Hochbegabt? Oder einfach anders? - Sebastian Stranz - E-Book

Hochbegabt? Oder einfach anders? E-Book

Sebastian Stranz

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Beschreibung

Besondere Kinder und Jugendliche besser verstehen. Für Eltern, Lehrer, Erzieher, aber auch für die Betroffenen selber wird ein Angebot für eine Deutung gegeben: Es gibt immer mehr junge Menschen, die spirituell erwachen. In einer Gesellschaft, die das Spirituelle immer noch ausschließt und leugnet, gibt es kein Verständnis und kein Angebot. Die bisherigen Wege der "Hochbegabung" werden diesem Problem nicht gerecht. Vielleicht müssen wir unser Leistungsdenken und unsere Fixierung auf die Wissenschaft mal ablegen und uns um Hilfestellung bemühen, wie der junge Mensch in seiner gesamten Persönlichkeitsentwicklung reift. Neben den neuen Thesen bringt das Buch viele Beispiele aus dem eigenen Leben des Autors und dem Leben anderer, um ein Gefühl dafür zu vermitteln und die Aussagen zu untermauern.

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Seitenzahl: 302

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Da in diesem Buch nicht gegendert wird, meinen Begriffe wie „der Hochbegabte“, oder „der, der anders ist“ genauso wie „der Jugendliche“, oder „der Heranwachsende“ immer beide Geschlechter.

Die Berichte vom Drogenkonsum in „Dealer to Healer“ sollen in keiner Weise den Drogenkonsum verharmlosen oder gar verherrlichen. Es geht um die authentische Wiedergabe der Erlebnisse in diesem Einzelfall. Für den spirituellen Weg sind keine Drogen vonnöten. Vor den Gefahren des Drogenkonsums wird ausdrücklich gewarnt.

In den autobiographischen Berichten des Autors wird die spirituelle Gemeinschaft Heimholungswerk Jesu Christi bzw. Universelles Leben erwähnt, sowie die Tierschutzpartei. Dies geschieht nur wegen der Authentizität der Berichte. Dieses Buch ist nicht vom Universellen Leben beauftragt oder anerkannt, so wenig wie von der Tierschutzpartei. Natürlich soll ein jeder Wahrheitssucher zu seinen eigenen Antworten auf die Grundfragen des Lebens und zu seinem eigenen politischen Standpunkt finden.

„Der Planet braucht keine erfolgreichen Menschen mehr. Der Planet braucht dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Art.“

Dalai Lama

Inhalt

Urinieren im Schnee

Das Salz der Erde

Worum es eigentlich geht

Die Vertragsbedingungen für das Leben

Ein Superhirn werden

„Anderssein“ ist spirituelles Erwachen!

“Begabung“ ist nur ein Ventil!

Bücher kontra Diktatur

Kindheit in der DDR

Immer mehr Ungereimtheiten

Familiengründung, Wende, berufliche Neuaufstellung

Trennung, Zusammenbruch, Frühpensionierung

Vom Profiling zur helfenden Psychologie

Unterdrückung der Hochbegabung in der Kindheit

Der Weg der Erfahrung

Zusammenbruch und wahre Berufung

Revolte, Überanpassung, Schamanismus, Selbstfindung

Auf dem falschen Planeten

Zu frühes Ende der Kindheit

Zusammenbruch mit 21

Studium, Beruf, Familiengründung

Trennung und All-Einheit

Spiritueller Werdegang

Dealer to Healer

Frühes Erwachen

Grenzerfahrungen mit Drogen

Wandel zum Heiler

Der Wahrheitssucher

Weshalb ich meinen Weg aufschreibe

Zwischen Wildfang, Klassenprimus und Leseratte

Rebell und Einzelgänger

Zusammenfassung 9 bis 18

Zwischen Dichter, Maler und Yogi

Seva

Der Weg, zu dem „Seva“ mich führte

Der Kampf mit der Welt

Der Mann ohne Eigenschaften

Episoden aus meinem Leben

Gefährliches Spiel mit Pfeil und Bogen

„Renaissance“

Über den Priel in die Sonne

Detektiv der Ballistik

Nicht alles so ernst nehmen

Nur der Zweite

…alles nur Gemüse

Ein Wunder?

…vielleicht eine Brandstiftung

Kein Abrechnungsmodus

Die Gesellschaft muss „anders“ werden!

Anhang

Zitate

Quellennachweis

Über den Autor

vom Autor erschienen (Auswahl)

Urinieren im Schnee

Der Lehrer stellte die Behauptung auf, wenn ein Mensch in der Polarregion bei Minustemperaturen uriniere, dann verliere er an Wärmeenergie. Es geht um ein Schlüsselerlebnis, das ungefähr in der fünften Klasse in Physik (bzw. „Sach-kunde“) gewesen sein muss, in jedem Fall noch in der Grundschule (in West-Berlin ging die Grundschule bis zur sechsten Klasse).

Ich verstand es nicht und diskutierte dagegen. An sich verliere der Mensch durch diesen Vorgang nicht an Wärme, aber dadurch, dass er die Hose runterlasse oder dadurch, dass nach dem Urinieren das Verhältnis von der Oberfläche zur Masse ungünstiger ist, so dass nach dem Urinieren der Mensch schneller auskühlt. Auch erklärte ich dem Lehrer, der Wärmeverlust sei eigentlich in dem Moment gegeben, wo der Mensch eine Flüssigkeit, die unter der Körpertemperatur liegt, aufnehme. Denn dann müsse die Temperatur der Flüssigkeit mithilfe der Körperwärme angehoben werden…

Der Lehrer war etwas irritiert, ging auf solche Einlassungen überhaupt nicht ein und blieb einfach bei seiner Behauptung: Wenn ein Mensch in der Polarregion bei Minustemperaturen uriniere, dann verliere er an Wärme.

Die ganze Situation konnte ich erst nach vielen Jahren etwas tiefer erfassen. Die Gefühle, die in mir hochkamen waren etwa wie folgt:

Da ist eine Unwahrheit, und die muss richtiggestellt werden. Man kann doch nicht einfach dasitzen und nichts tun, während eine Behauptung aufgestellt wird, die unwahr ist. Wenn ich jetzt nicht mit meiner Wahrheit durchkomme, so wird doch Gott die Wahrheit ans Licht bringen, wenn die Zeit dafür reif ist.

Das Gefühl war, mit meinen heutigen Worten ausgedrückt, die Lehrer geben leichtfertig Mythen weiter. Sie sind nicht bereit, diese Mythen zu hinterfragen. Sie haben kein Interesse daran, die Wahrheit herauszufinden. Lehrer sind also nicht Lehrer geworden, weil sie auch das „Wahrheitsgen“ hätten…

Auch physikalisch finde ich heute die Worte, die mir damals gefehlt haben – obwohl ich den Sachverhalt gleich erkannte: Wenn man einen beliebigen Körper aus Stein oder Holz oder Kunststoff mit einer Temperatur von 37°C in einer eiskalten Polarregion in zwei Hälften zerteilt, dann hat danach nicht etwa jede Hälfte eine Temperatur von 18,5°C. Sondern wenn man unmittelbar nach der Zerteilung misst, dann hat jede Hälfte natürlich immer noch die gleiche Temperatur: 37°C. Das heißt also, durch die Zerteilung hat kein Wärmeverlust stattgefunden. Natürlich werden die Hälften dann schneller auskühlen als der ganze Körper, weil durch die Teilung das Masse-Oberflächenverhältnis ungünstiger geworden ist. Aber durch die Teilung an sich hat kein Wärmeverlust stattgefunden. Ebenso findet kein Wärmeverlust statt, wenn ein Körper Flüssigkeit absondert.

Diesen Sachverhalt habe ich damals erfasst, ohne ihn in der Weise in Worte fassen zu können, wie ich es heute kann. Dafür hätte ich den Lehrer gebraucht. Aber der hat sich geweigert mitzudenken und hat einfach nur seine Behauptung wiederholt: Wenn ein Mensch in der Polarregion bei Minustemperaturen uriniere, dann verliere er an Wärme.

In der Auseinandersetzung mit dem Lehrer war ich so auf dieses Problem konzentriert, dass ich etwas vollkommen ausblendete: Wie die Klasse darauf reagierte.

Heute weiß ich, wie die Klasse reagierte. Ich habe mehr Menschenkenntnis – aber es ist auch tatsächlich möglich, im Nachhinein Wahrnehmungen bewusst zu machen, die im Moment der Wahrnehmung noch unbewusst waren.

Die Klasse hat sich an der Sache nicht nur überhaupt nicht beteiligt. Das „Problem“ war der Klasse höchst egal. Es gab keinen einzigen weiteren, der über dieses „Wahrheitsgen“ verfügt hätte, den es irgendwie wurmte – oder überhaupt auffiel – dass da eine unwahre Behauptung aufgestellt wurde. Ich kann heute Dinge benennen, die damals noch lange, lange unbewusst waren: Mein „Wahrheitsgen“ trug nichts dazu bei, um beim anderen Geschlecht Eindruck zu machen (natürlich spielte das auch schon mit etwa zwölf Jahren, vor der Pubertät, eine Rolle). Mein „Wahrheitsgen“ trug auch nichts dazu bei, meine Rolle in der Klasse zu stärken und mir einen Platz in der sozialen Hierarchie zu sichern. Mein „Wahrheitsgen“ verhinderte ganz viel Wahrnehmung: wie sich meine Klassenkameraden fühlen, worüber sie sich austauschen, worüber sie lachen, welche Begeisterungen sie teilen, etwa Filme im Fernsehen oder im Kino oder Fußball. Es ging gründlich an mir vorbei.

Ich war nicht etwa ein Schüler, der gemobbt wurde, der als „Nerd“ galt, der sich nicht behaupten konnte. Ich hatte nicht etwa einen unteren Platz in der sozialen Hierarchie. Ich hatte einfach die meiste Zeit überhaupt keinen Platz. Ich war außen vor. Es war für die Klassenkameraden klar:

„Den muss man in Ruhe lassen. Der ist mit seinem ‚Wahrheitsgen‘ beschäftigt.“

Ich wurde in Ruhe gelassen. Ich war ziemlich allein. Die Einsamkeit in meiner Rolle erkenne ich erst im Nachhinein so richtig. Wer das „Wahrheitsgen“ hat, ist einsam. Das sehe ich nur zu einem Teil als Ausdruck einer uneinsichtigen Welt, der ein tieferes Verständnis fehlt. Ein mindestens ebenso großer Teil liegt bei dem, „der anders ist“, selber. Seine Vereinzelung ist zum Teil auch ein Ausdruck seines eigenen Unvermögens. Die Stärken bei Menschen mit dem „Wahrheitsgen“ sind einfach anders verteilt. Das Soziale kann eher schwach entwickelt sein. Da hatte ich nachzuholen, aufzuarbeiten.

Mein Lebensthema ist in dieser frühen Situation schon sehr gut angelegt und ausgedrückt: ein Mensch mit dem „Wahrheitsgen“ zu sein, das auszuhalten, das mir nicht nehmen und unterbuttern zu lassen, aber es dabei auch zu lernen, als Mensch unter Menschen zu leben, meine Mitmenschen zu akzeptieren und immer mehr zu verstehen.

Meine Wahrheitssuche war mehr von Druck und Ernsthaftigkeit geprägt als von Leichtigkeit und Reinspüren. Deshalb bin ich mir der Defizite, die in meiner Person lagen und immer noch liegen, durchaus bewusst. Es geht um eine Einseitigkeit. Auf der einen Seite bin ich überaus stark, auf der anderen Seite fallen Persönlichkeitsanteile hinten runter, die ich nicht so stark entwickelt habe.

Deshalb ist es in keiner Weise ein Eigenlob, wenn ich hier schreibe, dass ich glaube, dass ich sozusagen ein „Wahrheitsgen“ habe. Ich versuche die Prozesse herauszufiltern und zu beschreiben.

Das Salz der Erde

Als Jugendlicher – wenn sich das Ich herausbildet, wenn man anfängt nachzudenken und alles in der Welt zu hinterfragen – erkennt man, dass man „anders“ ist. Zuerst denkt man noch, alle müssten so denken wie man selber, alle müssten doch die Dinge hinterfragen, um ihnen auf den Grund zu gehen. Dann spricht man noch ungefiltert seine Gedanken aus. Man stößt auf Desinteresse oder auf Verachtung, bis hin zum Lächerlichmachen.

Mobbing ist heute an den Schulen ein großes Thema. Mobbing ist allerdings nicht nur das Leid der Schwachen, sondern auch und gerade das Leid der Starken. Die, die besonders stark sind, die besondere Gaben haben, die in besonderer Weise den Dingen auf den Grund gehen – die haben es oft sehr schwer, irgendwie an der Gemeinschaft einen Anschluss zu finden. Die gehen leider viel zu oft einen Weg der Vereinzelung. Das müsste überhaupt nicht sein, denn die höhere Begabung zwingt den Menschen nicht dazu, ein einsamer Wolf zu sein. Aber es gehört sehr viel Reife dazu, sowohl die eigenen Gaben als auch die eigenen Grenzen zu erkennen, die Beschränkungen der Mitmenschen zu erkennen und sie dennoch zu lieben, in Demut auf die Mitmenschen zuzugehen und zu einer eigenen Form der Integration zu finden.

Das ist ein Weg der Reife, der viele Jahre beansprucht. In der ersten Phase, mit zehn, elf, zwölf Jahren, wenn das Ich erwacht, führt das für die, die anders sind, meistens erst einmal für die nächsten Jahre immer und immer wieder in die Vereinzelung. Das ist ein Leid, das gar nicht aus Hochmut oder aus bösem Willen kommt. Ich nenne es das „Wahrheitsgen“, das einen quält, das einen zwingt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wer das Wahrheitsgen hat, der ist auch gezwungen, zunächst einmal sich selber auf den Grund zu gehen. Die Aufgabe ist:

sich selber nicht zu verraten, seinem Wahrheitsgen treu zu bleiben,

dabei aber den Anforderungen der Welt zu genügen,

sowie den eigenen Träumen und Sehnsüchten, für die die Anforderungen der Welt nur der Spiegel sind.

Junge Menschen mit einem sehr stark ausgeprägtem Wahrheitsgen leugnen es sehr oft, dass die Anforderungen der Welt nur der Spiegel sind für die eigenen Träume und Sehnsüchte – Beruf ergreifen, Geld verdienen, Familie gründen… Sie wischen oft beides hinweg, die Anforderungen der Welt und damit ihre eigenen Träume, mit der Kühnheit der Jugend, die feststellt, dass das „Leben der Altvorderen“ so ganz und gar nicht dem eigenen Empfinden entspricht. Wenn es darum geht, den Weg zu gehen, den die Welt ihnen vorgibt, oder dem Wahrheitsgen bis in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus zu folgen, dann wählen sie das Letztere. Sie gehen einfach davon aus, dass eine wahrhaftige Berufslaufbahn sowie eine wahrhaftige Partnerschaft neu erfunden werden müssen. Und sie wissen, dass der Schlüssel ganz tief in ihnen selber liegt.

Das ist ein sehr gefährlicher Weg. Die Gefahren sind, den Anschluss zu verlieren, in Lethargie oder in Drogensucht abzusinken, seine Weltverachtung zu kultivieren und sich radikalen Ideologien zuzuwenden, die mit Gewalt „das System“ bekämpfen wollen. Die andere Gefahr ist, zugunsten einer Einordnung in die Gesellschaft, das eigene Wahrheitsgen zu verleugnen, das innere Feuer zu ersticken, sich anzupassen und damit das Wertvollste im Leben zu verlieren: das Potential der eigenen Einzigartigkeit. Der Weg derer, die anders sind, ist umso gefährlicher in einer Welt wie unserer westlichen Gesellschaft, wo es nicht vorgesehen ist, dass sich ein junger Mensch auf eine spirituelle Suche begibt. In östlichen Kulturen gibt es Zeiten im Kloster – nicht um ein Mönch zu werden, sondern um die eigene spirituelle Grundlage für das Leben zu finden. In der indischen Gesellschaft ist es selbstverständlich, dass es junge Menschen gibt, die als Bettelmönche durch das Land ziehen auf der Suche nach einem spirituellen Lehrer. Sie werden unterstützt, es wird ihnen Nahrung und Obdach gegeben. Dabei werden sie nicht als Bettler oder Arbeitsverweigerer gesehen, sondern sie werden als spirituelle Sucher respektiert. Wenn sie ihren spirituellen Lehrer gefunden haben und geschult wurden, dann kehren sie zurück in die „normale Welt“ und finden ihre Integration in Beruf und Partnerschaft, werden Familienvater und finden ihre eigene Form, für die Gesellschaft einen Beitrag zu leisten.

In keiner Weise bin ich für ein Kopieren der östlichen Kultur oder für die Verachtung der eigenen christlichen Wurzeln, um in exotischen Kulten sein Heil zu finden. Doch finde ich es wichtig, dass es auch gesagt werden darf, wenn uns andere Kulturen in bestimmten Bereichen voraus sind. Sie haben eine Antwort auf das Phänomen der „jungen Menschen mit Wahrheitsgen“. Diese Antwort mag ideal sein oder nicht. Unsere Kultur hat einfach gar keine Antwort. Der einzelne junge „Weltzweifler“ kann entweder drogensüchtig werden, oder sich in ein Fachgebiet flüchten, oder 500 Nachkommastellen von Pi auswendig lernen (was keine Lösung ist) – oder er ist so stark, dass er auf eigene Faust seinen Weg findet und seine eigentliche Bestimmung entdeckt.

Das ist ein unbarmherziger Ausleseprozess, in den denjenigen, der anders ist, die Gesellschaft schickt. Das ist einer Kultur, die sich vorgeblich so sehr um „Pädagogik“ und „Bildung“ bekümmert, einfach nicht würdig.

Das ist einer christlichen Kultur nicht würdig. Im Christentum heißt es:

„Ihr seid das Salz der Erde. Wo nun das Salz dumm wird, womit soll man's salzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, denn dass man es hinausschütte und lasse es die Leute zertreten.“

Matthäus 5.13

Die Wahrheitssucher sind „das Salz der Erde“. Unsere Kultur aber drängt gerade jene, die tiefer veranlagt sind, die den Dingen auf den Grund gehen wollen, die sich an die Oberflächlichkeit der Masse nicht anpassen wollen, an den Rand.

Die moderne Hirnforschung erkennt, dass jedes Gehirn anders ist. Daher sollte man sich bei Abweichungen – wie ADHS, Legasthenie oder Synästhesie (mehrere Sinneswahrnehmungen werden verschmolzen, wenn zum Beispiel Zahlen mit Farben verbunden werden) – weniger auf das Krankhafte konzentrieren als auf die besonderen Stärken, die mit diesen Abweichungen einhergehen. Diesen verhältnismäßig jungen Ansatz versteht man unter „Neurodiversität“. Der Hamburger Psychologe und Professor für Erziehungswissenschaft André Frank Zimpel kommt zu dem Schluss:

„Eine Kultur, die auf ‚neurotypisch‘ ausgerichtet ist, verschenkt Potenzial.“1

Das „Anderssein“, um das es hier gehen soll, ist eine Unterkategorie der „Neurodiversität“, genauso wie „Hochbegabung“ im herkömmlichen Sinn. Es trifft auch auf dieses „Anderssein“ zu: Unsere Kultur verschenkt Potenzial!

Warum sollen verschiedene Kulturräume nicht voneinander lernen? Es ist das eine, die Gefahren der östlichen Wege zu erkennen. Man kann sich aber dennoch interessiert und einfühlsam mit den Wegen der Menschen in anderen Kulturen beschäftigen. Man muss sich nicht gleich ganz dagegen sperren, von ihnen zu lernen. Die „christliche Blockadehaltung“ gegenüber anderen Kulturen hat eine jahrhundertealte Tradition. Sie erinnert an die kulturelle Blockadehaltung der westlichen Kapitalisten nach der Wende in den Neuen Bundesländern: Die flächendeckende Kita-Versorgung und die Polikliniken (heute „MVZ’s“ – „Medizinische Versorgungs-Zentren“) wurden abgeschafft, weil sie ja mit dem bösen, bösen Sozialismus in Verbindung gestanden haben. Nur wenige Jahre später erkannte man den Wert dieser Einrichtungen und bemüht sich bis heute um den Wiederaufbau. Es ist uns vielfach noch zu eigen, sich aus ideologischen Gründen dagegen zu sperren, vom anderen Lager zu lernen. Das ist nicht nur dumm, weil man es versäumt, die Errungenschaften von anderen zu übernehmen. Es ist auch aus ideologischen Gründen dumm. Denn man versäumt es dadurch, die Brücken zu bauen, die zu einer besseren Akzeptanz und Verbreitung der eigenen Ideologie – so auch des Christentums – führen könnten. Religion hat sehr viel mit „Anderssein“ zu tun, im Kapitel „‚Anderssein‘ ist spirituelles Erwachen!“ wird näher darauf eingegangen.

Wir leben in einer Kultur, die es „jungen Menschen mit Wahrheitsgen“ wahrlich schwer macht, weil wir nicht fähig und in der Lage sind, von anderen Kulturen zu lernen. Dabei muss man von unseren Schulen sagen: Es rappelt im Karton! Es fällt den Lehrern zunehmend schwer, die Prozesse in ihren Schulklassen zu händeln oder überhaupt zu verstehen. Es gibt Schüler, wo der Lehrer durchaus erkennt, dass es nicht an Intelligenz fehlt, wenn sie ab einem bestimmten Punkt keine Leistung mehr bringen. Diese Schüler verkaufen sich weit unter Wert. Die Lehrer wissen das, aber sie können sich oft nicht erklären, warum das so ist, oder wie sie darauf einwirken können. Es geht um Kinder im Elternhaus, die sich zurückziehen, nicht nur vom gleichaltrigen Umfeld, sondern auch von den Eltern – nicht nur von den Eltern, sondern auch vom gleichaltrigen Umfeld. Die Eltern sehen das, aber sie können sich oft nicht erklären, warum das so ist, oder wie sie darauf einwirken können.

Da gibt es Angebote für eine Deutung, die für die unmittelbaren Erziehungsbeauftragten oft nicht wirklich hilfreich sind. Die Eltern deuten das sehr oft als „Hochbegabung“. Pädagogen sprechen von „Systemsprengern“. Esoterische Bücher verkünden die zunehmenden Inkarnationen von „Indigo-Kindern“ und von „Kristallkindern“. „Alte Seelen“ trifft es vermutlich, aber wer weiß es wirklich, wie viele Reinkarnationen er schon hinter sich hat? Der am wenigsten hilfreiche Begriff ist „Auserwählte“, weil er sich nun überhaupt nicht fassen lässt und in keiner Weise aufzeigt, wohin die Reise gehen soll. Wer soll einen für was auserwählt haben? – Solange das nicht geklärt ist, ist der Begriff „auserwählt“ eine Worthülse. Relativ neue Begriffe sind „Hypersensibilität“ und „Empathen“. Das Thema dieses Buches aber ist „Anderssein“. „Anderssein“ ist ein Oberbegriff, der alle diese Phänomene umfasst. „Anderssein“ kann mit den obengenannten Formen einhergehen, muss es aber überhaupt nicht.

Im folgenden Kapitel gehe ich darauf ein, worum es bei „Anderssein“ eigentlich geht, wie es sich definiert, was die inneren Prozesse sind und auf was sie eigentlich abzielen. Es geht darum, ein Verständnis aufzubauen für die schwierigen Prozesse von bestimmten Jugendlichen. Dabei richtet sich dieses Buch sowohl an Eltern, Erzieher und Lehrer als auch an die Jugendlichen selber, die sich „anders“ fühlen.

„Es ist ein Trost für die Unglücklichen, Gefährten im Unglück zu haben.“

Baruch de Spinoza (1632-1677)

Wie Spinoza sagt, kann allein schon ein Trost darin liegen zu erkennen, nicht der einzige zu sein, „Gefährten im Unglück“ zu haben. Das ist auch der Grund, weshalb ich vier weitere Lebensläufe anführe („Bücher contra Diktatur“, „Vom Profiling zur helfenden Psychologie“, „Revolte, Überanpassung, Schamanismus, Selbstfindung“ und „Dealer to Healer“) und meinen persönlichen Weg versuche zu verarbeiten („Der Wahrheitssucher“). Dabei ist es Absicht, dass ganze Lebensläufe abgebildet werden, obwohl es in diesem Buch vor allem um die Krisen von Kindern und Jugendlichen geht. Es wird dadurch aufgezeigt, wie sehr Traumata in der Kindheit in das ganze Leben nachwirken, außerdem, wie die besonderen Talente sich im weiteren Leben entfalten, die in der Jugend erst zart anklopfen. Die segensreiche Seite der Talente wird oft erst im Erwachsenenalter richtig sichtbar. Unter „Episoden aus meinem Leben“ hoffe ich, eigene Erlebnisse beisteuern zu können, die das „Anderssein“ bildhaft veranschaulichen.

Es geht darum zu zeigen, dass sowohl die Ausformungen des „Andersseins“ als auch die Wege zur Selbstfindung und zu einer Integration in die Gesellschaft völlig verschieden sein können. Im Anhang gibt es eine Sammlung von Zitaten zum Thema: Gedanken von berühmten Leuten – Leuten also, die in ihrem Leben dieses „Anderssein“ erfahren haben müssen (das man so schlecht anderen erklären kann, die es selber nicht kennen) und die es dennoch in einem gewissen Maße geschafft haben müssen, ihre besonderen Anlagen und die Anforderungen der Gesellschaft in Einklang zu bringen.

Für mich persönlich war ein ganz besonderer „Gefährte im Unglück“ in meinen jugendlichen Krisenjahren Hermann Hesse. Er bezeichnet sich selber als einen „Anwalt des Einzelnen“. Seine Bücher sprechen von einer Wahrheitssuche, die sich mit vorgegebenen Antworten nicht zufriedengibt und die völlig unvoreingenommen den Dingen mit eigenem Denken und Fühlen auf den Grund geht.

Deshalb möchte ich das Thema dieses Buches mit einem Hermann Hesse-Zitat zusammenfassen:

„Auf dem Weg von der Jünglingszeit zum Mannesalter sind die beiden Hauptstufen:

Das Innewerden und Bewusstmachen des eigenen Ichs, und dann die Einordnung dieses Ich in die Gemeinschaft.

Je einfacher und problemloser ein Jüngling ist, desto weniger Beschwerden werden beide Aufgaben ihm bereiten. Die stärker differenzierten und begabten Naturen haben es schwerer, am schwersten die, denen nicht ein Spezialtalent von selbst den Weg zeigt. Jedes Leben aber ist ein Wagnis, und das Gleichgewicht zwischen den persönlichen Gaben und Trieben und den sozialen Forderungen muss immer neu gefunden werden:

es geht nie ohne Opfer, nie ohne Fehler.“2

1 Artikel „Neurodivers – Weil Anderssein menschlich ist“, in dm-Magazin alverde, Juni 2024, Sn. 70-75

2 Hesse, Hermann (um 1960): Handschriftlicher Briefentwurf, zit. in: Michels, Volker (Hrsg.) (1987): Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, Frankfurt/Main, 348.