Liebe ist ein fremdes Land - Gustav Knudsen - E-Book

Liebe ist ein fremdes Land E-Book

Gustav Knudsen

0,0

Beschreibung

'Liebe ist ein fremdes Land' ist der dritte Teil von Gustav Knudsens Romanreihe 'Die frühen 1980er Jahre - prägend und einprägend'. Nach dem Unfall, bei dem Gustavs große Liebe Willeke ums Leben gekommen ist, kommt für unseren Protagonisten eine lange Zeit der Rekonvaleszenz. Ausgerechnet Wilma, Willekes beste Freundin, steht ihm in dieser Zeit zur Seite und verliebt sich in ihn. Schon ab dem ersten Satz in diesem Buch wird dem Leser klar, dass Gustav schlagartig erwachsen geworden ist. Der Autor aktualisiert seinen Erzählstil, indem er diesem zunächst melancholische Züge beifügt und so den Rezipienten aktiv an der Gefühls- und Gedankenwelt Gustavs teilhaben lässt. Fast körperlich leidet der Leser mit dem Verlust des Protagonisten mit und spürt seine Zerrissenheit zwischen Schmerz und Orientierungslosigkeit. Behutsam schafft der Autor eine Atmosphäre, die es erlaubt, zarte Fäden zwischen Gustavs und Wilmas Leben zu spannen. Und doch nimmt der Rezipient sofort wahr, dass Gustav mit seinem Bedürfnis nach Zärtlichkeit, seiner inneren Unsicherheit und den aufkeimenden Schuldgefühlen zu kämpfen hat. Gustav hofft während eines gemeinsamen Urlaubs Ordnung in das facettenreiche Spektrum seiner Emotionen zu bekommen, um der Beziehung zwischen ihm und Wilma eine faire Chance geben zu können. Stattdessen wird ihm klar, dass die Grundmelodie der Trauer um Willeke immer ein Teil seines Lebens bleiben wird, mit dem er lernen muss umzugehen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 297

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



“Liebe ist ein fremdes Land” ist der dritte Teil von Gustav Knudsens Romanreihe „Die frühen 1980er Jahre – prägend und einprägend“.

Nach dem Unfall, bei dem Gustavs große Liebe Willeke ums Leben gekommen ist, kommt für unseren Protagonisten eine lange Zeit der Rekonvaleszenz.

Ausgerechnet Wilma, Willekes beste Freundin, steht ihm in dieser Zeit zur Seite und verliebt sich in ihn.

Schon ab dem ersten Satz in diesem Buch wird dem Leser klar, dass Gustav schlagartig erwachsen geworden ist.

Der Autor aktualisiert seinen Erzählstil, indem er diesem zunächst melancholische Züge beifügt und so den Rezipienten aktiv an der Gefühls- und Gedankenwelt Gustavs teilhaben lässt.

Fast körperlich leidet der Leser mit dem Verlust des Protagonisten mit und spürt seine Zerrissenheit zwischen Schmerz und Orientierungslosigkeit.

Behutsam schafft der Autor eine Atmosphäre, die es erlaubt, zarte Fäden zwischen Gustavs und Wilmas Leben zu spannen.

Und doch nimmt der Rezipient sofort wahr, dass Gustav mit seinem Bedürfnis nach Zärtlichkeit, seiner inneren Unsicherheit und den aufkeimenden Schuldgefühlen zu kämpfen hat.

Gustav hofft während eines gemeinsamen Urlaubs Ordnung in das facettenreiche Spektrum seiner Emotionen zu bekommen, um der Beziehung zwischen ihm und Wilma eine faire Chance geben zu können.

Stattdessen wird ihm klar, dass die Grundmelodie der Trauer um Willeke immer ein Teil seines Lebens bleiben wird, mit dem er lernen muss umzugehen.

Inhaltsverzeichnis

„Prolog“

„Das leere Haus“

„Bitte bleib’“

„Die Aufbauwoche“

„Brent Spar“

„Orientierungslos“

„Mach’ weiter, bitte“

„Abgang oder Abflug?“

„Atlantik statt Atlantis“

„Eiskalt erwischt“

„Fix. Fertig.“

„Ein Schiff wird kommen“

„Brennt Alpha?“

„Endlich zurück“

„Von hinten“

„Zusammen?“

„Das Mädchen“

„Der Teufel kehrt zurück“

„Schwarz oder Weiss“

„Der Kuss des Teufels“

„Der Strichachter kommt zurück“

„Waterloo“

„Schreiende Stille“

„Jeanette. Claudette. Et moi.“

„Jeder. Mann. Frau.“

„Russische Seeleute“

„Die kranke Birne“

„Epilog“

„Prolog“

Willeke war über mein Gesicht gebeugt. Ihre Augen waren verheult, sie hielt meinen Kopf ganz sanft. „Meine Fresse. Gott sei Dank. Ich war endlich aus diesem Albtraum aufgewacht“.

„Wie lange habe ich geschlafen? Und warum ist es so verdammt hell hier?“ Ich sah sie fragend an. „Warum antwortest du mir nicht?“

Mein Blick wanderte über ihre Schulter. Dort stand Cornelis, ihr Vater. „Was machst du hier?“ Aber auch von ihm kam keine Reaktion. „Verdammt, seid ihr taub?“

Sein Blick war starr, wie versteinert sah er mich an. „Was machst du überhaupt hier?“ Nichts, aber auch gar nichts regte sich in seinem Gesicht.

„Und warum weinst du? Willeke, mein Schatz, was ist mit dir?“

Willeke entfernte sich von mir, statt ihrer sah ich jetzt ein anderes Gesicht. Das Gesicht einer Frau. Sie redete. Zu mir?

„Sie müssen ihm jetzt Zeit geben, er wacht jetzt langsam auf. Wir haben ihn in ein künstliches Koma gelegt“. Mein Versuch mich aufzurichten scheiterte kläglich. Nicht nur das. Alles, aber auch alles an meinem Körper schmerzte.

Der grösste Schmerz kam aber aus mir, aus meinem Inneren. Was war das nur? Dann hörte ich wieder diese Frauenstimme.

„Durch den Unfall hat er ein Schädel-Hirn-Traumata, wir haben ihn ruhig gestellt“. „Was? Was haben Sie?“ schrie ich die Frau an. Aber auch sie zeigte keine Reaktion, keine Antwort. Nichts. Einfach gar nichts.

Ich hörte wie sich Willeke einen Stuhl heran rückte. „Willeke, mein Schatz“. Und wieso hörte ich das nur in meinem Kopf – und nicht mit meinen Ohren?

Ihr Gesicht kam wieder näher, sah jetzt ganz anders aus. Es war Amalia. Sie sprach mit ruhiger Stimme zu mir. „Sobald der Arzt sein OK gibt, kommst du mit uns. Nach Hause“.

„Was quatschst du da? Wieso nach Hause?“ Aber auch diese Frage blieb für meine Ohren ungehört. Ich vernahm wie die fremde Frau zu Amalia sagte „Sie müssen jetzt auch gehen, er braucht Ruhe“. Amalia’s Gesicht sah mich an. „Wir kommen morgen wieder“.

Eine junge Frau und ein kräftiger Mann standen vor meinem Bett. „Sie dürfen heute nach Hause“ sprach die Frau. „Ich werde Sie jetzt waschen“. Schon hatte sie mich mit Hilfe des Mannes aus dem Bett gedreht und in einen Rollstuhl verfrachtet, den sie in das Badezimmer schob.

Sie griff mir um denn Hals und zog mir irgend so einen Lappen aus. Ich war nackt. „Was soll das?“

Aber auch sie reagierte nicht, zog mich an einem Arm ein Stück nach vorne und begann meinen Hintern und meinen Pimmel zu waschen. Dann liess sie mich wieder auf den Sitz des Rollstuhls zurück.

Ich blickte an mir herunter. Mein Körper war bunt. Von grün, über violett bis blau waren alle Farben vorhanden. Über meinen Brustkorb führte ein dicker Abdruck. Arme und Beine waren angeschwollen.

„Soll ich sie auch rasieren?“ hörte ich die junge Frau fragen. Dann sah sie mir ins Gesicht. „Sie müssen nicht weinen. Und es muss Ihnen auch nicht unangenehm sein. Ich bin Ihre Krankenschwester“.

Mit mir stimmte etwas nicht. Aber ganz gewaltig. Wie sonst sollte ich mir das erklären, dass ich nackt in irgendeinem Bad sitze – in einem Rollstuhl – und eine wildfremde Frau mir den Hintern und den Pimmel wäscht. Das war, wenn überhaupt, Willeke’s Abteilung.

Mit flehenden Augen sah ich sie an. „Bitte …“ Sie kam mit ihrem Kopf dichter an meine Lippen. „Sagen Sie mir endlich was hier los ist“.

Kurioserweise stimmte sie das anscheinend fröhlich was ich sagte. „Na sehen Sie, wird doch“. Sie wusch mich weiter, schäumte mein Haar ein und spülte alles mit einer Brause wieder ab.

„Der Arzt wird Ihnen gleich alles erklären, das ist seine Aufgabe. Ich wasche Sie lediglich“.

Dann trocknete sie mich vorsichtig ab. Erneut zog sie mich am Arm ein wenig aus dem Sitz, trocknete meinen Hintern ab und dann zwischen den Beinen. „So, dann kann die Reise losgehen“.

Mit Hilfe des Typen hatte sie mich vorsichtig auf das Bett gesetzt, mir einen frischen grünen Lappen umgebunden.

Mein Blick ging durch das Zimmer. Ich war also wirklich in einem Krankenhaus. Diesen Eindruck hatte ich vor einiger Zeit schon einmal. Nur da hatte irgendein Mann gefaselt „Ihre Freundin ist tot“. Gut dass dieser Albtraum vorbei war.

Dieser Mann betrat jetzt das Zimmer, in seiner Begleitung Amalia und Cornelis. „Das sind doch gute Nachrichten. Die Krankenschwester hat mir gerade gesagt dass Sie etwas gesprochen haben“. Das musste der Arzt sein. Amalia lächelte kurz, aber nur kurz. Cornelis war versteinert.

Der Arzt begann zu mir zu reden. „Also, wie ich Ihnen ja schon gesagt hatte. Sie hatten einen schweren Verkehrsunfall. Ein Blutgerinnsel im Kopf. Wir haben Sie ruhig gestellt. Ein künstliches Koma nennen wir das. Sie sind jetzt seit fast vier Tagen hier“.

„Was? Was erzählen Sie da“. Meine Ohren hörten das gar nicht so laut wie es in meinem Kopf klang. Ich wollte aufstehen. Kam aber kaum hoch. Alles schmerzte, ich musste mich direkt wieder ins Bett, auf die Bettkante sacken lassen.

„Wie die Krankenschwester ja schon gesagt hatte. Sie können heute nach Hause“. Er drehte sich um und verschwand.

Amalia kam jetzt zu mir. Sie hatte eine Tasche in ihrer Hand. „Ich zieh’ dich jetzt an, oder willst du so mit?“ Sie griff mir um den Hals und zog den Lappen fort. „Amalia“ hörte ich nur ganz leise meine Stimme, während ich an meinem Körper herab schaute.

„Cornelis, hilf mir bitte“ hörte ich sie sagen. Dann zu mir „Du bist nicht der erste Mann den ich nackt sehe“. Aus der Tasche zog sie Wäsche und zog mich vorsichtig an. Jede Berührung schmerzte ohne Ende.

Cornelis hatte sich neben mich auf das Bett gesetzt, nahm meine Hand. Ich spürte wie er etwas Scharfkantiges in meine Handinnenfläche legte.

Dann nahm er vorsichtig meinen Kopf, drückte ihn an seine Schulter. „Das ist von Willeke“.

„Wo ist sie? Ist sie okay? Wie geht es ihr?“ Tränen liefen seine Wangen herunter. Er drückte meine Hand, in die er gerade etwas gelegt hatte. Meine Augen gingen zu meiner Hand.

Das waren ihre - Willeke’s Halskette und ihr Ring. „Was soll das? Was ist mit Willeke?“ Amalia umarmte uns beide, ganz vorsichtig. „Willeke ist tot“.

Ich glitt vom Bett, knallte auf den Boden. „Das hat sie jetzt nicht gesagt. Das hat sie jetzt nicht gesagt“.

Mit starrem Blick zog mich Cornelis wieder hoch. „Du lügst, du lügst“ versuchte ich zu schreien. Aber es war nur ganz leise zu hören. Amalia’s Augen sagten das genaue Gegenteil.

Immer wieder musste ich in meine Hand schauen. „Nein, das stimmt nicht. Warum sagt ihr so etwas?“

Gemeinsam hatten Cornelis und Amalia mich in den Rollstuhl gehievt. Amalia weinte bitterlich. Cornelis schob mich den hellen Gang durch das Krankenhaus. Ich hielt Willeke’s Schmuck fest in meiner Hand. Die scharfen Diamanten zerschnitten meine Handinnenfläche.

Das spürte ich nicht, jedoch wie jemand mit einem Löffel mein Herz rauskratzte. „Bitte, sag’ dass es nicht wahr ist. Cornelis, bitte“.

Vor dem Krankenhaus wartete Ad mit seinem Pickup. Mit ihm zusammen stieg auch Jack aus. Die beiden Kerle hievten mich in den Wagen. Amalia stieg auch ein.

Amalia hatte Wilma informiert, diese wiederum hatte unsere Freunde mobilisiert. Seit dem Unfall waren jetzt fünf Tage vergangen.

Es wurde nicht geredet. Erst nach einer ganzen Weile fragte Amalia ob ich mich an irgendetwas erinnern könne. Das konnte ich nicht. Es war nur dieser eine Satz, der immer und immer wieder in meinem Kopf widerhallte. „Willeke ist tot“.

Die Landschaft flog an mir vorbei, vermischte sich mit Bildern von Willeke. Ich musste kotzen.

Wir waren in Rockanje angekommen. Jack und Ad halfen mir auszusteigen, brachten mich ins Haus. Hilflos und ungläubig suchten meine Augen nach Willeke. „Willeke, Willeke“. Ich brach unter Tränen zusammen. Meine beiden Freunde setzten mich auf die Couch.

Cornelis war auch eingetroffen, holte ein Glas, goss mir einen grossen Schluck Rum ein, den ich sofort runterstürzte. Aus der Küche vernahm ich ein Geräusch. „Willeke?“ Es war Wilma.

Amalia erklärte mir. „Wilma hat alles vorbereitet für dich. In zwei Tagen ist die Beerdigung von Willeke. Hier in Rockanje, auf dem Friedhof in den Dünen. Sie hat das doch so geliebt“.

„Cornelis, noch einen Rum“ war das einzige was ich sagen konnte. Mein Blick wanderte durch unser Wohnzimmer. Das war alles Willeke, jeder Quadratmillimeter, einfach alles.

Ich hatte mir noch weitere Gläser Rum einschütten lassen, die ich genau so zügig weggekippt hatte. Cornelis zog mich aus der Couch hoch. „Setz’ dich einen Moment hier her, auf den Sessel. Wilma macht dir hier ein Bett, du solltest dich ausruhen, statt dich weiter vollaufen zu lassen“.

Ich liess mich vorsichtig in den Sessel sacken. Vielleicht hatte Cornelis Recht. Vielleicht.

Wilma hatte mir die Couch zu einem Bett umfunktioniert. Decken und Kopfkissen geholt, den Kamin entzündet. Jack und Ad verabschiedeten sich, Cornelis und Amalia ebenso. „Wir kommen morgen wieder, schlaf’ dich aus“.

Sie hatten mir zuvor noch zurück auf die Couch geholfen. Ich wollte kiffen, mich einfach nur zudröhnen. Das war gar nicht so einfach mit meinen schmerzenden Armen. Der Joint war mehr gefaltet als gedreht. Aus der Küche hörte ich wieder Geräusche. „Willeke?“

Wilma kam herbei. „Was machst du hier? Wieso bist du noch hier?“ Sie kam zu mir an die Couch. „Ich bleibe hier. Solange du mich brauchst“. Sie nahm mich in den Arm, ganz vorsichtig. Tränen liefen über mein Gesicht, ich schluchzte in sie hinein. „Wilma, Willeke ist tot“.

Sie begann auch zu weinen. „Ja, ich weiss. Was für eine unsagbare Scheisse“. Mit einer Hand schlug sie die Decke zurück. „Leg’ dich hin, du solltest versuchen zu schlafen“.

Wie selbstverständlich begann sie mich auszuziehen, drehte meine Beine auf die Couch. „Ich bin hier“. Sie erschrak leicht als sie meinen bunten, angeschwollenen Körper sah. „Was für eine unsagbare Scheisse“ wiederholte sie.

Ich war aufgewacht, musste dringend pinkeln. Nur sehr mühsam kam ich in die Senkrechte, jeder Schritt auf dem Weg zum Bad schmerzte. Ich öffnete mit einer Hand den Toilettendeckel, verlor das Gleichgewicht und stürzte der Länge nach hin. „Willeke, Willeke“.

Meine Rufe hatten sie herbeigerufen, aber es war Wilma. „Verdammt, was machst du?“ Vom Boden aus sah ich zu ihr herauf. „Ich muss pinkeln“. „Verdammt, ich hab’ doch gesagt ich bin hier“.

Wilma half mir auf, klappte den Toilettendeckel herunter. „Setz’ dich da hin. Du hast dich total vollgepisst“. Sie verschwand kurz, kam mit einem Holzhocker, den sie aus dem Garten geholt hatte, zurück.

Dann legte sie meinen rechten Arm über ihre Schulter, zog mich hoch und setzte mich auf den Hocker. Mit einer Hand drehte sie die Dusche auf. „Runter mit der Hose“. Mein Blick muss sehr entgeistert gewesen sein.

„Na, mach’. Ach quatsch, warte. Wilma zog mir die Boxershort aus. „Wilma“. Sie sah mich an.

„Das ist nicht der erste Pimmel, den ich sehe. Den hatte ich sogar schon in mir. Ich muss dich waschen“. Das war das erste Mal seit Tagen dass so etwas wie ein leichtes Grinsen in meinem Gesicht stand.

„Wilma ..“ „Ja“. „Danke. Danke dass du das tust“. „So ein Blödsinn. Du würdest das Selbe für mich tun“. „Sicher?“ „Ja verdammt. Ganz sicher“.

Sie hatte mich von Kopf bis Fuss gewaschen. „Du rufst einfach nach mir, keine Alleingänge mehr, verstanden“. Wieder hatte sie meinen Arm über ihre Schultern gelegt, mich zurück ins Wohnzimmer, zurück zur Couch gebracht.

„Bleib’ bitte“ bat ich sie. „Ja, ich bin doch hier“. „Nein, ich meine bleib’ hier. Ich muss irgendwie reden“. Wilma fragte nicht weiter nach, setzte sich einfach zu mir.

„Glaubst du ich habe Willeke getötet?“ „Kerl, spinnst du total. Ihr hattet einen Verkehrsunfall“.

Wilma drehte uns einen Joint, ich erzählte ihr weiter. Von den weit aufgerissenen Augen der Fahrerin die uns entgegenkam, von dem heftigen Splittergeräuschen. Mehr wusste ich nicht mehr.

„Gib dir bloss nicht die Schuld, du bist nicht schuld“. „Wie kannst du dir da sicher sein?“ Wilma reichte mir den Joint herüber. „Es war ein scheiss Verkehrsunfall, red’ dir nicht so eine Scheisse ein“.

Nach zwei Zügen war ich platt, aber mein Körper entspannte sich. Ich legte mich ab.

Irgendwann in der Nacht bin ich erneut aufgewacht. Wilma hatte sich eine Decke geholt, sass im Sessel und schlief. Sie war nicht von meiner Seite gewichen. Ich legte mich ganz langsam wieder auf die Couch.

Als ich das nächste Mal aufwachte war es hell. Der Sessel war leer. Auf dem Couchtisch lag Willeke’s Halskette und ihr Ring. Sofort griff ich danach, nahm beides in die Hand und drückte sie fest gegen meinen Brustkorb, an mein Herz.

Wilma hatte wohl irgendetwas gehört und war sofort ins Wohnzimmer gekommen. Als ich sie sah musste ich sofort weinen. „Ich will nicht mehr leben, ohne Willeke“. Sie nahm mich in den Arm. „Du willst sicher erstmal einen Kaffee, oder?“ Geschickt versuchte sie das Thema zu umgehen.

„Ach Wilma, ich bin schuld an Willeke’s Tod“. Energisch schlug sie die Decke auf der Couch zurück. „Verdammt, jetzt hör’ mal auf. Glaubst du das? Glaubst du das wirklich?“ Sie begann ebenfalls zu weinen. „Es war ein verdammter Verkehrsunfall, verstehst du das?“

Sie zog leicht an meinem Arm. „Setz’ dich mal, ich muss dich eincremen“. Vom Tisch nahm Wilma eine Tube Salbe und rieb mich ein. „Du musst aufhören dir so eine Scheisse einzureden. Raffst du das?“

Danach brachte sie mir einen Becher Kaffee an den Tisch und redete mit mir. „Lass’ nicht zu dass du dich quälst. Willeke würde das nicht wollen, kapierst du das?“

Es war noch nicht ganz Mittag als es an der Haustüre klopfte. Das würden Amalia und Cornelis sein, sie hatten ja gestern gesagt dass sie erneut kommen würden. Wilma öffnete. „Da sind zwei Herren für dich“.

Es war Kees, hinter ihm ein Herr, sehr fein gekleidet. „Mein aufrichtiges Beileid“. Der Mann in Kees’ Begleitung zog seinen Hut. „Auch von mir, von der Firmenleitung der SHELL unsere aufrichtige Anteilnahme“.

„Bitte setzen Sie sich doch“. Kees liess dem Herrn den Vortritt. „Das muss nicht sein, das mit dem Sie“. Kees stellte seine Begleitung vor. Das ist der Plant-Manager. Direkt ergriff er das Wort.

„Sie sehen ja echt übel aus“. „Übel? Meine Freundin ist tot“. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihm eine reinhauen müssen. Er sah mir das wohl an. „Sorry, das war anders gemeint“. „Ach ja, wie denn?“ Wilma kam hinzu, setzte sich neben mich und nahm meine Hand.

Sie wusste wie es in mir aussah, ergriff das Wort. „Was führt Sie zu uns?“

„Vom Management möchten wir Ihnen mitteilen dass Sie erst dann wiederkommen müssen wenn Sie vollständig fit sind“. Ich war immer noch sehr aufgebracht. „Ja, was denn sonst, schau’ doch selbst wie ich aussehe. Hast du doch gerade selber erst gesagt. Übel siehst du aus“.

Auch Kees bemerkte meine Angespanntheit. Wir kannten uns ja schon geraume Zeit. „Wenn Sie gestatten?“ Er schaute den Mann an. „Was er wollte eigentlich sagen wollte ist - Komm’ wann immer du es für angebracht hältst. Ach ja, und mach’ dir wegen Geld keine Sorgen. Die SHELL bezahlt dein Gehalt weiter. Du hast sicher ganz andere Dinge um die Ohren“.

Mit einem Nicken schaute ich erst zu Kees, dann zu dem Herrn mit Hut. „Danke“. Dann wieder zu Kees. „Kees, meine Freundin ist tot, das ist das einzige Ding das ich um die Ohren hab’, verstehst du?“ Er sah mich an. „Ja, das verstehe ich, Hundertprozent“.

Wilma brachte die beiden an die Tür. „Wilma, bitte setz’ dich einen Moment zu mir, ja?“ Sie kam auf die Couch. „Ich danke dir, dass du mir so beistehst“. Sie drückte meine Hand. „Dafür sind Freunde da“.

Tränen schossen mir in die Augen. „Weine nicht schon wieder“. Sie legte ihre Hand leicht auf meinen Unterarm. „Nein, es ist weil …. Ich war so schlecht und gemein zu dir … und du bist so gut und so lieb. Es tut mir unsäglich leid. Bitte entschuldige“.

Wilma wischte mir über die Wange, wischte mir die Tränen weg. „Mann, wir waren immer schon Freunde, nichts anderes zählt“.

Ich hatte mich erneut hingelegt. Das beschäftigte mich jetzt doch, was Wilma da für eine Seite offenbarte. Noch vor einigen Monaten hatte sie mich dermaßen geohrfeigt und mir – zu Recht – vorgeworfen dass ich sie vergewaltigt habe. Und jetzt das.

Zu Willeke’s Geburtstag hatte sie mir gesagt dass sie mir das verziehen hatte, aber was sie jetzt für mich tat war mehr als jede „Verzeihung“. Das war solch eine menschliche Grösse.

Am Nachmittag, ich hatte einige Stunden schlafen können, waren Amalia und Cornelis gekommen. Sie sassen mit Wilma am Küchentisch, unterhielten sich leise.

Amalia kam zu mir an die Couch. „Wie geht es dir?“ „Amalia, ganz beschissen. Ich mache mir grosse Vorwürfe dass ich Schuld habe an Willeke’s Tod“.

„Das leere Haus“

„Ach mein Junge, sag’ so was nicht. Und glaub’ so was vor Allem nicht“. Sie animierte mich aufzustehen. „Versuch’ es mal, komm’ zu uns an den Tisch“. Sie stützte mich unter der Achsel. „Cornelis, hilf mal“.

Dann erzählte sie irgendwas, Belangloses. Für mich war aber sowieso alles belanglos, egal was es war. Willeke war tot. Was sollte da wichtig, oder wichtiger sein?

Es klopfte wieder an der Haustüre. „Ich geh’ schon“ sagte Cornelis und stand auf. Stimmen waren zu hören, dann stand er in Begleitung von zwei Beamten der „Rijkspolitie“ und einem weiteren Herrn im Wohnzimmer.

Den Herrn erkannte ich, es war Wouter, mein Versicherungsagent. Alle drei bekundeten zuerst auch ihr Beileid. „Alles Gelaber“ dachte ich mir dabei. Sie haben ein paar Fragen, so die Beamten. Ob es gerade passend sei?

Ob jetzt oder später, es war sowieso unpassend, weil eben Belanglos für mich. Einer der beiden schlug eine Mappe auf. „Nur ein paar Fragen, es dauert auch nicht lange“.

Ob und wenn, was ich denn zum Unfallhergang sagen könne. „Wie schnell sind Sie gefahren? Schildern Sie doch noch mal den Ablauf“. Er zog ein paar Fotos aus der Mappe. Mit einem Finger tippte er auf ein Bild.

„Ihr Auto …“ Was meinte er mit ihr Auto. Ich sah da nur mehrere hundert Kilo Schrott. „Ihr Auto hinterließ keinerlei Bremsspuren, wie schnell fuhren Sie etwa?“ Ich konnte mich an rein gar nichts erinnern. So musste ich es auch schildern.

„Wir fuhren hinter einem Traktor, ich setzte zum Überholen an, dann hat es gescheppert“. Der Beamte notierte sich etwas. „Und dann?“ Ich musste tief durchatmen. „Und dann hat mir der Arzt gesagt dass meine Freundin tot ist. Ich weiss es nicht“.

Cornelis war dazu gekommen. „Hören Sie, morgen wird unsere Tochter beerdigt. Kann das nicht warten?“

Der Beamte zog ein anderes Foto aus der Mappe. Darauf war ebenfalls ein Klumpen Metall zu sehen. „Das ist das Auto der Unfallbeteiligten“.

Es stand quer auf der Fahrbahn. Er las das Protokoll vor. „Das hier hat der Traktorfahrer angegeben. Das Fahrzeug fuhr aus einem Seitenweg rechts von mir auf die Fahrbahn. Unmittelbar im selben Moment überholte der BMW“.

Cornelis wurde ungehaltener. „Und, was soll das jetzt heissen?“ „Sowohl der Traktorfahrer als auch der Fahrer des BMW befanden sich auf der Vorfahrtsstrasse.“ Er schaute zu mir. „Das waren Sie?“ „Ja, ich habe den BMW gefahren“.

Mit Mühe drückte ich mich vom Stuhl hoch. „Verdammte Scheisse. Willeke ist tot“. Meine Beine sackten ein. Ich stützte mich auf die Tischplatte. „Versteht ihr, meine Freundin, eure Tochter ist tot“. Amalia und Wilma kamen zu mir. „Setz’ dich“.

„Der Sachverhalt ist damit bestätigt. Die Fahrerin hätte nicht auf die Strasse einbiegen dürfen. Und ihre Blutprobe war ja auch negativ, das hat das Krankenhaus bestätigt“. Das war so was wie eine Mischung aus einem Lachanfall und einem Wutausbruch, was ich bekam.

„Soll ich das morgen in das Grab von Willeke sprechen?“ Den Rest bekam ich nicht mehr, oder nicht mehr richtig mit. Die beiden Beamten verabschiedeten sich.

Wouter war während der gesamten Unterhaltung unbeteiligt gewesen, hatte nur zugehört.

„Ich möchte auch nicht weiter belästigen. Ich habe hier die Dokumente der Nationale Nederlanden“. Wouter schob einen DIN A4 Zettel auf den Küchentisch. „Du warst ja Vollkasko versichert. Der Schaden wird komplett ersetzt“.

Ich nahm den Zettel in die Hand ohne drauf zu schauen. „Wouter. Der Schaden? Hast du die Fotos gesehen? Was soll das heissen? Der Schaden?“

Die unangenehme Situation war ihm deutlich anzumerken. „Das heisst der Neupreis, die volle Summe“. Cornelis dachte und spürte das Gleiche wie ich, anscheinend. „Wouter. Wir rufen dann an, okay?“

Einen ersten Moment war betretenes Schweigen. Dann platzte es aus mir heraus. „Was interessiert mich die Scheiss Kohle? Was interessiert mich das Scheiss Auto? Was interessiert mich euer Scheiss Gelaber? Warum haut ihr nicht einfach alle ab?“

Cornelis nickte Amalia zu. „Kom op“. Sie verabschiedeten sich. Amalia gab mir einen Kuss. „Bleib’ ruhig Junge“. Dann drehte sie sich zu Wilma. „Bleibst du bitte? Lass’ ihn nicht aus den Augen, hörst du?“

„Wilma, holst du mir einen Schnaps, bitte?“ Mit Tränen in den Augen bat ich sie darum. „Einen, okay? Sauf’ dich nicht voll, bitte“.

Das Glas schütte ich in einem Zug weg, bekam so was wie einen hysterischen Heulkrampf. „Warum bin ich nicht tot? Warum Willeke? Warum? Warum nur?“

Wilma hatte sich ein Glas aus dem Küchenschrank genommen, für uns beide die Gläser mit Rum voll gemacht. „Auf Willeke“.

Sie brachte mich zur Couch, liess mich dann allein. Mit meiner Trauer, meinen Gedanken, meiner Verbittertheit.

„Du rufst wenn du Hilfe brauchst“. Sie ging die Treppe hoch. Sie war noch nicht ganz oben angekommen, da rief ich sie bereits. „Lass’ mich nicht allein, bitte“.

Wilma setzte sich zu mir. „Komm, ich schmier’ dich noch mal mit Salbe ein“. Sie zog mir mein T-Shirt über den Kopf, drückte mich sanft auf den Rücken und massierte die Creme ein. Über meinen Oberkörper verlief diagonal ein riesiger Bluterguss. „Das ist vom Sicherheitsgurt“.

Ich fasste sie an den Armen. „Darf ich dich anfassen? Darf ich dich streicheln?“ Wilma sah mir in die Augen. „Das kommt darauf an. Was du meinst mit anfassen? Streicheln? Wo? So wie jetzt gerade ist okay. Wenn du das meinst? Mehr nicht“.

Während sie mich eincremte erzählte sie mir von sich und Willeke. Sie kannten sich ja seit der Oberstufen-Zeit. Also Jahre. Ich hörte ihr zu, irgendwann muss ich eingeschlafen sein.

Kurz nach der Frühstückzeit kamen Amalia und Cornelis. Sie waren komplett im Schwarz gekleidet. In zwei Stunden war die Beerdigung. Cornelis war nach oben gegangen, hatte dunkle Kleidung für mich aus dem Schrank geholt.

Komm’, wir müssen uns fertig machen. Ich helfe’ dir beim Anziehen“. Wilma kramte in der Küche herum. „Was ist mit dir?“ fragte Amalia sie. „Ich … Ich hab’ irgendwie nichts passendes, nicht dunkles“.

„Komm’ Kindchen, komm’ mit“. Die beiden stiegen die Treppe nach oben hinaus. Amalia hatte ihr einen schwarzen Rock und ein dunkles Oberteil von Willeke heraus gesucht.

Ich sah sie an. „Das wird Willeke sehr freuen“.

Die Einfahrt verdunkelte sich leicht. Ad war mit seinem Truck vorgefahren. Gemeinsam mit Jack trat er ein. „Du fährst mit uns“. „Und …“ „Die Frauen gehen ab hier zu Fuss“.

Die kleine Kapelle auf dem „Begraafplaats“ war gerammelt voll. Alle waren gekommen um Willeke „die letzte Ehre“ zu erweisen. Willeke’s Eltern – Cornelis und Amalia, unsere Freunde - Koos und Dees, Ad und Marja, Alberto, Adri, Nico, Zwarte Piet, Jack und Ursula, Wilma sowieso, ihre Arbeitskollegen aus der Gärtnerei, für mich „wildfremde“ aus dem Dorf, unsere Vermieter – Hans und Marion, einige ihrer Mitschüler, Linda war aus Roosendaal angereist.

Meine Augen suchten Wilma. „Du kommst mit zu mir, in die erste Reihe. Du warst – du bist ihre beste Freundin“. Willeke war nicht aufgebahrt. Ich konnte sie nicht einmal mehr sehen. Der Bestatter hatte „dringend davon abgeraten“.

Eine lange Reihe wollte Abschied nehmen, sprach Worte oder Gedanken in das offene Grab, kondolierte dann an Willeke’s Eltern und mir vorbei. Durch meine Tränen hindurch sah ich alles leicht verschwommen. Wieder suchte ich Wilma. „Kannst du mich festhalten? Kannst du meine Hand nehmen?“

Als ich vor dem Grab stand spürte ich, wie mich der Sarg immer weiter in die Tiefe zog. Es fehlte nicht viel, ich war kurz davor den Punkt zum Reinfallen zu überschreiten. Ein fester Griff zog mich am Kragen. „Du bleibst hier, Freundchen“. Ad hatte mich im letzten Moment vor dem Hineinfallen gepackt.

Jetzt war es also wahr, der Sarg war mit Erde bedeckt, mein Herz lag rausgerissen irgendwo im Universum. Einzig Willeke’s Halskette und ihr Ring waren an materiellemWert übrig. Willeke war nicht nur tot, sondern auch vergraben, verschüttet.

Wir standen um die Kapelle im Freundeskreis. „Willeke würde wollen dass wir feiern“. Dees hatte die Stille mit ihren Worten durchschnitten. „Ja ..“ fügte Wilma hinzu. „Kommt zu uns, wir wollen Willeke verabschieden, auf unsere Art“.

Hatte Wilma gerade gesagt „Kommt zu uns“?

Sie war während der ganzen Zeit nicht von meiner Seite gewichen, hatte mir Halt gegeben. „Weißt du was Willeke immer gesagt hat?“

„Lasst uns Leben, Lachen, Feiern“.

So war es. Das war es, was für sie zählte im Leben. Das war Willeke.

„Bitte bleib’“

Wilma war mehr und mehr zu meiner größten Stütze geworden. Sie machte alles für mich. Kümmerte sich um das Essen, den Einkauf, cremte mich ein, kleidete mich an, wusch mich, einfach alles.

Früh am morgen brachte sie mich in Willeke’s Mercedes die wenigen Meter bis zum Friedhof. Dort blieb ich, lange. Stundenlang. Während ich meine Erinnerungen in den Dreckhügel sprach fuhr Wilma dann zur „Boerderij“. Sie hatte schliesslich nicht nur dort ein Zimmer. Das war ihr zuhause.

Wie sie mir erzählte, konnte sie sich dort auch immer für einige Stunden „ablegen“. Ausruhen von dem was ich ihr aufbürdete.

Wenn sie mich vom „Begraafplaats“ abholte setzte sie sich immer noch eine Weile zu mir, wir sprachen über Willeke. Dann erst brachte sie mich stützend und behutsam zum Auto.

Mehr als eine Woche war vergangen, es ging mir zusehends besser. Das Farbenspiel auf meinem Körper verblasste – das war in erster Linie Wilma zu verdanken, die mich immer wieder mit Salbe eincremte. Die Narben in mir blieben.

„Du solltest versuchen wieder Auto zu fahren, das wird dir helfen“ forderte sie mich an einem Morgen auf. Aber da war diese Angst vor dem Auto in mir. Nicht vor dem Mercedes, vor jedem Auto. Meine Betrachtung dazu hatte sich geändert. Ein Auto war eine Waffe für mich geworden. Es tötet.

Dennoch, und wegen Wilma’s Beharrlichkeit, versuchte ich es. Die ersten Meter waren der blanke Horror. Meine Hände und Beine zitterten. Nur ganz langsam rollte ich über die Strasse. Ich musste etwas trinken. Hielt am Marktplatz, kaufte bei Albert Heijn einige Flaschen Bier, dann erst fuhr ich weiter. Zum Friedhof.

Wilma hatte das sehr schnell „durch“ dass ich in meiner Trauer auf dem Friedhof trank. „Hör’ doch mit der Sauferei auf“. Zwar versprach ich ihr „Ja, du hast Recht“. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Ich kaufte mir kein Bier mehr, stattdessen eine Flasche Wodka.

Sass dann einfach nur auf einer Bank, trank und rauchte, hielt Willeke’s Halskette und Ring fest umschlossen in meiner Hand. Weinte, trank. So ging das einige Tage.

Auf dem Rückweg zum nahe gelegenen Parkplatz war ich in einen Strauch gestürzt. Einfach zu blau. Ziemlich lange hatte es gedauert bis ich mich wieder aufrappeln konnte. Versuchte mir den Dreck von den Knien und Hosenbeinen abzuwischen, dann stieg ich ins Auto und fuhr heim, wo mich Wilma bereits erwartet.

Sie sagte nichts, obwohl sie garantiert bemerkt hatte wie blau ich war. „Komm’ ins Bad“. Wilma zog mich aus, wusch mich, cremte mich mit Salbe ein. „Die Klamotten kannst du gleich hier liegen lassen, die müssen gewaschen werden“. Das war alles was sie dazu sagte.

Am frühen Morgen kam Hans mit seiner Frau Marion zu Besuch. Wie es mir gehe? Ob denn ein wenig Normalität eingekehrt sei? „Es geht mir gut. Ja, alles okay“ war meine Antwort. Aber alles andere als das war der Fall. Es ging mir Scheisse. Und was ist schon Normal? Was sollte das überhaupt bedeuten – Normal? Ja, normal Scheisse ging es.

Wilma hatte das alles beobachtet. „Komm’ doch mal kurz“ bat Marion sie nach nebenan.

„Sag’ mal, am Ende des Monats läuft das Jahr aus, dass du im Voraus für das Haus bezahlt hast“ begann Hans. „Hans, muss das sein?“ hörte ich Marion aus der Küche sehr energisch fragen.

„Sorry, wenn ich das Thema anschneide. Aber wie sieht es denn aus? Willst du hier wohnen bleiben?“ Mein Blick ging zu Hans, dann durch die Wohnung. Jede Ecke, jeder Farbklecks, einfach alles erinnerte mich an Willeke. Ich rief Wilma hinzu.

„Magst du mal in mein Zimmer gehen?“ Ich erklärte ihr, wo ich mein Bargeld „versteckt“ hatte. „Hol’ doch mal etwas Geld von dort“. Dann wandte ich mich wieder zu Hans. „Ja, das will ich. Wir machen das wie beim letzten Mal. Ich zahl’ das im Voraus“.

„Kommst du mal in die Küche, bitte“. Wilma hatte mir ein Handzeichen gegeben. Unter einiger Anstrengung rappelte ich mich auf. Bei weitem nicht mehr so mühsam und beschwerlich wie noch vor Tagen. Aber immer noch mit Schmerzen in meinen Gliedern.

„Weißt du wie viel Geld da oben liegt?“ Wilma’s Augen waren geweitet. „Ja, das weiss ich“. „Wie … Woher kommt das?“

Das hatte sie natürlich nicht zu interessieren. 5.400 Gulden zählte ich von dem Geldbündel herunter. „Magst du den Rest wieder oben hinlegen?“ „Den Rest? Das sind mehrere Tausend Gulden. Weißt du überhaupt wie viel Geld das ist?“ fragte Wilma erneut.

Willeke’s „Anteil“ aus unserem Geschäft in Montpellier hatte ich dazu gepackt. Es mussten also locker über 30.000 Gulden sein. „Ja Wilma, das weiss ich“.

Ich drückte Hans das Geld in die Hand. Wollte aber auch gleich los, zum Friedhof. Beide, Hans und Marion, begleiteten mich noch bis zum Auto. Wilma blieb allein zurück.

Mein Einkaufsstopp bei Albert Heijn war mittlerweile mehr als eine Angewohnheit, es war eine Routine. Meine Hände waren zittrig, bis … bis zum ersten Schluck Wodka.

Auf dem Friedhof hatte ich Bekanntschaft mit zwei älteren Damen gemacht, die auch jeden Tag kamen. Wir unterhielten uns regelmässig und lange. Was weiss ich worüber. Es war einfach eine willkommene Abwechslung, die mich ein wenig aus meiner Lethargie riss.

Es war bereits dunkel, ich sass immer noch allein auf der Parkbank. Völlig betrunken und destruktiv. „Mensch, bist du noch ganz gescheit? Ich hab’ mir Sorgen gemacht“. Wilma stand neben mir. „Los, komm’ jetzt nach Hause“. „Was soll ich da?“ Wilma setzte sich zu mir.

„Du kannst hier nicht jeden Tag nur sitzen und dich volllaufen lassen“. Provozierend setzte ich die Flasche an. Sie war aber schon lange leer. Wilma sprang auf, riess mir die Flasche aus der Hand. „Verdammt. Hör’ mit der Sauferei auf. Willst du dich vielleicht auch noch im besoffenen Kopf tot fahren?“

Mein Blick ging zu Wilma. „Aha, auch noch? Du glaubst also doch dass ich Willeke tot gefahren habe?“

„Nein, nein, nein. Das habe ich nicht gesagt, das glaube ich auch nicht“. Wilma wurde lauter. „Was bist du für ein Arschloch. Ich kümmer’ mich jeden Scheiss Tag um dich – und du hast nichts anderes zu tun als dich zu betrinken. Davon wird Willeke auch nicht wieder lebendig“.

Wilma feuerte die leere Flasche ins Gebüsch, drehte sich und gab mir eine Ohrfeige. Sie weinte. „Willst du so lange weiter saufen bis wir dich auch beerdigen müssen? Willst du neben Willeke liegen? Ist es das? Verdomme, Klootzak. Ist es das?“

Ich vermute jetzt erst hatte sie realisiert dass sie mich geohrfeigt hatte. „Es tut mir leid … Du musst weiter leben.

Was meinst du warum ich das jeden Tag mache, von morgens bis abends für dich da sein? Ich habe kein eigenes Leben mehr. Und du … Du lässt dich einfach nur gehen. Was bist du nur für ein Jammerlappen“.

Die Ansprache hatte ganz anders gewirkt als die Ohrfeige. „Dann sag’ es doch einfach. Warum machst du das?“ Wilma sah mich an. „Weil …“

Sie zog mich am Arm von der Parkbank auf. „Es hat doch gar keinen Sinn, du bist doch voll. Und das ist auch das einzige was dich interessiert. Aber glaub’ mir, das würde Willeke nicht wollen. Dass du dich so gehen lässt“.

Energisch und bestimmt zog sie mich an der Hand zum Parkplatz. „Solange du weiter säufst fährst du keinen Meter mehr mit dem Auto. Mit keinem Auto. Raffst du das?“

Auf „allen Vieren“ war ich die Treppe hochgerobbt, klopfte bei Wilma an. Sie hatte sich das ursprüngliche Gästezimmer, das Willeke dann schon ein wenig zum Kinderzimmer umgestaltet hatte, hergerichtet.

„Bist du bescheuert? Was machst du hier oben?“

„Ich möchte … Ich muss mich bei dir entschuldigen“. „Ach schon okay“.

Nichts war okay. Ich war auf dem besten Wege sie wie eine Putzfrau, eine Bedienstete zu behandeln. „Nein, es ist nicht okay. Bitte bleib’ hier“. Wilma sah mich an. „Aber ich bin doch hier“.

Wie ein kleines Robbenbaby lag ich zwischen Treppenhaus und Gästezimmer, ihrem Zimmer, auf der Türschwelle. „Nein Wilma, ich meine bleib’ ganz hier“.

„Ich bring’ dich mal wieder runter, du solltest schlafen“. Wilma hatte mich sicher wieder zurück auf die Couch verfrachtet.

„Ich denk’ drüber nach. Aber - es gibt eine Bedingung“. Mein fragender Blick sagte wohl genug. „Du hörst mit der Sauferei auf. Sofort. Keinen Tropfen mehr. Kein Wodka, kein Bier. Gar nichts. Ab jetzt“.

Wilma deckte mich zu. „Und jetzt versuch’ zu schlafen“.

Der Frühstückstisch war gedeckt, Wilma anscheinend schon länger wach. Sie schaute zu mir, als ich mit einigen Geräuschen von der Couch aufstand. Kam dann direkt herüber.

„Warte, ich helfe dir schnell“. So zog mich an der Hand von der Couch auf. Das war aber schon bestimmt seit zwei Tagen nicht mehr nötig, ich konnte alleine aufstehen.

„Du solltest mal pinkeln gehen“. Wilma legte meinen Arm über ihre Schulter und brachte mich ins Bad, half mir beim Strullern. Erst jetzt, als ich merkte wie sie meinen Penis nach unten drückte, wurde ich mir meiner Pisslatte bewusst.