Willeke - Gustav Knudsen - E-Book

Willeke E-Book

Gustav Knudsen

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Beschreibung

Stellt es auch zunächst für Gustav eine echte Herausforderung dar, mit zwei schwangeren Frauen in getrennten Haushalten familienähnlich zu leben, so kehrt doch relativ schnell eine Alltagsroutine in das neue gemeinsame Leben ein. Mit der Geburt der kleinen Willeke ist das Glück für das Dreiergespann vollkommen. Gustav geht voll und ganz in seiner Vaterrolle auf, merkt aber auch sehr schnell, dass zwei Frauen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und ein Baby ihren Tribut fordern. Schlafmangel, die Erwartungen beider Frauen, die es zu erfüllen gilt, sowie neue Prozesse im Arbeitsalltag, die die volle Aufmerksamkeit fordern, lassen Gustav merklich an seine mentalen und gesundheitlichen Grenzen kommen. Als Alberto, Wilmas neuer Freund, ihr gegenüber gewalttätig wird und zu allem Überfluss mit ihrem Auto einen Totalschaden verursacht, scheint es schlimmer nicht mehr kommen zu können. Ein mehr als heftiger Schicksalsschlag, der das Leben der kleinen Familie bis in die Grundmauern erschüttert, belehrt alle Beteiligten eines Besseren.

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Stellt es auch zunächst für Gustav eine echte Herausforderung dar, mit zwei schwangeren Frauen in getrennten Haushalten familienähnlich zu leben, so kehrt doch relativ schnell eine Alltagsroutine in das neue gemeinsame Leben ein.

Mit der Geburt der kleinen Willeke ist das Glück für das Dreiergespann vollkommen.

Gustav geht voll und ganz in seiner Vaterrolle auf, merkt aber auch sehr schnell, dass zwei Frauen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und ein Baby ihren Tribut fordern.

Schlafmangel, die Erwartungen beider Frauen, die es zu erfüllen gilt, sowie neue Prozesse im Arbeitsalltag, die die volle Aufmerksamkeit fordern, lassen Gustav merklich an seine mentalen und gesundheitlichen Grenzen kommen.

Als Alberto, Wilmas neuer Freund, ihr gegenüber gewalttätig wird und zu allem Überfluss mit ihrem Auto einen Totalschaden verursacht, scheint es schlimmer nicht mehr kommen zu können.

Ein mehr als heftiger Schicksalsschlag, der das Leben der kleinen Familie bis in die Grundmauern erschüttert, belehrt alle Beteiligten eines Besseren.

Inhaltsverzeichnis

„Prolog“

„Trimester“

„Zwölf Kilo“

„Gast?“

„Start“

„Monumental“

„Ziel“

„Schlag“

„Groningen“

„Sicher. Klar.“

„Harlingen“

„Keine Chance“

„Probezeit“

„Giethoorn“

„Mutterschaft“

„Umstand“

„Augenfunkeln“

„Erinnerung“

„Bruno“

„Blitzbesuch“

„Die Schlange“

„Gesellschaft“

„Lumpi“

„Dein Kind“

„Schätzchen?“

„45 Zentimeter“

„Rekord“

„Benjamin“

„Theorie“

„Sie ist so heiss“

„Schwester“

„Mädchen“

„Schwach?“

„Volendam“

„Spaander“

„Bokkum“

„Familie“

„Edam“

„Alberto“

„Hechel-Kurs“

„Irmgard“

„Alberto“

„Luder“

„Ingrid“

„Meu querido“

„Vater“

„Psycho“

„Geburtstag“

„Wochen. Station.“

„Therapie?“

„Unbedingt“

„Der Hals“

„Alien“

„The winner takes it all“

„Drittsekken“

„Ring. Sling.“

„Right now“

„Überschrift“

„Lekker freten“

„Wonder Woman“

„Pferdefleisch“

„Entengang“

„Wie? Wohl?“

„Ganz easy“

„Kötzeln“

„Verlassen“

„Rabäääh“

„Richtig“

„Willeke Michelle de Ruiter“

„Eingebunden“

„Rassel“

„Familienausflug“

„Die Paten

„Sturm“

„Engelsanhänger“

„Muskelmasse“

„Horizont“

„Sternenhimmel“

„Activity-Center“

„Nacktputze“

„Möbellager“

„Sitzt perfekt“

„Graue Theorie“

„Raum. Aufteilung.“

„Sambal. Oelek.“

„Treulos?“

„Euter“

„Luftzug“

„True Colours“

„Hast du Töne?“

„Strahlend“

„Turnmatte“

„Maschine“

„Babe“

„Irrenhaus“

„Epilog“

„Prolog“

Der Winter hatte Einzug gehalten. Aber so richtig. Es war kalt, die Strassen waren glatt, die kleinen Grachten die die Polder zerteilten zum Teil mit einer Eisschicht überzogen. Unser gemeinsames Leben hatte sich eingespielt. Mit allem was dazu gehörte. Mit allem Neuen was es mit sich brachte mit zwei schwangeren Frauen zu leben. In zwei getrennten Haushalten. Aber doch irgendwie als eine Familie. Zumindest versuchten wir es – so gut es zu schaffen war. Mit dem was wir wussten. Zu wissen glaubten.

Von dem was in den Körpern von Michelle und Wilma vor sich ging wusste ich natürlich nichts. Nur wie sich das äusserte bekam ich hautnah mit. Stimmungsschwankungen, hormonelle Veränderungen, veränderte Essgewohnheiten und was noch so alles dazu gehörte. Nur eben bei beiden unterschiedlich. Wilma ging jetzt in den siebten Schwangerschaftsmonat, bei Michelle war es Anfang des dritten Monats. Eigentlich hätte ich mich noch daran erinnern können wie Wilma im dritten Monat war, tat es aber nicht. Das war einfach weg. Ausgeblendet. Oder verdrängt?

Schon seit geraumer Zeit hatten wir Abläufe integriert. Angefangen damit dass wir unsere Wohnungsschlüssel ausgetauscht hatten, so konnte jeder jeden besuchen, wann immer ihm danach war. Auch zwei „feste Tage“ hatten wir eingeführt. An einem Abend besuchte ich mit Michelle zusammen Wilma in ihrer Wohnung. Freitags kam Wilma zu uns, übernachtete dann auch bei uns. In Michelle’s Zimmer. So konnten wir dann das Wochenende gemeinsam verbringen, für Wilma entfiel die Fahrerei. Was mir sehr recht war. Sie hatte schon eine richtige dicke Kugel, die sie mit sich rumtrug. Bei Michelle war das noch eher so ein kleines Bäuchlein, als hätte sie einfach gerade viel gegessen.

An den gemeinsamen Abenden spielten wir Gesellschaftspiele, redeten, assen zusammen. Die beiden Frauen strickten irgendwas, Kleinkinderbekleidung und liessen sich dabei von mir vorlesen. Aus dem „Lord of the Rings“.

Dass jetzt Winter war merkte ich auch jedes Mal, wenn ich „an die frische Luft“ musste um zu rauchen. Und auch Besuche bei Freunden oder gar ausgehen war nicht mehr so „spassig“. Nur zu oft kamen Hinweise wie „Müsst ihr rauchen?“ oder „Da sind mir zu viel Leute“ oder was auch immer, irgendeinen Einwand zauberten die beiden aus ihrer Argumentationskiste heraus.

Aber auch darüber wollte ich mich nicht beschweren. Hatte ich doch so gar keine Ahnung wie es ist ein Lebewesen in sich zu tragen. Und auch die Verantwortung dafür zu übernehmen. Meine Arbeit als Mann, mein Anteil an dieser Schwangerschaft war ja unmittelbar nach Ablieferung meiner Samenspende bereits erledigt. Brauchte ich doch nur noch abwarten bis daraus ein kompletter Mensch wurde.

Also fröhnten wir grösstenteils unserer Dreisamkeit. Natürlich in Wirklichkeit drei plus zwei. Nur waren die zwei, die Ungeborenen, noch nicht wirklich anwesend. Lediglich in den Bäuchen den Frauen. Aber präsent waren sie in jedem Fall.

Eine Abwechslung würde garantiert der geplante Ausflug nach Friesland bringen. Wir wollten zur „Elfstedentocht“. Dafür hatten wir uns alle drei zwei Tage frei nehmen können. Start war an einem Mittwoch. So konnten wir ein richtig langes, verlängertes Wochenende planen. Mal wieder raus. Das würde uns gut tun. Schon in gut 10 Tagen war es soweit. Ich freute mich riesig darauf mit den beiden Frauen unterwegs sein zu können. Etwas mit ihnen zu unternehmen das nicht „auf der Couch sitzen“ war.

Anfangs war Wilma nicht unbedingt angetan von der Idee, zumindest bat sie darum dass wir einen Bogen um Sneek machen sollten. Diesen Ort hatte sie genauso in ihr „No Go Buch“ geschrieben wie Florentien, die Drecksfotze, wie sie immer noch für sie hiess. Nur bei Sneek war es eher sie selbst was sie verfluchte. Dass dieser Ort ihr so viel Ungemach beschert hatte. Dabei war es gar nicht der Ort, der war nämlich wunderschön, sondern das was sie damit verband.

„Okay, dann buch’ ich uns eine Pension oder ein Hotel in Leeuwarden“. Was irgendwie auch Sinn machte. War Leeuwarden doch Start- und Zielort des Schlittschuh-Rennens zugleich.

Aber noch war Zeit um alles zu arrangieren. Nicht nur die Übernachtungsmöglichkeit, auch was wir sonst noch so alles erleben wollten - könnten. Die beiden überliessen es sowieso mir. War es mir nicht nur eine Freude Reisen zu planen, so hatten sie mit nichts was am Hut, konnten sich einfach überraschen lassen. „Du machst das schon. So wie du das immer gemacht hast“ hatte Michelle mit Wilma unisono festgestellt.

Besonders für Wilma versprach ich mir eine schöne Zeit. Eine Zeit der Zerstreuung. Hatte sie doch immer wieder, wechselnd, solche Anwandlungen von Freude und Glücksgefühlen, Aufregung, innere Ruhe. Sie war sichtlich stolz auf das von ihr vollbrachte Wunder, hatte eine tiefe Verbundenheit mit dem Kind im Bauch.

Hin und wieder verfiel sie aber auch in das genaue Gegenteil, sprach von Ungewissheit oder Angst, von Abhängigkeitsgefühlen. „Du lässt mich auch garantiert nicht im Stich? Mit dem Kind allein?“ wollte sie mehr als einmal von mir wissen.

„Wilma, wie kommst du auf so einen Gedanken?“ Sie hatte mich bei ihrer Antwort fest angesehen. „Ich habe Angst davor … ich mach’ mir Sorgen. Wegen meiner finanziellen Situation. Ich kann doch erst einmal nicht mehr arbeiten gehen. Und wenn dann wieder, dann brauch’ ich eine Kinderbetreuung. Ich verliere meine Unabhängigkeit. Und wenn ich dann auch noch meine Beziehung verliere ... meine Beziehung zu dir .. zu euch …“.

Sie weinte häufiger als sonst, einfach so, ohne Grund, zumindest ohne erkennbaren Grund. Ich küsste ihre Tränen auf. „Was machst du dir übrhaupt für Gedanken? Wieso zweifelst du? An mir? An dir?“

Wilma hatte meine Hand festgehalten. „Auch nicht wenn Michelle ihr …. Euer Baby zur Welt gebracht hat? Dann bist du auch weiterhin für mich da?“

Ich beugte mich zu ihr vor. „Weißt du überhaupt wie glücklich … wie stolz ich bin, dass ihr beide ein Kind von mir in euch tragt? Nein Wilma, ich bin für dich … für euch da. Für dich, die kleine Willeke in dir, für Michelle … wie ihr Baby heissen wird und was es überhaupt ist … Junge oder Mädchen … ich werde für euch da sein“.

Nahm sie in den Arm, drückte sie an mich. „Ich bin so glücklich, dass ihr schwanger seid … dass ihr unbedingt von mir ein Kind wolltet“. Musste kurz lachen. „Ihr habt doch auch alles drangesetzt, dass ihr schwanger werdet“.

Wilma’s Gesicht erhellte sich. „Ja, du solltest der Vater sein. Nichts habe ich mir mehr gewünscht als von dir …. Mit dir ein Kind zu bekommen“.

Mit beiden Händen hielt ich ihr Gesicht. „Ist schon klar. Deswegen hast du dann auch mit einem anderen gevögelt, oder?“ Wilma begann erneut zu weinen. „Du bist ein Arschloch. Du bist so ein Arschloch“. Sofort wurde mir klar dass das jetzt nicht wirklich der passende Spruch war. „Es tut mir leid. Das war so nicht gemeint“.

„Mann, Arschloch, ich war betrunken als ich mit Teun gefickt habe. Ausserdem war das nicht geplant, dass der mich direkt schwängert. Ich war einfach besoffen. Und geil. Wir hatten doch in der Zeit nur ausgefallenen Sex“. Sie lachte. „Montag ausgefallen, Dienstag ausgefallen …“

„Ähnlich wie jetzt“ schmunzelte ich sie an. „Du bist so dick … du hast so einen dicken Bauch … ich würde ja nicht einmal in dich eindringen können“.

Wilma stand auf. „Echt, du bist ein blöder Hund. Willst du denn mit mir schlafen?“ An der Hand zog sie mich hinter sich her. „Ich schon. Du kannst es mir von hinten machen, da stehst du doch drauf. Also nicht in meinen Arsch, mich einfach von hinten ficken. Wie die Tiere“.

Mein Blick ging zu Michelle, die sich unsere Unterhaltung wortlos angehört hatte und breit grinste. „Jetzt ist das aber ein wenig blöd, oder? Da musst du wohl noch mal zu Wilma. Aber dann alleine“.

„Trimester“

Auf dem Nachhauseweg machte Michelle mich darauf aufmerksam, dass ich nicht gerade der Diplomat war gegenüber Wilma. Ich mehr darauf achten solle was ich sage – vor allem wann und wie ich etwas absondere. „Kannst du dir überhaupt vorstellen was gerade mit Wilma, in ihr stattfindet?“

Woher sollte ich das wissen? Ich schaute Michelle an. „Kannst du mir das als Frau erklären? Du bist ja nicht nur auch eine Frau, du bist ja auch schwanger. Ich werde das dann ja auch in Kürze bei dir auch wieder erleben“.

Michelle griff zu meiner Hand. „Nachher mein Liebling. Wenn wir zuhause sind. In aller Ruhe. In aller Ausführlichkeit“. Wie auch bei anderen Dingen und Themen, die sie interessierten, hatte sich Michelle mit der Schwangerschaft total beschäftigt. Fuhr regelmässig zu ihrer Frauenärztin, quetschte alles an Wissen aus ihr heraus.

„Weißt du wie aufregend die Vorfreude auf ein neues Leben sein kann? Wie aufregend das für eine werdende Mutter ist?“ „Ne mein Schatz. Das weiss ich nicht. Ich weiss gar nichts“.

Michelle zog von ihrem Zeitschriftenstapel einige Broschüren hervor. Schwangere Frauen mit dicken Bäuchen zierten die Titelbilder. „Das habe ich alles von meiner Frauenärztin. Kannst du dir ruhig auch mal alles durchlesen. Betrifft dich schliesslich auch. Sieh es als Chance etwas zu lernen über den weiblichen Körper. Das alles wird sich auch bei mir wiederholen“.

Ich blätterte in einer der Broschüren, die sie mir über den Tisch geschoben hatte. „Letztes Trimester der Schwangerschaft“ war der Beitrag betitelt. Michelle machte Tee für uns. Alles was ich las war für mich absolutes Neuland. Eine Geschichte aus einem mir gänzlich unbekannten Land. In der es darum ging welche Herausforderung diese „Endphase“ der Schwangerschaft für werdende Mütter bereithalten konnte. Dass das lange und geduldige Warten auf das „kleine Wunder“ eine immense Anstrengung für Frauen bedeutete, dass ihr Körper im letzten Schwangerschaftstrimester Außergewöhnliches leiste.

Die ergänzenden Abbildungen der „Dickbäuchigen“ erklärten, dass das Ungeborene, das „Bauchwunder“ jetzt bereits um die 34 bis 37 Zentimeter gross sei und bis zu 900 Gramm wiegen konnte. Auf Berührungen, Geräusche oder sogar Lichtreize aktiv reagiert. Und auch das hatte ich bereits selbst festgestellt – dass das Baby auf Streicheleinheiten und Musik reagierte. Mehr als einmal hatte ich das selbst gespürt – wenn ich mit meiner Hand über Wilma’s Bauch streichelte. Das Baby bewegte sich auf meine Hand zu, in Wilma’s Bauch. Ab und an waren Tritte oder Fausthiebe in Wilma’s Bauch zu verspüren. Ob es wohl schon wusste, dass das die Hand seines Vaters war? Und wenn ja, warum trat die kleine Willeke nach mir?

Ein wenig unsicher schaute ich zu Michelle. „Ist es überhaupt noch möglich an Sex mit Wilma zu denken? Ich meine, zu denken bestimmt schon noch … aber … mit ihr zu schlafen … ist das überhaupt noch möglich?“

Michelle lachte. „Dass du dir Sorgen machst. Über Sex. Du meinst du könntest dem Ungeborenen schaden?“ Ihr Lächeln wurde breiter. „Du hast echt keine Ahnung. Das Baby ist im Bauch durch die Gebärmutter, das Fruchtwasser und die umgebenden Muskeln gut geschützt. Da kann nichts passieren. Selbst wenn du nur auf Wilma … oder mir rumrammelst. Dein Pimmel kann nicht einmal bis zum Baby durchdringen“.

Sie schob mir eine andere Broschüre über den Tisch. „Hier, lies selber“. Grinste. „Das hat nicht einmal damit zu tun ob der Mann einen kleinen oder grossen Schwanz hat“.

„Ja … und ihr Bauch? Der ist doch bestimmt anfällig … gegen Druck. Kann ich mich überhaupt noch auf sie … oder dich legen? Weil Wilma gesagt hat von hinten?“

Wilma’s Bauch war ja schon beträchtlich angewachsen. Bei Michelle natürlich noch nicht. Wilma hatte bestimmt schon so um die zehn Kilogramm an Gewicht zugelegt. Und wie Michelle mir erklärte würden da garantiert noch ein paar Kilo hinzukommen. In den nächsten Wochen.

Michelle streichelte sich über ihr Bäuchlein. „Ich freu’ mich schon … nicht nur auf das Baby. Auch auf die Zeit mit neuen erotischen Empfindungen. Meine Hormone sollen dann ja bewirken, dass mein Genitalbereich stärker durchblutet wird“.

Sie führte meine Hand an sich heran. „Siehst du doch selber, ich hab’ jetzt schon vollere Brüste, empfindlichere Brustwarzen, mehr Scheidensekret … all das soll mir einen leichteren, besseren Orgasmus bescheren. Ich freu’ mich auch darauf. Wenn du also Bock auf Sex hast … wie wäre es dann wenn du mit mir schläfst?“ Dirigierte meine Hand an ihre Brüste. „Ausserdem brauchen wir uns über Verhütung keinen Kopf mehr machen“.

Ich nahm sie ganz in den Arm. „Ja, ich finde es auch irre wie gross eure Brüste geworden sind. Und wie rund … wie kurvig ihr geworden seid“. Michelle drückte meinen Kopf an ihre Brüste. „Magst du dein Kätzchen nach oben tragen? Schaffst du das noch? Mich ins Bett zu bringen?“ Biss mir zärtlich in den Hals. „Trag’ dein Kätzchen hoch. Streichel’ es etwas“. Klimperte mit ihren Wimpern. „Ich bin ja auch erst im dritten Monat“.

„Zwölf Kilo“

Michelle hatte für den morgigen Tag einen Termin bei ihrer Frauenärztin. Nach ihrem Feierabend. Von daher würden wir mit zwei Autos fahren. Getrennt. Anders schien das alles etwas kompliziert zu sein. Entweder hätte ich auf sie warten müssen oder sie mich erst in Pernis, bei SHELL abholen. Ausserdem war doch eigentlich unser Abend bei Wilma eingeplant. Am Vorabend warfen wir alle Pläne über den Haufen. Michelle telefonierte mit Wilma. Erklärte ihr was wir uns gedacht hatten. Dass ich sie, Wilma, nach meinem Feierabend abholen würde. Mit zu uns nehmen würde, denn am Mittwochmorgen wollten wir direkt nach Leeuwarden aufbrechen. Zur Elfstedentocht. Wilma hatte ausreichend Vorlaufzeit um ihre Reisetasche zu packen. Mittlerweile machte sie nur noch halbe Arbeitstage. Die Belastung für ihren Körper war schon zu gross.

Auch wenn sie immer wieder berichtete wie sehr sie das Gefühl überwältigte, ein Kind im Bauch zu spüren, klagte sie aber auch im gleichen Masse über Rückenschmerzen durch den immer größer werdenden Babybauch. Über Schlafstörungen, Sodbrennen, häufigen Harndrang, angeschwollene Füße und Knöchel, Kurzatmigkeit. Kurzum, sie hatte eine ganz schöne Last zu tragen. Und garantiert trugen auch ihre auf ein beachtliches Mass angewachsenen Brüste zu ihren Rückenschmerzen bei. Sie trug jetzt immer einen BH. Zu sehr machte sich die Erdanziehung bemerkbar.

Ein paar Mal hatte ich an ihre Haustüre geklopft, keine Reaktion. Mit dem Haustürschlüssel den ich hatte schloss ich die Türe auf, betrat Wilma’s Wohnung. „Wilma, meine Geliebte. Ich bin’s“. Aus dem Obergeschoss antwortete sie mir. „Komm’ nach oben. Ich bin gleich fertig“.

Auf ihrem Bett lagen einige Klamotten bereits aufgestapelt. „Wo bist du denn?“ sah ich mich um. „Ich bin noch im Bad. Ich komm’ gleich“. Leicht lugte ich um die angelehnte Badezimmertüre. Nach „gleich fertig“ sah das jetzt nicht unbedingt aus. Wilma lehnte entspannt in der Wanne, schaufelte sich Schaumbad über den Körper. Leicht beugte ich mich zu ihr herunter, küsste sie zur Begrüssung. „Ich hab’ gedacht du bist gleich fertig. Also ganz. Abreisefertig“.

„Ja, gleich. Ich war so fertig, ich musste mich einfach ein wenig in die Wanne legen“. Wilma hielt mir ihre Hand entgegen. „Hilf mir mal bitte beim Aufstehen“. Langsam kam sie in die Senkrechte. Schaumblasen rannen ihren Körper herunter. Mit beiden Armen hielt sie sich an meiner Schulter fest. „Boooh, wie gross deine Kugel ist“.

Vorsichtig half ich ihr aus der Wanne zu steigen, reichte ihr ein Handtuch an. Beugte mich zu ihrem Bauch hinab, küsste ihn. „Hallo meine kleine Willeke. Wie geht es dir?“ sprach ich dabei gegen ihren Bauch. Wilma streichelte durch meine Haare. „Sie ist putzmunter. Zappelt und macht auf sich aufmerksam. Ich glaub’ sie merkt, dass es auch für sie bald nach draussen geht. Nur noch ein paar Wochen, dann ist sie endlich bei uns“.

Ich half Wilma dabei sich abzutrocknen, sah sie dabei von oben bis unten an. „Du siehst sehr sexy aus. Ich liebe deine Rundungen. Ein richtiges pralles Weib bist du geworden“. Wilma grinste mich an. „Gut, dass du nicht gesagt hast Fettes Weib. Ich bin echt fett geworden“. Nahm mein Gesicht in eine Hand. „Findest du nicht?“

Eine Hand liess ich über ihren Bauch streichen. „Nein, finde ich nicht. Ich find’ dich voll sexy, reizvoll, verlockend, wunderschön“. Wilma küsste mich auf die Stirn. „Du bist lieb. Das tut gut deine Komplimente zu hören“. Sie ging zum Waschtisch, nahm Körperlotion und begann sich einzureiben. Ihren Bauch, ihre Schenkel, ihre Brüste.

Meine geöffnete Handfläche hielt ich ihr entgegen. „Gib mir auch mal was von der Lotion“. Wilma lächelte in den Spiegel. „Du kannst meinen Hintern und meine Oberschenkel einreiben. Alles wo ich nicht mehr rankomme“.

Wilma’s Gepäck war im Ford Escort verstaut. Über dem Unterarm trug sie einen Mantel. Während der Fahrt las sie mir von einem Zettel vor. Was sie jetzt essen solle, was ihr die Frauenärztin empfohlen hatte. Jede Menge Obst und Gemüse. Milch und Yoghurt, aber fettarm. Wilma schmunzelte mich an. „Fett genug bin ich selber schon“.

Mit meiner rechten Hand streichelte ich über ihren Arm. „Das ist Quatsch mein Engel. Du bist nicht fett. Du hast etwas zugenommen. Ist doch klar, du musst unsere Tochter ernähren. Bestimmt hast du ruckzuck wieder dein Gewicht wie vor der Schwangerschaft“. Grinste sie an. „Die Titten können von mir aus so bleiben“.

Wilma schmunzelte. „Ist klar. Da stehst du drauf, auf die Riesenmöpse. Ich nicht. Ich will wieder meine Titten haben. Und auch mein Gewicht. Wie vorher“. Sie strich mit der Hand über ihre Brüste. „Was glaubst du denn was ich bereits zugenommen habe? Wieviel Kilo schätzt du?“ Sie beugte sich zu mir herüber. „Zwölf Kilo, ich hab’ schon zwölf Kilo zugenommen“.

In Rockanje angekommen erledigten wir noch schnell ein paar Einkäufe. Wilma hatte ja gesagt was sie essen solle. Ihr Hinweis auf eiweißhaltige Lebensmittel wie beispielsweise Fleisch und Fisch kam auch mir sehr gelegen. Fleisch ging immer. Und wir hatten ja auch einen hervorragenden Metzger im Dorf.

Von den neuen Erkenntnissen, in Hinsicht auf Essen und Ernährung konnte ich auch nur profitieren. Das gleiche würde auch bei Michelle auf mich zukommen. Lediglich etwas Zeitversetzt. Wilma hatte gute vier, fast fünf Monate Schwangerschaftsvorsprung zu Michelle. Aber ansonsten würde sich ja im Prinzip alles wiederholen.

Um das Abendessen vorzubereiten hatten wir noch reichlich „Luft“, Michelle würde deutlich später nach Hause kommen. Wollte nach Feierabend noch einen Untersuchungstermin bei ihrer Frauenärztin wahrnehmen. Wobei es ja nicht nur ihre Frauenärztin war, auch Wilma war in ihrer Obhut. „Wenn du Gemüse und Kartoffel zubereitest übernehme ich das Fleisch. Nicht dass du dich noch mit diesem Zeugs, dieser Toxoplasmose ansteckst“. Wilma grinste. Das gilt aber eher für das Essen. Schwangere sollen kein rohes Fleisch essen. Anfassen geht schon. Nur einfach Hände waschen. Aber das mache ich sowieso“.

Sie umarmte mich. „Du hängst dich da ganz schön rein, in meine Schwangerschaft“.

Damit hatte sie Recht. Ich las jetzt auch alles in den Frauenmagazinen der beiden, alles über Schwangerschaft. Betraf es ja uns alle. Sowohl Wilma als auch Michelle. Und mich irgendwie doch auch. Ich wurde Vater.

Das mit dieser „Toxoplasmose“ hatte ich ebenfalls aus den Zeitschriften. Allerdings hatte ich das wohl anders verstanden mit dem rohen Fleisch und der Ansteckungsgefahr. Und aus diesem Artikel hatte ich auch behalten, dass Katzen eine Gefahr für Schwangere darstellen können. Die Reinigung des Katzenklos sollte daher jemand anderes während der Schwangerschaft übernehmen. Theoretisch, für unsere Situation aber uninteressant. Wir hatten keine Katze - oder Katzen. Auch keine Hunde. Überhaupt keine Haustiere.

Das Abendessen war inzwischen komplett vorbereitet, sobald Michelle eintraf konnten wir essen. Um die Wartezeit zu überbrücken begab ich mich in mein Zimmer, wollte mein Reisegepäck vorbereiten. Wilma’s Taschen lagen ja bereits gepackt in meinem Auto, brauchten also lediglich nur noch umgeladen werden. In den Mercedes, mit dem wir selbstverständlich auf Reise gehen würden.

Wilma hatte ich zuvor einige Prospekte über den Couchtisch zur Ansicht herübergeschoben. „Wenn du magst stöberst du mal ein bisschen darin. Unser erstes Ziel ist ja Leeuwarden“. Hier hatte ich über die VVV bereits in einer Pension Zimmer gebucht. Sinnigerweise, Leeuwarden war Start und Ziel der Elfstedentocht.

Den Mercedes parkte ich aus der Hofeinfahrt auf die Strasse. So konnte der nach Michelle’s Rückkehr direkt in die richtige Reihenfolge wieder eingefädelt werden. Erst dann befasste ich mich mit meinem Reisegepäck.

„Gast?“

Michelle wusste Gutes von ihrem Termin bei der Frauenärztin zu berichten. Alles sei „in bester Ordnung“ verkündete sie freudestrahlend. Sie streichelte über Wilma’s Bauch. „Bald schon hab’ ich bestimmt auch so eine Kugel wie du“. Michelle gab Wilma einen Kuss. „Ich freu’ mich so auf dein Baby“. Drehte sich zu mir. „Und natürlich auch auf meines“. Nahm mich in den Arm. „Auf deins. Auf deine beiden Babys“.

„Weißt du denn schon ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?“ wollte ich von Michelle wissen. „Das hat die Frauenärztin nicht gesagt. Noch nicht“.

Michelle gab das von ihrer Frauenärztin vermittelte Wissen weiter. Insbesondere an mich, für Wilma war das alles bekannt. Am eigenen Leib sozusagen. „Am Ende der 12. Schwangerschaftswoche ist das größte und kritischste Projekt der Entwicklung unseres Kindes, nämlich der Aufbau sämtlicher Körperstrukturen, vollbracht. Für das kommende zweite und dritte Trimester bedeutet das für mich und den kleinen Fötus in meinem Bauch drei Dinge. Wachsen, wachsen, wachsen“.

Wir hatten uns zwischenzeitlich an den Tisch gesetzt, ich hatte das vorbereitete Essen aufgetragen. „In der 12. Sschwangerschaftswoche sinkt auch das Fehlgeburtsrisiko“. Abrupt stand Wilma vom Tisch auf, ging in die Küche. „Verdammt Michelle, musste das jetzt sein? Das mit der Fehlgeburt?“ griff ich ihre Hand, wies mit einer Kopfbewegung in Richtung Wilma.

Michelle versuchte die Situation zu entkrampfen. „Noch ist es nicht möglich das Geschlecht des Babys zu bestimmen. Wir müssen uns noch ein wenig gedulden. So etwa einen Monat. Dann kann die Frauenärztin eventuell feststellen, ob es ein Mädchen oder einen Jungen wird“. Sie lachte laut. „Oder beides“.

Mit grossen Augen schaute ich sie fragend an. „Wie oder beides?“ Michelle drückte meine Hand. „Könnte doch sein. Dass ich Zwillinge bekomme“. Ihre Hand drückte die meine fester. „Auf jeden Fall kannst du jetzt zusehen wie ich dicker werde. Etwa 250 bis 300 Gramm pro Woche werde ich wohl zulegen sagt die Ärztin“.

Im Laufe des Abendessens ergab sich ein Gespräch über unseren gemeinsamen Beziehungsstatus. Warum auch immer. „Was wir doch so gerade leben nennt sich wohl Polyamorie“ hatte Wilma das Thema eröffnet. „Mehrere Menschen zur selben Zeit zu lieben - und diese Partnerschaft mit nicht nur einer, sondern mehreren Personen offen auszuleben. Genau das tun wir doch. Wir Drei sind ein Paar“. Sie schaute zwischen Michelle und mir hin und her. „Und unsere Liebe trägt sogar Früchte – wir beide …“. Ihre Hand wies zu Michelle, dann auf sich „… bekommen jeweils ein Kind von dir“.

Für einen Moment stellte ich mir die Frage wie es dazu gekommen war. Dann warf ich das auch einfach mal so in die Runde. „Ja Wilma, aber erst du hast das Ganze doch ins Rollen gebracht. Unsere Dreiecksbeziehung. Durch dich ist Michelle zu uns gekommen“. Michelle grinste. „Aber dann bei dir geblieben. Fest. Als deine Partnerin. Wilma hat ja dann ihren Weg eingeschlagen“.

„Aber …“ stotterte ich vor mich hin „… aber es doch mehr als nur der Akt der Befruchtung der uns verbindet, oder?“

Michelle lachte. „Wie süss du das sagst. Akt der Befruchtung. Ja Mann, es ist deutlich mehr. Du bekommst mit den beiden Frauen, die du liebst ein Kind. Wir sind beide schwanger. Von dir“. Ganz kurz unterbrach sie, beugte sich zu einem Kuss zu mir herüber. "Am Anfang haben wir immer alle zusammen Sex gehabt - das hat uns zusammengeschweißt. Dann hat es sich so entwickelt, dass meistens nur noch zwei von uns zusammen Sex hatten - egal in welcher Konstellation."

„Ja verdammt …“ ergänzte Wilma. „… Und Eifersucht war auch ein Thema, zumindest bei mir. Wenn es sowas … Eifersucht überhaupt gibt“.

Ich erinnerte Wilma daran was Willeke uns beigebracht hatte, versucht hatte uns nahe zu bringen. „Weißt du noch? Jaloezie is kut“

Wilma lächelte. "Natürlich kämpfen auch wir mit der Eifersucht, oder? Wir sind auch nur Menschen - und wo Liebe ist, ist eben auch Eifersucht. Oder stellt ihr euch nie die Frage wer mit wem mehr Zeit verbringt. So dass man sich manchmal fragt: Mögen DIE zwei sich jetzt mehr?"

Hatte sich das nicht alles von selbst beantwortet? Seinen Weg gefunden? Ich lebte jetzt mit Michelle zusammen. Sie war meine Partnerin. Wilma war meine Freundin. Meine geliebte Freundin. Aber eben auf einem anderen Level als mein Liebe zu Michelle, mit Michelle war.

Aber war es tatsächlich so dass sich alles von selbst ergeben hatte? Dass Michelle „aus Eifersucht“ alles daran gesetzt hatte schwanger zu werden erwähnte ich nicht. Warum eine neue Baustelle anfangen? Wir wollten morgen zusammen in einen gemeinsamen Kurzurlaub aufbrechen. Warum nicht einfach glücklich sein so wie es war? Warum unsere Harmonie mit einer blöden Zwischenfrage aus dem Gleichgewicht bringen?

Wir waren anständig gesättigt, Michelle schob ihren Stuhl ein wenig vom Tisch zurück, stand auf. „Ich geh’ dann mal nach oben, packe meine Klamotten und mach’ auch direkt das Bett für Wilma in meinem Zimmer parat. Räumt ihr ab? Macht ihr den Abwasch und so?“

Wilma drückte sich mit ihrem Babybauch an mich heran. „Hilfst du mir? In der Küche?“ Schon hatte sie das Geschirr abgeräumt, trug es zur Spüle. „Ist das nicht verrückt? Ist irgendwie als wäre ich zu Gast bei euch“. Die Töpfe stellte ich auf dem Herd ab. „Irgendwie ist es ja auch so. Also nicht zu Gast, du bist bei uns, bei Michelle und mir, bei deinen Freunden“.

Von der Seite betrachtete ich Wilma, die warmes Wasser in das Spülbecken einlaufen liess, stellte mich seitlich neben sie, umarmte ihren runden Bauch. „Du bist nie zu Gast, du bist immer bei deinem Freund. Immer. Und immer willkommen“. Gab ihr einen Kuss auf den Hals. „Verwechsel’ das nicht. Vor allem vergiss das nicht“.

Wilma umfasste meine Hände, die auf ihrem Bauch ruhten. „Kannst du dir vorstellen wie es wäre, wenn wir noch zusammen wären? Noch ein Paar wären?“ Wieder, und etwas inniger vergrub ich mein Gesicht an ihrem Hals. „Vorstellen kann ich mir so einiges“. Wilma lachte kurz. „Das weiss ich“. Mein Mund küsste sich ihren Hals empor, bis zu ihrer Wange. „Aber wir sind es ja nicht mehr. Also nicht mehr so. Anders halt. Aber zusammen sind wir doch. Nur eben nicht mehr als Paar. Aber du bist doch, trotz allem, meine Wilma“.

Sie drehte ihr Gesicht zu mir. „Liebst du mich noch?“ Etwas überrascht ob der Frage ging ich einen Schritt zurück. „Wilma, was ist das für eine Frage?“ Sah sie fest an. „Ja, ich liebe dich. Ich hab’ dich immer geliebt. Und werde es auch weiterhin. Verdammt, du wirst die Mutter meines, unseres Kindes“.

Michelle hatte eine erste Tasche ihres Reisegepäcks im Flur abgestellt. „So Süsse, dein Bett, dein Zimmer ist parat. Fühl’ dich wie zuhause“. Schnell gab ich Michelle einen leichten Ellenbogenhieb in die Seite. „Nicht wie zuhause. Wilma ist hier zuhause“.

Michelle umarmte Wilma zärtlich. „Das meinte ich ja auch. Hab’ mich einfach falsch ausgedrückt“. Verschwand genau so schnell wie sie gekommen wieder nach oben.

Nach getaner Hausarbeit wollte ich noch einen Joint rauchen. Draussen. Vor der Haustüre. Wilma und Michelle sassen im Wohnzimmer zusammen, unterhielten sich. Glotzten dabei gemeinsam in die Glotze.

Beiden gab ich noch einen Kuss, verabschiedete mich. „Ich geh’ nach oben. Ich leg’ mich ab. Morgen wird ein langer Tag. Auch ihr macht am Besten nicht mehr ganz so lange. Gute Nacht meine Prinzessinnen“.

Warf den beiden noch einen augenzwinkernden Blick zu. „Gepackt habt ihr alles?“

„Start“

Für einige Augenblicke kuschelte ich mich an Michelle heran, erst dann stand ich aus dem Bett auf. Der Tag hatte begonnen. Bevor ich nach unten ging um das Frühstück vorzubereiten warf einen schnellen Blick in Michelle’s Zimmer. Betrachtete Wilma. Sie schlief fest und friedlich. „Sollte ich mich vielleicht einen Moment zu ihr ins Bett legen?“ fragte ich mich kurz während ich meine Morgenlatte kraulte. „Hör’ auf zu spinnen, mach’ Kaffee“ beantwortete sich mein Gedanke von selbst.

Alles war vorbereitet, ich wollte die beiden aufwecken und zum Frühstück bitten. Wollte auch wirklich zeitig los um den Start der „Elfstedentocht“ mitzuerleben. Für mich war das primär der Anlass für den Ausflug. Etwas zu erleben, an etwas teilzuhaben, dass ich bislang nicht kannte. Vorgenommen hatte ich mir das schon einmal, seinerzeit mit Willeke. Allerdings war es damals ausgefallen auf Grund der Wetterverhältnisse. Umso mehr war ich jetzt hinterher, dass auch alles verläuft wie geplant.

„Aufstehen meine Schnecke“ weckte ich zuerst Michelle mit einem zärtlichen Kuss. Ging direkt anschliessend zu Wilma, wiederholte die Prozedur. „Aufstehen meine Schnecke“. Obwohl beide in unterschiedlichen Betten und getrennten Zimmern schliefen schauten sie mich fast identisch an. „Bist du schon wieder wach?“

Nicht nur das war so, sondern im Prinzip war ich auch abreisefertig. Nur noch das Frühstück verzehren, dann könnten wir los. In dem kleinen Flur vor den beiden Zimmern stehend bekräftigte ich dies auch noch einmal. „Steht auf, wir wollen los“.

Nach ein paar Minuten erschienen sie dann am Esstisch. Noch leicht verpennt, Bettwarm, Ungeschminkt. „Aber ich geh’ auf jeden Fall noch duschen bevor wir losfahren“ liess Michelle wissen, während sie sich den Stuhl zurechtschob um sich zu setzen. „Und ich auch“ ergänzte Wilma. Das war mir sowieso klar. „Macht ruhig, ich räume dann alles schon mal ins Auto. Gepäck …“. Weiter kam ich nicht. Wilma umarmte mich, küsste mich dabei. „Erst einmal guten Morgen du Frühaufsteher“.

Während die Frauen sich frisch machten verlud ich das bereitstehende Reisegepäck von Michelle, holte Wilma’s Gepäck aus meinem Auto. Stattete den Mercedes für beide noch mit wärmenden Decken aus. Kalt genug war es ja. Was auch Sinn ergab, wir wollten schliesslich zur Elfstedentocht. Und ohne frostige Temperaturen konnte dieser Lauf, dieser Event schliesslich auch gar nicht stattfinden.

Der Daimler startete sofort, beim ersten Drehen des Zündschlüssels. Während der Sechszylinder warm lief rauchte ich mir eine Zigarette. Dazu musste ich ja sowieso an die „frische Luft“. Rauchen im Haus war wegen zwei schwangeren Frauen nicht mehr möglich, nicht mehr erlaubt.

Friesland war das bestimmende Gesprächsthema während der Fahrt. Und dabei nicht einmal die Elfstedentocht selbst, sondern das was wir bereits gemeinsam in Friesland erlebt hatten. „Erinnerst du dich, erinnert ihr euch?“ sprach Michelle zwischen die Rückenlehnen der Sitze nach vorne. „Ihr habt mich das erste Mal mit dahin genommen“. Legte ihre Hand auf Wilma’s Schulterblatt. „Ehrlich mein Schatz, ich hab’ dir so viel zu verdanken. Ich wäre gar nicht hier, wenn du nicht …“. Wilma legte eine Hand auf ihre. „Wir wären alle nicht hier wo wir sind, wenn wir nicht wären“.

Wilma sah mich von der Seite an. „So wie es ist ist es doch gut, oder? So haben wir das doch gewollt, oder? Wäre es sonst so?“ Nickend stimmte ich ihr zu. „Vielleicht. Vielleicht haben wir das so gewollt. Aber auf jeden Fall hat es sich so ergeben. Wir haben uns dem ergeben, haben dem nachgegeben“.

„Ne …“ korrigierte Michelle mein Statement. „Ergeben vielleicht, Nachgegeben vielleicht. Aber vor allem haben wir das zugelassen. Wir haben uns gelassen …“ Sie holte tief Luft. „… Wir haben uns so gelassen wie wir sind. Und auch nur deshalb ist das alles so wie es ist“.

Bei Wieringerwerf legten wir eine kurze Pause ein. Zigarette für mich, und für uns alle drei einen Kaffee an der Raststätte „Van der Valk“. Den grössten Teil hatten wir bereits. Gut 160 Kilometer runtergespult. Im Mercedes „ein Klacks“. Das musste ich immer wieder feststellen. Ein Reisemobil erster Güte. Jetzt noch über den Afsluitdijk, dann wären wir in Friesland. Vielleicht noch siebzig Kilometer lagen noch vor uns. Also Ankunft in etwa einer Stunde. Alles im Plan. In meinem Plan.

„Aber schon ganz schön kalt hier, oder?“ nahm ich Michelle auf dem Weg zum geparkten Auto in den Arm. „Kannste laut sagen“ bibberte sie ein wenig. „Auf dem Thermometer vor dem Restaurant war minus dreizehn Grad angezeigt“.

Beim Überqueren des Breezanddijk, wie der Afsluitdijk offiziell hiess, zeigte Wilma nach links, über die Nordsee hinweg. „Schau’, da drüben. Da waren wir auch schon. Auf Texel“. Sich über die Schulter drehend sprach sie weiter zu Michelle. „Aber das kannst du dir sparen. Das ist voll öde da“.

Diese Ansicht teilte ich nicht mit Wilma. Mir hatte es dort gefallen. Zwar etwas ruhiger alles, aber nicht öde. Oder ich hatte einfach nur eine andere Wortwahl. Vielleicht meinten wir ja doch beide dasselbe. Wie auch immer, ich überliess den beiden die Unterhaltung, konzentrierte mich auf die Überfahrt. Es herrschte schon ein eisiger Wind. Die Kälte spürte ich im Auto sitzend nicht so, aber dass es windig war schon. Die schwere Limousine bewegte sich auf dem Deich doch schon anständig hin und her.

Zum Glück fuhren wir von Amsterdam weg, so war auf unserer Seite deutlich weniger Verkehr. Die Menschen pendelten ja nach Amsterdam rein um ihrer Arbeit nachzugehen. Und auch dass etwas beschwerliche „Spurhalten“ war deutlich einfacher, weil eben weniger Verkehr. Weniger Gefahr aus Versehen mal auf die andere Spur geweht zu werden.

Die kleine Uhr im Armaturenbrett zeigte auf ihrem weissen Ziffernblatt beim Verlassen des Deichs kurz vor halb Zehn an. Wir würden zeitig zum Start in Leeuwarden eintreffen. Meine innere Spannung stieg ein wenig an.

Kurz vor Leeuwarden, bei Marsum, verliess ich die Autobahn um Wilma den SHELL-Atlas zu übergeben, den Weg zum Prinsentuin in Leeuwarden herauszusuchen, mich zu lotsen. Als Beifahrerin, also auf dem Beifahrersitz, hatte sie die Aufgabe diesen Job zu übernehmen. Sie lächelte kurz als ich ihr den aufgeschlagenen Strassenatlas auf die Beine legte. „Das kenne ich noch zu gut. Mann, wie oft habe ich uns irgendwohin navigiert“.

Leicht beugte ich meinen Oberkörper ins Wageninnere. „Ja, ihr beiden habt mich immer auf dem richtigen Weg gehalten“. Ob ich das jetzt nur in Hinblick auf den Strassenverkehr meinte liess ich offen, auch für mich. Griff mit einer Hand an Wilma vorbei, zum Rücksitz, zu Michelle. Streichelte über ihren kleinen Bauch. „Schon verrückt, oder? Erst waren wir nur zu zweit unterwegs, dann zu dritt, und jetzt zu fünft“. Michelle stellte ihren Kopf leicht schräg. „Wie zu fünft?“ Mit meinem Oberkörper schon wieder an Wilma vorbei zwinkerte ich beiden zu. „Na, die zwei in euren Bäuchen doch auch. Die sind doch auch dabei“. Michelle lächelte. „Ob die das mitkriegen? Unseren ersten Familienausflug?“

Wilma hatte eine Strecke rausgesucht. „Hier, schau’ mal. Wir müssen gar nicht mehr auf die Autobahn zurück“. Mit einem Finger über die Landkarte fahrend zeigte sie mir den Weg. „Über Poptawei. Dann einfach der Strasse folgen. Wird dann zu Harlingerstraatweg. Die führt direkt ins Zentrum“. „Gutes Mädchen“. Das dachte ich aber nur, sagte es nicht. Aber das war sie dennoch. Ein gutes Mädchen, eine gute Frau eigentlich. Aber eine verdammt gute.

Je näher wir der Noorder Stadsgracht kamen umso mehr Trubel herrschte schon. Menschen wohin man blickte. Zogen in Scharen über die Vrouwenpoortsbrug zum Prinsentuin.

Nach einer „Ehrenrunde“ fand ich einen Parkplatz nahe der Kirche. Der Sint Domincuskerk. Quetschte den Mercedes dank Servolenkung in eine Parklücke, die selbst mir anfangs als zu klein erschien. „Presspassung“ schmunzelte ich beiden zu, mit der Bitte doch auszusteigen, damit ich noch ein paar Zentimeter bis zum angrenzenden Fahrzeug rausschinden konnte.

Der Park, der Prinsentuin, war prall gefüllt mit Publikum, Teilnehmern, TV-Teams der Fernsehstation „NOS“. Immer wieder mal bekam man ein Update zu Wetterverhältnissen, Teilnehmerzahlen. Bei der Nennung eines Teilnehmernamens, W.A. van Buren, raunte das Publikum auf. Wilma wusste sofort warum das so war. „Das ist Prins Willem-Alexander. Der Sohn von Beatrix, unser zukünftiger König“. Ausführlich wusste sie mehr davon zu berichten.

„Van Buren ist ein Pseudonym, das vom niederländischen Königshaus verwendet wird, um inkognito zu bleiben. Van Buren stammt von dem Titel Graf von Buren, einem der vielen Titel und Namen, die Prins Willem-Alexander tragen kann. König Wilhelm III. ließ sich zum Grafen von Buren ernennen. Königin Wilhelmina und Königin Juliana gaben sich oft inkognito als Gräfin von Buren aus“. Sichtlich stolz über dieses Wissen lächelte sie. „Zum Beispiel bei Restaurantreservierungen oder um sonst irgendwie unerkannt unterwegs sein zu können“.

Jetzt war mir klar warum die Menge so begeistert war. Die Königsfamilie, zumindest der Prinz war einer der Teilnehmer an diesem traditionellen Sportwettbewerb.

Und nicht minder begeistert wurde die Verkündung der offiziellen Teilnehmerzahl gefeiert. „Knapp 17.000 Teilnehmer bei der vierzehnten Stedentocht“ tönte es aus einigen im Park verteilten Lautsprechern. Ergänzt von „Temperatur von -13°C, lebhafter Ostwind“ durch den Kommentator.

Über eine lange Zeit, gefühlt sehr lange Zeit, wurden die Läufer unter anhaltendem Applaus verabschiedet. Das Rennen hatte begonnen. Zu Applaudieren hatte auch noch den positiven Nebeneffekt, dass man sich ordentlich warmklatschen konnte. Minus dreizehn Grad ist schon anständig kalt.

Wilma zog mich am Arm dichter an sich heran. „Kannst du dich vor mich stellen. Mich …. meinen Bauch ein wenig schützen. Sind doch echt viele Menschen hier. Ich will nicht, dass die mir so nahekommen“. Mit einer Handbewegung zog ich Michelle ebenfalls an mich heran, umarmte beide. So standen wir quasi um Dreieck, geschützt gegen Rempeleien. Die sich natürlich nicht wirklich vermeiden liessen. Jetzt aber durch unsere Körper besser abgedeckt wurden.

Nach und nach lichtete sich der Park. Auch wir wollten los. Hatten zuvor noch die Information vernommen dsas die Eisläufer in etwa knapp sieben Stunden, nach gut zweihundert Kilometer durch Friesland wieder hier in Leeuwarden zum Zieleinlauf erwartet werden. Den Läufern hinterher reisen, so wie es einige Besucher taten, wollten wir nicht. Zumal die erste Station Sneek war, hier wollte Wilma auf keinen Fall hin, wie sie ja schon vor der Reise mit Nachdruck betont hatte.

Das war abgesprochen, versprochen. Wie sie mit ihrer Vergangenheit, mit ihrem Erlebten, ihrer Erinnerung an Sneek umgehen wollte war einzig und allein ihr Ding. Genau aus diesem Grund hatte ich ja schon von Rockanje aus eine Pension für uns in Leeuwarden gebucht. Die brauchten wir jetzt nur noch finden.

„Dann gehen wir jetzt lecker Mittagessen. Suchen dabei die Adresse raus, holen das Auto, oder?“ schlug ich vor. Michelle hakte sich bei mir unter. „Oh ja, etwas essen ist super. Und ins Warme“. Sie drehte sich zu Wilma um. „Komm’ her, hak’ dich auch ein. Unser Mann hat alles im Griff. Er weiss genau wo er was gebucht hat“. Naja, auf dem Papier wusste ich das auch. Ossekop. Den Strassennamen wusste ich. Mehr aber auch nicht. Und dass ich reserviert hatte.

„Also Mädels. Richtung Auto? Richtung Parkplatz, oder?“ bugsierte ich uns durch die Menschenmenge. Direkt hinter der Vrouwenpoortsbrug machten wir ein kleines Restaurant aus. „Wollen wir hier …? Eine Kleinigkeit? Und dann heute Abend richtig anständig was essen gehen?“ schlug ich vor. Wilma drückte mit ihrer Hand meinen Unterarm. „Was immer du vorschlägst“. Sah zu Michelle. „Oder ist das bei euch anders? Hat er sich geändert?“ Michelle grinste. „Ne, Gustav regelt das schon. Alles. Immer“.

Das Lokal hatte zwar eine Terrasse, aber dafür war es eindeutig „zu frisch“. Wir fanden einen Tisch, bestellten nach kurzem Studium der Speisenkarte zweimal die „Borrelplank voor twee“. Klassisch mit Bitterballen, Kaasstengels, Kipkroket, Friese worst. Dazu Pommes und Mayo.

Von der Bedienung, die unsere Auswahl servierte, wollte ich wissen wie man am Besten zur Pension, zur Adresse Ossekop käme. Erklärte ihr dabei dass wir in der Nähe, an der Kirche geparkt hätten. „Ich würde das Auto da stehen lassen. Durch die Fussgängerzone, direkt hier hinter der Brücke, sind es höchstens ein paar hundert Meter Fussweg“ wusste sie zu erklären.

So wie Michelle es vor wenigen Minuten noch gesagt hatte entschied ich „Dann lassen wir das Auto stehen, gehen die paar Meter. Wir wollen ja in ein paar Stunden wieder zum Zieleinlauf hierher zurück. Dann holen wir das Auto“. Michelle sah mich an. „Und unser Gepäck. Wenn wir später richtig ausgehen wollen möchte ich mich schon umziehen“. Sah zu Wilma. „Du nicht?“ Wilma nickte. „Auf jeden Fall“.

Während ich die Rechnung bezahlte vergewisserte ich mich nochmals alles richtig verstanden zu haben. „Also über die Brücke, dann Nieuwestad, am Ende rechts. Richtig?“ Die Bedienung sah mich an. „Ja, genau. Höchstens zehn Minuten zu Fuss“.

Tatsächlich, nach kurzem Fussmarsch standen wir vor einem imposanten Gebäude. Zweigeschossig. Inklusive Dachgeschoss. Michelle stand mit leicht offenem Mund vor Staunen neben mir. „Boah, so eine edle Hütte hast du ausgesucht? Wie lange bleiben wir überhaupt?“

„Ja, habe ich. Genau die edle Hütte habe ich ausgesucht. Vier Nächte bleiben wir. Und warum sich mit dem Gewöhnlichen zufriedengeben, wenn man das Außergewöhnliche genießen kann? Genau wie meine Begleitung“. Drückte erst Michelle einen Kuss auf die Wange, dann Wilma. „Ihr beiden seid doch auch Außergewöhnlich“.

„Monumental“

Händchenhaltend betraten wir das Haus. Auch mir verschlug es jetzt die Sprache. Dass es ein solcher Edelschuppen war hatte selbst ich nicht erwartet. Gut, dass es etwas Besonderes sein musste war mir schon allein aufgrund des Preises bewusst, aber das was sich meinen Augen eröffnete nicht. Es sollte schon etwas Besonderes sein, das hatte ich bei der Reservierung im Sinn. War es doch nach Ewigkeiten wieder ein gemeinsamer Ausflug mit meinen geliebten Frauen. Sollte alleine von daher nicht Standard sein. Und das war es eben auch. Alles, nur nicht Standard.

Die Rezeption war lichtdurchflutet, raumhohe Fenster umschlossen den Empfangsbereich. An einer Wand, hinter dem Rezeptionstresen prangte ein grosses Wappen mit der Inschrift „De Olde Signorie“. Darunter „seeckere huysinge hovinge cum Annexis, de olde signorie genaemt“.

Irgendwie kam ich mir sofort wie ein Baron oder so was vor, der jetzt in Begleitung seiner Hofdamen hier einkehrte. Zumindest wie einer aus dem 16. Jahrhundert. Nicht ganz so stinkig und übermässig parfümiert um das zu übertünchen. Und auch ohne die für die Zeit typische dick eingepuderte, lockige Perrücke. Wozu auch? Ich hatte schliesslich eigene Haare. Aber das räumliche Ambiente stimmte.

Der Rezeptionistin legten wir unsere Ausweise vor. „Ich habe telefonisch reservieren lassen. Zwei Zimmer“. Schob gleichzeitig auch meine Kreditkarte über den Schalter. Vorsichtig. Wollte vermeiden irgendwelche Kratzer auf der, auf Hochglanz polierten Oberfläche zu hinterlassen. Überhaupt fragte ich mich ganz kurz ob man überhaupt irgendetwas anfassen durfte. Schaute kurz zu Michelle. „Jepp, die darfst du auf jeden Fall anfassen“. Der Gedanke zauberte mir selbst ein Lächeln ins Gesicht.

„Hast du gewusst was das hier kostet? Was das für eine Nobelherberge ist?“ hakte sich Wilma bei mir unter. „Ja, den Preis kannte ich. Dass das so ein luxuriöses Haus ist nicht“.

Anders als ich, also weniger vorsichtig, schob die Rezeptionistin unsere Ausweisdokumente und zwei Schlüssel zu uns herüber. „Einmal Junior-Comfort-Salon. Und einmal Comfort-Salon. Beide Zimmer liegen in der ersten Etage“. Sie schaute kurz auf. „Sie haben kein Gepäck?“

Dass wir sehr wohl Gepäck hatten, allerdings dies noch im Auto war, erklärte ich kurz. „Das holen wir gleich. Wir wollen dann auch zum Zieleinlauf der Elfstedentocht. Das verbinden wir dann miteinander“.

Michelle eilte einen Schritt voraus. „Aber Komfortzimmer ist für uns, oder?“ Ganz leicht fasste ich an ihren Hintern. „Ja mein Engel. Mit allem Zipp und Zapp“.

Wilma öffnete die Zimmertüre „ihres“ Zimmers. Blieb wie angewurzelt auf der Türschwelle stehen. „Leck’ mich am Arsch. Hammer. Was für ein geiles Zimmer“.

Gemeinsam inspizierten wir das Zimmer. Wobei es eher dem entsprach was die Rezeptionistin gesagt hatte. „Ein Salon“. Fast dreissig Quadratmeter gross, Extra grosses Doppelbett. Durch zwei raumhohe Fenster fiel das Tageslicht ein. An den Wänden barocke Spiegel, die Verbindungstür zum Badezimmer mit Bleikristallglas. „Das ist für dich Hoheit“ lud ich Wilma mit einer präsentierenden Handbewegung ein alles zu inspizieren.

Es fehlte wahrlich an nichts - Schreibtisch mit Stuhl, Radiowecker auf dem Nachttisch, Kleiderschrank, elektrischer Wasserkocher, auf den Betten wohlriechende Handtücher, an der Fensterfront Heizung, die den Raum auf eine Wohlige Temperatur gebracht hatte, separater Essbereich – also Tisch und vier Stühle, Leseleuchte über den Kopfenden der Betten, eine kleine Sitzecke, auf dem Esstisch standen einige Weingläser.

Wilma öffnete die Türe zum Badezimmer. Ich erinnerte mich daran, dass das immer ihr Ding war – Badezimmer. „Ooch, keine Badewanne?“ Fast hatte ich gefragt ob sie einen Knall hat. „Das ist doch wohl voll das geile Zimmer, schau’ dich doch mal um“.

Wilma drängelte sich an mir vorbei. „Lass’ uns mal euer Zimmer anschauen“. Es schien so als wolle sie Michelle an die Hand nehmen. Das war es aber nicht, sie wollte einfach nur den Zimmerschlüssel haben.

„Das gibt es doch gar nicht, das Zimmer ist ja noch Luxuriöser als meins. Schaut euch das mal an“. Wilma hielt den Türflügel auf. Liess Michelle und mich passieren, marschierte direkt auf die bleiverglaste Badezimmertüre zu. „Und ihr habt eine Badewanne …“ Mitten im Satz unterbrach sie, drehte sich zu uns. „Darf ich euer Bad benutzen?“

Ich kannte Wilma nur zu gut, ihre Vorliebe für Wannenbäder. „Klar, warum nicht?“ Blickte zu Michelle. „Oder?“ Noch bevor Michelle reagieren konnte komplettierte Wilma ihren geäusserten Wunsch. „Ich möchte ein Bad nehmen … und mich dann ein wenig hinlegen. Ich bin ziemlich fertig“. Das erstaunte mich ein wenig. „Wie? Fertig? Wovon?“ Wilma kam auf mich zu, grff zu meiner Hand, legte sie auf ihren Bauch. „Ich bin es ja wohl die unser Kind mit sich schleppt. Das ist fast so als würde ich immer einen Sack Zement mit mit rumschleppen“. Sah mich kurz an. „Wollen wir tauschen? Deswegen bin ich fertig, geschafft. Ich bin schwanger. Und schon ziemlich“. Sie lachte. „Ich bin jetzt im siebten Monat. Das geht alles nicht mehr so wie früher. Ich muss mich etwas ausruhen“.

Aus dem Badezimmer war das Einlaufen des Badwassers zu vernehmen, Wilma begann sich zu entkleiden. Durch die geöffnete Türe betrachtete ich ihren Körper. „Jepp, voll die Kugel, die du da vor dir herträgst“. Leise zog ich die Türe zu, lugte noch einmal zu ihr hinein. „Was mir …“ Drehte mich über die Schulter zu Michelle …“Was uns ist ist auch dir. Mach’s dir gemütlich“.

Mein Blick ging jetzt durch das Zimmer. Es war noch einmal grösser als Wilma’s „Juniorzimmer“. Bestimmt nochmals zwanzig Quadratmeter on Top. Ebenso raumhohe Fenster. Direkt im Eingangsbereich, den man fast als Flur bezeichnen konnte, war ein kleiner Tisch vor einem deckenhohen Barockspiegel, davor zwei Ledersessel. Durch den riesigen Spiegel wirkte alles noch heller, noch grösser.

Ebenso wie Wilma’s Zimmer war es mit allem erdenkbaren Komfort ausgestattet. Kleiderschrank, ein riesiges Doppelbett, bestimmt mehr als zwei Meter breit und auch genau so lang. Auf dem Bett lagen frische Handtücher, zu einer lustigen Figur drappiert. Sollten wohl Schwäne oder so was sein. Die Heizkörper an der Fensterfront hatten das Zimmer in behagliche Wärme getaucht. Durch die Glasflächen hatte man einen fantastischen Blick über die Stadt, über Leeuwarden.

Michelle fasste es in einem Satz zusammen. „Das ist irgendwie als wären wir Könige. Unfassbar“. Mit zwei Schritten war ich bei ihr. „Ne, wenn dann Königinnen“.

Michelle ging auf das Badezimmer zu, öffnete die Türe. „Hast du was dagegen, wenn ich eine Dusche nehme?“ Wilma schaute durch die riesigen Schaumbadblasen. „Überhaupt nicht. Du kannst auch gerne zu mir in die Wanne kommen“. Blickte durch das Badezimmer. „Oder du. Ihr seid beide willkommen“.

Michelle hatte bereits begonnen sich ebenfalls zu entkleiden. Ihr Körper unterschied sich in Punkto Bauch doch um einiges von Wilma’s. Klar, Wilma hatte ein paar Monate Schwangerschaftsvorsprung. Würde Michelle bald auch so eine grosse Kugel vor sich hertragen? Anzunehmen.

„Also ich nicht. Ich möchte nicht in die Wanne. Und auch nicht unter die Dusche. Lieber nachher, wenn ich auch Klamotten zum Wechseln habe“ lehnte ich die Aufforderung zur gemeinsamen Körperpflege ab.

Schritt jetzt in aller Ruhe inspizierend den Salon ab. „Voll die Prunkhütte“ sprach ich leise vor mich hin. Auf dem Schreibtisch lag eine Broschüre, schon fast ein dünnes Buch. „Etwas über die Geschichte von De Olde Signorie in Leeuwarden“ war in güldenen Lettern auf das Cover eingeprägt.

„Das Bed and Breakfast De Olde Signorie mit seinen historischen, eleganten und luxuriösen Salons ist ein Juwel in der Krone des Stadtzentrums von Leeuwarden. Jeder Salon verfügt über ein eigenes Bad und eine besondere kulturhistorische Ausstattung. Die Salons sind mit allen modernen Annehmlichkeiten ausgestattet“. Das meinten die jetzt aber nicht ernst, oder doch? Von wegen Bed and Breakfast.

„Seien Sie unser Gast in einem freistehenden Nationaldenkmal aus dem 16. Jahrhundert mit einer reichen Geschichte. Jeder Salon hat seinen eigenen Charakter und ist in monumentalen Farben vergangener Zeiten gestrichen. Wir wollen, dass Sie beim Überschreiten der Schwelle nicht glauben, was Sie sehen“. Das stimmte allerdings. Was ich sah konnte, wollte ich nicht glauben. Ein Fünf Sterne Bed and Breakfast – und das war noch reichlich untertrieben.

„Ich geh’ runter, in die Lounge“ rief ich den Badenixen durch die Türe zum Badezimmer hindurch zu. Griff die Broschüre.

„Ziel“

Die Lounge, den Aufenthaltsraum des Hotels im Erdgeschoss musste ich aber sehr schnell anders bezeichnen. Das war eher ein prunkvoller Empfangssaal. Hell, freundlich, von raumhohen Fenstern umschlossen, die Aussicht auf das quirlige Leben Leeuwardens zuliessen. Zentral im Raum ein in U-Form gestalteter Bartresen. Die Lampen und Leuchter spendeten zusätzlich zum Tageslicht eine warme, heimelige Atmosphäre. Kaum dass ich einen Platz gefunden hatte kam eine freundliche Servicekraft, fragte ob ich irgendwelche Wünsche hätte. „Kaffee, mein Herr?“

Auf einem niedrigen Tisch lag auch hier die Broschüre aus, die ich aus unserem Zimmer mitgenommen hatte. Konnte ich ja nicht ahnen. Schnell vertiefte ich mich erneut in die Beschreibungen der Zimmer und des Hauses im Allgemeinen.

„Als Baron Rengers van Welderen mit seiner Familie in dem Haus lebte, war der Junior-Salon die Botenkammer. Das Dienstmädchen arbeitete von diesem Salon aus an den fantastischsten Gerichten für den Baron, der damals Bürgermeister von Leeuwarden war. Heute ist es ein stilvoller Salon, in Rijks Koelgray gestrichen und bietet einen Blick auf den Garten. Die Wände sind mit authentischen friesischen Witjes aus dem 18. Jahrhundert gefliest.

Im Comfort Salon wähnen Sie sich in anderen Zeiten. In schickem Rijks Bruin lackiert, mit einem Kamin aus Granit versprüht der Comfort Salon einen besonderen Reiz. Dazu gehören der reiche, glänzende und wunderschön restaurierte Schlossboden, die stilvolle alte Schrankwand und die großartige Aussicht auf das historische Blokhuispoort. Von 1499 bis Juni 2007 war dies das Haus der Haft. Danach zogen zahlreiche Kulturunternehmen in die Zellen und der Blokhuispoort wurde zu einem kulturellen Hotspot“.

„Meine Fresse – und das nannten die Bed and Breakfast“. Die Servicekraft hatte derweil meinen bestellten Kaffee serviert. Dazu war auf einem kleinen Teller feines Naschwerk gereicht worden. Nur zu gut konnte ich mir vorstellen wie seinerzeit „Ihre Dekadenzen“ gelebt hatten. Das war mir schnell klar – wenn man so eine Hütte hatte, bewohnte, brauchte man entsprechend Bedienstete. Für alles. Unbedingt.

Wieder vertiefte ich mich in die Broschüre. „Leeuwarden war im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert „the place tobe“. Die Stadt gewann an Ansehen, weil sie die Residenz der friesischen Nassaus wurde. Leeuwarden blühte auf. Die Bevölkerung wuchs schnell und ein schönes Gebäude nach dem anderen wurde errichtet. Aus dieser Zeit stammen die Kanzlei, der Stadhouderlijk Hof, die Waag und der schiefe Turm Oldehove. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde der Grundstein für das Haus, das später „De Olde Signorie“ heißen sollte, in „de Oude Blockhuyster Pijp“ gelegt. Die Straße, in der sich das Gebäude befand, erhielt den Namen Ossekop, nach dem Gasthof in der Straße, wo draußen ein hölzerner Ossekop hing“.

Michelle riss mich aus meinen Gedanken heraus, setzte sich zu mir auf das üppige Ledersofa. Bestellte sich ebenfalls Kaffee. „Wilma hat sich etwas hingelegt, wollen wir etwas in die Stadt gehen?“ Mit einer, auf die Broschüre gelegten Hand, schmunzelte sie „Du hast dich ja schon schlau gemacht. Da kannst du mich ja führen“.

„Klar, gerne. So einen kleinen Bummel. Dass wir zeitig zurück sind. Den Zieleinlauf der Eisläufer will ich auf jeden Fall miterleben“. Das war schliesslich einer der Hauptgründe für mich. Zu erleben, dabei zu sein, was den Reiz dieser Elfstedentocht ausmachte. Zumindest wenn man nicht „aktiv“ an dem Event teilnahm. Michelle schaute in die Runde der Lounge. „Das ist voll die Megahütte, die du für uns ausgesucht hast“.

In meinem Hinterstübchen meldeten sich Erinnerungsfragmente von meinem Besuch hier im Leeuwarden, noch mit Willeke. Davon erzählte ich Michelle. Vom Geburthaus von „M.C. Escher“ - einem begnadeten Grafikkünstler - in diesem Palast aus dem 18. Jahrhundert war jetzt das Keramikmuseum Princessehof untergebracht. Und auch von der Tänzerin, Kurtisane und vermeintlichen Spionin „Mata Hari“ – eigentlich Margaretha Geertruida. Aber auch von einer charmanten Einkaufsstraße mit individuellen Geschäften.

Michelle schaute mich an. „Daran kannst du dich alles erinnern?“ Fest umarmend drückte ich sie an mich. „Sogar noch an viel mehr. So vieles was ich mit Willeke erlebt habe. In so Momenten wie jetzt gerade kommt das einfach in mir hoch, pflanzt sich in meinem Kopf fest“. Michelle schaute zu mir auf, lächelte mich an. „Wundert mich nicht, nicht wirklich. Sie ist ja irgendwie immer bei dir. Nicht ohne Grund gehst du immer zum Friedhof“. Mit schräggestelltem Kopf küsste ich sie. „Ja, irgendwie schon. In meinem Herzen“. Michelle hielt mit beiden Händen, die in wollene Handschuhe verpackt waren, mein Gesicht. „Und in deinem Kopf“.

„Wir machen aber wirklich nur einen kleinen Bummel, also nix Shopping oder so was. Zum einen möchte ich echt beizeiten im Prinsentuin sein, den Zieleinlauf mitbekommen. Und zum zweiten möchte ich auch dass Wilma dabei ist, wenn wir was unternehmen“. Sah Michelle kurz an. „Oder willst du die einfach im Hotel pennen lassen? Die Zeit verpennen?“ Michelle lächelte. „Natürlich nicht. Alles so wie du es magst“.

Mit einer Hand griff ich an ihre ihre, an ihren Handschuh. „Ich will auch so Handschuhe. Und es geht nicht um was ich mag, sondern darum, dass wir zusammen unterwegs sind. Das ist schon alles“. Kurz streichelte Michelle über meine Wange. „Die Handschuhe hat Wilma gestrickt, frag’ sie doch einfach, dass sie dir auch so was fabriziert“.

Dass wir sowieso nicht einfach „planlos“ durch Leeuwarden rumlaufen würden war schnell klar - es war irgendwas um die zehn Grad Minus. Arschkalt sozusagen. „Irgendwo aufwärmen? Kaffee oder heisse Chocomel trinken? Was meinst du meine Süsse?“

Michelle nickte mir zu. „Ja, vielleicht da drüben?“ Sie zeigte auf ein kleines Eetcafé. Mittlerweile waren wir über die Waagsbrug in eine kleine Einkaufsstrasse, „Weerd“, eingebogen, hatten einige Boutiquen und Geschäfte passiert. „Ja, ein wenig aufwärmen. Dann holen wir Wilma ab. Dann zum Finale, oder?“ wollte ich nochmals mein Vorhaben bekräftigen. Konnte aber gleichzeitig auch die Fragestellung in Michelle’s Augen erahnen. „Ja, Shopping kommt auch noch. Später. Morgen vielleicht. Oder übermorgen. Wir sind ja noch ein paar Tage hier“. Michelle kuschelte sich ein wenig an mich heran. „Vier Tage? Vier Tage bleiben wir in Leeuwarden?“

Galant hielt ich ihr die Türe zum Eetcafé auf. „Nein, nicht nur in Leeuwarden. In ganz Friesland. Wir werden auch andere Städte besuchen. Kommen aber immer wieder nach Leeuwarden zurück. In unser Hotel“. Machte einen übertrieben, überzogen höflichen Knicks vor ihr, wie ein echter Portier. „Nur eben nicht nach Sneek. Das haben wir Wilma versprochen. Aber sonst schon durch Friesland“.

Nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben hatten sammelte ich von einer Auslage ein paar Prospekte und Broschüren ein. Dem konnte ich mich einfach nicht entziehen. Musste mich mit Informationsmaterial eindecken. Bei Kaffee und dazu einem Stück Kuchen unterhielten wir uns über die kommenden Tage. Dass es aber ganz und gar nicht so sein werde, dass ich die Planung vorgebe und mich sehr gerne auch nach den Wünschen von Michelle im Besonderen richten wolle gab ich ihr zu verstehen. Michelle machte mir schöne Augen dabei. „Einen Wunsch hätte ich schon …. Aber das erzähl’ ich dir später erst“ klimpernte sie mich aufreizendem Wimpernaufschlag an. Nach einer knappen Dreiviertelstunde verliessen wir gut aufgewärmt das Lokal. Machten uns auf den Rückweg. Zum Hotel. Ob Wilma ausgeschlafen war oder nicht, sie musste jetzt mitkommen.

Händchenhaltend schlenderten wir zurück. Dabei genoss ich ihren, durch die Wollhandschuhe unterstützt, wärmenden Händedruck. Ja, Handschuhe wollte ich auch. Dass Wilma mir diese, selbst wenn ich sie fragen würde, nicht mal eben auf die Schnelle aus dem Ärmel zaubern könnte, war ebenso klar. Ich würde mir einfach ein Paar kaufen. Irgendwo.

Wilma sass auf ihrer Couch, blätterte mehr oder minder gelangweilt in einem Magazin, von dem einige im Zimmer deponiert waren. Der Raum war muckelig warm, anscheinend hatte sie die Heizung noch etwas höher gedreht als zuvor. Ganz leicht erhob sie sich von der Couch zur Begrüssung. Ihre Stimme hatte den leichten Unterton eines Vorwurfs. „Da seid ihr ja“. Schaute mich an. „Also baden ohne frische Klamotten und ohne Schminke ist es irgendwie nicht wirklich. Wird Zeit dass wir unser Gepäck holen“.

Um ihr direkt ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen beschwichtigte ich das von ihr Gesagte. „Hallo Liebling. Ausgeruht? Hast du dich erholt?“ Ging auf sie zu, schloss sie in den Arm, küsste sie auf die Stirn. „Wie haben uns ein wenig in der Stadt umgeschaut. Aber jetzt gehen wir zusammen zum Finish. Und dann holen wir das Auto. Unsere Klamotten. Und dann gehen wir aus“. Wilma schaute schon deutlich freundlicher drein. „Das meinte ich ja auch“.

Da es sowieso keine Möglichkeit für die Frauen gab unseren Aufbruch irgendwie in die Länge zu ziehen, weder Schminken noch umziehen, drängte ich darauf, dass wir uns auf den Weg machten. Zum Prinsentuin, zum Zieleinlauf.

Auch Wilma hatte so schön wärmenden Handschuhe, das bemerkte ich als auch sie mich an die Hand nahm. Ein wenig zog ich sie an mich heran. „Ich hätte auch gerne solche Handschuhe. Von dir“. Wilma sah mich an. „Willst du meine?“ Das hatte ich natürlich nicht mit meiner Äusserung gemeint. „Nein. Aber vielleicht strickst du mir bei Gelegenheit auch welche. Ich kauf’ mir erstmal irgendwo welche“.

Wir nahmen eine andere Strecke, die ich aus dem Stadtplan herausgesucht hatte. Über „Peperstraat“, dann bei „Tontje Pijp“ auf die „Sint Jacobsstraat“, die fast durchgängig bis in den Prinsentuin führte. Hier war erwartungsgemäss schon der Teufel los. Hunderte, wenn nicht gar Tausende von begeisterten Besuchern erwarteten, ebenso wie ich ich, den Zieleinlauf. Ein wenig hatte das etwas von Jahrmarkt, Rummelplatzstimmung.

Nicht ganz eine Stunde waren wir im Park, hatten uns einen Weg in Richtung Zieleinlauf bahnen können. Aus einem der Lautsprecher ertönte eine Stimme. „Hartes und glattes Eis mit einigen Rissen und Sand auf dem Eis begleitet die Läufer auf ihrer letzten Etappe von Dokkum nach Leeuwarden. Wenig Wind, viel Sonne und mäßiger Frost. Knapp zweitausend Läufer mussten bislang aufgeben oder sind ausgeschieden. Evert van Benthem und Rein Jonker führen das Feld an, dicht gefolgt von Robert Kamperman“. Hier und da waren jubelnde Rufe zu vernehmen.

Mir persönlich sagten die Namen natürlich gar nichts. Auf einigen Bildschirmen wurden TV-Bilder der zugefrorenen Grachten gezeigt. Von Eisläufern allerdings noch nichts zu sehen. „Was gibt es überhaupt zu gewinnen?“ wollte ich von jemand wissen, der neben mir stand. Lachend gab er mir die Antwort „Ein Kreuz, das elfstredenkruisje. Und natürlich ewiger Ruhm“. Das fand ich dann doch eher schäbig. Dafür quälten die Eisläufer sich stundenlang zweihundert Kilometer durch das eisige Friesland?

Die Lautsprecherstimme wurde lauter und deutlich enthusiastischer.