor des Hauses. »Frau Schumann fühlt sich nicht besonders wohl«, sagte sie. »Als Fräulein Reichert sie vorhin anrief und ihr erzählte, daß Sie Marlene auf der Königsstraße aufgegriffen haben, hat sie sich sehr aufgeregt.«
»Ist Marlene denn nicht vermißt worden?«
»Sie hatte Stubenarrest«, antwortete die Köchin. Sie seufzte auf. »Marlene hat sehr oft Stubenarrest.«
»Aber diesmal war Viktoria schuld, nicht ich«, verteidigte sich Marlene. »Ich wollte gar nicht böse sein.«
»Schieb nicht immer alles auf deine kleine Schwester«, brummte Berta.
»Wenn es doch wahr ist«, maulte Marlene und umklammerte Denises Hand.
Berta öffnete eine zweiflügelige Tür. Vor ihnen lag ein heller, sonnenüberfluteter Raum, dessen große Fenster auf eine breite Terrasse hinausgingen. Eine junge, sehr hübsche Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren erhob sich geschmeidig aus einem Lehnstuhl und ging ihnen entgegen. Sie hatte goldblonde Haare, die sich weich auf ihren schmalen Schultern ringelten. Im Gehen strich sie sich ihr hellgrünes Kleid glatt.
»Sie müssen Frau von Schoenecker sein«, sagte sie zu Denise. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll, daß Sie Marlene zurückgebracht haben.«
»Ich wollte dir Blumen kaufen«, flüsterte Marlene, bevor Denise ihrer Mutter antworten konnte.
»Darüber unterhalten wir uns später«, meinte Ireen Schumann. Sie wandte sich an Berta, die abwartend im Hintergrund stehengeblieben war. »Bitte, bringen Sie uns Kaffee und von Ihrem wunderbaren Himbeerkuchen.« Rasch blickte sie Denise an. »Sie trinken doch sicher eine Tasse Kaffee mit mir, Frau von Schoenecker?«
»Gern«, antwortete Denise, obwohl sie es an sich eilig hatte. In Gedanken seufzte sie auf. Sie hatte jetzt schon so viel Zeit verloren, daß es auf eine halbe Stunde mehr oder weniger auch nicht mehr ankam. Zudem war es ihr wichtig, mit Frau Schumann zu sprechen. Vielleicht kam sie dahinter, woran es lag, daß sich Marlene zurückgesetzt fühlte.
»Fein, dann setzen wir uns!« Ireen strich mit einer lässigen Bewegung ihre Haare zurück. Sie wies auf eine weiße Sitzgruppe, die unweit der Terrassentür stand. »Bitte, Frau von Schoenecker!« Ihr Blick fiel auf Marlene, die noch immer Denises Hand umklammert hielt. »Soviel ich weiß, hatte ich dir Stubenarrest gegeben. Geh auf dein Zimmer! Ich komme nachher zu dir.«
Denise legte ihren Arm um die schmächtigen Schultern der Kleinen. »Marlene hat viel Angst ausgestanden, Frau Schumann. In einer großen Stadt ist ein so kleines Mädchen verloren. Außerdem ist Marlene nur weggelaufen, um Blumen für Sie zu kaufen.«
»Marlene weiß genau, daß sie den Garten nicht verlassen darf«, sagte Ireen Schumann, aber ein Lächeln erhellte ihr schmales Gesicht. Sie fuhr ihrer Tochter liebevoll durch die kurzen Haare. »Vergessen wir, was du wieder angestellt hast. Lauf zu Berta in die Küche. Sie soll dir Himbeerkuchen und Milch geben. Danach kannst du zu Viktoria gehen. Michaela ist gekommen. Sie und Viktoria spielen im Sandkasten.«
Marlene schlüpfte unter Denises Arm hervor und schlang die Arme um die Hüften der Mutter. »Ich hab’ dich lieb, Mama«, sagte sie und vergrub ihr Gesichtchen in Ireens Kleid.
Ireen strich ihrer Tochter erneut durch die Haare, dann befreite sie sich von Marlenes Händchen und schob das Kind zur Tür. »Ab mit dir, Darling!« meinte sie.
Marlene drehte sich um. »Bist du noch da, wenn ich zurückkomme?« fragte sie Denise.
»Ich gehe nicht, ohne dir auf Wiedersehen gesagt zu haben«, versprach die Gutsbesitzerin.
Marlene hüpfte durch die Tür. Trällernd rannte sie den Korridor entlang.
Die beiden Frauen nahmen in den Sesseln Platz. Ireen Schumann wollte etwas sagen, als Berta mit einem kleinen Servierwagen in den Salon trat. Stumm deckte sie den Tisch, schenkte Kaffee ein und verließ wieder den Raum.
»Unser Mädchen ist zur Zeit bei seinen Eltern«, sagte Ireen, als sie mit Denise wieder allein war. »Berta ist eigentlich nur unsere Köchin«, sie bot Denise vom Himbeerkuchen an.
»Danke!« Denise nahm sich ein Stück. »Sie besitzen ein wunderschönes Haus«, meinte sie und blickte bewundernd zu den Fenstern. »Jugendstil hat mir von jeher gefallen.«
»Es ist nicht mein Haus«, erwiderte die junge Frau. Sie setzte ihre Tasse so hart auf den Teller, daß Denise überrascht aufsah. »Das Haus gehört meinen Schwiegereltern«, fuhr Ireen fort. »Sie sind für einige Wochen zu ihrer Tochter nach München gefahren.«
»Und Sie sind froh darüber«, stellte Denise fest. Sie spürte, daß die junge Frau nicht glücklich war.
»Nein… doch!« Ireen lächelte, um Entschuldigung bittend. »Ich will nicht sagen, daß meine Schwiegermutter ein Drachen ist, aber sie hat ständig etwas an mir auszusetzen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte Robert, mein Mann, ein Mädchen aus der Nachbarschaft geheiratet und nicht mich.« Sie nahm einen Schluck Kaffee. »Ich bin Engländerin. Ich kam vor etwas über sieben Jahren als Au-pair-Mädchen gegen den Willen meiner Eltern hierher. Schon damals hat es mir Frau Schumann nicht leicht gemacht. Wäre Robert nicht gewesen, hätte ich schon nach der ersten Woche meine Sachen wieder gepackt.« Sie zuckte mit den Achseln. »Aber ich…« Verlegen unterbrach sie sich. »Warum erzähle ich Ihnen eigentlich das alles?« fragte sie. »Es ist sonst nicht meine Art, fremden Leuten mein Herz auszuschütten.«
»Manchmal erleichtert es aber ungemein, wenn man mit jemandem über seine Sorgen sprechen kann«, meinte Denise. Sie lachte. »Außerdem bin ich gewohnt, daß die Leute bei mir ihr Herz ausschütten. Ich leite ein Kinderheim bei Wildmoos. Das liegt in der Nähe von Maibach.«
»Ich weiß zwar nicht, wo Maibach ist, aber jetzt verstehe ich Ihr Interesse an Kindern«, erwiderte Ireen. »Ich mag Kinder, aber für mich wäre es nichts, ständig einen ganzen Haufen von ihnen um mich zu haben. Marlene allein ist schon manchmal für meine Nerven zuviel.« Sie lehnte sich zurück. »Von Anfang an war es mit ihr nicht leicht. Schon als winziger Säugling hat sie nichts als Schwierigkeiten gemacht. Viktoria hat selten geschrien, bei Marlene hat das ganze Haus gebebt. Was habe ich nicht alles getan, um sie zu beruhigen. Ich bin oft regelrecht verzweifelt.«
»Sie war wohl schon auf der Welt, bevor Sie heirateten«, meinte Denise nachdenklich.
Ireen nickte. »Ich wollte nicht heiraten«, gestand sie. »Daß ich schwanger war, bemerkte ich erst, als ich schon wieder einen Monat in England lebte. Und dann kam Marlene auf die Welt. Meine Familie war natürlich entsetzt und überlegte, mit wem man mich verheiraten könnte. Es gab einige junge Männer in unserer Gegend, die mich auch mit Kind geheiratet hätten, um in unserer Familie aufgenommen zu werden. Ich wollte nicht. Ich bin nach wie vor überzeugt, daß man nur aus Liebe heiraten soll. Und dann kam Robert nach England. Wer ihm von dem Kind geschrieben hat, weiß ich nicht. Jedenfalls überredete er mich, ihn zu heiraten. Meine Eltern waren genauso dagegen wie seine.« Sie lachte. »Aber wenn Robert sich etwas in den Kopf gesetzt hat, schafft er es gewöhnlich. Zwei Wochen nach seiner Ankunft heirateten wir, einige Tage darauf flogen wir nach Deutschland.«
»Hast du es jemals bereut?«
Denise schaute zur Tür. Ein sehr großer blonder Mann war in den Salon gekommen. Mit raschen Schritten ging er auf Denise zu.
»Sie müssen Frau von Schoenecker sein«, meinte er. »Meine Sekretärin hat mich angerufen und mir alles erzählt.« Er ergriff ihre Hand. »Danke, daß Sie Marlene nach Hause gebracht haben. Was hätte ihr nicht alles passieren können!« Er wandte sich an seine Frau. »Was hat es denn wieder mit ihr gegeben?«
»Die Kinder hatten sich gezankt. Marlene war schuld! Also habe ich zu ihr gesagt, daß sie für den Rest des Tages hier unten unerwünscht ist«, erwiderte Ireen ruhig. »Allem Anschein nach wollte sie mich mit einem Blumenstrauß versöhnen. Sie ist in die Stadt gefahren, um Blumen zu kaufen.«
»Als ob es hier keine Läden geben würde!« Robert Schumann lachte. Er beugte sich über seine Frau und küßte sie auf die Stirn. »Ich werde ihr nachher noch einmal sagen, daß sie ohne unser Wissen nicht den Garten verlassen darf.«
»Als ob das etwas nützen würde«, meinte Ireen sarkastisch. »Marlene hat nun einmal ihren eigenen Kopf.« Sie zwinkerte ihrem Mann zu. »Das muß sie von dir geerbt haben.«
»Natürlich, ich bin immer der Schuldige«, erwiderte Robert. Er setzte sich an den Tisch. »Berta bringt mir gleich eine Tasse und frischen Kaffee«, sagte er. »Jedenfalls sind wir Ihnen sehr dankbar, Frau von Schoenecker. Mögen Sie Kinder? Marlene faßt gewöhnlich nicht sehr schnell zu Fremden Zutrauen.«
»Frau von Schoenecker hat ein Kinderheim«, warf seine Frau ein.
»Oh, wie interessant«, meinte der junge Mann. »Davon müssen Sie uns erzählen.«
»Ich würde es gern, aber ich muß mich leider verabschieden«, erwiderte Denise. »Ich habe noch einiges zu erledigen, bevor ich nach Wildmoos zurückfahre.«
»Schade, aber aufgeschoben braucht noch lange nicht aufgehoben zu sein«, erklärte Robert Schumann. »Besuchen Sie uns doch bei Gelegenheit. Wir haben gern Gäste. Und bringen Sie auch Ihren Gatten mit.«
»Das werde ich gern tun«, versprach die Gutsbesitzerin und stand auf. Die Schumanns gefielen ihr. Zudem hoffte sie, vielleicht die Beziehung zwischen Marlene und ihrer Mutter günstig beeinflussen zu können. Marlene war ein unerwünschtes Kind gewesen, und das schien sich noch immer auszuwirken. Denise hatte in ihrer langjährigen Praxis schon mehrere derartiger Fälle gehabt.
»Das freut mich!« Robert Schumann erhob sich ebenfalls.
»Vergessen Sie nicht Marlene«, erinnerte Ireen. »Wenn Sie sich nicht von ihr verabschieden, haben wir die nächsten Tage einiges auszustehen.« Sie lachte. »Marlene ist leider ein kleiner Tyrann.«
»Na«, meinte Robert beschwichtigend.
»Auch wenn du es nicht wahrhaben willst, Robert, es stimmt«, erwiderte seine Frau. »Um mit Marlene fertig zu werden, braucht man schon sehr viel Geduld.« Sie ging zur Terrassentür. »Kommen Sie, Frau von Schoenecker, ich bringe Sie zu den Kindern. Dann können Sie auch gleich Viktoria kennenlernen.«
»Und ich werde Sie und meine Frau begleiten«, entschied Robert Schumann. Er machte einige Schritte auf die beiden zu, doch im nächsten Moment klingelte das Telefon. Bedauernd hob er die Achseln und kehrte um.