Was aus den Menschen wurde - Cordwainer Smith - E-Book

Was aus den Menschen wurde E-Book

Cordwainer Smith

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Beschreibung

Dies ist die Geschichte der Zukunft

Willkommen in der fernen Zukunft der Menschheit! Dies ist die Geschichte der "Alten Kriege"; die Geschichte, wie die "Instrumentalität der Menschheit" entstand; die Geschichte der Scanner und Habermänner und ihrer legendären Reisen durch das All; die Geschichte, wie hinter dem Weltraum neue Räume entdeckt wurden; die Geschichte von der Fast-Unsterblichkeit und von Kreaturen, die die Menschen einst erschaffen haben; die Geschichte unseres Tanzes durch Raum und Zeit - dies ist die Geschichte, was aus den Menschen wurde!

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DAS BUCH

Dies ist die Geschichte der Zukunft. Die Geschichte der »Alten Kriege«; die Geschichte, wie die »Instrumentalität der Menschheit« entstand; die Geschichte der Scanner und Habermänner und ihrer legendären Reisen ins All; die Geschichte, wie hinter dem Weltraum neue Räume entdeckt wurden; die Geschichte von der Fast-Unsterblichkeit; die Geschichte jener Kreaturen, die die Menschen einst erschaffen hatten und die die Menschlichkeit weitertrugen; die Geschichte unseres Tanzes durch Raum und Zeit … Dies ist die Geschichte, was aus den Menschen wurde.

Ein literarisches Ereignis: »Was aus den Menschen wurde« versammelt erstmals vollständig und in korrekter Reihenfolge Cordwainer Smiths Erzählungen um die »Instrumentalität der Menschheit« – ein einzigartiges Zukunftsepos, das sich über fünfzehntausend Jahre erstreckt.

DER AUTOR

Cordwainer Smith war das Pseudonym von Paul Linebarger. 1913 in Milwaukee, Wisconsin geboren, verbrachte Linebarger seine Kindheit in den unterschiedlichsten Ländern, studierte Politikwissenschaft und war später Professor für Internationale Politik sowie militärischer und politischer Berater. Daneben schrieb er unter diversen Pseudonymen Kurzgeschichten und Romane. Seine Erzählungen um die »Instrumentalität der Menschheit«, die er unter dem Namen Cordwainer Smith veröffentlichte, machten ihn in den fünfziger und sechziger Jahren zu einem der intelligentesten und ungewöhnlichsten Science-Fiction-Autoren. Heute gelten diese Erzählungen als Meisterwerke der Zukunftsliteratur. Linebarger starb im August 1966.

Inhaltsverzeichnis

DAS BUCHDER AUTORVorwort von John J. PierceNein, nein, nicht Rogow!Krieg NR. 81-QModell ElfDie Königin des NachmittagsScanner leben vergebensDie Lady, die mit der Seele segelteAls die Menschen fielenDenk blau, zähl bis zweiDer Colonel kehrte aus dem Nimmernichts zurückDas Spiel Ratte und DracheDas brennende GehirnGustibles PlanetAllein im AnachronVerbrechen und Ruhm des Kommandanten SuzdalGolden war das Schiff – oh, so golden!Die tote Lady von ClowntownUnter der alten ErdeDas trunkene SchiffDie klainen Katsen von Mutter HudsonAlpha Ralpha BoulevardDie Ballade von der verlorenen K’mellEin Planet namens ShayolPlanet der EdelsteinePlanet der StürmePlanet des SandesWanderer durch den RaumHinab zu einer sonnenlosen SeeNachweiseCopyright

Vorwort von John J. Pierce

Im Jahr 1950 erschien in einem obskuren und äußerst kurzlebigen Magazin namens Fantasy Book eine Kurzgeschichte mit dem Titel »Scanner leben vergebens«. Niemand hatte zuvor jemals von dem Verfasser dieser Geschichte gehört: Cordwainer Smith. Und es schien damals, dass man auch niemals wieder in der Welt der Science Fiction von ihm hören würde.

»Scanner leben vergebens« jedoch war eine Story, die sich dagegen wehrte, in Vergessenheit zu geraten, und ihre Wiederveröffentlichung in zwei Kurzgeschichtenanthologien ermutigte den Autor ganz offensichtlich, sich nicht nur anderen Publikationsmärkten zuzuwenden, sondern um diese Story herum eine gigantische Geschichte der Zukunft zu errichten.

Heute gilt Cordwainer Smith als einer der kreativsten Science-Fiction-Autoren der modernen Zeit. Aber auch als einer der am wenigsten bekannten oder verstandenen. Nicht dass sich Dr. Paul Myron Anthony Linebarger (1913–1966) – das Pseudonym wurde ein Jahrzehnt nach dem Erstabdruck von »Scanner leben vergebens« gelüftet und war doch bis zu seinem Tod ein streng gehütetes Geheimnis – der Science Fiction geschämt hätte. Ganz im Gegenteil: Er war stolz auf das Genre und hat in einem Interview sogar einmal geschwärmt, dass die Science Fiction mehr Wissenschaftler angezogen hat als jedes andere Gebiet der Literatur.

Aber Linebarger war ein äußerst empfindsamer, ja »emotionaler« Schriftsteller, und es widerstrebte ihm, in eine enge Beziehung zu seinen Lesern zu treten; aus Furcht, sich in einer Form »erklären« zu müssen, die womöglich die Spontaneität seines Werkes zerstören konnte. Außerdem bereitete es ihm offenbar ein Vergnügen, als geheimnisvoller Mann zu gelten, so schwer zu fassen wie manche seiner Geschichten. Cordwainer Smith war ein Mythenschöpfer der Science Fiction  – und vielleicht war eine mythische Gestalt erforderlich, um solche Mythen zu schaffen.

Dabei war Paul Linebargers Leben ohnehin schon aufregender als das der meisten anderen Menschen. In Milwaukee geboren – sein Vater, ein pensionierter Richter, der die meiste Zeit in politischer Mission rund um die Welt unterwegs war, wollte sichergehen, dass der Sohn als ein in den USA geborener Bürger zumindest theoretisch einmal würde Präsident werden können – verbrachte er die prägenden Jahre in Japan, China, Frankreich und Deutschland. Er war Patensohn von Sun Yat-sen, des Gründers der chinesischen Republik, den sein Vater juristisch beriet, lernte sechs Sprachen und machte sich mit den unterschiedlichsten Kulturen vertraut. Mit dreiundzwanzig Jahren erhielt er den Doktor in Politikwissenschaft an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore  – wo er später auch viele Jahre lang Professor für Internationale Politik war – und veröffentlichte, neben der Herausgabe der Bücher seines Vaters, einige vielbeachtete Arbeiten über fernöstliche Politik.

Daneben arbeitete er für den Geheimdienst der U.S. Army – trotz partieller Blindheit und einem allgemein schlechten Gesundheitszustand –, und als der Zweite Weltkrieg ausbrach, nutzte er seine Stellung im »Operation Planning and Intelligence Board«, um für die Teilnehmer an einer Geheimdienstoperation in China Qualifikationen zu verlangen, die nur er allein erfüllen konnte. So kam er als Army Lieutenant nach Chungking und setzte seine theoretischen Kenntnisse in psychologischer Kriegsführung in die Praxis um; nach Kriegsende schrieb er ein Buch über das Thema, das noch immer als eine der wichtigsten Arbeiten auf diesem Gebiet gilt. Später arbeitete er für die CIA und war Berater der britischen Streitkräfte in Malaya und der US-Armee in Korea, führendes Mitglied der »Foreign Policy Association« und einer der Asienexperten im Beraterstab Präsident Kennedys. Erst mit dem Vietnamkrieg änderte sich Linebargers Einstellung zur Außenpolitik seines Landes – er hielt das dortige amerikanische Engagement für einen großen Fehler.

Dies war das eine Leben von Paul Linebarger. Das andere war das eines Schriftstellers. Schon in seiner Kindheit hatte er sich der Literatur, insbesondere der Science Fiction, zugewandt  – da er lange Jahre in Deutschland lebte, standen auf seiner Favoritenliste neben den Klassikern von Jules Verne und H. G. Wells Werke wie Alfred Döblins »Berge, Meere und Giganten« – und mit fünfzehn in einem Schulmagazin seine erste Story »Krieg Nr. 81-Q« veröffentlicht (die er später vollständig überarbeitete). In den dreißiger Jahren dann schrieb er Geschichten, die im alten oder modernen China spielten. Keine davon wurde jemals publiziert, aber ihre Qualität ist bemerkenswert – in einigen verwandte er die gleichen chinesischen Erzähltechniken, die später in Science-Fiction-Arbeiten wie »Die tote Lady von Clowntown« zum Einsatz kamen.

Und schon früh begann auch das Spiel mit den Pseudonymen: »Krieg Nr. 81-Q« erschien unter dem Namen Anthony Bearden, einem Pseudonym, das Linebarger später vor allem für Gedichte benutzte; als Felix C. Forrest – ein Spiel mit seinem chinesischen Namen Lin Bai-Lo (»Wald des strahlenden Glücks«), der ihm von Sun Yat-sen verliehen worden war – schrieb er in den späten dreißiger Jahren zwei Novellen, die nach dem Krieg veröffentlicht wurden; und Carmichael Smith war der offizielle Verfasser des Spionagethrillers »Atomsk«, der in der Sowjetunion spielte.

Die Karriere in der Science Fiction allerdings – die Karriere von Cordwainer Smith – begann eher unvermittelt. Linebarger mag während des Krieges amerikanischen Science-Fiction-Magazinen einige Stories angeboten haben, erschienen ist nie etwas davon. Auch die Geschichte »Scanner leben vergebens«, die er nach seiner Rückkehr in die USA 1945 in den Arbeitspausen im Pentagon schrieb, wurde von allen großen Genre-Magazinen abgelehnt. Fantasy Book, wo er sie fünf Jahre später als letzte Möglichkeit anbot, zahlte nicht einmal für die Veröffentlichung, und so begann Linebarger schwer daran zu zweifeln, dass man ihn in der Science Fiction je willkommen heißen würde.

Doch es gab Leser, die aufmerksam wurden. Unabhängig davon, dass Fantasy Book zuvor kaum je eine wirklich anspruchsvolle Geschichte veröffentlicht hatte, unabhängig davon, dass der Autor völlig unbekannt war – »Scanner leben vergebens« gefiel ihnen.

»Martel war zornig. Er war so aufgebracht, dass er noch nicht einmal auf die Idee kam, seinen Blutdruck nachzujustieren …« Es war mehr als die bizarre Ausgangssituation in »Scanner leben vergebens«, die die Aufmerksamkeit auf sich zog, es war die Art, wie sie behandelt wurde. Von den ersten Zeilen an wurden die Leser Teil von Martels Universum – eines Universums, das trotz all seiner Fremdartigkeit so wirklich wie unser eigenes erschien. Sie waren gefesselt und ganz bestimmt auch verzaubert. Wer war diese »Instrumentalität der Menschheit«, die selbst den Scannern Furcht einflößte? Wer waren die »Bestien« und die »Manshonyagger« und die »Heillosen«? Man konnte ihre Bedeutung für den Helden spüren, aber davon abgesehen … konnte man sich nur wundern.

Linebarger wusste weitaus mehr über sein Universum, als er verriet – ja, mehr, als er jemals verraten würde. Dieses Universum hatte sich in seinem Kopf zu bilden begonnen seit der Zeit, als er »Krieg Nr. 81-Q« schrieb, und es gewann seine entscheidende Form in den Jahren zwischen 1930 und 1940, in denen er in einem geheimen Notizbuch seine Geschichte der Zukunft skizzierte – Notizen, auf die er später immer wieder zurückgreifen würde. Tatsächlich hatte er bereits in »Krieg Nr. 81-Q« Anspielungen auf die »Instrumentalität« eingeflochten – jene allmächtige elitäre Hierarchie, die zum Zentrum der Cordwainer-Smith-Stories werden sollte.

Diese Bezeichnung hatte, typisch für Linebarger, mehr Bedeutung, als es zunächst schien. Er war in einer Familie streng gläubiger Anglikaner aufgewachsen, und das Wort »Instrumentalität« besitzt einen ganz besonderen religiösen Unterton: In der römisch-katholischen und der episkopalischen Theologie vollführt der Priester das Sakrament in der »Instrumentalität« Gottes. So hat in Cordwainer Smith’ Zukunftsepos die Instrumentalität der Menschheit Merkmale einer politischen Elite wie auch einer Priesterkaste. Ihre Hegemonie ist nicht die eines galaktischen Imperiums – wie es in der Science Fiction jener Zeit eigentlich üblich war –, sondern sie ist weitaus kunstvoller und umfassender, gleichzeitig politisch wie spirituell. Die Lords der Instrumentalität sehen sich nicht nur als einfache Herrscher oder Politiker oder Bürokraten, sondern als Instrument des menschlichen Schicksals.

Linebargers Sinn für Religion erfüllte sein Werk auf mannigfaltige Weise und erschöpfte sich nicht nur in Anspielungen auf die »Alte Starke Religion«. So gibt es eine Betonung quasi-religiöser Rituale (man vergleiche nur den Kodex der Scanner mit dem Spruch des Gesetzes in H. G. Wells’ »Die Insel des Dr. Moreau«); so gibt es das ausgeprägte Modell der Berufung in Gestalt der Scanner, Segler, Lichtstecher, Go-Kapitäne und der Lords der Instrumentalität selbst – etwas sehr Spirituelles, auch wenn es nicht in religiösen Begriffen ausgedrückt wird.

Doch Linebarger war kein christlicher Apologet, der die Science Fiction als Medium für orthodoxe religiöse Botschaften benutzte wie etwa C. S. Lewis. Er war vor allem ein sozialer und psychologischer Denker, dessen Erfahrungen mit den unterschiedlichsten Kulturen der Welt ihm einzigartige und scheinbar widersprüchliche Ideen über die menschliche Natur und Moral vermittelt hatten. So bewunderte er beispielsweise Samurai-Werte wie Schöpferkraft, Mut und Ehre und zeigte in seinen Texten generell seine Verbundenheit mit orientalischer Kunst und Literatur. Dennoch war er so schockiert von dem traditionsgebundenen Fatalismus und der Gleichgültigkeit dem menschlichen Leben gegenüber, wie er es in Asien vorfand, dass er geradezu eine Besessenheit gegenüber der »Heiligkeit des Lebens« entwickelte – er empfand das Leben als etwas zu Wertvolles, um es irgendeinem Konzept von Ehre oder Moral zu opfern, ob nun im Sinne des Orients oder des Okzidents. (Als er sich in Korea aufhielt, erreichte Linebarger eine Botschaft chinesischer Soldaten, die eigentlich kapitulieren wollten, es aber als beschämend erachteten, die Waffen zu strecken. Er verfasste eine Schrift, die erklärte, wie sich die Soldaten trotzdem ergeben konnten  – indem sie die chinesischen Worte für »Liebe«, »Pflicht«, »Menschlichkeit« und »Tugend« riefen, Worte, die, wenn sie in dieser Reihenfolge genannt wurden, wie das englische »Ich ergebe mich« klangen. Er hielt dies für die wertvollste Tat, die er in seinem Leben vollbracht hatte.) Diese Einstellung spiegelt sich vor allem in der scheinbar beiläufigen Art, mit der in den Geschichten Themen wie Gehirnwäsche behandelt werden; für den Jäger und Elaine am Ende von »Die tote Lady von Clowntown« etwa ist es ein menschlicheres, wenn auch weniger »ehrenvolles« Schicksal als der Tod. In Linebargers Sicht ist das Leben eben immer an oberster Stelle angesiedelt, wie stark auch sonst der orientalische Kodex von Ehre und Wahrung der Form die hybride Kultur seiner Zukunft durchdringen mag.

Und er war der festen Überzeugung, dass das Leben mehr als bloßes Leben war. »Der Gott, an den er glaubte, hatte mit der Seele des Menschen und der Entfaltung der Geschichte und dem Schicksal aller lebenden Kreaturen zu tun«, sagte einmal einer seiner Freunde, und so ist es die Erforschung des menschlichen – ja, mehr als menschlichen – Schicksals, die Linebargers Geschichten Harmonie verleiht. Hinter all den erfundenen Kulturen, hinter den komplizierten Verwicklungen der Handlung und dem Glück oder dem Leid der Charaktere steht der Autor als Philosoph, der ähnlich wie Teilhard de Chardin (obwohl es keinen Hinweis auf einen direkten Einfluss gibt) versuchte, Wissenschaft und Religion miteinander zu versöhnen, eine Synthese zwischen Christentum und Evolution zu schaffen, die Licht auf die Natur des Menschen und die Bedeutung der Geschichte werfen sollte.

Die Erzählungen in dieser Sammlung, zum ersten Mal vollständig und in ihrer korrekten Reihenfolge geordnet, sind der veröffentlichte Teil einer riesigen »Future History«, die sich über etwa fünfzehntausend Jahre erstreckt. Zu Beginn wird die Menschheit noch gepeinigt von den »Alten Kriegen« und dem »Dunklen Zeitalter«, das folgte. Es gibt Hinweise auf Jahrtausende des Stillstandes, in denen die »Wahren Menschen« Perfektion hinter den Mauern ihrer Städte suchten, während die »Wilden« als Überlebende der Alten Welt zurückblieben – eben die Bestien, die Manshonyagger, die Heillosen. In dieser Zukunft erscheinen die Vom-Acht-Schwestern  – Töchter eines deutschen Wissenschaftlers, der sie gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in Satelliten einschloss und ihre Lebensfunktionen verlangsamte – und bringen der Menschheit das »Geschenk der Vitalität«, ein Konzept, das für Linebarger offenbar das bedeutete, was für Bergson und Shaw »Lebenskraft« war. Als Gründer der Vomact-Familie repräsentieren sie eine Kraft in der menschlichen Natur, die gut oder böse sein kann, doch womöglich am Ende nichts von beidem ist, sondern lediglich ein notwendiges Element in der menschlichen Evolution. (Die duale Natur der Vomacts und die Macht, die sie repräsentieren, wird im Ursprung ihres Namens symbolisiert; im deutschen Wort »Acht« liegt eine doppelte Bedeutung: »vogelfrei« oder »verboten« sowie »aufpassen« oder »Vorsicht«. Die Vomacts wirken in den Geschichten abwechselnd als Ausgestoßene oder Wohltäter.)

Dieses Geschenk der Vitalität setzt einen neuen Zyklus der Geschichte in Gang – das heroische Zeitalter der Scanner, Lichtstecher und Go-Kapitäne beginnt. Was an den frühen Erzählungen so beeindruckt, ist die Fülle der emotionalen Zustände – all die seltsamen neuen Erfahrungen und Beziehungen wie die telepathische Symbiose der Menschen und Katzen in »Das Spiel Ratte und Drache« oder die Frau, die zu einem Teil ihres Raumschiffes wird, in »Die Lady, die mit der Seele segelte«.

Etliche von Linebargers eigenen Erfahrungen flossen in seine literarischen Arbeiten ein. Kapitän Wow war der Name einer seiner Katzen in seiner Washingtoner Wohnung, als er »Das Spiel Ratte und Drache« an einem einzigen Tag des Jahres 1954 schrieb; die Katze Melanie inspirierte ihn später zu K’mell, Heldin der »Untermenschen«, die von den Menschen aus Tieren erschaffen werden; und Linebargers wiederholte Aufenthalte in Krankenhäusern, die Abhängigkeit von der medizinischen Technik, vermittelten ihm ein Gefühl für die Verbindung von Mensch und Maschine.

In »Das brennende Gehirn« beginnen wir dann Zeichen der »Genussrevolution« zu erkennen, eine Entwicklung, die Linebarger in seiner eigenen Zeit verabscheute und in der er das Ende des heroischen Zeitalters in seiner erdachten Zukunft erkannte. Fast-Unsterblichkeit – dank der Santaclara-Droge (oder »Stroon« genannt), die auf Norstrilia gewonnen wird – macht das Leben weniger hoffnungslos, aber ebenso weniger bedeutungsvoll. Reale Erfahrung bereitet den Weg für synthetische Erfahrung; in »Golden war das Schiff – oh, so golden!« sucht der Held Genuss direkt durch die Wirkung elektrischen Stroms, und nur eine epochale Krise bietet ihm die Chance, zu erkennen, dass es einen anderen, besseren Weg gibt. Unter der unbarmherzigen Güte der Instrumentalität nimmt ein Utopia Gestalt an: Die Menschen sind frei von der Furcht vor dem Tod, der Bürde der Arbeit, den Risiken des Unbekannten – sie sind aber auch der Hoffnung und der inneren Freiheit beraubt. Das Geschenk der Vitalität ist offenbar verloren; die Geschichte kommt zum Stillstand.

In diesem Abschnitt der Zukunft sind es die Untermenschen, die die Rettung in ihren Händen halten, die sich als menschlicher als die Menschen erweisen. In »Die tote Lady von Clowntown« müssen die verachteten, von Tieren abstammenden Arbeiter den Menschen die Bedeutung der Menschlichkeit lehren, um die Zivilisation aus ihrer scheinbaren Glückseligkeit zu befreien. Und so wird für Paul und Virginia in »Alpha Ralpha Boulevard« die einst verlorene Vergangenheit mit technischen Mitteln wiedererweckt – und wieder beginnt ein neuer historischer Abschnitt, eine neue Form von »Menschsein«.

Parallel zu diesen Ereignissen gibt es flüchtige Blicke auf andere Teile des Universums der Instrumentalität. In »Die klainen Katsen von Mutter Hudson« etwa wird deutlich, warum Altnordaustralien der bestgeschützte Planet der Galaxis ist. Und wo gibt es in der Science Fiction eine ähnliche Welt wie in »Ein Planet namens Shayol«, wo ein kühnes biotechnisches Konzept mit der klassischen Vision der Hölle vereinigt ist?

Orientalische Erzählformen, vor allem in »Die tote Lady von Clowntown« und »Die Ballade von der verlorenen K’mell«, dominieren in den späteren Geschichten. Ihre Mythen sind mutmaßlich Auslegungen von bekannten Legenden – aber wie viel von dem, was in »Unter der alten Erde« geschildert wird, hat wirklich jemals stattgefunden? Linebarger hat seine Zukunft nicht auf dem Reißbrett entworfen – er erzählt sie, als wäre sie selbst schon wieder Teil von Sagen und Legenden, von nie endenden Spekulationen derer, die danach kommen. Sein Universum bleibt unendlich größer als unsere Kenntnis von ihm – wir werden niemals erfahren, welches Imperium einst die Erde eroberte und über den Alpha Ralpha Boulevard Tribut empfing; oder was aus den Katzenmenschen wurde, die in »Verbrechen und Ruhm des Kommandanten Suzdal« auftauchen.

Und wir werden niemals erfahren, wohin Linebarger uns wirklich führen wollte. Was kommt nach der Wiederentdeckung des Menschen und der Befreiung der Untermenschen durch K’mell? Es gibt Hinweise auf ein gemeinsames Schicksal von Menschen und Untermenschen – einem religiösen Höhepunkt der Geschichte vielleicht. Aber nur Hinweise.

So wird das Werk Paul Linebargers – das in der Science Fiction, ja der gesamten Literatur einzigartige Werk Cordwainer Smiths – immer seine Rätsel bewahren. Doch genau das ist ein Teil seines Reizes. Beim Lesen dieser Geschichten wird man durch Geschehnisse verzaubert, die so real sind wie das Leben selbst. Und ebenso geheimnisvoll.

Der Amerikaner John J. Pierce ist Lektor und Herausgeber und einer der bedeutendsten Experten für die Geschichte der Science Fiction.

Nein, nein, nicht Rogow!

Die goldene Gestalt auf den goldenen Stufen zitterte und flatterte wie ein wahnsinnig gewordener Vogel – wie ein Vogel, der trotz seines Intellekts und seiner Seele durch eine Ekstase und ein Entsetzen, die jenseits aller menschlichen Vorstellungskraft lagen, seinen Verstand verloren hatte. Und die Ekstase war eins geworden mit der Gegenwart, in der Vermählung mit der allerhöchsten Kunst. Tausend Welten nahmen daran teil.

Hätte man die alte Zeitrechnung fortgeschrieben, wäre das jetzt das Jahr 13. 582 A.D. Nach Niederlagen, nach Enttäuschungen, nach Zerstörung und Wiederaufbau hatte die Menschheit die Sterne erreicht.

Aus der Begegnung mit unmenschlicher Kunst, aus der Konfrontation mit nichtmenschlichen Tänzen hatte die Menschheit etwas unsagbar Prächtiges geschaffen und auf die Bühne der Welten gehoben.

Die goldenen Stufen wirbelten vor den Augen. Einige Augen waren mit einer Netzhaut versehen. Andere Augen bestanden aus kristallenen Kegeln. Dennoch waren alle Blicke auf die goldene Gestalt gerichtet, die »Ruhm und Erfolg des Menschen« auf dem Interwelten-Tanzfestival darstellte, in einer Zeit, die das Jahr 13.582 A.D. hätte sein können.

Erneut gewann die Menschheit den Wettbewerb. Musik und Tanz wirkten hypnotisierend über alle Grenzen der Systeme hinaus und bannten die Blicke, schockierten die Augen menschlicher und nichtmenschlicher Wesen. Der Tanz war ein Triumph des Schocks – des Schocks, den dynamische Schönheit erzeugt.

Die goldene Gestalt auf den goldenen Stufen verlieh verworrenen Bedeutungen hell schimmernd Ausdruck. Der Körper war golden und dennoch menschlich. Der Körper war weiblich und mehr noch als weiblich. Auf den goldenen Stufen, in dem goldenen Licht, zitterte und flatterte sie wie ein Vogel, der von Sinnen war.

I

Der Staatssicherheitsminister war zutiefst schockiert, als sich herausstellte, dass ein eher heldenhafter als kluger Agent der Nazis fast bis zu N. Rogow vorgedrungen war.

Rogow war für die Streitkräfte der Sowjets wertvoller als zwei Flugzeuggeschwader oder drei motorisierte Divisionen. Sein Gehirn war eine Waffe, eine Waffe im Dienst der Sowjetmacht.

Und da sein Gehirn eine Waffe war, war Rogow ein Gefangener. Doch das machte ihm nichts aus.

Rogow war ein typischer Russe, breitgesichtig, mit sandfarbenem Haar, blauen Augen, einem listigen Lächeln und humorvollen Wangengrübchen.

»Natürlich bin ich ein Gefangener«, pflegte Rogow zu sagen. »Ich bin ein Gefangener des Staates, der dem sowjetischen Volk dient. Aber die Arbeiter und Bauern sind gut zu mir. Ich bin Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Generalmajor der Luftstreitkräfte der Roten Armee, Professor an der Universität von Charkow und Stellvertretender Arbeitsdirektor des Kampfflugzeug-Produktionsbetriebes Rote Fahne. Von allen beziehe ich ein Gehalt.«

Manchmal musterte er seine russischen Gelehrtenkollegen mit verengten Augen und fragte sie in vollem Ernst: »Würde ich denn Kapitalisten dienen?«

Die entsetzten Kollegen überwanden dann stotternd ihre Verwirrung und beteuerten ihre ewige Loyalität zu Stalin oder Berija oder Schukow oder Molotow oder Bulganin, je nachdem, was gerade erforderlich war.

Rogow wirkte stets sehr russisch: gelassen, spöttisch, amüsiert. Er ließ sie stottern.

Und dann lachte er.

Sein Ernst wich Vergnügtheit und explodierte in einem blubbernden, überschäumenden, humorvollen Gelächter. »Natürlich könnte ich niemals Kapitalisten dienen. Meine kleine Anastasia würde mir das nicht erlauben.«

Die Kollegen lächelten dann unbehaglich und wünschten, dass Rogow nicht so wilde oder so komödiantenhafte oder so freie Reden führen würde.

Selbst Rogow konnte der Tod ereilen.

Rogow glaubte das zwar nicht.

Aber sie.

Rogow fürchtete sich vor gar nichts.

Die meisten seiner Kollegen fürchteten sich voreinander, vor dem Sowjetsystem, vor der Welt, dem Leben, dem Tod.

Vielleicht war Rogow einst gewöhnlich und sterblich wie die anderen Menschen und voller Angst gewesen.

Doch jetzt war er der Liebhaber, der Kollege, der Ehemann von Anastasia Fjodorowa Cherpas.

Genossin Cherpas war seine Rivalin, seine Gegenspielerin und Konkurrentin gewesen im Wettkampf um wissenschaftliche Anerkennung unter all den tollkühnen slawischen Pionieren der russischen Wissenschaft. Russische Wissenschaft konnte niemals die unmenschliche Perfektion deutscher Methoden, die rigide intellektuelle und moralische Disziplin deutscher Zusammenarbeit erreichen, aber die Russen konnten die Deutschen überflügeln und taten dies auch, indem sie ihrer kühnen, fantastischen Vorstellungskraft freien Lauf ließen.

Rogow hatte 1939 die ersten Raketenwerfer entwickelt; Cherpas hatte die Arbeit vollendet, indem sie die besten dieser Raketen mit einer Funkfernsteuerung versah. 1942 war von Rogow ein völlig neues System zur fotografischen Luftaufklärung erarbeitet worden; Genossin Cherpas hatte dieses Verfahren auf Farbfilme übertragen. Rogow, blondhaarig, blauäugig, hatte lächelnd seine Kritik an Genossin Cherpas’ Naivität und Unzuverlässigkeit bei den streng geheimen Treffen der russischen Wissenschaftler während der dunklen Winternächte des Jahres 1943 vorgetragen; Genossin Cherpas, deren dottergelbes Haar ihr wie fließendes Wasser über die Schultern fiel, das ungeschminkte Gesicht vor Begeisterung, Intelligenz und Hingabe leuchtend, hatte die Herausforderung angenommen, seine Kommunismustheorien verlacht, seinen Stolz gekränkt und seine intellektuellen Hypothesen dort angegriffen, wo sie am verletzlichsten waren.

1944 wären die Auseinandersetzungen zwischen Rogow und Cherpas eine Reise wert gewesen.

1945 heirateten sie.

Ihr Flirten fand im Verborgenen statt, ihre Hochzeit war eine Überraschung, ihr Zusammenleben galt als Wunder unter den hochrangigen russischen Wissenschaftlern.

Die Emigrantenpresse berichtete über den Ausspruch eines großen Wissenschaftlers, Peter Kapitza: »Rogow und Cherpas – das ist ein Team. Sie sind Kommunisten, gute Kommunisten, aber sie sind mehr als das! Sie sind Russen. Sie sind russisch genug, um die Welt zu besiegen. Schaut sie euch an. Sie sind die Zukunft, unsere russische Zukunft!« Vielleicht war diese Bemerkung übertrieben, aber sie verriet den ungeheuren Respekt, der Rogow und Cherpas von ihren Kollegen unter den sowjetischen Wissenschaftlern entgegengebracht wurde.

Kurz nach ihrer Hochzeit widerfuhren ihnen seltsame Dinge.

Rogow blieb glücklich. Cherpas strahlte.

Dennoch begannen beide, vorsichtig mit ihren Worten umzugehen, als ob sie Dinge gesehen hätten, die nicht durch Sprache ausgedrückt werden konnten, als wären sie über Geheimnisse gestolpert, die zu bedeutend waren, um sie selbst den zuverlässigsten Agenten der sowjetischen Staatspolizei zuzuraunen.

1947 hatte Rogow ein Gespräch mit Stalin. Als sie Stalins Büro im Kreml verließen, begleitete ihn der große Führer persönlich zur Tür, die Stirn nachdenklich gerunzelt, und nickte: »Da, da, da.«

Selbst sein persönlicher Stab wusste nicht, warum Stalin »Ja, ja, ja« sagte, aber sie sahen Anweisungen herausgehen mit den Vermerken NUR FÜR GEHEIMNISTRÄGER und ZUR KENNTNIS UND RÜCKGABE, NICHT ZUM VERBLEIB, die außerdem mit dem Stempel NUR FÜR AUTORISIERTES PERSONAL UND UNTER KEINEN UMSTÄNDEN VERVIELFÄLTIGEN versehen waren.

In den öffentlichen und geheimen Sowjethaushalt dieses Jahres wurde durch direkte, persönliche Anweisung eines verschwiegenen Stalin ein Finanzposten für ein »Projekt Teleskop« hinzugefügt. Stalin ging auf keine Nachfrage ein, gab keinen Kommentar ab.

Eine Stadt, die einen Namen besessen hatte, verlor ihn.

Ein Wald, der frei zugänglich für Arbeiter und Bauern gewesen war, wurde zum militärischen Sperrgebiet.

Im Zentralpostamt von Charkow wurde ein neues Postfach für die Stadt von Ya.Ch. eingerichtet.

Rogow und Cherpas, Genossen und Liebende, beide Wissenschaftler und Russen, verschwanden aus dem Alltagsleben ihrer Kollegen. Auf keiner wissenschaftlichen Versammlung tauchten ihre Gesichter mehr auf. Nur selten wurden sie noch gesehen.

Bei einem dieser seltenen Anlässe – gewöhnlich bei ihrer Hin- und Rückfahrt nach Moskau, wenn der jährliche SowjetHaushalt aufgestellt wurde – wirkten sie glücklich und heiter. Aber sie waren nie zu Scherzen aufgelegt.

Was die Außenwelt nicht wusste, war, dass Stalin ihnen ein eigenes Projekt und ein Paradies verschafft hatte, das nur ihnen zur Verfügung stand, und gleichzeitig hatte er dafür gesorgt, dass eine Schlange mit ihnen Einzug in dieses Paradies hielt. Diesmal war die Schlange jedoch kein Einzel-, sondern ein Doppelwesen – sie bestand aus Gausgofer und Gauck.

II

Stalin starb.

Auch Berija starb – wenn auch unfreiwillig.

Der Lauf der Welt nahm seinen Fortgang.

Alles verschwand in der in Vergessenheit geratenen Stadt Ya.Ch., und nichts kam heraus.

Doch es gab Gerüchte, wonach Bulganin Rogow und Cherpas besucht haben sollte. Ja, es wurde sogar gemunkelt, dass Bulganin bei seiner Fahrt zum Flughafen von Charkow, von wo aus er nach Moskau zurückfliegen wollte, gesagt hatte: »Es ist groß, groß, groß. Wenn sie es schaffen, wird es keinen Kalten Krieg mehr geben. Dann wird es überhaupt keinen Krieg mehr geben. Wir werden den Kapitalismus besiegt haben, noch bevor die Kapitalisten zu kämpfen beginnen. Wenn sie es schaffen. Wenn sie es schaffen.« Es gab Berichte darüber, dass Bulganin langsam und verblüfft den Kopf geschüttelt und nichts weiter gesagt haben sollte, sondern das unveränderte Budget des Projektes Teleskop mit seiner Unterschrift versah, als ihm ein zuverlässiger Bote das nächste Mal einen Brief von Rogow brachte.

Anastasia Cherpas wurde Mutter. Ihr erster Junge sah aus wie sein Vater. Ein kleines Mädchen folgte. Dann noch ein kleiner Junge. Durch die Kinder wurde Cherpas’ Arbeit jedoch nicht unterbrochen. Sie verfügten über eine große Datscha und ausgebildete Kinderschwestern, die den Haushalt übernahmen.

Jeden Abend speisten die vier gemeinsam.

Rogow russisch, humorvoll, mutig, amüsiert.

Cherpas älter, weiblicher, schöner denn je, aber genauso verletzend, genauso glücklich, genauso scharfzüngig wie immer.

Aber dann die beiden anderen, die beiden, die ihnen im Lauf der Jahre Tag für Tag gegenübersaßen, die beiden Kollegen, mit denen sie durch das allmächtige Wort Stalins gestraft waren.

Gausgofer war eine Frau: bleich, schmalgesichtig, mit einer Stimme, die an das Wiehern eines Pferdes erinnerte. Sie war Wissenschaftlerin und Polizistin und in beiden Berufen sehr tüchtig. 1917 hatte sie den Aufenthaltsort ihrer eigenen Mutter an das Terrorkommando der Bolschewiki verraten. 1924 hatte sie die Hinrichtung ihres Vaters befohlen. Er war ein Deutschrusse von altem, baltischem Adel gewesen, der versucht hatte, sich dem neuen System anzupassen, aber es war ihm nicht gelungen. 1930 hatte sie dafür gesorgt, dass ihr damaliger Geliebter ihr ein wenig zu sehr vertraute. Er war ein rumänischer Kommunist gewesen und hatte einen hohen Rang in der Partei eingenommen, aber in der Abgeschiedenheit ihres Schlafzimmers hatte er ihr flüsternd Geständnisse gemacht, während ihm die Tränen über die Wangen liefen; aufmerksam und stumm hatte sie zugehört und am nächsten Morgen seine Worte an die Polizei weitergeleitet.

Dadurch war Stalin auf sie aufmerksam geworden.

Stalin hatte barsch mit ihr gesprochen. Brutal hatte er sie gefragt: »Genossin, du hast Verstand. Ich kann erkennen, dass du weißt, um was es sich beim Kommunismus handelt. Du begreifst, was mit Loyalität gemeint ist. Du wirst weitermachen und der Partei und der Arbeiterklasse dienen – aber ist das alles, was du willst?« Er hatte ihr die Frage fast ins Gesicht gespuckt.

Sie war so verblüfft gewesen, dass sie ihn mit offenem Mund angestarrt hatte.

Der alte Mann hatte sein Verhalten geändert und sie mit lüsterner Großmütigkeit ausgezeichnet. Er hatte ihr mit dem Zeigefinger an die Brust getippt. »Studiere die Wissenschaften, Genossin. Studiere die Wissenschaften. Kommunismus plus Wissenschaft bedeutet den Sieg. Du bist zu klug, um im Polizeidienst zu bleiben.«

Gausgofer war gegen ihren Willen stolz auf das teuflische Programm ihres deutschen Namensvetters, jenes verhutzelten alten Geografen, der die Geografie selbst in eine schreckliche Waffe für den Kampf der Nazis gegen die Sowjets verwandelt hatte.

Gausgofer hätte sich nichts Schöneres vorstellen können, als sich in die Ehe von Cherpas und Rogow einzumischen.

Gausgofer hatte sich in Rogow in dem Augenblick verliebt, als sie ihn zum ersten Mal sah.

Gausgofer hasste Cherpas – Hass kann ebenso spontan entstehen und rätselhaft sein wie Liebe – von dem Moment an, als sie ihr begegnete.

Aber Stalin hatte auch das vorausgeahnt.

Der bleichen, fanatischen Gausgofer hatte er einen Mann namens B. Gauck an die Seite gestellt.

Gauck war massig, geduldig, ausdruckslos. Körperlich war er ebenso groß wie Rogow. Wo Rogow Muskeln besaß, war er schlaff. Wo Rogows Haut gesund war und die rosige, frische Farbe aufwies, die auf viel Bewegung zurückzuführen ist, war Gaucks Haut wie ranziges Schmalz, schmierig, graugrün, kränklich selbst dann, wenn es ihm gutging.

Gaucks Augen waren leer und klein. Sein Blick war so kalt und hart wie der Tod. Gauck besaß keine Freunde, keine Feinde, keine Überzeugungen, keine Begeisterung. Selbst Gausgofer fürchtete sich vor ihm.

Gauck trank niemals, ging niemals nach draußen, erhielt nie Post, schickte nie Briefe ab, sprach nie ein unüberlegtes Wort. Er war niemals grob, niemals sanft, niemals freundlich, niemals wirklich zurückhaltend; er konnte nicht mehr zurückhalten als die ständige Zurückhaltung seines ganzen Lebens.

Rogow hatte sich in der Abgeschiedenheit des Schlafzimmers an seine Frau gewandt, sobald Gausgofer und Gauck eingetroffen waren, und hatte sie gefragt: »Meinst du, dieser Mann ist krank, Anastasia?«

Cherpas verschränkte die Finger ihrer schönen, ausdrucksvollen Hände. Sie, die bei tausend wissenschaftlichen Versammlungen die Schlagfertigkeit in Person gewesen war, fand nun keine Worte. Mit einem besorgten Gesichtsausdruck sah sie zu ihrem Mann auf. »Ich weiß es nicht, Genosse … Ich weiß es einfach nicht …«

Rogow lächelte sein amüsiertes, slawisches Lächeln. »Nun, dann glaube ich auch nicht, dass Gausgofer es weiß.«

Cherpas lachte prustend und griff nach ihrer Haarbürste. »Da hast du sicher Recht. Sie wird es ganz bestimmt nicht wissen. Ich vermute, sie weiß noch nicht einmal, bei wem er Bericht erstattet.«

Diese Unterhaltung war längst Vergangenheit. Gauck, Gausgofer, die leblosen Augen und die toten Augen – sie waren geblieben.

Jedes Abendessen nahmen die vier gemeinsam ein.

Jeden Morgen trafen sich die vier im Labor.

Rogows großer Mut, seine eiserne Gesundheit und sein erfrischender Humor ließen die Arbeit vorankommen.

Cherpas’ brillanter Geist gab ihm neue Tatkraft, wann immer die Routine seinen hervorragenden Verstand zu lähmen drohte.

Gausgofer spionierte und beobachtete und lächelte ihr blutleeres Lächeln; manchmal, wenn Neugierde sie überkam, machte sie einzigartige, konstruktive Vorschläge. Sie verstand nie den eigentlichen Sinn ihrer Arbeit im Gesamtzusammenhang, aber sie kannte sich gut genug mit den mechanischen und ingenieurwissenschaftlichen Details aus, um gelegentlich sehr nützlich zu sein.

Gauck kam herein, nahm stumm Platz, sagte nichts, tat nichts. Er rauchte nicht einmal. Er war niemals nervös. Er ging niemals schlafen. Er beobachtete nur.

Das Labor wuchs, und mit ihm wuchs das gewaltige Gebilde der Spionagemaschine.

III

In der Theorie war das, was Rogow vorgeschlagen und Cherpas fortgeführt hatte, denkbar. Es war der Versuch, ein integriertes Instrumentarium für all die elektrischen und Strahlungs-Phänomene zu erarbeiten, die das Bewusstsein bestimmten, um die elektrischen Funktionen des Geistes nachzuahmen, ohne auf tierisches Material zurückzugreifen.

Die Palette der möglichen Produkte war ungeheuer groß.

Das erste Produkt, um das Stalin gebeten hatte, sollte ein Empfänger sein, der sich in die Gedanken eines menschlichen Geistes einschalten und diese Gedanken entweder über eine Lochstreifenmaschine, eine Fortentwicklung des deutschen Hellschreibers, aufzeichnen oder in phonetischer Sprache wiedergeben konnte. Falls der Prozess umkehrbar war und die Maschine, die die Gehirnprozesse simulierte, nicht als Empfänger, sondern als Sender arbeitete, war es vielleicht möglich, lähmende oder störende Wellen abzugeben, die Gedankenprozesse unterbrechen oder ganz beenden konnten.

Im besten Fall konnte Rogows Maschine dazu dienen, über große Entfernungen menschliche Gedanken zu verwirren, menschliche Ziele zu verunsichern und ein elektronisches Störsendersystem zu errichten, das das menschliche Bewusstsein ausschaltete, ohne dass dafür Röhren oder Empfänger notwendig waren.

Er hatte Erfolg – teilweise.

Im ersten Jahr seiner Arbeit hatte er es geschafft, sich selbst schreckliche Kopfschmerzen zuzufügen. Im dritten Jahr hatte er eine Maus über eine Entfernung von zehn Kilometern getötet. Im siebten Jahr hatte er Massenhalluzinationen und eine Selbstmordwelle in der Nachbarstadt ausgelöst. Das war es, was Bulganin so beeindruckt hatte.

Rogow arbeitete nun an dem Empfängerteil. Niemandem war es bisher gelungen, die unbeschreiblich schmalen, unbeschreiblich subtilen Strahlungsfrequenzen zu ermitteln, die einen Menschen von dem anderen unterschieden, aber Rogow bemühte sich darum, um sich in die Gedanken von weit entfernt lebenden Personen einzuschalten.

Er hatte Versuche mit einer Art telepathischem Helm angestellt, aber es hatte nicht funktioniert. Dann war er davon abgekommen, reine Gedanken empfangen zu wollen, und hatte sich auf die Anzapfung visueller und akustischer Impulse konzentriert. Dort, wo die Nervenenden in das Gehirn mündeten, war es ihm im Lauf der Jahre geglückt, zahllose Mikrophänomene voneinander zu unterscheiden, und einige davon hatte er genau bestimmen können.

Durch unbeschreiblich komplexe Messungen war es ihm dann eines Tages gelungen, zu dem Blickfeld ihres zweiten Chauffeurs Verbindung aufzunehmen, und mit Hilfe einer Nadel, die knapp unter seinem rechten Lid angebracht war, »sah« er mit den Augen des anderen, wie dieser völlig ahnungslos in eintausendsechshundert Metern Entfernung ihre Zis-Limousine wusch.

Cherpas war später in diesem Winter in seine Fußstapfen getreten und hatte die Verbindung zu den Augen einer ganzen Familie herstellen können, die in einer nahe gelegenen Ortschaft ihr Mittagessen einnahm. Sie hatte B. Gauck angeboten, sich eine Nadel in den Wangenknochen einsetzen zu lassen, damit auch er mit den Augen eines arglosen, ausspionierten Fremden sehen konnte. Gauck hatte jegliche Art von Nadeln abgelehnt, doch Gausgofer war dazu bereit gewesen.

Die Spionagemaschine begann Formen anzunehmen.

Zwei Aufgaben waren jedoch immer noch nicht gelöst. Die erste war die Frage, wie der Kontakt zu einem weit entfernten Ziel wie dem Weißen Haus in Washington oder dem NATO-Hauptquartier in Paris hergestellt werden konnte. Die Maschine würde perfekte Geheimdienstarbeit leisten können, wenn sie in die Köpfe auch derart weit entfernter Menschen eindringen konnte.

Die zweite Aufgabe bestand darin, eine Methode zu finden, mit der das Bewusstsein dieser Menschen über große Entfernungen gestört und so verwirrt werden konnte, dass die genannten Personen in Tränen ausbrachen, die Beherrschung oder gar den Verstand verloren.

Rogow hatte es versucht, aber es war ihm nie gelungen, weiter als dreißig Kilometer über die Grenzen der namenlosen Stadt Ya.Ch. hinauszudringen.

Eines Tages im November gab es in der Stadt Charkow siebzig Fälle von Hysterie, die fast alle mit Selbstmord endeten. Charkow lag mehrere Hundert Kilometer entfernt, und Rogow war nicht sicher, ob seine Maschine tatsächlich dafür verantwortlich war.

Genossin Gausgofer wagte es, über seinen Ärmel zu streicheln. Ihre blassen Lippen lächelten, und ihre wässrigen Augen strahlten glücklich, als sie mit ihrer hohen, grausamen Stimme sagte: »Du wirst es schaffen, Genosse. Du wirst es schaffen.«

Cherpas sah verächtlich auf. Gauck sagte nichts.

Die Agentin Gausgofer sah Cherpas’ Blicke auf sich ruhen, und einen Moment lang spannte sich ein Bogen aus purem Hass zwischen den beiden Frauen.

Die drei kehrten wieder an ihre Arbeit an der Maschine zurück.

Gauck hatte auf seinem Stuhl gesessen und sie beobachtet.

Die Männer und Frauen im Laboratorium sprachen nie sehr viel, und Stille erfüllte wieder den Raum.

IV

In dem Jahr, als Eristratow starb, gelang ihnen bei der Maschine ein Durchbruch. Eristratow starb, nachdem die Sowjets und die Volksdemokratien versucht hatten, den Kalten Krieg mit den Amerikanern zu beenden.

Es war Mai. Vor dem Labor huschten die Eichhörnchen durch die Bäume. Die letzten Reste des nächtlichen Regens tropften auf den Boden und sorgten dafür, dass die Erde feucht blieb. Es war angenehm, durch die offenen Fenster den Duft des Waldes in das Arbeitszimmer hereinzulassen.

Der Geruch ihrer Ölöfen und der ranzige Geruch der Isoliermaterialien, des Ozons und der heißen elektronischen Einrichtungen war ihnen nur allzu vertraut.

Rogow stellte fest, dass seine Sehkraft allmählich nachließ, da er die Empfängernadel ganz nah an seinem optischen Nerv hatte anbringen müssen, um visuelle Eindrücke von der Maschine zu erhalten. Nach Monaten des Experimentierens mit tierischen und menschlichen Versuchsobjekten hatte er sich entschlossen, eines ihrer letzten Experimente zu wiederholen, das sie erfolgreich mit einem fünfzehnjährigen Gefangenen durchgeführt hatten, indem er die Nadel direkt hinter dem Auge angebracht hatte. Rogow mochte es nicht, Häftlinge einzusetzen, da Gauck aus Sicherheitsgründen immer verlangte, dass ein für Experimente verwendeter Häftling spätestens fünf Tage nach dem Beginn des Versuchs eliminiert wurde. Rogow hatte sich selbst eingeredet, dass die Nadeltechnik risikolos war, und er war es leid, mit furchtsamen Nichtwissenschaftlern zu arbeiten und allein die Last der intensiven, wissenschaftlichen Konzentration zu tragen, die die Maschine erforderte.

Rogow besprach die Lage mit seiner Frau und ihren beiden seltsamen Mitarbeitern.

Mit einem Anflug schlechter Laune rief er Gauck zu: »Hast du dich eigentlich je gefragt, um was es hier geht? Du bist doch schon jahrelang hier. Weißt du überhaupt, was wir hier entwickeln? Hast du nie an den Experimenten teilnehmen wollen? Ist dir klar, wie viele Jahre mathematischer Berechnungen erforderlich waren, um diese Geräte zu entwickeln und diese Wellenmuster zu ermitteln? Bist du überhaupt zu irgendetwas nützlich?«

Tonlos und ohne Zorn erwiderte Gauck: »Genosse Professor, ich gehorche meinen Befehlen. Und auch du gehorchst deinen Befehlen. Ich habe dich zumindest nie behindert.«

Rogow steigerte sich beinahe in Raserei hinein. »Ich weiß, dass du dich mir nie in den Weg gestellt hast. Wir alle sind treue Diener des Sowjetstaates. Aber hier geht es nicht um Loyalität. Es geht um Begeisterung. Willst du denn nicht einmal einen Blick auf unsere Forschungen werfen? Wir sind den kapitalistischen Amerikanern um hundert oder tausend Jahre voraus. Freut dich das denn nicht? Bist du eigentlich ein menschliches Wesen? Warum nimmst du nicht Anteil an unserer Arbeit? Wirst du mich überhaupt verstehen, wenn ich sie dir erkläre?«

Gauck sagte nichts; er sah Rogow mit seinen Knopfaugen an. Sein schmutzig graues Gesicht blieb unbewegt. Gausgofer stieß laut und auf übertrieben weibliche Art einen erleichterten Seufzer aus, aber sie schwieg ebenfalls. Cherpas, gewinnend lächelnd und ihre freundlichen Augen auf ihren Mann und die beiden Mitarbeiter gerichtet, sagte: »Fahre fort, Nikolai. Der Genosse wird dich verstehen, wenn er es will.«

Gausgofer sah Cherpas eifersüchtig an. Sie schien entschlossen, auch weiterhin zu schweigen, sagte dann aber bittend: »Ja, fahre fort, Genosse Professor.«

»Kharosho«, brummte Rogow, »ich werde tun, was ich kann. Die Maschine ist inzwischen in der Lage, über eine große Distanz hinweg in das Bewusstsein anderer Menschen zu dringen.« Amüsiert und ein wenig höhnisch kräuselte er die Lippen. »Wir können uns selbst in die Gedanken Eisenhowers einnisten und herausfinden, was der Oberlump heute gegen das sowjetische Volk im Schilde führt. Wäre es nicht wundervoll, wenn unsere Maschine ihn lähmen würde, so dass er verwirrt vor seinem Schreibtisch säße?«

»Versuche es nicht«, bemerkte Gauck. »Nicht ohne Befehle.«

Rogow ignorierte die Unterbrechung und fuhr fort: »Zunächst empfange ich. Ich weiß nicht, was oder wer es ist und wo er oder sie sich befinden. Ich weiß nur, dass diese Maschine jetzt hinausgreifen kann in die Gedanken aller Menschen und Tiere, die in diesem Moment leben, und dass ich Kontakt bekomme mit den Augen und Ohren eines einzelnen Bewusstseins. Mit der neuen Nadel, die direkt mit meinem Gehirn verbunden ist, wird es mir möglich sein, ganz exakt seinen Aufenthaltsort zu bestimmen. Das Ärgerliche an diesem Jungen vorige Woche war, dass wir zwar wussten, dass er etwas sah, das sich außerhalb des Raums befand, und dass er Worte in einer fremden Sprache zu empfangen schien, aber er verstand nicht genug Englisch oder Deutsch, um uns sagen zu können, wohin ihn die Maschine geführt hat.«

Cherpas lachte. »Ich mache mir keine Sorgen. Ich habe gesehen, dass es nicht mit Gefahr verbunden ist. Versuch du es zuerst, mein Gemahl. Falls unsere Genossen nichts dagegen haben …«

Gauck nickte.

Gausgofer hob atemlos die knochige Hand an ihren mageren Hals und erklärte: »Natürlich, Genosse Rogow, natürlich. Du hast die ganze Arbeit getan. Du musst der Erste sein.«

Rogow setzte sich.

Ein Techniker in einem weißen Kittel schob die Maschine zu ihm hinüber. Sie lief auf drei gummibereiften Rädern und erinnerte an die kleinen Röntgengeräte, die von Zahnärzten benutzt wurden. Statt einer Linse, wie bei Röntgengeräten üblich, verfügte die Maschine über eine lange, unglaublich feine Nadel. Die besten Prager Hersteller chirurgischer Instrumente hatten sie gefertigt.

Ein anderer Techniker näherte sich mit einer Rasierschüssel, einem Pinsel und einem scharfen Rasiermesser. Unter den Blicken von Gaucks erloschenen Augen rasierte er auf Rogows Schädel eine Fläche von vier Quadratzentimetern.

Dann übernahm Cherpas. Sie schob den Kopf ihres Mannes zwischen Klammern und benutzte eine Mikrometerschraube, um die Vorrichtung so genau zu befestigen, dass die Nadel an der richtigen Stelle durch die Schädeldecke dringen würde.

Die Arbeit führte sie geschickt und mit sanften, kräftigen Fingern durch. Sie ging zärtlich, aber auch energisch vor. Sie war seine Frau, aber sie war auch seine wissenschaftliche Mitarbeiterin und seine Kollegin im Sowjetstaat.

Sie trat zurück und betrachtete ihre Arbeit. Dann schenkte sie ihm ein besonderes Lächeln, eines jener intimen vergnügten Lächeln, die sie gewöhnlich nur tauschten, wenn sie allein waren. »Ich glaube nicht, dass dir das jeden Tag behagen würde. Wir werden eine Methode finden, ins Gehirn vorzustoßen, ohne diese Nadel benutzen zu müssen. Aber sie wird dir auch jetzt keine Schmerzen zufügen.«

»Spielt es eine Rolle, ob es schmerzt?«, gab Rogow zurück. »Dies ist die Stunde der Erfüllung für unsere ganze Arbeit. Hinein damit.«

Gausgofer sah aus, als hätte sie gerne an dem Experiment teilgenommen, aber sie wagte es nicht, Cherpas zu unterbrechen. Cherpas, mit aufmerksam funkelnden Augen, streckte den Arm aus und zog an dem Hebel, der die spitze Nadel mit einer Abweichung von einem Zehntelmillimeter in die richtige Stelle stieß.

Rogow sprach sehr konzentriert. »Ich habe nur einen kleinen Stich gefühlt. Du kannst nun den Strom einschalten.«

Gausgofer konnte sich nicht mehr beherrschen. Schüchtern wandte sie sich an Cherpas. »Darf ich den Strom einschalten?«

Cherpas nickte. Gauck beobachtete. Rogow wartete. Gausgofer legte den Kippschalter um.

Der Strom war eingeschaltet.

Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte Anastasia Cherpas die Laborgehilfen auf die andere Seite des Raumes. Ein paar von ihnen hatten ihre Arbeit unterbrochen und Rogow angestarrt, angestarrt wie dumme Schafe. Sie wirkten verlegen und drängten sich jetzt zu einer weißbekittelten Herde an der gegenüberliegenden Wand des Labors zusammen. Der feuchte Maiwind strich durch den Raum. Über allem lag der Geruch von Wald und Laub.

Die drei beobachteten Rogow.

Rogows Antlitz veränderte sich. Es wurde rot. Sein Atem ging so laut und schwer, dass er noch aus einer Entfernung von mehreren Metern zu hören war. Cherpas fiel vor ihm auf die Knie, die Augenbrauen in wortloser Neugier hochgezogen.

Rogow wagte nicht zu nicken, nicht mit der Nadel in seinem Gehirn. Mit roten Lippen, mit heiserer und schwerfälliger Stimme sagte er: »Hört – noch – nicht – auf.«

Rogow selbst begriff nicht, wie ihm geschah. Er meinte, ein amerikanisches Zimmer, ein russisches Zimmer oder einen Raum in den Tropen vor sich zu sehen. Er glaubte, Palmbäume zu erkennen – oder Wälder oder Tische. Er meinte, Gewehre oder Gebäude zu erblicken, Waschsäle oder Betten, Krankenhäuser, Bungalows, Kirchen. Er glaubte, mit den Augen eines Kindes zu sehen, einer Frau, eines Mannes, eines Soldaten, eines Philosophen, eines Sklaven, eines Arbeiters, eines Wilden, eines Gläubigen, eines Kommunisten, eines Reaktionärs, eines Regierenden, eines Polizisten. Er vermeinte, Stimmen zu hören; vielleicht Englisch oder Französisch oder Russisch, Swahili, Hindu, Malaysisch, Chinesisch, Ukrainisch, Armenisch, Türkisch, Griechisch. Doch er wusste es nicht.

Etwas Seltsames geschah.

Ihm schien, er hätte die Welt hinter sich gelassen, sogar die Zeit überwunden. Die Stunden und Jahrhunderte schrumpften wie die Entfernungen, und die Maschine, unerprobt, wie sie war, griff weit aus nach dem mächtigsten Signal, das je ein Menschengeschlecht gegeben hatte. Rogow wusste es nicht, aber die Maschine hatte die Zeit besiegt.

Die Maschine erreichte den Tanz, die menschliche Herausforderung, und das Tanzfestival des Jahres, das nicht als das Jahr 13.582 bezeichnet wurde, es aber hätte sein können.

Vor Rogows Augen zitterten und flatterten die goldene Gestalt und die goldenen Stufen in einem Ritual, das tausendfach überwältigender war als Hypnose. Der Rhythmus bedeutete ihm nichts und gleichzeitig alles. Er war russisch, er war kommunistisch. Er war das Leben – und es war seine Seele, die sich da vor seinen Augen zeigte.

Eine Sekunde lang, die letzte Sekunde seines gewohnten Lebens, blickte er durch Augen aus Fleisch und Blut und beobachtete die verhärmte Frau, die er einst für schön gehalten hatte. Er sah Anastasia Cherpas an, und sie ließ ihn kalt.

Sein Blick konzentrierte sich wieder auf das Bild des Tanzes, auf diese Frau, diese Gesten, diesen Tanz!

Dann begann er zu hören – Musik, die einen Tschaikowsky zum Weinen gebracht hätte, Orchester, bei deren Klang Schostakowitsch oder Khatchaturian für immer verstummt wären, so sehr war sie der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts überlegen.

Die Menschen-die-keine-Menschen-waren und zwischen den Sternen lebten, hatten die Menschheit viele Künste gelehrt. Rogows Verstand war der beste seiner Zeit, aber diese Zeit lag weit, weit vor der Zeit der großen Tänze. Beim Anblick dieser einen Vision wurde Rogow vollkommen und unwiderruflich verrückt. Er konnte Cherpas, Gausgofer und Gauck nicht mehr sehen. Er vergaß die Stadt Ya.Ch. Er vergaß sich selbst. Er war wie ein Fisch, der in stehendem frischem Wasser geschlüpft war und zum ersten Mal in einen dahinfließenden Strom geworfen wurde. Er war wie ein Insekt, das ausschlüpfte. Sein vom zwanzigsten Jahrhundert geprägtes Bewusstsein konnte dem Anblick und der Wirkung der Musik und des Tanzes nicht standhalten.

Aber die Nadel war noch da, und die Nadel übertrug mehr in seinen Geist, als sein Geist ertragen konnte.

Die Synapsen seines Gehirns klickten wie Schalter. Die Zukunft überflutete ihn.

Er wurde bleich. Cherpas sprang nach vorn und entfernte die Nadel. Rogow fiel aus dem Sessel.

V

Es war Gauck, der die Ärzte holte. Bei Einbruch der Nacht hatten sie Rogow ein bequemes Lager bereitet und ihn unter hohe Dosen Sedativa gesetzt. Es waren zwei Ärzte, und beide stammten aus dem militärischen Hauptquartier. Gauck hatte sich ihrer Unterstützung durch ein direktes Telefongespräch mit Moskau versichert.

Beide Ärzte waren verärgert. Der Ältere hörte nicht auf, Cherpas Vorwürfe zu machen. »Du hättest das niemals tun dürfen, Genossin Cherpas. Und Genosse Rogow hätte das nicht wagen sollen. Man kann nicht hergehen und irgendwelche Geräte in ein Gehirn bohren. Das ist eine Aufgabe für Mediziner. Niemand von euch ist medizinisch ausgebildet. Es ist in Ordnung, wenn ihr eure Entwicklungen an Häftlingen testet, aber ihr könnt derartige Dinge nicht mit sowjetischen Wissenschaftlern anstellen. Man wird mir die Schuld geben, weil ich Rogow nicht zurückbringen kann. Du hast gehört, was er sagt. Nur ein Gebrummel über: die goldene Gestalt auf den goldenen Stufen, diese Musik, dieses Ich ist ein wahres Ich, diese goldene Gestalt, diese goldene Gestalt, ich will bei dieser goldenen Gestalt sein – und noch mehr von diesem Zeug. Vielleicht habt ihr für immer ein begnadetes Gehirn zerstört …« Er verstummte, als habe er bereits zu viel gesagt. Schließlich handelte es sich bei dieser Angelegenheit um ein Sicherheitsproblem, und offensichtlich repräsentierten Gauck und Gausgofer die Sicherheitsbehörden.

Gausgofer wandte dem Arzt ihre wässrigen Augen zu und sagte mit leiser, flacher, unbeschreiblich hinterhältiger Stimme: »Könnte sie dafür verantwortlich sein, Genosse Doktor?«

Der Arzt sah Cherpas an und fragte Gausgofer: »Wie denn? Du bist doch dabei gewesen. Ich nicht. Wie hätte sie das tun können? Warum hätte sie das tun sollen? Du bist doch dabei gewesen.«

Cherpas sagte nichts. Ihre Lippen waren vor Kummer fest zusammengepresst. Ihr blondes Haar leuchtete, aber in diesem Moment war ihr Haar alles, was von ihrer Schönheit übrig war. Sie fürchtete sich, und sie begann Trauer zu empfinden. Sie hatte keine Zeit, närrische Frauen zu hassen oder sich um den Sicherheitsdienst Sorgen zu machen; sie grämte sich um ihren Kollegen, ihren Geliebten, ihren Gemahl Rogow.

Sie konnten nichts anderes tun als warten. Sie begaben sich in einen großen Raum und versuchten zu essen.

Die Bediensteten hatten riesige Platten mit kaltem, geschnittenem Fleisch, Schüsseln voller Kaviar und eine Auswahl von geschnittenem Brot, frische Butter, echten Kaffee und Liköre vorbereitet.

Keiner von ihnen aß viel.

Sie warteten alle.

Um Viertel nach neun Uhr dröhnte der Lärm von Rotoren über dem Haus.

Der große Helikopter aus Moskau war eingetroffen.

Höhere Stellen hatten übernommen.

VI

Zu diesen höheren Stellen gehörte ein Stellvertretender Minister, ein Mann mit dem Namen V. Karper.

Karper wurde von zwei uniformierten Obersten, einem Ingenieur in Zivil, einem Mann aus der Zentrale der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und zwei Ärzten begleitet.

Sie hielten sich nicht mit Höflichkeitsfloskeln auf. Karper sagte lediglich: »Du bist Cherpas. Ich habe dich schon einmal getroffen. Du bist Gausgofer. Ich habe deine Berichte gelesen. Du bist Gauck.«

Die Delegation betrat Rogows Schlafzimmer. Karper schnauzte: »Weckt ihn auf.«

Der Militärarzt, der Rogow die Sedativa verabreicht hatte, wandte ein: »Genosse, du kannst nicht …«

Karper schnitt ihm das Wort ab. »Ruhe.« Er drehte sich zu seinem eigenen Arzt herum und deutete auf Rogow. »Weck ihn auf.«

Der Arzt aus Moskau sprach kurz mit dem älteren Militärarzt. Da schüttelte auch er den Kopf. Er warf Karper einen verstörten Blick zu. Karper wusste, was er hören wollte. »Mach weiter«, sagte Karper. »Ich weiß, dass es gefährlich für ihn ist, aber ich brauche einen Bericht für Moskau.«

Die beiden Ärzte machten sich nun gemeinsam an Rogow zu schaffen. Einer von ihnen verlangte nach seiner Tasche und gab Rogow eine Injektion. Dann traten sie vom Bett zurück.

Rogow krümmte sich in seinem Bett. Er verkrampfte sich. Seine Augen waren geöffnet, aber er sah sie nicht. Mit kindlich klaren und einfachen Worten begann Rogow zu sprechen: »… diese goldene Gestalt, die goldenen Stufen, die Musik, bringt mich zurück zur Musik, ich will bei der Musik sein, ich bin die Musik …« Und weiter und immer weiter, in endloser Monotonie.

Cherpas beugte sich so über ihn, dass ihr Gesicht direkt in seinem Blickfeld war. »Mein Liebling! Mein Liebling, wach auf. Es ist sehr ernst.«

Es war offensichtlich, dass Rogow sie nicht hörte, denn er fuhr fort, undeutlich von goldenen Gestalten zu erzählen.

Zum ersten Mal in all den Jahren ergriff Gauck die Initiative. Er wandte sich direkt an den Mann aus Moskau, an Karper. »Genosse, darf ich einen Vorschlag machen?«

Karper starrte ihn an. Gauck nickte Gausgofer zu. »Wir beide sind auf Befehl des Genossen Stalin hier. Sie ist meine Vorgesetzte. Sie trägt die Verantwortung. Mir obliegt nur die Überwachung.«

Der Stellvertretende Minister wandte sich an Gausgofer. Gausgofer hatte Rogow betrachtet, der auf dem Bett lag; ihre blauen, wässrigen Augen waren tränenlos, ihr Gesicht war zu einem Ausdruck extremer Anspannung verzogen.

Karper ignorierte es und fragte mit fester, klarer, befehlender Stimme: »Was schlägst du vor?«

Gausgofer blickte ihn offen an und erwiderte beherrscht: »Ich glaube nicht, dass es sich in diesem Fall um einen Gehirnschaden handelt. Ich nehme an, er hat Verbindung zu einem anderen menschlichen Wesen bekommen, und wenn ihm keiner von uns folgt, werden wir auch keine Antwort von ihm erhalten.«

»Sehr gut«, bellte Karper. »Aber was sollen wir tun?«

»Laß mich ihm folgen – mittels der Maschine.«

Anastasia Cherpas begann hysterisch und wie eine Wahnsinnige zu lachen. Sie drückte Karpers Arm und zeigte mit dem Finger auf Gausgofer. Karper sah sie an. Cherpas’ Gelächter brach ab, und sie schrie außer sich: »Die Frau ist verrückt. Seit vielen Jahren ist sie in meinen Mann verliebt. Sie hasst mich, und nun meint sie, ihn retten zu können. Sie glaubt, dass sie ihm folgen kann. Sie glaubt, dass er sich mit ihr verständigen will. Das ist lächerlich. Ich werde das selbst übernehmen!«

Karper blickte sich um. Er wählte zwei Männer aus seiner Begleitung und begab sich in eine Ecke des Raumes. Sie konnten ihn flüstern hören, aber die Worte nicht verstehen. Nach einer siebenminütigen Besprechung kehrte er zurück.

»Ihr habt gegeneinander ernste Sicherheitsvorwürfe erhoben. Ich muss feststellen, dass eine unserer besten Waffen, Rogows Gehirn, zerstört ist. Rogow ist nicht nur ein Mensch. Er ist ein sowjetisches Projekt.« Verachtung hatte sich in Karpers Stimme eingeschlichen. »Ich habe festgestellt, dass ein führender Sicherheitsoffizier, eine Polizistin mit einem beachtenswerten Ruf, von einer sowjetischen Wissenschaftlerin törichter Leidenschaften bezichtigt wird. Ich missbillige derartige Beschuldigungen. Die Entwicklung des sowjetischen Staates und die Arbeit der sowjetischen Wissenschaft darf nicht durch persönliche Auseinandersetzungen behindert werden. Genossin Gausgofer wird ihm folgen. Und zwar heute Nacht, da mein Stabsarzt befürchtet, dass Rogow nicht mehr lange leben wird – und es ist überaus wichtig für uns, herauszufinden, was ihm zugestoßen ist und warum.« Er richtete seinen unheilvollen Blick auf Cherpas. »Du wirst nicht dagegen protestieren, Genossin. Dein Verstand ist das Eigentum des russischen Staates. Die Arbeiter haben dir dein Leben und deine Ausbildung bezahlt. Du kannst das alles nicht aus persönlichen Gründen verschleudern. Wenn es etwas herauszufinden gibt, dann wird die Genossin Gausgofer es für uns beide herausfinden.«

Die ganze Gruppe begab sich wieder in das Labor. Die ängstlichen Techniker wurden aus den Baracken herbeigeholt. Die Lampen wurden eingeschaltet und die Fenster geschlossen. Der Maiwind war kalt.

Man sterilisierte die Nadel.

Das elektronische Netzwerk wurde vorgewärmt.

Gausgofers Gesicht verriet nur Ungeduld und Triumph, als sie sich in den Empfängersessel setzte. Sie lächelte Gauck zu, als eine Hilfskraft den Schaum und das Rasiermesser brachte, um einen Teil ihres Schädels kahlzurasieren.

Gauck lächelte nicht zurück. Seine schwarzen Augen starrten sie an. Er sagte nichts. Er tat nichts. Er beobachtete.

Karper ging auf und ab und verfolgte mit gelegentlichen Blicken die hastig, aber ordnungsgemäß durchgeführten Vorbereitungen für das Experiment.

Anastasia Cherpas setzte sich ein paar Meter von der Gruppe entfernt auf einen Labortisch. Sie betrachtete Gausgofers Hinterkopf, während sich die Nadel senkte. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen. Einige von den anderen glaubten, sie weinen zu hören, aber niemand schenkte ihr sonderlich viel Aufmerksamkeit. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, Gausgofer zu beobachten.

Gausgofer errötete. Schweiß rann ihr über die welken Wangen. Ihre Finger klammerten sich fest um die Sessellehnen.

Plötzlich schrie sie ihnen zu: »Diese goldene Gestalt auf den goldenen Stufen.«

Sie sprang auf und zog den Apparat hinter sich her.

Niemand hatte etwas Derartiges erwartet. Der Sessel stürzte um. Der Nadelhalter hob sich vom Boden und schwang zur Seite. Die Nadel drehte sich, verbog sich wie eine Sense in Gausgofers Gehirn. Weder Rogow noch Cherpas hatten den Sessel für derartige Belastungen eingerichtet. Sie wussten nicht, dass sie dabei waren, sich in das Jahr 13.581 einzuschalten.

Gausgofer lag umringt von den aufgeregten Männern auf dem Boden.

Karper war geistesgegenwärtig genug, sich nach Cherpas umzusehen.

Diese erhob sich von dem Labortisch und ging auf ihn zu. Ein dünner Blutfaden rann von ihrem Wangenknochen. Ein weiterer Blutfaden floss aus einer Wunde, die anderthalb Zentimeter unter ihrem linken Ohr lag.

Mit schrecklicher Gelassenheit, das Gesicht so weiß wie frisch gefallener Schnee, lächelte sie ihn an. »Ich habe gelauscht.«

»Was?«, fragte Karper.

»Ich habe gelauscht, gelauscht«, wiederholte Anastasia Cherpas. »Ich habe herausgefunden, wohin mein Mann gegangen ist. Zu keinem Ort in dieser Welt. Jenseits der Grenzen unserer Wissenschaft steckt etwas Hypnotisierendes. Wir haben ein großes Gewehr entwickelt, aber das Gewehr hat auf uns geschossen, bevor wir gelernt haben, es richtig zu benutzen. Vielleicht glaubst du, dass du meine Ansicht ändern kannst, Genosse Stellvertretender Minister, aber das wird dir nicht gelingen. Ich weiß, was geschehen ist. Mein Mann wird nie zurückkommen. Und ohne ihn werde ich nicht weitermachen. Das Projekt Teleskop ist beendet. Du könntest versuchen, jemand anderen mit der Fertigstellung zu beauftragen, aber das wirst du nicht tun.«

Karper starrte sie an und wandte sich dann ab.

Gauck stellte sich ihm in den Weg.

»Was willst du?«, schnappte Karper.

»Ich will dir sagen«, erklärte Gauck sehr sanft, »ich will dir sagen, Genosse Stellvertretender Minister, dass Rogow fort ist, wenn sie sagt, dass er fort ist, und dass sie aufhört, wenn sie sagt, dass sie aufhört, und dass alles genau so sein wird. Ich weiß es.«

Karper musterte ihn. »Woher willst du das wissen?«

Gauck blieb vollkommen ruhig. Mit übermenschlicher Sicherheit und absoluter Ruhe erläuterte er Karper: »Genosse, ich diskutierte nicht darüber. Ich kenne diese Menschen, auch wenn ich ihre Wissenschaft nicht verstehe. Rogow ist verloren.«

Schließlich schenkte Karper ihm Glauben. Der Stellvertretende Minister nahm auf einem Stuhl am Tisch Platz und sah seine Begleiter an. »Ist das möglich?«

Niemand antwortete.

»Ich habe gefragt: Ist das möglich?«

Alle blickten Anastasia Cherpas an, ihr wunderschönes Haar, ihre entschlossenen, blauen Augen und die beiden dünnen Blutfäden, die aus den Wunden rannen, in denen sich die Abhörnadeln befunden hatten.

Karper drehte sich zu ihr herum. »Was sollen wir nun tun?«

Statt einer Antwort fiel sie auf die Knie und begann zu schluchzen. »Nein, nein, nicht Rogow! Nein, nein, nicht Rogow!«

Und das war alles, was sie aus ihr herausbekommen konnten.

Gauck beobachtete weiter.

Auf den goldenen Stufen in dem goldenen Licht tanzte eine goldene Gestalt einen Traum, der jenseits der Grenzen allen Vorstellungsvermögens lag, tanzte und zog die Musik an sich, bis ein Seufzer der Sehnsucht – Sehnsucht, aus der Hoffnung und dann Pein wurde – die Herzen der lebenden Wesen auf Tausenden von Welten verließ.

Die Ränder des goldenen Bildes versanken langsam und zögernd in Schwärze. Das Gold verblasste zu einem bleichen Goldsilberschein und dann zu Silber, schließlich zu Weiß. Die Tänzerin, die golden gewesen war, stand nun als verlorene weißrosa Gestalt still und müde auf den riesigen weißen Stufen. Der Applaus von tausend Welten schlug über ihr zusammen.

Blind starrte sie ihnen entgegen. Der Tanz hatte auch sie überwältigt. Ihr Applaus hatte nicht viel zu bedeuten. Der Tanz gewann seinen Sinn ganz aus sich selbst. Sie würde leben, irgendwie, bis sie wieder tanzte.

Krieg NR. 81-Q

Ein paar kurze glückliche Jahrhunderte lang war Krieg zu einem gigantischen Spiel geworden, bis die Weltbevölkerung die Dreißig-Milliarden-Marke überschritten hatte, der damalige Premierminister Chatterji mit seiner Formel der »Rechtmäßigen Proportionen« vor die Weltregierung trat, und aus dem Spiel wieder Ernst wurde. Als alles vorbei war, überwucherten widerliche Kletterpflanzen die zerstörten Städte, Heilige und Wahnsinnige schlugen ihr Lager in den Unterführungen nutzlos gewordener Highways auf, und nur noch ein paar Menschenjäger-Maschinen durchstreiften den Planeten auf der Suche nach Waffen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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