Halt mich fest, Mami - Anne Alexander - E-Book

Halt mich fest, Mami E-Book

Anne Alexander

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Fassungslos starrte Doris Almadez den alten Rechtsanwalt an. »Ich verstehe das einfach nicht. Ich verstehe das einfach nicht. Ich habe von dieser Großtante nie etwas gehört, und jetzt soll ausgerechnet sie mir zweihunderttausend Euro hinterlassen haben«, sagte sie. »Nein, Herr Doktor Stein, das ist einfach unmöglich, das muß ein Irrtum sein.« Lächelnd erwiderte Dr. Stein: »Nicht hinterlassen, Frau Almadez, sondern Sie sind als die einzig noch lebende Verwandte ermittelt worden. Sie sind doch eine geborene Weber.« »Das schon, aber schließlich gibt es den Namen Weber wie Sand am Meer.« »Trotzdem ist ein Irrtum ausgeschlossen. Die Ermittlungen haben über ein Jahr gedauert. Es steht einwandfrei fest, daß Sie, Frau Almadez, die Großnichte der verstorbenen Frau Weber sind.« Der Rechtsanwalt schob Doris eine Aktenmappe zu und sagte: »Wenn Sie wollen, können Sie ruhig die Papiere durchsehen, damit Sie sich ohne Bedenken über diese unerwartete Erbschaft freuen können« Doris Almadez blätterte in den Unterlagen, aber sie war noch immer so aufgeregt, daß ihr die Buchstaben vor den Augen verschwammen. Sie schob dem Rechtsanwalt die Mappe wieder zu und bat: »Bitte, berichten Sie mir das Wesentlichste, ich bin im Moment einfach zu nervös, um mir jetzt in Ruhe die Papiere ansehen zu können. Und außerdem geht es auch schneller, Ihre Zeit ist sicherlich bemessen.« »Das schon, aber für Sie hatte ich ja den Termin eingeplant, Frau Almadez«, entgegnete der Rechtsanwalt freundlich. Er betrachtete mit Wohlgefallen die junge Frau, die vor ihm saß.

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Sophienlust Bestseller – 28 –

Halt mich fest, Mami

... denn ich will bei dir bleiben

Anne Alexander

Fassungslos starrte Doris Almadez den alten Rechtsanwalt an. »Ich verstehe das einfach nicht. Ich verstehe das einfach nicht. Ich habe von dieser Großtante nie etwas gehört, und jetzt soll ausgerechnet sie mir zweihunderttausend Euro hinterlassen haben«, sagte sie. »Nein, Herr Doktor Stein, das ist einfach unmöglich, das muß ein Irrtum sein.«

Lächelnd erwiderte Dr. Stein: »Nicht hinterlassen, Frau Almadez, sondern Sie sind als die einzig noch lebende Verwandte ermittelt worden. Sie sind doch eine geborene Weber.«

»Das schon, aber schließlich gibt es den Namen Weber wie Sand am Meer.«

»Trotzdem ist ein Irrtum ausgeschlossen. Die Ermittlungen haben über ein Jahr gedauert. Es steht einwandfrei fest, daß Sie, Frau Almadez, die Großnichte der verstorbenen Frau Weber sind.« Der Rechtsanwalt schob Doris eine Aktenmappe zu und sagte: »Wenn Sie wollen, können Sie ruhig die Papiere durchsehen, damit Sie sich ohne Bedenken über diese unerwartete Erbschaft freuen können«

Doris Almadez blätterte in den Unterlagen, aber sie war noch immer so aufgeregt, daß ihr die Buchstaben vor den Augen verschwammen. Sie schob dem Rechtsanwalt die Mappe wieder zu und bat: »Bitte, berichten Sie mir das Wesentlichste, ich bin im Moment einfach zu nervös, um mir jetzt in Ruhe die Papiere ansehen zu können. Und außerdem geht es auch schneller, Ihre Zeit ist sicherlich bemessen.«

»Das schon, aber für Sie hatte ich ja den Termin eingeplant, Frau Almadez«, entgegnete der Rechtsanwalt freundlich. Er betrachtete mit Wohlgefallen die junge Frau, die vor ihm saß. Doris Almadez sah sehr gut aus. Sie hatte eine tadellose Figur, hellblondes Haar und dunkelblaue Augen.

Bedächtig legte Dr. Stein die Fingerspitzen zusammen, dann begann er im Telegrammstil über die vor einem Jahr Verstorbene zu berichten:

»Frau Weber war die Schwester Ihres Großvaters väterlicherseits. Sie wollte gegen den Wunsch ihrer Familie einen Argentinier heiraten, ging mit ihm in seine Heimat und brach hinter sich alle Brücken ab. Doch der Argentinier heiratete sie nicht. Schließlich wurde sie Wirtschafterin bei einem alten Herrn, der ihr, da er ohne Anhang war, sein Vermögen vererbte.«

»Hat sie nie geheiratet?« fragte Doris verwundert, denn ihrer Meinung nach blieb ein Goldesel nicht lange ohne Partner.

»Nein, vielleicht hatte sie auch nach ihrer ersten schlechten Erfahrung Angst vor den Männern«, meinte Dr. Stein humorvoll. Er sah die junge Frau an. »Was werden Sie jetzt mit dem unverhofften Segen anfangen?« fragte er.

Doris sah ihn offen an und meinte: »Wissen Sie, Herr Doktor Stein, das alles kommt so plötzlich, ich muß das erst mit meinem Mann besprechen. Der ist Maschinenschlosser und hat schon lange den Wunsch, sich selbständig zu machen. Er könnte sich jetzt eine eigene Werkstatt einrichten.«

»Hm, das wäre eine Möglichkeit«, meinte der erfahrene Jurist, »aber wäre es nicht besser, das Geld für Sie und Ihre Kinder fest anzulegen? Sie müssen auch an die Zukunft denken. Ich will Sie gewiß nicht beunruhigen, aber ich rede aus Erfahrung. Auf die Dauer einer Ehe kann man nicht bauen, und wenn man dem Mann alles ohne Sicherheit überläßt, könnte es sein, daß man eines Tages mit leeren Händen dasteht.«

»Ach geh’n Sie, Herr Doktor«, wehrte die Frau lachend ab. »Erstens kann ich meinem Mann hundertprozentig vertrauen und zweitens haben doch Frau und Kinder auch was davon, wenn der Mann durch seine Selbständigkeit mehr verdient.«

»Ich will Ihr Vertrauen zu Ihrem Mann nicht erschüttern«, meinte der Rechtsanwalt, »trotzdem sollten Sie das Geld Ihrem Mann nicht ohne Sicherheit geben. Wenn Sie ihm den Betrag für eine eigene Werkstatt zur Verfügung stellen, lassen Sie sich wenigstens als Teilhaberin eintragen. Ich bin gern bereit, Ihnen bei einem solchen Vertrag behilflich zu sein.«

»Danke für Ihr Angebot, vielleicht komme ich darauf zurück«, erwiderte die Frau vage.

Der Rechtsanwalt seufzte innerlich. Er kannte seine Pappenheimer. Warum nur schraken die meisten Leute davor zurück, sich von dem Partner, den sie lieben, eine schriftliche Sicherheit geben zu lassen, dachte er. Aus Erfahrung wußte er, wie oft auch schon die größte Liebe vor dem Richter geendet hatte. »Wenn Sie irgendeinen Rat brauchen, stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung, Frau Almadez«, sagte er. »Ich wünsche Ihnen alles Gute!«

»Vielen Dank«, erwiderte die junge Frau herzlich mit strahlenden Augen. »Ich freue mich schon auf die Gesichter, die meine Leute machen werden, wenn sie das erfahren.« Sie stand auf und reichte dem Rechtsanwalt, der sich gleichfalls erhoben hatte, die Hand.

Dr. Stein begleitete sie bis zum Ausgang. Höflich verneigte er sich vor der jungen Frau, dann schloß er hinter ihr die Tür.

*

»Au ja, da bekomm’ ich ’n Fahrrad«, sagte der achtjährige Wolfdieter mit blitzenden Augen, als er von der Erbschaft seiner Mutter erfuhr.

Sie saßen in der Küche bei einer kurzen Zwischenmahlzeit. Das Hauptessen gab es erst abends, wenn Miguel heimkam. Eigentlich hatte Doris erst nach dessen Heimkehr von der Erbschaft sprechen wollen, aber sie war davon so erfüllt gewesen, daß sie die Neuigkeit sofort ihrem Sohn aus erster Ehe erzählt hatte, kaum daß dieser von der Schule nach Hause gekommen war.

»Von wegen, für ein Fahrrad bist du noch zu jung«, erwiderte die Mutter.

»Ich bin doch schon acht!« protestierte Wolfdieter. »Mein Freund Gerd hat sein Fahrrad schon seit Schulanfang.«

»Und er hat großes Glück gehabt, daß er sich nur das Bein brach«, ergänzte die Mutter. »Trotzdem darf er weiterhin radfahren. Ich verstehe solche Eltern nicht!«

»Ich will doch auch was von den Moneten haben«, maulte der Junge.

»Was sind Moneten?« fragte die fünfjährige Isabel. Das kleine Mädchen war bis dahin voll damit beschäftigt gewesen, seinen Milchbrei auszulöffeln. Jetzt schob es den Teller von sich. »Fertig«, sagte es. »Hat geschmeckt!«

»Och, die olle Pampe!« rief der Junge geringschätzig aus.

»Die olle Pampe, wie du dich auszudrücken beliebst, ist Grießbrei und sehr bekömmlich für Kinder«, wies ihn die Mutter streng zurecht. »Nimm dir ein Beispiel an Isa und iß endlich deinen Teller leer.«

»Was sind Moneten?« fragte Isabel nochmals.

»Ich weiß nicht, woher dein Bruder nur immer diese Ausdrücke hat«, rügte Doris. »Damit meint er das Geld, das wir geerbt haben.«

»Viel Geld?« fragte Isabel.

Die Mutter lachte. »Es kommt darauf an, was man damit macht«, meinte sie. »Wenn man nur kleine Dinge kauft, ist es viel Geld. Aber ich möchte, daß sich euer Vater davon eine Werkstatt einrichtet, und das ist sehr teuer. Ich bin kein Fachmann, vielleicht reicht es gar nicht einmal ganz dafür. In dem Fall ist es nicht viel Geld.«

»Kaufen wir uns eben nur Kleinigkeiten«, schlug der Sohn vor. »Stell dir vor, Mama, was wir dafür alles kriegen können!«

»So’n Berg!« sagte Isabel und breitete ihre Ärmchen weit aus, um zu zeigen, wie groß der Berg sein würde. »Dann krieg ich ’ne große Puppe und ’nen Puppenwagen und...«

»Du hast wirklich genug«, unterbrach sie ihr Halbbruder. »Ich will ’n Rad.«

»Du hast gar nichts zu wollen«, erwiderte die Mutter. »Ich hätte mit euch noch nicht darüber reden sollen. Erst kommt die große Sache, und wenn dann noch was übrig bleibt... Auf jeden Fall müßt ihr warten, bis ich mit eurem Vater gesprochen ha­be.«

»Er ist nicht mein Vater«, widersprach Wolfdieter heftig. »Und wenn’s nach dem geht, bekomm ich nie ’n Rad.«

»Wie sprichst du denn von ihm?« fragte Doris empört. »Du solltest ihm dankbar sein. Schließlich leben wir von ihm und...«

»Du arbeitest doch auch noch, Mama, also lebe ich von dir«, argumentierte der Achtjährige.

»Aber nur noch halbtags. Erst durch Vaters Lohn haben wir unser gutes Auskommen.«

»Mit dir allein wär’s trotzdem schöner«, erwiderte Wolfdieter.

»Ja, hast du denn dein Schwesterchen gar nicht lieb?« fragte Doris verärgert über die plötzliche Aufsässigkeit ihres Sohnes.

Der Junge sah seine kleine Schwester an, die jetzt vergnügt mit einer Puppe spielte. »Die mag ich schon«, sagte er.

»Dich mag ich auch«, rief Isabel, unterbrach aber nicht ihre Tätigkeit, die Puppe ganz auszuziehen.

»Aber nicht den Stiefvater«, ergänzte Wolfdieter. »Nie hat er Zeit für mich, immer bin ich ihm im Wege.«

»Aber Kind, das bildest du dir bloß ein«, versuchte ihn Doris zu besänftigen. »Wenn Vater abends nach Hause kommt, ist er geschafft und müde.« Sie stand auf, stellte die leergegessenen Teller aufeinander und legte sie in das Abwaschbecken.

»Bei Isabel nie!« konterte Wolfdieter. »Die kriegt alles von ihm.« Obwohl er seine Halbschwester wirklich sehr gern hatte, traf es ihn doch tief, daß sein Stiefvater nur für seine Tochter Augen zu haben schien, während er ihn überhaupt nicht beachtete.

Doris Almadez seufzte. Sie hätte gern ihrem Sohn weiterhin widersprochen, doch sie wußte, daß er im Recht war. Sie selbst liebte beide Kinder gleichermaßen. Sie beschloß, einmal mit Miguel ein ernstes Wort zu reden. Hatte er ihr bei der Hochzeit nicht versprochen, auch ihrem Sohn aus erster Ehe ein guter Vater zu sein? Doch seit Isabel auf der Welt war, schien er dieses Versprechen vergessen zu haben.

»Wenn Papa nach Hause kommt, krieg ich ein neues Püppchen«, erzählte Isabel im Singsang ihrer Puppe, während Isabel sie bedächtig wieder anzog. »Aber dich, Susi, hab ich dann trotzdem noch lieb!« Sie unterbrach ihrer Tätigkeit und wandte sich ihrer Mutter zu, die gerade den Tisch abwischte. »Mama, ich möchte auch noch ’nen Malkasten. Weißt du, ich mal so gern. Einen recht großen, dann darf ich Tante Mellin den Zaun streichen, hat sie gesagt.«

Die Mutter lachte auf. »Sie hat doch nur Spaß gemacht. Außerdem ist sie nicht deine Tante, sondern Frau Mellin.« Sie lächelte vor sich hin. Diese alte Frau Mellin, ihre Vermieterin, war ein Original und unbeschreiblich geizig. Unter Umständen war ihr schon zuzutrauen, daß sie statt einen Handwerker ein Kind mit der Aufgabe betreute, den Gartenzaun, von dem längst die Farbe abgeblättert war, neu zu streichen. Wieder lachte sie auf. »Der Zaun würde dann höchstwahrscheinlich kunterbunt aussehen, Isa«, sagte sie und machte sich an den Abwasch.

»Nicht wahr, Mama, ich kann schön bunt malen. Ich habe die meisten Farben schon verbraucht. Krieg ich also ’nen neuen Malkasten?«

»Du kriegst ihn bestimmt«, vermutete Wolfdieter.

»Kinder, gebt endlich Ruhe«, bat die Mutter. »Wartet, bis ich alles mit Vater besprochen habe.« Sie griff nach dem Geschirrhandtuch.

»Ich helf dir«, sagte Wolfdieter in einer Anwandlung von Großmut. Er griff nach dem Tuch und fing an, die Teller abzutrocknen.

Erstaunt sah Doris ihren Sprößling an. Sie war solche Hilfeleistungen von ihrem Sohn nicht gewohnt. Übrigens war das so ziemlich das einzige, wobei Wolfdieter von seinem Stiefvater unterstützt wurde. Miguel fand, daß Hausarbeiten für einen Jungen demütigend und entehrend waren. Obwohl sie halbtags noch in einem Büro arbeitete und dazu einen Vierpersonenhaushalt zu versorgen hatte, half er ihr nie, sondern erwartete, daß er in allem bedient wurde. Sie seufzte. Leicht war das Leben mit Miguel nicht, aber sie liebte ihn nun mal. Sie fühlte sich bei ihm geborgen, er war arbeitsam und konnte so zärtlich sein.

In ihre Gedanken hinein platzte ihr Sohn mit dem Ausruf: »So, Mama, ich bin fertig! Bekomm ich nun mein Rad?«

Wieder mußte Doris auflachen. »Ach, daher deine Hilfsbereitschaft«, bemerkte sie.

»Nicht nur deswegen«, erwiderte Wolfdieter nicht ganz wahrheitsgemäß. »Ich mein’ nur, es ist dein Geld, du hast es geerbt. Dann kannst du mir doch ruhig ’n Fahrrad kaufen.«

»Zwischen Eheleuten darf es kein mein und dein geben«, wies ihn Doris zurecht. »Mach jetzt lieber deine Schularbeiten.«

»Hab keine auf«, behauptete Wolfdieter, was allerdings auch nicht der Wahrheit entsprach. »Kann ich zu Gerd? Der läßt mich wenigstens auf seinem Rad fahren.« Nach dieser versteckten Anklage rannte er so schnell wie ein Blitz zur Wohnungstür hinaus.

Zuerst wollte die Mutter ihm nachlaufen, um ihm zu sagen, daß er nicht auf den Straßen herumfahren sollte, aber dann ließ sie es sein. Sie sagte sich, daß es sowieso keinen Zweck hätte, denn hinter ihrem Rücken tat er ja doch, was er wollte. Sie ging zum Fenster und sah ihn gerade noch um die Ecke flitzen.

Die Frau starrte sorgenvoll auf die Straße hinaus. Nicht nur aus Liebe hatte sie den Spanier Miguel geheiratet. Sie wollte nach dem Tode ihres Mannes ihrem damals zweijährigen Sohn wieder einen Vater geben, und es hatte ganz danach ausgesehen, als ob Miguel ein hervorragender Vater werden würde. Er war nett zu dem Kind gewesen, hatte mit ihm gespielt, es überall mitgenommen und zu dieser Zeit wurde er von Wolfdieter über alle Maßen geliebt. Doch das hatte sich schlagartig nach Isabels Geburt geändert. Miguel kümmerte sich seither nur noch um sein Kind und ließ den Sohn aus der ersten Ehe seiner Frau links liegen, so daß dessen Liebe in Abneigung umschlug.

Doris wußte auch genau, daß ihre spanischen Verwandten daran nicht schuldlos waren. Ständig warfen sie Miguel in Briefen oder bei Besuchen vor, daß er eine spanische Frau hätte heiraten sollen. Der blondhaarige Junge würde überhaupt nicht zu ihrer Familie passen, er solle seine Frau endlich veranlassen, ihn in ein Heim zu geben.

Eine kleine Hand zupfte ungeduldig an ihrem Rock. »Mama, hörst du denn nicht?« fragte Isabel. »Ich weiß nicht, was ich anfangen soll. Kannst du nicht mit mir spielen?«

»Ich muß jetzt Kartoffeln schälen, Isa«, erwiderte die Mutter. »Du weißt doch, Papa wird böse, wenn das Essen nicht pünktlich auf dem Tisch steht.«

»Dann kitzle ich ihn, dann lacht er wieder«, behauptete die Kleine. »Darf ich zu Rudi?«

Die Mutter nickte. Der kleine Rudi wohnte gleich gegenüber. Die beiden besuchten denselben Kindergarten. Während Doris Isabel und den vierjährigen Rudi morgens hinbrachte, bevor sie ins Büro ging, holte Frau Kern die Kinder am Nachmittag wieder ab.

Doris öffnete der Kleinen die Tür und klingelte bei der Nachbarin. Als Frau Kern aufmachte, sagte sie: »Isa möchte gern mit Rudi spielen. Wenn es Ihnen aber nicht paßt, kann Rudi auch zu uns herüberkommen.«

»Nicht nötig.« meinte Frau Kern. »Das Kinderzimmer ist groß genug.«

Während Isabel an der Nachbarin vorbei in den Flur tippelte, nickten sich beide Frauen freundschaftlich zu, bevor Doris in ihre Wohnung zurückkehrte.

Sie setzte sich mit der Schüssel Kartoffeln an den Tisch, um sie zu schälen. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken wieder nach Spanien. Jedes Jahr fuhren sie in ihrem Urlaub dahin, aber während es für Miguel eine erholsame Zeit war, – er wurde dann nicht nur von ihr, sondern auch von seiner Mutter und den Schwestern bedient –, wurde für sie jeder Urlaub immer mehr zu einem Alptraum. In diesem Dorf bei Granada herrschten nach außen hin die Männer, im Hause dagegen die Familienmutter. Die deutsche Schwiegertochter hatte überhaupt nichts zu melden, sie wurde von allen nur als Dienstmädchen betrachtet, auch von Miguels Schwestern, sechzehn, neunzehn und einundzwanzig Jahre alt. In Doris’ Augen waren sie alberne Gänse, die immer zusammen schnatterten und kicherten, besonders über ihre deutsche Schwägerin, die nun einmal eine andere Lebensart hatte als sie.

Was aber Doris am meisten ärgerte, war, daß Miguel ihr nie beistand, sondern höchstens sagte: »Meine Mutter meint es doch nur gut mit uns.«

Am schlimmsten jedoch hatte Wolfdieter zu leiden gehabt. Allen war er nur im Wege gewesen. In den beiden letzten Jahren hatte sie ihn deshalb in den Ferien in einem Heim untergebracht. Aber gerade das schmerzte sie besonders. Gewiß, das Kinderheim Sophienlust war hervorragend, und Wolfdieter war jedesmal hell begeistert zurückgekehrt, und doch kam sie sich wie eine Rabenmutter vor, die das Kind in den Ferien einfach abschob, nur weil es der spanischen Familie nicht genehm war. Schließlich hatte Miguel doch eine Frau mit Kind geheiratet!

Aufseufzend erhob sich die junge Frau, um die geschälten Kartoffeln abzuwaschen. Sie hoffte, daß eine Werkstatt ihren Mann vielleicht endgültig an Deutschland binden würde.

*

»Ich krieg’ ’ne Puppe!« rief Isabel ihrem Vater entgegen, kaum daß er die Wohnungstür aufgeschlossen hatte. »Und ’nen Malkasten und...«

»Halt, halt, Isa, das ist doch gar nicht wahr«, sagte Doris, die hinter ihrem vorlauten Töchterchen aus der Küche gekommen war, um ihren Mann zu begrüßen. »Ich habe dir nichts versprochen, Isa.«

Miguel lachte und gab seiner Frau einen herzhaften Kuß. Dann hob er das kleine Mädchen hoch und drückte es innig an sich. »Dein Namenstag ist noch lange nicht«, meinte er.

Das Kind schlang ihre Arme um seinen Hals und sah ihn mit seinen dunklen Augen bittend an. »Aber Papa, wo wir doch jetzt so viel Geld haben. Mama sagt, es wäre viel Geld für kleine Sachen, aber du willst nur ein Ding haben, dann wäre es wenig. Du willst doch aber auch viel Geld haben, dann mußt du viel Kleines kaufen. Nicht wahr, ich bekomme den...«

Miguel stellte seine Tochter wieder auf den Boden und sagte: »Isa, eine erneute Aufzählung erübrigt sich. Deine Logik ist wirklich umwerfend.« Er sah seine Frau an und fragte: »Es handelt sich also tatsächlich um eine Erbschaft? Wieviel? Du wolltest mich doch sofort anrufen.«

»Ich wollte dich heute abend überraschen«, erwiderte Doris. »Leider ist mir die kleine Plaudertasche zuvorgekommen.« Sie nahm ihm die Jacke ab und hing sie säuberlich an die Flurgarderobe. »Zur Feier des Tages habe ich eine Tortilla á la Paaisano gemacht und dazu eine Flasche Wein Rioja besorgt. Wenn du dich gewaschen hast, können wir essen.«

»Wieviel?« fragte Miguel nochmals.

»Zweihunderttausend«, erwiderte seine Frau und ging in die Küche zurück.

Überrascht starrte ihr Miguel nach. Wenn das stimmte, dann wäre das endlich der Weg, von der harten Arbeit in Deutschland loszukommen und in die Freiheit seiner sonnigen Heimat zurückzukehren. Vor seinen Augen erschien sein kleines Heimatdorf in der Sierra Nevada, das wie ein Vogelnest an den Felsen klebte. Ein ungeheures Glücksgefühl durchrann ihn. Dort wieder leben zu können mit einem finanziellen Rückhalt, war der Traum seines Lebens. Allerdings hatte er nie zuvor darüber mit Doris gesprochen. Wozu auch, denn mit seiner Hände Arbeit, auch wenn sie noch so sparsam lebten, würde er niemals soviel zusammensparen können, um davon sorgenlos mit seiner Familie und seinen Angehörigen in dem Bergdorf leben zu können, wo es kaum irgendeine Lohnarbeit gab.