Scanner leben vergebens - Cordwainer Smith - E-Book

Scanner leben vergebens E-Book

Cordwainer Smith

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Beschreibung

Die geheime Pflicht der Scanner

Weit in der Zukunft hat die Menschheit das Geheimnis des interstellaren Fluges entdeckt: Dank des „Ersten Effekts“ lassen sich die gewaltigen Distanzen zwischen den Sternen überwinden. Doch der Erste Effekt ist so schmerzhaft, dass nur bestimmte, zuvor veränderte Menschen, die sogenannten Scanner oder Habermänner, ihn ertragen können. Martel ist ein solcher Habermann. Wie sein Leben war, ehe er halb Mensch, halb Maschine wurde, weiß er schon gar nicht mehr. Aber das Menschsein ist selbst in der Zukunft nur schwer abzulegen …

Die Erzählung „Scanner leben vergebens“ erscheint als exklusives eBook Only bei Heyne und ist zusammen mit weiteren Stories von Cordwainer Smith auch in dem Sammelband „Was aus den Menschen wurde“ enthalten. Sie umfasst ca. 52 Buchseiten.

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Seitenzahl: 91

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CORDWAINER SMITH

SCANNER LEBEN VERGEBENS

Erzählung

Das Buch

Weit in der Zukunft hat die Menschheit das Geheimnis des interstellaren Fluges entdeckt: Dank des »Ersten Effekts« lassen sich die gewaltigen Distanzen zwischen den Sternen überwinden. Doch der Erste Effekt ist so schmerzhaft, dass nur bestimmte, zuvor veränderte Menschen, die sogenannten Scanner oder Habermänner, ihn ertragen können. Martel ist ein solcher Habermann. Wie sein Leben war, ehe er halb Mensch, halb Maschine wurde, weiß er schon gar nicht mehr. Aber das Menschsein ist selbst in der Zukunft nur schwer abzulegen …

Die Erzählung »Scanner leben vergebens« erscheint als exklusives E-Book Only bei Heyne und ist zusammen mit weiteren Stories von Cordwainer Smith auch in dem Sammelband »Was aus den Menschen wurde« enthalten. Sie umfasst ca. 52 Buchseiten.

Der Autor

Diese Erzählung ist dem Band Cordwainer Smith: »Was aus den Menschen wurde« entnommen.

Titel der Originalausgabe

Scanners Live in Vain

Aus dem Amerikanischen von Thomas Ziegler

Copyright © 1993 by The Estate of Paul Linebarger

Erstveröffentlichung in FANTASY BOOK, Januar 1950

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Stardust, München

Martel war zornig. Er war so aufgebracht, dass er noch nicht einmal auf die Idee kam, seinen Blutdruck nachzujustieren. Er stampfte quer durch den Raum, ohne etwas zu erkennen, nur nach Gefühl. Erst als er bemerkte, dass der Tisch umstürzte, und er an Luĉis Gesichtsausdruck erkannte, dass er dabei ein lautes Getöse verursacht hatte, blickte er an sich hinunter, um nachzusehen, ob er sich das Bein gebrochen hatte. Es war unversehrt. Scanner bis ins Innerste, musste er sich auch selbst immer scannen. Es geschah ganz automatisch, war wie ein Reflex. Die Überprüfung umfasste seine Beine, den Unterleib, den Brustkasten mit den Instrumenten, Hände, Arme, Gesicht und, mit Hilfe des Spiegels, den Rücken. Erst dann konnte Martel wieder zu seinem Zorn zurückkehren. Er benutzte seine Stimme, obwohl er wusste, dass seine Frau sein Brüllen hasste und es vorzog, wenn er schrieb.

»Ich sage dir, ich muss cranchen. Ich muss einfach cranchen. Es ist doch ganz allein meine Sache, findest du nicht?«

Als Luĉi antwortete, konnte er ihr nur einen Teil ihrer Worte von den Lippen ablesen. »Liebling … du bist mein Mann … Recht, dich zu lieben … gefährlich … es zu tun … gefährlich … warte …«

Er blickte sie an, erhob seine Stimme und fügte ihr damit noch mehr Schmerzen zu. »Ich sage dir, ich werde jetzt cranchen.« Als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, packte ihn die Reue, und ein wenig sanfter fuhr er fort: »Kannst du nicht verstehen, was es für mich bedeutet? Dem schrecklichen Gefängnis meines Kopfes zu entkommen. Wieder ein Mann zu sein – deine Stimme zu hören, Rauch zu riechen. Wieder zu fühlen – meine Füße auf dem Boden zu fühlen, zu spüren, wie die Luft über mein Gesicht streicht? Weißt du denn nicht, was es für mich bedeutet?«

Ihre großäugige, verärgerte Besorgnis stieß ihn in seinen Zorn zurück. Er las nur einige Worte, als sich ihre Lippen bewegten: »… liebe dich … zu deinem Besten … glaubst du nicht, dass auch ich dich wieder menschlich sehen will … zu deinem Besten … zu viel … er sagte … sie sagten …«

Als er sie anschrie, erkannte er, dass seine Stimme besonders schrecklich geklungen haben musste. Er wusste, dass der Klang sie nicht weniger verletzte als die Worte. »Glaubst du, ich wollte, dass du einen Scanner heiratest? Habe ich dir nicht gesagt, dass wir fast so armselig sind wie die Habermänner? Ich sage dir, wir sind tot. Wir müssen tot sein, um unsere Arbeit zu erledigen. Wie kann sich jemand sonst ins Auf-und-Hinaus trauen? Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie der endlose Weltraum ist? Ich habe dich gewarnt. Aber du hast mich geheiratet. In Ordnung, du hast einen Menschen geheiratet. Bitte, Liebling, lass mich ein Mensch sein. Lass mich deine Stimme hören, lass mich die Wärme fühlen, die es bedeutet, zu leben, menschlich zu sein. Bitte!«

Er sah ihren Blick, der bedrückte Zustimmung verriet, und wusste, dass seine Argumente gesiegt hatten. Er benutzte nicht noch einmal seine Stimme. Stattdessen nahm er die Tafel, die an seiner Brust hing, in die Hand. Er bekritzelte sie, benutzte den spitzen Nagel seines rechten Zeigefingers – den Sprechfinger eines Scanners – und malte schnelle gerade Buchstaben.

Bte, Lblng, wo st dr Crnchdraht?

Sie zog den langen vergoldeten Draht aus ihrer Schürzentasche und ließ die daran befestigte Feldkugel auf den teppichbedeckten Boden fallen. Rasch, beflissen, mit der resoluten Geschicklichkeit der Frau eines Scanners, wickelte sie den Cranchdraht um seinen Kopf, dann spiralförmig um Hals und Brust. Sie umging geschickt die Instrumente, die in seine Brust eingelassen waren. Sie umging sogar die Strahlungsnarben rund um diese Instrumente, die Wundmale der Männer, die hinaufgegangen und hinausgefahren waren. Mechanisch hob er den Fuß, als sie den Draht zwischen seinen Beinen hindurchzog. Sie straffte den Draht. Sie schloss den kleinen Stecker an den Hochspannungsschalter neben seinem Herzleser an. Sie half ihm, sich zu setzen, legte seine Hände zurecht, drückte seinen Kopf sanft an die Rückenlehne des Sessels. Sie drehte ihn so, dass sein Gesicht ihr ganz zugewandt war und er leicht von ihren Lippen ablesen konnte. Ihr Gesicht blieb unbewegt.

Sie kniete nieder, hob die Kugel am anderen Ende des Drahtes hoch, richtete sich gelassen auf, wandte ihm den Rücken zu. Er scannte sie und erkannte den Kummer, der aus ihrer Haltung sprach, der jedem anderen entgangen wäre, nicht aber den Augen eines Scanners. Sie sprach; er konnte erkennen, wie sich ihre Oberkörpermuskulatur bewegte. Sie bemerkte, dass sie ihn nicht ansah, und drehte sich so, dass ihre Lippen in seinem Blickfeld lagen.

»Bist du bereit?«

Er lächelte ein Ja.

Sie drehte ihm wieder den Rücken zu (Luĉi hatte es nie ertragen können, ihm zuzusehen, wenn er unter den Draht ging). Sie warf die Drahtkugel in die Luft. Sie verfing sich in dem Kraftfeld und blieb dort hängen. Plötzlich begann sie zu glühen. Das war alles. Alles – bis auf das plötzliche rote, stinkende Gebrüll, mit dem sich die Rückkehr seiner Sinne ankündigte. Die Rückkehr über die wilde Grenze aus Schmerz.

I

Als er unter dem Draht erwachte, hatte er nicht die Empfindung, als ob er soeben gecrancht hätte. Obwohl es das zweite Cranchen in einer Woche war, fühlte er sich kräftig. Er lag in dem Sessel. Seine Ohren tranken das Geräusch der Luft, die über die Gegenstände im Zimmer strich. Er hörte, wie Luĉi im angrenzenden Raum atmete, wo sie den Draht zum Kühlen aufhängte. Er roch die tausenderlei Düfte, die sich in jedem Haus befanden: die knusprige Frische des Bakterienbrenners, den süßsauren Geruch des Luftbefeuchters, den Duft des Essens, das sie gerade verzehrt hatten, die Gerüche der Kleidung, der Möbel, der Menschen selbst. All dies war reine Köstlichkeit. Er sang eine Strophe seines Lieblingsliedes:

So ist's für den Habermann, Auf-und-Hinaus!

Auf – oh – und hinaus – oh! Auf-und-Hinaus …

Er hörte Luĉi im Nebenzimmer kichern. Er weidete sich an dem Rascheln ihres Kleides, als sie über die Türschwelle huschte.

Sie schenkte ihm ihr aufgesetztes kleines Lächeln. »Es scheint, dir geht es gut. Ist mit dir auch wirklich alles in Ordnung?«

Trotz des Luxus seiner Sinne benutzte er wieder seine Scannerfähigkeiten. Er griff auf die blitzschnelle Überprüfung zurück, die zu seinen beruflichen Aufgaben gehörte. Seine Augen glitten über die Anzeigen der Instrumente. Nichts wirkte bedrohlich, nur der Nervendruck stand an der Grenze zu dem Bereich, der Gefahr bedeutete. Aber er brauchte sich um die Nervenbox keine Sorgen zu machen. Dies brachte das Cranchen immer mit sich. Man konnte nicht unter den Draht gehen, ohne dass sich Auswirkungen an der Nervenbox zeigten. Irgendwann würde die Box auf Überlastung ansteigen und dann zurückfallen bis zur Marke Tod.