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Christen werden ermutigt und befähigt, über sich selbst, ihren Glauben und Jesus Christus zu sprechen. Theologie wird konkret, geistliche Erfahrungen werden benannt und Erlebnisse des Glaubens in Worte gefasst. Der christliche Glaube will bezeugt werden. Nicht nur denken und machen, auch darüber reden! Vom Kopf in den Mund. Von Herzen weitergesagt. Mit Reden – so macht Glaube Sinn. Eine Sprach-Werkstatt des Glaubens zu nutzen, lohnt sich – egal ob Sie 18 oder 68 Jahre alt sind und ob Sie das Buch allein oder in einer Gruppe lesen. Sie werden inspiriert, provoziert und vielleicht auch bestätigt. Der Autor fordert zum "mit Reden" heraus und gibt viele Hinweise zum Weitersagen des Glaubens. Auch wenn Sie die Bücher "mit Denken" und "mit Machen" noch nicht gelesen haben, werden Sie von diesem Buch profitieren. Es liefert konkrete Hinweise, wie wir heute zeitgemäß und gleichzeitig theologisch reflektiert vom christlichen Glauben reden können.
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Seitenzahl: 303
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Hermann Brünjes
mit Reden
Eine geistlich-theologische Sprachwerkstatt
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Mit Reden - Eine geistlich-theologische Sprachwerkstatt
Vorwort
1. Von der Macht des Wortes
Die Macht der Worte
Gottes Wort
Zwischen Babylon und Pfingsten
Das missionarische Wort
Horizontverschmelzung
2. Die passende Sprache finden
Verständlich reden lernen
Kommunikation, die gelingt
Worte des Glaubens finden
Meine Stimme einstimmen
3. Vom Meister lernen
Mit gesundem Selbstbewusstsein
Mit Auftrag und in Vollmacht
Mit Liebe und in Wahrheit
Mitten im Leben
Bildhaft und verständlich reden
Mit klarem Ziel
4. Formate, von Gott zu reden
Zeugnis des Glaubens
Bekenntnis des Glaubens
Predigt, Auslegung
Referat, Vortrag
Literatur, Briefe, Gebete, Lyrik, Lieder
Internet und Soziale Netzwerke
5. Erzählen – das Kino im Kopf
Die Bibel erzählen
Geschichten lebendig erzählen
Erzählen und Multimedia
6. Predigen – nicht nur für Profis
Was ist eine »Predigt«?
Worauf kommt es an?
Wie wird eine Predigt aufgebaut?
Fiese Fallen beim Predigen
7. Das persönliche Glaubens-Zeugnis
Rede und schweige nicht
Verlorene Sprache wiederfinden
Vom Nutzen kirchlicher Veranstaltungen
8. mitreden, einmischen, mitmischen
Sprach-Räume
Als Christ in der Welt
Hören und gehorchen
Das letzte Wort
Nachwort
Autor, Dank und weitere Bücher
Impressum neobooks
Gewidmet jenen Menschen,
die mir das Evangelium von Jesus Christus
gesagt, gepredigt, erklärt und bezeugt haben.
In euren Mund hat Gott sein Wort gelegt.
Ihr wart für mich seine Propheten, Engel und Gesandte.
Einige von euch erwähne ich namentlich.
Andere wurden und sind für mich gleichermaßen
wichtig und gesegnet.
Ich danke Gott und euch. Ihr tragt dazu bei,
dass ich Christ bin und selbst von Christus reden kann.
Danke.
1. Auflage 2020
Verlag: Hermann Brünjes, Küsterweg 2, 29582 Hanstedt
Kontakt: [email protected]
Info: www.hermann-bruenjes.de
Druck: epubli/neopubli GmbH, Berlin
Umschlag, Texte, Fotos: © Copyright by Hermann Brünjes
Zwei Öllampen tauchen die Szene in flackerndes Licht. Trommeln, dazu monotoner Gesang. Eine Ziege meckert, ein Wasserbüffel zerrt knarrend an seiner Fessel. Zwischen Hütten, Bambuszäunen und in tierischer Geräuschkulisse hat sich eine kleine christliche Gemeinde versammelt.
»Hermann, you should bring greetings. Please give witness,« raunt mir jener einheimische Missionar zu, der im südindischen Stammesgebiet entlang der Godavari später eine Kirche mit 40 Gemeinden leiten wird. »Hermann, du sollst Grüße bringen und deinen Glauben bezeugen.« Ja, übersetzen kann ich das inzwischen. Auch heute bin ich des Englischen keineswegs »mächtig«, aber ich komme klar – allemal wenn meine indischen Gegenüber die Fremdsprache schlechter beherrschen als ich. Damals jedoch, 1981, war mein Englisch schlicht miserabel. Neben Mathe war es der Grund, dass ich in der Realschule eine Klasse wiederholen musste. Folglich war die völlig überraschende Aufforderung durch Paul Raj nicht Anerkennung und Ehre, sondern schlicht ein Schock für mich. Trotzdem wollte ich es versuchen. Allerdings brauchte ich noch einen Moment zum Überlegen. »Please let them sing one more song«, stammelte ich und bekam so, da die Lieder unserer Freunde dort bis zu zwanzig Strophen enthalten, erheblich mehr Zeit zum Vorbereiten meines Statements. Aber dann war es soweit. »Dear brothers and sisters ...!« Hermann begann seine erste englische Predigt.
Und erlebte sein ganz persönliches Pfingsten!
So jedenfalls habe ich mir später erklärt, was passiert war. Dass mein Englisch wundersam perfekt wurde, bezweifle ich. Aber es sprudelte aus mir heraus. Paul Raj übersetzte mit großem Pathos. Ich hatte den Eindruck, den Geist Gottes zu spüren. Nicht nur ich. Sowohl die Inder als auch unsere deutsche Besuchsgruppe waren beeindruckt.
»My fear was, your Englisch could be bad«, meinte Paul nachher. »But this was excellent!« (Ich dachte, dein Englisch ist schlecht. Aber es war ausgezeichnet!) »Me too!« (ich auch!) war mein stammelnder Kommentar. Mehr zu sagen fiel mir nicht ein. Plötzlich fehlten mir wieder die Worte. Pfingsten schien vorbei zu sein, sobald ich meine Glaubenszeugnis mit dem christlichen Gruß »Vandanale« beschlossen hatte. In der dann erforderlichen Konversation konnte ich wieder nur noch stottern.
Der Geist macht lebendig
Das damalige Ereignis in Indien hat mein Denken und auch meine Praxis des Redens vom Glauben nachhaltig beeinflusst. Gleich mehrere Konsequenzen habe ich daraus gezogen.
Mir wurde klar: Ich muss besser Englisch lernen, wenn ich mich in diesem Kontext verständlich machen will. Das ist mit harter Arbeit verbunden. Oder verallgemeinert: Je besser ich die in der jeweiligen Umgebung benutzte Sprache spreche, desto besser gelingt die Kommunikation.
Nur das mutige und beherzte Annehmen solcher Herausforderungen führen zu guten Erfahrungen. Wenn ich dem Reden von Gott, über die Bibel und meinen Glauben ausweiche, entgeht mir enorm viel und ich nehme manches Wirken des Geistes Gottes nicht wahr.
Auch wenn ich meine, es nicht zu können, kann und will Gott durch seinen Geist dennoch durch meinen Mund und mit meinen oft mühsam gefundenen Worten reden.
Anders ausgedrückt: Aus meinem »bisschen« kann Gott erstaunlich viel machen. Perfektionismus in Sachen Reden zu verlangen, käme einem Maulkorb gleich. Da könnte man auch gleich ein Redeverbot erteilen.
Gerade eine einfache und schlichte Rede bringt die »frohe Botschaft« zu den Menschen. Bei meinen Englischkenntnissen zwingt mich die fremde Sprache zu solcher Elementarisierung. Das hilft mir, mich für alle verständlich auszudrücken und die Sache auf den Punkt zu bringen. Solche Schlichtheit auch in meiner Muttersprache zu versuchen, ist aller Mühe wert.
Pfingsten ereignet sich im Hier und Jetzt. Ob es sich um ein Hörwunder handelt (»Jeder hörte die Apostel in seiner eigenen Sprache reden« Apg. 2,6) oder um ein Redewunder (»Sie begannen in fremden Sprachen zu reden, ganz so wie der Geist es ihnen eingab.« Apg. 2,4): Gott selbst meldet sich während der Verkündigung und durch das Glaubenszeugnis der Christen zu Wort. Schön, dass ich nicht nur rede, damit dies möglicherweise geschieht, sondern weil es gewiss geschieht.
Was mich damals in Indien so beeindruckt hat, belegt meine nun fast fünfzigjährige Erfahrung im Reden von Gott und seiner Offenbarung in Jesus Christus. Habe ich in »mit Denken« meinen theologischen und geistlichen Rahmen abgesteckt und in »mit Machen« die tätige Umsetzung meines Glaubens beschrieben, so folgt jetzt in »mit Reden« die Reflexion des Schwerpunktes meiner privaten und beruflichen Aktivität als Redner und Verkündiger des Evangeliums. »mit Reden« habe ich zuletzt geschrieben und bei den ersten beiden Büchern nicht geahnt, dass es noch folgt. Einige der Themen wurden in den anderen Büchern bereits angesprochen, vor allem die missionarische Ausrichtung der Nachfolge Jesu. Deshalb ließen sich leider einige Doppelungen nicht vermeiden. Bitte lesen Sie jene Stellen zur Vertiefung und Erinnerung.
Bis heute bin ich kein »Sprachkünstler«. Meine Frau ermahnt mich immer wieder, weil ich falsche Worte nutze, nuschle oder mich unverständlich ausdrücke. Meine Bücher sind keine literarischen Kunstwerke und meine Predigten bieten keine druckreifen Vorlagen. Dennoch hat der Umgang mit Sprache mein Leben und Wirken maßgeblich bestimmt und ich bin überzeugt davon, dass Gott primär die Sprache und das Wort als Mittel seiner Kommunikation mit uns Menschen einsetzt und nutzt.
mit Reden und mitreden
Wieder kann man den Buchtitel verschieden lesen. Jede Lesart hat ihre Berechtigung.
Mit Reden, also nicht ohne Reden.
So werden Christsein und Nachfolge gelebt. Dies erscheint auf den ersten Blick logisch, wird jedoch bei genauem Hinsehen oft vergessen oder aber anders praktiziert. Wir sprechen nicht umsonst von der »schweigenden Mehrheit«. Die gibt es nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern auch in unseren Kirchen und Gemeinden. Über den Glauben wird nicht geredet. Er wird dem Intimbereich und der Privatsphäre zugerechnet. Folglich kommt er selten oder gar nicht vor. Ja, manchmal geht um »die Kirche«. Da kann man ja tatsächlich viel sagen und noch mehr kritisieren oder gar meckern. Im günstigsten Fall wird noch über »Religion« gesprochen – aber Gespräche über meinen persönlichen Glauben, die Perspektiven für mich selbst und alle Welt durch Jesus Christus, die großartigen Zusagen Gottes, die Umsetzung seines Willens und seine Kraft und Größe ... da fehlen meist die Worte.
Bereits in »mitMachen« habe ich eine Haltung, die den persönlichen Glauben und die Bedeutung von Jesus Christus für diese Welt verschweigt, als Irrweg dargestellt. Ein vermeintlich kluger Satz wie »Rede nur, wenn du gefragt wirst – aber lebe so, dass du gefragt wirst!« ist nur bedingt stimmig. Wenn ein solcher Satz dazu dient, uns zum Handeln zu bringen – prima! Doch wenn er dazu benutzt wird, das Verschweigen unseres Glaubens zu rechtfertigen, unsere Feigheit zum Bekenntnis und unsere Sprachlosigkeit in »Sachen Gott« zu verschleiern, dann wird so ein Satz als bloße Ausrede benutzt.
In diesem Buch wird hoffentlich auf jeder Seite deutlich, dass die Rede von Gott, die Suche nach Worten für unseren Glauben und das Weitersagen des Evangeliums von Jesus Christus ein unverzichtbarer Bestandteil christlichen Lebens ist. Und dieses Buch wurde geschrieben, damit wir uns klar werden, worüber wir reden, wie wir dies machen und wo, wann und warum. In diesem Sinn also: Mit, nicht ohne Reden!
Mitreden. Sich aktiv ins Gespräch einbringen, in Auseinandersetzungen und Diskussionen um »Gott und die Welt« seinen Teil beitragen, auch dies gehört zum Christsein. Es wird hoffentlich deutlich, dass nicht jede und jeder über alles und bei allem mitreden sollte und auch nicht kann. Es geht auch hier nicht ums Prinzip »Hauptsache mitreden«: Wir melden uns überall zu Wort, haben zu allem eine Meinung und mischen uns in jedes Gespräch ein. Nein. Wir schweigen besser und halten uns heraus, wenn wir keine Ahnung haben oder andere es besser wissen. Wir bleiben Lernende, Fragende, Suchende. Aber wir sind gleichzeitig wichtig. Als »Salz der Erde« können wir konservierend (bewahrend) wirken, wir können Wunden aufzeigen und zur Heilung beitragen und wir können die »Suppe« genießbarer machen. Und als »Licht« können unsere Worte Orientierung bieten und Klarheit bringen. Wir können zu Wegweisern werden und Menschen trösten, ermahnen, korrigieren, stärken und begleiten (Mt. 5,13-14).
Wie gut, dass wir in einem Land leben, wo mitreden nicht nur den Wortführern in Politik und Kirche zugestanden wird, sondern jeder und jedem Einzelnen. Wir können und sollen uns einbringen. So wie unsere guten Werke, ist auch unsere Stimme unverzichtbar – und nicht nur mit einem Kreuz auf dem Wahlzettel. Nicht stellvertretende Akteure, sondern wir selbst sind gefragt! Auch was in unseren Gemeinden geschieht und was auf den »höheren« Ebenen von Kirche, hängt im Wesentlichen an denen, die mitreden.
Das Buchcover
Dem Coverdesign liegt wieder ein Bild aus dem »Schöpfungsweg« von Werner Steinbrecher zugrunde. Diesmal ist es die 4. Station, die Schaffung von Erde, Meer und Pflanzen. Auch das Gleichnis vom vierfachen Acker fällt mir ein. Am Ende bringt das Wort hundertfache Frucht! (Mt. 13).
»Und Gott sprach – und es wurde!« So wurde das Chaos geordnet und so entstehen Energie, Licht und später auch Leben. Das Wort Gottes geschieht. Es ist ein machtgeladenes, starkes Wort. Wir werden uns gleich im ersten Kapitel mit Kraft und Stärke des Wortes befassen. Das Wort Gottes ist nicht nur so dahingeredet, lapidar, kraftlos und ohne Wirkung. Es ist nicht so nebenbei gesagt als eines unter vielen. Es ist nicht genuschelt, undeutlich oder mehrdeutig. Dieses Wort ist Gottes Wort. Er nutzt Sprache. Er hat geredet. Durch Abraham und die Väter und Mütter des Glaubens, durch die Propheten und zuletzt durch Jesus Christus (Hebr. 1,1-2).
Zuletzt? Ja, weil es nach Christus keine zusätzliche, korrigierende oder ergänzende Gottesoffenbarung gibt. Jesus selbst ist das Wort (Joh. 1,14). Nein, wenn jemand meint, heutzutage schweigt Gott. Das Gegenteil ist der Fall. Wir werden sehen, dass Gottes Christuswort weiter ausgesprochen und verbreitet wird – durch uns, Sie und mich. Folglich werden wir gewissermaßen Teil jener Wortgewalt, die den Kosmos, alles um uns herum und auch uns selbst geschaffen hat.
Zu anmaßend? Zu selbstherrlich? Nein, gerade nicht. Weil Gott sich mit seinem Wort an Jesus bindet, begegnet uns sein mächtiges und starkes Schöpfungswort sehr, sehr menschlich. Gotteswort ist ins Menschenwort hineingekrochen, hat sich erniedrigt, ist jetzt verletzlich und verwechselbar geworden. Wie damals mit Jesus von Nazareth kann man auch heute mit Gott diskutieren, ihn anzweifeln, Gegenargumente ins Feld führen, ihn ablehnen und verspotten. Das Wort Gottes ist also alles andere als absolut in einer relativen Welt. Es kann und wird relativiert werden. Ganz so wie Jesus von Nazareth.
Interessant: Für den Künstler sind Evolution und Schöpfung kein Gegensatz. Seine Darstellungen im Schöpfungsweg beziehen die Entwicklung allen Lebens als von Gott ausgelösten und durch ihn geleiteten und begleiteten Prozess mit ein. Evolution wäre dann so etwas wie die Art und Weise der Umsetzung des Schöpfungswortes. Wenn solche Sicht auch dem Weltbild und Denken der Schöpfungsberichte noch nicht zugrunde liegt, so bleiben sie doch dafür offen. Die Schöpfung selbst wird als Prozess dargestellt, nicht als punktuelles Ereignis. Auch relativiert die Bibel ihre Zeitangaben gelegentlich selbst und betont, dass Gott der »Zeit« gegenüber souverän bleibt (ein Tag ist wie 1.000 Jahre: Psalm 90,4; 2. Petr. 3,8).
Auch dieser Gedanke passt zu unserem Thema. Das Wort stößt einen schöpferischen Prozess an. Nicht alles, was es bewirkt, ist sofort zu sehen. Vieles muss noch wachsen, sich entwickeln, fertig werden. Viele Worte wirken darauf ein, nicht nur eines. Dennoch bleibt es das schöpferische Wort Gottes. Es kommt menschlich daher und aus Menschenmund, wird jedoch auf geheimnisvolle Weise zum Reden Gottes.
Eine geistlich-theologische Sprachwerkstatt
Eine Werkstatt. Da wird gebastelt und experimentiert. Man benutzt verschiedene Materialien und fügt sie zusammen, bis entsteht, was gewollt wird und den Vorstellungen des Bestellers entspricht. Man verwirft, was nicht funktioniert oder gefällt. Meistens arbeitet man mit anderen zusammen – allemal in einer Lehrwerkstatt. Viele Gewerke sind auf andere angewiesen. Es werden verschiedene Gaben eingebracht, Fähigkeiten ergänzen sich, »Knowhow« wird geteilt. So auch in einer Sprachwerkstatt.
Wir tauschen Erfahrungen aus. Wir reflektieren unseren Umgang mit Sprache, die Weise unserer Verkündigung, unseres Auftretens und des Umgangs mit dem Wort Gottes. Wir versuchen, es beim nächsten Mal besser oder zumindest angemessener zu machen. Wir ergänzen, korrigieren und ermutigen uns gegenseitig. Wir erlauben uns Fehler, Irrwege und sogar Schuld – um sie dann zu korrigieren oder zu vergeben.
Vor allem erwarten wir, dass Gott selbst unser Lehrmeister ist. Wir werden Schüler des Rabbi Jesu von Nazareth. Jünger eben. Wir schauen hin, wie er von Gott redet und mit den Menschen spricht, denen er begegnet und mit denen er unterwegs ist. Wenn stimmt, dass Jesus selbst das Wort Gottes ist, kann nur er das Bild sein, das uns im »mitReden« leitet und inspiriert.
Als Mitgestalter oder Mitgestalterin bin ich wichtig. Klar! Deshalb will und muss ich meine individuelle Sprache des Glaubens finden und will dann auch mitreden. Dies wird sich vor allem in meinem alltäglichen Leben abspielen. Doch während ich dort oft allein mit den Leuten rede – in der Sprachwerkstatt ich bin nicht allein! Ich bin Teil der Jüngergemeinschaft, einer Gruppe. Deshalb wurde bisher so viel von »Wir« gesprochen. Der Ort, so ein Buch wie dieses zu lesen kann natürlich auch das Sofa sein oder der Schreibtisch. Besser wird es als Lektüre in einer Werkstatt-Gruppe verstanden.
Christen treffen sich nicht nur zur »Erbauung«, sondern arbeiten an sich und stecken sich Ziele. Etwa: Wir wollen in der Lage sein, über unseren Glauben zu sprechen. Wir wollen die alten, biblischen Geschichten und Begriffe in unserer eigenen Sprache erzählen und weitergeben können. Wir wollen Menschen mit dem Evangelium erreichen, sie begeistern und ihnen erklären können, was christlichen Glauben ausmacht. Wir wollen ihr Herz und ihren Verstand ansprechen und hoffen, sie am Ende für Christus zu gewinnen ...
Weil dieses Lesebuch sich auch als Werkbuch versteht, gibt es in jedem Kapitel diese ✪Sternchen. Sie sind eingeladen, in Ihrem Haus-, Gesprächs- oder Mitarbeiterkreis und in Ihrer »Werkstattgruppe« die so gekennzeichneten Anregungen aufzunehmen.
Sie haben schon gemerkt: Die Werkstatt hat bereits geöffnet. Wir sind mittendrin und gleich geht es weiter ...
✪Zu Beginn können Sie ja einmal für sich selbst, aber auch für Ihre Gruppe überlegen, was Sie eigentlich erreichen wollen. Warum und wozu wollen Sie »mit Reden« nutzen – und warum und wozu wollen Sie überhaupt mitreden? Was soll dieses Werkbuch Ihnen bringen?
✪ Bevor Sie dieses Kapitel lesen, empfehle ich einen Einstieg für die Gruppe zum Selber-Denken.
Die Leitfrage ist: »Worte – was können und leisten sie und was nicht?«
Sie schreiben Überlegungen dazu auf Karten (in zwei Farben) und sammeln diese geordnet an einer Pinnwand oder auf dem Boden.
Ohne Zweifel, Sprache ist das herausragende Instrument der Kommunikation unter Menschen überhaupt. Wir wissen, dass auch Tiere sich durch Laute und vielleicht gar so etwas wie Worte miteinander verständigen (z.B. Papageien, Robben, Delfine, Raben, Elefanten). Eine derart ausgefeilte und differenzierte Sprache jedoch, wie wir Menschen sie entwickelt haben, ist nur dem Homo Sapiens zueigen. Man geht heute davon aus, dass die Anatomie des Menschen (Zusammenwirken von Rachenraum, Gaumensegel, Stimmbänder und Zunge, Lippen, Mund- und Nasenhöhle) und zusätzlich ein spezielles Gen (FOXP2) die Fähigkeit des Sprechens ermöglichen.
Worte sprechen lassen
Den Begriff »Sprache« beziehen wir nicht nur auf den Gebrauch von Worten. »Die Sprache der Liebe«, die »Sprache des Herzens«, die »Sprache des Geldes« usw. sind gängige Beschreibungen menschlicher Ausdrucksformen. So benutzt, wird »Sprache« zum Universalbegriff jeder Form von Kommunikation. Musik spricht zu uns. Bäume, Vögel, Natur und sogar Steine können zu »sprechen« beginnen. Der Begriff Sprache kann wie ein Container für alles sein, was uns irgendwie anspricht, berührt und betrifft – auch ganz ohne Worte. Wir reden auch von Gebärdensprache, Körpersprache usw.
All dies spielt natürlich auch eine manchmal extrem wichtige Rolle beim Sprechen, Reden und dem Gebrauch von Worten, soll uns hier jedoch zunächst nicht vorrangig beschäftigen.
Hier geht es um die Sprache, die durch Worte entsteht und aus unserem Mund kommt. Worte sprechen. Vielleicht nicht immer, aber hoffentlich meistens gehen ihnen Gedanken voraus. Ein Gedanke wird ausgesprochen.
Der schon erwähnte Werner Steinbrecher hat oft Schriftzeichen in seine Bilder integriert. Er meinte einmal sinngemäß: »Schrift ist nichts anderes als ein Bild. Wir sprechen ja auch vom Schriftbild. Und was ist das? Es ist ein Bild von einem Wort. Schrift und Bild sind nichts anderes als die Darstellung des Wortes.«
Somit sind auch Schrift-Bilder Träger des gesprochenen Wortes. Wir alle kennen (und lieben) das: Briefe, Bücher, Gedichte ... auch wenn das Wort aufgeschrieben ist, spricht es zu uns.
Worte können etwas bewegen. Das erleben wir alle.
»Ich liebe Dich!«, da geht mein Herz auf! »Du bist toll!«, da fühle ich mich anerkannt. »Du spielst Fußball wie ein kleiner Messi!«, das spornt mich an, auch wenn ich es irgendwie übertrieben finde. »Wir schaffen das!« Dieser 2015 von Angela Merkel geprägte Satz hat zwar auch Widerspruch hervorgebracht, vor allem jedoch motiviert, Flüchtlinge aufzunehmen. Es gibt also Worte und Sätze, die bauen auf, trösten, stärken, motivieren ... Solche Worte hören wir gerne.
Es gibt aber auch Worte und Sätze, die zerstören und vernichten. »Du Dussel!«, da fühle ich mich klein und elend. »Du schaffst das nie!«, da reagiere ich entweder trotzig und verbissen oder mein Selbstwert sinkt bei jedem Wort dieser Art.
Wir alle kennen unzählige Beispiele beider Wirkungen von Worten. Kinder und Jugendliche erleben Bestätigung und Zuspruch. Ihr Selbstgefühl steigt, ihre Lebensfreude und Motivation gleichermaßen. Anders, wenn sie klein gemacht oder gar gemobbt werden. Solche Worte, auch wenn sie in den sozialen Medien gepostet werden, haben junge Menschen sogar schon in den Suizid getrieben. Worte wirken. Wir erleben, wie Populisten dies wissen und nutzen. Untergangsszenarien und apokalyptische Zukunftsbilder werden vor Augen gemalt. Ängste werden geschürt und als Ausweg Erlöser- und Retterfiguren oder Ideologien angeboten. All das geschieht durch Worte.
»Yes, we can!« Worte schüren Hoffnung und setzen Kräfte frei. »America first!« Worte spalten und grenzen voneinander ab. Nicht nur in Amerika, überall auf der Welt geschieht so etwas. Worte können Völker versöhnen (Martin Luther King, Nelson Mandela, Willy Brandt ...) und Worte können Krieg und Vernichtung hervorbringen, einleiten oder beschleunigen (Adolf Hitler, Joseph Goebbels, George W. Bush ...).
Soll also niemand sagen: »Das sind ja nur Worte!«
Richtig. Es werden viele Worte gemacht und oft geschieht wenig. Es gibt unzählige nutzlose, überflüssige, dumme und wirkungslose Worte. Täglich werden wir mit einer Flut von Worten konfrontiert, einer Sturmflut, einem Tsunami sogar. Jährlich erscheinen allein in Deutschland um die 80.000 Bücher. Zeitungen, Magazine, Prospekte und Flyer füllen die Altpapiercontainer. Fernsehen, Radio, Internet und Social Media lullen uns ein mit abertausenden Worten.
Zu behaupten, dass all dies und jedes Wort auch Wirkwort sei, wäre wohl maßlos übertrieben. Viele Worte verpuffen wie eine Fehlzündung oder zerplatzen wie schillernde Seifenblasen ohne Wirkung – es sei denn, man versteht das Desinteresse, die Müdigkeit und Abgestumpftheit gegenüber Worten und Texten als Wirkung jener Überschwemmung durch Worte ...
Was die Wirkkraft angeht: Es kommt ganz gewiss sehr darauf an, wer etwas sagt, in welcher Situation, also wann jemand redet und natürlich auch was er oder sie sagt und wie er oder sie es rüberbringt.
Es kommt also nicht nur auf das bloße Wort an, sondern auch auf die Person, auf Kontext und Zeitpunkt, auf den Inhalt und auf die Art und Weise wie Sprache eingesetzt wird.
Bis heute ringen und streiten Christen verschiedener Bekenntnisse um den Begriff »Gottes Wort« und das »rechte« Verständnis zu Bibel und (kirchlicher) Überlieferung. Die Literatur dazu vermag wohl Bibliotheken zu füllen. Dieses Werkbuch will und kann weder eine theologische Dogmatik noch ein Begriffslexikon noch eine Bibelkunde ersetzen. Auch erspart es jenen, die sich wirklich weiterbilden wollen, nicht die Lektüre theologischer Fachbücher.
In der Einleitung habe ich von »Elementarisierung« gesprochen. In diesem Sinne nenne ich hier ein paar mir einleuchtende Ansätze zum Verständnis des Wortes Gottes. Es sind nicht einfach »Erkenntnisse«, die theoretisch bleiben, sondern Einsichten, die sich praktisch auf meine und Ihre Verkündigung auswirken.
Göttliche Machtworte
Was Gott sagt, geschieht. Einleitend habe ich dies bereits erwähnt. Gott spricht und es entstehen Kosmos, Erde und Lebewesen. In diesem Sinn sind Gottes Worte starke und souveräne Machtworte.
Haben Sie es erlebt? Dass Gottes Wort etwas bewegt und sicht- und spürbare Wirkungen zeigt? Bei Ihnen und bei anderen? Ich ja. Nur ein paar Beispiele – und je länger ich überlege, desto mehr fallen mir ein:
Wir sprechen über Schuld und Vergebung. Ich bin erschrocken über mich selbst, weil ich zwei Reifen für meinen alten VW zwar mitgenommen, aber nicht bezahlt hatte. Dumme Schuldgefühle? Nein, ich war anderen etwas schuldig geblieben. Ich beichte es meinem Seelsorger. Der spricht mir zu: »Dir sind deine Sünden vergeben!« Welche Entlastung! Sofort habe ich auch meine Schulden bezahlt.
Aus Indien habe ich schon berichtet. Viele weitere Beispiele von dort könnte ich erzählen. Wie dies: Ich bete für eine Frau. Plötzlich fällt Sie um, schreit, zuckt und liegt da wie tot. Ich spüre keinerlei Puls. Plötzlich höre ich mich fast befehlend sagen: »Im Namen Jesu Christi: Atme, steh auf und danke Gott!« Völlig unreflektiert habe ich die Frau auf Deutsch angesprochen – und dann nicht schlecht gestaunt. Die Frau stand umgehend auf und sagte laut und vernehmlich »Vandenalu!« (Gott sei Dank!). Mein Wort war ganz offensichtlich zum Machtwort geworden.
Vielfach kamen Menschen auf mich zu und bedankten sich. »Danke! Was du gesagt hast, ist mir zu Herzen gegangen. Da hat Gott zu mir geredet.« Was sie im Gespräch mit mir oder beim Hören einer Predigt erlebt hatten, war für sie mehr als nur mein menschliches Wort. Es war zum Gotteswort geworden. So habe ich es selbst ja auch oft erlebt. Ich höre Christen von Gott reden, von ihrem Glauben und entdecke mich selbst im Gegenüber zu Gott.
Für mich ohne Zweifel: Gottes Wort wirkt. Dies betrifft auch viel größere Zusammenhänge als die meines persönlichen Lebens. Wir suchen und finden oft »natürliche« Erklärungen. Aber wer weiß, vielleicht steckt Gottes Kraft und Lenkung dahinter ... wenn ein Mensch vor großem Leiden bewahrt wird, wenn wieder Frieden einkehrt (auch zwischen Völkern), wenn die Mauer zwischen Menschen (auch die in Berlin) fällt, wenn jemand loslassen kann, am Ende vielleicht sogar sein Leben ... Dies alles muss nicht immer mit Worten verbunden sein, ist es oft jedoch. Wir beten mit Worten und Gott hört und erhört. Wir hören Worte und sind berührt. Ob durch eine Predigt, ein Referat, ob durch einen Filmdialog oder Liedertexte – oft wirken Worte unmittelbar auf uns und andere ein. Gott nutzt sie und erweist seine Macht durch sie. Anders ausgedrückt: Gott greift durch Worte in die Geschichte ein und verändert sie.
»Da muss mal jemand ein Machtwort sprechen!« so fordern es Zeitgenossen angesichts einer verwahrlosten Jugend (was diese schon immer war) oder vermummter Demonstranten. Gemeint ist, dass Politiker für »Recht und Ordnung sorgen« und Regeln und Gesetze mit Gewalt durchsetzen. Gelegentlich wird ein solches Machtwort auch von Gott erwartet oder gar verlangt. Er soll endlich eingreifen! So kann es doch nicht weitergehen mit dieser verdorbenen und gottlosen Welt. Corona-Pandemie, Klimakrise, Erdbeben, Terror und weltweite Flüchtlingsströme werden dann von einigen, die es zu wissen meinen und sich vielleicht gar auf Gerichtsworte im Alten und Neuen Testament beziehen, als solches »Machtwort« Gottes gedeutet. Gott bestraft. Gott zeigt seine Herrschaft. Gott setzt seinen Willen durch. Gott dirigiert uns alle in seine Richtung, wenn nötig auch mit Gewalt und Verderben.
Wort des Lebens
Um es deutlich zu sagen: Dieses Denken halte ich für Gotteslästerung. Jener Schöpfer, von dem die Bibel spricht und vor allem, den Jesus Christus uns leiblich vor Augen führt, »tickt« völlig anders. Er schafft etwas. Er baut auf. Er macht lebendig. Er macht Licht und widersetzt sich der Dunkelheit. Er nutzt seine Macht zum Wohl der Menschen. Er setzt sich nicht mit Gewalt durch. Gottes Exekutivmacht ist die Liebe.
Wenn wir also ein Machtwort Gottes erbitten, dann wird Gott in der Art und Weise antworten, wie Jesus seine Macht gezeigt hat. Mit Dienst, mit Vergebung, mit Geduld, mit Ermahnung und mit Liebe ohne Ende! Als die Reformatoren von »sola scriptura« (allein die Schrift) und »sola gratia« (allein aus Gnade) sprachen und zumindest evangelische Christen und Verkündiger sich darauf bis heute beziehen, dann ist dies unauflöslich verbunden mit dem »solus Christus« (allein Christus).
Die Bindung des »Machtwortes« Gottes an den bis zuletzt liebenden Jesus Christus ist also keine Idee einiger Softies unter den Theologen, die den richtenden und vergeltenden Gott ausblenden. Sie ist verbindlich für alle, die sich dem Wort Gottes verpflichtet wissen.
Gottes Wort schafft, entfaltet und ermöglicht Leben. Es widersteht den Todesworten, den vernichtenden und zerstörerischen Kräften um uns herum. Seine Macht setzt der Vater Jesu Christi ein, damit die Dunkelheit durchbrochen und es hell wird. Wir sprechen nicht umsonst von der »Heilsgeschichte« Gottes und von Jesus Christus als dem »Heiland« und dem Heil der Menschen.
Umfassende Gottesherrschaft
Und wie sind Erfahrungen und Entwicklungen einzuordnen, die alles andere als liebevoll daherkommen? Die Bibel spricht davon und wir erleben es Tag für Tag: Es geschieht vieles, was Gottes Willen und Jesu Vorgabe nicht entspricht. Ohnmächtig sind Menschen den Herrschenden und deren Exekutive ausgeliefert. Selbst in einer Demokratie wie bei uns in Deutschland spüren wir diese Ohnmacht. Jugendliche gehen »Fridays for Future« auf die Straße. Oder, was inhaltlich völlig anders gelagert ist, Menschen demonstrieren gegen Corona-Maßnahmen. Der Blick auf den Rest der Welt macht das Gefühl von Machtlosigkeit nicht leichter. Wir stecken in globalen Zusammenhängen. Es scheint, wenige Konzerne lenken die weltweiten Wirtschaftsströme, das Kapital und letztlich auch die Politik. Der Einzelne als Teil eines großen Ganzen wird so zum Spielball dieser Kräfte und Systeme.
Und Gott? Welche Rolle spielt Gott darin?
Theologen sprechen vom »deus absconditus«, vom verborgenen Gott. Er ist zwar als der liebende Vater, wie Jesus ihn beschrieben hat, nicht sichtbar, handelt jedoch aus der Verborgenheit heraus. Als Mittel seiner Regentschaft nutzt er dabei auch Methoden, die wir als Gegenteil von Liebe empfinden. So gehören Gewalt, Regierungen, Polizei und Armee, ja sogar Diktaturen, Katastrophen und Naturgewalten zur Weise, wie Gott seine Welt regiert. Der »verborgene Gott« eben.
Ist dies gemeint, was Martin Luther mit seiner »Lehre von den zwei Regimenten Gottes« (Zwei-Reiche-Lehre) als göttliches Wirken beschreiben wollte? Gott nutzt auch das Instrument der Politik, die Natur und globale Zusammenhänge für die Durchsetzung seiner Ziele?
Ich denke, Ja und Nein.
»Ja!« Weil Gott in dieser Welt das Sagen hat, mischt er aktiv mit. Es wäre töricht zu meinen, dass die globalen Konzerne, Politiker und (Möchtegern-)Diktatoren und politische oder wirtschaftliche Systeme diese Welt regieren. Irrtum! Gott regiert! Auch die naturwissenschaftlichen Abläufe beim Weltklima oder kosmologische Ereignisse entwickeln sich nicht autonom und durch eine seelenlose Evolution vorherbestimmt. Inmitten all dieser Systeme und jeder globalen Abhängigkeit zieht vielmehr Gott die Strippen. So jedenfalls verstehe ich die Bibel. Er bewahrt seine Welt, er lenkt die Geschichte und er bringt sie ans Ziel. »He’s got the whole world in his hand!« Ich glaube dem alten Spiritual, auch wenn ich angesichts dessen, was vor Augen ist, manchmal zweifle und mir die rationalen Argumente dafür immer wieder ausgehen.
Was hat dies mit dem Reden von Gott zu tun?
Ich denke und rede von Gott nicht als einem hilflosen Befehlsempfänger wirklich mächtiger Personen, Konzerne oder Systeme und Naturgesetze. Ich denke und rede von ihm als dem Herrscher über Himmel und Erde! Und noch einmal: Ich spreche von dem Gott, der sich in Jesus Christus gezeigt hat.
Folglich hat der Kampf und haben Worte gegen Unrecht und Unterdrückung eine echte Chance. Auch das Klima ist noch zu retten, wenn Gott es will. Und der Einsatz für Schwache und Rechtlose macht Sinn. Gott ist auf ihrer Seite. »So ist das nun mal!«, kann und darf kein Argument für Menschen sein, die an Gottes Herrschaft glauben. »So ist es jetzt, ja. Und wir müssen damit klarkommen. Aber so muss es nicht ewig bleiben! Gottes Wille will, kann und wird sich durchsetzen. Dafür erheben wir unsere Stimme!«
»Ja«, Gott herrscht und lässt sich diese Welt nicht aus der Hand nehmen. Wir reden deshalb immer vom Sieg Gottes, ganz im Sinne der Osterbotschaft als Sieg über den Tod!
Vom Missbrauch der Worte
Aber gleichzeitig auch »Nein!«. Gottes Herrschen geschieht nicht mittels Gewalt und Unterwerfung. Worte in Gottes Namen dazu einzusetzen, missbraucht sie. Ich versuche, auch das mit Blick auf die Verkündigung zu aktualisieren:
Mir fällt der Begriff »power evangelism« ein. Gemeint war ursprünglich die Verknüpfung von Wundern (z.B. Heilung) und evangelistischer Predigt. Gott erweist sich als wirksam durch die Predigt seiner Boten, indem er sie mit »Zeichen« wie z.B. Heilungen begleitet. So gesehen sind Erfahrungen, die ich in Indien gemacht habe und wie sie viele Christen aus den Missionsfeldern berichten, so etwas wie »power-evangelism.« Auch in der Bibel kommt dies häufig vor.
Der Begriff wird inzwischen allerdings oft anders gefüllt. »Kraft-Evangelisation« zeichnet sich dann durch starke Worte aus, durch zwingende Rede, Druck und auf Bekehrung und Überwindung der Widerstände ausgelegte Predigt. Von Billy Graham sagt man, er sei »das Maschinengewehr Gottes« gewesen. Ich empfinde das nicht als Kompliment, obwohl dieser amerikanische Evangelist (1918–2018) in großem Segen unzählige Menschen für Christus gewonnen hat. Vermutlich hat er selbst sich auch gegen diesen kriegerischen Begriff abgegrenzt. Gerade in Indien ist mir eine Art der Verkündigung begegnet, die in diese Kategorie passt. Unzählige kleine Kalaschnikows schmettern dort ihre Salven gegen die Köpfe der Hörer oder auch darüber hinweg. Es wird schnell, laut, direkt, erbarmungslos und natürlich immer richtig und bibeltreu zum Glauben aufgefordert.
Das mag etwas anderes sein als die Worte der Diktatoren und Populisten dieser Welt – es folgt jedoch dem gleichen Muster: Ich muss jemanden überwinden. Herrschen heißt Macht ausüben, Druck machen und eben Power (Kraft) ausüben, um die Leute zur Gefolgschaft zu bewegen.
Dieses Missverständnis hat schlimme Konsequenzen. Bezogen auf die Herrschaft des Menschen über diese Erde, hat es uns an den Rand des Abgrunds geführt. Schon im August sind die Ressourcen für ein ganzes Jahr verbraucht. Ab jetzt vertilgen wir die Substanz, die sich nicht erneuert (der »Erdüberlastungstag« 2020 war der 22. August).
Ein viele Jahrhunderte auch christlich und kirchlich vertretenes Missverständnis hat mit dazu beigetragen: »Macht euch die Erde untertan und herrschet ...«, heißt es als Auftrag an den Menschen im ersten Schöpfungsbericht (1. Mo. 1,28). In der Folge wurde Herrschaft als Instrument der Macht verstanden und unser Globus gnadenlos ausgebeutet.
Und die Variante in der Verkündigung?
Sie ist schnell zu identifizieren. Die Begriffe »missionieren«, »predigen« oder »bekehren« werden als Manipulation oder koloniales Machtmittel verstanden. Warum? Weil dies leider oft genug in der Geschichte genauso praktiziert wurde und wird. Das Evangelium wird als Machtinstrument missbraucht. Die Predigt wird zum Machtgewinn oder -erhalt eingesetzt. Man sammelt Gefolgsleute und »seine Truppen«. Leute werden unter Druck gesetzt und gefügig gemacht. Moral und erhobene Zeigefinger beherrschen die Verkündigung. Man muss so oder so leben! Man muss sich »bekehren« und sich selbst verleugnen. Angst wird verbreitet. Die Auslegungshoheit biblischer Texte liegt bei den Amtsträgern, den ordinierten, den geschulten, den bekehrten und den entschiedenen Christen.
Mittelalter? Von wegen. Die Kirchen achten bis heute sehr darauf, dass alles so läuft, wie es ihren Regeln entspricht. »Wir taufen dich ...«? Da hat ein Priester die falsche Formel verwandt und die katholische Taufe war ungültig. »Du musst ...!«, wie oft findet sich solche Rede auch in den liberalsten Predigten? Wie viele Imperative und wie viel Moral verstellen uns den Weg zur froh machenden Botschaft?
Nur die anderen? Nein, auch ich selbst bin in Versuchung, mit Worten Macht auszuüben. Vor allem, wenn ich gut reden und Menschen mit Worten mitreißen kann, sie fessle (passendes Wort!) und sie überzeugen (klingt wie überreden!) kann. Insbesondere als Amtsträger, in meiner Position als Pastor, Referent, Diakon oder Jugendleiter habe ich viele Möglichkeiten, das Wort für meine Zwecke zu missbrauchen und es als Herrschaftsinstrument einzusetzen.
Das dienende Wort
Dabei ist das Wesen des Herrschens im Sinne Jesu ein völlig anderes. »Wer der Größte sein will, der sei euer aller Diener.« (Mk. 10,43-44).
Bezogen auf die Verkündigung bedeutet dies: Wir haben den Menschen (auch) mit unseren Worten zu dienen und sie eben nicht zu beherrschen! Wir verkündigen einen Gott, der dient. Unsere Sprache ist kein Instrument, andere zu überwinden, sie zu regulieren, auf Kurs zu bringen oder bei der Stange zu halten. Sie bleibt vielmehr dem Wohl und der Entfaltung der Menschen verpflichtet.
Wer Sprache in diesem Sinn einsetzt, wird besonders darauf achten, dass er oder sie genau hinhört. Was braucht, was denkt, was will jener Mensch, mit dem ich es da zu tun habe? Wir werden das noch thematisieren. Nicht was ich sagen will wird zum Maß aller Dinge, auch nicht ich selbst und wie ich dastehe – sondern meine Gesprächspartnerinnen und -partner oder meine Hörerinnen und Hörer werden zum Maß meiner Sprache und Verkündigung. Dieser Welt und den Menschen zu dienen hat das Wort Gottes in und mit der Schöpfung die Herrschaft angetreten.
Wenn nur die Sprachverwirrung nicht wäre!
»Wir verstehen uns nicht!«, scheint das Grundprogramm menschlicher Beziehungen zu sein. Angefangen bei verschiedenen Sprachen und Dialekten der Völker und Kulturkreise bis hin zu Mann und Frau, Kinder und Eltern, Familie und Nachbarschaft. Ein Riss geht durch diese Welt, nein hunderttausend Risse. Statt aufeinander zu hören, uns zu einigen und gemeinsame Wege zu suchen, gibt es Streit, Trennung und sogar Krieg. Woran das liegt?
Die Bibel erklärt es mit der Erzählung vom Bau des Turms in Babylon (1. Mo. 11,1-9). Sie wollten die Größten sein, die Klügsten, die technisch Versiertesten, die Schönsten, die Bedeutendsten und vor allem die Mächtigsten. Sie wollten sich einen Namen machen und sein wie Gott. Sie wollten den Himmel stürmen und den Thron des Höchsten besetzen.
Es ist der schon in der Urgeschichte angesprochene Drang des Menschen, wie Gott sein zu wollen, der alles zerstört. Es steckt tief in uns drin, an Gottes Stelle herrschen zu wollen, zu regieren und das eigene Leben – plus wenn möglich auch das von anderen und dieser Welt in die eigene Hand – zu nehmen. Geboren aus dem Zweifel an Gottes Güte, Stärke und Zuverlässigkeit ersetzen wir Menschen den Herrscher der Welt und setzen uns selbst oder einen unserer »Führer« auf Gottes Thron.
So funktioniert Babylon.
Und so funktioniert es eben nicht wirklich. Der Turm, den sie bauen, erscheint ihnen großartig und geradezu göttlich. Tatsächlich ist er lächerlich. »Gott sah herab ...«, heißt es ironisch. Was wir für Macht und Größe halten, ist aus seiner Sicht nichts wert. Im Gegenteil: Der Versuch, für uns selbst göttliche Größe zu erlangen, vernichtet alles. Beziehungen werden zerstört, weil jeder über den anderen herrschen will. Erfolge werden zu Niederlagen, weil wir uns ständig miteinander vergleichen. Technischer Fortschritt erweist sich als Bumerang, weil wir die Konsequenzen nicht bedacht haben. Babylon wird zum Symbol der Verwirrung, Trennung und Zerstörung menschlicher Gemeinschaft.
Babylon steht für jene Sprachwelt, in der wir uns nicht verstehen. Es ist die Welt, in der wir leben. Ob nun Geschichts-, Kultur- oder Entwicklungswissenschaften untersuchen und beschreiben, warum wir Menschen uns nicht verstehen – am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus, was wir in der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babylon lesen.