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Das detaillierte Psychogramm des Kennedy-Mörders: Ein ebenso bizarres wie beklemmendes Charakterporträt, in dem Mailer die verhängnisvolle Entwicklung der wirren Persönlichkeit Lee Harvey Oswalds schlüssig darstellt – von der katastrophalen Kindheit über die Zeit in der UdSSR bis zu den Umständen, die zu seiner zwanghaften Tat in Dallas und seinem Tod führten. Mailer zeichnet die Lebensgeschichte dieses jungen Attentäters nach, der die Welt veränderte und der amerikanischen Nation ein Trauma verschaffte. Er türmt die Fakten zu einem Pandämonium menschlicher Abgründe und reißt seine Leser in einen Sog von nie nachlassender Spannung.
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Seitenzahl: 1175
OSWALDS GESCHICHTE
Der Fall Lee Harvey Oswald
Ein amerikanisches Trauma
Ins Deutsche übertragen von
Maurus Pacher und Brita Baumgärtel
Titel der Originalausgabe: Oswald’s Tale:
An American Mystery (Random House, New York)
Englische Übersetzung von amtlichen Dokumenten der Russischen Föderation:
© 1994 Polaris Communications, Inc., und Norman Mailer
Englische Übersetzung von amtlichen Dokumenten der Republik Weißrußland:
© 1994 Polaris Communications, Inc., und Norman Mailer
Interview von Lawrence Schiller mit Marguerite Oswald: © 1976 by The New Ingot Company, Inc.
Dank für die Genehmigung des Abdrucks früher veröffentlichten Materials:
CAROL PUBLISHING GROUP: Auszüge aus Passport to Assassination: The Never Before-Told Story of Lee Harvey Oswald by the KGB Colonel Who Knew Him von Oleg M. Nechiporenko, übersetzt von Todd R. Bludeau. © by Oleg M. Nechiporenko. Veröffentlicht nach Absprache mit Carol Publishing Group. Ein Birch Lane Buch. Genehmigter Abdruck.
EDWARD J. EPSTEIN: Auszüge aus Legend: The Secret Life of Lee Harvey Oswaldvon Edward J.Epstein. © 1978 by Edward J. Epstein Abdruck mit Erlaubnis des Autors.
HARPERCOLLINS PUBLISHERS, INC.: Auszüge aus The Death of a Presidentvon William Manchester. © William Manchester. Genehmigter Abdruck.
ROBERT LEE OSWALD: Auszüge aus Lee: Portrait of Lee Harvey Oswald von Robert Oswald. Abdruck mit Erlaubnis von Robert Lee Oswald.
RUSSELL & VOLKENING, INC.: Auszüge aus Marina and Lee von Priscilla Johnson McMillan (William Morrow & Co., 1977). © 1977 by Priscilla Johnson McMillan. Abdruck mit Genehmigung von Russell & Volkening als Agenten der Autorin.
RANDOM HOUSE, INC., AND LITTLE BROWN AND COMPANY (UK):
Auszüge aus Case Closed von Gerald Posner. © 1993 by Gerald L. Posner. Weltrechte mit Ausnahme Großbritanniens bei Random House, Inc., Abdruck mit Genehmigung von Random House, Inc., und Little, Brown and Company (UK).
STERLING LORD LITERISTIC, INC.: Auszüge aus Conspiracy von Anthony Summers
(Paragon House Publishers). © by Anthony Summers. Abdruck mit Genehmigung von Sterling Lord Literistic, Inc.
THUNDER’S MOUTH PRESS: Auszüge aus The Last Investigation von Gaeton Fonzi.
Nachdruck mit Genehmigung von Thunder’s Mouth Press.
WGBH: Auszüge aus der Sendung Frontline vom November 1993 unter dem Titel »Who Was Lee Harvey Oswald?«. Genehmigter Abdruck.
Die Übersetzung stammt aus dem Jahr 1995 und folgt der damaligen Rechtschreibung.
© 1995, 2020 LangenMüller
in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
OSWALD'S TALE
Copyright @ Norman Mailer, 1995
All rights reserved
Umschlaggestaltung: STUDIO LZ, Stuttgart
Umschlagmotiv: Boris Schmitz, "Gaze86", 2014 @ Boris Schmidt Artworks
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
Gesetzt aus Minion Pro
ISBN 978-3-7844-8367-2
www.langen-mueller-verlag.de
FÜR NORRIS, MEINE FRAU,
für dieses Buch und die sieben anderen,
die in diesen Jahren der Geborgenheit geschrieben wurden,
diesen wärmenden zwanzig Jahren, die wir zusammen sind.
DANK
an Larry Schiller, meinen cleveren und pfiffigen Kollegen bei den Interviews und Nachforschungen, für die sechs Monate, die wir Seite an Seite in Minsk und Moskau arbeiteten, und für die Zeit in Dallas, in der wir sehr familiär miteinander umgingen (und bisweilen auch so streitsüchtig); und an Judith McNally, meine unvergleichliche Assistentin, deren Vorzüge so zahlreich sind, daß es meinem Eigennutz schaden würde, sie alle aufzuzählen – ja, an Schiller und McNally meine volle und uneingeschränkte Danksagung. Ohne sie wäre vielleicht keine Geschichte zu erzählen gewesen.
Abgeordneter Boggs: Warum lief Ihr Sohn nach Rußland über?
Marguerite Oswald: Das kann ich nicht mit Ja oder Nein beantworten, Sir. Ich muß die ganze Geschichte aufrollen, sonst hat es keinen Sinn. Und damit bin ich vor dieser Kommission schon den ganzen Tag beschäftigt gewesen – eine Geschichte mitzuteilen.
Abgeordneter Boggs: Ich nehme an, daß Sie es kurz und bündig machen.
Marguerite Oswald: Ich kann es nicht kurz machen. Ich möchte damit sagen, daß ich außerstande bin, es kurz zu machen. Dies ist mein Leben und das Leben meines Sohnes, die beide in die Geschichte eingehen werden.
Aus Marguerite Oswalds Aussage vor der Warren-Kommission
am 10. Februar 1964
INHALT
ERSTER BAND
Oswald in Minsk mit Marina
ERSTER TEIL
Waljas Abenteuer
ZWEITER TEIL
Oswald in Moskau
DRITTER TEIL
Oswalds Arbeit, Oswalds Flamme
VIERTER TEIL
Marinas Freunde, Marinas Verehrer
FÜNFTER TEIL
Werbung und Hochzeit
SECHSTER TEIL
Eines langen Tages Reise in die Heimat
SIEBTER TEIL
Vater, Mutter, Kind
ACHTER TEIL
Im Vorzimmer der Geschichte
NEUNTER TEIL
Schock
ZWEITER BAND
Oswald in Amerika
ERSTER TEIL
Frühe Jahre, Militärzeit
ZWEITER TEIL
Nächstenliebe in Fort Worth
DRITTER TEIL
Dunkle Tage in Dallas
VIERTER TEIL
The Big Easy
FÜNFTER TEIL
Protagonisten und Provokateure
SECHSTER TEIL
Oswald ex machina
SIEBTER TEIL
Der Amateurrächer
ACHTER TEIL
Oswalds Gespenst
ANHANG
Namenverzeichnis
Danksagung
Anmerkungen
Quellenverweise
Bibliographie
ERSTER BAND
Oswald in Minsk mit Marina
ERSTER TEIL
Waljas Abenteuer
1
Brummkreisel
Als Walja drei war, fiel sie gegen einen heißen Ofen, verbrannte sich das Gesicht und war ein ganzes Jahr lang krank. Kurz darauf starb ihre Mutter, und ihr Vater blieb mit sieben Kindern zurück.
Als ihre Mutter begraben wurde, sagte Waljas Vater: »Schaut sie an und behaltet sie im Gedächtnis.« Dann reihte er sie um den Sarg auf und wiederholte: »Versucht, eure Mutter im Gedächtnis zu behalten.« Da standen sie, alle sieben Kinder, in Schwarz gekleidet. Waljas Kleid hatte ein Muster in der Form kleiner Kreuze. Sie erinnert sich genau daran, und daß alle ihre Brüder und Schwestern weinten. Ihre Mutter war bei der Geburt ihres achten Kindes gestorben.
Sie war in einem 50 Kilometer entfernten Krankenhaus verschieden, und als sie ihr letztes Stündlein kommen fühlte, bat sie, man möge Guri, ihren Mann, rufen und ihm ausrichten, daß sie ihm noch ein paar Worte sagen wolle. Sie lag im Bett, wartend, die Augen auf die Tür gerichtet, und als er endlich hereinkam, war sie bereits so schwach, daß sie nur noch sagen konnte: »Bitte, Guri, nimm dich unserer Kinder an«, und dann die Seele aushauchte. Sie hatte keine Sekunde länger leben können. Aber natürlich kommt sie in Waljas Träumen bis heute immer wieder zurück.
Walja war die zweitälteste Tochter, und als die Älteste nach einigen Jahren das Elternhaus verließ, mußte sie sich um den Haushalt kümmern. Sie waren eine Familie, alle sehr gutherzig, und fast jeder wurde als gleichberechtigt behandelt. Als Walja sieben war, konnte sie bereits Brot in einem Ofen backen, in den man auf einer flachen Holzschaufel den Laib schob, und jeder war froh, wenn sie ihr Brot buk, weil es so schmackhaft war.
Ihr Vater war Bahnwärter in der Smolensker Sektion der Sowjetischen Eisenbahnen. Da seine Kinder ohne weibliche Obhut aufwuchsen, heiratete er wieder. Seine Kinder hegten gegen die neue Frau keinen Groll, sie liebten sie, denn sie war ein guter Mensch, und nannten sie sogar Mama. Sie war sehr gütig zu ihnen, obwohl sie nicht gesund war und bereits zweimal verheiratet gewesen war; doch ihr einziges Kind aus der zweiten Ehe war gestorben, und aus der dritten Ehe mit Guri kamen keine Kinder mehr.
Vielleicht hatte die Stiefmutter Waljas Vater geheiratet, weil sie auf diese Weise der Arbeit in einer Kolchose entgehen konnte. Manchmal fragte sich Walja, warum er sie genommen hatte, denn sie war häufig krank und mußte sogar ins Krankenhaus; aber obwohl sie nicht soviel wie gehofft helfen konnte, brauchten die Kinder sie, um sich als Familie zu fühlen, und warteten immer sehnsüchtig, bis sie sich von ihren Krankheiten wieder erholt hatte. Sie nahm sich der Kinder Guris wirklich an. Manchmal, wenn er nach Smolensk oder Witebsk fuhr und einen Leckerbissen heimbrachte, sagte er zu seiner neuen Frau: »Schau, es sind so viele Kinder, und sie sind noch so jung, also konnte ich nur diese Kleinigkeit für dich mitbringen.« Sie dankte ihm, aber sobald er ihr den Rücken kehrte, teilte sie das Mitbringsel gerecht auf. Sie lebte so lange, daß sie alle mit ihr aufwuchsen. Waljas Vater wurde sogar achtundsiebzig. Wenn das Leben auch nicht leicht war, so hatten sie doch ihren Vater.
Walja war sehr scheu. Und immer schamhaft wegen ihrer Wange, denn eine Seite ihres Gesichts blieb seit dem Unfall vernarbt. Die ärztliche Versorgung in jener Zeit war schlecht. Sie legten ihr Verbände an, die austrockneten, und immer, wenn sie abgenommen wurden, blieb ein Mal zurück. Außerdem waren diese Prozeduren äußerst schmerzhaft. Walja erinnert sich, daß sie das ganze Jahr hindurch weinte. Sie hörte die Leute sogar sagen: »Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie gestorben wäre, denn ein Mädchen mit einem solchen Gesicht kann nicht glücklich werden.« Sie glaubt, daß sie dadurch ein stiller Mensch wurde, der alles Unangenehme in sich hineinfraß. Sie war nie emotional, erfüllte ihre Pflicht und schrie nie jemanden an, nur in ihrem Inneren fühlte sie sich unglücklich.
Die Kinder in der Schule waren gleichwohl niemals grausam zu ihr. Walja hatte vier Brüder, also war es für ihre Mitschüler nicht ratsam, sie zu verhöhnen. Ihre Brüder und Schwestern waren alle gesund und hatten deshalb zu Walja eine besondere Art von Zuneigung. Sie tat ihnen leid, weil sie ein ganzes Jahr krank gewesen war und sie ihre Qualen miterlebt hatten. Ihr Vater sagte sogar: »Weißt du, daß ich mich mit dir, als du ein Kind warst, viel mehr abgegeben habe als mit allen anderen? Ich habe dich das ganze Jahr im Arm gehalten, weil du soviel geweint hast.« Walja wuchs in dem Bewußtsein auf, daß die Narbe auf ihrer Wange ihr die weibliche Schönheit geraubt hatte. Sie hatte einen hübschen Körper und schöne Zähne, aber wegen der Wange hielt sie sich nicht für attraktiv. Trotzdem waren immer Männer um sie. Es war merkwürdig. Sie wußte nicht, warum sie Männer anzog, aber es war so. Vielleicht, meint sie, wußten die Leute, daß sie eine gute Hausfrau war. Ihre ganze Jugend über galt ihr Interesse dem Haushalt. Sie hielt alles sauber; in Guris Haus war kein Stäubchen zu sehen.
An jeder Bahnstation gab es ein kleines Wärterhaus, meistens in einem Feld neben den Schienen. Im Erdgeschoß war die Dienststelle, im ersten Stock lebte der Bahnwärter mit seiner Familie. Sie hatten zwei Zimmer, eines für die sieben Kinder, eines für Guri und seine Frau. Es gab keine Küche, Walja bereitete die Mahlzeiten auf dem Ofen im Zimmer ihres Vaters zu. An Festtagen wie Neujahr wurde der geschmückte Baum im anderen Zimmer aufgestellt, in dem die sieben Kinder in drei Betten schliefen. Noch heute, wenn sie an einer kleinen Eisenbahnstation vorbeifährt, wird sie traurig. Ihre Kindheit war schwer gewesen, aber irgendwie erinnert sie sich gerne zurück, und die Traurigkeit ist gleichzeitig eine Rückbesinnung auf schöne Augenblicke im Leben. Sie liebt diese Traurigkeit.
In der Oberschule lernte sie Deutsch als zweite Sprache, aber sie wurden regelmäßig darauf hingewiesen, daß der Nationalsozialismus ein totalitäres System sei und daß sie selbst in einer sozialistischen Volksdemokratie lebten. Die ersten Deutschen sah sie erst im Juni 1941, kurz nach dem Kriegseintritt der Sowjetunion. Sie erinnert sich, daß die Felder reiften und die Deutschen bereits in Smolensk waren. Sie rückten unheimlich schnell vor. Überall setzten sich die russischen Truppen ab und ließen viele Panzer zurück. Die Deutschen waren die Herren der Lage. Erst kamen die Flugzeuge und bombardierten Brücken, die Bahnstation, setzten Dörfer in Brand. Das dauerte eine Woche, dann kamen die Panzer. Sie besetzten alles. Die Deutschen brachten ihre Gesetze, und man durfte sich ohne Sondergenehmigung nicht einmal ein paar Kilometer vom Haus entfernen.
Sie töteten, hängten Menschen an Bäumen auf. Walja sah sie: junge Partisanen, die an Bäumen hingen. Sie hat das Bild immer noch vor Augen: Da war eine Allee, und die ganze Allee hinunter hingen junge Menschen, manchmal zwei an einem Baum. Jeder im Dorf ging hin, um zu schauen. Sie waren alle vom Grauen gelähmt, aber sie gingen schauen, damals, als sie sechzehn war und die Deutschen alles Land, das sie kannte, überrannt hatten.
Ihren Vater ließen sie auf seinem Posten. Er verrichtete weiter seinen Dienst, was blieb ihm anderes übrig? Er mußte den Lebensunterhalt verdienen. Aber an anderen Orten waren sie sehr grausam und brannten viele Dörfer nieder. Also machten sich die Russen, die für die Deutschen arbeiteten, große Sorgen, daß sie später dafür bestraft würden. Gewiß war ihr Vater von den Sorgen niedergedrückt. Er sagte nichts, aber sie hatten große Angst, daß er zur Rechenschaft gezogen würde, sie sprachen untereinander darüber und bangten später, was Stalin ausbrüten könnte. Ihre Familie fühlte sich seither gebrandmarkt, obwohl sie und die Ihren nie kollaboriert hatten, niemals. Sie hat immer ein rechtschaffenes Leben geführt. Im übrigen schlugen diese Deutschen ihren Vater.
Walja erinnert sich noch immer daran. Die Familie hatte eine Kuh, aber kein Futter. Wenn Züge vorbeifuhren, blieb manchmal Heu auf dem Bahnsteig liegen, das aus Güterwagen herausgeweht war. Ihr Vater sammelte diese Reste ein. Einmal beschlossen ein paar Deutsche, die gerade vorbeikamen, daß er jüdisch aussehe, denn er hatte schwarzes Haar, einen schwarzen Bart und schwarze Augen und trug einen Hut. Sie waren zu dritt und schlugen ihn ins Gesicht, und er verlor einige Zähne. Seither hatte er immer Probleme mit seinen Zähnen. Als er es an jenem Abend schaffte, nach Hause zu kommen, fluchte er in einer Weise, die Walja am liebsten nicht wiederholen würde. Er gebrauchte das schlimmste Fluchwort, das sie nur flüsternd über die Lippen bringt: job ich mat, was sexuellen Umgang mit der eigenen Mutter bedeutet. Guri vergaß die Schläge sein ganzes Leben nicht. Er mußte zwei Wochen zu Hause bleiben. Danach sammelte er tapfer wieder Heu vom Bahnsteig auf, weil die Kuh Futter brauchte. Er war dabei ständig in Angst, wieder geschlagen zu werden. Aber schließlich fürchteten sie sich alle.
Später nahmen die Deutschen ihren Vater, ihre Brüder und zwei Onkel mit. Sie brannten die Bahnstation nicht nieder, aber sie zertrümmerten alle Fensterscheiben. Die Deutschen vergewaltigten auch viele Frauen, aber nicht ihre Stiefmutter, weil sie nicht verführerisch genug war, und auch sie und ihre Schwestern nicht, weil sie noch Kinder waren. Dann versuchten sie, ihr Häuschen niederzubrennen, aber sie zündeten es hastig an und zogen dann weiter, so daß Walja mit dem Wasser, in dem sie die Wäsche wusch, die Brandherde löschen konnte. Nachbarn brüllten sie an, daß die Deutschen, wenn sie das mitbekämen, andere Häuser anzünden würden. Es war eine sehr schwierige Situation. Sie standen alle in ihrem Garten, die Deutschen hatten ihren Hund umgebracht, und alle Dörfer im Umkreis der Bahnstation waren niedergebrannt.
Ihr Vater und ihre Brüder mußten anderthalb Jahre, bis Kriegsende, im deutschen Gefangenenlager bleiben. Es war noch ein Glück, daß sie sie besuchen konnte. Sie, ihre jüngere Schwester und ihre Stiefmutter gingen die 35 Kilometer zu Fuß. Manchmal durften sie etwas zu essen mitbringen. Weil es viel Schnee gab, hatte die Familie ihre Schweine geschlachtet und sie unter dem Schnee versteckt. So konnte ihre Stiefmutter Fleisch kochen und es den Brüdern und dem Vater mitbringen. Damit verzichteten sie natürlich auf ihre eigene Nahrung, also bestanden die Männer ihrerseits darauf, daß sie einen Teil selbst aßen. Trotzdem mußten sie auf dem Rückweg auf der Landstraße betteln. Sie waren immer hungrig und hatten keine ordentlichen Schuhe und Kleider. Einmal hörte sie, wie ihr Vater zu ihrer Stiefmutter sagte: »Meine Töchter wachsen auf, ohne etwas zum Anziehen zu haben. Nimm meinen Anzug; vielleicht kannst du ein Kleid daraus machen.« Dennoch trugen sie so alte Kleider, daß einige Deutsche sie – Walja war fünfzehn, ihre Schwester vierzehn – matki nannten, ein schlimmes Wort, etwa »olle Ziegen«.
Eines Tages im Juni 1944 kamen ohne Vorwarnung viele Deutsche, verluden alle Personen ihres Alters in Güterwagen und transportierten sie ab. Alle Mädchen weinten. Es geschah um die Mittagszeit, sie wurden zusammengetrieben und mit dem, was sie am Leibe trugen, zur Bahnstation gebracht. Später erfuhr sie, daß ihr Vater, als er aus dem Lager zurückkam und sie nicht mehr vorfand, sich auf die Knie warf und herzzerreißend schluchzte.
Da war sie nun in einem Güterwagen mit so vielen anderen Mädchen zusammengepfercht, und es gab kein Klo. Sie rissen eine Bohle heraus und machten ein Loch in den Boden. Es war ein langer Zug, und sie hatten in die Viehwagen hinaufklettern müssen, denn es gab nicht einmal die Planke, auf der sonst Kühe verladen wurden. »Die Deutschen haben uns einfach in den Waggon gestoßen und die Tür verriegelt. Sie brüllten niemanden an, sie schlugen uns nicht, aber sie waren sehr rigoros. Wir waren nicht die ersten, und auf jeder Station sammelten sie noch mehr Leute ein. Und nach weiteren Stops konnte man sich kaum noch bewegen.« Was sie in diesem Zug nach Deutschland erlebte, wird sie nie vergessen. »Kein Maler könnte das auf eine Leinwand bringen. Auf allen Gesichtern nur noch nackte Furcht, als ob das Leben vorbei wäre und der finstere Waggon das Inferno sei. Und dann mußten wir dieses Loch in den Boden machen.« Sie erinnert sich nicht, welches Werkzeug sie dafür benutzten; vielleicht war da bereits eine kleine Öffnung, und sie vergrößerten sie mit bloßen Händen.
Walja konnte nicht feststellen, durch welche Städte sie kamen, es wurde ihr nur gesagt, daß sie durch Polen fuhren. Dann kamen sie in ein Transitlager. Sie mußten sich in einer Reihe aufstellen, Männer wie Frauen, und alles ausziehen. Ihre Zähne wurden untersucht, als ob sie Pferde wären, ebenso jede andere Stelle ihres Körpers, und sie bekamen Spritzen. Es war sehr unangenehm; da standen sie alle in ihrer Nacktheit und wußten nicht, was geschehen würde. Sie empfand keine Scham, weil alle anderen ebenfalls ohne Kleider waren, aber es war unangenehm. Bis zum heutigen Tag ist Walja überzeugt, daß die Spritzen, die sie an jenem Tag bekam, schuld waren, daß sie später keine Kinder bekommen konnte.
Dann bekamen sie die Kleider zurück und verbrachten eine weitere Woche in diesem Zug. Es gab etwas Essen, einen Löffel Suppe, und soviel Platz, daß man auf dem Boden sitzen konnte – das war eine Verbesserung gegenüber der Fahrt von Weißrußland nach Polen. Aber allen stand immer noch das Grauen ins Gesicht geschrieben, als ob sie zur Hinrichtung geführt würden. Auch heute noch bricht Walja in Tränen aus, wenn sie sich daran erinnert.
Schließlich kamen sie in Frankfurt am Main an und wurden in der Nähe in einem Lager mit Holzbaracken untergebracht. Sie hörten, daß die Deutschen viele Menschen in riesigen Öfen verbrannten, aber sie und die anderen Mädchen waren jung und wurden zur Arbeit eingesetzt und nicht getötet. Trotzdem war jede, die nur ein wenig jüdisch aussah, in großer Gefahr. Im Lager gab es Holzpritschen ohne Decken und Kissen, so daß sie bei warmem Wetter lieber draußen schliefen. Nach kurzer Zeit bekamen sie fellgefütterte Holzschuhe und Jacken mit dem Aufdruck »OST«, damit jeder sehen konnte, woher sie kamen. Jeden Morgen um sieben gingen sie hinunter zum Zug, der sie nach Frankfurt brachte. Dort arbeiteten sie den ganzen Tag und kamen erst am späten Abend wieder zurück. Sie war neun Monate in diesem Lager. Walja sah nie, daß jemand erschossen wurde, aber einige Mädchen starben an Unterernährung.
Dann kam ein Tag im April 1945, an dem es keinen Zug gab und sie gezwungen waren, zu Fuß zur Arbeit zu gehen. Amerikanische Flugzeuge hatten in der vergangenen Nacht das Gebiet bombardiert, und Walja sah ein Bahngleis, das kerzengerade in die Luft stand. Sie wollte aus Angst vor einem weiteren Luftangriff nicht in das Lager zurückkehren und lieber in Frankfurt bleiben. Eine Freundin machte sich allein auf den Rückweg, aber nach ein paar Minuten dachte Walja: Was fange ich hier allein an? und lief ihrer Freundin nach. Im Lager ging das Gerücht, daß sie evakuiert würden, und alle hatten Angst. Würde man sie nun auch in Öfen stecken und verbrennen? Die ersten begannen zu flüchten. Walja mußte einen Hügel hinunter, der so steil war, daß sie ganze Strecken nur hinabrutschen konnte. An der gegenüberliegenden Seite des Tales war ein kleiner Wald mit ein paar Häusern. Ein Deutscher, der sich ihrer Gruppe angeschlossen hatte, zeigte ihnen einen Vorratsraum unter der Erde, in dem sie sich verstecken konnten. Dort blieben sie zehn Tage ohne Licht, bis der Krieg zu Ende war.
Walja erfuhr, daß über ihren Köpfen das totale Chaos geherrscht hatte. Dieser Deutsche hatte ihre Gruppe gerettet, denn das Lager war in den letzten Kämpfen zwischen den Deutschen und den Amerikanern zerstört worden. Nun sah sie zum ersten Mal in ihrem Leben Amerikaner. Es waren viele Neger unter ihnen. Sie erinnert sich, daß sie sehr nett, glücklich und lebendig aussahen, und so gutgebaut. Sie waren stolz, daß sie die Leute befreit hatten. Erstmals nach einem Jahr sah sie lächelnde Gesichter. Walja ist sicher, daß sie sich noch in ihrer letzten Stunde an diesen Tag erinnern wird, und wie es war, als sie wieder ans Licht gekrochen war und es ihr vorkam, als ob ihr Leben neu begonnen habe.
Walja weiß noch genau, wie ihr ein amerikanischer Soldat seine Feldflasche anbot und ihr ein großes Stück Schokolade gab. Sie hatte noch nie Schokolade gegessen, und in der Feldflasche war Wein. Da sie auch noch nie Alkohol zu sich genommen hatte, wurde ihr plötzlich schlecht. Und in all ihrer Glückseligkeit mußte sie sich übergeben.
Amerikanische Offiziere sagten ihr: »Wenn Sie nicht nach Rußland zurückkehren wollen, können Sie hierbleiben; wir werden Ihnen bei der Suche nach Arbeit behilflich sein.« Aber Walja fühlte, daß sie nicht auf der amerikanischen Seite bleiben konnte. Sie liebte ihren Vater und vermißte ihn so sehr. Also wurde sie mit anderen Mädchen, die ebenfalls zurückkehren wollten, in ein russisches Auffanglager in Frankfurt an der Oder geschickt, wo bereits Tausende auf die Repatriierung warteten. Aber bis dahin wurde es wieder Juni, sie arbeitete auf den Feldern, schied für die Kühe gutes Gras vom schlechten, molk die Kühe, kam in eine kleine Molkerei, die stolz als Butterfabrik firmierte, und bekam die Leitung über eine Abteilung, weil sie ihre Arbeit so gut machte. In der Molkerei lernte sie einen Mann kennen, den sie über alles liebgewann. Er war groß und sehr schüchtern, ein bescheidener, ein sehr guter Mensch. Es war eigentlich keine Beziehung, sie trafen sich nur jeden Abend nach der Arbeit und küßten einander. Er berührte nicht einmal ihre Brüste. Er sagte: »Wenn wir zurück in Rußland sind, heiraten wir.« Und sie hatte einen Traum, in dem sie ihn küßte und küßte und nicht damit aufhören konnte, aber als sie diesen Traum ihren Freundinnen erzählte, sagten die: »Das bedeutet, daß du ihn nie wiedersehen wirst.« Es stellte sich heraus, daß sie recht hatten, denn er wurde abkommandiert und konnte nicht einmal mehr Abschied nehmen. Sie weinte. Sie liebte ihn so sehr, weil sie noch nie so eine Zärtlichkeit erlebt hatte. Er war ihr zwei Monate so nahe gewesen und hatte nie gefragt, was mit ihrem Gesicht geschehen war. Er hatte sie behandelt, als ob sie etwas Besonderes wäre, während der Mann, den sie kurz darauf kennenlernte und der ihr Ehemann wurde, sie bereits beim zweiten Treffen fragte, warum ihre Wange so war, wie sie war.
Sie heiratete diesen zweiten Mann, aber bei dem ersten hatte sie sich geborgener gefühlt. Sie sah ihn nie wieder, obwohl sie in Briefwechsel standen. Selbst, als sie bereits verheiratet war, schrieb sie ihm, aber dann hörte sie damit auf. Der zweite Mann hatte sie trotz ihres Gesichts geheiratet, und dafür war sie ihm dankbar. Sie wollte ihn nicht verlieren. Deshalb hörte sie auf. Später schrieb ihr der erste Mann, daß er eine Lehrerin geheiratet habe und daß sie viel ins Theater und ins Kino gingen, und fügte hinzu: »Obwohl ich Dich nur zwei Monate kannte, gehört mein Herz Dir.« Und obwohl sie nur Küsse mit ihm getauscht hatte, liebt sie ihn noch immer und ist überzeugt, daß auch er sie noch liebt, falls er noch am Leben ist.
Kurz nachdem er weg war, kam regelmäßig ein Soldat in die Molkerei, der einem Lazarett in der Nähe zugeteilt war, um Essen für den Mann abzuholen, der ihr künftiger Ehemann wurde. Einmal fragte sie: »Für wen nehmen Sie das alles mit?« Er sagte: »Einer unserer Offiziere ist krank, es ist für ihn.« Sie sagte: »Richten Sie ihm meine besten Grüße aus, und wir möchten, daß er bald wieder gesund wird.« Sie sagte es einfach, um einem Kranken eine Freude zu machen. Doch als der Soldat zurückkam, sagte er: »Der Offizier schickt Ihnen ebenfalls seine besten Grüße.« Später stellte sich heraus, daß der Soldat ihrem Ehemann in spe erzählt hatte: »Eines von den Mädchen, die dort arbeiten, ist so freundlich und nett, sie hat mir sogar Essen gegeben.« Bald darauf wurde der Offizier mit der Oberaufsicht über die ganze Molkerei beauftragt. Er war groß und so penibel wie ein Deutscher. Eines Abends gingen alle Arbeiterinnen ins Kino, nur Walja – sie weiß nicht, warum – blieb zu Hause. Vielleicht war sie niedergeschlagen. Sie sah jemand in einer Lederjacke kommen – bis heute hat sie diese Lederjacke aufbewahrt–, und er sah sie rumsitzen und fragte: »Warum sind Sie nicht ausgegangen?« Dann stellte er fest, daß er sie schon gesehen hatte, und sagte: »Wollen wir uns nicht bekannt machen?« Wie es unter Leuten seines Rangs üblich war, lud er sie in sein Büro ein, und sie unterhielten sich. Er sagte: »Erzählen Sie mir Ihre Geschichte.« Sie erzählte ihm alles. Dann kam ein Freund von ihm, der Klavier spielen konnte, und der Offizier fragte sie: »Können Sie tanzen?« Und da niemand anderer zugegen war, forderte er sie auf. Danach sagte er: »Ich danke Ihnen für Ihre Grüße.« Erst in diesem Augenblick begriff Walja, daß er der Kranke gewesen war, dem sie Essen geschickt hatte.
Er war verheiratet. Das heißt, er hatte 1939 geheiratet, aber seine Frau hatte ihm in vier Jahren nur einen einzigen Brief geschickt und sich dann scheiden lassen, um einen Piloten zu heiraten. Der große Mann erzählte seine Geschichte und sagte, daß er mit dieser Frau keine Kinder hätte. Er zeigte ihr ein Foto. Seine frühere Frau war sehr attraktiv.
Dieser Offizier war fünfzehn Jahre älter als Walja und sehr streng, aber er taute auf, wenn er tanzte. Bereits am zweiten Abend erkundigte er sich nach ihrem Gesicht, und sie fühlte sich verletzt und weinte die ganze Nacht, sobald sie wieder allein war. Erst viel später erzählte sie ihm, wie sehr sie das getroffen hätte, denn er habe sie überhaupt noch nicht gekannt, aber bereits geküßt und solche Fragen gestellt.
Er war sehr intelligent und sehr kultiviert. Als sie verheiratet waren, entdeckte sie, daß er großes Taktgefühl besaß und daß es unmöglich war, ihn nicht zu lieben, aber es war eine andere Art von Liebe als ihre erste. Erste Liebe bleibt erste Liebe. Er war groß, schlank und stattlich, und den Stil, den er am ersten Abend gezeigt hatte, behielt er sein ganzes Leben. Er blieb immer ruhig und nett und sehr distinguiert. Noch am Ende ihres gemeinsamen Lebens, es ist erst wenige Jahre her, als er sehr krank war und hohes Fieber hatte, war er so korrekt, daß er, als ihn die Ambulanz abholte, fragte: »Walja, findest du, daß ich ohne Krawatte weg kann?« Sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
Sie waren in den folgenden neun Monaten in Deutschland meist zusammen. Sie lernten sich im August 1945 kennen und heirateten im Mai 1946. Ilja – das war sein Name, Ilja Prusakow – umwarb sie sehr korrekt. Er beschützte sie und begegnete ihr mit großer Zartheit. Sie kam nie auf die Idee, daß sie heiraten würden. Er behandelte sie sehr menschlich, und sie mochte ihn, aber er war oft krank. Er hatte sich in den Kämpfen ein Leiden zugezogen. Einmal in dieser Zeit mußte er wieder ins Lazarett, und sie konnte ihn nicht einmal finden – solche Besuche stießen auf unüberwindliche Hürden. Aber als er wieder herauskam, sagte er: »Sie haben in schwierigen Situationen soviel für mich getan, daß ich immer für Sie dasein werde. Ich würde Sie heiraten, falls Sie einverstanden sind, aber ich weiß, daß Sie sehr jung sind – ich kann Ihnen keinen Antrag machen, weil der Altersunterschied zu groß ist. Vielleicht finden Sie später jemand anderen, und ich werde eifersüchtig sein. Also würde ich mich zwar gerne erklären und Sie heiraten, aber die Entscheidung müssen Sie treffen.«
Er hatte eine sehr schlimme Knochenentzündung gehabt und danach eine andere Erkrankung, die mit hohem Fieber verbunden war, so daß er in ein anderes Lazarett mußte. Diesmal ließ er ihr Nachricht zukommen und bat sie, ihm Hühnersuppe zu bringen. Es war nicht möglich, ein Huhn aufzutreiben, aber Walja fand eine Polin, die Deutsch sprach und sie in eine Stadt mitnahm, in der sie ein Huhn kaufen konnte. Danach bat Ilja sie, ihm Tee mitzubringen, aber er mußte eine bestimmte Temperatur haben, denn mit einer warmen Flüssigkeit im Magen fühlte er sich besser. Also brachte sie ihm den Tee, damit er nicht kalt würde, im Laufschritt. Sie machte auch noch andere Dinge für ihn: sie reparierte seine Kleidung und war glücklich dabei. Sie wollte es tun. Er wiederum dachte für den Fall, daß sie ihn nicht heiraten wolle, über andere Möglichkeiten nach: »Ich kann Ihnen Stenographie beibringen. Ich möchte Sie immer in meiner Nähe haben.« Aber natürlich war sie mit der Heirat einverstanden. Auch als sich herausstellte, daß dieser schöne Offizier schwere Kriegsverletzungen hatte. Ein Bein war durch Kugeln aus einer Maschinenpistole schwer in Mitleidenschaft gezogen worden, und bei einer Explosion, die dicht neben ihm stattfand, hatte er eine Gehirnquetschung erlitten.
Inzwischen war die Molkerei geschlossen worden, doch Ilja, der sie immer um sich haben wollte, sorgte dafür, daß sie nun für russische Soldaten und Offiziere kochte. Sie war so voller Energie und so entzückend und glücklich und immer in Bewegung, daß Ilja sie woltschok – »mein Brummkreisel« nannte. Sie ihrerseits nannte ihn Ilitschka. Als sie beschlossen, in den Ehestand zu treten, fuhren sie für die nötigen Formalitäten nach Potsdam. Sie hatte kein hübsches Kleid, aber er kaufte ihr eines mit wunderschönen Stickereien, und sie erinnert sich, daß sie im Zug von Berlin nach Potsdam fuhren und daß sie selig war. Nun wußte sie sicher, daß er sie heiraten würde, denn er hatte seine Verwandten unterrichtet.
Zurückgekehrt nach Rußland, zogen sie bei seinen Leuten in Archangelsk ein. Das war etwas schwieriger. Archangelsk lag nordöstlich von Finnland, und sie waren nicht mehr zu zweit, sondern Teil einer Großfamilie im hohen Norden. Ilja änderte sich in der anderen Umgebung nicht; sein ganzes Leben verletzte oder beleidigte er sie nie, und bald liebte sie ihn so sehr und blickte ihn bei seiner Rückkehr vom Dienst mit solcher Bewunderung an, daß seine Mutter sagte: »Zeig nicht, wie glücklich du bist. Schau ihn nicht soviel an – du beschwörst das Böse.« In der Tat war es gefährlich, den Teufel wissen zu lassen, wie glücklich man war.
Die folgenden dreizehn Jahre lebten sie im Dunstkreis der Familie Prusakow. Das war für sie nicht überraschend gekommen. Bevor sie aufs Standesamt gingen, hatte Ilja gesagt: »Walja, du mußt wissen, daß ich meine Mutter nie verlassen werde.« Sie war also vorbereitet gewesen, daß sie nicht ihr eigenes Leben führen würden und daß seine Mutter großen Einfluß auf ihn hatte. Ilja hatte seine erste Frau aus dem Kururlaub mitgebracht, und seine Mutter Tatjana war darüber ganz und gar nicht entzückt gewesen. Daß ein Mann in Urlaub auf die Krim fuhr, dort eine Frau kennenlernte und sie heiratete, war ihrer Meinung nach eine miserable Idee und höchst unkultiviert. Was wußte man schon von dieser Person? Man hatte ein paar Wochen Spaß und dann war man verkauft; eine solche Frau war ausgekocht – sie hatte ihn ins Ehejoch gezwungen. Iljas Mutter hatte ihm von Anfang an gesagt, daß das keine seriöse Entscheidung gewesen sei, sondern bloße Leidenschaft, auf die sich keine Ehe bauen lasse. Sie hatte recht behalten. Die Verbindung hatte den schlimmen Krieg nicht überlebt.
Als Ilja jedoch mit Walja nach Hause kam, wurde sie von Tatjana akzeptiert. Und mehr oder weniger auch von seinen Schwestern. Gleichwohl waren alle überrascht. Ilja, dieser attraktive und gebildete Mann, hatte eine Frau geheiratet, deren Problem eine Narbe im Gesicht war. Alle sagten: »Konnte er keine passendere Partie machen?« Und natürlich redeten sie darüber. Aber Ilja liebte junge Frauen, und sie war jung.
Am Anfang fand sich Walja in dieser gebildeten Familie Prusakow schwer zurecht. Sie kam schließlich aus einem Dorf. Es war nicht leicht, sich so zu verhalten, wie es von ihr erwartet wurde, und es gab so viele neue Menschen, daß sie sich ein wenig ausgeschlossen fühlte. Aber sie war sehr lernbegierig, und Tatjana brachte ihr eine Menge bei. Tatjana war eine hervorragende Köchin, und da Walja ständig um sie war, konnte sie bald besser kochen als Iljas Schwestern. Es half auch, daß Ilja ohne Einschränkung zu ihr stand; er sagte: »Das ist die Frau, die ich liebe« – und das war’s. Er hatte sie aus Deutschland mitgebracht. Wenn man eine Frau nicht liebt, nimmt man sie nicht mit zurück in die Heimat.
In den ersten gemeinsamen Jahren wollte Walja Kinder haben und weinte jeden Monat aufs neue, doch Ilja tröstete sie: »Mach dir keine Gedanken.« Heute fragt sie sich, ob das für ihn überhaupt jemals ein Problem war. Im Alter sagte er sogar: »Vielleicht ist es gut, daß wir keine Kinder haben konnten. Schau dich um. Heutzutage taugen die Kinder nicht viel.«
Damals waren immer Leute um sie herum. Tatjanas Wohnung hatte drei Zimmer. Das erste, was sie Walja sagte, war: »Ich habe fünf Töchter. Nun bist du meine sechste.« Das freute Walja so sehr, daß sie Ilja noch doppelt so lieb gewann, denn sie begriff, daß Ilja bereits ein glückliches Familienleben gehabt hatte und daß seine Wahl bedeutete, daß er sie wirklich liebte. Es war nicht so, daß er sie bloß nötig hatte. In seiner Familie herrschte derselbe liebevolle Umgang wie in der ihren, und doch war es anders – sie hatten mehr Lebensart, mehr Kultur. Ein weiterer Grund, ihn noch mehr zu lieben – er hatte sie emporgehoben. Aber sie hatte nicht viel Freiheit. Sie fühlte sich nie unbeobachtet, und sie erinnert sich, daß sie einmal im Bett sogar weinte, weil sie sich auch da nicht mit ihm allein fühlte.
Eines Abends wurde ein Fotoalbum hervorgeholt, und Walja verspürte wieder den Unterschied zu ihrer Familie, die derlei nie gehabt hatte, arm, wie sie waren. Also fühlte sie sich höchst unbehaglich, als sie alle um den großen Tisch saßen und seine Mutter sie aufforderte: »Nun erzähl mir deine Geschichten, erzähl mir mehr über dich.« Glücklicherweise fuhr sie im selben Atemzug fort: »Du mußt nämlich wissen, daß Iljuschas erste Frau von einer Stiefmutter aufgezogen wurde.« Walja geriet außer Fassung und berührte den Fuß ihres Mannes unter dem Tisch, und er erwiderte den Druck, was sie als Aufforderung verstand: »Erzähl es ihr nicht.« Also ließ sie es bleiben. Aber später hakte ihre Schwiegermutter nach: »Warum sprichst du immer über deinen Vater? Warum erzählst du mir nie etwas über deine Mutter?« Also kam sie mit der Wahrheit heraus, daß sie ebenfalls von einer Stiefmutter großgezogen worden war.
In der Prusakow-Familie in Archangelsk lebte auch Iljas Schwester Klawdija mit ihren zwei Kindern Marina und Petja, die von verschiedenen Vätern stammten. Es gab in der Wohnung noch zwei andere Schwestern, Musja und Ljuba, aber der Mittelpunkt des Haushalts war Klawdijas Tochter Marina, fünf Jahre alt und besonders niedlich und aufgeweckt. Sie hatte wunderschöne große blaue Augen, und ihre Großmutter vergötterte sie. Marina war nicht eigentlich verzogen, sie war isbalowannaja – das heißt, sie hatte einfach zuviel Liebe erfahren. Es bestand gewiß die Neigung, Marina nachsichtiger zu behandeln, als strenge Eltern das gutheißen könnten. Aber sie war ein Kind, das man einfach gern haben mußte, und in der Schule bekam Marina gute Noten, und alles in der Familie drehte sich um sie.
Allerdings gab es keinen Vater, nur einen Stiefvater namens Alexander Medwedew, der Marina von Anfang an sehr gut behandelte, auch als ihm Klawdija den gemeinsamen Sohn Petja geboren hatte. Was mit Marinas richtigem Vater geschehen war, fand Walja nie heraus. Er war 1941 verschwunden, bevor Marina geboren wurde. Ilja drückte sich nie klar aus. Er sagte nur, daß Marinas abhanden gekommener Vater ein netter Mann gewesen sei. Klawdijas Schwester erzählte ihr, daß sie ihn einmal getroffen habe – er sei sehr attraktiv gewesen, mit suggestiven Augen, ein Ingenieur namens Nikolajew. Nikolajew und Ilja hatten zusammen eine neue kleine Stadt gebaut, in einem Terrain, in dem es vorher nur Wasser und Sumpf gegeben hatte. Die Stadt existiert, Sewerodwinks, etwa fünfzig Kilometer nördlich von Archangelsk.
Was Nikolajew betrifft, glaubt Walja, daß der Prusakow-Clan ihr nicht mehr über ihn erzählen wollte, um sich nicht selbst zu entehren. Vielleicht war Nikolajew bereits verheiratet gewesen, hatte Klawdija nur ein Kind gemacht und war dann verschwunden. Andererseits hatte sich das alles in der stalinistischen Zeit abgespielt. Also war es möglich, daß Nikolajew deportiert worden war. Walja erinnert sich, daß Stalin, als sie noch ein Kind gewesen war, einmal sagte: »Wir haben die Lebensbedingungen verbessert und wir haben mehr Freude am Leben.« Ein Mann in der Menge hatte zurückgeschrien: »Ja, soviel Freude, daß man heulen könnte.« Er kam dafür ins Gefängnis. Es war eine schreckliche Zeit. Also hatten die Leute keinen Grund, besonders gesprächig zu sein. Aber auf jeden Fall sagte Ilja immer, daß Nikolajew ein guter Mann gewesen sei.
Walja verstand nicht viel von diesen Dingen. Sie lebte zu Hause und half ihrer Schwiegermutter. Weder damals noch später ging sie jemals in Iljas Büro. Er hatte einen Posten im MWD (Minsterium für Innere Angelegenheiten) und dort blieb er auch. Sie hatte weder eine Ahnung, welcher Beschäftigung er dort nachging, noch, ob er für die Verwaltung oder die Produktion zuständig war. Sie wußte allerdings, daß es um Leute ging, die aufgrund irgendwelcher Verfehlungen verurteilt worden waren, in Fabriken oder Lagern zu arbeiten. Ilja hatte nie direkt mit diesen Leuten zu tun; er hatte mehr die Oberaufsicht über die Produktion. Seine Ansprechpartner waren die Direktoren der Fabriken. Er stand nicht an höchster Stelle, aber hatte große Verantwortung zu tragen, und sie meint, daß ihm das gefiel. In jedem Fall äußerte er ihr gegenüber nie Unzufriedenheit.
Auch wenn sie all diese Jahre mit Iljas Familie lebten, war es ein gutes Leben, denn immerhin hatten Walja und ihr Mann einen abgetrennten Raum. Sie durften nicht laut sein, aber es ließ sich durchaus so leben, auch wenn sie sich nicht echt auf den Sommer freuen konnte, denn Ilja wollte nicht Pilze suchen gehen. Im Sommer herrschte in Archangelsk eine derartige Mückenplage, daß es sich verbot, unter dem Vorwand des Pilzesammelns mit dem Ehemann auf einer Wiese endlich einmal allein zu sein.
Archangelsk war in jener Zeit noch keine große Stadt und hatte nicht viele Straßen. Die meisten waren schlammig oder mit Baumstämmen befestigt, aber die Dwina war tief, und Ozeanschiffe konnten aus dem Weißen Meer ein Stück flußaufwärts fahren. Es war nur viel zu kalt. Ilja hatte eine Art Arthritis im Rücken und ein wärmeres Klima nötig. 1951 zogen sie deshalb nach Minsk, erst Ilja, und Walja folgte ihm einen Monat später.
Am Anfang hatten sie nur ein Zimmer und mußten sich die Küche mit einer merkwürdigen Familie teilen, aber später bekamen sie aufgrund seines Postens eine bessere Wohnung. Und wieder wußte Walja nicht genau, was seine Aufgaben in diesem Sonderministerium waren, das in der Kontrolle der Produktion mit dem Kriegsministerium und dem Sicherheitsdienst verbunden war. Iljas Büro lag in demselben großen Gebäude, in dem auch der KGB residierte. Es war ein großes gelbes Bauwerk, vierstöckig, mit Säulen an der Vorderfront – ein großzügiges Regierungsgebäude, dessen Eingänge, wie Walja anmerkt, allerdings auffallend klein geraten waren.
Ilja war selbstredend Mitglied der Kommunistischen Partei, aber das war kaum je ein häusliches Thema, und er forderte sie nie auf, ebenfalls einzutreten. Eigentlich verlor er überhaupt kein Wort darüber. Er war kein hundertfünfzigprozentiger Apparatschik, aber er hatte Verantwortungsgefühl und er war loyal; er zahlte Gehälter korrekt aus und tat mit vollem Einsatz seine Pflicht. Wenn alle Kommunisten wie Ilja gewesen wären, dann hätte die Welt anders ausgesehen. Walja war jedenfalls nie jemandem begegnet, der rechtschaffener war als Ilja.
Walja konnte sich mit Minsk anfreunden. Die Stadt war im »Großen Vaterländischen Krieg« zweimal zerstört worden – einmal, als die Deutschen sie besetzten, und dann, als die Deutschen sich nach drei Jahren nach Polen zurückzogen. 90 Prozent von Minsk waren dem Erdboden gleichgemacht worden. Trotzdem wurde nach dem Krieg entschieden, die Stadt nicht woanders wieder aufzubauen, was einfacher gewesen wäre, sondern auf den Ruinen. Als Walja und Ilja sechs Jahre später hinzogen, war das Zentrum bereits in neuem Stil wiedererstanden. Die Stadt hatte ein völlig anderes Gesicht bekommen. Minsk war eine zersiedelte Stadtgemeinde gewesen, mit unzähligen Holzhäuschen, die sich eines an das andere lehnten. Nun war es eine prächtige Stadt mit vier- und fünfstöckigen Gebäuden aus gelbem Stein wie in Leningrad und breiten Straßen mit stattlichen Mietshäusern, die aussahen, als ob sie vor hundert Jahren gebaut worden wären. 1951 war Minsk eine saubere Stadt, frei von Ruinen, und das Nahrungsmittelangebot war imponierend: schwarzer Kaviar, roter Kaviar, zahlreiche Sorten Wurst und Käse. Sie und Ilja hatten nicht viel Geld, aber es reichte, und sie wohnten in der Nähe des Zentrums, das von deutschen Gefangenen hervorragend gebaut worden war, bevor sie in ihr Land entlassen worden waren. Sogar Iljas Mutter, die Archangelsk eigentlich nicht verlassen wollte, weil sie dort ihre schöne und billige Dreizimmerwohnung hatte, war beeindruckt, als sie auf Besuch kam. Nachdem sie ein paar Monate geblieben war, sagte sie: »Hier fühle ich mich wie im Himmel.« Zu dieser Zeit traf es sich, daß sie in eine Zweizimmerwohnung übersiedeln konnten. Und damit war für die folgenden Jahre aus dem Besuch ein Dauerzustand geworden. Tatjana, Walja und Ilja lebten zusammen in der kleinen Wohnung und teilten sich die Küche mit einem Nachbarn, der drei Kinder hatte und Staatsanwalt war. Sie kamen gut miteinander aus, und die Nachbarn waren sehr bekümmert, als sie auszogen. Sie sagten: »Wir werden nie wieder so nette Leute kennenlernen.« Das Klo war allerdings im Hof, und man mußte auch hinaus, wenn es unter Null oder noch kälter war, aber Walja fühlte sich damals sehr widerstandsfähig. Seit ihrer Kindheit war sie gewöhnt, ohne Schuhe herumzulaufen, aber Ilja, wenn er in der Nacht ebenfalls aufwachte, sagte: »Zieh Schuhe an.« Sie war auch als Kind im Schnee barfuß gegangen und sah eigentlich nicht ein, warum sie sich für die dreißig Meter zum Klo im Hof Schuhe anziehen sollte.
In dieser Periode, zwischen 1955 und 1960, fand Walja heraus, daß die Produktion, die Ilja überwachte, Gefangenenarbeit betraf. Er erzählte ihr nie etwas, aber befreundete Offiziere kamen zum Essen oder Trinken, und ihren Unterhaltungen entnahm sie, daß es um Planerfüllung ging, um gewissenhafte Arbeit und die Einhaltung der Termine. Doch als Mann und Frau sprachen sie nie darüber.
Walja konnte Geheimnisse für sich behalten. Wenn ihr aufgetragen wurde, über etwas den Mund zu halten, dann tat sie das auch. Einmal rief Ilja sie von einer Dienstreise an, kündigte ihr den Besuch eines Kollegen an und sagte ihr, sie solle ihm den Schlüssel zu seinem Tresor geben. Kurz darauf klopfte es, und ein Mann in Zivilkleidung kam herein und wollte den Schlüssel haben. Sie dachte sich: Vielleicht hat jemand das Telefon abgehört? und sagte: »Können Sie mir Ihren Ausweis zeigen?« Erst danach händigte sie ihm den Schlüssel aus. Später sagte der Kollege zu Ilja: »Sie haben eine vortreffliche Frau! Sie hat meinen Ausweis verlangt!« Walja wußte nicht, welche Art von Geheimmaterial Ilja in seinem Tresor hatte, aber wenn sie einen Auftrag bekam, erledigte sie ihn ordnungsgemäß.
Walja war ein einziges Mal in Leningrad, als Marina elf oder zwölf war. Klawdija lebte dort mit ihrem Mann Alexander Medwedew und inzwischen drei Kindern in einem Zimmer. Als Walja, Ilja und Tatjana ankamen, war es schwierig, alle acht Leute in diesem kleinen Raum unterzubringen. Besonders belastend war, daß Alexander Medwedew auch noch eine Mutter hatte, die Klawdija nicht leiden konnte und es unmöglich fand, daß ihr Sohn mit einer Frau verheiratet war, die ein Kind von einem anderen Mann hatte. Medwedews Mutter war eine sehr intelligente Frau, aber niederträchtig und fett, eine Hexe. Marinas Situation hatte sich nun verändert, sie war nicht mehr das Mittelpünktchen der Familie.
Die Schwierigkeiten waren nicht zu übersehen. Klawdija hatte Rheumatismus in fortgeschrittenem Stadium, und Ilja sagte einmal zu Walja: »Man kann sehen, wie krank sie ist.« Außerdem hatte sich Alexanders Verhalten gegenüber Marina verändert, seit seine eigenen zwei Kinder von Klawdija größer geworden waren. Er bestrafte Marina nun häufig, und es wurde schlimmer, nachdem Klawdija vor Marinas sechzehntem Geburtstag gestorben war. Zwei Jahre später schrieb Marina an Walja und Ilja nach Minsk, daß es mit ihrem Stiefvater nicht mehr auszuhalten sei, und fragte an, ob sie bei ihnen leben könne.
Walja war über das Ersuchen nicht gerade entzückt. Sie war der Verwandtschaft nachgerade müde. Sie zeigte es zwar nicht, aber all die Jahre hatte immer jemand aus Iljas Familie mit ihnen gelebt. Tatjana war sogar bei ihnen gestorben. In den letzten zehn Monaten ihres Lebens hatte Walja sie so aufopfernd gepflegt, daß sie, bevor sie verschied, sagte: »Nur dank dir habe ich so lange gelebt, Walja.« Ilja war der Pater familias, und das war richtig so, abgesehen davon, daß er erst im Bett Zeit für seine Frau hatte.
Als Marina jedoch am Bahnhof ankam und nur einen Koffer mitbrachte, tat sie Walja leid. Das Mädchen schien so überglücklich, daß es nach Minsk kommen durfte. Marina war schüchtern und eine Zeitlang außerordentlich fügsam. Einfach eine reizende Achtzehnjährige. Ihre Lippen hatten eine natürliche frische Farbe, sie benutzte keinen Lippenstift. Sie war sehr attraktiv, obwohl sie es tunlichst vermied, zu lächeln – ein Vorderzahn stand etwas vor. Alles wäre gut gewesen, wenn Walja ihr Leben nicht schon wieder mit einer Verwandten hätte teilen müssen.
Was den Haushalt betraf, hatte Marina wenig Ahnung. Wenn Walja sie bat, etwas zu tun, versuchte sie es zwar, aber sie konnte nicht kochen. Sie wusch ihre Sachen zwar selber, aber nicht mit sichtbarem Erfolg. Als sie eine Stelle in einer Krankenhausapotheke bekam, eine Arbeit, für die sie in Leningrad ausgebildet worden war, war sie, wenn sie heimkam, gewöhnlich zu müde, also hatte sie eigentlich keine Pflichten im Haushalt. Sie konnte ins Kino gehen, zu Parties, ins Theater. Da Walja schließlich nicht arbeiten ging, war die Wohnung ihre Obliegenheit. Manchmal schrubbte Marina die Böden und manchmal wusch sie auch ab, und wenn sie allein aß, hinterließ sie Walja keine schmutzigen Teller. Und sie hatte ihren Job. In der Pharmazie wurden Leute benötigt, und Marina liebte ihren Beruf. Sie sagte Walja und Ilja: »Ich werde euch kurieren«, denn sie hatte Zugang zu Arzneimitteln.
Das einzige Problem, das Walja auf sich zukommen sah, waren die Rendezvous, obwohl Marina äußerst kritisch war. Wenn ein junger Mann etwas Verkehrtes sagte oder ihr ein billiges Geschenk machte, gab sie ihm den Laufpaß. Sie erzählte Walja, daß sie in Leningrad einen Mann nicht mehr sehen wollte, weil er ihr billige Bonbons gekauft hatte. Ein so wählerisches Gehabe war für jemanden in ihrer Lage allerdings ungewöhnlich. Mädchen wie Marina, die nur eine Berufsausbildung hatten, waren nicht so hoch im Kurs wie Mädchen, die Institute oder die Universität besucht hatten. Also suchte die Elite der jungen Männer üblicherweise keine feste Beziehung zu diesen Mädchen. Aber Marina kaprizierte sich auf gebildete Männer.
Walja sah sie nie mit einem durchschnittlichen Mann ausgehen. Sie hatte eine Menge Freunde, alles Studenten, ging mit Larissa, ihrer besten Freundin, auf deren Parties und gab ihr ganzes Geld für Kleider aus. Ilja und Walja waren schließlich zu großzügig, um von ihr Kostgeld zu verlangen. Nur, wenn Marina Geld fürs Theater oder Kino brauchte, nähte sie sich ihre Kleider selber.
Sie war sehr fleißig. Sie nähte und stickte gern und schnitt Waljas alte Pelzmäntel auseinander, um sich daraus Hüte zu machen. Sie las auch viel, vor allem Theodore Dreiser, der damals sehr populär war. Es gab zwar Hunderte von Büchern in der Wohnung, denn Ilja hatte die gesammelten Werke berühmter russischer Dichter gekauft, und Walja las Tschechow, Tolstoij und Dostojewskij, Turgenjew, Puschkin, Gogol und Lermontow. Marina jedoch zog Dreiser vor. Schriftsteller wie Tschechow hatte sie bereits in der Schule durchackern müssen.
Alles in allem war es in Ordnung, daß Marina bei ihnen lebte. Ilja störte sich nicht daran, daß Marina keinen Beitrag zum Lebensunterhalt leistete, denn sie war bei ihrer Ankunft so arm gewesen, daß sie nicht einmal Unterwäsche hatte, und ihr Gehalt war klein. Sie brauchte soviel – Schuhe, Strümpfe, völlig neue Kleidung –, und Walja bemitleidete sie für das schwere Schicksal, das sie gehabt hatte. Marina sagte ihr sogar, daß sie ihr von Herzen zugetan sei. Sie sagte, Walja sei die erste Frau, die sie nett behandle und ihr alle Freiheit lasse, und Walja ihrerseits liebte sie dafür und hatte Mitleid mit ihr.
Ilja war wesentlich strenger. Er wartete unruhig, bis Marina endlich von einer abendlichen Verabredung zurückkam. Nicht alles ging zwischen ihnen glatt, denn Marina war außerdem schnippisch. Es gab da allerdings einen guterzogenen jungen Mann, den Ilja mochte, einen Medizinstudenten namens Sascha, und Ilja lud ihn sogar ein, bei ihnen Kaffee zu trinken. Und natürlich gab es nicht allzu viele Reibungspunkte, denn Marina kam selten spät nach Hause, wenn Ilja da war. Ihre ausgedehnteren nächtlichen Streifzüge reservierte sie für die Zeiten, in denen er auf Dienstreise war. Sie wußte, daß sie auf das Verständnis Waljas rechnen konnte. Sie hatte Walja erzählt, daß ihr Stiefvater sie ausgesperrt hatte, wenn sie zu spät kam, und daß sie auf dem Treppenabsatz hatte schlafen müssen. Walja hatte sehr geweint, als sie das hörte.
Sie fand es immer verwunderlich, daß Marina, als ihre Mutter gestorben war und ihr Stiefvater sie so schlecht behandelte, nicht schon früher eine ihrer Tanten oder Ilja gebeten hatte, sie aufzunehmen. »Warum blieb sie so lange in Leningrad – zwei weitere Jahre?« Denn Marina war geradezu neidisch, als sie schließlich kam. Sie sagte: »Was habt ihr doch hier für ein Paradies.« Walja begriff diese Bemerkung nicht, denn sie hatte niemanden, der ihr zur Hand ging. Wenn es wirklich so paradiesisch war, wie Marina es darstellte, dann nur, weil Walja so hart arbeitete, um diesen Zustand herzustellen.
Aber nochmals, es gab keine wirklichen Probleme mit Marina. Ihr Zimmer war immer aufgeräumt, und es gab auch keine Reibereien um die Toilette, die sich endlich in der Wohnung befand. Als Gegenleistung sagte Walja kein Wort, wenn Marina spät heimkam, denn sie verließ sich darauf, daß sie ein anständiges Mädchen war. Darum teilte Marina mit ihr ihre kleinen Geheimnisse. Walja wußte also Bescheid, welcher Freund in ihrer Gunst stand und welcher es sich mit ihr verscherzt hatte.
Aufgrund ihrer Stellung als Vertraute bedauerte Walja Sascha, als Marina ihn schlecht behandelte. Walja konnte es nicht mit ansehen, wenn Leute fertiggemacht wurden. Schließlich brachte Sascha jedesmal Blumen mit. Und wie Marina mit ihm Schlitten fuhr! Er war so in Marina verliebt, daß Ilja und Walja bereits begonnen hatten, ihn »Schwiegersöhnchen« zu nennen. Er tat Walja so leid, daß sie ihm eines Tages sagte, er müsse, wenn er Marina heiraten wolle, verstehen, daß sie in Leningrad eine sehr schwere Zeit gehabt habe. Sascha sagte: »Ich möchte darüber nichts hören.« Marina war gerade rechtzeitig heimgekommen, um noch einen Teil ihres Gesprächs mitzukriegen, zog Walja in die Küche, um ihr zu sagen, wie außer sich sie sei, und teilte dann Sascha mit: »Ich möchte Sie nie wiedersehen.«
Walja war sehr niedergeschlagen, aber was sollte sie tun? Marina hatte sich im Umgang mit ihrem Stiefvater daran gewöhnt, ihr eigener Herr zu sein. Es war Walja klar, daß keiner mehr wirklichen Einfluß auf sie ausüben konnte, denn sie hatte gravierende Entscheidungen ohne Mutter, ohne Vater treffen müssen. Walja wußte zum Beispiel, daß Marina rauchte. Ein Nachbar hatte sie in einem Restaurant rauchen sehen und es Walja weitererzählt. Es war ein glücklicher Zufall, daß Onkel Ilja auf Dienstreise war. Walja hatte gerade Zahnweh und sagte zu Marina: »Ich habe Tabletten genommen, aber sie helfen nicht. Es tut ziemlich weh. Gib mir eine Zigarette.« Marina war fassungslos. Sie sagte: »Ich habe keine.« Walja sagte: »Komm schon, lüg mich nicht an. Hol sie aus deiner Handtasche.« Marina sagte: »Schnüffelst du in meinen Sachen herum?« Walja beharrte: »Ich weiß, daß du rauchst, also gib mir eine gegen mein Zahnweh. Du weißt doch, Nikotin stillt den Schmerz.« Marina reichte ihr eine hübsche Schachtel mit langen, dünnen, sehr femininen Zigaretten. Walja nahm eine und sagte: »Hör besser damit auf. Sonst erzähle ich es Onkel Ilja.« Walja wußte natürlich, daß sie nicht aufhören wurde. Für Marina war Rauchen eine Attitüde, westlich, ein Hauch von Abenteuer. Wie die italienischen Filme. Marina war verrückt nach Fellini-Filmen. Diese Filme prägten auch ihre Vorstellungen. Einmal sagte sie Walja sogar, daß sie ihrer Meinung nach nicht zu Ilja passe: Offiziere würden immer gebildete Frauen heiraten. Walja erinnert sich noch immer daran, so tief war sie verwundet.
Walja war ihrem Gatten immer treu gewesen, aber Marina fand das unbegreiflich. Sie wollte Walja eine Affäre aufschwatzen. Sie drängte sie sogar. Da Walja mit Ilja kein Kind haben konnte, warum es dann nicht mit einem anderen versuchen? »Warum mußt du seinetwegen leiden?« Sie bot ihr sogar an, Schmiere zu stehen, falls Ilja überraschend nach Hause kommen sollte. »Du könntest erst deine Affäre haben und dann ein Baby.« Worauf Walja bemerkte: »Kann ich nicht. Wenn Ilja es herausfinden würde, würde er mich umbringen.« Natürlich war Ilja manchmal sehr streng mit Marina. Und Marina mochte das ganz und gar nicht. Niemand konnte sie brüskieren, ohne die Rechnung präsentiert zu bekommen. Einmal legten Walja und Marina Gurken ein und brauchten dafür Weichselblätter. Sie gingen zum Theater, vor dem ein Weichselbaum stand, und pflückten ein paar Blätter ab. Schon kam die Aufseherin des Parks angelaufen und begann zu keifen: »Was erlauben Sie sich? Wissen Sie nicht, warum wir das alles anpflanzen? Wissen Sie nicht, daß es zum Wohl aller Bürger geschieht? Und Sie kommen her und zerstören diese Schönheit!« Aber Marina gab ihr heraus: »Wissen Sie, was wir tun? Wir legen Gurken ein. Kommen Sie uns besuchen, dann bekommen Sie auch ein paar ab. Das ist vielleicht eine nützlichere Beschäftigung. Und wir tun hier schließlich nichts Unrechtes.« Wenn Marina nicht gewesen wäre, hätte Walja vielleicht Strafe zahlen müssen, aber Marina stand immer zu ihren Entscheidungen und war sicher, daß sie im Recht war.
An einem Abend im März 1961 war Ilja auf Geschäftsreise, und Marina ging zu einem Ball im Palast der Gewerkschaft. Sie kam sehr spät heim, weckte Walja auf und sagte: »Steh auf. Zeig, wie kultiviert du bist, denn ich habe einen Amerikaner mit nach Hause gebracht. Ich habe dir einen Amerikaner mitgebracht. Mach einen guten Kaffee.« Marina war völlig aufgedreht und sagte: »Ich hoffe, daß du dich gut benimmst.«
Natürlich erschrak Walja. Sie fröstelte beinahe in ihrem Bett. Wenn Marina zehn Jahre früher, zu Stalins Zeiten, mit einem Amerikaner durch diese Tür gekommen wäre, wären sie alle im Gefängnis gelandet. Aber 1961 hatten sich die Auffassungen doch sehr gewandelt – von Stalin zu Chruschtschow –, und Walja erinnert sich, daß sie doch nicht so durcheinander war und aufstand und Kaffee für den Amerikaner machte, der sehr nett und sehr sorgfältig gekleidet war. Sein Name war Alik, denn niemand – wie sie später erfuhr – sagte Lee, das klang wie Li, also ziemlich chinesisch. Es dauerte also etwas, bis sie herausbekam, daß sein voller Name Lee Harvey Oswald war.
2
Zierbengel
Sascha Piskalew, im Sommer 1958 siebzehn Jahre alt, schaffte die Aufnahmeprüfung in das Medizinische Institut von Minsk im ersten Anlauf nicht. Es war ein schwerer Schlag für ihn. Seit seiner Kindheit hatte Sascha davon geträumt, Arzt zu werden. Er war ein kränkliches Kind gewesen, also hatte er großen Respekt vor Menschen in Weiß und fand es wunderbar, wie sie ihn und andere Leute kurierten. Jeder, der Kranke gesund machen konnte, mußte etwas Besonderes sein. Als er seine Aufnahmeprüfung geschmissen hatte, bekam er einen Job im Laboratorium von Professor Bondarin und arbeitete dort als Assistent. Bondarin behandelte ihn gut. Obwohl Sascha sehr jung war, nannte ihn der hochgeachtete Professor immer beim Vornamen und beim Vatersnamen Nikolai, wobei er das gebräuchliche Sascha Nikolajewitsch zu einem vertraulichen, Saschas Jugend entsprechenden Sanitsch zusammenzog. 1960 gelang es Sascha, als Medizinstudent für die Abendkurse angenommen zu werden. Tagsüber arbeitete er nach wie vor bei Professor Bondarin.
Er freundete sich auch mit Konstantin Bondarin an, dem Neffen des Professors. Kostja hatte die Oberschule abgeschlossen, während Sascha Laborant war, und beide schafften gemeinsam die Aufnahmeprüfung für die Universität. Kostja hatte einen weiteren Freund namens Juri Mereschinski, den einzigen Sohn eines hochrangigen Wissenschaftlers. Sascha hatte kaum Zeit, mit diesen Söhnchen der privilegierten Klasse ihre Freizeit zu verbringen – er mußte Studium und Arbeit unter einen Hut bringen –, aber sie hatten gemeinsame Fächer und gingen manchmal danach zusammen aus.
In dieser Zeit begegnete er Marina. Sie war ein oder zwei Monate älter und wesentlich erfahrener. Er war fasziniert. Es dauerte nicht lange, bis er verrückt nach ihr war. Sie gingen ins Kino, er spielte Klavier für sie, sie hörten symphonische Musik. Tschaikowskij war ihr Favorit. Nach einem Monat gingen sie regelmäßig miteinander aus, und sie stellte ihn ihrem Onkel und ihrer Tante vor. Er wurde in ihre Dreizimmerwohnung in der Nähe der Oper eingeladen, und Walja fütterte ihn mit Gebäck und Tee. Sascha verehrte Marina sehr, aber sie sprachen nicht über Heirat. Ihre Verwandten begannen ihn sjatok, Zierbengel, zu nennen – ein wenig schmeichelhafter Ausdruck für einen Verliebten. Sie waren zwar nicht verlobt, aber es war damit zu rechnen. Und Sascha arbeitete und studierte eifrig, weil Marina in sein Leben getreten war. Er lebte von einer Verabredung zur anderen.
Sascha denkt heute, daß seine Studentenfreunde Juri und Kostja, die sich nach wie vor mit verschiedenen Freundinnen trafen, ihn auslachten, weil er die Beziehung so ernst nahm; sie verspotteten ihn manchmal und versuchten auch Marina aufzuziehen. Aber er wußte, daß sie bloß neidisch waren, weil er das hübscheste Mädchen hatte. Er glaubt allerdings nicht, daß sie den Scherz mit ihr allzu weit trieben, denn Marina hatte Haare auf den Zähnen, und wenn ihr jemand dumm kam, sagte sie: »Sie sind hier unerwünscht!« Er hatte auch nicht den Eindruck, daß sie ihm Marina ausspannen wollten. Es war ihm anzusehen, wie außerordentlich verliebt er war, und sie waren nur auf flüchtige Abenteuer aus. Deshalb gingen er und Marina auch selten mit ihnen aus. Vielleicht hatte er sogar ein wenig Angst, daß sie in die verkehrte Gesellschaft kommen könne. Wenn er sich mit Juri und Kostja traf, trank er, aber er betrank sich nicht und sprach nur ein wenig über Marina, aber nie in indezenter Weise. Was sie ihm erzählte, bewahrte er in seinem Herzen. Und weil ihm das Herz überging, wollte er einfach ihr Loblied singen.
Er hatte Marina auf einer der Studentenparties des Medizinischen Instituts kennengelernt, hatte sie einige Male zum Tanzen aufgefordert und sie dann gefragt, ob er sie nach Hause begleiten dürfe. Sie war eine vorzügliche Tänzerin, im Gegensatz zu ihm, aber mit ihr machte ihm das Tanzen viel mehr Spaß. Das empfand er als ungewöhnlich. Er war kein Freund von Bällen und hatte sich das Tanzen selber beigebracht. In den ersten Minuten kam er sich etwas linkisch vor, aber dann übernahm sie die Führung, und es war, als ob sie ihm mehr Leben einhauchte. Sie paßten gut zusammen. Er war eher klein, aber obwohl sie hohe Absätze trug, war er immer noch größer als sie.
Seit er Marina im Sommer 1960, als er neunzehn wurde, getroffen hatte, interessierte ihn kein anderes Mädchen mehr. Sie trafen sich einmal pro Woche, machten Spaziergänge und überlegten, ob sie das nächste Mal in die Oper, ins Theater, ins Konzert oder ins Ballett gehen wollten. »Der Nußknacker« war ihr Favorit. Sie teilten sich die Kosten. Das war für sie selbstverständlich, denn er studierte, und sie hatte Arbeit. Also kaufte er das eine Mal die Karten, und sie das nächste Mal. Er erinnert sich, daß die Karten damals einen oder anderthalb Rubel kosteten. Sie hätten auch auf die Galerie zu den anderen Studenten gehen können, wo die Sitze billiger waren, aber gewöhnlich nahmen sie Parkett. Das war teuer. Zwei Rubel war der Tageslohn eines durchschnittlichen Arbeiters.
Er war von ihrem Auftreten entzückt. Sie war anders als andere Mädchen. Auch ihre Manieren und die geschmackvolle Weise, in der sie sich kleidete, waren anders. Die Wohnung, in der sie mit ihrer Tante und ihrem Onkel lebte, hatte große Räume mit hohem Plafond und einen gediegenen Aufgang. Er erinnert sich, daß er sehr schüchtern war, als er das erste Mal zu Besuch kam, aber dann bat ihn Tante Walja in das Wohnzimmer, und es war einfach, sich mit ihr zu unterhalten. Sie war sehr umgänglich. Sie wirkte wie eine sehr einfache Person, aber der erste Eindruck trog, denn sie las sehr viel, und Sascha bekam den Eindruck, daß sie viel cleverer war, als sie nach außen zu erkennen gab.