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Gustav Knudsen

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Beschreibung

Der Auszug Wilmas zu ihrem neuen Freund Teun trifft Gustav tief ins Herz. Es beginnt eine Zeit geprägt von Alkoholexzessen, in der sich Michelle als Fels in der Brandung erweist. Ihre kindliche Naivität, gepaart mit jeder Menge Hartnäckigkeit, schafft es schließlich mit viel Geduld, Gustav aus seinem Tief zu befreien. Im Urlaub, den beide in Norwegen verbringen und der eine neue Ära ihrer Beziehung einläuten soll, lernen sie die ziemlich freizügige Ingrid kennen, die keinen Hehl daraus macht, dass ihr Michelle ebenso gut gefällt wie Gustav. Es folgen erotisch prickelnde Nächte, in denen jeder auf seine Kosten kommt und die Gustav mit Wehmut an die Zeit mit Wilma erinnern. Kaum aus dem Urlaub zurückgekehrt, erreicht Gustav ein Brief von Wilma, der ihn bis ins Mark erschüttert. Hals über Kopf beschließt er zu Wilma nach Willemstad zu fliegen, was Michelles Argwohn entfacht. In Willemstad bietet sich Gustav ein Bild des Elends, was ihn in dem Beschluss bestärkt, Wilma mit zurück in die Niederlande zu nehmen. Mit einem Schlag scheint Michelles schlimmster Albtraum Realität zu werden.

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Der Auszug Wilmas zu ihrem neuen Freund Teun trifft Gustav tief ins Herz.

Es beginnt eine Zeit geprägt von Alkoholexzessen, in der sich Michelle als Fels in der Brandung erweist.

Ihre kindliche Naivität, gepaart mit jeder Menge Hartnäckigkeit, schafft es schließlich mit viel Geduld Gustav aus seinem Tief zu befreien.

Im Urlaub, den beide in Norwegen verbringen und der eine neue Ära ihrer Beziehung einläuten soll, lernen sie die ziemlich freizügige Ingrid kennen, die keinen Hehl daraus macht, dass ihr Michelle ebenso gut gefällt wie Gustav.

Es folgen erotisch prickelnde Nächte, in denen jeder auf seine Kosten kommt und die Gustav mit Wehmut an die Zeit mit Wilma erinnern.

Kaum aus dem Urlaub zurückgekehrt, erreicht Gustav ein Brief von Wilma, der ihn bis ins Mark erschüttert. Hals über Kopf beschließt er zu Wilma nach Willemstad zu fliegen, was Michelles Argwohn entfacht.

In Willemstad bietet sich Gustav ein Bild des Elends, was ihn in dem Beschluss bestärkt, Wilma mit zurück in die Niederlande zu nehmen.

Mit einem Schlag scheint Michelles schlimmster Albtraum Realität zu werden.

Inhaltsverzeichnis

„Prolog“

„Tot kijk“

„Ruhe“

„Trennungshölle“

„Hand“

„Brief“

„Wilma“

„Ich bin da“

„Suchen. Finden.“

„Krampf“

„Cut Out“

„R 5“

„Reas“

„Müllwagen“

„Teun“

„Klettleiste“

„Beknackt“

„Jill Munroe“

„NEIN sagen“

„De Biesbosch“

„Dordrecht“

„Kätzchen“

„Üble Ecke“

„Queen Mum“

„Keine Seen“

„Bibliothek“

„Schiphol“

„Letzte Worte“

„Die Krähe“

„Glück“

„Sonntag“

„Reisebüro“

„China Town“

„Würstchen“

„Huge Viking“

„Krentebollen“

„Oslo 1“

„Oslo 2“

„Iver“

„Kristiansand“

„Tal der Frauen“

„Stavanger“

„Lysefjord“

„Tananger“

„Fjord Line“

„Ingrid“

„Skrei“

„Regine“

„Schwarte“

„Osterøy“

„Sankt Hans“

„Sauna(h)“

„Zettelchen“

„Norheimsund“

„Nett“

„Tørvikbygd“

„Kristiane“

„Brusletto“

„Finnbiff“

„Eitrheim“

„Odda“?

„Wander. Schuhe.“

„Vorsätzlich“

„Flirt“

„Die Studentin“

„Jedermann“

„Urlaubsflirt“

„Lilletop“

„Skål“

„Trolltunga“

„Weiss“

„Abflug“

„Et øyeblikk“

„Sprachschule“

„Richtiges Paar“

„Röhre“

„Air Mail“

„Zeit. Verschiebung“

„Yuana“

„Epilog“

„Prolog“

Wilma hatte zu meiner Hand gegriffen, die ich im ersten Moment fortzog. Dann aber zuliess, dass sie mich umfasste. „Ich kann dir gar nicht sagen wie elendig ich mich fühle …“ begann sie.

„Doch. Das hättest du schon lange tun können. Du hättest mehr als einmal anrufen können. Dich erklären können. Mir erklären können was mit dir passiert. Was mit uns passiert. Stattdessen kommt aber nichts. Und jetzt servierst du mir eine solche Geschichte. Was ist mit all der Zeit die wir zusammen verbracht haben? Mit deinem Vertrauen? Mit deiner Liebe“?

„Ich kann es dir nicht sagen, nicht erklären. Es ist einfach so passiert“. „Ach Quatsch Wilma. Sowas passiert doch nicht einfach. Was du mir gerade gesagt hast ist doch mehr als einfach passiert. Dass ihr gefickt habt – das ist sicher einfach so passiert. Aber alles andere doch nicht. Das glaubst du doch selber nicht“.

Genau das was ich mir fest vorgenommen hatte nicht zu tun, passierte gerade mit mir. Ich wollte Wilma keine Vorhaltungen machen. Konnte meine Enttäuschung, meine Verletztheit nicht zurückhalten. Egal was sie auch sagen wollte, ich unterbrach sie fast im Ansatz. Selbst wenn sie etwas Erklärendes sagen wollte, kam sie so gar nicht dazu. Hatte nicht die geringste Möglichkeit zu mir durchzudringen.

Wir waren bereits am Strand angekommen, liefen über den weichen, feinen Sand. Knapp an der Wasserlinie entlang. Als ich mich umdrehte erkannte ich wie die sanfte Brandung die hinter uns liegenden Fussspuren überspülte und so langsam verschwinden liessen. Mit ins Meer zog. Genau so fühlte ich mich. Als würde alles von uns weggespült. Langsam, aber unaufhaltsam. So als wäre hier niemand langgelaufen. Und alles im Meer verschwand. In einem Meer der Traurigkeit.

„Wollen wir zu unserem Lieblingsplatz gehen“? Wilma hatte sich vor mich gestellt, schaute mich mit verheultem Gesicht an.

Mit Lieblingsplatz meinte sie den Platz etwas abseits, in den Dünen, geschützt vor Wind und Blicken, den wir so oft gewählt hatten um uns nahe zu sein, auf den Horizont hinaus zu schauen. Unzählige Male hatten wir hier gesessen, erzählt, uns über Dinge unterhalten die uns wichtig waren. Wichtig erschienen. Uns geliebt, unsere Körper und unseren Geist vereint. Zuletzt vor ihrer Abreise nach Sneek.

Eine Gruppe Möwen drehte ihre Kreise über unseren Köpfen, stiess im Sturzflug herunter auf den Strand, versuchte irgendeine Beute zu ergattern, dabei laut „Meins, Meins, Meins“ kreischten. Vorsichtig legte Wilma ihren Arm um meine Schulter.

„Wir waren beide sehr betrunken an dem Abend, fühlten uns voneinander angezogen, haben einfach unserem Verlangen nachgegeben. Das kennst du doch selber auch. Und dann bin ich am nächsten Morgen in Teun’s Bett aufgewacht“.

Wilma sah mich an, als würde sie erwarten dass ich reagiere, vielleicht sogar aus der Haut fahren. Als das aber nicht passierte erzählte sie weiter. War scheinbar froh, dass ich ihr jetzt „zuhörte“, sie nicht unterbrach.

„Wir sind dann in seinem Haus geblieben, haben uns unterhalten. Sind uns im Gespräch immer nähergekommen. Ich hab’ sofort gespürt, dass es für mich mehr war als eben nur dieser Fick im besoffenen Kopp. Alles an Teun hat mich angezogen. Wie er redet, was er redet …. Er ist so ganz anders als du. So … ich weiss gar nicht wie ich es nennen soll …. So angekommen“. „Wie angekommen? Wo denn angekommen Wilma? Was meinst du damit“?

„Im Vergleich zu dir ist er richtig seriös. Überhaupt nicht flippig. Ja schon fast spiessig. Geradlinig. Hat ein klares Ziel. Ich glaube das ist es. Das was ich selber will“.

„Ich bin also flippig? Ohne Ziel“? „Nein, nicht ohne Ziel, das will ich damit nicht sagen. Ich kann es nicht einmal wirklich sagen was es ist. Ich hab’ mich einfach in Teun verliebt. Und war mir unsicher dir davon zu erzählen. Hatte richtig Angst davor mit dir zu reden, dich anzurufen. Ehrlich. Und je länger ich das vor mir hergeschoben habe umso mehr wurde das auch“.

„Du hast Angst davor mit mir zu reden? Wollten wir nicht ehrlich zueinander sein? Waren wir das nicht …. In der ganzen Zeit in der wir zusammengelebt haben? Ich versteh’ das nicht, Angst wovor“?

Wilma hatte ihren Kopf an meine Schulter gelehnt. „Angst dich zu verletzten. Dir weh zu tun. Dass du nicht verstehst was ich dir sage“. „Ach, und das ist jetzt nicht so? Weißt du wie sehr mich das verletzt hat, enttäuscht hat, dass du nicht einen Piep von dir hast hören lassen? Ich hier wie der Doof vom Dienst vor dem Telefon gesessen habe? Jeden Abend darauf gewartet habe, dass dieses Scheiss Teil endlich klingelt“?

Ihre Hüfte umfassend zog ich Wilma näher an mich heran. „Und … und dass du schwanger bist … Was heisst das jetzt“? „Das … das weiss ich nicht. Noch nicht. Es ist so ein Gefühl. Meine Periode ist ausgeblieben. Ich habe in der nächsten Woche einen Termin beim Frauenarzt. Aber wenn ich schwanger bin …. Dann ist Teun der Vater“. „Was? Nach einmal ficken mit ihm“?

Wilma kullerten Tränen die Wangen herunter. „Nein, ich bin gar nicht mehr von ihm weggangen. Direkt zu ihm gezogen. Wir sind schon seit Wochen zusammen“. Ich musste lachen. Aber nicht, weil das jetzt besonders lustig war. „Und dann stellst du den Vogel als einen Freund vor? Einen Freund, der dich gefahren hat? Bist du eigentlich nur blöd? Du willst mich also doch verarschen? Ist es das“?

„Nein Mann. Ich hatte Angst es dir zu sagen. Ich hab’ mich einfach nicht getraut. Und ich hab’ doch eben auch gesehen …“

Sie hakte ihre beiden Zeigefinger ineinander „… wie du und Michelle jetzt seid. Ihr seid doch so“. Sie tat so als würde sie ihre Finger nicht auseinander lösen können. „Ihr seid doch jetzt auch ein Paar, stimmt’s“?

Erneut musste ich lachen. Anders als gerade noch. „Weißt du was das Paradoxum an dem allem ist? Dass du es warst die Michelle in mein, in unser Leben gebracht hat“.

Wilma erzählte jetzt deutlich gelöster. Von Teun. Was er mache, was er vorhabe, wie er sich sein Zusammenleben mit Wilma vorstelle, vorstellen wolle. Von dem geplanten Schritt nach Willemstad zu ziehen. Er dort eine Rechtsanwaltskanzlei seines Vaters leiten solle. Sie mit ihm gehen solle. Er sich das wünsche, sie darum gebeten habe. „Und deine Schule? Alles was du vorhast“?

„Ich werde mit ihm gehen. Die Schule beenden. Erst recht wenn er der Vater meines Kindes ist“. „Ans andere Ende der Welt? Und wenn er nicht der Vater deines Kindes ist? Wenn ich …? Oder gibt es sogar noch mehr Kandidaten die in Frage kommen“?

„Bitte hör’ auf. Du weißt verdammt gut, dass ich so nicht bin, nicht war. Ich hab’ nicht einfach in der Gegend rumgevögelt. Das weißt du“.

Mit den Händen drückte ich mich aus dem weichen Boden in den Dünen, zog Wilma an der Hand empor. „Wir sollten gehen. Die beiden, dein Teun und Michelle warten bestimmt auf uns“. Wilma lächelte. „Sag’ nicht mein Teun, ich sag’ ja auch nicht deine Michelle. Das ist sie doch jetzt, oder“?

Ich musste lachen. „Ja Wilma, das ist sie. Das ist sie geworden …“

Tränen liefen jetzt meine Wangen herunter. „Ich hab’ dich immer geliebt. Liebe dich immer noch“… Mit den Schuhen hob ich etwas Sand auf …“Aber das ist jetzt wohl vorbei … Mit uns“.

Dann sah ich sie an. „Und was ist jetzt mit Michelle und dir“? Wilma strich mir mit der Handfläche über die Wange. „Das ist natürlich auch vorbei. Kannst du ihr das sagen“?

„Ne …“ kam es spontan aus mir heraus … “Das machst du mal schön selber. Ich hab’ genug damit zu tun was mit uns ist. Besser gesagt nicht mehr ist“. Nahm sie in den Arm. „Hast du Teun davon erzählt? Von uns? Uns dreien? Weil er ja nachgefragt hat ob du hier bei uns gewohnt hast“.

„Nein. Das weiss er nicht. Ich hab’ ihm nichts davon gesagt“. Fest drückte ich Wilma an mich heran. „Das solltest du tun“.

„Tot kijk“

„Können wir …. Gehst du noch mit mir zum Friedhof? Ich möchte … Wenn ich weggehe werde ich auch sie nicht wiedersehen“.

Weinend hielten wir uns an der Hand, blickten stumm auf Willeke’s Grab. Auf einer der Margeriten landete ein bunter Schmetterling. „Wilma, der ist für dich gekommen. Kannst du dich erinnern, dass Willeke immer gesagt hat Schmetterlinge seien ein Symbol für die Unsterblickeit und die Verbundenheit der Seelen“?

Bei mir brachen alle Dämme. „Verdammt. Ich liebe dich so sehr. Warum nur muss Trauer und Freude so dicht beieinander liegen? Ich hab’ dir …. Ich hab’ euch beiden so viel zu verdanken“.

Wilma nahm meine Hand. „Lass’ uns gehen. Die beiden warten. Ich muss noch so einiges an Sachen packen“.

Michelle und Teun sassen im Wohnzimmer, unterhielten sich. „Wir sind wieder da“ grüsste Wilma kurz in das Zimmer, ging direkt hoch in ihr Zimmer. Direkt folgte ich ihr, hörte Michelle’s Stimme, die „Jetzt aber, oder“? uns hinterherrief.

Vor ihrem Kleiderschrank stehend nahm ich Wilma noch einmal in den Arm. „Pass’ bloss auf dich auf“. Drückte sie ganz fest. „Und ruf’ einfach mal an. Diesmal aber wirklich“. Drehte mich zu Wilma um. „Tot kijk lieverd“. Ging nach unten. Blieb einen Moment in der Küche stehen, schaute zum Fenster hinaus.

Michelle kam zu mir. „Alles okay bei dir? Bei Wilma“? Schwer schluckend und gegen meine Tränen ankämpfend log ich „Ja. Alles in Ordnung“. Ging ins Wohnzimmer. „Teun, du sollest jetzt gehen“. „Bitte“? reagierte er erstaunt. „Du solltest jetzt gehen. Bitte verlass’ mein Haus“. Zog Michelle demonstrativ neben mich. „Bitte verlass’ unser Haus. Jetzt“.

Sie schaute mich fragend an. „Und du solltest zu Wilma hoch gehen“. Küsste sie. „Bitte“.

Teun hatte sich erhoben, ich begleitete ihn bis an die Haustür. Sagte aber nichts weiter zu ihm. Michelle stieg die Treppenstufen empor. „Wilma Schatz …“

„Ruhe“

Mit einer Flasche Schnaps ausgestattet setzte ich mich in den Garten, an den Terrassentisch. Hatte ich nach aussen hin, nicht nur Wilma gegenüber versucht gefasst zu wirken, brach jetzt alles über mich herein. Würde ich jetzt wieder eine geliebte Frau verlieren? Ich stürzte das erste Glas herunter.

„Ne, du hast sie schon verloren, sie ist schon weg. Bei Teun – und nicht mehr bei dir“. Ein zweites Glas folgte. Das schien mir die deutlich „menschlichere“ Alternative zu sein als Teun einfach nur schlagen zu wollen.

Immer wieder sah ich zum Fenster zu Wilma’s Zimmer hoch. Hin und wieder sah ich Wilma oder Michelle daran vorbei huschen. Nur einmal blieb Wilma lange stehen, schaute zu mir herunter. Legte ihre Hand auf ihre Brust, auf ihr Herz. Schaute sehr traurig zu mir. Mit einem weiteren Schnaps versuchte ich meinen Schmerz zu ertränken, mich zu betäuben.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, lass’ es in Wirklichkeit etwas mehr als eine Stunde gewesen sein, kam Wilma zu mir. „Ich will mich von dir verabschieden. Und dir nochmals sagen …“

Mit verheulten Augen sah ich sie an. „Sag’ es nicht. Bitte sag’ es nicht“.

Am liebsten hätte ich wie ein Schlosshund losgeheult. Ihr gesagt dass sie nicht gehen soll, dass sie bleiben soll. „Der Hausschlüssel. Ich hab’ noch den Hausschlüssel“. An ihrem Finger baumelte der Schlüsselring. „Und mein Auto … Das brauch’ ich ja wohl auch nicht mehr“.

Ich fasste sie an der Hand. „Behalt’ den Hausschlüssel. Komm’ wann immer du willst …“ Fest drückte ich ihre Hand. „Gib den Autoschlüssel Michelle. Sie hat ja jetzt einen Führerschein“.

Noch einmal setzte sie an. „Es tut mir leid, dass …“

Konnten meine Augen ausdrücken wie ich fühlte? Was ich hätte sagen wollen? „Pass’ auf dich auf. Und wenn was ist, egal was, meld’ dich, ja“?

Nachdem Wilma und Teun uns verlassen hatten wechselte ich nur wenige Worte mit Michelle. Trank dafür umso mehr.

Erst als die Dämmerung hereinbrach setzte sich Michelle zu mir auf die Terrasse. „Dir ist schon klar, dass du morgen arbeiten musst. Willst du hier noch lange sitzen? Und vor allem dich einfach weiter besaufen“? Sie legte mir einen Arm um meine Schulter. „Ich bin auch sehr traurig. Ich verstehe dich“. Sah mich an. „Aber du musst jetzt aufhören zu saufen. Wie willst du sonst morgen fit sein“?

Sanft, aber bestimmt schob ich sie zur Seite. „Lass’ mich. Lass’ mich einfach in Ruhe“.

„Trennungshölle“

Seit Tagen hatte ich mich von Michelle abgesondert, sie sogar abgelehnt, wollte sie nicht an mich heranlassen. In keinster Weise. Ganz besonders aber mit Gesprächen. Hatte mich nach Feierabend immer direkt in Wilma’s Zimmer verkrochen. Sundenlang auf ihren leeren Keiderschrank gestarrt. Mich meinem Schmerz ergeben. Getrunken. Nicht einmal zum Schlafen das Zimmer verlassen. Meist war ich einfach betrunken auf dem Fussboden eingeschlafen.

Michelle hatte mir bereits am ersten Wochentag die Autoschlüssel abgenommen, mich daran gehindert mit dem Auto zu fahren. Sie war es jetzt die mich zur Arbeit fuhr, mich abholte. Einen wortkargen, wenn nicht sogar einen stummen Beifahrer hatte. Der Sonnenbrille tragend neben ihr sass. Um meine verheulten und geröteten Augen zu verbergen. Um mich vor ihr – und allen auf der Welt zu verstecken.

Auf der SHELL versuchte ich meinen Arbeitskollegen und meinem Vorarbeiter Kees weis zu machen, dass ich mich „schlimm verblitzt“ hatte. Was zum Glück auch bei Schweissern immer mal passieren kann. In Wirklichkeit war ich ein mentales Wrack. Alles was Michelle versuchte mir an Gefühlen zu geben lehnte ich ab, war einer inneren Leere gewichen.

Die unerwartete und von mir ungewollte Trennung hatte eine solche emotionale Wunde in mein Herz gerissen. Alles in mir hatte sich zusammengezogen, mir war übel – mental übel. Alles war nur noch düster. Mein gesamtes Weltbild war erschüttert. Die Tennung von Wilma war so viel mehr als nur der Verlust einer Partnerschaft. Alle Träume und Zukunftspläne hatten sich in Luft aufgelöst. Schlagartig. Innerhalb weniger Stunden. Für immer. Ich fühlte mich in meiner seelischen Existenz bedroht.

Immer wieder durchfuhren mich Wellen von Verleugnung, wollte es nicht wahrhaben was aber einfach die Realität war. Dann Schock, Wut und Akzeptanz. In einer wahllosen Reihenfolge. Appetitlosigkeit, Magenprobleme, Schwindelgefühle, körperliche Schmerzen. Schlaflosigkeit – all das fühlte ich, versuchte alles mit Alkohol zu „betäuben“.

Und wenn es das nicht war, dann waren es Konzentrationsschwäche bei der Arbeit, Aggressionen gegenüber Michelle, Depressionen, extreme Stimmungsschwankungen, Antriebslosigkeit, Weinkrämpfe, Angstattacken. In nur einen Satz zusammengefasst – „Ich durchlebte die Hölle“. Die Trennungshölle. Und ich weigerte mich vehement diese zu verlassen.

„Hand“

Nach zwei Tagen hatte Michelle damit aufgehört mich zu bemitleiden, auf mich einzureden. Mich meinem Selbstmitleid überlassen. „Du willst es ja nicht anders, dann schlaf’ einfach hier auf dem Boden, sauf’ dich voll, heul’ dir die Augen aus dem Kopf“.

Immer wieder war sie da, immer wieder lehnte ich sie ab.

So auch heute. Sie hatte sich neben mich auf den Fussboden gesetzt. „Willst du jetzt nicht mal endlich aus deinem Loch, aus Wilma’s Zimmer rauskommen? Es ist Wochenende. Unser erstes Wochenende. Seit Wochen, seit Monaten. Du musst nicht arbeiten, du hast frei. Freust du dich denn gar nicht mehr? Über gar nichts“?

Um sich nicht meiner Launenhaftigkeit auszusetzen war sie abends einfach durch die Gegend gefahren. Konnte das ja jetzt, wo sie endlich den Füherschein besass, auch tun. Tat es eben auch.

„Wollen wir nicht ausgehen? Tanzen oder so was“? versuchte sie mit mir in ein Gespräch zu kommen.

„Mir ist nicht nach ausgehen zumute“. Ich gab mir Mühe sie nicht direkt anzuranzen. Michelle rutschte an mich heran. „Kann ich dir eine Geschichte erzählen“? begann sie während sie vorsichtig ihren Arm um meine Schulter legte.

„Von einem Mädchen, von einer jungen Frau. Nennen wir sie einfach mal Michelle. Die einen Typen getroffen hat. Und sich in ihn verliebte. Eigentlich wollte sie das gar nicht, es gab so viele Gründe, die in ihrem Kopf dagegensprachen. Da war zum Beispiel der Umstand, dass sie in einer Beziehung war. Mit einer Frau. Und dann noch, dass sie vorher nie was für einen Typen empfunden hatte. Nie was mit einem Typen hatte. Aber dieser Typ hat ihr direkt das Hirn weggeballert. Hat sie dermassen gereizt, hat so eine Anziehungskraft auf sie ausgewirkt. Wie kein anderer, wie keine andere jemals zuvor“.

„Redest du jetzt von dir? Oder warum hat dieses Mädchen deinen Namen“? Michelle schaute mich an. „Ja, das ist meine Geschichte. Und der Typ heisst Gustav. Das bist du“.

Ich nahm sie in den Arm. „Mir ist es genau so ergangen. Von der ersten Minute an als du hier aufgetaucht bist“. Vorsichtig küsste sie mich. „Gegen die Liebe ist man einfach machtlos. Wenn sie dich gepackt hat kannst du gar nicht anders als dich ihr zu ergeben“.

Sie schaute mich mit funkelnden Augen an. „Das weißt du doch selber auch. Warum wohl sitzen wir beide hier? Haben das erlebt, was wir die letzten Wochen erlebt haben? Können nicht voneinander lassen“? „Michelle …“ Sie unterbrach mich.

„Und jetzt tausch’ einfach mal die Namen aus. Gegen Wilma und Teun. Auch deren Herzen sind machtlos gegen die Liebe“.

„Und … und was ist damit, dass Wilma wohl schwanger ist? Und wenn es mein Baby ist“? Michelle lächelte. „Hätte, wäre, wenn. Ist es aber nicht. Wie lange ist Wilma jetzt schon in Sneek? Knapp zwei Monate. Und wie oft hat eine Frau in dieser Zeit ihre Periode? Weißt du überhaupt warum das auch Regelblutung genannt wird? Weil dadurch was geregelt wird“.

Michelle zog meinen Kopf an ihre Schulter. „Für dich ist das Einzige was dir bekannt ist wohl echt nur dass du das dann eklig findest. Stimmt’s“?

Sie strich mir durch die Haare. „Das Baby kann gar nicht deines sein. Bevor Wilma nach Sneek ist hatte sie doch erst vorher ihre Tage“. Sie hob mein Gesicht an. „Du erinnerst dich? Du hast mir doch selber erzählt, dass Wilma unbedingt – und täglich von dir gefickt werden wollte. Wenn es dein Baby wäre hätte ihre Periode wohl schon deutlich früher ausgesetzt“.

„Wie früher? Wann denn“? Michelle lachte. „Du hast echt keine Ahnung. Dieser blutende Alien … so hast du das ja bei mir genannt … kommt alle paarundzwanzig Tage vorbei. Nicht nur bei mir. Bei allen Frauen“.

Ich musste auch lachen. Wie sie das sagte – der blutende Alien. „Und jetzt rechne mal. Knapp zwei Monate sind also knapp sechzig Tage. Plus die Woche die Wilma noch hier war. Und dann teilst du das, sagen wir mal durch siebenundzwanzig. Warum also sollte Wilma nach dreimal erst die Periode ausbleiben“? Sie lachte laut auf. „Es sei denn sie ist ein Alien“.

Sie drückte meinen Kopf an ihren vor Lachen wackelnden Brustkorb. „Das ist nicht dein Baby. Schon rein rechnerisch gar nicht möglich“.

Michelle stand auf. „Willst du dich nicht ein bisschen schick anziehen? Mit mir ausgehen? Oder willst du jetzt immer noch hier rumhängen“? Hielt mir ihre Hand hin. Verharrte einfach so. Lächelte mich an. „Das war gar keine Geschichte. Diese Michelle steht vor dir. Genau hier. Du brauchst sie einfach nur an die Hand nehmen“. Einige Momente vergingen. „Na mach’, geh’ duschen. Damit wir loskönnen“.

Genau wie Michelle es gesagt hatte nahm ich ihre Hand. Um sie zu mir herunterzuziehen. Sie dann auszuziehen. Um mit ihr zu schlafen. Hier auf dem Fussboden. Vor dem leergeräumten Kleiderschrank. Weinte in Michelle’s Schulter. „Verzeih’ mir, dass ich so war … Zu dir … So gemein“. Sie strich mir durch die Haare. „Lass’ einfach alles raus mein Schatz“.

Unter Tränen ejakulierte ich in Michelle hinein. Nicht einmal das „Oh“ und „Ja“ gab ich von mir.

„Brief“

Warum nur hatte ich mich so lange Michelle gegenüber verschlossen? Sie nicht an mich herangelassen? Alles was ich seit Tagen in mir trug wollte ich ihr erzählen. Und das auf den wenigen Kilometern bis nach Hellevoetsluis. Sie lachte. „Jetzt quatsch’ mal nicht den Fahrer voll“.

Ihre Ansage liess mich lachen. Michelle grinste zu mir herüber. „Ja, das hab’ ich auch von dir gelernt. Die erste Viertelstunde möchte der Fahrer nicht vollgetextet werden“.

Mit ihrem rechten Arm griff sie zur Rückbank. Legte die Tasche, die sie von dort genommen hatte, in ihren Schoss. „Seit wann hast du eine Handtasche? Ist das nicht Wilma’s Tasche“?

Mit einer Hand öffnete sie den Reissverschluss der Tasche. „Ja, die hat sie mir geschenkt. Dass ich etwas habe, dass mich an sie erinnert“. In ihrer geschlossenen Hand hielt sie mir etwas entgegen. „Mach’ mal deine Hand auf. Das soll ich dir von Wilma geben“.

Langsam liess sie die Halskette, die ich Wilma geschenkt hatte in meine Handfläche gleiten. „Die sollst du tragen. So wie du die Kette von Willeke trägst. Sie, Wilma möchte immer an deinem Herzen sein. Das hat sie mir gesagt. Du sollst das auf jeden Fall annehmen, anziehen“.

Lange betrachtete ich die beiden Ringe, die ineinandergriffen, drückte blinzelnd eine Träne weg.

„Was hat Wilma dir denn noch so gesagt“? wollte ich wissen. Michelle erzählte davon was Wilma ihr, während sie ihre Klamottten gepackt hatten alles mitgeteilt hatte. Zu dem Warum und Wieso.

„Sie hat mir auch gesagt, dass sie gewusst hat, dass sie nicht zu dir durchdringen würde. Weil es dich einfach verletzen

würde. Dich treffen würde. Was ja auch passiert ist. Du hast ja nicht einmal mir zugehört als ich mit dir reden wollte. Deshalb …“ Michelle zog einen Briefumschalg aus ihrer neuen Handtasche. „Deshalb hat mir Wilma diesen Brief für dich gegeben. Den schlepp’ ich jetzt schon seit Tagen mit mir rum“.

„Verdammt. Wieso gibst du mir den jetzt erst“? „Hey Typ, weil du bis jetzt immer nur blau in ihrem Zimmer gesessen hast“.

Michelle hatte den Wagen eingeparkt. „Dreh’ dich mal zu mir. Dann leg’ ich dir die Kette um“. Küsste mich dabei sanft auf den Hals.

„Sei nicht weiter traurig. Wilma ist nicht wirklich weg. Hier, das hat sie mir gegeben. Aus ihrer Rede die sie für Victoria geschrieben hat“. Faltete einen kleinen, knittrigen Zettel auseinander. Las mir vor was dort geschrieben stand.

„Trinkt, lacht, denkt an mich,

damit mein Name im Hause ausgesprochen wird,

so wie es immer war,

Das Leben bedeutet das, was es immer war,

Warum soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein,

nur weil ich nicht mehr in eurem Blickfeld bin“?

Michelle öffnete die Türe des Escort. „Also lass’ uns lachen, trinken. Aber nicht wieder einfach volllaufen lassen. Werd’ wieder normal. Werd’ wieder der Mann, den ich liebe. Den ich seit Tagen vermisse. Unser Leben geht weiter. Hat doch eigentlich erst angefangen“. Sie lächelte. „Das hast du mir doch selber gesagt, dass der Kosmos alles für uns regelt. Oder muss ich dir noch mehr sagen“?

„Michelle, was redest du da? Werde ich jetzt automatisch dein Mann“? Sie ging um den Wagen herum, öffnete mir die Türe. „Das bist du schon vor langer Zeit geworden. Nicht erst seit Wilma vor Wochen nach Sneek gegangen ist. Hast du das nicht gemerkt wie wir immer mehr ein Paar geworden sind? Wie sich unsere Verbindung, unsere Liebe mehr und mehr gefestigt hat“? Sie schaute mich an. „Oder willlst du mir ernsthaft sagen, dass wir einfach nur ein bisschen rumgevögelt haben? Selbst wenn du es sagst glaube ich dir das nicht“.

Michelle küsste mich. „Du bist nicht automatisch mein Mann geworden. Überhaupt nicht. Aber mehr und mehr. Mit jedem Tag den wir uns jetzt kennen. Und du hast es doch eben auch selber gesagt. Dass du mich wolltest, vom ersten Tag an“.

Wir tanzten lange im Fort Haerlem. Nicht so lange wie bei unserem letzten Besuch. Das lag zum einen daran, dass wir nicht „bekokst“ waren, wie noch am letzten Wochenende. Aber auch dass mir mehr nach Reden zumute war. In einer ruhigen Ecke des Cafés. Hatte das definitiv zu lange vor mir hergeschoben. Nicht einmal das. Ich hatte es einfach verdrängt. Wollte mich nicht mitteilen. Wollte nicht reden, mit niemand.

Wie hatte ich das vermisst. Samstags einfach aufstehen, ganz gemütlich den Tag angehen lassen. Gemeinsam frühstücken. Keine Autofahrt nch Pernis. Das hatte ich übrigens die ganze Woche über schon genossen. Dass Michelle mich „chauffierte“. Zwar war das nur eine „kleine Sache“, aber auch das wollte ich ihr mitteilen. „Ich fühl’ mich sicher, wenn du fährst … Und überhaupt … Danke, dass du das die ganzen Tage über getan hast“. „Ach Schnick Schnack. Wieviele Tage, wieviele Wochen hast du mich kutschiert? Überall hin“ winkte Michelle ab.

Auch erst jetzt, bei einer Tasse Kaffee las ich mir Wilma’s Brief durch. Hatte ihn gestern Abend einfach in meine Jackentasche gesteckt. Nicht weil es mich nicht interessierte. Nein, es bot sich keine Gelegenheit um ihn mit der nötigen

Aufmerksamkeit zu lesen. Und auch weil sich im Café, in der Disco einfach keine Gelegenheit bot. Zu viel Trubel, zu fahles Licht. Und mich einfach damit auf ein vielleicht besser beleuchtetes Klohäuschen zu setzen fand ich dann auch ein wenig zu unangebracht.

Langsam faltete ich das Papier auseinander.

„Wilma“

Jetzt sind es nur noch wenige Stunden. Dann brechen wir auf. Nach Rockanje. Ich habe jetzt schon ein ganz mulmiges Gefühl. Weiss nicht wie ich dir sagen soll was mit uns ist. Wie es mit uns werden kann. Könnte. Aber ich weiss genau, dass ich nicht in der Lage sein werde dir alles so verständlich zu machen wie es ist. Wenn ich überhaupt zu dir vordringen kann. Genau deswegen schreibe ich es für dich auf.

Liebe und Abschied – zwei Worte die in einem Satz nicht im Einklang sein können. Ich muss von Dir Abschied nehmen. Wahre Liebe muss auch loslassen können, wenngleich die Schmerzen groß sind. Mein Herz will zerbrechen, mir fehlt die Luft zu atmen und meine Gedanken kreisen nur um Dich und wie traurig mein Leben ohne Dich sein wird. Und garantiert wird es dir nicht besser gehen, vielleicht wird es dich sogar noch schlimmer treffen. Meine Versuche, Dankbar zu sein, dass ich Dir begegnen durfte, scheitern kläglich. Der Abschiedsschmerz ist zu groß. Doch man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Ist dem so?

Wie kann ich in Worte fassen, wie ich mich in diesen Momenten des Abschieds fühle? Bin ich doch von Traurigkeit überwältigt, die meine Zunge lähmt und nicht erlaubt zu sprechen, sonst würde ich in Tränen ausbrechen. Und bevor ich mich am Ende frage warum ich dies oder das nicht gesagt habe will ich es aufschreiben. Für dich. Der mit mir gemeinsam so lange alles geteilt und erlebt hat. So viele Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre immer zur Stelle war. Ich werde immer an den Strom der Erinnerungen denken. Du wirst immer bei mir sein.

Ich bitte dich um eins, lass’ all die bedrückenden Gefühle wie Traurigkeit, Schmerzen und Enttäuschungen los. Denke lieber an unsere schönen Zeiten zurück. Schau nach vorne, nie zurück.

So wie es mir ergangen ist, dass ich mich heillos in Teun verliebt habe, so habe ich das doch auch bei dir gesehen. Dass du dir nichts sehnlicher gewünscht hast als Michelle nicht mehr mit mir zu teilen. Einen Menschen nur für dich hast. Wie wir uns auch hatten. Immerhin war ich es doch der Michelle in unser Leben gebracht hat. Und mir ist jetzt klar, dass ich meine sexuellen Wünsche mit euch beiden ausleben konnte, mich aber nach einer Familie, einem Mann und einem Kind sehne. Mehr als alles andere wünsche ich mir das. Teun ist der Mann mit dem ich das möchte. Er ist auch genau so alt wie ich, älter als du. Garantiert würde ich dir auch einen Teil deiner jungen Ausgeflipptheit nehmen. Die ich schon hatte – und die du auf jeden Fall weiterleben sollst.

Nach so vielen Jahren. So viel erlebt und gesehen. Miteinander. Und jetzt? Soll es ohne den anderen weitergehen? Wir haben uns geliebt. Nun lieben wir jeweils andere Menschen. Mit denen wir Glück haben. Glück verdienen wir. Du verdienst alles Glück der Welt. Und wenn du dabei glücklich bist, ist es umso besser. Dann wirst du es verstehen. Du wirst verstehen, warum ich dafür bin, wenn du glücklich bist. Gestehe dir ein, dass es mit uns nicht sein sollte. Nicht mehr.

Ich habe jetzt lange über diesen Zeilen gebrütet, um nur annähernd die richtigen Worte zu finden. Ich wollte das einfach nochmal loswerden, damit du Bescheid weißt und es am Ende nicht heißt, dass ich dir nicht gesagt habe „Warum“.

Mit niemandem habe ich so viel gelacht wie mit dir. Mit keinem anderen Menschen so viel Zeit verbracht, mit keinem anderen Menschen habe ich mich so verbunden gefühlt wie mit dir.

Du warst mein Traum, den ich nun für einen anderen aufgebe. Aber ich möchte mit Teun leben, ich liebe ihn. Ich muß dich loslassen, in der Hoffnung irgendwann nicht ständig an dich denken zu müssen.

Gib mich frei, dann wirst du es auch sein. Ach ja, und wenn du Michelle wirklich liebst, dann halt sie fest. Und noch eines – Trink’ nicht, besauf’ dich nicht. Nicht wegen mir.

Wilma

„Ich bin da“

Über das „i“ ihres Namens hatte sie ein kleines Herz gemalt. Langsam liess ich den Brief auf die Tischplatte sinken.

„Michelle. Michelle. Wo bist du“? Sie legte ihre Arme um meinen Hals. „Ja mein Schatz. Ich bin da. Die ganze Zeit schon“.

Dass Michelle hinter mir stand während ich den Brief las hatte ich nicht mitbekommen, war einfach in die Zeilen versunken, die, je weiter ich im Text kam, umso mehr durch meine Tränen verschwommen.

Sicherlich hatte ich gelesen was Wilma für mich geschrieben hatte. Ob ich allerdings alles verstanden hatte blieb fraglich. Wollte ich das in meinen Kopf lassen? Vor allem – wollte ich das in mein Herz lassen? Um was sie mich gebeten hat? Was sie mir mit auf den Weg geben wollte? Den Weg wohin? Fort von ihr?

Warum fiel es mir so schwer zu verstehen, dass Wilma jetzt mit einem anderen Menschen zusammen sein wollte? Und es gar nicht so schwierig war, dass sie mit einem anderen Menschen, mit Michelle, nur eine Zimmertür weiter zusammen war? Weil es nicht mehr „unter einem Dach“ war? Weil es ein Mann war mit dem sie jetzt leben wollte? Schon lebte?

Mit einigen Sätzen hatte Wilma vielleicht sogar Recht. Wilma war ja, auch wie bereits Willeke zuvor, deutlich älter als ich. Und jetzt, mit Michelle hatte ich eine Freundin die noch genau so flippig, ausgeflippt war wie ich selbst. Bei ihr war gar nicht diese, von Wilma oft genannte „Torschlusspanik“ zu verspüren.

War das etwas was sie mir am Strand gesagt hatte? Dass Teun angekommmen war? Vor diesem Tor? Dass sich zu schliessen drohte?

Würde das bei mir auch so sein, wenn ich älter wurde?

Aber konnte man nicht einfach durch dieses Tor gehen? Musste sich zwingend irgendetwas verschliessen, wenn man älter wurde?

Und wenn dem so sei – musste man unbedingt gleichaltrig sein um dann da durch zu gehen? Oder musste man gezwungenermassen vor diesem Tor stehen bleiben? Und wer würde denn dann dieses Schild „Durchgang verboten“ überhaupt anbringen? Mit welchem Recht?

Michelle riss mich aus meiner Lethargie heraus. „Wollen wir etwas spazieren gehen? Mal zum Strand“?

„Was? Wie? Äh … Ja sicher. Gerne“.

„Suchen. Finden.“

Michelle schloss mich in ihre Arme. „Was hab’ ich denn überhaupt gefragt“?

„Wolltest du nicht spazieren gehen? Hattest du das nicht gerade gefragt“?

Sie setzte sich auf einen Stuhl. Mir gegenüber. „Ja, zum Strand“. Fasste meine Hand. „Hörst du auf zu trinken? Nimmst du mich wieder wahr“?

Sie war mit einem Satz aufgestanden, hielt mir, hinter mir stehend, die Augen zu. „Was für ein Kleid habe ich an? Habe ich überhaupt ein Kleid an? Habe ich überhaupt etwas an“?

Ich griff hinter mich, an ihrem Oberschenkel entlang. Fühlte einen weichen Stoff, dann ihren nackten Hintern. „Ein Kleid“. Michelle nahm ihre Hände von meinen Augen weg. „Fang’ wieder an mich zu sehen. Mich zu beachten“. Langsam drehte ich mich zu ihr um. „Das werde ich. Versprochen“. Michelle küsste meinen Hals. „Lass’ meinen Po wieder los, lass’ uns raus gehen“.

Wir fuhren mit den Fahrrädern zum Strand, machten einen ausgedehnten Spaziergang. Unterhielten uns lange und intensiv. Hielten uns an der Hand. Machten dann zum Abschluss eine Pause im Badlust. Speisenkarte oder Getränkekarten brauchten wir nicht. Was es hier gab war hinlänglich bekannt.

Michelle hatte sich neben mich gesetzt, beide blickten wir auf den Horizont. Sie griff meine Hand. „Ich mach’ dir einen Vorschlag. Ich trinke auch keinen Alkohol, kein Bier. Vielleicht fällt es dir dann leichter. Bis du wieder auf Normal bist. Was meinst du“?

„Was ich meine? Was ist denn Normal? Was genau meinst du damit“?

„Na eben nicht, dass was du eine ganze Woche lang gemacht hast. Dich einfach volllaufen lassen. Dich selbst in Wilma’s Zimmer einsperren. Bei mir sein. Mich beachten. Etwas mit mir unternehmen. Mit mir reden. Ein normales Leben halt. Das meine ich. Was denn sonst“?

Michelle lehnte ihren Kopf an meinen Oberarm. „Wenn man sich in die Sichtweise des anderen hineinversetzt, seine Sichtweise versteht und annimmt, schafft man es am leichtesten wirklich zu begreifen was er auch meint. Willst du mich verstehen? Ich habe seit Tagen versucht dich zu verstehen. Deine Sichtweise. Deine Niedergeschlagenheit. Jetzt bist du dran. Versuch’ zu verstehen was passiert ist. Nimm es an - wie es ist. Ändern kannst du es nicht. Aber akzeptieren, das geht“.

Wortlos schaute ich zu ihr. „Und was soll ich akzeptieren? Was ich nicht verstehe? Wie soll das gehen“?

Heisser Kaffee, den wir bestellt hatten, wurde gebracht. „Vor nicht allzu langer Zeit …“ begann Michelle weiter zu reden „… habe ich dich gefragt für wen du dich entscheiden würdest, wenn du müsstest? Für Wilma? Oder für mich? Da hast du mir geantwortet ’Für dich’. Ist das nicht seltsam, kurios dass sich die Frage jetzt von selbst beantwortet hat“?

Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. „Und ist deine Antwort immer noch so? Für mich“?

Ja, das war schon mehr als kurios. Dass wir genau darüber geredet hatten. Und ich auch immer mehr gespürt hatte, dass ich mich total zu Michelle hingezogen fühlte. Sie mir nicht aus dem Kopf ging. Wilma’s Nachricht, ihre Entscheidung mir zwar den Boden unter den Füssen weggezogen hatte. Sie mir aber auch gesagt hatte, dass sie das gespürt hatte. Was zwischen Michelle und mir geschah. Hatte sich deswegen bei ihr auch eine Veränderung eingestellt? Hatte ich selbst dazu beigetragen? Und wenn ja, wieviel?

„Meinst du, dass es sein kann, dass wir uns durch unsere Dreierbeziehung alle in eine Paarbeziehung hineinmanövriert haben? Dass wir uns zwar ausgelebt haben, aber in Wirlichkeit die Nähe zu nur einem Partner gesucht haben“? Michelle schmunzelte mich an. „Auf jeden Fall haben wir unsere Triebe mal so richtig schön ausgelebt, oder? Und schön war es doch auch, findest du nicht“?

Meinen Arm um ihre Schulter legend zog ich Michelle an mich heran. „Ja, ich will dich. Ich entscheide mich für dich“. Mit leicht schräg angelegtem Kopf schaute Michelle. „In echt? Oder nur weil sonst keine da ist“? Sie klimperte mich mit ihren Wimpern an. „Dann sag’ das auch mal so. Laut. Dass ich es hören kann“.

Fest drückte ich sie. „Michelle. Ich will dich. Wollte dich die ganze Zeit … Musste ich dazu Wilma verlieren? Um dich zu finden“?

Michelle schmunzelte. „Du hast mich nicht gefunden. Wilma hat mich vorbeigebracht. So ist es doch. Stimmt’s nicht“?

Die Fahrräder deponierten wir wieder im Schuppen. Michelle blieb in der Hofeinfahrt stehen. „Tja, wenn man das alles gewusst hätte …“ Schaute mich kurz an. „Was ist denn jetzt mit Wilma’s Auto“? „Das kannst du jetzt erstmal nutzen … wenn du möchtest … Bis dein eigenes Auto da ist“.

„Ja, und dann? Ich meine … was passiert jetzt mit dem Auto“? „Ich weiss nicht Michelle. Noch nicht. Aber es fällt mir garantiert was ein. Vielleicht nimmt Hans den ja“.

Michelle nahm meine Hand. „Wollen wir ausgehen? Hast du Lust mit mir auszugehen“? „Ich weiss nicht. Schon wieder? Ohne Alkohol zu trinken? Ich bleib’ lieber zuhause. Aber du kannst ja gerne … Hast ja jetzt ein Auto, bist mobil“.

Michelle ging in die Küche. „Ich mach’ mal was ganz Verrücktes. Ich koch’ uns mal einen Tee. Dann machen wir es uns gemütlich. Auf der Couch. Wir beide. Ich möchte dann auch bei dir bleiben“.

Einen Joint hatte ich für uns gedreht während Michelle in der Küche den Tee zubereitete. Hatte mir Wilma’s Brief noch einmal durchgelesen. „Weißt du was Wilma mir geschrieben hat? Dass ich dich festhalten soll“. Drehte ihr den Brief so zu, dass sie Wilma’s Zeilen lesen konnte nachdem sie zwei Becher mit dampfendem Heissgetränk gebracht hatte. „Hier, schau …“ Mit meinem Zeigefinger fuhr ich die Zeilen entlang.

Ach ja, und wenn du Michelle wirklich liebst, dann halt sie fest. Und noch eines – Trink’ nicht, besauf’ dich nicht. Nicht wegen mir.

Michelle sah mich an. „Kann ich den Brief ganz lesen? Was dir Wima geschrieben hat“? „Ja, setz’ dich zu mir. Vielleicht magst du mir den vorlesen. Dann hören wir es beide nochmals. Irgendwie ist der ja auch für dich. Irgendwie schon“.

Michelle kuschelte sich an mich heran. Begann zu lesen. Vorzulesen.

„Krampf“

Michelle faltete den Brief zusammen nachdem sie den letzten Satz gelesen hatte. „Willst du mich denn festhalten“? Gab ihn mir zurück.

Diese Frage, diese Phrase wiederholte Michelle unzählige Male nachdem wir in ihr Zimmer, in ihr Bett gegangen waren. Was ich ihr gerne und oft in ihren Hals hineinsprach. Immer durch Küsse unterbrochen. In sie hinein hauchte. So wie es ja auch war. „Ja, ich will dich festhalten. Immer schon“.

Es hatte meiner Seele gutgetan das laut, mehr oder minder laut, auszusprechen was ich fühlte. Auch was Wilma erkannt hatte, mir versuchte mit auf den Weg zu geben. Was nicht bedeutete, dass meine Traurigkeit beendet war. Nur deutlich weniger. Einer gewissen Wahrheit gewichen war. Dass ich meinen Trennungsschmerz noch eine ganze Weile mit mir tragen würde war sonnenklar. Nur eben nicht wie stark. Und wie lange. Dass das jetzt, nach nur einer Woche – und einer wunderschönen Nacht nicht ausgestanden war – dafür kannte ich mich selbst zu gut.

Es braucht Zeit eine beendete Beziehung zu verarbeiten. Mit einer Trennung hören nicht schlagartig die Gefühle zum Ex-Partner auf, vor allem nicht, wenn man lange gemeinsam durchs Leben gegangen ist. Das wusste ich. Aber auch dass es möglich ist weiter zu lieben. „Setz dich nicht unter Druck, vertraue einzig und allein auf dein Gefühl“ versuchte ich es für mich zu analysieren. Das ist natürlich leichter gesagt als getan.

Mit Michelle zu schlafen bewirkte mehr als ich vermutete. Zu Anfangs hatte ich gar die Befürchtung, dass ich wieder in sie hineinheule. Das war aber gar nicht so, es löste mich. Meine innere Verkrampftheit. Lustvoll stöhnte ich ihren Namen. Nicht nur weil sie es gerne mochte, wenn ich sie beim

Namen nannte. Nein, weil es aus mir herauskam. Von meinem Unterbewusstsein ausgelöst.

„Erzähl’ doch mal. Wo willst du denn im Urlaub hinfahren? Und wann? Hast du schon eine Idee? Wir müssten uns ja auch frei nehmen“ lenkte Michelle unser Gespräch. Um dann aber direkt „aufzudrehen“. So wie ich es von ihr gewohnt war.

„Was ist denn jetzt mit dem Apartment? Wie machen wir das mit meinem Auto“? Sie zog mich sanft auf ihren Oberkörper. „Und meinst du nicht wir sollten mal wirklich zu einem Psycho-Onkel gehen“?

„Michelle. Eins nach dem anderen. Okay? Wir fangen mal mit deinem Auto an. Und dann Wilma’s Renault. Und dann Urlaub. Dann den Rest“.

„Cut Out“

Gemeinsam hatten wir ein „fürstliches“ Frühstück gezaubert. Speck, Rührei, frische Pannekoeken, frisch gebrühter Kaffee. Schlawenzelten liebevoll umeinander herum. Nahmen uns in den Arm, küssten uns, sagten uns gegenseitig Nettigkeiten. Ineinander verliebt zu sein ist schön. Setzt eine unglaubliche Energie frei. Übertönt alle Traurigkeit.

Wir hatten uns vorgenommen heute eine Reise durch die gesamten Niederlande zu machen. Und das an nur einem einzigen Ort. In „Madurodam“, in der Nähe von Den Haag, in Scheveningen. Diesen Miniaturpark, eine der größten touristischen Attraktionen der Niederlande, kannte ich schon seit meiner Kindheit. Mehr als einmal war ich dort, entweder mit meinen Eltern oder mit Tante und Onkel – wenn ich bei meiner Oma in Belgien die Schulferien verbrachte.

Michelle war extrem aufreizend gekleidet, trug ein schwarzes „Cut-Out“ Minikleid. Im Brustbereich, über ihren gesamten Oberkörper verliefen einige dünne Bänder, die alles „irgendwie“ zusammenhielten. An der Hüfte, der Taille, fehlten grosse Stücke Stoff. Das war wohl dieser Cut-Out-Effekt. Das brauchte sie mir aber gar nicht erklären, das sah ich sofort. Würde auch garantiert nicht der einzige bleiben der genau dort hinsah. Mindestens zwei Handbreit ihrer Haut, vom Hüftknochen abwärts, waren zu sehen. Dass sie keine Unterwäsche trug war ebenso auf den ersten Blick erkennbar.

„Meine Fresse, was für ein Gerät“ entfuhr es mir bei ihrem Anblick. Lässig hielt sie schwarze hochhackige Schuhe in einer Hand. „Die zieh’ ich aber erst nachher an, damit kann ich ja nicht Auto fahren“ lautete ihre Erklärung dafür.

Zwar fühlte ich mich mittlerweile wieder absolut in der Lage zu fahren, mein Trinkverhalten hatte sich wieder „normalisiert“ – aber diesen Augenschmaus wollte ich dann doch schon komplett auskosten. Als Beifahrer würde ich problemlos nur sie anschauen können, brauchte nicht auf den Strassenverkehr achten. Ausserdem, und das war ja dann auch irgendwie Sinn und Zweck, dass sie einen Führerschein gemacht hatte, konnte Michelle ja jetzt auch fahren.

Landschaftlich war die Strecke nicht sehr reizvoll. Erst durch den Europoort, dann hinter Pernis auf die A4, hoch nach Den Haag, dann ein kleines Stück über die A12 bis nach Scheveningen. Bis zum Freizeitpark „Madurodam“.

Dafür war es aber umso reizvoller Michelle zu betrachten. Ihr rechter Beckenknochen schaute aus dem „Cut-Out“ heraus, forderte meine Hand förmlich auf unter dem Kleid, an ihrer Haut entlang in ihren Schritt zu gleiten. „Du willst es mir jetzt aber nicht während der Fahrt mit deiner Hand machen“? schaute Michelle kurz zu mir, meine Handbewegungen an ihrem Unterleib kommentierend. „Ausserdem leierst du den Stoff aus“. Unterband mit ihrer rechten Hand mein Gefummel. „Hör’ mal auf“.

Kindheitserinnerungen kamen in mir hoch. Nur dass ich jetzt nicht mit Mutter und Vater, oder Tante und Onkel durch diese „Miniatur-Niederlande“ spazierte, sondern mit Michelle.

Die Faszination, die alles auf mich ausübte, war aber ähnlich. Ich mutierte unvermeidlich – und schlagartig wieder zu einem Kind. Das mit weit geöffneten Augen die Attraktionen bestaunte.

Die zauberhaft angelegte Miniaturwelt bot einen komprimierten Gesamteindruck über die Niederlande. Tulpenfelder, die wichtigsten Bauwerke der Niederlande, Kirchen, Schlösser, Flughafen, Häfen - bis hin zur Holzschuhfabrik war alles vertreten. Nur in klein. Durch das Gelände fuhr eine Modelleisenbahn.

Was aber meine Wahrnehmung, im Vergleich derer in meiner Kindheit unterschied waren die Fakten, die ich wohl auch erst jetzt, als „Nicht-Kind“ ganz anders aufnahm. Zu Amsterdam, Schiphol, den authentischen holländischen Windmühlen. Oder dass New York ursprünglich niederländisch war. Aber auch eine Reise in die Vergangenheit. Wie und warum im „Statenzaal“ die erste freie Staatenversammlung 1572 in Dordrecht stattfand. Wie die Grundlage für die heutigen Niederlande gelegt wurde – die Niederlande, in denen wir in Freiheit leben können.

Natürlich, und weil wir sowieso „in der Gegend“ waren, durfte ein Ausflug zum Strand Scheveningen nicht fehlen. Auch eine perfekte Gelegenheit um unser verspätetes Mittagessen einzunehmen.

„Das ist schon ziemlich cool so zu zweit unterwegs zu sein“ brachte Michelle zum Ausdruck wie sehr es ihr gefiel. Zumal sie noch nicht so viel von den Niederlanden, ihrer Heimat kannte, wie sie betonte. „Das macht Spass mit dir wegzufahren. Mit dir in Urlaub zu fahren. Klär’ das doch in den nächsten Tagen bitte wie und ob wir in Urlaub fahren können“.

Da die Arbeiten auf der SHELL wieder zur Normalität zurückgekehrt waren ging ich einfach mal davon aus, dass ich relativ kurzfristig Urlaub einreichen könne. Michelle würde aber bestimmt „vier oder besser noch sechs Wochen Vorlauf benötigen“ wie sie mir erklärte. „Und wo würdest du gerne hinfahren, du schöne Frau“? wollte ich das Ziel irgendwie eingrenzen. Michelle klärte das sehr schnell und einfach. „Das ist mir egal. Ich kenn’ doch sowieso nichts. Aber mit dir will ich überall hin. Egal wo“.

In einem Restaurant auf dem „Pier Scheveningen“, dem „Kibbeling“, hatten wir uns für eine Mahlzeit einen Platz gesucht. Ich erzählte Michelle einiges zu den Ausflügen und Urlaubsreisen, die ich mit Wilma und Willeke unternommen hatte. Was wir so alles erlebt und gesehen hatten. Wie schön und intensiv diese Zeiten waren. Und wie gerne ich das jetzt auch mit ihr erleben wollte. Dass ein Urlaub immer die beste Gelegenheit war, meiner Meinung nach zumindest, sich wirklich und wahrlich kennen zu lernen. „Das wäre sehr schön. Ich will dich auch noch näher, noch mehr kennen lernen“ strahlte Michelle.

Lange spazierten wir „zur Verdauung“ am Strand entlang, bis runter zum Buitenhaven. Unterhielten uns intensiv. Ein kleines bisschen fühlte ich mich schon wie im Urlaub.

In weiser Voraussicht hatte Michelle ihre Schuhe ausgezogen, lief Barfuss über den weichen Sandboden. Mit einer Hand hielt sie immer wieder mal den Saum ihres Minikleides fest. „Können wir zurückgehen Mir ist kalt“.

Das wunderte mich nicht wirklich. Zum einen wegen des kurzen Kleides, dann natürlich auch weil die luftigen „Cut-Outs“ ihre nackte Haut dem Wind aussetzten. Breit grinste ich sie an. „Das sehe ich. Deine Nippel stehen wie eine Eins“.

Schnell zog ich meine Jacke aus, bot sie ihr an, um sich diese zumindest um die Hüfte zu binden. Dass der Wind ihren Unterleib nicht auskühlte. Gab ihr einen Kuss auf den Hals während ich ihr die Jacke umlegte. „Du kannst dir gar nicht vorstelllen wir gerne ich jetzt deine Titten in den Mund nehmen würde. Deine Nippel sind schon sehr verlockend“. Michelle schmunzelte mich an. „Ja, weil mir kalt ist“.

„Kann ich fahren“? bat ich auf dem Parkplatz angekommen. Aus dem Kofferraum nahm ich eine Decke. Gut, dass in den Autos immer eine bestimmte Standard-Ausstattung war. Zu der eben auch eine Decke gehörte. Für ein Picknick. Um sich am Strand hinzusetzen. Oder aber, wie jetzt, um Michelle darin einzupacken. Wärmend eingemummelt kuschelte sie sich auf den Beifahrersitz.

Während der Rückfahrt besprachen wir die anstehende Woche. Ich würde ab morgen wieder fahren. Sie zur Arbeit bringen. So wie es Michelle die letzten Tage getan hatte. Sie bis vor das Pflegeheim bringen, nicht wie bisher unterwegs „aussetzen“. Genau das hatte sie auch für mich getan. Mich bis zur Pforte der SHELL gefahren. „Und nach Feierabend fahren wir dann zu Hans, holen dein Auto ab“.

Auch dass ich mich bei Kees, meinem Vorabeiter, nach Urlaub erkundigen werde, erklärte ich ihr. Und eben auch berücksichtigen werde, dass sie, Michelle, erst frühestens in vier Wochen Urlaub bekommen könnte. „Magst du dich denn auch schon mal erkundigen ob das bei dir klappt? Dann können wir uns auch überlegen wohin es eventuell gehen könnte. Wohin wir fahren wollen“.

Zuhause angekommen hob ich Michelle mitsamt Decke aus dem Escort heraus. In meinen Armen liegend schloss sie die Haustür auf. Sie machte wieder dieses „Raaar“ Geräusch. Ihren Kopf hatte sie an meine Schulter gelegt. „Ich mag das total gerne, wenn du mich trägst“.

Mir ging es genauso. Man sagt zwar „Süsse Last“, aber das war sie ganz und gar nicht. Zwar süss, sehr süss sogar. Aber von Last konnte keine Rede sein. Langsam liess ich sie auf die Couch herunter. „Ich mach’ uns dann mal einen Tee, oder“? Verschwand direkt in die Küche.

Mit zwei „Bakjes thee“ in Händen kam ich zu ihr zurück. Michelle öffnete die Decke, die immer noch um sie geschlungen war. „Komm’ zu mir. Unter die Decke. Wärm’ mich“.

Die Decke, das Plaid, so war es zumindest auf dem Fähnchen aufgedruckt, das leicht an meinem Kinn kitzelte, hatte ihre Körperwärme total aufgefangen. Wie ein baumwollener Speicher. Nur einen Arm hatte sie daraus befreit, um sich ihren heiss dampfenden Tee zu trinken.

An sie gekuschelt, ihren Geruch tief einatmend, hätte ich alles Mögliche zu ihr sagen können. Beliess es aber bei „Michelle mein Schatz, ich hab’ dich so unwahrscheinlich lieb“. Küsste ihren Hals. Leicht legte sie ihren Kopf in den Nacken, ihr Haar fiel kitzelnd in mein Gesicht.

„R 5“

Welch eine Wohltat war es jetzt wieder auf der SHELL. Kein Termindruck, keine übertriebene Geräuschkulisse. Im Vergleich zu den zurückliegenden Wochen war es das reinste Sanatorium.

Über den Tag verteilt dachte ich mehrfach an unser Wochenende zurück. Auch das war in bestimmter Weise eine Art Sanatorium für mich gewesen. Hatte ich doch, einige Zeit bevor ich die „Neuigkeiten“ von Wilma erfahren hatte, befürchtet in ein tiefes Loch zu fallen. „Aber nicht im meins“ hatte Michelle seinerzeit scherzhaft gesagt. Wie sehr froh ich war, dass ich das aber doch konnte, zumindest körperlich, mit meinem Unterleib.

Schon beim Befahren des Parkplatzes vor Hans’ Werkstatt war zu erkennen, dass der Kadett angemeldet war. Ein gelbes Kennzeichen, mit schwarzen Lettern und Buchstaben war montiert. „Schau’ mal, sogar meinen Namen hat das Nummernschild“ hüpfte Michelle auf der Stelle, nachdem wir neben dem Kadett geparkt hatten.

Dass die Anfangsbuchstaben „DB“ waren, also wie Michelle dachte für „De Boer“ standen, war aber eher zufällig. Ein System wie es zum Beispiel in Deutschland verwendet wurde, das mit dem Buchstaben für die Stadt, in dem das Fahrzeug zugelassen war, gab es in dem Sinne nicht. Was aber ihrer Freude keinen Abbruch tat.

Und mit genau diesem Überschwang bedankte sich Michelle bei Marion, die uns in gewohnter Manier – Küsschen links, Küsschen rechts – in ihrem Büro auf einen Kaffee einlud.

„Das ist eher Zufall … Oder aber mindestens die Hälfte der Niederländer heisst De Boer. Die Kennzeichen haben eine bestimmte Buchstabenabfolge. Aber frag’ mich jetzt bitte nicht welche“ erklärte Marion.

Aus einer Mappe zog Marion die Papiere und die Versicherungspolice, die sie für mich bei Wouter von Nationale Nederlanden abgeschlossen hatte, hervor. Auf den kleinen Stapel legte sie die Autoschlüssel. „Bezahlt ist ja alles. Dann wünsch’ ich dir eine gute, immer unfallfreie Fahrt“. Schob Michelle das ganze Paket über den Tisch herüber.

„Würdet ihr den Renault von Wilma ankaufen wollen“? Marion schaute mich an. „Wieso? Will sie den nicht mehr? Braucht sie den nicht mehr“?

Sofort spürte ich wie mich ihre Gegenfragen in Bedrängnis brachten. Was sollte ich antworten? Was könnte ich antworten? Auf keinen Fall was der wirkliche Grund war. „Äh …. Vorerst nicht“. Ein wenig unsicher rutschte ich dem Stuhl hin und her. „Ich geh’ mal zu Hans“ versuchte ich mich der Situation zu entziehen. „Wilma ist doch in Sneek …“ hörte ich noch Michelle sagen. „Da braucht sie vorerst kein Auto“.

Das nahm ich als Argument auf. Fragte bei Hans nach. Ob er den R5 nehmen wolle. „Den hast du doch bei mir gekauft, oder“? Sah kurz von seiner Arbeit auf. „Ne, der ist zu alt. Und bringt auch nichts mehr“. Stellte sich an einen fahrbaren Werkzeugwagen, drehte sich ein „Shagje“. Zog tief den Tabakrauch ein.

„Vielleicht ein paar Ersatzteile könnte ich noch gebrauchen. Aber ansonsten ist der für mich wertlos“. Blies eine grosse Rauchwolke in die Luft. „Aber wenn du möchtest melde ich den ab, behalte das was ich gebrauchen kann – und wir sind quitt“.

Erst jetzt fragte auch er nach dem Grund warum ich den Renault nicht mehr wolle.

„Wir haben einfach zu viele Autos. Jetzt mit Michelle’s Kadett sind es dann vier. Das ist Unfug“ erklärte ich ihm. Was auch nicht unbedingt die Unwahrheit war. Unsere Hofeinfahrt war ähnlich vollgeparkt wie seine Werkstatt. „Der ist auch bei Wouter versichert“? wollte Hans noch wissen. „Ja, alle Autos sind bei ihm versichert“. Hans hielt mir seine ölverschmierte Hand entgegen. „Also, abgemacht? Du bringst die Karre, den Rest erledigen wir“?

Noch einmal ging ich kurz zum Büro, verabschiedete mich von Marion. Bat Michelle, dass wir loswollen. „So, das ist dann also dein Auto“. Kurz schaute ich Michelle an. Sie schien die Frage die ich stellen wollte zu erraten, lieferte auch bereits die Antwort darauf. „Ich hab’ Marion nichts erzählt. Von Wilma und so“.

„Dann fahren wir über Zuurland, dort kannst du dann machen was wir bislang nicht geübt haben“. Michelle sah mich gross an. „Was denn“? „Tanken mein Schatz. Wir fahren an eine Tankstelle. Zur SHELL. In Zuurland“. Dass ich bevorzugt bei SHELL tankte hatte sich nicht verändert.

Bevor wir auf die Tankstelle auffuhren hielt ich kurz an, erklärte Michelle, dass sie so an die Zapfsäule heranfahren solle, dass der Tankverschluss auch zur Seite der Zapfsäule zeige. „Der ist eigentlich immer auf der rechten, also auf der Beifahrerseite“.

Als sie dort anhielt gab ich ihr per Hupe ein Signal, sie möge weiter durchfahren, so dass auch ein weiteres Auto hinter ihr tanken könne. So wie ich jetzt.

Wenn ich dann schon an der Tanke war, machte es auch Sinn gleich beide Autos zu betanken. So konnte Michelle das gleich zweimal üben. „EInfach den Rüssel reinhalten und warten bis das Knöpfchen rausspringt“ erklärte ich ihr lapidar.

Michelle lachte. „Damit kennst du dich ja aus. Mit Rüssel reinhalten“. Beide Tankfüllungen zahlte ich im Kassenhäuschen. „Fährst du voraus? Die Strecke nach Rockanje kennst du ja“.